Acta Pacis Westphalicae II B 4 : Die französischen Korrespondenzen, Band 4: 1646 / Clivia Kelch-Rade und Anuschka Tischer unter Benutzung der Vroarbeiten von Kriemhild Goronzy und unter Mithilfe von Michael Rohrschneider
a. Die Verhandlungen mit dem Kaiser
Vom französischen Standpunkt aus waren Anfang Juni 1646 die wesentlichen Punkte der Verhandlungen mit den Kaiserlichen schon geregelt. Nachdem am 29. Mai mit der kaiserlichen
Postrema declaratio zur französischen Satisfaktion
Beilage 1 zu APW
IIB 3 nr. 304; Druck:
Gärtner
IX S. 952–961;
Meiern
III S.
31–35
;
Nég.
secr.
III S. 429–434.
Siri
VII S. 1209–1218 (it. ÜS). S. auch
Ruppert
S. 175.
Frankreich nach den vorherigen Zugeständissen – die Besitzungen im Elsaß
Das Elsaß umfaßte bekanntlich an habsburgischem Besitz die Landgrafschaft Oberelsaß, in der habsburgisches Herrschaftsrecht und territoriale Ausdehnung größtenteils deckungsgleich wa-ren, im Unterelsaß dagegen wenig: die Reichslandvogtei Hagenau mit ihren Reichsdörfern und der – größtenteils oberelsässischen – Dekapolis. Zum frz. Kenntnisstand dieser Verhält-nisse sowie der Frage, was die ksl. Angebote angesichts dieser Situation eigentlich umfaßten, siehe nunmehr Bosbach,
APW II B 3 S. XXXVIIf, XL-LX;
Repgen, Zusammenhang.
so-wie Metz, Toul und Verdun, Pinerolo und Moyenvic – nun noch Breisach bewil-ligt worden war, stand einer Fixierung der Satisfaktionsartikel nach Ansicht der französischen Delegation nicht mehr viel im Weg. Sie erhofften einen solchen er-folgreichen Abschluß ihrer Gespräche mit den Kaiserlichen umso mehr, als er es ermöglicht hätte, den Schwerpunkt auf andere Verhandlungen des Kongresses zu verlagern und die Separatverhandlungen zwischen den Spaniern und den Gene-ralstaaten zu stören
. In den noch offenen Punkten mit dem Kaiser – Höhe der Entschädigungssumme für die Innsbrucker Erzherzöge, Abtretung Philippsburgs an Frankreich, Status der Reichsunmittelbaren im Elsaß, Satisfaktion Hessen-Kassels – sahen sie kaum noch langwierige Hindernisse
.
Die Kaiserlichen freilich hofften, Frankreich mit Fixierung der Satisfaktionsarti-kel auch verpflichten zu können, Druck auf die Schweden zur Mäßigung ihrer Satisfaktionsforderungen auszuüben. Vor allem die schwedische Forderung nach Abtretung ganz Pommerns mit Zustimmung Kurbrandenburgs wollten sie gemil-dert sehen. Die französischen Gesandten wiesen diesen Vorstoß aber entschieden zurück und weigerten sich, die kaiserliche
Ulterior declaratio vom 5. Juni 1646
formell entgegenzunehmen, um sich nicht dem Mißtrauen ihrer Alliierten auszu-
[p. LI]
[scan. 51]
setzen. Aus dem gleichen Grund ließen sie nun auch Verhandlungspunkte, die sie bereits hätten klären können, weiterhin offen
.
Trauttmansdorff reiste am 7. Juni nach Osnabrück, ohne in den Verhandlungen mit den Schweden etwas erreichen zu können. Das fehlende Entgegenkommen bei den französischen und schwedischen Gesandten und die offensichtliche gegnerische Bereitschaft, den militärischen Vorstoß im Reich trotz der bereits erfolgten Zuge-ständnisse gegenüber Frankreich weiter fortzuführen, ließen Trauttmansdorff schließlich an Abreise denken, in der Hoffnung, doch noch auf die militärische Karte setzen zu können
Ruppert S. 184; Trauttmansdorff hatte allerdings auch am 27. Mai 1646 dem Kaiser berich-tet, d’Avaux habe ihm zur Vortäuschung von Abreiseabsichten geraten, um die Verhandlungen voranzutreiben;
APW II A 4 nr. 128.
. Mazarin hielt dies für keine ernsthafte Gefahr. Er sah in Gerüchten über einen bevorstehenden Abbruch des Friedenskongresses sogar ein geeignetes Mittel, die Schweden in der Satisfaktionsfrage zum Einlenken zu bewe-gen
. Die unentschlossen scheinende und taktierende Haltung der Kaiserlichen, ihr Versuch, Frankreich zum Engagement gegen seine Verbündeten zu bewegen, schürte aber den Argwohn der Franzosen, die fürchteten, Absicht der Gegner sei es, wie schon so oft in den Verhandlungen der letzten Jahre, Frankreich von sei-nen Verbündeten zu isolieren und Mißtrauen zwischen ihnen zu säen. So nahmen sie auch die
Ultima generalis declaratio vom 31. August 1646
formell nicht entgegen, mit der die Kaiserlichen nochmals versuchten, Frankreich zum Einwir-ken auf seine Verbündeten zu gewinnen. Überrascht waren die Franzosen zudem von der Hartnäckigkeit, mit der die Kaiserlichen auf der Bedingung des gleich-zeitigen Friedensschlusses mit Spanien bei der endgültigen Vertragsunterzeich-nung und auf einer Restitution Lothringens beharrten
.
Betrachtet man die Verhandlungssituation im Sommer 1646 aus diesen gegensätz-lichen Perspektiven, war das Zustandekommen einer Übereinkunft zur französi-schen Satisfaktion zeitweilig ernsthaft gefährdet, obwohl fast alle wesentlichen Forderungen zugestanden worden waren. Das unerwartete Vordringen der fran-zösisch-schwedischen Armee nach der Truppenvereinigung und das Scheitern der Hoffnung, im Reich noch einen militärischen Schulterschluß gegen die Feinde zu erreichen, zwangen Trauttmansdorff aber, das Arrangement mit Frankreich zu suchen, um nicht das in diesen Verhandlungen Erreichte wieder in Frage zu stel-len
[Trauttmansdorff], Nassau und Volmar plädierten in einem Schreiben an Ferdinand III. vom 21. August 1646 dafür, angesichts der militärischen Lage das ksl.-frz. Übereinkommen voran-zutreiben;
APW II A 4 nr. 314; vgl. auch
ebd. nr. 321;
Ruppert S. 185. D’Avaux berichtete Anfang September in nr. 141 von seinem Eindruck, Trauttmansdorff forciere nun die Ver-handlungen.
. Dies war auch im Interesse der Franzosen, denen die spanisch-niederländi-schen Verhandlungen immer mehr entglitten. Zudem wollten sie ihre Satisfaktion
[p. LII]
[scan. 52]
formuliert sehen, um das Zugestandene nicht zu gefährden und sich von dem Vor-wurf zu befreien, mit ihren Territorialforderungen den Friedensschluß zu verzö-gern. Wenn sie auch die kaiserliche
Ultima generalis declaratio nicht formell annahmen und nicht durch einen Gegenentwurf als Verhandlungsgrundlage ak-zeptierten, waren sie doch bereit, über die Satisfaktionspunkte weiter zu verhan-deln, zumal ihnen in diesem Schriftsatz das französische Besatzungsrecht für Phi-lippsburg grundsätzlich eingeräumt wurde. Der Trierer Kurfürst Philipp Chri-stoph von Sötern als Bischof von Speyer hatte dieses Besatzungsrecht in einem Geheimvertrag mit Ludwig XIV. am 19. Juli 1646
Beilage 1 zu nr. 98. Zu den Verhandlungen s.
Abmeier S. 76–8
5.
bereits zugestanden, aber die französischen Gesandten waren sich bewußt, daß das kaiserliche Placet
plu-tost souhaitté qu’espéré worden sei
.
Die Franzosen erhielten nach dem 2. September die Kapitel III und IV der kai-serlichen
Ultima generalis declaratio als gesonderten Schriftsatz
Kopie (mit Korrektur Serviens), datiert auf den 31. August 1646:
AE
,
CP
All. 66 fol. 276–281.
und teilten ihre Einwände den Mediatoren mündlich mit, die sie schriftlich niederlegten
Zu diesem Vorgehen s. nr.n 139, 140, 141;
Repgen, Satisfaktionsartikel S. 186f.;
Repgen, Salvo, Anhang 1 A III S. 550; vgl.
Ruppert
S. 193 Anm. 276. Zur gleichen Zeit ließ Maza-rin Servien durch Lionne in nr. 147 zum baldigen Abschluß drängen.
. Unei-nigkeit herrschte noch über die Frage, ob der künftige Gouverneur Philippsburgs den Eid gleichermaßen auf den französischen König wie auf Bischof und Domka-pitel von Speyer ablegen solle. Auch die Höhe der Entschädigungssumme für die Erzherzöge war weiterhin umstritten, ebenso der rechtliche Status der Lehen Reichsunmittelbarer in den Gebieten der Hochstifte Metz, Toul und Verdun und im Elsaß. Darüber hinaus wurden nun alle Punkte, die die französische Satisfak-tion nicht direkt betrafen, ausgeklammert. Man verblieb so, daß die Kaiserlichen ihre Vorbehalte zugunsten Spaniens und Karls von Lothringen, die Franzosen aber ihre Vorbehalte zugunsten der Satisfaktion Schwedens und Hessen-Kassels den künftigen Vereinbarungen hinzufügen könnten
.
Longueville, d’Avaux und Servien stellten den Kaiserlichen mündlich in Aussicht – ohne sich freilich in irgendeiner Form zu verpflichten –, auf die Schweden mäßigend einwirken zu wollen
. Bei der Satisfaktion Hessen-Kassels gingen sie keinen Kompromiß ein, obwohl sie der von Landgräfin Amalie Elisabeth erhobe-nen Forderung nach kirchlichen Gütern – darunter die Hochstifte Münster und Paderborn – distanziert gegenüberstanden und sich intern um eine Modifizierung bemühten. Hessen-Kassel war nach Lage der Dinge Frankreichs treuester Verbün-deter. Die Regierung in Paris hob ebenso wie ihre Bevollmächtigten am Kongreß immer wieder rühmend hervor, daß aus Hessen-Kassel trotz schwerer Kriegsla-sten keine Klagen kämen und daß dieser Alliierte fest an der Seite Frankreichs
[p. LIII]
[scan. 53]
stehe. Sie revanchierten sich mit ihrem Beharren auf den Interessen Hessen-Kas-sels. Die kaiserlichen Gesandten verwiesen zur Beilegung des Marburger Erbfol-gestreits
, in dem Landgräfin Amalie Elisabeth eine Regelung zugunsten der von ihr vertretenen Linie gegen die Ansprüche Hessen-Darmstadts forderte, vergeb-lich auf die Erbverbrüderung
zwischen Hessen, Sachsen und Brandenburg. Die-ser Streit sei, argumentierten die Kaiserlichen, in einer
amicabilis compositio durch die Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg zu entscheiden. Insbesondere der Kurfürst von Sachsen werde einem anderen Vorgehen heftigen Widerstand entgegensetzen. Trauttmansdorff räumte zwar gegenüber d’Avaux ein, daß der Kaiser kein unmittelbares Interesse daran habe, ob die marburgische Erbfolge zu-gunsten der einen oder der anderen hessischen Linie entschieden werde. Der darmstädtische Gesandte Dr. Sinold gen. Schütz beharrte aber gegenüber Lam-berg und Krane darauf, nur auf eine
amicabilis compositio eingehen zu können. Die französischen Bevollmächtigten wiederum sahen die französische Politik in diesem Punkt auf die Entscheidung Landgräfin Amalie Elisabeths verpflichtet
Nr.n 7, 8, 10, 33, 60, 76, 77, 91, 92, 105;
APW II A 4 nr. 312.
. Die französisch-kaiserlichen Gespräche über die französische Satisfaktion intensi-vierten sich in den ersten beiden Septemberwochen. Den Verhandlungsdurch-bruch stellte der von den Franzosen am 9. September 1646 den Mediatoren über-gebene Entwurf
dar, mit dem sie erstmals seit gut vier Monaten wieder einen Schriftsatz präsentierten und sich in der Satisfaktionsfrage endlich festlegten
Nr.n 148, 149. Eine genaue Darstellung der Vorverhandlungen sowie der Ereignisse des 13. September 1646 gibt
Repgen, Satisfaktionsartikel; vgl. auch
Ruppert S. 193.
. Am 13. September 1646 wurden die französisch-kaiserlichen Satisfaktionsartikel
bei einer Zusammenkunft der drei französischen Unterhändler mit den Kaiserli-chen im Quartier Trauttmansdorffs durch den Nuntius Chigi, in Anwesenheit Contarinis, verlesen, von beiden Vertragsparteien vor den Vermittlern gebilligt und dann bei Nuntius Chigi hinterlegt
Das von Chigi verlesene und in den von ihm als Vermittler gesammelten Akten aufbewahrte Exemplar druckt
Repgen, Satisfaktionsartikel, Anhang I.
. D’Avaux und Volmar hatten ein Exem-plar des zu verlesenden Textes vorher von Chigi erhalten. Die Franzosen ver-sahen den Text mit erläuternden Marginalien und übersandten ihr Exemplar durch den Neffen d’Avaux’, d’Herbigny, an den Hof
Nr.n 159, 160;
APW III C 1,1 S. 319;
APW II A 4 nr. 344;
APW III C 2, 1 S. 699 und 702. D’Avaux’ an den Hof gesandtes Exemplar
(
AE
,
MD
All. 9 fol. 208–215) enthält noch die Streichung eines Artikels über die Festung Ehrenbreitstein, so daß die Artikelzählung nicht mehr mit der verbindlichen Version übereinstimmt (vgl.
[nr. 159 Anm. 1] ).
.
In den Artikeln gestand der Kaiser Frankreich als Satisfaktion die Abtretungen im Elsaß und Breisach, die Bistümer Metz, Toul und Verdun sowie Moyenvic, Pinerolo und das Garnisonsrecht für Philippsburg zu. Frankreich behielt sich aus-
[p. LIV]
[scan. 54]
drücklich die Regelung der Satisfaktion Schwedens und Hessen-Kassels bei Ver-tragsschluß vor, der Kaiser den Einschluß Spaniens und Lothringens, wogegen die französischen Bevollmächtigten wiederum einen Vorbehalt in die Artikel aufneh-men ließen. Im übrigen waren sie nicht unzufrieden damit, daß zunächst die französische Satisfaktion geregelt worden war, konnte Frankreich doch nun dar-auf verweisen, daß nicht seine Interessen, sondern die Forderungen Schwedens und Hessen-Kassels den Frieden mit dem Kaiser aufhielten
Nr.n 157, 159. Salvius befürchtete in einem Brief an Kg.in Christina vom 7./17. September 1646, daß nun, nach Regelung der frz. Satisfaktion, eine allgemeine Schuldzuweisung an Schweden für die Friedensverzögerung erfolge;
APW II C 2 nr. 186 S. 445.
. Die Artikel vom 13. September 1646 waren aufgrund ihrer Entstehung und Ver-wendung weder datiert noch unterzeichnet oder besiegelt. Sie trugen den rechtlich schwer definierbaren Charakter einer mündlichen und vorläufigen Vereinbarung, an welche die Parteien bis Ende September gebunden sein sollten. Bei den Artikeln des 13. September handelt es sich also nicht um einen veritablen „Vorvertrag“ – wie die kaiserlich-schwedischen Vereinbarungen vom 18. Februar 1647 oder die kaiserlich-französischen Abmachungen vom November 1647 –, obgleich diese Bezeichnung gelegentlich in der neueren Literatur verwendet worden ist
So
Ruppert S. 184;
Dickmann S. 300 spricht irrtümlich sogar von einer Unterzeichnung. Schon Frk.s Alliierte sahen in den Vereinbarungen einen tiefen Einschnitt. Salvius sprach von einem Abschluß und fürchtete, Frk. werde trotz des Vorbehalts nach Regelung seiner Satisfak-tion nicht zugunsten seiner Verbündeten im Krieg bleiben wollen;
APW II C 2 nr. 186 S. 448. Zur befristeten Geltung der Satisfaktionsartikel s.
Repgen, Satisfaktionsartikel.
. Die französischen Unterhändler nannten die Septembervereinbarung
les articles dont nous sommes convenus, sprachen von
convention(s), von
accord o der schlicht von
l’escrit
. Dies entspricht präzise der befristeten Verbindlichkeit der Satisfak-tionsartikel. Tatsächlich ist zwar für den Vorvertrag im November 1647 und für das endgültige Instrumentum Pacis Monasteriense im September/Oktober 1648 auf den Wortlaut vom September 1646 zurückgegriffen worden, aber nicht un-verändert. Die Septemberartikel beanspruchten nicht endgültige Verbindlichkeit bis zur Aufnahme in den Friedensvertrag
Zur Verbindlichkeit der Septemberartikel s.
Repgen,
Satisfaktionsartikel. Brienne erläuterte in nr. 221 mit bezug auf die frz.-span. Verhandlungen: Il est certain que touttes les condi-tions dont on convient n’obligent à rien que le traitté ne soit signé, mais chaque article arresté en doibt faire une partie, et il n’est pas permis de révoquer en doubte ce dont on est demeuré d’accord, sur le présupposé allégué, aultrement il n’y auroit pas moyen d’adjuster un traitté qui doibt contenir divers chefs et articles.
Vgl. auch aus dem Bericht Saint-Romains an [Chavigny] vom 18. September 1646: [Les articles] n’ont point esté signez de part ni d’autre, mais on les a déposez entre les mains de messieurs les médiateurs pour estre insérez dans le traitté général de l’Empire s’il plaît Dieu qu’il s’achève; Ausf.:
AE
,
CP
All.
66 fol. 442–443.
.
Ausführlich diskutiert, aber am 13. September 1646 nicht endgültig geklärt, blieben die Zessionbestimmungen für das Elsaß. Das kaiserliche Angebot seit dem 17. Mai 1646, die elsässischen Territorien vom Reich nicht zu Lehen, sondern als
[p. LV]
[scan. 55]
souveräne Herrschaft zu übernehmen, hatte die Adressaten in Münster und Paris eher ratlos hinterlassen
Am 17. Mai 1646 stellte Trauttmansdorff d’Avaux die Souveränität erstmals in einem Ge-spräch in Aussicht; APW
II B 3 S. LXII;
Repgen,
Salvo S. 530f. Einige Tage später erhielten die ksl. Gesandten das Gutachten der ksl. Räte für ein definitives Angebot, daß das Elsaß weder iure feudi noch allodii der cron Franckreich uberlassen, sonder vilmehr totaliter von dem Reich eximiert und der cron [...] incorporiert werde; APW
II A 4 nr. 108 Bei-lage 1. Schon die bay. Gesandten berichteten am 31. Mai 1646 an Kf. Maximilian von ihrem Eindruck, die Art der Zession des Elsaß scheine den Franzosen eher gleichgültig zu sein;
Imm-ler S.
261.
. Bei Überlegungen zur Formulierung der französischen Satisfaktionsforderungen im August 1645 hätten Longueville, d’Avaux und Ser-vien es zwar grundsätzlich vorgezogen, wenn Frankreich seine neuen Territorien zu souveränem Besitz erhalten würde. Mit Rücksicht auf die Reichsstände wären sie aber auch zur Lehensnahme bereit gewesen
APW
II B 2 nr. 198 S. 633.
. Die Elsaß-Verhandlungen von 1646 waren dann auf dieser Grundlage begonnen worden, wobei Frankreich sich die habsburgischen Rechte über die elsässischen Reichsstände sowie Sitz und Stimme im Reichstag ausbedungen hatte
APW
II B 3 S. LV und LIXf.
. Der Jurist und Historiker Théodore Godefroy, der der Gesandtschaft beratend zur Seite stand, warnte vor einer Le-hensnahme durch den französischen König selbst und empfahl die Übertragung des Elsaß auf eine Seitenlinie der Bourbonen
. Darüber hinaus bestand vor dem 17. Mai 1646 keine Notwendigkeit, die Frage nach der rechtlichen Art der Ze-dierung zu diskutieren.
Von kaiserlicher Seite war das Souveränitätsangebot ein Versuch, Frankreich durch größere Rechte über das ohnehin abzutretende Elsaß zu einem Verzicht auf Breisach zu bewegen, ein Versuch, der schon im Ansatz scheiterte. Die Franzosen argwöhnten, daß ein Zugeständnis, welches gar nicht gefordert gewesen war, mit einem erheblichen Vorteil für den Anbieter selbst verbunden sein müsse. Weitere Absicht des kaiserlichen Angebots war es in der Tat, eine französische Reichs-standschaft zu verhindern. Der Kaiser wollte eine französische Reichstagsvertre-tung mit Stimmrecht umgehen. Eine solche hatte es zwar zuvor für das Elsaß nicht gegeben, aber aus lehensrechtlichen und politischen Gründen hätte die kai-serliche Seite sie schlecht abschlagen können
APW II A 4 nr. 43 mit Beilagen, nr. 58, nr.n 108 und 110 mit Beilagen, nr. 127;
APW II B 3 nr.n 279, 282;
Ruppert
S. 174 und 182f.;
Lehr
S. 8. Der bay. Geh. Ratskanzler Bartholomäus Richel hatte vor dem kaiserlichen Souveränitätsangebot ein Gutachten darüber angefertigt, wie sich die rechtlichen Beziehungen Frk.s respektive Schwedens zu Kaiser und Reich nach der Belehnung mit dem Elsaß bzw. mit Pommern gestalten sollten. Dieses Gutach-ten bildete die Grundlage der Politik Kf. Maximilians in dieser Frage, der ebenfalls zu dem Urteil gelangt war, die Übertragung in Souveränität sei primär in habsburgischem Interesse;
Immler
S. 261ff.
.
Von französischer Seite wurde das Souveränitätsangebot zunächst dahingehend interpretiert, daß darin nun auch der Besitz der im Elsaß liegenden Immediat-
[p. LVI]
[scan. 56]
stände enthalten sei, einschließlich der in der Dekapolis zusammengeschlossenen Reichsstädte
Zu den ersten Reaktionen der frz. Gesandten auf das Souveränitätsangebot und die daraus abgeleitete Forderung nach den Immediatständen siehe
APW II B 3 S. LXIII-LXX.
. Die französische Regierung und ihre Bevollmächtigten in Münster wollten das Angebot als Angebot der Souveränität über alle elsässischen Herr-schaftsrechte verstanden wissen. Gesandte und Räte des Kaisers hingegen hatten vorausgesetzt, daß die Souveränität nur die habsburgischen Herrschaftrechte um-fasse. Die Forderung nach Souveränität über die Immediatstände war für sie keine zulässige Interpretation ihres Angebotes, sondern eine neue Forderung. Würde man ihr stattgeben, so urteilten sie zu Recht, schädige man die anderen Herrschaftsträger im Elsaß sowie das Reich selbst, dem man damit die gesamte Provinz endgültig entziehe
APW II A 4 nr.n 129, 155 und Beilage 1 zu nr. 191.
. Trauttmansdorff gab dennoch zu bedenken, ob man nicht die Souveränität in der geforderten Form anbieten solle, da den betrof-fenen Ständen angesichts der französischen Übermacht ohnehin die Mediatisie-rung drohe
. Die kaiserlichen Räte rieten davon ab, aber der Kaiser gestand zu, gegebenenfalls ein ständisches Gutachten einzuholen
APW II A 4 nr. 121 und nr. 191 mit Beilage 1.
. Doch die französische Seite beharrte nicht nachdrücklich auf ihrer Forderung. Nach Aussagen Longue-villes nahm man wiederum Rücksicht auf die Reichsstände und forderte die Sou-veränität über die Immediatstände nur noch aus taktischen Gründen
Nr. 7; zum weiteren Beharren auf der Forderung siehe nr. 60.
.
Die französische Regierung hatte die kaiserliche Intention des Souveränitäts-angebotes richtig beurteilt und erkannt, daß dem Kaiser daran gelegen war, zu verhindern, daß Frankreich als Reichsstand am Reichstag vertreten sei und als solcher die Reichspolitik beeinflusse. Da mit der Vasallität aber zahlreiche lehens-rechtliche Fußangeln verbunden gewesen wären, erkannte man in Paris zugleich die Vorteile des Souveränitätsangebots und forderte die Gesandten, denen ihrer-seits neben dem genannten Memorandum Godefroys ein Memorandum Josias Glasers
Memorandum Glasers vom 1. Juni 1646 = Anhang 7 zu
APW II B 3. Der Straßburger Lu-theraner Josias Glaser (1588-nach 1648) hatte sich zunächst im Dienst seiner Heimatstadt, dann Schwedens und Frankreichs befunden. 1639 hatte er Ludwig XIII. geraten, das Elsaß zu annektieren. 1646 beriet der die französischen Gesandten in das Elsaß betreffenden Fragen; vgl.
NDBA n° 13 S. 1199;
APW II B 3 S. LXVIII Anm. 165;
Stein S. 85 Anm. 81. Lam-berg und Krane vermuteten bei der Abberufung La Bardes, Glaser werde diesem als Resident in Osnabrück nachfolgen oder dem künftigen frz. Residenten in Osnabrück beigeordnet;
APW II A 4 nr. 225. Glaser kehrte jedoch im September 1646 nach Straßburg zurück, von wo aus er mit Longueville, d’Avaux und Servien korrespondierte; vgl. seine Briefe vom 12./22. Ok-tober 1646 (Ausf:
AE
,
CP
All. 67 fol. 123), vom 16./26. Oktober 1646 (Kopie:
ebd.
fol. 161) und vom 2. November 1646 (Kopie:
ebd. fol. 165).
zugunsten einer Lehensnahme des Elsaß vorlag, am 22. Juni 1646 zu einer Stellungnahme auf
.
[p. LVII]
[scan. 57]
Servien hatte indes bereits acht Tage zuvor ein Memorandum
zu dieser Frage an Lionne geschickt und angedeutet, daß innerhalb der französischen Gesandt-schaft keine Einigkeit darüber herrsche. Er selbst bezog hier nicht Position, son-dern referierte Vor- und Nachteile: Für eine Lehensnahme sprächen die Reichs-standschaft mit ausbedungenem Sitz und Stimme am Reichstag, eine
familiarité avec les Allemands, wenn diese die Franzosen als
compatriotes und Reichsmit-glieder betrachteten. Aus dieser Position heraus könnten die französischen Könige ungehindert Umgang mit den Reichsständen pflegen und Bündnisse schließen so-wie vielleicht zum Kaisertum aufsteigen und so die dominante Stellung des Hau-ses Habsburg endgültig beseitigen. Für die Souveränität, in der Servien zunächst einmal einen Vorteil für den Kaiser sah, spreche allerdings die Unabhängigkeit vom Reichsoberhaupt, für einen souveränen König
In der gesamten Diskussion wird in der Souveränität des Königs zwar ein bedeutender politi-scher Einwand gegen die Lehensnahme gesehen, nicht aber ein formal-rechtliches Hindernis.
ein gewichtiges Argument. Ein Sitz im Reichstag sei dagegen kein so bedeutender Vorteil, würde diese Ver-sammlung doch meist zur Verabschiedung von Reichssteuern oder eine andere
affaire de cette nature einberufen. Die Reichsstandschaft sei im übrigen weder erforderlich, um Gesandte zu den Reichstagen zu schicken, noch notwendig, um sich zum Kaiser wählen
Es gab mit Richard von Cornwall und Alfons von Kastilien mittelalterliche Vorbilder für die Wahl von Nicht-Reichsangehörigen zum röm. Kg., aber die Legitimität eines solchen Vor-gangs war in der juristischen Publizistik des 17. Jh.s umstritten; s.
Duchhardt, Germani.
zu lassen. Ein wichtiges Argument war zudem, daß man ein als souveräne Herrschaft zediertes Gebiet der französischen Krone inkor-porieren könne, während bei einer Lehensnahme des Elsaß der Heimfall und da-mit ein erneuter Verlust ständig möglich bleibe.
Da Serviens Memorandum an seinen Neffen nicht zur offiziellen Korrespondenz gehörte, nahmen die Gesandten in einem gemeinsamen Memorandum
am 9. Juli wie erbeten Stellung. Die erste Hälfte des Schreibens ist mit dem von Servien identisch. Die zweite Hälfte wurde von d’Avaux konzipiert, der zugleich Brienne anvertraute, daß er die Entscheidung dieser Frage insgesamt für nicht sonderlich bedeutsam halte
. Er betonte grundsätzlich nochmals den Wert der Souveräni-tät, fügte aber vor allem den Argumenten für eine Lehensnahme weitere hinzu. In dem gesamten Memorandum wurde keine Entscheidung nahegelegt, während das gemeinsame Schreiben
, mit dem die Gesandten es überschickten, wiederum auf eine Meinungsverschiedenheit in diesem Punkt verwies, aber zur Übernahme als souveränem Besitz riet.
Paris, wo man selbst unentschieden war, zeigte sich mit dieser unentschlossenen Stellungnahme unzufrieden
. Die Vereinbarung der französisch-kaiserlichen Sa-tisfaktionsartikel wurde dadurch nicht verhindert. Man einigte sich auf jene inter-
[p. LVIII]
[scan. 58]
pretationsfähigen Formulierungen für die Zession, welche 1648 in das
IPM
IPM §§ 73–91. Den kaiserlichen Entwürfen, die superioritas
in den zedierten Gebieten ab-zutreten, hatten die Franzosen in ihrem Entwurf vom 9. September 1646 (vgl.
[nr. 148 Anm. 1] ) die Abtretung des
supremum dominium
hinzugefügt, was die Kaiserlichen kommen-tarlos akzeptierten. Dazu
Repgen,
Salvo;
Dickmann
S. 295ff.
übernommen worden sind. Zwischen Münster und Paris ging die Diskussion indes weiter. Servien verwarf zwar das von Godefroy ins Feld geführte Argument einer ständig drohenden Konfiskation des Elsaß bei einer Lehensnahme, da er die Stel-lung des Kaisers im Reich zu schwach für ein solches Vorgehen hielt, plädierte aber nun eindeutig für die Souveränität
Nr. 231. Bei der Zusammenstellung der Vor- und Nachteile in nr. 12 hatte Servien diese Möglichkeit ebenfalls genannt. Zu den Argumenten Godefroys vgl.
APW II B 3 Anhang 4.
. Ein großes Hindernis für die freie Herrschaftsausübung sah er indes in der Lehensnahme nicht. Offen formulierte er bereits, daß selbst die uneingeschränkte Herrschaft über die Reichsunmittelbaren, deren Zugeständnis Frankreich von den Kaiserlichen nicht hatte erlangen kön-nen
Nr.n 91, 141. Auf Initiative Volmars hatten die Kaiserlichen selbst dieses Angebot nochmals erwogen, aber nach Bedenken Trauttmansdorffs unterlassen;
Ruppert
S. 174.
, nach Lage der Dinge nur eine Frage der Zeit sei, obwohl die ausdrückliche Wahrung der Rechte dieser Stände fixiert worden war
. D’Avaux plädierte hin-gegen für die Lehensnahme des Elsaß
. Den Rechtsvorbehalt zugunsten der Reichsunmittelbaren nahm er dabei ernster als Servien und verwies später darauf, daß das Unterelsaß ein nur geringer Gewinn für Frankreich sei, weil es neben der Landvogtei Hagenau eben zahlreiche Reichsunmittelbare umfasse
. Brienne war ebenfalls für Lehensnahme
Nr. 76. Brienne hatte bereits in
APW II B 3 nr. 293 Einwände gegen die Souveränität geäu-ßert, insbesondere wenn diese nicht auf die Immediatstände ausgedehnt werde.
, und Mazarin schloß sich dieser Meinung nach eini-gem Überlegen an. Er forderte d’Avaux auf, eine gemeinsame Depesche der Ge-sandten in diesem Tenor anzuregen, der dann der königliche Entscheid folgen solle
Nr.n 146 und 212; die Aufforderung an d’Avaux in nr. 200.
. Eine einmütige Empfehlung unterblieb jedoch, und in Paris blieb die Frage unentschieden
.