Acta Pacis Westphalicae III A 1,1 : Die Beratungen der kurfürstlichen Kurie, 1. Teil: 1645 - 1647 / Winfried Becker
2. Die Überlieferung: a. Kurmainz
Das kurmainzische Direktorium führte bei den Sitzungen des Kurfürstenrats, des Corpus Catholicorum, der Deputationen und der Ausschüsse sowie bei Re- und Correlationen das authentische Reichsprotokoll
Vgl. – statt vieler Belege aus der Staatsrechtsliteratur – H.
Becker,
Speyerer Reichstag S. 3,
Staricius
S. 12. Siehe unten S. CXV Anm. 4–5.
. Deshalb hatte der Bearbeiter zu-nächst nach der kurmainzischen Überlieferung zu fragen. Sie liegt für den Zeitraum vom 10. Juli 1645 bis zum 5. Juni 1649 in den Friedensakten des Mainzer Erz-kanzlerarchivs (
HHStA
Wien) nahezu vollständig vor. Allerdings sind drei Proto-kolle (dazu die Protokolle zweier Plenarsitzungen, einer Deputation) verloren
und 12 Sitzungsprotokolle (von insgesamt 71 bzw. 74, bis 25. September 1647) nur fragmen-tarisch überliefert. Ein Vorteil der kurmainzischen Überlieferung besteht neben ihrer relativen Vollständigkeit, die sonst nur noch von dem kurkölnischen Protokoll erreicht wird, darin, daß für einzelne Sitzungen mehrere Protokoll-Exemplare von der ersten Mitschrift bis zur Reinschrift erhalten sind; sie gewähren Einblick in die Entstehung der Kurfürstenratsprotokolle, bei der verschiedene Stufen unterschieden werden können.
Wie aus der Überlieferung der Lengericher Konferenz ersichtlich ist, wurden zunächst während der Sitzungen flüchtige stichwortartige Mitschriften, sogenannte Rapulare (
Kurmainz Rp)
Zu den unten angegebenen vgl. auch die Rapulare von den Pfälzischen Restitutionstraktaten in Wien (1642 IV 1 bis 1642 V 23): Nach reinschriftlicher Angabe von Sessio und Datum (die Bögen wurden offenbar mit Kopf in die Sitzung mitgenommen) folgen Einträge in flüchtigem Duktus mit unregelmäßigem Rand von der Hand des kurmainzischen Gesandten Brömser von Rüdesheim (
MEA
FrA
Fasz.
5 fol. 151–256). In
DVolmar fol. 1134’ (1648 I 9) verweist der Verfasser auf
deß Gailii rapular huius diei d. h. auf das Protokoll einer im Diarium selbst nur knapp resümierten Zusammenkunft. Gedruckte Beispiele in
APW
[III A 4, 1 S. XL] , zur akten-kundlichen Einordnung
ebd. und
H. O.
Meisner, Archivalienkunde S. 195. Vgl. auch die kurbayerischen Rapularprotokolle vom Heidelberger Ligatag (1629 II 19 – III 8) mit kurzen stichwortartigen Voten und halbbrüchiger Beschriftung für Notanda und Ergänzungen, die aller-dings eher schon konzeptmäßig ist (
HStAM I, Dreißigjähriger Krieg, Akten nr. 231).
, entweder vom Protokollanten oder aber vom anwesenden Gesan-dten selbst, angefertigt: Da die Proposition und das kurmainzische Votum bekannt und teilweise bereits vor der Sitzung fixiert (Proposition) waren, jedenfalls aber ohnehin spezieller Ausarbeitung bedurften, konnten der Protokollant, mehr aber noch der mitschreibende Gesandte, sich darauf beschränken, die übrigen Voten zu notieren. Die Mitschrift des kurmainzischen Gesandten diente vor allem als Direktorialnotiz, ermöglichte eine Kontrolle des eigentlichen Rapulars und war Gedächtnisstütze für die Formulierung des kurmainzischen Schlußvotums bzw. Conclusums am Ende der Sit-zung. Solche (teils schwer lesbare) Notizen von der Hand des kurmainzischen Kanz-lers Raigersperger, des kurmainzischen Sekundargesandten Krebs (und möglicherweise auch des kurmainzischen Hauptgesandten Graf Cratz von Scharffenstein) finden sich in den Faszikeln 9, 11, 12 (J. Adam Krebs, Beck), 14, 15, 21 (Raigersperger), 18 (wohl Cratz von Scharffenstein)
In dem Büschel mit der nicht ganz zutreffenden Aufschrift Protocollum in consilio electorum catholicorum vom 3. July bis 7. August 1647
(Sitzungen 1647 VII 3, VII 10): mit schwarzer Tinte nachgezogene Bleischrift auf beidseitig beschriebenen Blättern in dem sonst nur für Handzettel gebräuchlichen Format (nach eingelegtem Lesezeichen Cop. 13,
obwohl es sich schwer-lich um Abschriften handelt). Da von Cratz nur Brief-Unterschriften und kurze Postskripte bekannt sind, ist der Handschriften-Vergleich unsicher.
der Friedensakten. Die Aussortierung und Vernichtung der Rapulare und Gesandten-Notizen mag aus Unachtsamkeit unter-blieben sein, vielleicht wollten aber Raigersperger und vor ihm sein etwas peniblerer Kollege J. Adam Krebs das Reichsprotokoll auch möglichst vollständig erhalten.
Sogleich oder bald nach der Sitzung wurde das Rapular halbseitig erstmals, um Platz für Verbesserungen zu lassen, ins Reine geschrieben. Die Korrekturen wurden von den Gesandten interlinear eingefügt oder an den Rand gesetzt. War viel zu ver-bessern oder hinzuzufügen, wie z. B. bei den drei Sitzungen der Lengericher Konferenz,
[p. LXXVIII]
[scan. 78]
so erfolgte eine zweite Niederschrift dieses Konzeptes (
Kurmainz K)
Auch bei den österreichisch-ungarischen Ministerratsprotokollen sind die Konzepte „sekundäre, eventuell tertiäre Produkte der Sitzungen“ (
Komjáthy S. 96f.); vgl.
F.
Hermann S. XI.
, in die alle Zusätze, Streichungen und Korrekturen reinschriftlich übertragen wurden. Das Ergeb-nis war das ebenfalls halbbrüchig geschriebene Reinkonzept (
Kurmainz Rk), das u. U. noch einmal, zumindest in Kleinigkeiten, verbessert werden konnte. Manchmal wurden im Konzept beträchtliche Lücken für Nachträge gelassen
: Dies wie die teilweise saubere Form und sorgfältige Schrift erhaltener Konzepte deuten darauf hin, daß man es aus Gründen der Zeit- und Arbeitsersparnis nach Möglichkeit beim ersten Konzept belassen wollte. Dabei wurden fortlaufend ungeheftete Lagen beschrie-ben, die mit Nummern und links oben mit den Datumsangaben der in der Lage anzu-treffenden Sitzungen versehen sind. Ende der Lagen und Ende der Sitzungen stimmen nicht überein, am Ende einer Sitzung wurde noch auf der gleichen Seite unter dem entsprechenden Datum mit einer neuen Sitzung begonnen. Die Niederschriften dürften über mehrere Sitzungen und Lagen hinweg jeweils in einem Zug vorgenommen worden sein, so daß es angebracht ist, mehrere nacheinander erfolgte Einträge in einem Fas-zikel einheitlich als Reinkonzept- (
Kurmainz Rk) bzw. Konzeptstufe (
Kur-mainz K) zu bezeichnen. Meistens fehlen von einer Sitzung entweder das Konzept oder das Reinkonzept, so daß nicht mehr exakt zu klären ist, ob es sich um die erste oder die zweite Niederschrift handelt. Für die Identifizierung eines Reinkonzepts ist in solchen Fällen in Analogie zu den Reinkonzepten von der Lengericher Konferenz, die drei Entstehungsstufen (Rapular-Konzept-Reinkonzept) klar unterscheidbar aus-weist, das äußere Bild maßgeblich, nämlich saubere Schrift mit wenigen Verbesse-rungen und ohne Lücken. Als Konzepte werden die Protokolle derjenigen Sitzungen bezeichnet, die lange Verbesserungen ganzer Abschnitte aufweisen; hier hat man sich offenbar die Mühe einer nochmaligen Abschrift nicht gemacht. Die Differenzierung zwischen Konzept und Reinkonzept ist angesichts des Anschauungsmaterials, das die Protokolle der Lengericher Konferenz bieten, aus Gründen der Systematik erforder-lich, obwohl Konzepte (mit Verbesserungen) und Reinkonzepte den gleichen Wortlaut haben und das Konzept für das (nicht mehr angefertigte) Reinkonzept Ersatz sein konnte. Das Reinkonzept oder das (nicht mehr verbesserungsbedürftige) Konzept der zweiten Niederschrift, im Falle des Fehlens beider aber das verbesserte Rapular, stellen das Original-Protokoll
Vgl.
APW
[III A 4, 1 S. XLI Anm. 1] .
H.
Rumpler S. 97 bezeichnet die Reinkonzepte der Ministerratsprotokolle als „Letztform“, weil ihnen die Einzelkorrekturen der Minister hinzugesetzt worden waren, eine der (brieflichen) Ausfertigung vergleichbare letzte Abschrift dieser mit Verbesserungen versehenen Reinkonzepte aber nicht mehr erfolgte.
dar, das als unmittelbare Informationsquelle bei der Kanzlei der Gesandtschaft in Münster blieb.
Obwohl die Deckblätter der Faszikel 13, 14, 20, 21, 24, die einen großen Teil der Protokollkonzepte enthalten, Redaktionsvermerke tragen, ist nur mangelhaft Ord-nung geschaffen worden. Die Absonderung der Kurfürstenrats- von den
CC
-Proto-kollen ist meist unterblieben (teilweise durchgeführt in
Fasz.
14, 24); im chrono-logischen Verbund mit den Reichsratsprotokollen liegen Conclusen und Mainzer
[p. LXXIX]
[scan. 79]
Visiten-Protokolle. Die
sessiones sind nur sporadisch durchgezählt (1645 XII 23:
sessio 12, 1646 I 24- II 10: sessio 15–18); da häufig nur (Wochen-) Tag und Monat als Datum über die Sitzung geschrieben worden sind, sind Protokolle falsch einge-ordnet worden (so 1646 III 21, Rs
Fasz.
20): Die chronologische Reihung zeigt wie in den Faszikeln 9, 11 und 12 Verwerfungen, manche Sitzungsprotokolle sind aus-einandergerissen, die Fortsetzungen tauchen am unrechten Ort in anderen Faszikeln auf (so 1645 VIII 31, IX 2 in
Fasz.
9, 11, 12, 1645 XI 4 in
Fasz.
11 und 12) oder sind verschwunden, so daß manche Sitzungen nur bruchstückhaft durch die kur-mainzische Überlieferung belegt sind (1645 IX 20, 21, X 15, 21, 1646 II 21, IV 10, 1647 I 21, 31, II 16, V 6, VI 1). Da das Fehlen von Protokollen oder Protokoll-Stücken bereits von den zeitgenössischen Registratoren der kurmainzischen Kanzlei bemerkt worden ist
Rechts unten auf der letzten Seite von Fragmenten häufig der Vermerk: Deest continuatio,
obwohl die Fortsetzung in anderen Faszikeln vorhanden sein kann (1645 IX 2, XI 4);
MEA
FrA
Fasz.
21 nr. 52:
Protocolla de anno 1647. 5. Decembris. Priora desunt.
, wird die Zersplitterung der Protokoll-Ablage auf die Teilung der kurmainzischen Gesandtschaft am Kongreß zurückgehen. Obwohl Rai-gersperger seine Kollegen in Osnabrück mit Kurfürstenratsprotokollen nur spärlich bedachte, führte die Aufrechterhaltung zweier Geschäftsstellen doch auch zu einer Aufteilung der ohnehin wenigen Kanzleikräfte. Es kam hinzu, daß die kurmainzi-schen Kanzler Raigersperger und Meel einzelne Protokolle den Akten entnahmen, was ihnen bei dem ungebundenen Zustand der losen Lagen leicht fiel
Entsprechende Kanzleivermerke in
MEA
CorrA
Fasz.
7,
MEA
FrA
Fasz.
21:
NB den 42ten sexternen hatt h. Meel den 29ten Jan. 1653 empfangen.
.
Dennoch macht die beigefügte Tabelle deutlich, daß eine fast geschlossene Reihe von Reinkonzepten der Gesandtschaftsregistratur erhalten geblieben ist. Sie zieht sich in der chronologischen Abfolge der Sitzungen durch die Faszikel 12 (9, 11), 9, 14, wieder 9, 21 und schließlich 24 (für 1648/49). Das beste Bild bietet die Reihe in Faszikel 24 (1648), die sich von einem Protokollbuch, wie es vom Regensburger Reichstag 1640/41 vorliegt, nur durch die fehlende Bindung unterscheidet. Reste einer durchgehenden Foliierung (fol. 160–195’: 1646 III 8 bis IV 24, fol. 78–88’:
CC
1646 II 21) sind in Faszikel 14 erkennbar. Die fortlaufenden Lagen-Nummern reichen von 3/4 (in
Fasz.
12) bis 51 bzw. 55/56 (Plenum Osnabrück: unvollständig): anhand dieser Lagen-Zählung ist nachprüfbar, daß nicht nur nr. 42 durch Meel ent-nommen worden ist, sondern daß auch nr. 52, 53 und 54 (mit den sonst nur in
Kur-köln und teilweise in
Kurbayern überlieferten Sitzungen 1647 VIII 26, IX 16, IX 19, IX 25) existiert haben müssen. Beim Übergang von Faszikel 9 auf 14 springt die Lagennummer von 14 auf 25 (1646 III 3–8), obwohl zwischen dem 3. und 8. März 1646 keine Sitzungen stattgefunden haben. Sehr wahrscheinlich ist hier ein Schreibfehler (statt von 14 auf 15) unterlaufen, denn in Faszikel 14 springt die Nummer ebenfalls von 27 (29. Sitzung) auf 37/38 (30. Sitzung), dann wieder zurück auf 27 (31. Sitzung), und in der 32. Sitzung (1646 IV 24) von 27 auf 38; außerdem finden sich parallel zu den in Faszikel 14 mit der Nummer 27 bzw. 37 antreffbaren Kurfürstenratsprotokollen (1646 IV 10, 21, 24) in
Fasz.
9
CC
-Pro-
[p. LXXX]
[scan. 80]
tokolle des gleichen Zeitraums (1646 IV 18, 21) mit der Nummer 17. Möglicher-weise sind dem Kopisten hier die Nummern übersandter Reinschriften, die ebenfalls in Faszikel 14 liegen, mit den Lagenummern der Konzepte durcheinander geraten; Irrtümer waren umso eher möglich, als die Sitzungen nicht in einer festen Kladde konzipiert wurden und die Niederschriften wohl auch nicht stets in der Reihenfolge der Sitzungen chronologisch hintereinander vorgenommen wurden
Ähnliches Verfahren bei den Protokollen der Zentrumsfraktion (
Morsey S. XXI, XXX).
. Jedenfalls ergäbe sich eine auch nach den Lagenummern der Reinkonzepte geschlossene Reihe, wenn in Faszikel 14 statt von 25 (bis 27 und von 38) bis 40 von 15 bis 20 gezählt worden wäre; diese Zählung der sechs Lagen würde sich der Lücke zwischen nr. 14 (24. Sitzung 1646 III 3) und nr. 23 (40. Sitzung 1646 VIII 4) in Faszikel 9 glatter einfügen. Von den Schreiberhänden her (Veit Berninger, Johann Günther und Se-bastian Kayser) ist zwischen den Protokoll-Reinkonzepten (-Konzepten) in Fas-zikel 9, 14 und 21 eine eindeutige Kontinuität gegeben, durchweg sind auch die cha-rakteristischen Verbesserungen des kurmainzischen Kanzlers Raigersperger über die Faszikel hinweg anzutreffen.
Die vierte (bzw. bei Ausfall des Reinkonzepts dritte) Entstehungsstufe des Proto-kolls bilden die Reinschriften (
Kurmainz Rs), die von Kurmainz/Münster nach Osnabrück und an den Kurfürsten übersandt wurden. Diese Briefbeilagen wurden ebenso wie die Ausfertigungen der Briefe ganzseitig oder fast ganzseitig beschriftet, während die Protokoll-Reinkonzepte (-Konzepte) ebenso wie die Briefkonzepte der kurmainzischen Gesandten halbbrüchig beschrieben sind
Besonders deutlich an den Brief- und Protokoll-Konzepten von J. Adam Krebs (
MEA
FrA
Fasz.
9, 11, 12) und von Veit Berninger (
MEA
FrA
Fasz.
14, 24, 25,
CorrA
Fasz.
26 [4]).
und im Unterschied zur Querfaltung der Briefausfertigungen und Protokoll-Reinschriften eine Mittellängs-faltung tragen. Auf der Rückseite der Reinschriften übersandter Sitzungsprotokolle, die auch von besserer Papierqualität sind, finden sich
ad litteras-Vermerke mit Beilagennummern
Die Nummer kann sich auf die Anzahl der jeweiligen Briefbeilagen oder aber auf die Brief-zählung beziehen, die beim „Zusammenregistrieren“ der Briefe in den Correspondenz- und Frie-densakten eingeführt worden ist.
. In der kurmainzischen Kanzleisprache wurden diese Reinschriften mit Bezug auf das Originalprotokoll
abschrifften
MEA
Corr A
Fasz.
14 [1] nr. 45. Siehe unten S. LXXXI Anm 3.
oder Kopien genannt; auch war analog der Ausfertigung der Briefe von einer
mundirung
Für die kurmainzischen Akten siehe oben S. LXXII Anm. 6 und Kurmainz/Osnabrück an Kf. Anselm Casimir, 1645 VII 20 (
MEA
FrA
Fasz.
7 [4] nr. 121):
mundirung
des Protokolls vor ietzt ablauffender post
unterbleibt wegen vorgefallener verhindernußen;
für die kur-trierischen Akten Kurtrier/Münster an Kf. Philipp Christoph, 1646 V 11 (
MEA
CorrA
Fasz.
12 [2] fol. 37’,
ebd.
fol. 40): Man läßt das geführte prothocollum außfertigen
und ad mundum
bringen, versetzt es so in statum transmittendi (
ebd.
fol. 263’, ebenso fol. 68’, 123’, 230, 241’).
der zu übersendenden Protokolle die Rede. Der Terminus „Reinschrift“ ist aber vorzuziehen, weil auch ein übersandtes Protokoll gegenüber dem Mundum des Briefs ein eigenständiges Schriftgut bleibt und der Ausdruck „Abschrift“ zu unscharf ist; er wird in der Edition den weder als Konzept noch als übersandte Reinschrift einzustufenden, meist
[p. LXXXI]
[scan. 81]
in einem Zuge gefertigten Protokoll-Kopien vorbehalten. Die Bezeichnung Mundum trifft auch deshalb nicht zu, weil übersandte Reinschriften keineswegs wie Brief-Originale inhaltliche und formale Endstufe zugleich sind; vielmehr konnte einer Pro-tokoll-Reinschrift auch ein unverbessertes Konzept zugrunde gelegt werden, wenn die Zeit drängte und das Protokoll-Konzept noch nicht durchgesehen war
So Rs Fr A
Fasz.
15 (1646 III 8); zuzeiten konnte das
prothocoll [...] wegen geschwind ablauffender post
überhaupt nit copirt werden
(Kurmainz/Osnabrück an Kf. Johann Philipp, 1647 XII 5,
MEA
Corr A
Fasz.
24 [1]).
. Häufig wurden auch gar keine vollständigen Reinschriften zur Übersendung angefertigt
MEA
FrA
Fasz.
14, 15, 17, 20 (1646 VIII 23, 28, 1647 I 1, 1647 V 22 [25], VI 1, VIII 26).
. Der aus-drücklichen kurfürstlichen Anweisung, Sitzungsprotokolle zu halten und
ohnfehlbar zu überschicken
Kf. Anselm Casimir an Kurmainz/Osnabrück, Frankfurt 1645 VII 19 (
MEA
CorrA
Fasz.
14 [1] nr. 45), ebenso die kurmainzische Instruktion.
, wurde in vielen Fällen dadurch Genüge geleistet, daß nur ein rein-schriftlicher Protokoll-Extrakt, der Proposition und Conclusum enthielt, zur Ver-sendung kam
Kurfürstliche Kritik an der kurmainzischen Proposition (allerdings war ein ausführliches Proto-koll übersandt worden) in: Kf. Johann Philipp an Raigersperger, Aschaffenburg 1648 IX 19 (
MEA
CorrA
Fasz.
16
[5]).
; denn das Original befand sich ohnehin bei der Gesandtschaft. Der gut ausgebildeten formalen Seite der Protokoll-„Ausfertigung“ – Schönschrift ohne Korrekturen und Auflösung aller Abkürzungen – entsprach also weder für die einzelnen Sitzungen noch für die Gesamtheit der Sitzungen, über den Zeitraum von 1645 bis 1649, inhaltliche Vollständigkeit.
Da gemäß der Aufteilung des Mainzer Erzkanzlerarchivs in Friedens- (33 Bände) und Correspondenzakten (28 Bände) die Protokolle
zusammenregistrirt
Nota Bene auf dem Deckblatt von
MEA
CorrA
Fasz.
11 Bd. 2 (Korrespondenz des Kurfürsten mit seinen Gesandten in Münster 1645 XII 25 – 1646 VI 30).
und unter den Verhandlungsakten in den Friedensakten abgelegt worden sind, waren lange Reihenreinschriftlicher Kurfürstenratsprotokolle in den Correspondenzakten nicht zu erwarten. Dem entspricht der Befund. Die Aufteilung ist zwar nicht konsequent durchgeführt worden, und Teile der Korrespondenzen der kurmainzischen Gesandten mit dem Kurfürsten und der kurmainzischen Gesandten untereinander sind in die Friedensakten gekommen
Sowohl aus den Gesandtschaftsregistraturen in Münster und Osnabrück (Konzepte der Gesandten, Ausfertigungen des Kurfürsten) als auch aus der kurmainzischen Kanzleiregistratur in Frankfurt, Aschaffenburg und Würzburg (
MEA
FrA
Fasz.
7, 8, 11, 13, 18 [D], 19, 20, 21, 23, 30
[1], 32, 33).
, doch finden sich in den Correspondenzakten Protokoll-Reinschriften aus dem Kurfürstenrat nur spärlich (so in
MEA
CorrA
Fasz.
18, 22). Was die Registratoren nicht aussortiert haben, wird im Geschäftsgang, bei Besprechungen im Geheimen Rat usw., verlorengegangen sein. Das Ergebnis der Ordnungsbemühungen ist, daß übersandte Protokoll-Reinschriften von Visiten, aus dem Corpus Catholicorum und aus dem Kurfürstenrat bei den Reinkonzepten in Faszikel 14, 21, 24 liegen, allerdings von diesen büschelweise gesondert. Vereinzelt finden sich übersandte Reinschriften auch in der Reihe der Reinkonzepte (
Fasz.
14)
[p. LXXXII]
[scan. 82]
und in den Faszikeln 13 [2], 15, 16. Ein Büschel von Reinschriften aus dem Jahr 1648, vermischt mit Conclusen und Re- und Correlationen, ist in Faszikel 22 abgelegt. Die übersandten Protokoll-Reinschriften aus dem Kurfürstenrat sind im Ansatz chronologisch geordnet; jedenfalls aber tragen sie Spuren kanzleimäßiger Bear-beitung wie Randrubriken und Inhaltsangaben.
Am kurmainzischen Protokoll haben mitgewirkt: zunächst – sieht man von Rai-gerspergers Direktorialnotizen ab
– der kurmainzische Subdelegierte Dr. Johann Adam Krebs aus Mainz, von dem mehrere Konzepte stammen
Von Re- und Correlationen und kurmainzischen Voten in
MEA
CorrA
Fasz.
26 [2]; vgl. Angaben in den Kopfregesten. – J. Adam Krebs hatte in Freiburg und Heidelberg studiert (
Mayer, Matrikel der Univ. Freiburg I S. 857); er trat Ende 1647 in salzburgische Dienste ein (
Widmann S. 297).
, der Hofratssekretär (bis 17. Januar 1646 Hofratsprotokollist) Veit Berninger aus Aschaffen-burg
Er hat Konzepte der Relationen aus Münster (
MEA
Corr A
Fasz.
25 [4], 26 [4] und den größten Teil der Reinkonzepte in
FrA
Fasz.
9, 14, 24, 25 aufgesetzt. Berninger ging mit Raigersperger 1647 nach Osnabrück und durfte dort vom Wein der Gesandten kosten, während die übrigen Kanzlisten mit Bier vorliebnehmen mußten (
MEA
CorrA
Fasz.
26 [2], vgl.
MEA
CorrA
Fasz.
11 [1] nr. b/31,33).
, der Hofratsprotokollist (bis 17. Januar 1646 Kanzlist) Johann Günther aus Aschaffenburg, der sich durch Erfahrung, Fleiß und Anstelligkeit auszeichnete
Nach dem Zeugnis der Gesandten Cratz und Raigersperger (
MEA
CorrA
Fasz.
11 [1] nr. b/31,32).
, sowie die Kanzlisten Johann Heinrich Beck aus Miltenberg, der Ende 1646 in Osnabrück starb, dessen Nachfolger in Osnabrück Sebastian Kayser, ebenfalls ein bereits erfah-rener Protokollist
Er hatte auf dem Regensburger Kurfürstentag von 1636/37 Protokoll geführt (
MEA
CorrA
Fasz.
24 [1], 26 [2], 25 [6]: 6. Session 1637 I 3).
, Wendel Cron aus Höchst, der hauptsächlich die Relationen der Gesandten an den Kurfürsten geschrieben und selbst ein kleines Reisetagebuch geführt hat
Von ihm stammen die Protokolle der Vorkonferenzen 1645 V 26, 27. Er hatte bereits bei den Wiener Traktaten über die pfälzische Restitution Protokoll geführt (
MEA
FrA
Fasz.
5 fol. 145ff., sein Diarium:
MEA
CorrA
Fasz.
7 b [3]).
, sowie Christoph Heyl
August 1648 in Osnabrück. Einmal wird von der Anreise des cammer-
und rechenschreibers
Groß berichtet (
MEA
CorrA
Fasz.
10
[1],
Brömser an Cratz/J. Adam Krebs, Osnabrück 1645 IX 7).
.
Die Aufzeichnungen der einzelnen Protokollanten können je nach Individualität verschieden sein: Beck schreibt undifferenzierter mit als Berninger und J. Adam Krebs; das Protokoll, das unter der Aufsicht Raigerspergers erstellt worden ist, ist knapper, aber auch konziser als das von J. Adam Krebs betreute. Krebs hat als ehemaliger Sekretär überhaupt mit peinlicher Genauigkeit, die sicherlich auch von diplomatischer Unsicherheit zeugt, ein relativ unpolitisches Protokoll geführt
Besonders in Fragen des Reichszeremoniells, siehe unten
[Nr. 44] .
, wäh-rend Raigersperger zu souveränem Weglassen von vermeintlich Unwichtigem neigte; 1647 treten, vor allem bei kürzeren Sitzungen, an die Stelle von ausführlichen Voten-protokollen sogar Beschlußprotokolle
In den Kopfregesten „Extrakt“ genannt, ebenso wie Auszüge aus dem Protokoll (z. B.
Kurköln zA Extrakt). Vgl. die Besprechung der einzelnen Überlieferungen.
. Aber über diese individuellen Züge hinweg
[p. LXXXIII]
[scan. 83]
kommt doch eine gemeinsame Eigentümlichkeit des kurmainzischen Protokolls zum Ausdruck: Es zeichnet die kurze Zusammenfassung der Voten der Vorstimmenden, mit der Kurmainz sein Votum nach dem Zeugnis der übrigen Protokolle zu eröffnen pflegte, nicht auf. Unterschiede zwischen der kurmainzischen und der Meinungs-äußerung der vorher votierenden Stände verschwimmen; selbst wenn die Meinung der Kurmainzer noch formell von dem Conclusum abgesetzt wird – in der Formel:
Concludierten deshalb –, so entsteht doch der Eindruck einer annähernden Iden-tität von kurmainzischem Votum und Sitzungsconclusum, es sei denn, der kurmain-zische Direktor hat Wert darauf gelegt, seine Meinung von einem mißliebigen Majoritätsbeschluß, den er nicht verhindern konnte, deutlich abzusetzen. Die Kur-brandenburger kreideten den Kurmainzern direkte Unterschlagungen bereits bei der mündlichen Verhandlungsführung an
Vgl.
Becker S. 299 Anm. 128, unten S. CVII Anm. 2, Nr. 102 S. 682.31ff., wo
Kur-mainz die uminterpretierende Wiederholung des kursächsischen Votums durch Kurmainz wegläßt.
, was sich natürlich auch im kurmainzischen Protokoll auswirken mußte. Allerdings ist hier nicht nur feindselige politische Ab-sicht zu unterstellen.
Kurmainz glättet und neutralisiert durchgehend in Wort-wahl und Ausdruckweise; drastische Redewendungen (z. B. bei der Lengericher Konferenz) werden im Protokoll abgeschwächt, schroffe Stellungnahmen erfahren eine mildernde Stilisierung, weitschweifige Argumentationsketten mit barocken Paroxys-men werden verkürzt, verlieren dadurch an Nuancenreichtum und gewinnen an Klar-heit. Hinter all dem steckt zweifellos das Bemühen des reichsamtlichen Protokoll-führers um Objektivität und geschäftsmäßige Sprache. Auch das äußere Bild verrät Sorgfalt. Die Zeichensetzung ist gut, die Rechtschreibung trotz Unterschieden zwi-schen den einzelnen Schreibern relativ regelmäßig, der gut durchgebildete Satzbau wechselt angemessen zwischen Ko- und Subordination.