Acta Pacis Westphalicae III A 1,1 : Die Beratungen der kurfürstlichen Kurie, 1. Teil: 1645 - 1647 / Winfried Becker
5. Auch wenn das wirklich Gesprochene nicht durchweg rekonstruierbar ist, so wird doch durch die verschiedenen überlieferten Protokoll-Provenienzen ein Feld von Aus-sagen abgesteckt, die möglich gewesen sind. Nuancierte Bezeichnungen politischer Sach-verhalte, Synonymität und Vieldeutigkeit der Begriffe kommen zum Ausdruck: Erst über die Varianten erschließt sich der Formenschatz barocker Aktensprache; erst die gleichmäßige Heranziehung aller Protokolle läßt das Schwanken zwischen einer „diplomatischen Sprache“ mit hintergründiger Aussage und der „lingua deli-berativa“

Die Kategorien nach D. Sternberger und W. G. Grewe , Die Sprache der Diplomatie S. 8, 21, 29, 36.
, die wegen gemeinsamer Interessen der Beratenden offener sein kann, im

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Kurfürstenrat erkennen. Die Sprache dient in diesen Protokollen nicht nur der Infor-mation, sondern sie zeigt gerade auch da, wo sie diplomatisch-verhüllend sein will, „Redundanz“ und Wortreichtum.
Welche Protokoll-Provenienz jeweils für die einzelnen Sitzungen zum Abdruck kommt, wird nach zwei Gesichtspunkten entschieden. Grundsätzlich ist das kurmainzische Reichsprotokoll vorrangig zu berücksichtigen, und zwar 1. wegen seiner reichsrechtlichen Valenz, die von den anderen Reichsständen anerkannt

Siehe unten Nr. [72 (1646 II 27) S. 505.26f.] (Kurbayerisches Votum), oben S. [IC Anm. 2] .
und auch in der Staatsrechtsliteratur des 17. und in den Aktenpublikationen des 18. Jahrhunderts

Ernst August Koch wertet 1747 in der Widmungsrede der Neuen Sammlung der Reichsabschiede, die er verlegt hat, als besonderen Vorzug des Werks, daß Kf. Johann Friedrich Karl von Mainz die Kollation der edierten Texte mit den Originalen des Mainzer Erzkanzlerarchivs befohlen habe.
zugestanden worden ist. 2. In Kurmainz sind nur wenige Sitzungen nicht enthalten; es gibt kein durch das Fehlen des Votanten bedingtes Fehlen der Protokolle, weil Kurfürstenratssitzungen nicht ohne den kurmainzischen Direktor stattfinden konnten. 3. Vom kurmainzischen Protokoll sind die durchweg originalen Überlieferungsformen der Konzepte bzw. Reinkonzepte erhalten. 4. Kurmainz Rk ist auch da, wo es mit anderen Protokollen kontaminiert wurde, eigenständig. Für die Sitzungen der Lengericher Konferenz mit ihrer guten Überlieferungslage wird beson-ders deutlich, daß das Direktorium um eine möglichst neutrale, protokollgerechte Wiedergabe der Voten sich offenbar absichtlich bemüht hat.
Schon um eine Aufschwemmung des Variantenapparats zu vermeiden, ist in zweiter Linie die Güte des jeweiligen Sitzungsprotokolls für den Abdruck maßgebend, d. h. seine Vollständigkeit und sein inhaltlicher Gehalt und Umfang. Diese Ent-scheidung mußte für jede Sitzung neu getroffen werden, weil die Qualität der Pro-venienzen zwischen 1645 und 1647 schwankend ist: So besteht Kurmainz Rk 1647 bei unwesentlich erachteten Themen nur aus einem Protokollregest ohne Voten; Kur-mainz ist teilweise knapper als Kurköln und Kurtrier, wenn es auch nicht so wesentliche Auslassungen enthält wie Kurbayern und Kursachsen . Kurmainz scheidet da für den Druck aus, wo es fehlt, fragmentarisch ist oder zu große und zu viele Lücken aufweist. Hier wird in der Regel der inhaltlich beste Text abgedruckt: Das Springen zwischen den Überlieferungen erscheint gerechtfertigt, weil die einzelnen Provenienzen, wie geschildert, bereits im Zeitpunkt ihrer Entstehung eng mitein-ander zusammenhängen. Das Verhältnis des jeweils gedruckten Protokolls – meist Kurmainz Rk zu den nicht gedruckten Texten – wird nach folgendem Schema erfaßt:
1. identische Texte 2. gleichlautende Texte 3. anderslautende Texte
a) Abweichungen formaler Art a) Abweichungen formaler und inhaltlicher Art a) Abweichungen inhaltlicher Art
b) Auslassungen b) Auslassungen inhaltlicher Art b) Auslassungen inhaltlicher Art
c) Zusätze c) Zusätze inhalt-licher Art c) Zusätze inhaltlicher Art

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Identisch sind Texte immer dann, wenn (kollationierte) Abschriften vorliegen ( Kurköln spA) oder wenn zwei eng verwandte Entstehungsstufen überliefert sind: Konzept und Reinkonzept bzw. Reinschrift ( Kurmainz K, Rk); beim Übergang vom Rapular zum Konzept wird die Identität in der Regel nicht gewahrt, weil es sich um die Ausarbeitung einer Mitschrift handelt. Dabei muß keineswegs die ab-schriftlich vorliegende Überlieferungsform einer Provenienz auf eine gleichfalls erhal-tene Abschrift oder auf ein vorliegendes Konzept der gleichen Provenienz direkt zurückgehen. Die Zwischenglieder können, wie im Fall von Kurtrier zA, spA, Kurköln zA, spA, Rs, Kurbayern K, spA verlorengegangen sein.
Gleichlautend sind Protokolle dann, wenn sie nahezu miteinander übereinstimmen oder doch in Wortwahl und Satzbau gemeinsame oder sehr ähnliche Formulierungen aufweisen. Da Identität meist für ganze Serien von Sitzungen und für verwandte Protokollreihen zutrifft, ist sie im Kopfregest angegeben. Gleichlautende Formu-lierungen dagegen sind in der Regel in den Varianten angemerkt, weil sie zeitweise – von Sitzung zu Sitzung und innerhalb der Sitzungen wechselnd – immer dann auf-treten, wenn ein mehr oder weniger intensiver Votenaustausch stattgefunden hat. Gleichheit der Formulierungen war bei unabhängigen und eigenständigen Protokollen nicht von vornherein gegeben, sonst gäbe es keine nur sachlich und nicht auch formu-lierungsmäßig übereinstimmenden Protokoll-Provenienzen . Der Rückgang formu-lierungsmäßiger Abweichungen bis hin zum gleichlautenden Text, die steigende Anzahl gleicher und ähnlicher Formulierungen, sind auch Anzeichen dafür, daß das Thema einer Sitzung für besonders wichtig erachtet wurde und daß zur Vermeidung späteren Auslegungsstreits sachliche Differenzen, die sonst zu Varianten führten, durch gegen-seitige Abstimmung der Protokolle ausgeräumt wurden

Deutlich bei der Beratung über die Amnestie 1646 II 10 (Nr. [66 S. 452ff.] ) im Vergleich zu den vorherigen Beratungen über den modus consultandi. Siehe auch Nr. [117 S. 773ff.]
.
Bei identischen Texten werden kleinere Abweichungen, meist Abschreibfehler und Irrtümer in der Wiedergabe von einzelnen Wörtern, und abschreibbedingte Aus-lassungen (bei Kurköln zA manchmal mehrere Sätze) nur zur Demonstration vorhandener bzw. nicht vorhandener Filiationen aufgeführt

Nr. [68 S. 476] . 27: Keine direkten Beziehungen zwischen Kurtrier zA und spA, ebenso nicht zwischen Kurköln zA und spA.
. Auslassungsvermerke bei Reinkonzepten, die für später herzustellende und zu übersendende reinschriftliche Extrakte bestimmt sind, werden ebenfalls aufgenommen. Da bei identischen Texten im Vergleich zu ihrer Vorlage nur beabsichtigt oder unbeabsichtigt Fehlendes be-merkt werden kann, wird auf Zusätze nur hingewiesen, wenn sie im Konzept als solche kenntlich und für Votenaustausch bedeutsam sind.
Bei gleich- und anderslautenden Texten müssen vor allem sachlich-inhaltliche Ab-weichungen, Auslassungen und Zusätze notiert werden, bei gleichlautenden Texten aus textkritischen Gründen der Rekonstruktion auch Abweichungen der Formulierung, zumal wenn sie Abweichungen in der Sache einschließen. Die Beziehungen zwischen formulierungsmäßig übereinstimmenden Texten, etwa zwischen dem kurmainzischen Konzept und der davon abhängigen Fremdprovenienz Kurbayern K, Rp, werden erst

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durch die genaue Verzeichnung von Formulierungsgemeinsamkeiten und -abweichungen transparent. Im Hinblick auf die tatsächlich vorgebrachten Passagen sind hier vor allem Auslassungen und Zusätze wichtig. Aus Gründen der Kürze und um inhalt-lich gleiche Zusätze mehrerer Provenienzen zusammenfassen zu können, werden diese Varianten teilweise in Regestenform wiedergegeben. Starke Auslassungen in einer Minderheit nicht gedruckter Protokolle werden nur summarisch verzeichnet, weil sie durch die Qualität der betreffenden Protokolle bedingt erscheinen: Wenn in den anderen Provenienzen oder Überlieferungsformen, zumal im Verhältnis Rapular-Konzept, ein inhaltlich umfangreicherer Befund gegeben ist, kommt diesem faktisch die größere Wahrscheinlichkeit zu, und es kann angenommen werden, daß die summarischen Protokolle den Inhalt der Sitzungen unvollkommener reproduzieren

Das Votenprotokoll rückt dann in die Nähe des summarischen begriffs (Proposition und Conclusum der CC -Sitzung von 1645 XI 19 in MEA CorrA Fasz. 10 [C]) bzw. des sum-marischen protocolls mit Einträgen verschiedener Conclusen ( ebd. nr. 53), vgl. auch unten Nr. [27 S. 185. 1] .
.
Enthalten Protokolle, wie im Regelfall, einen anderen Text als das Protokoll der Druckvorlage, so bedeutet das Auswerfen eines Zusatzes, einer Auslassung oder Abweichung gegenüber einem Satz oder Satzteil des gedruckten Textes nur, daß an dieser Stelle inhaltlich etwas fehlt oder hinzuzusetzen ist, nicht aber, daß die Texte über die im Kopfregest oder in den Anmerkungen hinaus gemachten Angaben identisch oder gleichlautend wären. Rapulare, beispielsweise Kurbayern Rp für Nr. 125–128, werden zum Textvergleich nur dann herangezogen, wenn die betreffende Prove-nienz außerdem keine Überlieferung mehr bietet und die Überlieferungslage für die betreffende Sitzung ohnehin schlecht ist oder wenn Rapulare, wie bei der Lengericher Konferenz, über das Verhältnis einzelner Provenienzen zueinander etwas aussagen. Im Apparat werden an Kennzeichnungen gebraucht
a) für Abweichungen:
Statt dessen ...: Dieser bewußt neutrale Ausdruck, durch den eine Festle-gung auf die Art der Änderung vermieden werden soll, berücksichtigt Unwägbarkeiten der Formulierung und Syn-onymität. Er wird meist bei kleineren Abweichungen ver-wendet oder bei solchen, wo es Interpretationssache wäre zu sagen, ob eine Verknappung oder eine Änderung vorliegt.
Abweichend ...: Wird verwandt, wenn die Änderung klar als Alternative zum Text zu qualifizieren ist.
Deutlicher ...: Dies bedeutet eine Präzisierung (oder schon nähere Aus-führung) des im gedruckten Text Enthaltenen.
b) für Auslassungen:
Knapper (kürzer) ...: teilweise mit Hinweis darauf, was in den anderen Proto-kollen stehengeblieben ist. Natürlich läuft jedes Mehr oder Minder auf eine Änderung hinaus, solange aber die Ab-weichung nicht erkennbar gewollt ist, wird unter dem neu-tralen Gesichtspunkt der Vollständigkeit nur ein Mehr oder Weniger konstatiert.

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Wesentlich knapper
(kürzer) ...: ohne weitere Angaben, siehe oben.
Fehlt ...
c) Zusätze:
Zusätzlich ...: mit Präzisierung, was auf ein ausgeworfenes Wort oder einen Satz(-Teil) der Druckvorlage in anderen Überlieferungen noch folgt.
Ausführlicher ...: wenn umfangreiche Zusätze vor allem auch in mehreren Über-lieferungen anfallen. Danach werden außer den betreffenden Überlieferungen/Provenienzen keine weiteren Angaben mehr gemacht, wenn die größere Ausführlichkeit, ebenso wie die wesentliche Kürzung in b), auf die Qualität des Protokolls zurückzuführen ist.
Ergänzt ...: Hier werden ein Wort oder eine Zeile (Zeilensprung bei Abschrift) aus identischem oder gleichlautendem Text in die Vorlage, falls sie dort fehlen, eingesetzt.
Eingesetzt ...: desgleichen, nur daß ein irrtümlicher bzw. fehlerhafter Aus-druck der Vorlage aus einer identischen Überlieferungsart (spA für zA, Rk für K, Rs für Rk einer Provenienz) ersetzt wird.
Gerade weil der gedruckte Text durch den Variantenapparat erheblich verlängert wird, erscheinen Kürzungen in Regestform angebracht. Regestierung im Text wird im wesentlichen nach den Grundsätzen vorgenommen, die F. Wolff für die Edition der CC -Protokolle aufgestellt hat; auf sie sei der Kürze halber verwiesen

APW III A 4, 1 S. LXV f.
. Da die Kurz-regesten im laufenden Text Überflüssiges aussparen – wie Titel und Höflichkeits-floskeln –, werden dazu in der Regel keine Varianten angegeben. Wiederholungen werden da, wo sie thematisch, etwa für das Reichstagszeremoniell, bedeutsam sind und bestimmte Punkte scheinbar stagnierend, aber bekräftigend oder interpretierend umkreisen, nicht regestiert: so bei den Verhandlungen über die Amnestie, während der die Katholiken die Tür zu interkonfessionellen Verhandlungen nur einen winzigen Spalt breit öffnen wollten

Siehe unten Nrr. [66 S. 456f.] , [459] ; [67 S. 466ff.]
. Manchmal wirkt die kurmainzische Überlieferung, die größtenteils Druckvorlage ist, selbst wie ein Regest der wortreicheren anderen Proto-kolle, besonders im Conclusum, so daß sich die Regestierung seitens des Bearbeiters erübrigt. Die recapitulation der Voten, in Kurmainz K, Rk, Rs meist nur ohne nähere inhaltliche Angaben kurz vermerkt, wird aus den anderen Provenienzen dann in die Varianten übernommen, wenn sie nötig ist, um die kurmainzischen Anteile am Conclusum zu verdeutlichen oder die Formierung eines Conclusums per maiora, das aus den vorherigen Voten nicht zwingend hervorgeht, verständlich zu machen.

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Ergänzungen, erschlossene Ortsangaben, aufgelöste Abkürzungen, vor allem aus dem Rapular, sind in eckige Klammern [ ] gesetzt, desgleichen Auslassungen [...]. Runde Klammern im Text sind original; erscheinen sie nach Votenangabe – z. B. Kurmainz (Raigersperger) – und im Kopfregest, so bedeutet dies, daß die beigesetzten Namen in einem der Protokolle der betreffenden Sitzung auftauchen und übersichts-halber an dieser Stelle mitgeteilt werden. Ist eine Variante, die wörtlich mitgeteilt wird, sinngemäß in mehreren Überlieferungen enthalten, so richtet sich der Text nach der ersten der für die Variante angegebenen Überlieferungen. Im Kopfregest und in den Varianten werden die Protokolle in folgender Reihenfolge bezeichnet: Provenienz (z. B. Kur-mainz), Überlieferungsform/Entstehungsstufe (z. B. Rk), Band oder Faszikel der betreffenden Überlieferungsform (bei geschlossenen Protokollbänden eigene Zählung: z. B. Kurköln spA I, sonst Archivsignatur: FrA = Friedens-akten Fasz. 9

Vgl. unten Nr. 54 S. 368: Kurtrier Rs 9231 (= StA Koblenz Abtlg. 1 C nr. 9231).
). Ist bei den Diarien die Überlieferungsform nicht angemerkt (z. B. Diarium Wartenberg), so wurde stets das Original (Konzeptstufe) benutzt.
5. Rechtsgeltung und Aussagekreis der Kurfürstenratsprotokolle Die Rechtsgeltung von Sitzungsprotokollen ist geringer zu veranschlagen als das Recht der Verträge. Diese allgemeine Feststellung trifft auch für die Kurfürstenrats-protokolle zu. Allerdings erlangt jede protokollierte Äußerung eine gewisse Verbind-lichkeit. Sie legt ihren Urheber in gewisser Weise für den Augenblick und vor der Nachwelt fest

Kf. Anselm Casi-mir (1645 XI 29) lobte seine Gesandten in Münster dafür, daß sie befehls-gemäß in den protocollo dergestalt versehen, daß bey der wehrten posteritet wir einigen verweiß nit haben noch hinder unß laßen mögen ( MEA CorrA Fasz. 10 [C]). Raigers-perger (an Kf. Anselm Casimir, 1645 XII 26) bedauerte, daß eine Verwahrung gegen die an-maßende Ansage der Fürstlichen zum Reichsrat in Osnabrück nicht protokollkundig geworden sei, weil die Ansage den prothocollis und relationibus einverleibt pleibet und nichst dagegen einzuwenden ist ( MEA CorrA Fasz. 11 [1] nr. 6 ).
. Der Gesandte, der im Reichsrat etwas zu Protokoll gab, tat weder eine bloß private diplomatische Äußerung

Es begründete indes bereits einen Mangel an herkommensrechtlicher Legitimität, wenn nach-richtungh in privatum, nicht erst in protocollis, fehlte (Kathol. Gravamina 1646 I 24/25, MEA CorrA Fasz. 12 [ 2 ]).
, noch führte er eine Art mündlicher Korrespondenz. Während seine brieflichen Mitteilungen, von ihm selbst klar eingrenz-bar, ihn nur gegenüber einem Empfänger, gleich ob einer natürlichen oder einer juri-stischen Person, verpflichteten, wurde nun ein ganzes Gremium Zeuge seines viel elastischeren gesprochenen Worts. Es verlieh einen Spielraum, der seine Position stärken oder sie verwundbar machen konnte. Zwar war sein Votum an Vollmacht und Instruktion gebunden

Die Regel war, daß die kurfürstlichen Instruktionen dem Gesandten die rationes, aber nicht alle wortte vorschrieben ( DLöben II fol. 48). Kurfürstliche Befehlschreiben wurden nur aus-nahmsweise im Rat verlesen.
, was sowohl Absicherung als auch unerwünschte Festleg-barkeit bedeuten konnte. Das Medium des gesprochenen Worts entwickelte jedoch eine Eigengeltung, die nur noch begrenzt vom fernen Auftraggeber kontrolliert werden konnte. Um mißliche Interpretationen der eigenen und der gehörten Äußerungen zu

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verhindern, mußte das Protokoll zunächst gegenüber den einzelnen Gliedern des Rats mit einer gewissen Autorität, was seinen Wahrheitsgehalt betraf, ausgestattet sein. Bereits bei wichtigen Visiten und Konferenzen, sie mochten zwischen kaiserlichen und kurbayerischen, schwedischen und kurbrandenburgischen Räten stattfinden, wurde Wert auf ordentliches Protokollieren seitens der Gesandten oder ihrer Sekretäre gelegt

Vgl. den Bericht des bayerischen Kammerpräsidenten Johann Mändl aus Prag (1648 II 17): Weilen der Kayserlichen deputirten vier gewesen und ein yeder geredt und gemerkht, waß er gewölt, ich aber allein ware, alß hab ich ihnen allen nit red und antwordt geben und zugleich alles minutim prothocolliren khünden. Aber weilen ihre sachen und reden so fleissig prothocolirt, speciosi herfürgestrichen und zu ihrem glimpf andern communicirt, waß ihnen in ihr kram gedaugt, alß währe ihnen wol angestanden, daß sy auch dasyenige, was für Kurbayern eingewendet worden ist, prothocolliert und andern gesagt hetten ( MEA CorrA Fasz. 21 tom. 4 ). Bei Visiten brachte Kurbrandenburg bis zu drei Sekretäre mit ( DLöben I fol. 46), in wichtigen Konferenzen gebrauchte sich auch Salvius seiner schreibtaffel, obwohl der schwedische Sekretär protokollierte ( ebd. II fol. 62). – Ein Sonderfall war die Herausgabe der schwedischen Replik (1646 I 7) in Form eines Protokolls, das nit allein in substantialibus, sondern sogar auch in formalibus kollationiert werden mußte ( RK FrA Fasz. 50 b fol. 18–19, DLöben II fol. 52).
. Visitenprotokolle der einzelnen Kurstände galten aber immer noch weniger als ordent-liche Reichsratsprotokolle

Vgl. DLöben I fol. 60.
, sie wurden nicht miteinander abgestimmt, dienten haupt-sächlich zur eigenen Information und gingen nicht auf einen bestallten Protokollführer zurück. Wurde Kritik an unliebsamen Beschlüssen oder Kollegialschreiben laut, so sah sich das Direktorium gezwungen, die Richtigkeit seines Protokolls zu betonen, den anderen Ständen nicht den Rückzug in die Unverbindlichkeit zu gestatten, ihre Mitwirkung herauszustellen

Die haltung richtigen prothocolls mit deutlicher Aufzeichnung der Voten diente vor allen dingen zu versicherung des kurmainzischen directorii ( MEA CorrA Fasz. 24 [1], Kur-mainz/Münster an Kurmainz/Osnabrück 1647 IV 19). Die Kurbrandenburger verlangten den Umlauf der von Kurmainz konzipierten Kollegialschreiben unter allen Gesandtschaften, die Abfassung allein durch das Direktorium aufgrund von dessen Protokoll genügte ihnen nicht ( DLöben I fol. 145).
. Die Rechtskraft des Protokolls ergab sich gerade daraus, daß es gemeinsam zu verantwortendes Handeln bezeugte und so geeignet war, das Direktorium gegen den Vorwurf der Eigenmächtigkeit zu schützen. Aber der Streit um rechtswirksame Beschlüsse führte auch die einzelnen Kollegglieder dazu, die Gültigkeit des Protokolls zumindest vorauszusetzen: Ein beliebtes Mittel, Mehr-heitsbeschlüssen vorzubeugen, die eigene Interessen und Rechte zu beeinträchtigen drohten, war der Protest eines Standes in offener Sitzung

Die iedeßmalß in voto incontinenti vorgebrachten Proteste (Protestation Bischopings von 1648 IV 1, MEA CorrA Fasz. 19 [2]), durch die abgelegte vota et prothocolla gnug-samb an tag geben (Kurmainz/Münster an Kf. Johann Philipp, 1648 VII 20, MEA CorrA Fasz. 16 [5]), konnten durch gedruckte oder schriftlich eingereichte Proteste, die dem reichs-protocollo beigelegt wurden (Kf. Maximilian an Kf. Johann Philipp, Salzburg 1648 X 3, MEA CorrA Fasz. 22,5), bekräftigt werden. Jeder Protest gewann durch repetiren und aus-bleibenden Reprotest. Vgl. auch DLöben II fol. 161, I fol. 124.
. Diese förmliche Geltend-machung eines Rechtsvorbehalts mußte normalerweise aufgezeichnet werden, so daß auch die Neigung zu Protest und Reprotest die Protokolle aufwertete. Die Kurfürsten

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Philipp Christoph von Trier

Kurtrier/Münster an Kf. Philipp Christoph, 1646 VII 24 ( MEA CorrA Fasz. 12 [2] fol. 75’): Der Kurfürst und seine Stifter werden ungeachtet ihres ad prothocollum gebrachten dissensus quoad vinculum et observantiam pacis publicae unßers unvergreifflichen ermeßens allezeit gleich anderen ständen obligirt sein unndt verbleiben müßen.
und Johann Philipp von Mainz suchten ihren proto-kollierten Protest sogar gegen die Entwürfe der Friedensinstrumente auszuspielen, obwohl ihre eigenen Gesandten dies unwirksam fanden und die angegriffenen Friedens-bestimmungen voll rechtskräftig fanden

Den Auftrag des Kf. Johann Philipp (an Kurmainz/Osnabrück, 1648 III 21, MEA CorrA 18 [4]), das – nicht zugestandene – ius reformandi über Erfurt mittels anderwerttigen sal-vationen unnd heylßamen reservaten bey der dictatura und den reichßprothocollis sich auszubehalten, konterkarierte Raigersperger mit dem lapidaren Nota Bene: frustranea sunt.
. Das Kurfürstenratsprotokoll vermochte lediglich in umstrittenen Rechtsfragen, die nicht zwischen den eigentlichen Friedens-kontrahenten vertraglich entschieden wurden, einzelnen Ständen ihre Rechtsansprüche zu gewährleisten. Darüber hinaus konnte es Streitfälle in herkommensrechtlichen Fragen entscheiden und, wie andere Protokolle auch, bei späteren Interpretationen der Friedensinstrumente als Auslegungsinstanz herangezogen werden

Im Streit um die Auslegung des Präliminarschlusses von 1641 lehnten es die Kaiserlichen ab, fremde Protokolle gegen den Vertragstext gelten zu lassen, weil sie nur annotationes privatae seien, bezogen sich aber auf ihre eigenen Protokolle, die mit der kaiserlichen Auslegung des Ver-trages übereinstimmten ( Gärtner III nr. 116 S. 788).
.
Maßgeblich war das kurmainzische Reichsprotokoll

Von dem authentico Moguntino prothocollo imperii konnte vidimata copia genommen werden, um Zweifel des Kommittenten am eigenen (hier kurtrierischen) Protokoll auszuräumen ( MEA CorrA Fasz. 12 [2] fol. 17’), vgl. auch MEA CorrA Fasz. 18 [3], 1648 VI 29, Beilage L. Churbeyerische baten umb abschrifft vom kurmainzischen Protokoll (der Sitzung 1647 III 18, aus der sie selbst ausgeschlossen waren, Kurmainz/Osnabrück an Kurmainz/Münster, 1647 III 21, MEA CorrA Fasz. 24 [1]). Bei der Beratung der Assistenzklausel 1648 waren die geschriebene, zweifelsohne annoch auch bei der Curmeinzischen reichscanzelei befindtliche prothocolla der Assistenzberatungen, die 1548, 1550, 1552 wo nit per directum saltem per indirectum stattgefunden hatten, noch von Bedeutung (Philipp von Vorburg an Kf. Johann Philipp, 1648 undatiert, MEA CorrA Fasz. 19 [2]).
. Hier mußten andere Kurstände, selbst wo es um ihre eigenen Voten ging, Streichungen und Zusätze erbitten und vom Direktorium genehmigen lassen

Raigersperger beurkundete auf Antrag Kurtriers, im kurtrierischen Votum (von 1646 II 26) statt der Worte foederibus gesetzt zu haben: mit gewißen capitulationibus assistentiae et neutralitatis (1646 IV 19, MEA FrA Fasz. 13, 2, vgl. MEA CorrA Fasz. 16 fol. 103’, 12 [2] fol. 261). Der vom Kollegium befürworteten Änderung des Wahlprotokolls von 1636 (Zustimmung Kurtriers) widersetzte er sich allerdings unter Hinweis auf die Wahlbestätigung, die der Kurfürst von Trier bei seiner Entlassung abgegeben und der Kaiser dem Erzkanzlerarchiv in perpetuam rei memoriam überlassen habe (Raigersperger/Münster an Kf. Anselm Casimir, 1647 I 11, MEA CorrA Fasz. 25 [2]).
. Die Aufnahme einer Verbesserung ins Reichspro-tokoll stand über der Absicherung eigener Rechte im eigenen Protokoll. Die juri-stisch gebildeten kurmainzischen Räte wußten, warum sie fremde Voten in Auszügen oder zur Gänze wörtlich einbauten. Sie machten ihr eigenes Protokoll unangreifbarer: Die Existenz eines quasi amtlichen Protokolls brachte bereits dessen relative Rechts-geltung mit sich. Dem kurmainzischen Protokoll, das im Kurfürstenrat vergleichs-weise weniger galt als das österreichische oder salzburgische Direktorialprotokoll im

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Fürstenrat, ging aber ein letzter Grad von Authentizität ab

So genügte es nicht, die nachträgliche Wahlbestätigung Kurtriers allein in daß Churmayntzisch prothocoll clanculum einzuschieben, sie war auch in pleno, darmit eß in aller churfürsten prothocolla eingerücket, vorhero offentlich zu verleßen (Kf. Philipp Christoph an Kur-trier/Münster, 1646 IV 23, MEA CorrA Fasz. 16 fol. 111’).
, der durch das Vor-handensein der übrigen Kurfürstenratsprotokolle selbständiger Herkunft ausgeglichen wurde. Diese rangierten zwar, wenn sie nicht untereinander oder mit Kurmainz abge-stimmt wurden, unter dem Reichsprotokoll, hatten aber doch auch Teil an jener Rechtsgültigkeit, die im Falle der Einigung auf ein gemeinsam zu verfassendes und mit Autorität zu versehendes Wortprotokoll auf dieses allein gefallen wäre. Auch in sich selbst waren die Protokolle von unterschiedlicher Rechtsgeltung. Äußerungen im ordentlichen votiren galten mehr als das nur inter discursum

DLöben I fol. 68 (zu 1645 VII 11).
Gesagte. Be-merkenswerterweise enthält Kurmainz durchweg keine inoffiziellen Mitteilungen, die außerhalb der Voten gefallen sind. Die geringste Verbindlichkeit hatte das a part gesprochene Wort, das den Ohren der Unbefugten und der Sekretäre verborgen blieb oder bleiben sollte.
Die Rechtsverbindlichkeit der Protokolle, schwer greifbar und nur fallweise zu ent-scheiden, ist nun nicht getrennt von der dort behandelten Thematik zu sehen: Materien des Reichsrechts, des Territorialrechts, der Verträge, des Religionsstandes, des Völ-kerrechts. Meist standen die Interpretation und die Gültigkeit vergangener Ab-machungen zur Debatte. Nur wenige Beratungsgegenstände waren in einem positiv-rechtlichen Sinne festgelegt; auch die Frage, wie verflossene Reichsabschiede und -gesetze gelten sollten, war kontrovers. Jedes reichs- oder völkerrechtliche Argu-ment, das vorgebracht wurde, war ebenso aus dem Kontext und der Situation heraus zu verstehen wie die Regelungen, auf die es sich bezog. Es waren nicht ver-fassung und Konstitution, aus der Vernunft und dem Volkswillen hergeleitet, die den historischen Rechten Geltung verschafften, sondern ihr historisches Schicksal mit allen wechselnden Konjunkturen und der zähe Behauptungswille derjenigen, die wohler-worbene Rechte bedroht sahen. Deshalb müßte jede Dokumentation über die Gesamt-lage des Reichs, die in notwendiger Beschränkung einen zeitlichen Querschnitt legt, ergänzt werden durch die Edition aller diplomatischen handlungen, Protokolle und Abschiede, die als historische Bezugspunkte im Argumentationsfluß der Einzelvoten auftauchen. Sachliche Anmerkungen bieten nur einen unvollkommenen Ersatz und können dem Leser die Aktenkenntnis der Gesandten, die aus Gedächtnisleistung, Findigkeit und Geschäftserfahrung herrührte, nicht ersetzen. Die Fülle der Ver-handlungsgegenstände, immer nur in einer Zeitsituation vorfindbar und in der verti-kalen Dimension des historischen Zeitablaufs veränderlich, läßt sich so wenig wie die allgemeingeschichtlichen Bezüge in einem institutionsgeschichtlichen Rahmen verorten; ja über diesen führt auch die reine Betrachtung der Institution (Kurfürstenrat) hinaus, weil jede Institution, selbst in ihren perennierenden Elementen, wirkender Faktor im historischen Geschehen ist: reagierend oder als treibende Kraft

Vgl. M. Komjáthy S. 54.
. Die ahistorisch deutbare Struktur jeder technischen „Amtsführung“ transzendiert sich, als Teilstück

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eines umfassenderen Ganzen gesehen, selbst. Die Gesandten im Kurfürstenrat han-delten als einzelne und als Beauftragte, korporativ miteinander und mit den Gesandten der anderen Reichsräte zusammen und waren dabei eingebunden in das Gesamtgeflecht der handelnden Mächte, deren Einflüsse auf die Prozedur im Rat zurückwirkten. Kaum anders steht es mit den juridischen Aussagekomplexen, die auch nicht nur für sich genommen werden dürfen: Aber weder durch Rückbeziehung auf ihnen zugrunde-liegende historische Sachverhalte noch durch Deduktion aus der zeitgenössischen Rechts-wissenschaft noch durch Einbindung in politische Zeitkonstellationen werden sie vollends begreiflich, geschweige „positiv-rechtlich“ definierbar. Sie sind hineingestellt in eine epochale Totalität: Hinter der ausgiebigen Behandlung der Rang- und Titel-fragen, der Freude an der Selbstdarstellung verbirgt sich barockes Rollenspiel. Diplo-matische Distanzierung und literarische Spielhaltung scheinen sich in jenen kunst-vollen Beweisketten zu begegnen, die bewußt an der Oberfläche bleiben und arcana aussparen. Oder: Ohne die epochale Wirkung der Reformation ist die zustimmende Haltung der katholischen Reichsstände zur Veräußerung von Reichsgut nicht zu verstehen. Die Edition stellt eine zerfließende Vielfalt historischer Konkretionen bereit, die, obwohl sie unsere Kenntnis des Westfälischen Friedens ergänzen, selbst wieder in hohem Grade ergänzungsbedürftig sind. Der Historismus hat das Sche-matische, Mechanisch-Demonstrationshafte quasi naturgesetzlicher Geschichtserklä-rung dem „approach“ an die Komplexität des historischen Geschehens mit seinen prinzipiell gleichwertigen Teilkomponenten geopfert. Wir können uns dieser wissen-schaftlichen Tradition nicht entziehen. Aber müssen wir uns deshalb an die nimmer-satten Einzelheiten der Protokolle ausliefern? Zwei Versuche der Lösung dieses Dilemmas mögen angeboten werden.
a) Der Aussagekreis der Protokolle läßt sich abstecken unter dem traditionellen Aspekt einer an Epochen orientierten Geschichtsbetrachtung. Sie stellt die existen-tielle Verbindung zwischen gleichzeitig bestehenden Lebenserscheinungen über deren kategoriale Trennung: Die Fakten der politischen Geschichte, der Rechts-, Sozial-, Geistes- und Kulturgeschichte gehören primär dem Entwicklungsstand eines Kultur-kreises an und sind dadurch zumindest ebenso geprägt wie durch ihre überhistorisch kategoriale Herkunft. Als gemeinsame Produkte des politischen Bewußtseins ver-schiedener – nicht nur personhafter – Individualität erschließen sich die Protokolle der geisteswissenschaftlichen Analyse: Vernunft und Herkommen, Ratio und Tra-ditio werden im Kurfürstenrat als legalisierende Instanzen beschworen; ihr Neben-einander als übergeordnete Bezugssysteme berührt die Problematik, die darin liegt, natürliche Vernunft und Tradition zu historischen Prinzipien der Periodisierung, etwa der Abgrenzung von Mittelalter und Neuzeit, zu erheben. Das Ideenpotential der Menschheit wird vielleicht doch weniger sukzessive ausgeschöpft, als es manche fortschrittliche Geschichtsbegeisterung des 19. Jahrhunderts annahm: Warum sollte jede Epoche es nicht prinzipiell in voller Breite reproduzieren können? Mitwirkungs-ansprüche, gegenseitige Zubilligung originärer Rechte, rational gedachte Harmonie-vorstellungen werden am Ende dreier grausamer Kriegsdekaden zu einer reichspatrio-tischen Programmatik entfaltet, mit der das Urteil Kohns, in Deutschland habe

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anders als in Westeuropa „ein rationaler Begriff von der Gesellschaftsordnung“

Kohn S. 449–464.
nicht aufkommen können, unvereinbar ist.
b) Die Krise der historischen Bewußtseinsbildung erstreckt sich heute auch auf die regulativen Ideen, mittels derer beispielgebend Ranke im Fluß des uferlos sich dar-stellenden historischen Geschehens, dem der Historismus zur Gänze sich zuwendete, Ordnungsmarken setzte. Wenn ein kultureller Konsens über die großen Ideen und Zusammenhänge, über die „herrschenden Tendenzen in jedem Jahrhundert“

Srbik I S. 250ff.
, die Quell-punkte des vielfältigen Lebens, nicht mehr erzielt werden könnte, ergäbe sich der ordnende Zugang zu den Quellen wiederum aus der Sachlogik sozialwissenschaftlicher Spezialdis-ziplinen. Die Kurfürstenratsprotokolle bieten empirisches Material für strukturelle so-zialgeschichtliche Fragestellungen der Friedensforschung und der Diplomatiegeschichte. Werden Herstellung und Bewahrung des Friedens, Beilegung gewalttätiger Konflikte nach einem „System von Regeln“

D. Sternberger S. 402–407.
, zu zentralen Gegenständen der politischen Wissen-schaft erklärt, dann sind die hier edierten Friedensakten unabhängig von ihrem Alter eminent politisch. Sie enthalten bereits das ungelöste dialektische Problem, ob nicht zur Zurückdämmung der Gewalt selbst wieder Gewalt in irgendeiner Form eingesetzt werden müsse

Vgl. Flassan I S. 18: Das Schicksal der Nationen hängt von der Diplomatie ab, „puisqu’elle forme la moitié de la puissance“; Deutsch S. 178ff.
: im Arrangement der Gesprächspartner, durch Hinweise auf den Fortgang der campagna. Die Protokolle zeigen, daß ein Friede ohne Gerechtigkeit für unvollkommen gehalten wurde, daß ein Friedenszustand in totaler Wertfreiheit nicht erstrebenswert schien, daß ein friedlicher Ausgleich den „einigermaßen natür-lichen Einklang“ zwischen den „Rechtsbeziehungen, Kräfteverhältnisse(n) und Macht-bedürfnisse(n) der europäischen Staatengesellschaft“

G. Wolf , Friedensschlüsse S. 101f. mit Bezug auf Rankes „Große Mächte“.
voraussetzte. Die Affinität der Föderativstruktur zum europäischen Frieden wird deutlich: Macht und Recht mußten zum Ausgleich kommen, ohne wechselseitige Respektierung des Eigenstands der Staaten und ohne Eindämmung frühabsolutistischer Macht war ein multilateraler Friedensvertrag nicht möglich. Andererseits förderte die innerstaatliche absolutistische Konsolidierung des Rechtswesens die Ausbildung eines europäischen Völkerrechts, das willkürliche Fehden und Austräge zurücktreten ließ

Vgl. W. Schücking S. 51f., H. Conrad S. 14–18 und am konkreten Problem der „nullité“ Ph. Cahier S. 646ff., 684–691.
.
Obwohl die Protokolle im Vorfeld eines Epochenereignisses stehen, bieten sie selbst keinerlei epochal deutbaren Resultate. Die korporative Willensbildung der Reichsräte im Interaktionsprozeß der Friedensfindung vollzog sich weniger ostentativ als die bilateralen Gespräche der Reisediplomatie im Jet-Zeitalter; das scheinbar ergebnis-lose Ringen um diplomatische Ausgangspositionen an einmal festgelegten Kongreßorten hatte seine Bedeutung, als die Wege noch weiter waren. Auch das heute so sehr disku-tierte Spannungsverhältnis zwischen innerer Verfassung und äußeren Beziehungen der Staaten klingt in den Protokollen an. Es war damals so wenig wie heute durch eine

[p. CXIX] [scan. 119]

„science conjecturale“

Flassan I S. 25, 29: „L’expérience d’autrui“ wird erworben „en méditant les âges précédents“.
aufzulösen. Die Diplomaten des 17. Jahrhunderts haben keine grundlegenden Veränderungsstrategien, wohl aber erfolgreiche Methoden und Techniken des Friedensschlusses entwickelt und auf pragmatische Weise planend in das Chaos der politischen Machtrivalitäten eingegriffen. Sie lehren uns bereits die Taktik der begrenzt öffentlichkeitsbezogenen Deklamation, des Rekurses auf allgemein Aner-kanntes, sie haben mit der harten Selbstbehauptung staatlicher Souveränität so gut ihre Erfahrung gemacht wie mit der dynamischen Dialektik des Kompromisses. Sie zeigen uns, wie geschichtliche Erfolge aus erlernbaren Geschäften wachsen. Gerade Droysen gibt eine historische Methode an, die Geschäfte der Geschichte in einem gewissen Sinne nutzbar zu machen: „Die diskussive Darstellung wendet die Fülle des Erforschten, diese Lichter wie in einem Hohlspiegel sammelnd, auf einen bestimmten Punkt der Gegenwart [...], auf eine Frage, die zu entscheiden, eine Alternative, in der ein Entschluß zu fassen, eine neue Erscheinung, deren Verständnis zu erschließen ist.“

J. G. Droysen, Grundriß des Historik § 93, in: ders., Historik (1943) S. 363.
Wir sindnichtzukunftsfeindlich, wennwir weit zurückliegende Erfahrungen übernehmen.
✦ ✦ ✦ Den Personen und Institutionen, die mich bei der Bearbeitung dieses Bandes unter-stützt haben, spreche ich meinen herzlichen Dank aus. Die Archivdirektoren Frau Dr. Grete Weiser (Deutsches Zentralarchiv Merseburg, Historische Abtei-lung II), Herr Professor Dr. Richard Blaas (Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien), Herr Dr. Hermann-Joseph Busley (Bayerisches Hauptstaatsarchiv München, Ge-heimes Staatsarchiv), Hochw. Herr Engfer (Dombibliothek Hildesheim), Herr Dr. Franz-Josef Heyen (Staatsarchiv Koblenz) haben sich persönlich um die Bereit-stellung der Quellen gekümmert. Persönlich geholfen haben mir auch Herr Dr. Wilhelm Engels vom Hauptstaatsarchiv Düsseldorf und Herr Ernst Punke von der Fürstlichen Archiv- und Bibliotheksverwaltung Büdingen (Hessen). Für ihre Unterstützung danke ich auch dem Staatsarchiv Dresden, dem Bistums- und dem Stadtarchiv Trier. Kollegiale Ratschläge haben mir Frau Ursula Irsigler, Frau Dr. Roswitha von Kietzell-Philippe, Herr Dr. Joachim Förster, Herr Dr. Gottfried Lorenz (seiner-zeit alle Bonn) erteilt; für eine wichtige Auskunft danke ich Herrn Dr. Helmut Urban (Staatsbibliothek München). Beim Abschreiben der Protokolle half mir Frau Hella Haupts. Eine besondere Dankespflicht habe ich gegenüber Herrn Dr. Fritz Wolff (Marburg), dem Bearbeiter der Protokolle des Corpus Catholicorum. Als der Erfahrenere hat er seine Kenntnisse in sehr kollegialer Weise weitergegeben. Vor allem aber danke ich meinem Lehrer, Herrn Professor Dr. Konrad Repgen. Er hat die ersten Archivrecherchen für diesen Quellenband selbst ausgeführt und die Edi-tion in wissenschaftlicher und organisatorischer Hinsicht hervorragend betreut. Seiner Geduld und seinem ermutigenden Zuspruch, seinem Gewährenlassen und seinem kompe-tenten Eingreifen, seinem Anspruch und seinen zahlreichen Anregungen, Hilfen, Hinweisen verdanke ich mehr, als äußerlich sichtbar werden kann. Mir ist jene Füh-rungskunst des akademischen Lehrers zugute gekommen, die wissenschaftliches Ar-beiten mehr fördert, als der Zeitgeist wahrhaben will.

[p. CXX] [scan. 120]

[p. CXXI] [scan. 121]

[p. CXXII] [scan. 122]

[p. CXXIII] [scan. 123]

[p. CXXIV] [scan. 124]

BERICHTIGUNGEN
S. 4.38 13. Oktober 1630 statt 13. Oktober 1635 und 6. April 1631 statt 6. April 1635
S. 22.40/41 nordöstlich Bersenbrück statt (heute .... 1077)
S. 26.39 eingenommen statt eingenommne
S. 43.21 praedicato statt pradicato
S. 59/60.45/36 Würzburg statt Osnabrück
S. 93.30 consultationibus statt consultatonibus
S. 186.18 Stände statt stände
S. 201.22 tractiren statt tracticen
S. 223.30 clausulam statt clasulam
S. 258.1 gestellt statt gestellt
S. 289.29 der statt dnr
S. 343.30 silentium statt siltentium
S. 367.16 Osnabrück statt Oßnabrück
S. 369.8/9 unpraeiudicirlich statt unpraeiiudicirlich
S. 372.41 Administrator statt Aministrator
S. 381.24 ius statt ins
S. 483.41 Friedrich III. statt Friedrich II.
S. 522.31, 728.24 Frankreich statt Franckreich
S. 524.41 Regensburger statt Nürnberger Kurfürstentag
S. 532.6 restituiren statt restituiten
S. 538.33 „nec statt nec
S. 626.17 am Anfang der Zeile zu setzen: Kurmainz
S. 631.24 Seehäfen, statt Seehäfen
S. 648.43 portugiesischer statt protugiesischer
S. 720.42 Augsburger statt Speyerer Reichstag
S. 792.23 Kurbrandenburg statt Kurbrandenburn
S. 792.27 Kurköln statt Kurtrier

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