Acta Pacis Westphalicae III B 1,1 : Die Friedensverträge mit Frankreich und Schweden, 1. Teil: Urkunden / Antje Oschmann

b Ältere Editionen der beiden Friedensverträge auf der Grundlage der Unterhändlerurkunden

Die Geschichte einer wisssenschaftlich anspruchsvollen Edition der Friedensver-träge reicht bis ins 18. Jahrhundert zurück. Siebzig Jahre nach dem Abschluß des Westfälischen Friedens schickte man sich erstmals an, die Urkunden der Friedens-verträge für die möglichst buchstabengetreue Wiedergabe der Texte heranzuzie-hen

Zu den Editionen der Friedensverträge Dickmann, 500f (jedoch in Einzelheiten korrigier-bar). – Die 1648 durch den späteren Hofbuchdrucker Cosmerovius in Wien publizierten, lat. Ausgaben der Friedensverträge gaben zwar auf dem Titelblatt an, daß den Texten jeweils ein authentisches Exemplar zugrundeliege ( collata fideliter cum authentico exemplo), doch ist kaum anzunehmen, daß damit eine Ausfertigung der gemeinsamen Unterhändlerurkunde für den Kaiser gemeint war. Ebenso sind die Angaben auf den Titelblättern der deutschen Über-setzungen, die 1648 und 1649 bei der Reichsdruckerei Heil (Nachdruck bei Ritzsch inDres-den) erschienen und, wie es dort hieß, auf dem wahren Original, wie es bey demChur-Mayntzischen Reichs-Directorio deponiretworden, beruhten, sicher nicht anhand der Mainzer Nachausfertigungen erstellt worden. Dagegen sprechen schon die Unterschriften-listen, die mit diesen Urkunden nicht übereinstimmen. Möglicherweise lag ihnen eine Ab-schrift der bis 1648 X 24 beim Reichsdirektorium deponierten Versionen des IPO und des IPM zugrunde, die am Tag der Unterzeichnung durch Abschriften der Signaturen ergänzt wurden.
. Zwar hatte die Veröffentlichung der Friedensinstrumente schon im Sep-tember 1648 eingesetzt

Zu den selbständigen und unselbständigen Veröffentlichungen der Friedensverträge seit 1648 vgl. demnächst APW III B 1/2.
. Ein offiziöser Druck war erschienen, jedoch kein offi-zieller Druck, der von einer der Hauptvertragsparteien amtlich beglaubigt wor-den wäre. Der Wunsch nach einer möglichst textgetreuen Edition der Vertrags-texte resultierte aus dem wachsenden Unbehagen an vielen schlechten und fehler-haften Drucken

Hoffmann 1,)()(’–)()(2; Meiern ,Instrumenta, 3–8.
.
1720 erschien zum ersten Mal eine Vertragsedition, deren Editor, Christian Gott-fried Hoffmann, behauptete, eine handschriftliche Vorlage herangezogen zu ha-ben

Hoffmann 2, 197–331: IPO, 333–398: IPM. Er hatte, wie er selbst angab, die Kopie eines handschriftlichen Exemplars sowie mehr als zwanzig Drucke bei der Hand (1,)()(2). In den (nicht überaus zahlreichen) Textanmerkungen zum IPO, das er ebenso wie das IPM in deutsch-lateinischem Zweispaltendruck veröffentlicht, (2, 197–398), verweist er auf ein Ex[emplar ] msctum (267, 271) bzw. ein Ex[emplar ]Sax[onicum] (331). – Zu Christian Gottfried Hoffmann (1692–1735) s. ADB 12, 574f.
. Wegweisend war jedoch erst die achtzehn Jahre später veröffentlichte Aus-gabe Johann Gottfried von Meierns, der die in Stockholm liegende Nachausfer-tigung für Schweden publizierte, die dort am Original überprüft worden war

Das handschriftliche Exemplar, das Meiern (1692–1745) aus Stockholm zugesandt worden war, befindet sich heute, mit dem gesiegelten Vidimus-Vermerk, in der LB Hannover, MS XIII 737; dazu wie auch zu Meiern persönlich: Oschmann, Meiern, Anm. 28. Beglaubigt war die Kopie, unter dem Datum: Stockholm, den 28. Januar 1737, von dem Archivar des Königlichen Archivs Anders Anton Stiernman und dem Registrator der königlichen Kanzlei Johann Arckenholtz.
.

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Meiern veröffentlichte diese Abschrift im Jahre 1738 zusammen mit dem Text des IPM, für den er einen offiziösen kurmainzischen Druck von 1648 oder 1649 zugrundegelegt hatte

Meiern, Instrumenta, 9. Die beiden Verträge erschienen zuerst in einer Einzelausgabe (1738), zwei Jahre später erneut im Universal - Register zu seinen Werken über den West-fälischen Friedenskongreß und den Nürnberger Exekutionstag (1740), dort nach der Vorrede in einem gesondert paginierten Abschnitt: I–XCVI.
. Die Edition Meierns setzte für geraume Zeit den Maß-stab, ohne daß für das IPM Ähnliches unternommen worden wäre. Denn die anderen urkundlichen Überlieferungen der beiden Vertragstexte – in Wien, Paris, Dresden, München und im Mainzer Archiv

In der 1747 veröffentlichten Edition der Reichsabschiede von Schmauss/Senckenberg, in der IPO und IPM als eigene Einheiten abgedruckt sind ( NSRA 3, 574–620), sind Korrekturen( NSRA 4, Anhang 1–16, für IPO und IPM: 13) hinzugefügt worden, die sich, wie es hieß (vgl. dort die Überschrift, das Titelblatt des ganzen Werkes und Band 1, Widmung an den Mainzer Kurfürsten sowie das Druckprivileg), bei der Kollation der Drucke mit den Mainzer Originalen ergeben hätten. Für die Westfälischen Friedensverträge sind damit jedoch wahr-scheinlich nicht die Mainzer Nachausfertigungen des IPM und des IPO gemeint, sondern das Original des Reichsabschieds von 1654 ( Abschiedt Der Rö. Kay. Mt.). Denn in der Liste der zur Unterzeichnung ausgewählten reichsständischen Deputierten ( NSRA 3, 603: XVII,12 IPO und NSRA 3, 620: § 120 IPM) fehle, so heißt es in der Korrektur ( NSRA 4, Anhang 13), im vorliegenden „Original“ der kursächsische Ges. Leuber. Dies trifft für die beiden Mainzer Nachausfertigungen nicht zu, wohl aber für den (offiziösen) Mainzer Druck des Reichsabschieds von 1654, hier 36 und 51. Bei dessen Anfertigung wiederum dienten wahr-scheinlich die ersten Mainzer Drucke von 1648 und 1649 als Vorlage, in denen Leuber nicht genannt wird. Für die im Hauptteil der NSRA abgedruckten Texte von IPO und IPM wurde wohl auf zeitgenössische Einzeldrucke und Abdrucke in vielen anderen Werken zurück-gegriffen.
– wurden erst sehr viel später oder, wie etwa im Fall der beiden Münchener Exemplare, überhaupt nicht zugänglich gemacht. Das für das Mainzer Reichsdirektorium ausgestellte Exemplar des IPO wurde 50 Jahre nach Meiern, im Jahre 1788, von dem auf den kurz zuvor neu-eingerichteten Mainzer Lehrstuhl für Reichsstaatsrecht

Zu den juristischen Lehrstühlen an derUniversität Mainz Pick ,343–389; Stolleis 1, 248f.
berufenen Juristen Jo-hann Richard Roth veröffentlicht

Roth hatte 1786 die Verwaltung des Reichs- und Kreisarchivs in Mainz übernommen ( Pick, 345). Er veröffentlichte das IPO als Anhang eines Handbuchs ( Roth, Staatsrecht) und sepa-rat ( Roth, 113–142). Zu dieser Edition wie auch zu Johann Richard Roth selbst Pick, 350ff.
. Roth bemühte sich um eine genaue Kolla-tion des Textes und vermerkte gegenüber anderen Drucken an die 200 Abwei-chungen oder offensichtliche Fehler seiner Vorlage.
Zwei Jahre zuvor, 1786, war zum ersten Mal der Versuch gemacht worden, für das IPM einen Text zu liefern, der an einer Unterhändlerurkunde überprüft wor-den war. Der Jurist Carl Friedrich Gerstlacher ließ nämlich die damals in Versailles, in scriniis rerum exoticarum, liegende Nachausfertigung von dem

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dort tätigen Diplomaten und Juristen Pfeffel kollationieren

Zu Christian Friedrich von Pfeffel (1726–1807) s. Martin; DBE 7, 637. Die Angabe des Aufbewahrungsorts der Urkunde in dem Vidimus-Vermerk Pfeffels, dat. 1785 XI 24 (s. Anm. 351). Pfeffels Beschreibung der ersten Unterschriftenseite, die Gerstlacher mitteilt (3, Vor-rede 18), trifft auf die Nachausfertigung zu: dort ist ausnahmsweise (s. hierzu die Urkunden-beschreibungen im Kopfregest zu Nr. 1) und wohl versehentlich das Siegelband auch dem Siegel Raigerspergers unterlegt worden.
. Dieser stellte eine Liste der Abweichungen gegenüber dem Abdruck des IPM bei Meiern zusam-men, die Gerstlacher zusammen mit einem Verzeichnis der Diskrepanzen zu seinem IPM-Text veröffentlichte

Gerstlacher 3, Vorrede 2[9]–34 und 35f. Zu Gerstlachers Vorgehen s. Band 2, Vorrede VIII–IX; Band 3, Vorrede 17ff.
. Ansonsten blieben die Urkunden in den gro-ßen staatlichen Archiven der Vertragsparteien bis über das Ende des Ancien Ré-gime hinaus unter Verschluß.
Abgesehen von einer Ausnahme – 1841 wurden die von Meiern edierten Texte beider Friedensverträge mit den Dresdener Exemplaren verglichen

Der Historiker Friedrich Wilhelm Oertel (auf dem Titelblatt bezeichnet als „dritter Professor und Lehrer der Geschichte an der Königlich Sächsischen Landesschule St. Afra zu Meissen“) veröffentlichte 1841 eine Sammlung von Staatsgrundgesetzen des deutschen Reiches, zu denen er auch die beiden Friedensverträge zählte. Er druckte die Texte nach den Vorlagen Meierns und notierte dazu die Abweichungen der Dresdener Urkunden, die ein Privatgelehrter für ihn kollationiert hatte; dazu Oertel, VIIIf, 259; die Texte: 260–404 (IPO), 404–437 (IPM).
– wurden im 19. Jahrhundert zunächst keine weiteren Bemühungen unternommen, einen authentischen Text der Friedensverträge zu erhalten

Der bei Solar de la Marguerite 1, 552–600, gedruckte Text desIPM d’aprés les titres originaux qui existent aux Archives Royales ( ebenda , IX) ist nach einemvom kurmainzi-schenReichsdirektorium beglaubigten Exemplar der Ausgabeder Reichsdruckerei Heil von 1648, der sich heute indem angegebenen Bestand im AS Turin befindet (s. Anm. 227), angefertigtworden.
. Dies änderte sich erst um die Jahrhundertwende. Zum 250jährigen Jubiläum des Westfälischen Friedens im Jahre 1898 wurden die in Wien liegenden, für den Kaiser bestimmten Erstausfer-tigungen publiziert. Der münsterische Staatsarchivrat Friedrich Philippi hatte – wie seinerzeit Meiern in Stockholm – die Direktion des Wiener Archivs gebeten, die beiden Urkunden mit den von Meiern edierten Texten zu kollationieren

Nach der Korrespondenz Philippis mit dem Archiv ( HHStA Wien, Kurrentakten 1898/303, 350, 401, 568).
. Diese in kurzer Zeit durchgeführte Arbeit

Aus den Korrespondenzen des HHStA Wien (wie vorige Anm.) geht hervor, daß Philippi seine Bitte dem Archivdirektor im Juni 1898 zum ersten Mal vortrug. Kurz danach schickte er die Kollationsvorlagen; Mitte Dezember 1898 konnte er dem Archiv ein Exemplar des neuerschienenen Werkes übermitteln.
publizierte Philippi in der Jubilä-umsfestschrift

Philippi, 30–68 (IPO), 72–93 (IPM); S. 93 auch eine diplomatische Beschreibung der Ur-kunden.
. Fünf Jahre zuvor hatte Henri Vast das Pariser Exemplar des IPM ediert

Vast , 12–57,dort 9f eine diplomatische Beschreibung. Vast hatteübrigens als Vorlage seiner Kollation den Abdruckbei DuMont 6.1, 450–461, ( ebenda , 11)benutzt. Daher rührt der Fehler in der Invocatio Dei in seinem Abdruck (sanctissimae stattsacrosanctae ).
, und einige Jahre danach wurde das Stockholmer Exemplar des

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IPO in der großen schwedischen Vertragssammlung „Sverges traktater“ noch ein-mal auf der Grundlage der in Stockholm überlieferten Urkunde veröffentlicht

ST 6.1, 333–409. Der Teilband 6.1 ist von C. Hallendorff hrsg. worden und 1915 erschie-nen.
. Neben diesen Editionen sind die von Zeumer in seiner allgemeinen Quellen-sammlung zur deutschen Geschichte dargebotenen Texte beider Friedensverträge bei der wissenschaftlichen Arbeit, insbesondere von Juristen, oft herangezogen worden

Zeumer 2 Nr.n 197–198 (nach Philippi und Meiern).
.
Wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, 1949, wurde erneut eine Textaus-gabe beider Friedensverträge veröffentlicht

Müller (1949).
. Konrad Müller bot darin den vollen Wortlaut des IPO und derjenigen Teile des IPM, die nicht mit dem schwe-dischen Friedensvertrag übereinstimmen. Müller hat die Texte nicht erneut am Original überprüft, sondern die vorliegenden Ausgaben ausgewertet. Für das IPM verglich er die Editionen von Vast und Philippi miteinander, für das IPO legte er die alte Ausgabe von Meiern und den von Philippi veröffentlichten Text zugrunde

Die Edition des IPO in ST 6.1 lag Müller nicht vor ( Müller, Vorwort).
. Diese Edition der Friedensverträge erschien 1966 und 1975 in zwei-ter und dritter, jeweils durchgesehener Auflage und galt bis vor kurzem als maß-geblich

Müller (1975), 11–78 (IPO), 81–97 (IPM), 101–152 (deutsche Übersetzung des IPO), 155–166 (deutsche Übersetzung des IPM).
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Jüngstens wurde die schließlich in Privatbesitz befindliche, vor zwanzig Jahren im Münsterer Stadtarchiv deponierte Ausfertigung des Friedensvertrags mit Frank-reich anläßlich des 350jährigen Jubiläums in einer sorgfältigen Faksimileausgabe veröffentlicht. Das wertvolle Hilfsmittel bietet überdies eine neue deutsche Über-setzung

Angefertigt von Ralf Klötzer.
sowie eine Umschrift

Angefertigt von Ulrich Wimmer.
der für Frankreich ausgefertigten Urkunde.

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