Acta Pacis Westphalicae III A 3,5 : Die Beratungen des Fürstenrates in Osnabrück, 5. Teil: Mai - Juni 1648 / Maria-Elisabeth Brunert
1. Kurfürstenrat, Fürstenrat und Städterat Osnabrück
Kurfürstenrat und Fürstenrat kooperierten im hier behandelten Zeitraum insgesamt gut miteinander, was angesichts der personellen Verflechtung nicht überrascht: Kurmainz war durch seinen für Salzburg votierenden Gesandten Johann Adam Krebs und durch den für Würzburg, Basel und Worms votierenden Kurmainzer Geheimen Rat Vorburg in gewisser Weise auch im Fürstenrat vertreten
Die Ursachen der Votenkumulation bei Krebs und Vorburg sind unterschiedlicher Natur: Krebs war sowohl von Lodron als auch von Schönborn (bzw. dessen Vorgänger Wambold zu Umstadt) bevollmächtigt, während Vorburg auch nach der Wahl Schönborns zum Kf.en von Mainz würzburgischer
Ges.
blieb, aber als Kurmainzer
GR
Schönborn auch in dessen Funktion als Kf. verpflichtet war, zudem das Votum von Worms ersatzweise für den Kurmainzer
Ges.
Raigersperger führte. Da sowohl Sötern als auch Kf. Friedrich Wilhelm (ebenso wie Schönborn) Mehrfachherrscher waren (Sötern für Kurtrier, Speyer, Weißenburg und Prüm, Friedrich Wilhelm für Kurbrandenburg und Pommern), reichte der Einfluß beider Kf.en durch ihre
Ges.
im
FR
(Scherer und Wesenbeck) auch in diese Kurie.
, ebenso wie (Kur-)Bayern in beiden Kurien votierte; ferner war Kurtrier durch Speyer, Weißenburg und Prüm indirekt im Fürstenrat vertreten, ebenso wie Kurbrandenburg durch Pommern. Dennoch gab es zwei Auseinandersetzungen, die zur Folge hatten, daß die Re- und Correlationsverfahren nicht an einem Tag beendet, sondern zu einem späteren Termin fortgesetzt werden mußten.
Die erste Auseinandersetzung betraf die Frage eines Waffenstillstands oder vielmehr einer Einstellung der Feindseligkeiten (
cessatio armorum et hostilitatis)
. Der Kurfürstenrat erstrebte eine solche
cessatio armo-rum gleich nach Einigung über die Höhe der schwedischen Militärsatis-faktion, während der Fürstenrat das nicht für sinnvoll hielt. Die
cessatio armorum müsse mit einer allgemeinen Abdankung der Truppen verbun-den sein; denn andernfalls würden Kontributionen und Einquartierungen nicht aufhören, die Truppen also dem zur Last fallen, in dessen Territorium sie gerade standen. Hauptkontrahenten dieser Auseinandersetzung waren Kurbayern, das eine
cessatio armorum so bald wie möglich forderte, und Braunschweig
S. Nr. 156, Ende des Protokolls.
. Als die Kurien zwei Tage nach Abbruch der Re- und Cor-relation wieder zusammentraten, hatte der Kurfürstenrat nachgegeben
. Die zweite Auseinandersetzung betraf das sogenannte Quantum für die schwedische Militärsatisfaktion. Die Mehrheit des Fürstenrats Osnabrück
[p. LXI]
[scan. 61]
war eher bereit als der Kurfürstenrat, die geforderten 5 Millionen Reichs-taler zu bewilligen, vielleicht, weil zumindest ein Teil der Gesandten zuverlässig wußte, daß die Schweden keinen weiteren Verhandlungsspiel-raum hatten, sondern von der Königin angewiesen waren, (mindestens) diesen Betrag zu fordern
. Da die beiden höheren Kurien sich nicht einigen konnten, gingen sie am 10. Juni auseinander, ohne den Städte-rat gehört zu haben, obwohl Lampadius (nach anderer Überlieferung: der evangelische Teil des Fürstenrats) gefordert hatte, den Beschluß der Städtischen anzuhören. Das hatte einen triftigen Grund: Wenn die beiden höheren Kurien diskrepante Beschlüsse faßten, hätte der Städterat mit sei-nem Votum den Ausschlag geben können. Da die Reichsstädte in ihrem Beschluß mit der Mehrheit des Fürstenrats übereinstimmten (was wegen der personellen Verflechtung beider Kurien
Gloxin war
Ges.
Sachsen-Lauenburgs im
FR
und Lübecks im SR; am 10. Juni votierte er im
SRO
(s.
APW III A 6 Nr. 145). Von den beiden hessen-darmstädtischen
Ges.
war einer (Wolff von Todtenwart) auch für die Reichsstadt Regensburg bevollmächtigt; am 10. Juni votierte er, wie Gloxin, im SRO.
im Fürstenrat bekannt gewe-sen sein muß), wäre der Kurfürstenrat überstimmt worden, falls man die Städtischen am 10. Juni gehört und ihnen das umstrittene Votum decisi-vum
In Art. VIII,4 IPO = § 65 IPM wurde es dem SR zugebilligt; zu den Auseinandersetzungen um dieses Recht, bei Meinungsverschiedenheiten zwischen
KFR
und
FR
den Ausschlag zu geben, s.
Buchstab, 127–148;
[Nr. 171 Anm. 60] .
zugebilligt hätte. Der Kurfürstenrat wollte das vermeiden, unter-band zunächst die Einbeziehung des Städterats in das Re- und Correlati-onsverfahren und hatte, als das Verfahren (erst) drei Tage später fortgesetzt wurde, seine Meinung derjenigen des Fürstenrats angepaßt, so daß sich die Frage des Votum decisivum der Reichsstädte am 13. Juni nicht mehr stellte. Der Städterat Osnabrück hatte sich indessen bereits am 12. Juni bei den Kaiserlichen und den Schweden beschwert, daß er (am 10.) von der Re- und Correlation ausgeschlossen worden sei
.
Der Streit um das Votum decisivum war auch der tiefere Grund für die Auseinandersetzung um das Recht der Reichsstädte, bei der Re- und Cor-relation sitzen zu dürfen. Auf Reichstagen mußten die Gesandten der Reichsstädte stehen, während die Bevollmächtigten der beiden höheren Kurien saßen
. Als den reichsstädtischen Bevollmächtigten im Mai 1648 bei den Re- und Correlationen nur ausnahmsweise gestattet wurde, sich zu setzen, nahmen sie an, dies solle vergegenwärtigen, daß sie einen geringeren
[p. LXII]
[scan. 62]
Rang einnahmen und geringere Rechte hatten als die „höheren“ Kurien; konkret waren sie in Sorge, daß auf diese Weise ihr bereits zugesichertes Votum decisivum
per indirectum in Zweifel gezogen werden sollte
S.
APW III A 6, 690 Z. 12–16. Die
Ges.
des
SRO
durften am 12. Mai sitzen, mußten am 28. aber stehen, während die
Ges.
des
KFR
und
FRO
saßen; bisweilen standen die
Ges.
aller drei Kurien (s.
[Nr. 168 Anm. 21] ).
. Sie hatten sich deshalb beim Reichsdirektorium beschwert, so daß Kurfürsten-rat und Fürstenrat am 6. Juni darüber eine Umfrage hielten. Die Mehrheit des Fürstenrats war indifferent oder wollte es, wie auch die Kurfürstli-chen, beim Friedenskongreß zulassen, daß die reichsstädtischen Gesandten ebenfalls sitzen durften. Nur die fürstlich Sächsischen plädierten dafür, es beim Herkommen zu lassen, so daß die Städtischen hätten stehen müssen. Ergebnis war ein Kompromiß, gültig nur für die Zeit des Friedenskon-gresses: Die Reichsstädtischen sollten stehen, wenn das Reichsdirektorium die Beschlüsse der Kurfürstlichen und Fürstlichen vortrug, sie durften aber sitzen, wenn ihr Direktor, stehend, ihren Beschluß vortrug. Das war ein unbefriedigendes Ergebnis für den Städterat, der diese Regelung ohnehin als sein Recht und nicht als eine auf Zeit gewährte Gnade ansehen wollte. So fand sich der Ausweg, daß künftig die Gesandten aller drei Kurien standen
S. Nr. 168, Ende des Protokolls.
.
Die Frage des Stehens oder Sitzens wie auch das eigentlich 1647 schon zugesicherte Recht auf das Votum decisivum
blieb demnach vorerst in der Schwebe. Das Verhalten bei der Re- und Correlation am 10. und 13. Juni zeigt jedenfalls, daß sich der Kurfürstenrat in der wichtigen Frage der schwedischen Militärsatisfaktion lieber freiwillig der Meinung der bei-den anderen Kurien anschloß, als daß er sich hätte überstimmen lassen. Die Frage des Sitzens oder Stehens hat hier als zeremonielles Handeln tatsächlich sozialen Zeichencharakter: Sie vergegenwärtigte den geringe-ren Rang der reichsstädtischen Gesandten, gab ihnen, wenn man sie nicht sitzen ließ, gar das Gefühl,
als ob man sie verurtheilen wolle
S. S. 386 Z. 18. Zum Verständnis von zeremoniellem Handeln als formalisierten Handlun-gen mit sozialem Zeichencharakter s.
Stollberg-Rilinger, 94f.
.