Acta Pacis Westphalicae II A 8 : Die kaiserlichen Korrespondenzen, Band 8: Februar - Mai 1648 / Sebastian Schmitt

1. Der kaiserliche Handlungsspielraum verengt sich

Noch während sich die Gespräche über das Reichsreligionsrecht dem Ende zuneigten, konnten die schwedischen Gesandten die Verhandlungen über die Territorialsatisfaktion für das nordische Königreich zum Abschluß bringen. Das zweite kaiserlich-schwedische Vorabkommen hierüber wurde am 18. März 1648 unterschrieben . Schweden wurden unter an-derem Vorpommern mit der Odermündung, die Insel Rügen, das Erzstift Bremen, das Hochstift Verden, Wismar und die Festung Walfisch über-lassen; die schwedische Krone war nun ein Reichsstand mit Stimmrecht und Session beim Reichstag

Einzelne Bestimmungen unterschieden sich von den Regelungen des (ersten) ksl.-schwed. Vorabkommen vom Februar 1647 sowie vom KEIPO4A .
.
Die Vorabkommen über die Entschädigungen für Kurbrandenburg und das Haus Braunschweig-Lüneburg sowie der Pfalzartikel wurden einen Tag nach der Unterzeichnung des Vorabkommens über das Reichs-religionsrecht von Raigersperger und Thumbshirn paraphiert . Die Un-terschriften der kaiserlichen und schwedischen Gesandten unter diesen Dokumenten blieben aus; diese sollten laut einem Vorschlag Thumbshirns und Langenbecks, dem auch die kurbayerische Delegation zustimmte, erst nach erfolgreichem Abschluß der Gespräche über die Amnestie in den Erblanden des Kaisers sowie die Satisfaktion Hessen-Kassels erfolgen .

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Der im Februar von Gesandten protestantischer Reichsstände initiierte neue Verhandlungsmodus, dem die Kaiserlichen letztlich zugestimmt hatten, sah vor, mehrberührte zween articulos

Vgl. [Nr. 13] .
, also Autonomie- und Amnestiekomplex, nacheinander abzuhandeln. Nun, nachdem die Frage des Reichsreligionsrechts – der dornigste aller Punkte

Vgl. Repgen, Hauptprobleme, 412.
abschließend geregelt worden war, galt es also, sich den Amnestiefällen zu widmen.
Für die kaiserliche Seite mußte dabei das Hauptaugenmerk auf der Am-nestie für Adel und Untertanen in den kaiserlichen Erblanden liegen

Vgl. später die Regelungen in Art. IV,52–55 IPO sowie §§ 41–44 IPM.
. Die schwedische Gesandtschaft versuchte nach der Abhandlung der reli-gionsrechtlichen Fragen im Reich, den neuartigen Verhandlungsmodus zu umgehen und die Kaiserlichen in die Defensive zu treiben. Dazu postu-lierten sie ein Vorziehen der Verhandlungen über die schwedische Militär-satisfaktion und die Satisfaktion der Landgräfin von Hessen-Kassel . Am Abend des 30. März stimmten die Kaiserlichen nolens volens einem Vor-schlag Thumbshirns und Langenbecks zu, die Amnestie in den kaiser-lichen Erblanden mit der schwedischen Militärsatisfaktion an das Ende der Verhandlungen zu positionieren und erst andere ungeklärte Punkte, darunter eben auch die Satisfaktion Hessen-Kassels, vorzunehmen .
Volmar hatte eine Vorahnung über die Reaktion in Prag und schrieb an Trauttmansdorff vorab eine detaillierte Begründung für diese Entschei-dung . Und diese Reaktion blieb nicht aus: Der Kaiser war, um Ruppert zu zitieren, außer Fassung

Ruppert, 339.
über die Verschiebung der vereinbarten Ver-handlungsordnung und verwies ausdrücklich auf seine vorhergehende Weisung

Vgl. Nr.n [74] und [78.]
, von der er nochmals, was sehr außergewöhnlich war, ein Du-plikat übersandte . Der Vorabrechtfertigung Volmars nahmen sich die deputierten Räte am Kaiserhof an, bezogen detailliert Stellung und wider-sprachen seinen Annahmen vollständig

Vgl. die bei [Nr. 74] abgedruckten Teile des Ga. s.
. Am Kaiserhof glaubte man nicht an Volmars Argument, daß bei gleichzeitiger Erledigung dieser bei-den Punkte die schwedischen Forderungen bei der Restitution moderater ausfallen würden. Der Schweedischen gesandten variationes waren in Prag mehr dann genueg bekhant

Vgl. [ebenda] .
. Die Möglichkeit eines mäßigenden Einflusses der protestantischen Reichsstände auf die schwedische Verhand-lungsführung wurde ebenfalls als gering eingeschätzt. Sogar eine Abberu-

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fung Volmars wurde später von den deputierten Räten angeraten, was ein Beschluß im Geheimen Rat – wie oben bereits erwähnt – jedoch verhin-dern konnte

Vgl. [Nr. 78] sowie Anhang.
.
Die Satisfaktion für die Landgräfin und speziell der in diesem Artikel ebenfalls zu regelnde Abschluß des Marburger Erbfolgestreits spielten für die kaiserliche Verhandlungsführung eine bedeutsame Rolle. Die hier vorliegenden Beratungen deputierter Räte zum Themenkomplex der Marburger Erbfolge Ende April

Vgl. [Nr. 87A] .
lassen einen eindeutigen Schluß zu. Der Kaiserhof hielt nicht wegen für Prag mißliebigen Details an den dies-bezüglichen Regelungen des Trauttmansdorffianums fest . Diese waren nicht Beratungsgegenstand in den Gesprächen zu diesem Sukzessionsstreit, der im Vergleich zu der für Ferdinand III. enormen Bedeutung der künf-tigen politischen und religiösen Ordnung in seinen Erblanden abseitig erschien. Nein, vielmehr sollte ein noch offener Vergleich in diesem Punkt als eine Art Faustpfand für die weiteren Verhandlungen dienen. Die großen Bedenken der kaiserlichen Berater konzentrierten sich auf die Tat-sache, daß eine vorzeitige Beilegung der Marburger Erbfolge sowie der anderen Amnestiefälle im Reich bei gleichzeitiger Aussparung abschlie-ßender Abkommen über die Amnestie in den kaiserlichen Erblanden, die Militärsatisfaktion und das Assistenzverbot für die spanischen Habsburger den Kaiser in eine sehr unvorteilhafte Verhandlungsposition bringen würde. Blieben lediglich diese für Ferdinand III. wichtigen Verhand-lungspunkte offen, konnte das Kaiserhaus von der Gegenseite mit dem Hinweis darauf, daß ein Abschluß allein von ihm abhinge, unter Druck gesetzt und vor den Reichständen als Hindernis auf einem raschen Weg zum Frieden hingestellt werden

Vgl. [ebenda] .
. Handfeste territoriale Interessen stan-den für den Kaiser ebenfalls auf dem Spiel.
Die Gesandten Schwedens weigerten sich fortdauernd, die Regelungen über die pfälzische Restitution zu unterschreiben

Vgl. Nr.n [ 49] und [50] , [Beilage D zu Nr. 71] sowie Nr.n [72] und [73] .
, was im Gegenzug eine Unterzeichnung der Satisfaktion Hessen-Kassels durch die kaiserliche Delegation verhinderte . Ein Vergleich über die landgräfliche Satisfak-tion ohne einen gleichzeitigen Abschluß der Pfalzfrage stellte die Reka-tholisierung, die der bayerische Kurfürst in der Oberpfalz durchgeführt hatte, wieder in Frage. Maximilian I. hätte nicht mehr die Möglichkeit gehabt, über für die protestantischen Reichsstände noch wichtige offene Punkte verhandeln zu können. Der Druck zum raschen Friedensschluß wäre an den Wittelsbacher weitergegeben worden. Dies bedeutete wie-

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derum
die Gefahr des Verlusts des Erzherzogtums Österreichs ob der Enns für Ferdinand III., der Kurfürst Maximilian I. das Territorium ver-traglich als Pfand bis zur Erstattung der Kriegskosten zugesichert hatte

Vgl. Nr. 8 mit Anm. 9 und [Nr. 68] .
. Auch bei den Schweden vermuteten die deputierten Räte in den oben er-wähnten Beratungen andere Beweggründe für eine Verzögerung einer endgültigen Klärung des Marburger Erbfolgestreits; für sie waren die dif-ferentien in dieser Frage nicht der importanz, wann nicht was anders drunder gesuecht wurde, daß die Schweden deßwegen ein stundt lenger in dem krieg verbleiben wolten

Vgl. Nr. 87A.
. Und am Kaiserhof war man sich be-wußt, daß ein unnötiges Andauern der Kampfhandlungen bei der verblie-benen Kampfkraft der kaiserlichen Einheiten sowie propter dubium even-tum belli et incertam fidem sociorum

Vgl. die bei [Nr. 74] abgedruckten Teile des Ga. s.
die eigene Verhandlungsposition schwächen würde.
Nun, da die Verhandlungsreihenfolge letztendlich geändert worden war und eine Verschiebung der Verhandlungen über die Amnestie in den kai-serlichen Erblanden bis an den Schluß drohte, erkannte man am Kaiserhof dringenden Handlungsbedarf. Mit der Weisung nach Osnabrück vom 18. April 1648 übersandte der Kaiser einen neu überarbeiteten Gesamtent-wurf .

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