Acta Pacis Westphalicae III A 3,5 : Die Beratungen des Fürstenrates in Osnabrück, 5. Teil: Mai - Juni 1648 / Maria-Elisabeth Brunert

2. Der Einfluß der militärischen Lage auf die Beratungen des Fürstenrats Osnabrück

Hintergrund für die Bereitschaft, die Friedensverhandlungen auf einem anderen als vom Kaiser befohlenen Weg voranzutreiben und, selbst unter Opfern, zum Friedensschluß zu gelangen, waren die erschöpften Ressour-cen wie auch die aktuelle militärische Lage. Zwar war die französische Armee Ende 1647 durch ihre Kämpfe in Flandern geschwächt gewesen, doch hatte sie während des Winters 1647/1648 Truppen in Norddeutschland angeworben. Unterdessen hatte sich die schwedische Armee in ihren Quar-tieren im Niedersächsischen Reichskreis regeneriert, während die kaiserli-che am Ende des Winters an Kampfkraft verlor. Ihr Einquartierungsgebiet erstreckte sich von Frankfurt am Main im Süden bis nach Saalfeld (Sach-sen-Altenburg) und in die Gegend nördlich von Kassel, wobei die Reiterei im Gebiet der bereits vorher schwer geschädigten Grafschaft Henneberg stand. In den Fürstenratsprotokollen schlug sich diese besondere Belastung im Votum Hennebergs vom 9. Mai 1648 nieder, dessen Gesandter behaup-tete, die Grafschaft sehe fast nicht einem lande gleich

S. Nr. 147 bei Anm. 71; zu den Winterquartieren s. Höfer, 145ff, 150.
. Die bayerische Reichsarmee lag von Mitte Dezember bis Mitte Februar im Hauptquar-tier bei Kitzingen (Hochstift Würzburg) und befand sich in einem besseren Zustand als die kaiserliche.
Nachdem die Schweden unter Wrangel schon im Januar 1648 aus ihren Quartieren aufgebrochen und zunächst bis nach Salmünster an der Kin-zig (Fürstabtei Fulda) gezogen waren, wich die kaiserliche Armee bei Annäherung der Schweden Richtung Süden aus und überschritt am 15. Februar teils in Ochsenfurt (Hochstift Würzburg), teils in Würzburg den Main, vereinigte sich am 16. bei Uffenheim (Brandenburg-Ansbach) mit der bayerischen Armee, zog von dort in den Raum südöstlich von Nürnberg und deckte von dieser Stellung aus Böhmen, die Oberpfalz, Bayern und Schwaben. Kaiser und Kurbayern fürchteten eine Vereinigung der schwe-dischen und französischen Armeen. Vor allem Kurfürst Maximilian war

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nach Aufkündigung des Waffenstillstands durch Frankreich in berechtigter Sorge wegen eines bevorstehenden französischen Angriffs.
Am 6. und 7. Februar zog eine Armee von 6000 Mann unter Turenne über den Rhein und näherte sich nördlich des Mains der Armee Wrangels. Die Franzosen überschritten den Main bei Lohr (Kurmainz), erreichten am 7. März die Tauber bei Tauberbischofsheim (Kurmainz) und gingen von dort in den Taubergrund vor. Die Hauptabteilung der Schweden überschritt am 27. und 28. Februar den Main bei Ochsenfurt und zog über Windsheim in südlicher Richtung weiter, während die französische weiter westlich über Crailsheim (Brandenburg-Ansbach) das Jagsttal aufwärts marschierte, bei Ellwangen nach Osten einschwenkte und sich bei Öttingen (Grafen von Öttingen-Öttingen) am 23. März mit der schwedischen vereinigte. Dar-aufhin wich das kaiserlich-bayerische Heer aus, indem es unterhalb von Ingolstadt die Donau nach Süden hin überschritt. Turenne sah deshalb seine Aufgabe als erledigt an, trennte sich von den Schweden, kehrte (wegen der dort besseren Versorgungsmöglichkeiten) in die Maingegend zurück und konzentrierte seine Truppen bis Mitte April im Raum Kitzingen, Uffenheim und Ochsenfurt, um dann wieder nach Crails-heim zurückzumarschieren. Indessen überschritt das kaiserlich-bayerische Heer bereits am 8. und 9. April die Donau wieder in nördlicher Rich-tung, um die geringen Vorräte auf dem Südufer zu schonen. Die Schweden detachierten inzwischen ein Korps, um das von kaiserlichen Truppen bela-gerte Eger zu entsetzen, was am 6. April gelang. Nach der Rückkehr des Korps konnte die von einer bayerischen Besatzung verteidigte Reichsstadt Dinkelsbühl am 21. April genommen werden. Ende April traf die schwedische Generalität in Nördlingen mit dem Kriegs- und Assistenzrat Erskein zusammen, um die Operationsziele für das lau-fende Jahr festzulegen. Sie wurden insofern mit Rücksicht auf die Verhand-lungen über die Militärsatisfaktion auf dem Friedenskongreß getroffen, als der (nach vorangehender Schädigung Kurbayerns) geplante Zug in die kaiserlichen Erblande dazu dienen sollte, dem übrigen Reichsgebiet eine gewisse Erholungszeit zu gönnen, damit es bei Friedensschluß um so besser die schwedischen Truppen aufnehmen könne, mit deren vorübergehendem Verbleib im Reich über den Friedensschluß hinaus die schwedische Gene-ralität damals offensichtlich bereits rechnete

Höfer, 172f und 157–172 zum Vorhergehenden.
.
Erskein war jene wichtige Persönlichkeit, die eine Mittlerfunktion zwischen der Armee Schwedens und den Gesandten der Krone auf dem Friedenskon-greß wahrnahm. Seiner Ankunft in Osnabrück sahen die reichsständischen

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Gesandten bereits im Mai 1648 mit Sorge entgegen; denn im August 1647 war er es gewesen, der für die schwedische Armee 20 Millionen Reichsta-ler gefordert hatte. Erskein traf schließlich am 13. Juni 1648 in Osnabrück ein und damit am selben Tag, an dem die Teilkurien in Osnabrück den Schweden ein Angebot von 5 Millionen Reichstalern unterbreiteten, das um 2 Millionen niedriger war als Erskeins (bereits reduzierte) Forderung, aber dennoch von den schwedischen Gesandten akzeptiert wurde

S. [Nr. 173 Anm. 23] und 39. Zur Erwartung von Erskeins Ankunft s. Nr. 156 bei Anm. 27, Nr. 159 bei Anm. 10.
.
Sechs Wochen zuvor waren auf dem Kriegsschauplatz Fakten geschaf-fen worden, die geeignet waren, die Friedensbereitschaft zumindest im Schwäbischen und Bayerischen Reichskreis weiter zu fördern: Ende April/Anfang Mai hatten sich die schwedische und französische Armee erneut vereinigt, waren im Parallelmarsch Richtung Südwesten gezogen und hat-ten im Herzogtum Württemberg ihre Quartiere aufgeschlagen

S. [Nr. 151 Anm. 30] und 44.
. Der württembergische Gesandte meinte daraufhin, daß vielleicht niemand mehr Ursache habe, den Frieden zu fördern, als Württemberg, da es den kriegesschwall uf dem halse

S. die Protokolle vom 14. und 15. Mai 1648 (Nr. 151 bei Anm. 44 und Nr. 152 bei Anm. 15).
. Am 22. Mai gab er zu Protokoll, daß liber-tas voti [...] gleichsam denen abgeschnitten [werde], welche den Solda-ten im lande

S. Nr. 155 bei Anm. 46.
. Der Einfluß des Kriegsgeschehens auf die Beratungen in Osnabrück wird auch dadurch evident, daß der Kurmainzer Kanz-ler Raigersperger am 27. Mai den Osnabrücker Gesandten bekanntgab, Oxenstierna habe ihm ein Schreiben Wrangels aus dessen württember-gischen Hauptquartier vorgelesen, in dem der Feldmarschall 10 Millio-nen Reichstaler Satisfaktion für die schwedische Armee (und damit mehr als die schwedische Königin) fordere

S. Nr. 159 bei Anm. 10.
. Im selben Brief wurde auch die Entsendung Erskeins angekündigt, den die Reichsstände nur mit Bangen erwarten konnten. Das Schreiben diente mithin als Druckmittel, um die Reichsstände zur schleunigen Erhöhung ihres Angebots für die Militärsa-tisfaktion zu nötigen.
Inzwischen hatte die Niederlage bei Zusmarshausen (Hochstift Augsburg) am 17. Mai die Perspektiven für die kaiserlich-bayerische Armee weiter verschlechtert. Nachdem sie am 1. und 2. Mai in Donauwörth erneut die Donau überschritten hatte, brachen am 11. Mai Schweden und Franzosen aus ihren schwäbischen Quartieren auf, setzten am 16. Mai im französisch besetzten Lauingen (Pfalz-Neuburg) über die Donau und trafen am 17.

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westlich von Augsburg bei Zusmarshausen auf die kaiserlich-bayerischen Truppen. Die Gefechte, in denen der kaiserliche Feldmarschall Holzappel gen. Melander den Tod fand, verliefen so, daß Kaiserliche und Bayern sich zunächst bis zur Isar zurückzogen, diese in der Nacht zum 4. Juni kampflos preisgaben und ihre Anstrengungen auf die Verteidigung des Inns konzentrierten. Kurfürst Maximilian floh unterdessen nach Salzburg

S. [Nr. 164 Anm. 7] . Die Gefechte bei Zusmarshausen stellen eine Niederlage dar, wenn man die politischen Folgen berücksichtigt (s. Albrecht, Maximilian, 1080). Vom militärischen Standpunkt ist der Ausgang als unentschieden zu bewerten ( Höfer, 195). Der bay. Ges. hat in seinem Votum vom 2. Juni wahrscheinlich auf Zusmarshausen angespielt (s. [Nr. 164 Anm. 7] ). Oxenstierna und Salvius gaben die Nachricht über den „schwedischen Sieg bei Augsburg“ am 1. Juni an ihre Kg.in weiter ( APW II C 4/2 Nr. 484 Beilage B). Zur Flucht des Kf.en s. Albrecht, aaO, 1081.
. Diese Nachrichten werden in den Fürstenratsprotokollen zwar nicht direkt erwähnt, doch geht man sicherlich nicht fehl in der Annahme, daß sie den bayerischen Gesandten am 16. Juni zu dem Vorschlag motivierten, denen herren Kaiserlichen zu remonstriren, daß man in dem unseeligen kriege nicht könne lenger stehen und zugrundegehen

S. Nr. 174, letzter Satz des bay. Votums.
.
Schließlich benutzten die Schweden auch die schon im April 1648 auf dem Kongreß kursierenden Gerüchte über ein Kommando für Pfalzgraf Karl Gustav und frische Truppen aus Schweden, um die Reichsstände zur Bewil-ligung der geforderten Summe für ihre Militärsatifaktion zu nötigen, indem sie dem braunschweigischen Gesandten Langenbeck in Aussicht stellten, bei Bewilligung der geforderten 5 Millionen Reichstaler den Pfalzgrafen brief-lich davon abbringen zu wollen, mit seiner Armee ins Reich einzurücken

S. [Nr. 155 Anm. 18] ; Nr. 171 bei Anm. 10.
. Implizit war damit gesagt, daß die Reichsstände durch frische schwedische Truppen eine Vergrößerung der Kriegsdrangsale zu erwarten hatten, falls sie nicht das geforderte Geld bewilligten.
Neben solchen aktuellen Gefahren und den Feldzügen, die im Mai und Juni 1648 vor allem, aber nicht nur

Im Niederrheinisch-Westfälischen Reichskreis stand der ksl. Feldmarschall Lamboy. Da Kurköln, das für ihn Militärsatisfaktion forderte (s. [Nr. 154 Anm. 41] ), in Münster vertreten war, ist er in den Protokollen des FRO nur am Rande erwähnt. Im März 1648 hatte er eine Diversion in Richtung Weser gegen hessen-kasselsche Truppen unternommen ( Höfer, 162), während für den Frühsommer nur kleinere Aktionen (wie die Einnahme Breitenbends, s. [Nr. 156 Anm. 19] ) zu verzeichnen sind.
, die südlichen Reichskreise betra-fen, waren es noch nicht behobene Kriegsschäden zurückliegender Jahre, welche die Friedensbereitschaft mobilisierten. Die Folgerungen der ein-zelnen Reichsstände waren freilich verschieden. Ein Teil, wie zum Bei-

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spiel Anhalt

S. Nr. 147 bei Anm. 70.
, konnte sich der Einsicht nicht verschließen, daß jeder auf Schädigungen und „Ruin“ verweisen konnte, der Krieg jedoch beendet werden müsse und jeder zu den Lasten, wie sie sich aus der Militärsa-tisfaktion ergeben würden, beitragen müsse; andere (wie Pfalz-Neuburg und vor allem Bamberg

Zu Pfalz-Neuburg s. Nr. 145 bei Anm. 63. Zu Bamberg s. Nr. 147 bei Anm. 29; der Ges. hatte offensichtlich detaillierte Schadenslisten, denen er seine sehr konkreten Angaben entnahm. Zu jenen, die auf derartige Schilderungen und die Forderung nach Exemtion verzichteten, gehörten die fürstlich sächsischen und braunschweigischen Ges. Auch der würzburgische und bay. Ges. gaben nichts Derartiges zu Protokoll, wobei sicherlich Rücksicht auf die Reputation der (Kur-)Fürsten eine Rolle gespielt hat.
), schilderten ihre Kriegsschäden als besonders gravierend und forderten Exemtion oder Moderation ihrer Beiträge. Auch diese Bemühungen haben bewirkt, daß in den Protokollen vom Mai und Juni 1648 mehr als in jenen der vorangehenden Jahre von den Begleiter-scheinungen des Krieges und seinen desaströsen Auswirkungen die Rede ist.

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