Acta Pacis Westphalicae II B 2 : Die französischen Korrespondenzen, Band 2: 1645 / Franz Bosbach unter Benutzung der Vorarbeiten von Kriemhild Goronzy und unter Mithilfe von Rita Bohlen
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c. Die Verhandlungen mit Kaiser und Reich
In den Verhandlungen, die die französischen Gesandten mit den kaiserlichen und reichsständischen Vertretern während des in diesem Band berücksichtigten Zeitraums führten, traten drei wesentliche Themenkomplexe hervor: die Beteili-gung der Reichsstände an den Verhandlungen, die Propositionen für den Frieden mit dem Kaiser und die Kontakte mit Bayern. Die Zulassung aller Reichsstände zum Kongreß und die Freilassung des Kurfürsten von Trier waren die beiden Hauptforderungen in der französischen Proposition I (4. Dezember 1644) gewesen, die in der Nebenproposition Ia (24. Februar 1645) wiederholt wurden. In beiden Fragen setzten sich die verbündeten Kronen im Verlauf des Jahres 1645 gegen den Kaiser durch. Nach der Niederlage des kaiserlischen Heeres bei Jankau gegen die Schweden einigte sich der Kaiser mit dem Trierer Kurfürsten über die Freilassung
. Dem Verlangen nach Beteiligung der Reichsstände gab er insofern nach, als er den Frankfurter Deputationstag nach Münster verlegen ließ. Dies wurde von den Verbündeten jedoch nur als ein erster Erfolg auf dem Weg zur Beteiligung aller Reichsstände an den Verhandlungen angesehen
. Der Streit um die ständische Vertretung und die Diskussion über
ius suffragii und
modus consultandi endeten im September 1645 schließlich mit der Anerken-nung des vollen Mitspracherechts der Reichsstände und mit der Organisation ihrer Beratungen in Kurien an beiden Kongreßorten nach dem Muster der Reichstage
nr. 210; ausführliche Darstellung bei
Dickmann
S. 175–189.
. Die französischen Gesandten waren an diesen Entscheidungen wesentlich weniger beteiligt als ihre schwedischen Kollegen in Osnabrück, wo sich der überwiegende Teil der bereits erschienenen fürstlichen und städtischen, meist protestantischen Gesandten aufhielt und mit Hilfe der schwedischen Gesandten seine Ziele durchzusetzen suchte. Auf Seiten Frankreichs schätzte man das Gewicht der Stände geringer ein als bei den Schweden. Schon zu Beginn des Jahres kam daher aus Paris die Anweisung an d’Avaux und Servien, die Bedeutung der Admission der Stände nicht überzubetonen, auf das Erschei-nen der reichsständischen Vertreter nicht länger zu warten und endlich mit den Verhandlungen zu beginnen
. Damit stießen sie zunächst noch bei den Schweden und bei den ständischen Gesandten in Osnabrück auf Widerstand
, doch im April, nach dem Sieg bei Jankau, traten auch die schwedischen Gesandten für eine rasche Aufnahme der Verhandlungen ein, in deren Verlauf eine Lösung für die Admissionsfrage gesucht werden könne
. Die französischen Gesandten zeigten auch am Ausgang der im Juni von dem kaiserlichen Gesandten Volmar in Osnabrück eingeleiteten Beratungen der Reichsstände
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über das
ius suffragii und über den
modus consultandi
zunächst wenig Interesse. Sie erwarteten aus jeder der möglichen Lösungen einen Vorteil für die französische Verhandlungsposition
. Wichtig erschien ihnen nur, daß im Inter-esse der Gleichförmigkeit der Verhandlungen eine zu starke Konzentration der katholischen Ständevertreter in Münster und der evangelischen in Osnabrück vermieden wurde. Zu diesem Zweck schaltete sich Servien im August 1645 in Osnabrück in die Beratungen ein, wo er die Zustimmung der reichsständischen Gesandten zu diesen Überlegungen gewann. Sie beschlossen, bei der Verteilung der Deputierten auf konfessionelle Ausgewogenheit zu achten
.
Die am 24. Februar von Frankreich vorgelegte Sonderproposition la erfüllte im wesentlichen zwei Aufgaben: Zum einen sollte die Proposition I gerechtfertigt und modifizierend erläutert werden
, zum anderen wollte man mit ihr dem Drängen der Mediatoren nachkommen und dem Vorwurf entgehen, die Ver-handlungen zu verschleppen
. Den für Spanien und den Kaiser unterschiedli-chen Fassungen lag ein Entwurf Mazarins zu Grunde
, den die Gesandten überarbeitet hatten
Der Entwurf der Gesandten bildet die Beilage zu nr. 28.
. Neben der Forderung nach Freilassung des Kurfürsten von Trier und der Admission der Reichsstände wurde in der Proposition für den Kaiser die gleichzeitige Verhandlung der Interessen der Verbündeten mit denen Frankreichs gefordert. In den italienischen Angelegenheiten wurde die Bereit-schaft Frankreichs zur Annahme einer von den italienischen Staaten auszuarbei-tenden Regelung angedeutet. Im Schlußteil wurde schließlich die Behandlung der Frage der Friedenssicherung verlangt. – Die Herausgabe dieser Proposition erfolgte gegen den Widerstand der schwedischen Gesandten und der ständischen Deputierten, die sich noch gegen jeden Fortschritt in den Verhandlungen vor Ankunft weiterer Reichsstände wehrten. D’Avaux war es nicht möglich, bei seinem Besuch in Osnabrück die schwedischen Gesandten umzustimmen. Er versprach ihnen schließlich den Verzicht auf die Proposition. Auf Drängen der Mediatoren und Serviens hin stimmte er aber schließlich doch der Auslieferung zu, was die schwedischen Gesandten schwer verstimmte
. Als d’Avaux vor Rosenhane den Bruch seiner in Osnabrück gegebenen Zusage entschuldigen wollte, kam es zu dem bereits erwähnten Streit der beiden Gesandten und zur Bitte d’Avaux’ um seine Abberufung.
Fortschritte in den Verhandlungen wurden durch diese Proposition nicht erreicht. Die Antwort der Kaiserlichen vom 7. März 1645
enthielt neben der Zurückweisung aller französischen Forderungen lediglich das Verlangen nach
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Ratifikation des Friedensvertrages durch die französischen Stände, von welcher Forderung man aber bald wieder abging
. Die Freilassung des Kurfürsten von Trier und die Admission der Reichsstände erledigten sich im Laufe des Jahres in Folge der verschlechterten militärischen Lage des Kaisers nach den französischen Wünschen. Die restlichen Fragen wurden erst mit der Proposition II vom Dreifaltigkeitstag, dem 11. Juni 1645, weitergebracht
Beilagen zu nr. 143; Inhaltsbeschreibung bei
Ruppert S. 102–118.
. Ihr Inhalt und der Termin der Übergabe waren mit den schwedischen Gesandten abgestimmt worden. Schon im Januar waren Besprechungen aufgenommen worden
, um zu einer Einigung über diese
pierre quadrangulaire des künftigen Friedens zu kommen
. Um nicht wie nach der Proposition I der Kritik des Hofes ausgesetzt zu werden, teilten die französischen Gesandten ihre Entwürfe und Überlegungen kontinuierlich ihrer Regierung mit
nr. 84, Beilage zu nr. 83, 101, 102; auch die schwedischen Entwürfe gingen nach Paris: Beilagen zu nr. 101, 105, 122.
. Der dafür erforderliche Zeitaufwand verzögerte den Ablauf der Verhandlungen erheblich. Die Gesandten hatten Mühe, die seit Mitte März immer dringlicher auf der Beschleunigung der Verhandlungen bestehenden schwedischen Vertreter hinzuhalten
nr. 77, 78, 83, 111, 121, 122, 126.
. Der Inhalt der schließlich an die Vermittler ausgelieferten Proposition hatte sein Schwerge-wicht bei den Fragen, die die Reichsstände betrafen. Zu ihrer Ausarbeitung hatte man sich im wesentlichen einer Vorlage der Gesandten Hessen-Kassels bedient
. Daneben forderten die Franzosen allgemeine Amnestie, Satisfaktion der Kronen und Hessen-Kassels sowie Abfindung der Truppen, Einschluß aller Verbündeten in den Vertrag, Verzicht des Kaisers auf Beistand für Spanien und die Wiederherstellung der Verhältnisse im Reich von 1618, soweit die Verträge nicht etwas anderes vorsähen. Auffällig war im Gegensatz zur schwedischen Proposition die vollständige Zurückhaltung in den die Religion betreffenden Fragen. Die Gesandten hatten von Brienne klare Anweisung erhalten, jede religiöse Forderung zugunsten der Protestanten zu unterlassen
und sich auf die Vertretung ihrer rein weltlichen Angelegenheiten zu beschränken
. Die Gesandten wurden auch bei den Schweden vorstellig, um allzu unmäßige Forderungen auf diesem Gebiet in deren Proposition zu verhindern
. Dem Bemühen war aber nur teilweise Erfolg beschieden. Zwar erreichte Servien tatsächlich einige Änderungen, doch erschienen diese dem Hof immer noch zu gering
. Dafür wurde aus der französischen Proposition noch kurz vor dem vereinbarten Abgabetermin ein ganzer Passus zur Regelung der Streitigkeiten
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über geistliche Güter herausgenommen, was von den Schweden mit großem Unwillen aufgenommen wurde
, von der Regierung in Paris aber sehr gelobt wurde
. Die Möglichkeit der Modifizierung der Verhältnisse von 1618 durch Vertragsregelungen schließlich hatte man mit Rücksicht auf Bayern für die Regelung der pfälzischen Frage aufgenommen. Drei Tage später, am 14. Juni, wurde ergänzend der Nachtrag mit der Benennung Rákóczys als Verbündeten eingereicht.–Anders als die Schweden konnten die französischen Gesandten ihre Proposition nicht allen Reichsständen, sondern nur den kurfürstlichen Vertre-tern mitteilen, da fürstliche und städtische Gesandte in Münster noch fehlten
. Mit dieser Proposition II waren die französischen Aktivitäten im Bereich der Verhandlungen mit dem Kaiser zunächst für den in diesem Band berücksichtig-ten Zeitraum erschöpft. Von da an bestimmte die Frage der Beteiligung der Reichsstände das Kongreßgeschehen. Als sichtbares Zeichen der endlich errunge-nen Anerkennung des
ius suffragii ging ihnen am 25. September in Osnabrück der Entwurf der kaiserlichen Responsion zur Beratung zu
. Die kaiserliche Antwort wurde aber noch vor dem Abschluß der reichsständischen Beratungen den Kronen übergeben
nr. 242; zum Inhalt nr. 224, 237.
.
Die französischen Satisfaktionsforderungen gegenüber dem Kaiser erfuhren im Verlauf des Jahres 1645 noch keine endgültige Klärung, es wurden aber grundlegende Überlegungen dazu angestellt. Der Aufforderung Mazarins an die Gesandten zu konkreten Vorschlägen für die Territorialforderungen
kam Servien in zwei Gutachten im April
und zusammen mit d’Avaux in einer gemeinsamen Relation im Juni nach
. Das Gutachten Serviens vom 15. April beschäftigte sich zunächst noch sehr eingehend mit der Frage der Berechtigung und möglichen Durchsetzung eines französischen Satisfaktionsanspruches. Loth-ringen, das Elsaß und Philippsburg wurden als mögliche Territorien bezeichnet, wobei Servien davon ausging, bei der Forderung nach dem Elsaß ausschließlich Habsburger Interessen zu berühren
. Es zeigte sich schon hier die Unkenntnis über die genauen Besitzverhältnisse im Elsaß, wie sie im August, als die Gesandten ihre Forderungen den bayerischen Vertretern vertraulich eröffneten, von diesen bemerkt wurde
nr. 198; ähnlich mangelhafte Kenntnisse zeigte d’Avaux in nr. 196.
. Nicht anders verhielt es sich in dem Memorandum Serviens vom 22. April. Auch hier wurde der Erwerb von Elsaß und Lothringen vorgeschlagen, eingeschränkt lediglich durch die Beibehaltung der bestehenden Bindungen dieser Territorien an das Reich
. Die von Servien bezeichneten
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Gebiete bildeten auch den Kern der Vorschläge beider Gesandten vom Juni, vermehrt noch um den Anspruch auf Breisach
. Sie fanden in dieser Form auch die Zustimmung des Hofes
. Da die Gesandten mittlerweile auf die ungeklär-ten Besitzverhältnisse aufmerksam geworden waren
, erhielt Vautorte im August den Auftrag, über die Rechts- und Herrschaftsverhältnisse Erkundungen einzuziehen
. Er konnte seine Aufgabe offenbar bis zum November nicht abschließen, denn noch die Zusatzinstruktion vom 23. November 1645 wieder-holte die Territorialforderungen in unveränderter Form
.
Neben den Verhandlungen mit den Kaiserlichen traten die französischen Gesandten auch in direkten Kontakt mit reichsständischen Vertretern. Die wichtigsten Verhandlungen wurden mit Bayern, dem Hauptverbündeten des Kaisers, geführt. Es ging dabei in dem hier behandelten Zeitraum immer um dieselben Themen. Ziel der Beratungen war auf französischer Seite die Tren-nung des Kurfürsten vom Kaiser und der Einsatz Maximilians für die Satisfak-tion Frankreichs und Schwedens, auf bayerischer Seite die Sicherung der französischen Hilfe beim Erhalt der Kurwürde sowie einer Entschädigung für die Kriegskosten, falls die Oberpfalz abzutreten sei.
Die Eröffnung der Kontakte erfolgte jedoch nicht in Münster, sondern durch Vervaux, den Beichtvater Maximilians, in Paris. Erst durch die Haltung Mazarins wurden die Gesandten beim Friedenskongreß mit den Verhandlungen befaßt. Eifrig bemüht, den Bündnispartnern Frankreichs jeden Anlaß zu einem Verdacht auf Separatverhandlungen zu nehmen, ging Mazarin auf die bayeri-schen Angebote (zuletzt: Waffenstillstand und Protektionsverhältnis für Bayern, Kurköln und möglichst auch für die schwäbischen, fränkischen und bayerischen Reichskreise) nicht näher ein, sondern verwies alle Verhandlungen dieser Art nach Münster. Die Gesandten forderte er auf, die Vertreter der Verbündeten über diese Kontakte zu informieren
. Doch in Münster warteten die Gesandten vergeblich auf die Fortsetzung der Angebote durch die Gesandten des bayeri-schen Kurfürsten. Da in derselben Zeit Turenne bei Mergentheim eine Niederla-ge durch das bayerische Heer erlitt, lag es nahe, die bayerischen Offerten als täuschendes Ablenkungsmanöver zu interpretieren, wie es Servien tat
. Maza-rin dagegen lehnte solche Deutungen ab
. Trotz der andauernden Zurückhal-tung der bayerischen Gesandten ging er nach wie vor davon aus, daß die teilweise vorhandene Interessenidentität Frankreichs und Bayerns auf die Dauer zu einem Abkommen führen könne
. Von den Gesandten war daher die
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Verbindung zu den bayerischen Vertretern weiterhin aufrechtzuerhalten und die andauernde Gesprächsbereitschaft Frankreichs immer wieder zu betonen
. In der Tat erfuhren diese Kontakte im August 1645 nach dem Sieg Enghiens bei Alerheim eine Neubelebung. Jetzt traten die bayerischen Gesandten mit dem Vorschlag eines Waffenstillstandes und des gemeinsamen Vorgehens gegen Friedensunwillige hervor, worauf die französischen Gesandten unter der Bedin-gung einzugehen bereit waren, daß Bayern dem Kaiser keine Hilfe mehr leiste, Sicherheitsplätze stelle und Raum für die Quartiernahme französischer Truppen böte
nr. 198, 199; etwa gleichzeitig bekundete Maximilian in Paris durch den aus bayerischer Haft entlassenen Marschall Gramont und durch Schreiben an Bagno seine Friedensbereit-schaft (vgl. nr. 200, 201, 202).
. Doch auch diesmal zog die Eröffnung der Angebote keine konkreten Ergebnisse nach sich. Die bayerischen Gesandten verfielen in ihre alte Zurück-haltung, was wohl mit der Entwicklung auf dem Kriegsschauplatz zusammen-hing, wie die französischen Gesandten vermuteten
. Je wichtiger nämlich es für Frankreich angesichts des durch den kaiserlichen Sukkurs für Bayern erzwunge-nen Rückzugs Turennes wurde, wenigstens auf dem Verhandlungswege in der Quartierfrage Erfolg zu haben
, desto zurückhaltender, aber auch selbstbewuß-ter verhielt sich die bayerische Seite
, die schließlich die Franzosen mit der Aussicht auf die Entsendung eines Sonderbeauftragten vertröstete
. Weiter gedieh die Zusammenarbeit Frankreichs mit Bayern bis zum November 1645 nicht. Die Möglichkeit einer Übereinkunft bestand aber unverändert weiter
.