Acta Pacis Westphalicae III B 1,1 : Die Friedensverträge mit Frankreich und Schweden, 1. Teil: Urkunden / Antje Oschmann
7 Die Zeit bis zur allmählichen Auflösung des Kongresses (Frühsommer 1649)
Nach dem Ratifikationenaustausch blieb der Kongreß zunächst zusammen und machte sich ungesäumt an die Aufgabe, mit den Armeeführungen, insbesondere mit dem schwedischen Generalissimus, einen Modus für die weitere Abwicklung der Demobilmachung und der reichsständischen Satisfaktionsleistung abzuspre-chen
. Eine Einigung darüber kam jedoch nicht mehr zustande, obwohl der Kon-gress Ende Februar einige Vertreter nach Minden in das schwedische Hauptquar-tier zu direkten Verhandlungen mit Pfalzgraf Karl Gustav entsandte
Nach Minden reisten der kurbg.
Ges.
Sayn-Wittgenstein sowie die reichsstädtischen Deputier-ten für Lübeck, Nürnberg und die schwäbischen Reichsstädte Gloxin,
Kress von Kressenstain und Heider.
. Schließ-lich entglitt dem Kongreß die Initiative, und Karl Gustav setzte neue Gespräche in Nürnberg an, die sich zu einem eigenen, veritablen Kongreß entwickelt ha-ben
Im Ganzen dazu
Oschmann
, 204–417.
. Anfang Mai 1649 begann diese Versammlung unter der Ägide des schwe-dischen Oberbefehlshabers ihre Tätigkeit, die ein Jahr später mit den Hauptrezes-sen vom 16./26. Juni und vom 2. Juli 1650 zum Abschluß kam.
Die Reichsstände hielten ihre Handlungsfähigkeit in Münster aufrecht, solange das Reichsdirektorium und die kaiserlichen Gesandten dort weilten. Vom April 1649 an begann die Versammlung sich aufzulösen, ohne daß je ein förmlicher Auflösungsbeschluß getroffen oder der Kongreß offiziell für beendet erklärt wor-den wäre. Anfang Juni 1649, als die Verhandlungen in Nürnberg schon im vollen Gange waren, hat die letzte protokollierte Sitzung der Reichsstände in Westfalen stattgefunden. Die Abreise der einzelnen Gesandten zog sich aus unterschiedlichen Gründen bis 1650 hin
.
Nach dem Austausch der Ratifikationsurkunden wurden, wie bei der Unterzeich-nung der Verträge, erneut eine Reihe von Urkunden ausgestellt, die in den Zu-sammenhang der Verhandlungsgeschichte gehören, auch wenn sie für den Kon-greß selbst wenig Bedeutung hatten. Verschiedene Reichsstände traten nämlich an das Reichsdirektorium oder an einzelne Vertragsparteien heran und versuchten, für das, was im Vertragstext nicht genügend eindeutig geregelt war oder zu sein schien, vorteilhafte(re) Interpretationen festzuschreiben oder ihren Interessen ab-träglichen Auslegungen vorzubeugen. Es wurden auch solche Materien ins Spiel gebracht, die in den Verhandlungen zur Sprache gekommen waren, aber nicht hatten geregelt werden können. Leider fehlt sowohl auf der Seite des Kaisers und der Kronen als auch beim Reichsdirektorium ein genaues Verzeichnis dieser
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schriftlichen Erklärungen. Daher können hier nur einige Beispiele genannt wer-den.
Schon erwähnt wurden die vier Attestate, welche Oxenstierna und Salvius nach der Vertragsunterzeichnung auf ihre Intervention hin vom Reichsdirektorium er-halten haben
. Darin war neben anderem die Nichtachtung der von der Stadt Bremen behaupteten Reichsstandschaft ausgesprochen. In diesem Punkt erhob sich Einspruch von seiten der Kaiserlichen, die ihrerseits eine gegenlautende Bescheini-gung ausstellten
Attestat der ksl.
Ges.
für die Stadt Bremen,
1648 XI 2 (Kopie:
HHStA
Wien
,
RK
FrA
Fasz.
57 Konv. D fol. 109–110;
Text:
Londorp 6, 430 [nach einer gesiegelten Ausf.], mit Beilage, 430f: Ksl. Diplom für Bremen, Linz 1646 VI 1). Das kurmainzische Reichsdirektorium hatte unter dem Datum 1648 X 16 einen Vorbehalt für sein eigenes, den Schweden ausgehändigtes Attestat (Anm. 67)
ausgestellt (Kopien:
HHStA
Wien
,
RK
FrA
Fasz.
57 Konv. D fol. 32–33;
RA
Stockholm
, DG 13 fol. 1092–1092’; Text:
Londorp 6, 429f). Dazu und zum weiteren Geschehen um Bremen
Lorenz, Bremen,
222ff.
. Weiterhin waren innerhalb der Regelungen zur schwedischen Territorialsatisfaktion die Zölle an der Ostseeküste gesichert worden
Dazu
Repgen
, Zollpolitische Regelungen.
. Dagegen ließen sich Kurbrandenburg und Mecklenburg von den kaiserlichen Gesandten bestätigen, daß die im Krieg eingeführten neuen Zölle nicht in diese Bestandsga-rantie eingeschlossen seien; vielmehr müßten diese aufgehoben werden
Attestat der ksl.
Ges.
für Mecklenburg wegen der an Schweden abgetretenen Zölle, 1649 IV 1 (Konzept:
HHStA
Wien
,
RK
FrA
Fasz.
92 XIX nr. 2522; Kopie mit einer Beglaubigung des Mainzer Reichsdirektoriums:
ebenda
,
MEA
FrA
Fasz.
28 unfol.), sowie ihr Attestat für Kurbrandenburg wegen der den Schweden eingeräumten Zölle, 1649 V 10 (Konzept:
ebenda
,
RK
FrA
Fasz.
92 XX nr. 2561b). Dazu gehört außerdem ihr Attestat wegen des Warnemünder Zolls,
mit Beglaubigung des Reichsdirektoriums, 1649 III 1 (Kopie:
AE
Paris
,
CP
All 125 fol. 311–311’).
. Eben-falls um Handelsfragen ging es beim Weserzoll, dessen Erhaltung zum Vorteil des Grafen von Ostfriesland durch den Friedensvertrag bestätigt worden war. Dieser Regelung hatten die Stadt Bremen und die Hanse unter Führung Lübecks zu wi-dersprechen gesucht
Repgen,
Zollpolitische Regelungen, 312 Anm. 47.
. Schon bei der Vereinbarung des IPO am 6. August reich-ten die Hansestädte deshalb eine Protestation ein
Protestation der Reichsstädte gegen Einverleibung des Weserzolls in den Friedensvertrag, 1648 VIII s. die (Text:
Londorp 6,
375).
. Kurz nach der Unterzeich-nung gaben sie diesbezüglich ein umfangreiches Memorial heraus
, und nach der Auswechslung der Ratifikationsurkunden traten sie mit weiteren einschlägigen Er-klärungen hervor
Deklaration der Hansestädte für das Reichsdirektorium, 1649 II 18 (Kopie:
RA
Stock-holm
, DG 14 fol. 315–315’), Deklaration der Hansestädte für die ksl.
Ges.
, 1649 II 20 (Kopie:
HHStA
Wien
,
RK
FrA
Fasz.
92 XX nr. 2557), sowie ein
extractus protocolli anstelle eines Protests von 1649 II 8/18 (Text:
APW III A 6 Nr. 188, mit mißverständlicher Bezeichnung). Dazu gehören ein Projekt der Hansestädte für ein Attestat der ksl.
Ges.
und des Reichsdirektoriums, dat.
1649 II 28 (Kopie:
RA
Stockholm
, DG 14 fol. 315–315’), sowie die Bestätigung der ksl.
Ges.
über den mündlichen Protest Gloxins von 1649 II 18, 1649 IV 9 (Kopie:
Giessen 211 fol. 37).
. Außerdem versuchte Lübeck, das wegen der Nominierung
[p. LXXVII]
[scan. 77]
seines Gesandten Gloxin zur Unterzeichnung der Friedensverträge auch zu deren Ratifizierung verpflichtet war, einen entsprechenden Vorbehalt in seine Ratifika-tion einzufügen und den Weserzoll aus der obligatorischen Garantie des Friedens-vertrags herauszunehmen
Bei den frz.
Ges.
wollte Gloxin deshalb einen Rechtsvorbehalt einlegen (Kopie seines Entwurfs:
AE
Paris
,
CP
All 126 fol. 29), der jedoch nicht angenommen wurde; vgl. auch La Court an Servien, 1649 V 11
(Ausf.:
AE
Paris
,
CP
All 126 fol. 31–33’, hier 33),
1649 VI 1 (Ausf.:
ebenda fol.
110–113, hier 112’).
. Damit hatte die Stadt jedoch keinen Erfolg.
Bescheinigungen der genannten Art
Dazu können noch die widersprechenden Attestate für die Stadt Magdeburg über XI,8 IPO gezählt werden:
Bescheid der ksl.
Ges.
, 1649 IV 6 (Kopie:
Giessen 211 fol. 81’–83’),
Attestat Oxenstiernas, 1649 V 4/14 (Kopie:
HHStA
Wien
,
RK
FrA
Fasz.
92 XX nr. 2580); dazu
Hoffmann, Magdeburg, 255–261.
Zur Interpretation des Vertrags dienten auch das Atte-stat der ksl.
Ges.
für den Gf.en von Schwarzenberg wegen der von Brandenburg-Ansbach beanspruchten
iura presbyterialia, 1649 III 11 (Kopie:
HHStA
Wien
,
RK
FrA
Fasz.
92 XIX nr. 2521), und ihr Attestat für Braunschweig-Lüneburg betr. V,24 IPO, 1649 IV 12 (Kopie:
ebenda nr. 2519). –
Für die unerledigte Streitfrage um Hachenburg wurden mehrere Attestate ausgestellt: 1648 XII 9 je ein Attestat der ksl.
und schwed.
Ges.
sowie des Mainzer Reichsdirektoriums
(Texte:
Lünig, TRA XXIII, 1132f)
und 1649 IV 12 ein weiteres Attestat der ksl.
Ges.
(Kopie:
HHStA
Wien
,
RK
FrA
Fasz.
92 XIX nr. 2519).
dienten dazu, die eigene Rechtsposition für den Fall eines späteren Rechtsstreits zu verbessern. Die Aussteller, sei es eine der Gesandtschaften, sei es das Reichsdirektorium, vermochten freilich die Auslegung des Vertrags nicht einseitig und verbindlich festzuschreiben, da die Kompetenz für die Interpretation des Vertragstexts bestenfalls allen Reichsständen und dem Reichstag vorbehalten war. Immerhin mochten die Argumente einer Streitpartei an Gewicht gewinnen, wenn solche Bescheinigungen, welcher Art auch immer, vorgewiesen werden konnten.