Acta Pacis Westphalicae II B 2 : Die französischen Korrespondenzen, Band 2: 1645 / Franz Bosbach unter Benutzung der Vorarbeiten von Kriemhild Goronzy und unter Mithilfe von Rita Bohlen
a. Die französische Gesandtschaft
Bis zur Ankunft des Herzogs von Longueville in Münster am 30. Juni 1645 wurde die französische Gesandtschaft von d’Avaux und Servien geleitet. Wie schon im vorangegangenen Jahr war auch 1645 ihr Verhältnis zueinander von Differenzen über persönliche und politische Fragen belastet
Zur Geschichte des Streites zwischen d’Avaux und Servien im Jahr 1644 vgl.
APW II B 1 S. LXV-LXXVIII.
. Nach eindringli-chen Ermahnungen und Verhaltensanweisungen des Hofes
fanden sich die beiden Gesandten zwar im Januar zunächst zur gemeinsamen Arbeit zusammen. Sie berichteten gemeinsam nach Paris
, und auch das erneute Einladungsschrei-ben an die Reichsstände vom 20. Januar wurde einvernehmlich abgefaßt
nr. 43 und Beilage 7 von nr. 28.
.
Doch Ende Februar war es mit dem Frieden wieder vorbei. Bei einer Konferenz mit Rosenhane, in der es um die Rechtfertigung der französischen Nebenpropo-sition la (24. Februar) ging, fühlte sich d’Avaux durch Ausfälle Serviens gegen ihn so sehr gekränkt, daß er um seine Abberufung bat
. Die Frage seiner Abreise aus Münster bildete von nun an bis zum Einzug Longuevilles ein ständiges Thema der Gesandtschaftskorrespondenz. Nach einem Beschluß des
Conseil wurde d’Avaux die Entscheidung, Münster zu verlassen, freigestellt
. Er entschied sich für die Abreise, teilte dies in einem Schreiben an den König mit
und begann dafür eifrig Vorbereitungen zu treffen
. Gleichzeitig schränkte er seine Mitarbeit in der Gesandtschaft ein. So suchte er die Wohnung Serviens nicht mehr auf
und verweigerte zeitweise seine Mitwirkung an der Gesandt-schaftsarbeit
. In Paris stellte man sich auf die Rückkehr d’Avaux’ ein und bereitete eine Vollmacht für Servien zu Verhandlungen ohne seinen Kollegen vor
. Doch wider alle Erwartungen reiste d’Avaux nicht ab. Vermutlich hatte er damit gerechnet, daß ihm die Rückkehr von der Königin untersagt werde. Darin sah er sich jedoch getäuscht. Außerdem war zu erwarten, wie ihm Contarini vor Augen stellte, daß seine Abreise in Paris ungnädig aufgenommen und für ihn nachteilige Folgen haben könne
. Er zögerte daher seinen Abschied hinaus und erklärte sich im Mai schließlich bereit, wenigstens bis zum Eintreffen Longuevilles auszuharren
. Es kam ihm dabei sehr zustatten, daß Brienne sein Schreiben an den König mit der Ankündigung seiner Rückkehr zurückgehalten und nicht im
Conseil vorgetragen hatte
. So war d’Avaux in seiner Entschei-dung noch nicht festgelegt. Auch Mazarin zeigte deutlich, daß er kein Interesse an seiner Rückkehr hatte. Er milderte schon den scharfen Wortlaut des königlichen Schreibens, das d’Avaux die Heimkehr freistellte
. Und er war sicherlich damit einverstanden, daß Brienne das Antwortschreiben d’Avaux’
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zurückhielt, von dem dieser ihm eine Kopie zugeschickt hatte
AE
,
CP
All.
43 fol. 375–376’.
, so daß ihm auffallen mußte, daß Brienne es nicht im
Conseil zum Vortrag brachte. Zuletzt verhinderte Mazarin, daß die Königin in ihrem Ärger über das lange Zögern d’Avaux abberufen ließ
. Dieser blieb also in Münster und nahm die Gesandt-schaftsarbeit wieder auf
. Longueville gelang es schließlich, die Spannungen zwischen seinen beiden Mitgesandten so weit abzubauen, daß die Gesandt-schaftsarbeit nicht mehr gestört wurde.
Mit der Ankunft Longuevilles erfolgte auch ein Wechsel auf dem Posten des Gesandtschaftssekretärs. Die Aufgabe Brassets, als neutraler Garant kontinuier-licher Gesandtschaftsarbeit tätig zu sein, entfiel. Er kehrte auf seinen Residenten-posten nach Den Haag zurück
. Sein Nachfolger wurde Boulenger, der schon längere Zeit im Dienst Longuevilles gestanden hatte
. Auch auf dem Residen-tenposten in Osnabrück fand ein Wechsel statt. Der bisher dort tätige Rorté, ein Vertrauter d’Avaux’, sollte den Botschafterposten in Stockholm einnehmen
, doch verzögete er seine Abreise immer wieder, weil er auf die Verleihung des Ambassadeur-Titels und auf finanzielle Unterstützung zur Reise wartete
. Im Mai wurde seine Entsendung schließlich rückgängig gemacht. Jetzt sollte La Thuillerie eine Mission nach Schweden übernehmen, Rorté sollte nach Frank-reich zurückkehren
. Trotz des Einsatzes des Präsidenten Mesmes und der schwedischen Gesandten für ihn blieb es bei dieser Entscheidung. Im Juli reiste Rorté aus Westfalen ab
nr. 102, 137; der Einsatz der schwedischen Gesandten geschah nach Aufforderung durch Rorté und d’Avaux (nr. 134); zur Abreise Rortés nr. 165.
. Sein Nachfolger wurde de La Barde, dessen Berufung Lionne betrieben hatte, der zu spät bemerkte, daß damit wiederum ein guter Freund d’Avaux’ berufen wurde. De La Barde machte bereits bei der Übernah-me seines Amtes im November 1645 Schwierigkeiten. Er war designierter französischer Gesandter in der Schweiz und bestand in Osnabrück hartnäckig auf der Anerkennung seines Ambassadeur-Ranges, was ihm die schwedischen Gesandten jedoch verweigerten. Es stand zu befürchten, daß daraus in Zukunft der schwedisch-französischen Zusammenarbeit in Osnabrück Schaden erwach-sen werde
.
Die Korrespondenz zwischen den Gesandten und dem Hof in Paris gestaltete sich in der ersten Jahreshälfte nach denselben Bedingungen wie im Jahr 1644
Vgl. APW
II B 1 S. LXXIX–LXXXV.
. Auch nach der Ankunft Longuevilles in Münster änderte sich daran wenig. Die Entwürfe für die gemeinsamen Relationen wurden weiterhin von d’Avaux und
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Servien erstellt, die dann in gemeinsamer Sitzung aller drei Gesandten bespro-chen wurden
So die Beschreibung der Zusammenarbeit durch d’Avaux in einem späteren Brief an Mazarin, Münster 1646 Oktober 8 (Ausfertigung:
AE
,
CP
All. 62 fol. 56–61).
. Die eingehenden Schreiben kamen von nun an in die Kanzlei Longuevilles, wurden dort dechiffriert und anschließend den beiden anderen Gesandten zur Anfertigung von Kopien überlassen
Das Verfahren wird von Longueville in einem Schreiben an Mazarin vom 12. November 1647 geschildert (Kopie:
AE
,
CP
All. 103 fol. 132–133).
. Der vertrauliche Brief-wechsel Serviens mit seinem Neffen Lionne, dem Sekretär Mazarins, erfuhr im Lauf des Jahres 1645 eine Aufwertung zur regelrechten Sonderberichterstattung für Mazarin. Über diesen Weg schickte der Gesandte Memoranden und Relationen zur Verhandlungslage, die allein für Mazarin bestimmt waren und um die dieser selbst gebeten hatte
In nr. 76; Beispiele für solche Memoranden sind nr. 84 und 90.
. Vorher hatte bereits Lionne empfohlen, die nur für ihn bestimmten Textteile von denen zu trennen, die zur Kenntnis Mazarins gelangen sollten
. Von den Schreiben des Hofes verloren diejenigen Briennes im Verlauf des Jahres an Bedeutung. Sie vermittelten zwar den Gesandten weiterhin die Beschlüsse des
Conseil zu den auswärtigen Angelegen-heiten
Zuweilen nicht ohne Widersprüche (vgl. nr. 14, 25, 105, 106, 116).
, doch wurden die entscheidenden Anweisungen für die Verhandlungen jetzt zunehmend in königlichen Memoranden überschickt, die gewöhnlich von Mazarin entworfen waren. Einen regelmäßigen Briefwechsel über Verhand-lungsfragen begannen auch Mazarin und Longueville, wobei Mazarin davon ausging, daß Longueville die Mitgesandten über den Inhalt seiner Schreiben in Kenntnis setzte
. Damit wurde ein Ersatz gefunden für die gemeinsame Korrespondenz aller drei Gesandten mit Mazarin, die wegen der Frage des Titels nicht zustandekam. D’Avaux und Servien sprachen den Kardinal in ihren Schreiben mit
Monseigneur und
Eminence an, Longueville beschränkte sich auf
Monsieur und
Vous
Servien an Lionne, Münster 1645 August 29 (Konzept:
AE
,
CP
All.
52 fol. 390–392).
. Der Vorschlag Lionnes, gemeinsame Schreiben der drei Gesandten an Mazarin mit
Monsieur et Monseigneur zu eröffnen und zu beschließen, wurde nicht verwirklicht
Lionne an Servien, Paris 1645 Oktober 14 (Ausfertigung:
AE
,
CP
All.
53 fol. 50–50’).
. Eine Lösung wurde erst im Dezember 1645 gefunden, als Longueville sich bereit fand, in gemeinsamen Schreiben Mazarin in der dritten Person mit
Son Eminence anzureden
Servien an Lionne, Münster 1645 Dezember 23 (Konzept:
AE
,
CP
All.
53 fol. 510–513).
.