Acta Pacis Westphalicae II A 8 : Die kaiserlichen Korrespondenzen, Band 8: Februar - Mai 1648 / Sebastian Schmitt
II. Die Religionsverhandlungen
Am 23. März 1648 einigten sich die verhandelnden Parteien in Osnabrück auf einen Text für das Vorabkommen über das Reichsreligionsrecht
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(den späteren Art. V IPO), dessen Unterzeichnung jedoch um einen Tag aufgeschoben wurde
. Am Dienstag, den 24. März 1648 war es dann endlich so weit: Volmar konnte in seinem Diarium notieren, daß der arti-culus gravaminum allerseits unterschrieben worden
ist
. Die jahrelangen Verhandlungen über diesen Punkt waren beendet und der Kampf der bei-den großen Konfessionen um die Ausbreitung im Reich geschlichtet
.
Die letzten Wochen vor diesem für den Westfälischen Friedenskongreß so wichtigen Abschluß waren allerdings noch durch intensive Verhandlungen und zähe Konferenzen gekennzeichnet.
Am 29. Februar 1648 traf in Osnabrück ein kaiserliches Handschreiben
ein, das die Gesandten anwies, eine bis dato ungeöffnete Weisung aus dem Dezember des vergangenen Jahres zu befolgen. Dieses Schreiben vom 11. Dezember 1647 ist in seiner Bedeutung für die Verhandlungsführung nicht zu unterschätzen. Ferdinand III. ermächtigte seine Gesandtschaft, mit Zustimmung zumindest der vornehmsten katholischen Reichsstände auf der Grundlage des
Trauttmansdorffianums Frieden zu schließen. Lediglich die kaiserlichen Interessen bei der Amnestie für die Untertanen aus den Erblanden des Kaisers und in bezug auf den Friedensvollzug soll-ten in den weiteren Konferenzen berücksichtigt werden.
Albrecht führt diesen Schritt des Kaisers auf die im Winter 1647/48 mehrfach aus Mün-chen nach Prag abgegangenen Mahnschreiben
zum zügigen Friedens-schluß und das militärische Abhängigkeitsverhältnis Ferdinands III. ge-genüber dem bayerischen Kurfürsten zurück
Vgl.
Albrecht,
Maximilian I., 1047f.
.
Bereits Anfang Februar 1648 versuchten die kaiserlichen Gesandten das Heft des Handelns erneut in die Hand zu nehmen, allerdings nicht aus eigenem Antrieb. Vielmehr sahen sie sich zu diesem Schritt gezwungen, um Verhandlungen zwischen in Osnabrück anwesenden Bevollmächtig-ten von Reichsständen beider Konfessionen zu unterbinden
. Der am 8. Februar von den Kaiserlichen herausgegebene Teilentwurf für ein Frie-densinstrument
, der in weiten Teilen auf der kaiserlichen Hauptinstruk-tion vom 6. Dezember 1647
beruht, kam den Forderungen der Mehr-heit der katholischen Reichsstände, deren Gesandte am 2. Februar ihre
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declarationes ultimae
übergeben hatten, weit entgegen
Vgl. auch
Schneider,
392–397.
. Während die Erklärung der kurbrandenburgischen und kursächsischen Gesandten über die Meinungen ihrer jeweiligen Herren zu den kaiserlichen Änderungs-wünschen am
Trauttmansdorffianum
noch ausstand
, bezeichneten die anderen Bevollmächtigten der protestantischen Reichsstände diese als unannehmbar. In der Frage der Parität in der Reichsstadt Augsburg, der Reichspfandschaften, der Autonomie der Mediatstände und Untertanen sowie der Reichsgerichte wollten sie die kaiserlichen Gesandten auf den Verhandlungsstand des
Trauttmansdorffianums zurückdrängen
. Die Gesandten der Krone Schwedens betrachteteten diesen Vertragsentwurf aus dem Frühjahr 1647, der für die Kaiserlichen lediglich ein Projekt war, ebenfalls als verbindlich
. Und auch von seiten der katholischen Reichsstände gerieten die Kaiserlichen unter Druck, denn einerseits waren Kurbayern und Kurmainz bereit, auf das
Trauttmansdorffianum zurück-zugehen
, während andererseits in diesem Falle Proteste der in Münster weilenden Maximalisten unter Wartenberg erwartet wurden
. Dazu kam, daß den Kaiserlichen die Kontrolle über die Verhandlungen zu ent-gleiten schien, da sich die Gesandten der kompromißbereiten katholischen Reichsstände ohne Zuziehung ihrer kaiserlichen Kollegen mit denen der protestantischen Reichsstände besprachen
. Eine Drohung Volmars, bei Fortsetzung dieser Gespräche seine Verhandlungstätigkeit in Osnabrück einzustellen, verhallte wirkungslos
Vgl. [Servien] an [Lionne], Osnabrück 1648 II 16 (wird in
APW II B 8 ediert).
.
Derart ins Abseits geraten, sah sich die Osnabrücker Delegation gezwun-gen, Ende Februar einem von den Gesandten protestantischer Reichs-stände vorgeschlagenen neuen Verhandlungsmodus zuzustimmen. Dieser sah vor, die Bevollmächtigten Schwedens und des Kaisers unter Hinzuzie-hung der reichsständischen Gesandten beider Konfessionen die strittigen Punkte einzeln abhandeln und sofort unterzeichnen zu lassen
. Die Maximalisten nahmen trotz Aufforderung durch die Kaiserlichen nicht teil
, was die kaiserliche Verhandlungsführung vor Ort noch mehr von der Position der kompromißbereiten katholischen Reichsstände abhängig machte und die Durchsetzung eigener Ziele erschwerte. Die Gruppe um
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Wartenberg versuchte gar, von Münster aus die Verhandlungen in Osna-brück zu stören, da diese mögliche Annäherung der Reichsstände beider Konfessionen im Lager der Maximalisten für Beunruhigung sorgte
Vgl. [Servien] an [Lionne], Osnabrück 1648 II 16 (wird in
APW II B 8 ediert).
. Um den Kurfürsten von Bayern und Mainz Entgegenkommen zu signali-sieren, nahm man in Prag unterdessen von großen Teilen der Forderungen aus dem neuen Friedensinstrument bereits wieder Abstand. Mitte Februar erklärte Ferdinand III. seine Bereitschaft, bis auf einige Ausnahmen seine letzten Weisungen zurück- und die Regelungen des
Trauttmansdorffia-nums anzunehmen
Vgl. Nr.n 7 und 6 und Beilage [1] zu Nr. 21.
.
Inhaltlich machten die Gesandten der protestantischen Reichsstände den nächsten Schritt, indem sie den Kaiserlichen am Abend des 21. Februars ein Verzeichnis über die Differenzen bei der Amnestie und dem Reichs-religionsrecht
übergaben. Während der Verhandlungen der nächsten Tage einigten sich beide Seiten in der Frage der Reichsgerichtsbarkeit sehr rasch, so daß man Anfang März die Bestimmungen über die Reform der Reichsgerichte unterzeichnen konnte. Die Vertagung der allgemeinen Disposition über das Reichskammergericht wurde darin ebenso festgelegt wie die paritätische Konfessionszugehörigkeit und Präsentation des Rich-ters, der vier Präsidenten und der Assessoren
.
Einen weiteren Schwerpunkt bildeten die Verhandlungen über die Auto-nomie der Mediatstände und Untertanen im Reich und in den kaiserlichen Erblanden. Hier legten sich die Kaiserlichen mit den Gesandten katho-lischer Reichsstände Anfang März gemeinsam auf einen Textvorschlag fest, den sie in den kommenden Verhandlungen behaupten wollten, den die Gesandten Schwedens und der protestantischen Reichsstände jedoch ablehnten
. In dieser Phase gerieten die Bevollmächtigten des Kaisers in eine schwierige Lage. Die Gesandten Schwedens und der protestantischen Reichsstände sowie einiger katholischer versuchten die Verhandlungen über die Autonomie im Reich von der in den kaiserlichen Erblanden ab-zukoppeln, um den Kaiser, wenn der Frieden sich lediglich noch wegen dieses Punktes verzögerte, in eine diplomatische Notwendigkeit zum Ein-lenken zu nötigen
. Sogar die Verweisung auf einen späteren Reichstag war im Gespräch, was der Prager Hof jedoch keinesfalls in Erwägung
zog
. Diese Vorgehensweise ließ Volmar um die Standfestigkeit der Be-vollmächtigten der katholischen Reichsstände bangen
. Es folgte dann
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auch -eine Verhandlungsinitiative der kurbayerischen Gesandten in bezug auf die Autonomie der Mediatstände und Untertanen im Reich, die den Vorstellungen der protestantischen Reichsstände entgegenkam, allerdings den Rechtfertigungsdruck gegenüber den Maximalisten von den Kaiser-lichen nahm, da sie nicht von ihnen stammte
.
Kurz vor Abschluß der Religionsverhandlungen intensivierten sich die Verhandlungen über die Autonomie der Mediatstände und Untertanen nochmals, und die kaiserlichen Erblande rückten hierbei in den Fokus, was sich in einer dichten Abfolge von Textvorschlägen beider Seiten zu diesem Komplex widerspiegelt
. Eine weitreichende Forderung der schwedischen Gesandten innerhalb des Autonomiekomplexes war das künftige Interzessionsrecht Schwedens und protestantischer Reichsstände zugunsten kaiserlicher Untertanen Augsburgischer Konfession. Dies be-trachteten die Schweden angeblich
für einen punto d’honore
, obwohl offensichtlich war, daß die Forderung nach diesem Zugeständnis dazu die-nen sollte, dem Kaiser auch in seiner Funktion als Landesherrn später zu-setzen zu können. Die Kaiserlichen lehnten ab – vorerst
. Mitte März schließlich mußten sie einwilligen. Im Bewußtsein um dies weitreichende Zugeständnis bat Lamberg den Reichsvizekanzler vorab um Fürsprache bei Ferdinand III.
, da die Bevollmächtigten der Kurfürsten von Bayern und Mainz eine mögliche Separation von den kaiserlichen Gesandten an-deuteten und sie somit zum Nachgeben nötigten
.
Am Kaiserhof war man bestürzt über das Einlenken der eigenen Gesand-ten
. Verhindern freilich ließ sich diese Klausel nicht mehr, denn am 18. März 1648 wurde das Vorabkommen über die Autonomie der Mediat-stände und Untertanen im Reich und in den kaiserlichen Erblanden un-terzeichnet
. Volmar erklärte sich gegenüber Trauttmansdorff mit dem Gesamtergebnis ganz zufrieden
, obwohl der kurbayerische Gesandte Krebs in den Augen der Kaiserlichen das Ergebnis für die Katholiken im Reich negativ beeinflußt hatte
. Für
Ruppert sind die Erfolge für die katholische Seite allerdings überschaubar und beschränken sich auf die Verkürzung der Fristen für die Auswanderung und Ausweisung der zwischen 1624 und 1648 konvertierten und nach 1648 konvertierenden
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Untertanen sowie auf den Erhalt von neun Klöstern im Hochstift Hildes-heim
. In den Erblanden mußte der Kaiser neben dem erwähnten Inter-zessionsrecht unter anderem auch das Kirchenbaurecht seiner Untertanen Augsburgischer Konfession in den schlesischen Erbfürstentümern bei Schweidnitz, Jauer und Glogau einräumen. Trauttmansdorff hatte im Juni 1647 Kursachsen bereits die Möglichkeit eingeräumt, nach dem Frie-densschluß für dieses Recht beim Kaiser zu interzedieren.
Die Parität in den gemischtkonfessionellen süddeutschen Reichsstädten, speziell in Augsburg, die Frage der Reichspfandschaften und die Regelung bezüglich der reformierten Bevölkerung in der Reichsstadt Aachen bilde-ten den letzten noch verbliebenen Themenkomplex der Religionsverhand-lungen, der allerdings rasch abgehandelt werden konnte
. Die Forderung der Gesandten Schwedens und der protestantischen Reichsstände nach einer Erlaubnis zum Bau einer Kirche außerhalb Aachens und dem unge-hinderten Zugang zu den Zünften für den reformierten Teil der Einwoh-nerschaft konnten die Kaiserlichen aus dem Artikel fernhalten
. Den beiden Reichsstädten Lindau und Weißenburg sollten die Reichspfand-schaften gegen Erlegung der Pfandsummen zurückerstattet werden. Bei der Parität in Augsburg waren es erneut die kurbayerischen Gesandten, die auf eine schnelle Einigung abzielten und die Kaiserlichen mit Andro-hung einer Separation in ihrem Verhandlungsspielraum einschränkten. Die auf das Territorium des bayerischen Kurstaats vorrückenden franzö-sischen und schwedischen Truppen wirkten erneut direkt auf die kur-bayerische Verhandlungsführung ein. Ganz ungelegen kam dieser Vorstoß der kurbayerischen Bevollmächtigten der kaiserlichen Delegation jedoch nicht, da sie Mitte Februar angewiesen worden war, weitere Verbesserun-gen für die Katholiken im Reich nur ohne Verzögerungen der Verhand-lungen zu betreiben
. Das Ergebnis war, daß der protestantischen Seite die Parität nahezu vollständig zugebilligt wurde und lediglich im sieben-köpfigen Geheimen Rat der Reichsstadt die Katholiken einen Sitz mehr erhielten
. Auch ein Dekret des Augsburger Rats an den protestantischen Teil der reichsstädtischen Bevölkerung
mit dem Verweis auf die alther-gebrachte Ordnung änderte daran nichts.
Das Vorabkommen über das Reichsreligionsrecht haben für die Reichs-stände Raigersperger, der kurmainzische Kanzler, und Thumbshirn, Gesandter Sachsen-Altenburgs und -Coburgs, unterzeichnet. Kurmainz führte das Direktorium im Corpus Catholicorum und Sachsen-Altenburg
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zu diesem Zeitpunkt das Direktorium im Corpus Evangelicorum. Aus der kaiserlichen und schwedischen Delegation allerdings unterschrieben in-teressanterweise nicht die ranghöchsten Mitglieder, also Lamberg und Oxenstierna, sondern die protokollarisch untergeordneten Sekundarge-sandten Krane und Salvius sowie die beiden Legationssekretäre
. Schon der Justizartikel einige Wochen zuvor war neben den beiden erwähnten reichsständischen Bevollmächtigten nur von den Sekundargesandten des Kaisers und der Krone unterzeichnet worden
. Man kann mutmaßen, ob die Verbindlichkeit des Unterzeichneten von beiden Seiten dadurch doch ein wenig geringer bewertet wurde, um diese im Ernstfall mit Hilfe einer geschickten Argumentation abstreiten zu können.