Acta Pacis Westphalicae III B 1,1 : Die Friedensverträge mit Frankreich und Schweden, 1. Teil: Urkunden / Antje Oschmann
a Die Unterhändlerurkunden des IPM (Nr. 1) und des IPO (Nr. 18)
Der Westfälische Friedenskongreß war eine Versammlung von Gesandten, die sich zu Beginn der Verhandlungen durch Vollmachten ihrer Prinzipalen ausrei-chend legitimiert hatten. Die Schlußdokumente des Kongresses, die am 24. Okto-ber 1648 unterzeichnet wurden, stellten demnach zunächst nur das Ergebnis der Verhandlungen dieser Unterhändler dar; sie mußten von den heimischen Höfen mit einer eigenen Urkunde ratifiziert werden, um rechtskräftig zu werden
§ 111 IPM und XVII,1 IPO.
. Deshalb kann man die Dokumente vom 24. Oktober 1648 als Unterhändlerur-kunden
bezeichnen. An jenem Tag wurden je zwei Unterhändlerurkunden für
[p. LXXXVII]
[scan. 87]
jeden der beiden Friedensverträge ausgefertigt. Jede Vertragspartei hatte eine Vertragsurkunde erstellen lassen, die von den Gesandten beider Seiten gemeinsam unterzeichnet
In Nr. 1 und Nr. 18 werden diese Urkunden deshalb als gemeinsame Unterhändlerurkunden bezeichnet. Diesen Terminus kennt
Bittner nicht.
und dann der Gegenseite zum Verbleib überreicht wurde.
Die Dokumente enthalten den jeweils vereinbarten Vertragstext, dem eine
Invo-catio Dei und eine Präambel vorgeschaltet sind; in der letzteren sind Anlaß und Vorgeschichte des Vertrags und die Vertreter beider Vertragspartner genannt. Der Vertragstext wird mit der Corroboratio und der Datierung abgeschlossen. Es folgen die Texte der Vollmachten der Gesandten
In das IPM sind folgende Vollmachten aufgenommen: die ksl. Vollmacht für Trauttmans-dorff, Nassau und Volmar, Linz 1645 X 4; die frz., auch in frz. Sprache formulierte Voll-macht für Longueville, d’Avaux und Servien, Paris 1643 IX 20, und die ebenfallsfranzösisch-sprachige Vollmacht für Servien, Paris 1648 III 20. – Im IPO sind enthalten: die ksl. Voll-macht für Trauttmansdorff, Lamberg und Krane, Linz 1645 X 4, sowie die schwed. Voll-macht für Oxenstierna und Salvius, Stockholm 1645 X 10/20.
; den Schluß bilden die Unter-schriften der Unterhändler des Kaisers und des jeweiligen Vertragspartners sowie einer reichsständischen Deputation. Alle Unterzeichnenden drückten jeweils ihre Privatsiegel auf die linke Seite des Blattes auf. Von diesen am 24. Oktober unter-zeichneten vier Urkunden sind heute noch drei erhalten; das für Schweden be-stimmte Dokument aus der kaiserlichen Kanzlei muß als verloren gelten.
Aus den oben erläuterten Gründen sind bis zum Frühsommer 1649 in Münster in derselben Weise noch weitere Vertragsurkunden ausgestellt worden. Diese Urkun-den werden hier nach der von
Jakobi
Jakobi
,Vertragsexemplare, 214.
unlängst benutzten Terminologie als Nachausfertigungen bezeichnet. Je eine Nachausfertigung beider Verträge erhiel-ten das kurmainzische Reichsdirektorium, der bayerische Kurfürst sowie der Kur-fürst von Sachsen als Direktor des Corpus Evangelicorum. Außerdem erbaten sich die schwedischen und der französische Gesandte je eine weitere Urkunde des IPO bzw. des IPM. Alle diese Nachausfertigungen sind bis heute erhalten.
Die Zuordnung der erhaltenen Exemplare zu den in den Akten genannten und beschriebenen Exemplaren kann anhand der Überlieferungsgeschichte sowie der Nachrichten in der diplomatischen Korrespondenz vorgenommen werden. Ein wichtiges Indiz stellt in diesem Zusammenhang auch die Position der Unterschrift des kursächsischen Gesandten Leuber dar, der aufgrund der verspätet eintreffen-den kurfürstlichen Weisung einige Urkunden nachträglich, am 15. und 16. No-vember 1648, unterzeichnete
. Wo sein Namen offensichtlich im nachhinein zwischen den anderen Signaturen eingefügt ist, wie bei den zwei Urkunden aus der kaiserlichen Provenienz, bei der Nachausfertigung für Schweden sowie bei dem heute im
SA
Münster aufbewahrten IPM, handelt es sich um Urkunden, die vor dem 15. und 16. November ausgefertigt sein müssen; wo seine Unter-schrift in der laufenden Reihe eingetragen ist, liegen Dokumente aus dem Früh-jahr 1649 vor.
[p. LXXXVIII]
[scan. 88]
Die 1648/49 entstandenen Urkunden des IPM und des IPO sind wahrscheinlich unmittelbar nach dem Westfälischen Friedenskongreß in die Registraturen der Fürsten gekommen und seitdem dort verwahrt worden; lediglich für die der Krone Frankreich zugedachten Dokumente läßt sich die Überlieferungsgeschichte nicht hinreichend genau ermitteln
Also für die heute im SA
Münster
und in den
AE
Paris
liegenden Urkunden des IPM.
. Die für den Kaiser bestimmten Exemplare wurden zusammen mit den Ratifikationen Schwedens und Frankreichs von Lam-berg im Juni 1650 in Wien abgegeben
. Die Nachausfertigung für Schweden ist wahrscheinlich zusammen mit der kaiserlichen Ratifikation und den reichsständi-schen Urkunden nach Schweden gekommen und dort mit diesen gemeinsam ver-wahrt worden
. Die für das Corpus Evangelicorum bestimmten Exemplare übergab der kursächsische Gesandte im August 1649 zusammen mit der Schlußre-lation über seine Mission in Westfalen der Geheimen Kanzlei; von dort wurden sie 1650 in die kurfürstliche Silberkammer gegeben
Als Beilage von Leubers Schlußrelationvon 1649 VII 24/VIII 3 (
SHStA
Dresden
,Locat 8132 Band 22 fol. 226–226’). Für die Übergabein die churfürstliche silbercammer
vgl. die Bescheinigung von 1650 VII8/18:
ebenda
fol. 319–323’.
. Die bayerischen Urkunden sind nach dem Westfälischen Friedenskongreß nach München gebracht worden
So die Absichtserklärung des bay.
Ges.
Krebs, 1649 IV 6 (
BHStA
München, Nachlaß Lori Band 14 fol. 605–625, hier 605–606). Krebs hielt sich allerdings noch bis Juli 1649 in Mün-ster auf.
und seitdem dort verwahrt worden. Die Mainzer Exemplare kamen ins kurmain-zische Archiv und sind dort in alten Archivbehelfen für die Jahre 1782 und 1816 nachweisbar
Vgl.
HHStA
Wien, AB
141und 142 (
Bittner
, Gesamtinventar 1, 194); zu den Inventa-risierungen
Auer
,XXI.
. Zusammen mit dem Mainzer Erzkanzlerarchiv gelangten sie Mitte des 19. Jahrhunderts über Umwege nach Wien
und wurden später wie alle anderen Mainzer Urkunden mit den übrigen Urkunden des Wiener Archivs in eine einzigen Serie zusammengefaßt
Dies geschah Ende des 19. Jahrhunderts (
Bittner, Gesamtinventar 3, 8f).
. Johann Gottfried von
Meiern wußte schon von der Existenz der Kurmainzer Exemplare
Für seine geplante Edition derFriedensverträge hatte
Meiern
Abschriften der Urkunden derFriedensverträge aus dem Archiv des MainzerKurfürsten erwartet (3, Vorbericht,)(;
Univer-sal-
Register
,Vorrede).
, und das Mainzer IPO ist 1788 für eine kritische Editon herangezogen worden
Von Johann Richard Roth, dazu unten, XC VII.
. Dennoch haben die Dar-legungen
Bauermanns, dem
Dickmann folgte, in diesem Punkt Verwirrung gestiftet
Bauermann
,430f., 433;
Dickmann
,491f, 576.
.
Bauermann nahm fälschlicherweise an, daß sich in Wien nur noch je eine einzige Urkunde des IPM und des IPO befände, die beide zwar Ausferti-gungen vom 24. Oktober seien, jedoch zu den alten Mainzer Beständen gehörten. Daraus leitete er den Schluß ab, der Kaiser habe sich mit Nachausfertigungen
[p. LXXXIX]
[scan. 89]
begnügt. Dieser Fehler ist von
Jakobi inzwischen berichtigt worden
Jakobi
,Vertragsexemplare, 215–218.
. Tatsäch-lich sind in Wien heute vier Urkunden vorhanden, und zwar diejenigen Exem-plare des IPM und des IPO, welche die kaiserlichen Gesandten am 24. Oktober von Servien bzw. den schwedischen Gesandten erhielten, und die beiden Nach-ausfertigungen, die das Reichsdirektorium am 8. März 1649 von den reichsstän-dischen Gesandten unterschreiben ließ
Die Vertragsexemplare aus der ksl. Überlieferung können von den Urkunden des alten Main-zer Bestands leicht unterschieden werden, denn vorne auf den Mainzer Urkunden findet sich jeweils eine alte, eindeutig mainzische Signatur.
.
Die Überlieferungsgeschichte der für Frankreich bestimmten, heute im
SA
Mün-ster aufbewahrten Ausfertigung liegt dagegen im Dunkeln
Bauermann, 427;
Jakobi, Vertragsunterzeichnung, 31;
Jakobi, Vertragsexemplare, 219. Oben sind die möglichen Gründe für die Herstellung einer Nachausfertigung für Frankreich erörtert worden. Danach ist die Annahme
Dickmanns, 492, – dem
Jakobi, Vertragsexem-plare, 219f, folgt – daß Servien eine der Ausfertigungen in seinem Privatbesitz behalten habe, nicht zwingend.
. Bekannt ist nur, daß dieses Dokument 1965 im Antiquariatshandel angeboten wurde und von ei-nem Reutlinger Privatmann gekauft worden ist. Dieser hat es 1978 dem
SA
Münster als Depositum zur Verwahrung gegeben. Es ist unlängst als Faksimile ediert worden
.
Andere Nachausfertigungen als die bisher erwähnten Urkunden sind, soweit be-kannt, nicht erstellt worden
Oben ist nachgewiesen worden, daß die, wie es auf dem Kongreß allgemein und offiziell hieß, für den ksl.
Ges.
Nassau angefertigte Urkunde des IPM für den bay. Kf.en bestimmt war.
. Mithin können heute von den ursprünglich insge-samt zwölf Unterhändlerurkunden des IPM und des IPO noch elf benutzt wer-den, nämlich sechs (zwei Ausfertigungen und vier Nachausfertigungen) des Frie-densvertrags mit Frankreich und fünf (eine Ausfertigung und vier Nachausferti-gungen) des Friedensvertrags mit Schweden
Dementsprechend sind die bei
Bauermann
,430,
Jakobi
,Vertragsunterzeichnung, 30, und
Jakobi
,Vertragsexemplare, 214f, genannten Zahlen zumodifizieren.
.
Mit einer Ausnahme ähneln sich die elf, als Libell gebundenen Ausfertigungen in ihrer äußeren Gestaltung sehr, ohne freilich völlig übereinzustimmen
Für Einzelheiten vgl. die Urkundenbeschreibungen im Kopfregest zu Nr. 1 und Nr. 18. Der Terminus „Libell“ ist übernommen von
Meisner, 311 und 324.
. Sie sind alle ungefähr gleich groß und – abgesehen von dem Exemplar des IPM für den Kaiser – in helles
In den Quellen wird es gelegentlich als „weißes“ Pergament bezeichnet.
Pergament gebunden. Das Exemplar des IPM für den Kaiser ist lediglich in buntes, durchaus zeitgenössisches Papier
Jakobi, Vertragsexemplare, 216, rechnet mit einem späteren Einband. Bei den drei frz. Rati-fikationen des IPM sowie bei der für Frankreich besorgten Nachausfertigung ist jedoch der mit Sicherheit zeitgenössische Einband innen mit blaurot marmoriertem Papier der gleichen Machart beklebt. Daher dürfte es sich auch bei dem Einband des für den Kaiser bestimmten IPM-Exemplars um den ursprünglichen handeln.
eingeschlagen; nicht aus-
[p. XC]
[scan. 90]
zumachen ist, ob die Urkunde jemals einen anderen Einband besessen hat. An drei Exemplaren des IPM sind auf dem Einband Goldpressungen angebracht: Die Aus-fertigungen des IPM für Frankreich und für Kurbayern stimmen in dieser Hin-sicht völlig miteinander überein; vorne und hinten ist ein Goldrahmen mit je vier Ornamenten in den vier Ecken aufgedruckt, in der Mitte ist der Reichsadler an-gebracht. Auf den Einband der Nachausfertigung für Frankreich hingegen ist vorne und hinten ein geometrisches Muster
Ein übereinandergelegtes kleineres und ein größeres Rechteck, deren Ecken miteinander ver-bunden sind.
gepreßt.
Die am 24. Oktober unterzeichneten Urkunden sind alle auf Papier geschrieben. Ebenso verhält es sich bei den Nachausfertigungen für das Reichsdirektorium so-wie für den bayerischen Kurfürsten; auch das zweite Exemplar für Frankreich ist auf Papier niedergeschrieben worden, das jedoch mit Goldschnitt versehen ist. Dagegen ist für das zweite Exemplar Schwedens und für die beiden Instrumente des Corpus Evangelicorum Pergament verwendet worden; bei den beiden letzte-ren sind die Ränder mit Blattgold verziert.
Alle Dokumente wurden von den Gesandten der Kronen
Auch das IPM für das
CE
ist, wie Leuber in seinem Diarium zu 1649 I 25/II 4 (
SHStA
Dresden, Locat 8134 Band 29 fol. 29–29’) vermerkt, von Servien persönlich unterzeichnet worden. Die Vermutung
Bauermanns (428 Anm. 23), die Unterschrift sei nach Serviens Abreise angebracht worden, trifft deshalb kaum zu.
sowie einer Auswahl reichsständischer Bevollmächtigter unterzeichnet
Zu den reichsständischen Unterschriften unten, CVII–CXIII.
. In das am 24. Oktober unter-zeichnete Dokument für Schweden, das heute verloren ist, war als erste Unter-schriftenseite wahrscheinlich ein Blankett (mit der Unterschrift) Trauttmans-dorffs, das dieser Lamberg zurückgelassen hatte, eingebunden worden
. Alle Do-kumente wurden mit den Lacksiegeln der unterzeichnenden Gesandten verpet-schiert. In den beiden Ausfertigungen des IPO, die am 24. Oktober ausgestellt wurden, brachte Lamberg zusätzlich das Siegel Trauttmansdorffs an
Für das den Ksl. überlassene Exemplar ist dies auf der Abb. bei
Philippi, 33, deutlich zu sehen, bei der Transkription (S. 66) jedoch nicht wiedergegeben worden.
.
Der Erhaltungszustand der Ausfertigungen ist unterschiedlich. Die Pergament-exemplare in Stockholm und Sachsen sind sehr gut erhalten. Die empfindlicheren Papierurkunden haben stärker gelitten; die Tinte hat hier das Papier in Mitlei-denschaft gezogen, und die Unterschriftenseiten haben durch häufiges Umblättern Schaden genommen, da die relativ schweren Lacksiegel das Papier haben einrei-ßen lassen. Die Exemplare aus der kaiserlichen und der kurmainzischen Überlie-ferung sind von diesen Schäden stärker betroffen als die bayerischen Exemplare oder das münsterische Stück. Die Mainzer Urkunden haben ohnehin erhebliche Wasserschäden
Bei dem für das kurmainzische Reichsdirektorium bestimmten Exemplar des IPM ist die obere Hälfte im gesamten Text von Wasserspuren betroffen.
.
[p. XCI]
[scan. 91]
Für die Herstellung der Dokumente waren in erster Linie die Kanzleien der Ge-sandtschaften zuständig. Dabei ist daran zu erinnern, daß der Kaiser auf dem Westfälischen Friedenskongreß zwei Gesandtschaften unterhielt: Nassau und Vol-mar waren für die Verhandlung des IPM zuständig, und Lamberg und Krane führten die schwedisch-kaiserlichen Verhandlungen in Osnabrück. Beide Gesandt-schaften betrieben ihre Kanzleigeschäfte getrennt und ließen daher wahrscheinlich auch gesondert die Vertragsausfertigungen herstellen
Bei den beiden von ihnen für Kurbayern angefertigten Exemplaren (s. u.) besagt dies der bloße Augenschein. Hingegen vermutet
Jakobi, Vertragsunterzeichnung, 32, und
Jakobi, Vertragsexemplare, 220f, daß das verlorene IPO aus der Kanzlei Lambergs und Kranes in der äußeren Gestaltung dem in der Kanzlei Nassaus und Volmars gefertigten IPM entsprochen habe (dazu auch Anm. 336).
. Einen aktenmäßigen oder aktenkundlichen Hinweis darauf, daß eine der kaiserlichen Gesandtschaften bei der Ausfertigung der Vertragsurkunden mit dem kurmainzischen Reichsdirekto-rium zusammengearbeitet hätte
Jakobi
,Vertragsexemplare, 216, 218 und 220, erwägtdemgegenüber eine kaiserlich-reichi-sche Provenienz
einzelner Urkunden.
, haben wir nicht.
Indiz dafür, welcher Kanzlei eine Ausfertigung zuzurechnen ist, sind die Farben der Siegelschnüre, der Seitenbänder und der zur Heftung verwendeten Fäden. Die Kanzleien benutzten bei den in ihrem Auftrag erstellten Urkunden ihre eige-nen Farben, ungeachtet der Tatsache, daß diese der Gegenseite ausgehändigt wer-den sollten
Also nicht die Farbe der Adressaten, wie
Bittner, 190, für die spätere Zeit feststellt.
. Da die schwedische Kanzlei bei den Schnüren und Kordeln die Farben Hellblau und Gelb einsetzte, die Kanzlei Serviens dagegen hellblaue und hellrote Seidenbänder verwendete, ist die Zuordnung der in ihrem Auftrag erstell-ten Urkunden einfach. Die Ausfertigung des IPO für den Kaiser sowie das heute in Stockholm liegende zweite Exemplar des IPO stammen demnach zweifellos aus der Kanzlei von Oxenstierna und Salvius, während die Ausfertigung des IPM für den Kaiser sowie die heute in den
AE
Paris liegende Nachausfertigung des IPM im Auftrag der französischen Kanzlei angefertigt worden sind. Für die Unter-scheidung der beiden kaiserlichen, der kurmainzischen und der kursächsischen Stücke reicht dieses Kennzeichen freilich nicht aus, denn diese vier Kanzleien be-nutzten gleichermaßen die Farben Schwarz und Gelb. Überdies besagt das Krite-rium – wie unten anhand der genannten französischen Nachausfertigung des IPM zu zeigen ist – offensichtlich nur, daß ein Dokument im Auftrag einer Kanzlei erstellt, nicht jedoch, daß es auch tatsächlich von einem Bediensteten dieser Kanz-lei niedergeschrieben worden ist.
Freilich läßt sich aufgrund der Entstehungsbedingungen für einige Dokumente mit hinlänglich großer Sicherheit die Herstellung in der einen oder anderen Kanzlei annehmen. Dies ist insbesondere bei einigen der Nachausfertigungen der Fall. So sprechen mehrere Nachrichten vom Kongreß und der Schriftvergleich dafür, daß der schwedische Sekretär Hanson die zweite Ausfertigung für Schwe-
[p. XCII]
[scan. 92]
den eigenhändig auf Pergament geschrieben hat
Meiern 6, 624
. Die Schrift Hansons ist bekannt, da er in dem 1648 X 24 ausgefertigten schwed. Protest (Anm. 89) mit eigener Hand Datum und Unterschrift eingefügt hat (Ausf.:
HHStA
Wien
,
MEA
FrA
Fasz.
28 [Konv. 1] unfol.).
. Ferner ist davon auszugehen, daß die Urkunden des kurmainzischen Reichsdirektoriums, die auf dessen eigene Initiative und für das eigene Archiv erstellt wurden, auch in der eigenen Kanzlei angefertigt worden sind. Ebenso verhält es sich wohl mit den kursächsischen Ur-kunden, deren Schreiber wahrscheinlich der sächsischen oder vielleicht einer ande-ren evangelischen Kanzlei angehörten
Immerhin weist die Schrift, in der das kursächsische IPO geschrieben ist, viel Ähnlichkeit mit der Schrift in der schwed. Ausfertigung des IPO auf, die den ksl.
Ges.
ausgehändigt wurde; beide Schriften müssen jedoch nicht von einer Hand stammen.
, denn die Kosten wurden unter den Evangelischen umgelegt
. Die beiden Nachausfertigungen für Kurbayern sind, wie gezeigt, im Auftrag der beiden kaiserlichen Gesandtschaften erledigt worden. Da das bayerische IPO sonst mit keinem anderen Stück irgendwelche Ähnlichkei-ten aufweist, läßt sich nur sagen, daß seine Herstellung von Lamberg und Krane besorgt wurde. Das bayerische IPM wirft hinsichtlich seines Schriftbilds Fragen auf, auf die unten noch weiter einzugehen ist.
In Hinblick auf die beiden Ausfertigungen des IPO vom 24. Oktober 1648 ist oben die Annahme begründet worden
, daß sie in der schwedischen und in der kaiserlichen Kanzlei entstanden sind. Schon Mitte September 1648 waren näm-lich mindestens zwei Exemplare des IPO in der Fassung vom 6. August beim Reichsdirektorium deponiert worden, die in diesen Kanzleien angefertigt worden waren. Wegen der vielen Korrekturen wurden sie Anfang oder Mitte Oktober gegen neue, ins Reine geschriebene Dokumente ausgetauscht. Auch an diesen neuen Dokumenten sind bis in die letzten Tage Verbesserungen angebracht wor-den; noch kurz vor der Unterzeichnung mußten Bogen ausgetauscht und die Ein-bände erneuert werden. Das von der Kanzlei Lamberg / Krane angefertigte Do-kument muß heute als verloren gelten. Der Schreiber der schwedischen Ausferti-gung des IPO konnte nicht ermittelt werden
.
Vom IPM waren am 15. September 1648 ebenfalls zwei Exemplare beim Reichs-direktorium deponiert worden
, von denen das eine in der kurmainzischen Kanz-lei, das andere in der französischen Kanzlei erstellt worden war. Das kurmainzi-sche Exemplar wurde am 21. September 1648 den kaiserlichen Gesandten über-reicht, die es nicht weiterverwendeten. Das französische Exemplar blieb beim Reichsdirektorium; bis zum 24. Oktober wurde es jedoch wegen der zahlreichen Veränderungen und Zusätze, die sich aus den seitherigen Verhandlungen ergeben hatten, durch ein anderes ersetzt, in das wiederum bis zuletzt Änderungen einge-
[p. XCIII]
[scan. 93]
tragen worden sind
Fol. 47–47’, das §§ 92–94 enthält, ist offensichtlich, und zwar wegen der zuletzt eingefügten Schlußklausel von § 93, später eingefügt worden; der Duktus der Handschrift ist ein anderer als der sonst in der Urkunde vorfindliche.
. Die Hand des Schreibers dieses Stückes ist in der französi-schen Überlieferung nachweisbar, allerdings nicht häufig
In
AE
Paris
,
CP
All 110 liegt ein von dieser Hand geschriebenes Arbeitsexemplar des IPM: fol. 140–195 enthält Präambel und §§ 1–119, mit Korrekturen und Zusätzen, die zum Teil in Münster angebracht wurden. Dazu Anm. 470.
.
Die kaiserliche, heute im
SA
Münster aufbewahrte Ausfertigung des IPM ist sicher unter der Aufsicht von Nassau und Volmar entstanden. Die Urkunde ist in einer beeindruckend regelmäßigen und deutlichen Schrift geschrieben, die Schreiblinien sind sorgfältig gezeichnet und eingehalten. Für diese Schrift konnte bislang kein weiterer Nachweis in den kaiserlichen Akten gefunden werden. Wohl befindet sich in Handakten Volmars ein Blatt, das aus dieser Friedensvertragsur-kunde entnommen und von Volmar als Deckblatt für ein schmales Aktenkonvolut verwendet worden ist
Deckblatt von
HHStA
Wien,
GehStReg
Rep. N Ka. 96
Fasz.
69 unbez. pars nr.26 unfol. Es enthält §§ 92 Ende–98(1) Anfang(beginnend
contineatur quod pacem Imperii turbare,
endend cesset omnis hostilitas et quae
). Übrigens ist dieSchrift im Original im SA
Mün-ster
so regelmäßig und gleichförmig, daßnicht zu erkennen ist, daß das Blatt mit diesem Textund sein Gegenstück nachträglich eingesetzt sind. Inder Ausfertigung für den Kaiser aus der frz. Kanzlei(
HHStA
Wien
) istdieser Sachverhalt hingegen deutlich sichtbar.
. Es enthält eine frühere Fassung der §§ 92–98 IPM, in der gegenüber der Endfassung nur die kurz vor der Unterzeichnung eingesetzte Schlußformel des § 93 IPM fehlt. Nassau und Volmar haben diesen Schreiber noch ein zweites Mal herangezogen. Die eben genannte Nachausfertigung des IPM für den bayerischen Kurfürsten ist von ihm ungefähr im Januar 1649 unter den Umständen, die schon geschildert wurden, und, wie an den Farben der Sie-gelschnur erkennbar ist, im Auftrag Nassaus und Volmars angefertigt worden. Nicht nur das Schriftbild dieser Urkunde ist der Ausfertigung vom 24. Oktober angeglichen
Schon
Bauermann
,44, hat dies bemerkt.
, sondern auch der Einband; dieser ist geradezu ein Imitat des Vor-gängers. Der Schreiber ist dann noch ein drittes Mal tätig geworden, denn auch das Exemplar, das, wie die Farben der Siegelbänder deutlich zeigen, Servien im Frühjahr 1649 für die französischen Akten erstellen ließ und das am 8. März von den reichsständischen Gesandten unterzeichnet wurde, ist in der besagten auffal-lenden, regelmäßigen Schrift geschrieben und – bis hin zur ornamental gestalteten Initiale – so sehr den anderen beiden angeglichen, daß sie fast verwechselt werden können. Nur der Einband differiert; er ist zwar ebenfalls mit einer Goldprägung versehen, zeigt jedoch nicht den Reichsadler auf beiden Seiten, sondern ein geome-trisches Muster.
Es gibt also drei Urkunden des IPM, deren Schriftbild übereinstimmt, die jedoch nachweislich von zwei verschiedenen Kanzleien in Auftrag gegeben worden sind. Die Frage, wer diese drei Urkunden tatsächlich geschrieben hat, kann bislang nicht definitiv beantwortet werden, doch gibt es zwei – vielleicht weiterführende – Hinweise. Erstens hat Servien nach seiner Rückkehr an den königlichen Hof die
[p. XCIV]
[scan. 94]
Anfertigung seines, des dritten Exemplars unter seinen Kosten abgerechnet. Er gab dabei an, er habe dem Münsterer Notar Bernhard Rodorff, der, wie es dort heißt, den Vertrag mit dem Kaiser geschrieben habe, für diese Leistung wie auch für andere Expeditionen mehr als 135 Livres tournois ausgezahlt
In der Abrechnung für 1648 III – 1649III, die 1650 VII 3 vom Kg. akzeptiert wurde (
AE
Paris,
CP
All
129 fol. 253–264’, vgl.
Bosbach
, 8Anm. 26, hier fol. 258), heißt es: à Bernard Rodorff, notaire de Munster, tant pour avoir escript l’instrument de la paix de l’Empire, que pour plusieurs autres expeditions, qu’il a faictes pour le service du Roy.
. Bei dem genann-ten
Instrumentum pacis kann es sich nur um die Nachausfertigung vom Frühjahr 1649 handeln, denn die Ausfertigung vom 24. Oktober ist, wie erläutert, von einem Schreiber der französischen Kanzlei geschrieben worden. Der besagte Bern-hard Rodorff ist im Bürgerbuch der Stadt nachgewiesen und wird dort als
nota-rius curiae ecclesiae bezeichnet
Hövel nr. 3833; für Rodorff ist dort die Heirat im Jahre 1628 notiert. Rodorff hat sich 1627 in die Notariatsmatrikel des Hochstifts Münster eingetragen (
Kohl, 31); er ist beiläufig er-wähnt in
APW III D 1, 149 Z. 6f.
; von seiner eigenen Handschrift ist bisher nur eine kurze Textprobe bekannt.
Der zweite Hinweis, ein Zufallsfund, lenkt den Blick ebenfalls auf die kirchliche Verwaltung in Münster. In den Akten des kurmainzischen Reichsdirektoriums ist ein notariell, allerdings nicht von Rodorff, beglaubigtes, gedrucktes Memorial des Klerus von Münster aus dem Jahr 1646 überliefert, das einem kurmainzischen Gesandten zugestellt worden war
Das gedruckte Patent ist an alle
Ges.
des Kongresses gerichtet und auf 1646 XI 22 datiert;unterzeichnet ist es mit der Formel
Nobilissimae Dominationis Vestrae obsequentissimi servitores clerus civitatis Monasteriensis.
Beglaubigt hat es Henricus Holthausen, maioris capituli secretarius.
Dieser ist im Bürgerbuch der StadtMünster verzeichnet (
Hövel
nr.n 3772, 3799), ebenso in einemNotarverzeichnis (
Ketteler
, 149). Adressat desPatents war der kurmainzische Sekundarges., Dr.Peter Brahm (zu ihm
Becker
, 268,275 Anm. 38). Bei dem Patent handelt es sich um eineBeschwerde über hessische Übergriffe.
. Neben dem individuellen Namenszug des Notars finden sich hier eine formelhafte Unterschrift des Klerus sowie, auf der Rückseite, die Angabe des Adressaten – beides in der gleichen Schrift wie die drei Vertragsurkunden geschrieben. Beide Indizien erlauben die Hypothese, daß der gesuchte Schreiber, wenn es sich nicht um Rodorff persönlich handelt, doch jeden-falls in der kirchlichen Verwaltung von Münster oder in einem der für sie tätigen Notariate ermittelt werden kann. Wenn diese Annahme zutrifft, hätten die kai-serlichen Gesandten und Servien die Anfertigung der drei Urkunden dort in Auf-trag gegeben. Vielleicht hatte diese durchaus bemerkenswert schöne Schrift den kaiserlichen Gesandten so gut gefallen, daß sie ihre erste Urkunde darin ausführen ließen und für die bayerischen Gesandten ebenso verfahren sind
Wir wissen nicht, ob Lamberg und Krane bei der Anfertigung des IPO ebenso verfahren sind, denn die beiden ksl. Kanzleien arbeiteten unabhängig voneinander. Wenn dies jedoch der Fall gewesen ist, sieht das bay. IPO so aus, wie man sich das verlorengegangene, den schwed.
Ges.
1648 X 24 überreichte IPO vorzustellen hat.
; Servien wollte dann eine Urkunde besitzen, die dem äußeren Erscheinungsbild der ersten Ausfer-tigung sehr nahe kommen sollte. Solange jedoch keine weiteren Indizien vorlie-gen, kann unsere Hypothese nur ein vorläufiger Versuch sein, die überraschende
[p. XCV]
[scan. 95]
Ähnlichkeit der drei Urkunden zu erklären und Aufschluß über ihren Schreiber zu gewinnen.
Alle Unterhändlerurkunden der Friedensverträge sind im großen und ganzen sauber niedergeschrieben. Das Schriftbild ist bei allen Urkunden regelmäßig und deutlich. Die Absätze sind auf verschiedene Art kenntlich gemacht, teils sind Ab-satzspatien eingefügt, teils sind die ersten Wörter im Schriftbild hervorgehoben oder auf den linken Rand ausgerückt. Bei einigen Urkunden sind der Schrift or-namentale Elemente, insbesondere bei den Versalien, hinzugefügt. Dies fällt bei dem für Kursachsen angefertigten IPM sehr ins Auge; die erste Seite dieses Stücks zeigt auch die aufwendigste Gestaltung. Das evangelische IPO fällt demgegen-über etwas ab, jedoch macht die äußere Form dieser beiden Pergamenturkunden allemal deutlich, daß diesen Stücken nicht nur juristischer und dokumentarischer Wert zugemessen wurde, sondern daß sie als Prestigeobjekte der evangelischen Stände galten. Bei den anderen Urkunden ist in jedem Fall die
Invocatio Dei am Anfang des Textes durch die Größe der Buchstaben oder die sorgfältig gestaltete Initiale hervorgehoben.
Die Qualität der Abschriften selbst ist allerdings durchaus unterschiedlich. Die kürzeren Texte des IPM haben den Schreibern offensichtlich nicht so große Schwierigkeiten gemacht, denn hier finden sich durchschnittlich nur zwischen fünf und zehn wirkliche Fehler oder offensichtliche Verschreibungen
Diese werden in den Textanm.en nicht als Varianten ausgewiesen.
; auch die in der französischen Kanzlei ausgefertigte Urkunde, die den kaiserlichen Gesandten am 24. Oktober 1648 vorgelegt wurde, erreicht diese Fehlerquote
. Über fünfzehn Fehler weist hingegen das Exemplar des kurmainzischen Reichsdirektoriums auf. Der erheblich größere Umfang des IPO erforderte ein weit höheres Maß an Kon-zentration und Sorgfalt. Während die schwedische Ausfertigung für den Kaiser um die zehn Fehler enthält, weisen die schwedische Nachausfertigung und das Exemplar des Corpus Evangelicorum immerhin um die fünfzehn auf. Überra-schenderweise gehört das Exemplar des Reichsdirektoriums zu den Urkunden der schlechteren Qualität. Nahezu fünfzig Fehler – fehlende Wörter, ausgefallene Sil-ben
Z. B. adoque
statt adeoque
(X,4IPO), Ansaticis
statt Anseaticis
(X,16 IPO), gravati
statt gravitati
(V,55 IPO).
, unsinnige Verschreibungen
Z. B. feudationibus
statt fundationibus
(V,16 IPO), incessa
statt insessa
(XVI,18 IPO), privigeliis
statt privilegiis
(XI,4IPO), reservatata
statt reservata
(IV,9 IPO), semptem
statt septem
(V,4 IPO).
oder falsche Kasus – müssen hier notiert wer-den. Überboten wird dies nur noch vom bayerischen IPO, das über sechzig solcher Fehler enthält, die deutlich machen, daß der Anfertigung dieser Urkunde relativ wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Vergeblich hatte die kaiserliche Kanzlei noch versucht, korrigierend einzugreifen, und immerhin über zwanzig Verbesse-rungen angebracht; auch das Reichsdirektorium hat seine Exemplare Korrektur lesen lassen; doch haben diese Bemühungen die Qualität nicht mehr entscheidend
[p. XCVI]
[scan. 96]
verbessern können. Diese beiden Exemplare können deshalb für die Konstitu-ierung des Textes nicht herangezogen werden.