Acta Pacis Westphalicae III A 1,1 : Die Beratungen der kurfürstlichen Kurie, 1. Teil: 1645 - 1647 / Winfried Becker
15. Sitzung des Kurfürstenrats Münster 1646 Januar 24
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Münster 1646 Januar 24
Kurmainz Rk FrA Fasz. 9 II nr. 6 = Druckvorlage. Vgl. ferner Kurtrier zA ( damit
identisch Kurtrier spA p. 228–232 ); Kurköln zA I fol. 148’–150 ( damit identisch Kur-
köln spA I fol. 323–327, Kurköln spA Ib fol. 331’–336’ und Kurköln zA Extrakt
fol. 13’–14 ); Kurbayern Rp I; Kurbayern K II fol. 33’–42’ ( damit identisch Kurbayern
spA II p. 70–84 ).
Die niederländischen Gesandten wollen eine Gleichrangigkeit der kurfürstlichen Sekundargesandten
nicht anerkennen und sind auch zu einem Kompromiß nicht bereit. Rückwirkungen auf den Präze-
denzstreit mit Venedig zu befürchten. Stellung der Niederlande in der europäischen Staatenwelt.
Beratung der Repliken Frankreichs und Schwedens.
[Im Kurfürstenratszimmer des Bischofshofs]. Vertreten: Kurmainz, Kurtrier, Kurköln, Kur-
bayern , Kurbrandenburg.
Kurmainz . Erinnern an den Beschluß vom vorigen Sonntag, wonach über die kur-
brandenburgischen den niederländischen Gesandten nahegelegt werden sollte, sowohl
den secundariis alß primariis, gleich von den königlich Hispanischen gesan-
den beschehen, bey ablegung der visiten den vortritt zu verstatten. Da
aber nach dem Eindruck Kurbrandenburgs, dem für seine Bemühung in dieser Sache
zu danken ist, die niederländischen Gesandten noch uff ihrer vorigen gefaßten
meinung zu bestehen gedencken, ist mit wenigem zu beraten, waß alsdann
zu erhaltung der churfürstlichen authorität, praeeminenz und hochheit vor
ein expediens zu ergreiffen und ob nit solche vorhabende visiten in beharr-
licher verweigerung des vortritts der churfürstlichen secundarien gantz ein-
zustellen oder, da ihe solche abzulegen vor nöthig erachtet werden solte,
ob solches nit durch die principalabgesanden allein zu verrichten oder daß
von Churcölln vorgeschlagene mittel, daß nemblichen pro numero persona-
rum primus dem primo, secundus secundo, tertius tertio bey den visiten und
revisiten volgen sollen, ahn hand zu nehmmen. Wolten solchem nach der
herrn gesanden meinung gern hierüber vernehmmen und sich mit densel-
ben eines gewißen vergleichen.
Sie hetten iüngst verglichener maßen den Holländern der churfürstlichen
herrn gesanden meinung wegen empfahung der secundarien bey ablegung
der visiten und daß sie nemblichen denselben vor den primariis den vor-
zueg geben wolten,
wider berichtet worden, daß sie annoch uf ihrer vorigen meinung zu be-
stehen gedächten, mit dem vorgeben,
deriren , und dörffte keiner ohne den andern nichts handlen oder thun. Und
weiln sie vernohmmen, daß der königlich Frantzösische ambassador duc
de Longeville wie auch der Venetus bey ablegung der visiten den chur-
fürstlichen primariis allein den vortritt geben, so könden sie auch mehrers
nit thun, sondern müßten sich ebenergestalt alß ein corpus ohne zertren-
nung bezeigen.
Sie hetten auch den Churcöllnischen iüngst gethanen vorschlag, daß nemb-
lichen bey ablegung der visiten pro numero personarum primus dem primo,
secundus secundo etc. volgen könde, und zwar nit alß wann solcher im
churfürstlichen collegio vorkommen, sondern allein vor sich in particulari
ermelten Holländischen gesanden vortragen und beneben bedeuten laßen,
dafern solcher modus denselben belieben solte, sie alßdann verhoffentlich
die churfürstlichen gesanden auch darzu vermögen wolten. Sie wehren aber
einen alß den andern weg uff ihrer voriger resolution bestanden, mit dem
bedeuten, sie könden sich nit trennen laßen; sie wehren instruirt, sie solten
sich in allem den königlichen ambassadors gleich halten und denselben
immediate volgen.
Es wehre von ihnen auch der vorschlag geschehen, daß bey den revisiten
allein der primarius vor dem churfürstlichen haubtgesanden gehen, ubrige
aber denselben und solchem nach zuletzt der churfürstliche secundarius
volgen solle. Sie hetten aber auch solches gleich dem vorigen außgeschla-
gen .
Kurtrier .
revisiten den secundariis von den churfürstlichen gesandschafften den vor-
zueg nit gestatten wollen. Sie hielten davor, es werde müßen ein resolution
gefaßt werden, ob die visiten zu underlaßen oder allein per primarios zue
verrichten. Sie hetten von Ihrem Gnädigsten Herrn bevelch, den Hollän-
dern alle ehr und respect zu erweißen, in sonderbarer erwegung Ihr Gnä-
digster Herr wegen nacher nachparschafft zuzeiten mit denselben zu thun
haben müsten, allermaßen sie dann yederzeit Ihrer Churfürstlichen Gnaden
und dero gesanden, wann sie bey denselben zu verrichten gehabt, allen
nachparlichen gueten willen und freundschafft
wünschen, daß es dahin gerichtet werden könde, damit die secundarii
sowohl alß primarii vorgehen mögten,
22–25 zumahln – solten] Deutlicher Kurtrier zA, spA: Sekundarii und primarii
[…] sein gleich deputirt undt können sich nicht trennen laßen, wie auch Stadische;
inter deputatorum personas seye zwar ein underschiedt, aber gleicher gewalth;
undt obschon sie die Stadische ut singuli geschickt, auch ut repraesentantes, so
können sie doch ebensowenigh ex hoc capite, weillen es dieserseiths eine gleich-
mäßige beschaffenheit hatt, alß deßwegen den churfürstlichen secundariis vorgehen.
zu machen. Und gleichwie sich die Holländer nit trennen laßen wolten,
also komme ihnen auch frembd vor, daß die churfürstliche, welche von
einem haubt und herrn gevollmächtiget, sich separirn solten. Verweisen
noch einmal auf die Behandlung durch die ksl. und die spanischen Gesandten. Auf
Longueville können sich die Niederländer auch nicht beziehen, weil er von fürst-
lichem Stand und allein gewesen ist. Der Venetianische wehre ein mediator und
hette auch keinen adiuncten mehr, so wehre auch zwischen den Holländern
und Venetianern ein underschied zu machen der antiquität halben, dann
die Venetianer würden von niemand angesprochen, die Holländer aber
wehren von ihrem könig noch nit losgezehlt. Solten dieselbe gleichwohl
ihe noch uff ihrer vorigen meinung dießen allem ungeacht beharren, so
hielten sie, die visiten durch die principaln allein zu thun, auch die revisiten
dergestalt wider anzunehmmen;
dersecundariorum dem churfürstlichen collegio ichtwas praeiudicirt werden
könde.
Kurköln . Sie hetten vernohmmen, daß die Holländer noch einen alß
den andern weg die secundarios vorgehen zu laßen sich difficultirten. Nun
hetten dieselbe den churfürsten so wenig maß oder ziehl vorzuschreiben,
ein oder zween abgesanden uff einmahl zu schicken, alß man denselben
begehrt zu thun; und gleichwie sie sich nit trennen zu laßen begehrten,
also wolte man sich auch nit versehen, daß sie solches den churfürstlichen
gesanden zumuthen solten. Daß sie vorgeben, zwischen den Venetianern
und ihnen niemanden einzulaßen, sondern denselben immediate zu volgen,
solches könde man uff seiten der churfürsten wohl geschehen laßen, dann
die churfürsten des reichs von undenklichen jahren hero, wie ex actis zu
beweißen, yederzeit den vorzueg vor den Venetianern undisputirlich
gehabt, außer waß noch erst vor wenig jahren ahm Kayßerlichen hoff dieß-
fals vorgangen. Und wehre umb soviel befrembdlicher zu vernehmmen,
daß sie den königlichen immediate nachgehen und denselben gleich gehal-
ten werden wollen, da sie doch yederzeit den churfürstlichen gesanden
den vorzueg zu geben nit verweigert. Hette man dahero hierin ihres er-
achtens behuetsamb zu gehen, dann ietzo daßienige, waß man yederzeit
bey der Venetianischen praedecenz, daß nemblichen den Venetianern, wann
man denselben deferiren solte, die Holländer, Genuesen, Schweitzer und
andere mehr denselben volgen und also die herrn churfürsten gar zurück
gesetzt würden, besorgt, ervolgen wolte. Sie besorgten, wann man dem
Churtryrischen vorschlag nach die visiten allein durch die principales
verrichten solte, es mögte bey denselben das ansehen gewinnen, als wann
man ihnen weichen und die sach verlohren geben
sachen ein anstand zu geben, bis sie sich hierüber bey Ihrem Gnädigsten
Herrn bevelchs erholt, weiln ohnedaß die herrn Churbrandenburgischen
ein gleiches und außerdem noch bedeutet, daß sie hierauß mit ihren collegiis
zue Oßnabrück communiciren müsten. Solchem nach man sich alßdann
mit beßerem bestand vergleichen könde, ob die visiten durch die primarios
allein zu thun oder gar einzustellen.
Kurbayern . Haben gehört, daß die Holländer weder ein noch ander
mittel beliebet, sie sehen nit, auß waß ursachen die churfürstliche gesanden
sich von denselben solten so weit zurücksetzen laßen. Dann ob man schon
dieselbe collective consideriren wolte, so wehren doch die herrn chur-
fürsten in ihrer praecedenz so weit fundirt, daß sie keiner respublica zu
ein yeder von einer graffschafft abgeordnet, dahero kein churfürst ihnen auch
dießfals den vorzueg laßen würde; so wehren sie auch nit alle herrenstands,
dahingegen die Kayßerliche gesanden, der herr graff von Trautmannstorff
und Nassau, wie auch Spanische ambassador comte de Pignoranda den
churfürstlichen den vorzug insgesambt geben, warumb solten sie dann
solches nit auch thun. Daß sie vorschützen, es hette der königlich Frant-
zösische ambassador den primariis allein den vorzueg geben, da wehre zu
bedencken, daß ein großer underschied zwischen den königlichen Frant-
zösischen und Holländischen gesanden seye, es wehre auch der Frantzo-
sischer gesander ein fürst von königlichem geblüet, man hette auch mit
den Frantzosen ex parte Kayßerlicher Mayestät und dem reich frieden
zu tractiren, und also ursach, selbigen mehr ehr alß den Holländern zu
attribuiren. Der Venetianische ambassador wehre mediator, auß dennen ur-
sachen demselben dann auch mehr ehr alß ihnen gehöre, wehre auch zwi-
schen den Venedigern undt Holländern ein großer underschied: Es wehren
dieselbe mit vielen Kayßerlichen und anderen privilegiis begabet
Wegen ihrer gemeinsamen aristokratisch-republikanischen Verfassung behandelte Bodin die italie-
nischen Stadtstaaten zugleich mit dem Reich und den deutschen Städten; die Fürsten und Kurfürsten
des Reichs mußten also vor allem auf ihre herrschaftlichen Titel und Hoheitsrechte Wert legen,
wollten sie der staatsrechtlichen Gleichstellung wegen der inneren Ordnung des Reiches entgehen.
Vgl. Schubert S. 367.
Holländer nit hetten, derselbe seye auch allein, der Holländischen Gesanden
aber acht. Verweisen noch einmal darauf, daß den Brandenburger Räten als Ver-
tretern der klevischen Lande von den Niederlanden yederzeit die vorhand im
gehen, sitzen, votiren, siegeln und underschreiben geben […].
Sonsten hetten sie von Ihrem Gnädigsten Herrn bevelch, die erinnerung
bey dem directorio zu thun, damit, sinthemahln die Frantzosen und Schwe-
den ihre replicen extradirt,
in consultation gepracht werden mögten, welches sie dann auch hiemit
getan haben wolten.
Kurbrandenburg . Sie wehren in ihrer instruction bevelcht, vor allen
die churfürstliche hochheit bey dießen tractaten helffen zu manuteniren,
zu solchem end sie sich dann in allem von andern churfürstlichen
gesanden informiren laßen solten. Sie hetten auch bevelch, niemanden
mehr alß den königlichen zu weichen, deme sie dann auch zu inhaeriren;
wann dießes nit wehre, so müsten sie Ihrem Gnädigsten Herrn referiren,
ob den Holländern zu weichen wehre oder nit. Die Holländer hätten kein
underschied under den churfürstlichen gesanden zu machen, dann gleich-
wie sie sich nit trennen laßen wolten, also wehren auch die churfürstlichen
alle gleich zu consideriren, zumahln crafft ihrer vollmacht einer soviel macht
alß der ander zu handlen und zu schließen hette. Und wann sie auch daß
vorgeschlagene mittel, daß primus dem primo, secundus secundo volgen
solte, nit eingehen wolten,
11 könden – einlaßen] Ausführlicher in Kurbayern K II ( Zusatz von J. Adolf Krebs ),
spA II: sehe man nunmehr die fructus, die darrauß fließen, das man den secundariis
viel disputiren undt endtziehen wollen, das auch diese respublicae also vermeßen
werden, das sie, wan sie khöndten, die herrn churfürsten selbsten gehrn praeiudi-
ciren wolten.
sich yederzeit in der possession erhalten, da Ihres Gnädigsten Herrn räthen,
welche nit alß churfürstliche ambassadors, sondern allein alß deputati im
Hag geweßen, vor ihnen der vorzueg im sitzen, underschreiben und votiren
alzeit gegeben
15 worden] Laut Kurtrier zA, spA äußert Kurbrandenburg auf das Argument der Nieder-
länder , sie seien ex corpore statuum abgeordnet, außerdem noch, daß sich die kurfürstlichen
Gesandten wegen Abordnung ex corpore collegii pro repraesentatione nicht geringer zu
schätzen brauchen, laut Kurbayern K II, spA II aber, daß sich den Niederländern gegen-
über jede kurfürstliche Gesandtschaft darauf berufen kann, daß sie ihres herrn persohn
repraesentirt, laut Kurtrier zA, spA, daß die Kurfürsten den niederländischen Provinzen
zu weichen nicht schuldigh, weillen sie keine fürstenthumb wie die chürfursten ha-
ben .
man aber daß hertzogthumb Geldern consideriren, so wehre doch Ihr
Gnädigster Herr demselben zu weichen nit schuldig. Ihre Churfürstliche
Durchlaucht zue Brandenburg […] hetten zwar ihres particularinteresse
halben mit denselben ahm meisten zu thun, weiln sie ihnen aber bevohlen,
den rebus publicis keineswegs zu weichen, so sehen sie, daß dieselbe mehr-
besagten Holländern solchen privatinteresse halber zu weichen nit gemeint.
Solte man durch die principaln solche visiten allein verrichten, wehre es
in effectu gewichen.
Kurmainz . Weiln sie vernehmmen, daß die herrn Churcöllnische hier-
über noch nit instruirt und dahero, bis sie bevelch erlangt, der sachen
ein anstand zu geben begehrt,
sonsten Churbayern wegen vornehmmung der Frantzösischen und Schwe-
dischen replicen erinnert,
beration gepracht werden.