Acta Pacis Westphalicae II B 4 : Die französischen Korrespondenzen, Band 4: 1646 / Clivia Kelch-Rade und Anuschka Tischer unter Benutzung der Vroarbeiten von Kriemhild Goronzy und unter Mithilfe von Michael Rohrschneider

2. Die französische Gesandtschaft

Die zweite Hälfte des Jahres 1646 brachte für die französische Gesandtschaft in mehrfacher Hinsicht Veränderungen: Zum einen trafen Longuevilles Gattin Anne Geneviève und seine Tochter Marie in Münster ein

Die Gesandten reisten den Damen nach Wesel entgegen und geleiteten sie nach Münster. Siehe nr.n 83, 84, 85. Am 26. Juli 1646 fand der feierliche Einzug statt (s. [nr. 96 Anm. 2] ); dazu der Bericht [Préfontaines], o. O., o. D., Kopie: BN F. fr. 3784 fol. 71–74’. Über den Aufenthalt der Hg.in in Münster s. Lahrkamp, Aufenthalt.
, deren Aufenthalt die Ge-sandten teilweise zu euphorischen Äußerungen veranlaßte und den gesellschaftli-chen Höhepunkt des Kongresses darstellte

D’Avaux berichtete seinem Freund Vincent Voiture am 29. August 1646 von der Bewunde-rung des gesamten Kongresses für die Herzogin (Roux S. 16) und erging sich in einem weite-ren Brief am 6. Dezember 1646 in seitenweisem Lob ihrer Person; ebd. S. 19–23.
. Zum anderen wechselte schon zum zweiten Mal der französische Resident in Osnabrück, da La Barde auf eigenen Wunsch Anfang Juni abberufen wurde

Nr.n 5, 27; APW II B 3 nr. 292.
. Servien und Lionne gelang es, ihrem Freund und weitläufigen Verwandten

La Courts 1635 verstorbene Schwester Marie Groulart hatte einen Vetter Serviens geheiratet; Cras T. 3 S. 48 und T. 4 S. 111; Frondeville S. 70f.
, Henri Groulart de La Court, die Nach-folge zu verschaffen, nachdem sie bereits mehrmals erfolglos versucht hatten, ihm einen diplomatischen Posten zu vermitteln

S. APW II B 1 nr. 109 S. 205, nr. 287 S. 609 und nr. 293 S. 631; APW II B 2 nr. 182 S. 570.
. 1645 bei der Abreise des französi-schen Residenten in Osnabrück, Rorté, hatten sie sich für La Court Hoffnungen gemacht

S. APW II B 2 nr. 76 S. 244.
. Bei dem neuerlichen Residentenwechsel setzten sich Servien und

[p. XLVII] [scan. 47]

Lionne nun frühzeitig zugunsten La Courts ein

Nr. 5; APW II B 3 nr.n 292.
, so daß d’Avaux’ Versuche, Saint-Romain oder einen anderen Deutschland-Kenner aus seiner eigenen Klien-tel nach Osnabrück zu bringen, scheiterten

Nr.n 35, 56, 58.
.
La Barde verließ Osnabrück am 2. Juli 1646

Beilage 1 zu APW II A 4 nr. 238.
, La Court traf allerdings erst am 19. Oktober 1646 dort ein

APW II A 5 nr. 82 S. 145.
. Frankreich blieb also dreieinhalb Monate ohne einen Vertreter bei den schwedischen Gesandten, und dies zu einer Zeit, da das Verhält-nis zu den Alliierten ohnehin gespannt war. Mazarin war verärgert über La Courts langes Ausbleiben

Nr. 225.
, das dieser damit begründete, daß seine Reisevorberei-tungen durch die höfische Administration unnötig verzögert worden seien. Insbe-sondere die Geldzuweisung sei nur langsam erfolgt

Nr. 82; La Court an Servien, Paris 1646 August 3, Ausf: AE , CP All. 66 fol. 217, 218, 217’.
. La Court verschlechterte den Eindruck, den Mazarin von ihm gewonnen hatte, durch einen selbst nach Lionnes Urteil

Lionne an Servien, Paris 1646 November 30, Ausf.: AE , CP All. 78 fol. 457–457’.
überflüssigen Rangstreit mit d’Avaux’ Protegé Saint-Romain, dem Residenten in Münster, der dort, am Ort seiner Residenz, die Präzedenz vor dem Residenten aus Osnabrück forderte

Nr. 265; Saint-Romain an Mazarin, Münster 1646 November 19, Ausf.: AE , CP All. 62 fol. 301–302’; La Court an Brienne, Münster 1646 November 19, Kopie: ebd. fol. 294–295.
.
Dennoch hatte Servien gegenüber d’Avaux einen entscheidenden Vorteil gewon-nen, als er die Entsendung seines Vertrauten nach Osnabrück erreichte. La Court pflegte freundschaftliche Beziehungen zu Longueville, aber gegenüber d’Avaux verhielt er sich von Anfang an distanziert, während dieser laut Vorwürfen Ser-viens die Amtsführung des Residenten zu boykottieren versuchte

Nr.n 39, 64, 265.
. Serviens Neffe Lionne baute derweil seine Stellung in der französischen Regierung weiter aus, indem er am 13. August 1646 das Amt eines secrétaire des commandements Königin Annas, auf deren besonderen Gunsterweis hin ohne finanzielle Aufwen-dung, erhielt

Nr. 89 Anm. 5; nr.n 97, 118, 128; Cras S. 119.
.
Zwischen den Gesandten d’Avaux und Servien war es seit der Ankunft Longue-villes im Juni 1645 nicht mehr zu eklatanten Auseinandersetzungen gekommen, wie sie die Zeit davor bestimmt hatten. Es gab aber kleinere Streitigkeiten und Spitzen gegeneinander in der Korrespondenz mit dem Hof. Die Anschuldigungen, welche Servien seinem Neffen Lionne berichtete, der sie an Mazarin weitergab, gewannen wieder an Schärfe, doch wirkte sich Longuevilles Anwesenheit offenbar ausgleichend aus, so daß eine Atmosphäre erhalten blieb, die gemeinsames Arbei-ten ermöglichte.

[p. XLVIII] [scan. 48]

Im Juli 1646 jedoch beging d’Avaux eine diplomatische Unvorsichtigkeit, die wohl auch ein entspannteres Verhältnis als das zwischen ihm und Servien belastet hätte.
Der französische Hof hatte mitgeteilt, die Interessen Portugals dürften den Frie-den nicht aufhalten. Das war eine eindeutige Genehmigung, das aufständische Königreich zum gegebenen Zeitpunkt zugunsten des Vertragsschlusses fallenzulas-sen. Allerdings sollte, dies war ausdrücklich hinzugefügt, dieser Trumpf erst zum passenden Zeitpunkt ausgespielt und auf dem Einschluß Portugals in den Frie-densvertrag bis dahin fester denn je beharrt werden

Nr.n 41, 77.
. D’Avaux aber führte bereits kurz darauf, am 29. Juli 1646, ein persönliches Gespräch mit Trauttmansdorff, in dem er offenbar den Spaniern durch den kaiserlichen Gesandten Portugal und Katalonien im Tausch gegen Cambrai oder die Freigrafschaft Burgund in Aus-sicht stellte. Trauttmansdorff fertigte während der Unterredung eine lateinische Mitschrift an, auf deren Geheimhaltung er nach eigener Aussage größten Wert legte. Er übertrug sie in ein deutsches Protokoll, das er dem Kaiser übersandte

Beilage [1] zu APW II A 4 nr. 279.
und zeigte die Mitschrift selbst nur Peñaranda, der davon eine Kopie nahm. Trauttmansdorffs und Peñarandas Sekretäre verglichen kurz darauf diese Kopie mit Trauttmansdorffs Mitschrift und stellten bereits fest, daß Peñaranda dem Wortlaut eine kurze Passage hinzugefügt hatte, wie sich später herausstellte, eine Beleidigung Mazarins (mendax est)

APW II A 4 nr. 298.
. Peñaranda sandte am 30. Juli eine Kopie seines Textes an Castel Rodrigo

Als Beilage zu: Peñaranda an Castel Rodrigo, Münster 1646 Juli 30, Kopie: AGS E. leg. 2066 unfol.; Peñaranda bezweifelte sofort, daß es sich um ein tatsächliches Angebot handele.
und gab zu, eine weitere an Terranova ge-schickt zu haben

Gegenüber Trauttmansdorff bestätigte Peñaranda, daß er Kopien an Castel Rodrigo und Ter-ranova gesandt habe; APW II A 4 nr. 298.
. Bald kursierten von der lateinischen Protokoll-Fassung unter-schiedliche, auch im Text variierende Abschriften

Conversatio a Trautmansdorff habita cum comite d’Avaux, Kopien: AE , CP All. 61 fol. 195–195’; AE , CP All. 66 fol. 201–202; Godefroy-Kopien: AN K 1336 n° 13; BN Coll. Dupuy 739 fol. 90–91’.
. Trauttmansdorff monierte so-wohl das Bekanntwerden des Protokolls selbst als auch die hinzugefügte Beleidi-gung Mazarins. Da letztere auf die Kanzlei Peñarandas zurückging, vermutete er zu Recht, daß die Verbreitung der Kopien ebenfalls von dort – respektive von Castel Rodrigo oder Terranova, die von dort Kopien erhalten hatten ausgegan-gen sei

APW II A 4 nr. 298. Daß die Beleidigung Mazarins von Peñaranda selbst hinzugefügt wurde, bestätigt nicht nur Trauttmansdorffs Bericht, sondern auch die Tatsache, daß diese Beleidigung sich ebenfalls in der an Castel Rodrigo übersandten Kopie findet.
.
Das Portugal-Katalonien-Angebot d’Avaux’ allerdings findet sich in allen Versio-nen des Protokolls. D’Avaux jedoch, der Mazarin unverzüglich selbst vom Be-kanntwerden des Protokolls informierte, bestritt, ein derartiges Angebot gemacht

[p. XLIX] [scan. 49]

zu haben, und behauptete vielmehr, er selbst habe einen solchen Vorschlag Trautt-mansdorffs zurückgewiesen

Nr. 113. Mazarin waren entsprechende Gerüchte mittlerweile schon aus Brüssel mitgeteilt worden; vgl. nr. 127.
. Die Aussagen d’Avaux’ und Trauttmansdorffs ste-hen gegeneinander. Trauttmansdorff, dem die Veröffentlichung eines vertrauli-chen Gespächs grundsätzlich unangenehm war, äußerte sich dazu nicht weiter. Ein Interesse, dem Kaiser ein Protokoll mit einem angeblichen französischen An-gebot zu überschicken, welches tatsächlich sogar zurückgewiesen worden war, ist schwer zu entdecken. Eher wäre daran zu denken, daß Trauttmansdorff auf diese Weise ein Angebot Peñarandas herauslocken wollte. Es spricht aber auch einiges dafür, daß d’Avaux sich in Kenntnis der Pariser Bereitschaft, auf Katalonien und Portugal zu verzichten, zu dieser Offerte vorwagte, um die Spanier aus der Re-serve zu locken. Er mag gehofft haben, daß Paris auf einen entsprechenden Vor-schlag von der spanischen Seite eingehen werde.
Von französischer Seite wurde die gesamte Angelegenheit zwar als böswillige geg-nerische Verleumdung behandelt, doch rief der Vorfall einmal mehr das Miß-trauen Serviens gegen d’Avaux wach, insbesondere gegen dessen Einzelkonfe-renzen. Darüber hinaus störte er nachhaltig das Vertrauensverhältnis zwischen d’Avaux und Trauttmansdorff und generell das Verhältnis Frankreichs zu Portu-gal und Katalonien

Vgl. nr.n 127, 142, 156, 167 und APW II A 4 nr. 298.
.
Unruhe brachte in der zweiten Hälfte des Jahres 1646 Longueville in die Ge-sandtschaft. Der Herzog, dessen Aufenthalt in Münster einer ehrenvollen Verban-nung gleichkam

Dickmann S. 196.
, bemühte sich nach dem Tod Brézés darum, dessen einflußreiche Ämter, die surintendance générale de la navigation et du commerce und das Gouvernement von Brouage, zu übernehmen. Die Königin wollte diese Ämter weder Longueville noch seinem Schwager Enghien überlassen und entschied, sie der Krone zu übertragen. Obwohl sie sich bemühte, Longueville dabei nicht zu brüskieren, reagierte er auf den Entschluß, gegen den formal wenig einzuwenden war, ungewöhnlich heftig. In der gemeinsamen Stellungnahme mit seinen Kolle-gen zur Vorlage im Conseil war Longueville gezwungen, den Entscheid zu akzep-tieren

Nr. 70; vgl. nr. 65. Die Zustimmung erfolgte laut Servien in nr. 75 mit Rücksicht auf Longue-ville zurückhaltend.
, in persönlichen Schreiben an Mazarin aber wies er auf die ständige Miß-achtung seiner Verdienste hin, zählte minuziös auf, wer außer ihm in letzter Zeit Kronämter erhalten habe, und beschwor den Kardinal, sich für seine Interessen zu verwenden. Als die erwünschte Reaktion ausblieb, wechselte er im Ton zu Selbst-mitleid und Beleidigungen und demonstrierte offen seine Unzufriedenheit. Maza-rin vermied eine Konfrontation, wies Longuevilles Anschuldigungen kühl zurück, und die Königin blieb bei ihrem Beschluß

Longueville an Mazarin, Münster 1646 Juli 30; Ausf.: AE , CP All. 61 fol. 205–206; nr.n 62, 65, 78, 79, 136, 138.
. D’Avaux wurde durch Brienne auf-

[p. L] [scan. 50]

gefordert, mäßigend auf den Herzog einzuwirken, sah sich dazu aber nicht im-stande

Nr.n 150, 160A.
. Dennoch glaubte Servien, seit dieser Angelegenheit ein engeres Verhält-nis zwischen d’Avaux und Longueville zu bemerken, und beschuldigte d’Avaux gegenüber Lionne, Longuevilles Unzufriedenheit zu schüren, um ihn für seine eigenen Interessen gewinnen zu können

Nr. 104.
.

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