Acta Pacis Westphalicae III A 1,1 : Die Beratungen der kurfürstlichen Kurie, 1. Teil: 1645 - 1647 / Winfried Becker
[44]. Sitzung des Kurfürstenrats mit Re- und Correlation Münster 1646 Oktober 24
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Münster 1646 Oktober 24
Kurmainz Rk FrA Fasz. 9 I nr. 30 = Druckvorlage; damit gleichlautend Kursachsen
Rs I fol. 103–105. Vgl. ferner Kurmainz Rp FrA Fasz. 14; Kurtrier zA ( damit identisch
Kurtrier spA p. 1047–1056 ); Kurköln zA I fol. 251’–253’ ( damit identisch Kurköln
spA II fol. 558–564 und Kurköln zA Extrakt fol. 24’–25 ); Kurbayern K III fol. 219–
225’.
Zeitpunkt der reichsständischen Intervention für Kurbrandenburg in der pommerschen Frage. Zu-
sammenhang mit den Religionsgravamina, den unmittelbaren Verhandlungen zwischen den Betroffe-
nen in dieser Frage, den übrigen schwedischen Gebietsforderungen, speziell Bremen, Verden, Osna-
brück . Äquivalent für Kurbrandenburg.
[Im Kurfürstenratszimmer des Bischofshofs]. Vertreten: Kurmainz, Kurtrier, Kurköln, Kur-
bayern , Kursachsen.
Kurmainz proponebat. Verweisen auf den Mehrheitsbeschluß des Kurfürsten-
rats vom
gionsgravamina für Kurbrandenburg zu intervenieren. Nach Mitteilung dieses
Beschlusses an die kurbrandenburgischen Gesandten hetten aber dieselbe dabey
nit acquiescirt, sondern nachmahls sowohl die Kayßerlichen herrn gesanden
alß sie Churmaintzische darunder belangt und begehrt, solches uff volgende
maß anderweit in deliberation zu pringen. Nemblichen
9–24 Seine – disponiren] In allen Überlieferungen gleichlautend, in Kurmainz
Rp reinschriftlich nachgetragen. Die Übernahme der kurbrandenburgischen Erklärung im
Wortlaut wird von Kurmainz laut Kurmainz Rp damit begründet, daß nach iüngst
gehaltener deliberation vorgeben werden wollen, alß wan der herrn Churbranden-
burgischen intention bey dem directorio nit recht wehre eingenohmmen worden.
liche Durchlaucht zu Brandenburg hetten sich so weit uberwunden, daß
sie, den sambtlichen chur-, fürsten und ständen des reichs zum frieden zu
verhelffen, von ihren unstreitigen und zwar dennen landen, darauf ihres
status vornembste sicherheit gröstentheils beruehet, etwas, yedoch gegen
genugsames aequivalens, zurücklaßen wolten, könden aber gantz Pommern
durchauß nit nachgeben noch dasselbe durch die halbschied abtheilen laßen.
Wann aber von der cron Schweden ein pilliges, christliches von Seiner
Churfürstlichen Durchlaucht begehrt würde, wolten sie mit derselben
tractiren, yedoch daß die Pommerische ständ zuvorderist dießfals zusammen-
gelaßen würden, die sach zu deliberiren und Seiner Churfürstlichen Durch-
laucht zu assistiren; und hetten derowegen sambtliche chur-, fürsten und
ständ des reichs sich dießes wercks getrewlich und cum fervore mit anzu-
nehmmen und die cron Schweden von ihrem excessivo postulato abzu-
stehen , embsigen vleißes zu ermahnen und zur pilligkeid und raison zu
disponiren. Ob nun dießem zu deferiren oder waß sonsten den herrn gesan-
den zu gemüt gehet, solches wolten sie gern vernehmmen und sich mit
denselben eines gewißen vergleichen.
Kurtrier . Erinnern sich auch daran, daß seinerzeit zusätzlich beschlossen wurde,
die Antwort der Schweden an die Deputation der evangelischen Stände zugunsten
Kurbrandenburgs zunächst in Erfahrung zu bringen; die lautete nämlich, weiln sie
anderst nit als uff gantz Pommern instruirt, daß sie weiters nichts thun
könden, es wolte sich aber der Ochßenstirn interponiren, daß es bey halb
Pommern und Stettin verpleibe, yedoch Churbrandenburg ein aequivalent
gegeben werde. Es wehren unlengsthin derentwegen zwischen der cronen
und den Kayßerlichen abgesanden zu Oßnabrück tractaten gepflogen
worden, wobey sie die Schweden resolvirt, alles nacher Stockholmb zu
berichten und wie weit sie nachzugeben, sich bevelchs zu erholen, auch
dabey die vertröstung gethan, solche resolution gegen end dießes monaths
zu haben und zu eröffnen. Dahero zu besorgen, wann man schon bey den-
selben ietzo interveniren solte, sie doch keine andere resolution alß den
Kayßerlichen und Frantzösischen geben, sondern alles ohne frucht sein
würde. Hielten dahero, damit bis zu einlangung solcher königlich Schwedi-
schen resolution ein- und zurückzuhalten, in specie aber von Churbranden-
burg zuvorhero zu vernehmmen, waß Ihre Churfürstliche Durchlaucht
von den Pommerischen landen geben wolten. Da man alßdann befinden
solte, daß durch der ständ interposition daß friedenswerck zum stand dar-
durch zu pringen, werde Churtryr sich die intervention auch nit zuwider
sein laßen, insonderheit weiln die churfürstliche verain und verbrüderung
mitpringe, daß einer dem andern, wo es umb land und leuth zu thun,
assistiren solte
Während sich die Kurfürsten im Kurverein von Rhens nur gegenseitig die Rechte und Freiheiten,
die sie vom Reich hatten, garantierten ( Stengel nr. 545 S. 361), sah Art. 3 des Kurvereins
von 1558 (und bereits 1424) gegenseitigen Beistand vor, falls ein Kurfürst in seinem Kurfürstentum,
seinen Rechten, Zöllen und herrlichkeiten gekränkt würde; vgl. auch Art. 9, 10 ( Häberlin
3 S. 449ff., 451, 455).
Gleichergestalt hette man sich nit allein Churbrandenburg wegen Pommern,
sondern auch anderer interessirten alß Bremen,
men und vor dieselbe zu interveniren.
Schließlichen hielten auch davor, von den herrn Churbrandenburgischen
zu vernehmmen, von weme sie daß bedeute aequivalent begehrten, ob sie
solche indemnisation ahn Schweden, gleich von Kayßerlicher Mayestät
bey der cron Franckreich der Elsaßischen landen halben beschehen, oder
daß Römische reich praetendirten. Solten sie es ahn etliche ständ des reichs
begehren, so werden dieselbe eben dergleichen wiederumb haben wollen
und es endlichen einen immerwehrenden process geben.
So hette man auch ihres davorhaltens die Pommerische ständ, weiln es umb
sie allein zu thun, hierüber zu hören.
Kurköln . Nach Meinung des Kurfürsten von Köln ist, wenn überhaupt, dann so
wenig wie möglich pro necessitate pacis von Land und Leuten des Reichs wegzuge-
ben . Da auch die ständ hierbey etwas nützliches würden schaffen können,
so hielten Seine Churfürstliche Durchlaucht, solches zu thun, vor pillig,
allein auff Pommern, sondern andere mehr landen begehrte
Durch kgl. Reskript vom 29. September 1646 wurden die schwedischen Gesandten ermächtigt,
Vorpommern, Wollin, Stettin, Stift Cammin, Kolberg, auf jeden Fall Wollin und Wismar oder
doch das Recht, in Wismar Besatzung zu halten, die Stifte Bremen und Verden „als geistliche
Gebiete“ sowie die Anwartschaft auf Hinterpommern und die pommerschen Zölle zu fordern
( Odhner S. 164–169, Dickmann S. 308f.).
derselben ständ, dennen solche landen zustünden, anzunehmmen und deren
bey solcher intervention meldung zu thun, sonsten die cron Schweden
solche landen, wann man selbige stillschweigend praeteriren solte, vor eine
obligation annehmmen würde.
Wann nun underdeßen bis zu einlangung der königlich Schwedischen reso-
lution nichts zu erhalten, wie Tryr bedeutet, so ließen sie es dahingestelt
sein, und wolten sich hierinnen den maioribus conformiren.
Daß aequivalent betreffend, müsten sie dahingestelt sein laßen; wann aber
Churbrandenburg solches von andern ständen begehren solte, werde es
einen processum in infinitum geben, dann andere ständ ihre landen nit mit
geringerem rechten alß Brandenburg hetten und dahero selbe nit zurück-
laßen werden. Solte man aber moviren, wer des kriegs ein ursach und daß
aequivalent zu geben schuldig seye, werde es abermahls große disputationes
und difficultäten geben; dahero hierüber von den herrn Churbrandenbur-
gischen einige erleuterung und ob sie von Schweden eine geldrecompens
dagegen haben wolten, zu begehren.
Kurbayern ( Haslang ). Sie hetten bey voriger derentwegen gehaltenen
deliberation davorgehalten, daß solche intervention mit keinem beßeren
nachtruck könde vorgenohmmen werden, alß wann die gravamina religio-
nis erörtert und beyde theil wider vereinigt seyen, welches votum Ihr
Gnädigster Herr nit allein applacidirt, sondern auch bevohlen, demselben
zu inhaeriren, welches sie hiemit thun wolten. Yedoch, da man uff die inter-
vention schließen solte, hielten sie davor, Ihr Gnädigster Herr sich solches
auch nit zuwider sein laßen werde. Gleichwohl vermeinten sie, damit bis zu
einlangung der königlich Schwedischen resolution zurückzuhalten, item,
daß solche intervention in genere wegen aller interessenten zu thun und
dann schließlichen von den herrn Churbrandenburgischen zu vernehmmen,
sinthemahln daß begehrte aequivalent leicht dahin außgedeut werden mögte,
alß wann andern catholischen geistlichen etliche landschafften abgenohm-
men werden wolten und dann solches infinitos et impossibiles processus
erwecken dörffte, ob sie ihre erclärung darüber thun wolten, von wem
solches aequivalent begehrt werde und ob ihre intention dahin ginge, daß,
gleichwie Franckreich der Elsaßischen landen halben dem hauß Östereich
eine gewiße summa gelts offerirt
Drei Millionen livres sollten an Ehg. Ferdinand Karl wegen der vorderösterreichischen Verluste
gehen ( Meiern III S. 717 , 726 ).
begehren wolten.
Kursachsen .
satisfaktion ist so gering wie nur möglich zu halten. Solches nun desto ehender zu
obtiniren, hetten sie davorgehalten wie noch, daß man nomine collegii
electoralis bey der cron Schweden herrn plenipotentiariis interveniendo ein-
kommen und sich daran nit aufhalten laßen solte, daß der punctus grava-
minum noch nit erörtert worden, dieweil derselbe punct mit dem puncto
satisfactionis nichts zue schaffen habe. Billigerweise ist die Intervention uff andere
stand des reichs, von deren landen etwas zu solcher satisfaction begehrt
würde, auszudehnen. In Anbetracht der laut Erklärung der schwedischen Gesandten
bald zu erwartenden endlichen Anweisung aus Schweden conformirten sich hierin
mit den maioribus, daß man nemblichen mit der intervention bis zum Ein-
treffen dieser resolution in rhue stehen solle, wie wenigers nit,
16–21 daß – könde] Gleichlautend auch Kurmainz Rp, wo dazu am Rande notiert:
Notandum, daß ahm 23. Octobris die Schwedische gesandten sich scho[en]
erclärt, die stende sollen es mit Churbrandenburg richtigmachen und dessen con-
sensum erwerben, die crohn Schweden wolle sich mit ihme nit committiren laßen;
man konne woll ein aequivalens auß Schlesigen verschaffen oder mit gelt contentiren,
man solte es nur einmahll versuchen etc.
Vgl. zum Stand der Verhandlungen Breucker S. 59ff., Odhner S. 164, APW II C 2 nr. 209
S. 513f., UuA Friedrich Wilhelm IV 2 S. 461, 463f., Verhandlungen 6 S. 29–34,
Dickmann S. 310. Pläne, Kurbrandenburg mit Gebietsteilen von Schlesien abzufinden, waren
älter und bereits Gegenstand der Verhandlungen mit Trauttmansdorff gewesen (APW II C 2
S. XXXVII ).
herrn Churbrandenburgischen gesanden beßere erleuterung zu begehren,
waß vor ein aequipollens und von wem sie solches begehrten, damit, wann
man erstlich wißen könde, wieviel von den Pommerischen landen der cron
Schweden zur satisfaction gegeben werden solte, man dießen passum des
aequipollentis desto beßer erwegen könde.
stimmende der meinung, sinthemahlen man zu end dießes monaths der
königlich Schwedischen resolution gewertig seye, daß bis dahin mit solcher
intervention zuzuwarten,
2º von den herrn Churbrandenburgischen gesanden zu vernehmmen, waß
in specie und von weme sie daß aequivalent begehrten, auch waß Ihre
Churfürstliche Durchlaucht der cron Schweden nachzulaßen gedächten.
3. ist nicht nur für Pommern, sondern alle andere ständ, von deren landen der-
gleichen satisfaction begehrt werde, zu intervenieren.
Sie ihrestheils könden sich auch damit wohl vergleichen und wolten hiemit
darauff concludirt haben.
Darauf bedankt sich Wartenberg, daß die Intervention in dieser Form in genere
vorgesehen ist, darunder er dann auch wegen dero stiffts Verden begrieffen,
und bittet, besagten stiffts bestens anzunehmmen; zweivelte auch nit, Chur-
sachßen in dießer intention ferner continuiren werde, in erwegung beim
Prager frieden im nebenrecess verglichen worden
Seit 1623 war Hg. Friedrich von Holstein Administrator von Verden, das Hochstift wurde seit
1635 von Schweden beansprucht; 1630 war Wartenberg vom Papst zum Bischof von Verden
ernannt und von Ks. Ferdinand II. als solcher anerkannt worden ( Lorenz S. 3, 14, 21f., 122,
211, Knoch S. 77ff., Meiern III S. 64ff. ). An sich hatte der Prager Frieden die Reichsstifter
für 40 Jahre denjenigen belassen, die sie am 12. November 1627 faktisch innegehabt hatten
( Londorp IV S. 458f.). Vgl. allerdings ebd. S. 470, 472 (Nebenrezesse, auf die Forderung
Wartenbergs allerdings nur indirekt anwendbar), Knoch S. 79f.; siehe unten S- 683–685.
verpleiben solle […].
Dießem nechst referirte Maintz des fürstenraths deputirten alß Saltzburg,
Ostereich, Bamberg, Würtenberg und dem praelat- und gräfflichen abgeord-
neten daß conclusum.
Des fürstenraths deputirten zeigten darauff ahn, daß bey denselben per
maiora concludirt worden, zuvorhero vor allen dingen auß dießer sach mit
den Kayßerlichen herrn gesanden zu communiciren und von denselben
zu vernehmmen, ob und wie weit sie die tractaten mit der cron Schweden
wegen dießes hertzogthumbs Pommern pracht, solchem nach alßdann nach
befindung die gesuchte intervention, und zwar in genere vor alle interessirte,
werckstellig gemacht werden könde. Und weiln man discrepant, so stehen
zu der churfürstlichen herrn gesanden belieben, dem herkommen gemeß
uber dieß ihr conclusum sich ferner zu underreden und ihre gedancken
ihnen hinwider zu eröffnen.
Wobey es dann dießmahl verplieben, und hatt nach der hand der statt
Cölnische deputirte angezeigt, daß im stättrath geschloßen worden, nach-
mahls dem vorigen in dießer materi gemachten concluso zu inhaeriren, daß
man nemblichen mit dießer intervention ein- und zurückhalten solle, bis
der punctus gravaminum verglichen und also die ständ undereinander sich
vereiniget haben werden.