Acta Pacis Westphalicae II B 2 : Die französischen Korrespondenzen, Band 2: 1645 / Franz Bosbach unter Benutzung der Vorarbeiten von Kriemhild Goronzy und unter Mithilfe von Rita Bohlen

b. Die Verhandlungen über das Zeremoniell und die Vollmachten

Wie einleitend bemerkt, waren die Verhandlungen von Januar bis November 1645 zu einem großen Teil der Schaffung der Rahmenbedingungen gewidmet, innerhalb derer anschließend die Gespräche über die eigentlichen Sachfragen

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vonstatten gehen konnten. So wurden im Laufe des Jahres die Frage des Zeremoniells und die der Verhandlungsvollmachten endgültig geklärt.
Schwierigkeiten in der Frage des Zeremoniells waren durch die kurfürstlichen Vertreter entstanden, deren Primargesandte die gleichen Ehrungen forderten, wie sie dem Vertreter Venedigs zustanden: Einholung, erste Visite, Oberhand und schließlich auch der Exzellenz-Titel

Ausführliche Darstellung bei Becker S. 169–185.
. Trotz mancher Vorbehalte blieb in dieser Frage der französischen Seite nichts anderes übrig, als den kurfürstlichen Wünschen nachzugeben. Denn der Kaiser war im Oktober 1644 schon vorange-gangen und hatte diese Ehren bewilligt

APW II A 2 nr. 16.
. Um bei den Kurfürsten nicht in ein schlechtes Licht zu geraten, waren daher dieselben Zugeständnisse durch Frank-reichn der Generalstaaten unumgänglich. Diese konnten sodann auch den Gesandten der General-staaten und dem ersten Gesandten Savoyens nicht mehr vorenthalten werden

nr. 23, 42.
, denen man noch kurz vorher die erste Visite verweigern wollte

nr. 8, 17.
. Die Primarge-sandten der Kurfürsten und Savoyens sowie die Vertreter der Generalstaaten erfuhren während des Kongresses also die gleichen Ehrungen, wie sie Gesandte souveräner Mächte beanspruchen durften.
Wohl weniger wegen ungelöster Protokollfragen als wegen der Rivalitäten zwischen d’Avaux und Servien entstanden Ende Januar die Unstimmigkeiten über den Empfang der Gesandten der Hansestädte. Nachdem diese den beiden französischen Gesandten in d’Avaux’ Unterkunft die erste Visite vor den Spaniern gegeben hatten, erwartete Servien sie zu einer weiteren Visite in seinem Quartier, wobei er davon ausging, daß die Hansestädter auch diese vor ihrem ersten Besuch bei den Spaniern ablegen würden. Als sie sich bei ihm aber erst nach der Visite im Quartier der spanischen Vertreter einfanden, glaubte Servien seine Würde als Vertreter des Königs verletzt und verzichtete darauf, sie zu empfangen, ein eklatanter Verstoß gegen jede Etikette, der die Hansestädter zutiefst kränkte

Darstellung des Vorfalls in nr. 30.
. Das Verhalten Serviens wurde in Paris hart getadelt und die Gesandten bekamen die Anweisung, sich in Zukunft mit dem gemeinsamen Empfang der ersten Visite vor den Spaniern zu begnügen

nr. 46, 52 .
. Denn bei aller Bedeutung von protokollarischen Feinheiten und zeremoniellen Ansprüchen zögerte man in Paris nicht, in solchen Fragen zurückzustecken, wenn man dadurch auf dem Gebiet der Verhandlungen Nachteile vermeiden oder Fort-schritte erzielen konnte. Sehr deutlich wurde diese Grundhaltung bei dem Anspruch Longuevilles als souveräner Fürst von Neuchâtel auf den Altesse-Titel

Bougeant III S. 339.
. Da Mediatoren und kaiserliche Gesandte ihm diesen Titel verweigerten, bestand die Gefahr, daß Longueville mit ihnen keinen Kontakt aufnehmen konnte. Die Sache wurde noch schwieriger, nachdem am 5. Juli 1645 Graf

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Peñaranda seinen Einzug gehalten hatte, denn jetzt lief Longueville Gefahr, daß wegen dieses Hindernisses der spanische Gesandte, obwohl nach ihm eingetrof-fen, vor ihm die erste Visite der bereits anwesenden Gesandten empfing und daß überdies wie zu den kaiserlichen Gesandten nun auch noch zu den spanischen Vertretern die Verbindungen unterbrochen würden. Aus diesem Grunde steckte Longueville unverzüglich seine Ansprüche zurück. Er erklärte sich zum Empfang der Visiten auch dann bereit, wenn ihm der Altesse-Titel nicht verliehen werde. Die Anrede sollte in diesem Fall, wie von den Mediatoren bereits praktiziert, in der dritten Person erfolgen

nr. 167; er handelte damit ganz im Sinne Mazarins (vgl. nr. 166).
. Auf diese Weise konnten die Kontakte zu den kaiserlichen Gesandten wieder aufgenommen werden, von denen Volmar schließlich der Titelforderung nachgegeben hatte, während Nassau ablehnend blieb

nr. 243.
. Die Verbindung zu den Kaiserlichen erschien so wichtig, daß man ihnen sogar den protokollarischen Verstoß nachsah, entgegen ausdrücklicher Warnun-gen zunächst bei Peñaranda statt bei Longueville die erste Visite abgelegt zu haben

nr. 167, 247.
. Mit den Spaniern hatte Longueville dagegen keinerlei Kontakte, da diese wegen der Titelfrage angeblich erst Instruktion in Madrid einholen mußten

nr. 167.
.
Schwierigkeiten gab es auch in der Frage der Vollmachten zu überwinden. Am 20. Januar sollten alle Parteien neue Vollmachten in der vereinbarten Form vorlegen, doch verzögerte sich der Austausch, da die Spanier angaben, die ihrigen seien noch nicht eingetroffen. Als es im Februar endlich zum Austausch der Schriftstücke kam, stellten die Franzosen in dem spanischen Exemplar so schwerwiegende Mängel fest, daß sie weitere Verhandlungen bis zur Beibrin-gung einer zufriedenstellenden Fassung ablehnten

nr. 49.
. Von der am 24. Februar den Mediatoren übergebenen Proposition la sollte deshalb die für die Spanier bestimmte Fassung so lange in Verwahrung der Vermittler bleiben. Einen Monat später traf endlich die gewünschte Fassung der Vollmacht ein. Die Spanier hatten offensichtlich die Verhandlungen verzögern wollen, denn nach Informationen Briennes und der Mediatoren hatte die Regierung in Madrid zwei Ausfertigungen geschickt, wovon die den Absprachen konforme erst nach Ablehnung des zunächst vorgebrachten mangelhaften Exemplars abgeliefert werden sollte

nr. 52, 69.
. Sehr viel einfacher war im Juli 1645 das Prüfungsverfahren für die von Longueville und Peñaranda mitgebrachten Vollmachten. Zwar bean-standete jede Seite Mängel im Exemplar der anderen, doch wurden die Korrekturen diesmal ohne Umschweife ausgeführt

nr. 185, 251.
. Anfang November 1645 war die Vollmachtenfrage für die französisch-spanischen Verhandlungen somit endlich zufriedenstellend geregelt.

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