Acta Pacis Westphalicae III A 1,1 : Die Beratungen der kurfürstlichen Kurie, 1. Teil: 1645 - 1647 / Winfried Becker
1. Die Überlieferung: Allgemeines Die in diesem Band edierten Konferenzprotokolle der kurfürstlichen Kurie umfassen den Zeitraum vom 25. Februar 1645 bis zum 25. September 1647. Dabei handelt es sich nicht um eine kontinuierliche Beratungsphase, wie sie sich in den späteren Verhandlungen abzeichnet, die vom 6. Mai 1648 bis zum 9. Juni 1649 in Osnabrück über unerfüllte schwedische und französische Friedensforderungen geführt worden sind. Die Fixierung des Zeitraumes dieser vorliegenden Publikation bedarf daher der Begründung, wobei zunächst zu entscheiden war, bei welchem Zeitpunkt die Edition einsetzen sollte, um die Teilhabe der Kurfürsten am beginnenden Kongreßgeschehen zureichend zu dokumentieren. Denn die Beratungen der kurfürstlichen Gesandten begannen nicht gleichzeitig mit den Beratungen der Fürsten- und Städtekurie nach einer feierlichen kaiserlichen Proposition, wie sonst auf Reichstagen im Prinzip üblich. Die in Münster und Osnabrück anwesenden kurfürstlichen Gesandten traten erstmals in dem westfälischen Dorf Lengerich, das zwischen den beiden Kongreßorten liegt, als förmlicher Kurfürstenrat zusammen (10. bis 11. Juli 1645)

In seinen handschriftlichen Corrigenda in dem prothocollo der Lengericher conferenz den 10 ten July entscheidet der kurmainzische Gesandte Brömser, diese Konferenz – wie den eigent-lichen Kurfürstenrat – per sessiones zu distinguiren ( MEA FrA Fasz. 12).
. Die eigent-lichen Sitzungen der kurfürstlichen Kurie – fast zeit gleich mit den Sitzungen des Fürstenrats in Münster – setzten aber erst über einen Monat später, am 31. August, ein, nachdem zwei Tage zuvor der kaiserliche Gesandte in Münster, Isaak Volmar, der Versammlung der kurfürstlichen und fürstlichen Stände aufgetragen hatte, die Beratungsweise der Reichsstände am Kongreß zu erörtern. Vorher hatten aber schon, abgesehen von den drei Sitzungen der Lengericher Konferenz, 35 Vorkonferenzen der kurfürstlichen Gesandten in Münster und Osnabrück stattgefunden, an denen meist die kaiserlichen Gesandten ebenfalls teilgenommen hatten. Dies entsprach dem Ham-burger Präliminarvertrag von 1641, in dem vorgesehen worden war, daß den Frie-densverhandlungen des Kaisers mit den Franzosen Kurköln und Kurbrandenburg, des Kaisers mit Schweden aber Kurmainz und Kurbrandenburg beiwohnen sollten. Die Konferenzen dieser kurfürstlichen Deputierten, denen sich Kurbayern bereits im Februar 1645 (in Münster) hinzugesellte, begannen am 25. Februar 1645 in Mün-ster und am 17. Mai 1645 in Osnabrück. Da die Kurfürsten hier in Wahrnehmung ihrer Prärogative, ihres Mitspracherechts in Dingen der Reichsaußenpolitik, handelten, erschien es notwendig, diese Konferenzen in die Edition mit aufzunehmen. Seitens der

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Reichsstände begann der Westfälische Friedenskongreß praktisch also mit einem auf zwei Orte verteilten Kurfürstentag. Allerdings waren – anders als im Regelfall dieser Art von Reichsversammlung – die kurfürstlichen Gesandten angesichts der aus-wärtigen Mächte nicht die ausschlaggebenden Tagungsteilnehmer; das Kollegium war nicht vollständig; und die Konferenzen fanden meist im Beisein der kaiserlichen Gesandten statt.
Nicht aufgenommen wurden in unsere Publikation die zweiseitigen Besprechungen, die während der Besuche, der sogenannten Visiten eines kurfürstlichen Standes bei einem anderen, stattfanden. Gemäß dem zeitgenössischen Rechtssatz, daß zwei Teilnehmer kein Kollegium bilden, wurden also nicht die zahlreichen Kontakte und Gespräche der Kurbrandenburger mit den Kurmainzern in Osnabrück berücksichtigt, sondern nur die gemeinsamen Assistenzberatungen beider Kurstände mit den kaiserlichen Gesan-dten Lamberg und Krane. In diesen gemeinsamen kurfürstlich-kaiserlichen Kon-ferenzen werden wesentliche Züge der kurfürstlichen Aktivitäten im Vorfeld des Kongresses sichtbar. Die Kurfürstlichen nahmen hier eine intime Ratgeberstellung gegenüber den Kaiserlichen ein. Die Situation ähnelte in etwa derjenigen „im Kabi-nett“, nur daß der Kaiser nicht persönlich anwesend war und daß die kaiserlichen Gesandten in den Monaten bis zum Eintreffen Trauttmansdorffs (29. November 1645) nicht voll verhandlungsfähig waren. Die Bedeutung dieser Vorkonferenzen braucht nicht erst nachträglich vom Historiker festgestellt zu werden, sie war bereits den Handelnden bewußt: Anläßlich der Übergabe der kaiserlichen Proposition am 25. September 1645 wurden übergroße Feierlichkeiten im Kurfürstenrat abgelehnt, um nicht den Eindruck entstehen zu lassen, als hätten bis zu diesem Zeitpunkt noch keine Beratungen stattgefunden

Siehe unten [Nr. 43] S. 283 (1645 IX 18).
. Sachlich ist die Einbeziehung dieser Vorkonferen-zen in die Edition von Kurfürstenratsprotokollen also durchaus geboten.
Von den Quellen her gesehen ist dagegen diese Einbeziehung keineswegs unproble-matisch. Für die Konferenzen liegen nämlich nicht, wie vom 10. zum 11. Juli 1645 und ab 31. bzw. 29. August 1645, geschlossene Reihen von Protokollen vor, sondern es mußte, um einen Text zu konstituieren, auf protokollartige Schilderungen in den Diarien (Gesandtschaftstagebüchern) und Relationen sowie auf Protokollextrakte der kaiserlichen Gesandten zurückgegriffen werden. Dazu wurden herangezogen das Diarium Wartenberg (Kurköln), das Diarium der kurbayerischen Gesandt-schaft, das Diarium Löben (Kurbrandenburg), kurmainzische Relationen aus Münster und Osnabrück an den Kurfürsten und Protokolle der kaiserlichen Gesan-dten Krane und Volmar (letztere sind teilweise in den älteren Quellenwerken von A. Cortrejus , C. W. Gärtner und J. G. Meiern bereits gedruckt worden). Das Diarium Wartenberg, so genannt nach dem kurkölnischen Hauptgesandten Franz Wilhelm von Wartenberg, ist eigentlich ein Diarium der kurkölnischen Ge-sandtschaft über die Münsterischen Friedensverhandlungen 1644–1648

HStA Düsseldorf, Kurköln VI (Reichshandlungen 1638–1649) 239–251 Bd. I-XIII und ein Beiband (Publikation in den APW durch Dr. J. Förster, der auch eine aktenkundliche Beschreibung des Diariums liefern wird, in Vorbereitung).
: In den

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ersten vier Bänden, die hier benutzt worden sind, tritt der Geschäftsanteil Warten-bergs stark in den Vordergrund; auch wird Wartenberg anders tituliert als die übrigen kurkölnischen Gesandten

Durchgängig Ihre Hochfürstliche Gnaden, bezogen auf seine Herkunft und seine reichsrecht-liche Stellung.
. Das Diarium enthält in der Hauptsache sehr detailliert aufgezeichnete Gespräche, die Wartenberg mit den Kongreßgesandten bei den Visiten geführt hat. In diesen zahlreichen Niederschriften sind – wie auch in den anderen Diarien – die Ausführungen beider Seiten gewissenhaft geschildert. Ähnlich wie bei den Visitenprotokollen wurden auch in die Diariums-Niederschrif-ten über die kurfürstlichen Vorkonferenzen die einzelnen Äußerungen der Teilnehmer in chronologischer Reihenfolge aufgenommen. Als Protokollant der Vorkonferenzen fun-gierte unter anderen der kurkölnische Sekretär Matthias Lintz. Die Zusammenkünfte der kurfürstlichen Gesandten untereinander und die kaiserlich-kurfürstlichen Assistenz-beratungen wurden im Diarium Wartenberg wohl auch deshalb so ausführlich protokolliert, weil Wartenberg in Münster vor dem Zusammentritt des vollständigen Kurkollegs eine direktoriale Stellung beanspruchte: So lieh sich der kurmainzische Gesandte Brömser von dem kurkölnischen Sekretär Gesprächsaufzeichnungen aus

Vgl. Brömser/Osnabrück an Kf. Anselm Casimir, 1645 V 4 ( MEA FrA Fasz. 7 [4] nr. 23): Da mir nicht moglich geweßen, alles dasjenige, waß in 2½ stundt geredet worden, memoriter zu behalten [...] habe ich copiam prothocolli [...] gebetten (Konferenz zwischen Kurmainz und Kurköln, Wartenberg, von der Recke, Landsberg, vom 3. Mai 1645).
, obwohl es doch zu den Vorrechten des Kurmainzers gehörte, auf Reichstagen authen-tisch zu protokollieren

Siehe unten [S. LXXVI] .
. Dies ist ein wichtiges Zeugnis für die Gründlichkeit der kur-kölnischen Mitschrift, die in unserer Edition zur Textgrundlage für die kurfürstlichen Vorkonferenzen in Münster gemacht wurde; nur in Ausnahmefällen wurde die kur-bayerische oder kurmainzische Parallelüberlieferung vorgezogen.
Seit dem 10. Juli 1645, der ersten Sitzung der Lengericher Konferenz, unterscheiden sich die Protokolle im Diarium Wartenberg äußerlich nicht mehr von den seit 29. August 1645 gesondert abgelegten kurkölnischen Kurfürstenratsprotokollen: Der Beginn und das Ende der Einzelvorträge im Kolleg werden nicht mehr, wie vorher, formlos und frei angekündigt und umschrieben, sondern der Einsatz der einzelnen Voten ist durch Absatz im fortlaufenden Text gekennzeichnet. Die Votanten werden gleichmäßig benannt ( Churcöllnische, Churbaierische) und durch eine in Zeilen-mitte oder marginal gesetzte Überschrift hervorgehoben

Siehe unten [Nr. 26] S. 159ff.
. Den einzigen Unterschied zu den Kurfürstenratsprotokollen kurkölnischer Provenienz seit 29. August bildet die Form der Ablage. Vom 10. Juli bis zum 29. August blieben die Protokolle der kur-fürstlichen Sitzungen in die chronologisch aneinandergereihten Aufzeichnungen von anderen Ereignissen und Gesprächen eingegliedert und wurden mit diesen im Diarium geheftet und gebunden; erst danach erfolgte eine eigene Ablage des bei den Kurfürsten-ratssitzungen produzierten Schriftguts in der zeitlichen Reihenfolge der Sitzungen

1645 VIII 29 setzen die Protokollreiben kurkölnischer Provenienz ein (Verweis in der über-sandten Reinschrift des DWartenberg 1646 III 26 auf Session in Fürstenrat und Kurfürsten-rat vermog protocolß, das im Diarium selbst nicht mehr vorhanden ist, HStA München Abtlg. II, Kasten schwarz 2232: Oßnabruckische correspondenz 1646). Trennung der Pro-tokolle von den Diarium-Eintragungen auch in den kurmainzischen Akten bezeugt durch den Kanzleivermerk: NB protocolla et diariae [!] seind separiret ( MEA CorrA Fasz. 19 [2]).
.

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Demnach kann die formale Einverleibung von kurfürstlichen Vorkonferenzproto-kollen in das Diarium kein sachlicher Grund für ihre Ausscheidung aus der Edition der Kurfürstenratsprotokolle sein, in der auch die historisch bedingten Vorstufen der förmlichen, reichsgesetzlichen Kollegialberatung erfaßt werden müssen. Außerdem wurden das Diarium und die davon getrennte Protokollreihe im Geschäftsgang ganz ähnlich verwendet: Teile des Diariums, vor allem Aufzeichnungen über wichtige Gespräche, sind von Wartenberg ebenso wie später die kurkölnischen Protokolle des Kurfürstenrats, des Fürstenrats und des Corpus Catholicorum als Brief-Beilagen (u. a. an den Kurfürsten von Bayern) versandt worden

Siehe vor allem Tom. 1 und 2 der Münsterischen collegialtagsacta von der generalfridens-tractation, bestehend aus kurfürstlichen bevelchen und nach München erstatteten berichten in praeliminaribus 1644 XII 18 – 1645 VIII 23 ( HStA München, Abtlg. II: Geh. Staats-archiv, Kasten schwarz 7641 fol. 149’, 341f.; Wartenbergs Berichte wurden teilweise von Kf. Maximilian wieder den auf der Anreise nach Münster befindlichen bayerischen Gesandten zuge-schickt. Wartenberg versandte zusätzlich zu seinen Auszügen aus dem Diarium abschriftlich Briefe u. a. Beilagen zum Diarium). In der Oßnabruckischen correspondenz 1645 VII 5 – 1645 XII 29 zwischen Wartenberg und dem Kurfürsten von Bayern sind die Protokolle der kur-fürstlichen Vorkonferenzen bis 12. August 1645 als abschriftlich übersandte Auszüge aus dem DWartenberg, vom 31. August an als Abschriften von Kurfürstenratsprotokollen kurköl-nischer Provenienz (1645 VIII 31, IX 2, IX 18, IX 20, IX 21, IX 28, X 5, X 15 und 1645 VII 10, 11) enthalten (Kasten schwarz 2231).
. Die Diarien galten aber eigentlich wie die Protokolle als internes Material.
Auch im Diarium der kurbayerischen Gesandtschaft ist nur für die ersten Vorkon-ferenzen die Form der Protokolle von der der späteren kurbayerischen Kurfürsten-ratsprotokolle verschieden. Auch hier sind ab 19. Juli 1645, der ersten Zusammen-kunft nach der Lengericher Konferenz, deren Protokolle in Kurbayern allerdings ablagemäßig bereits der eigentlichen Protokollserie zugehören, Voten aufgeführt

DKurbayern K II p. 300–314.
. Das Diarium Kurbayern liegt in zwei Überlieferungen vor. Das Original im Hauptstaatsarchiv München umfaßt drei Bände

HStA München, Abtlg. II Kasten schwarz 7666 (1645 II 21 – 1645 VI 18), 7667 (1645 VI 18 – 1645 X 29), 7668 (1645 X 30 – 1646 IV 29), hier benutzt: 7666, 7667.
. Es ist in der Weise der baye-rischen Relations-Konzepte halbbrüchig von Kanzleihand, aber auch von den Gesan-dten Haslang und J. Adolf Krebs geschrieben und diente der Gesandtschaft am Kon-greßort als Unterlage. Die Einträge reichen vom 21. Februar 1645, dem Vortag des Einzugs der kurbayerischen Gesandtschaft in Münster, bis zum 29. April 1646. Das Diarium ist bis Ende des dritten Bandes (1646 IV 29) in 60 Relationen eingeteilt. Vergleicht man die bericht der kurbayerischen Kongreßgesandten

Kasten schwarz 7641f., 7646ff.
mit den Einträgen in das Diarium, so zeigt sich, daß bericht und Diarium keineswegs identisch sind; vielmehr werden im Diarium nur Hinweise darauf gegeben, welchen Relationen die sonst zeitlich fortlaufenden Eintragungen ins Diarium jeweils einzu-fügen oder abschriftlich beizuschließen waren. Das Diarium, das ebenso wie die bericht der kurbayerischen Gesandten und wie die kurbayerischen Kurfürstenrats-protokolle in Konzeptform vorliegt, ist nichts anderes als die fortlaufend geführte Vorlage für die bis 29. April 1646 übersandten Beilagen und der Stoff für die Rela-tionen. Falls alles Wichtige, d. h. auch die Gesprächsaufzeichnungen, in die bericht hineingeschrieben wurde, kamen weder Beilage noch Diarium zustande; das Diarium enthält in solchen Fällen nur eine dies kurz mitteilende Notiz unter dem entsprechen-den Tagesdatum

So zur 29. Relation (1645 IX 8): ist kein absonderlich protocoll, sonder die ganze ver-richtung in zwey bericht überschrieben nach München geschickht worden (Kasten schwarz 7667 fol. 597); bei der 30. ordinari wurde außer den berichten nur das Ratsprotokoll expediert ( ebd.).
. Die Depeschen der kurbayerischen Gesandten bestanden zumindest bis Anfang Mai 1646 aus zwei Komponenten, deren Konzeptstufe in Kasten schwarz ( Geheimes Staatsarchiv München) vorhanden ist: aus den eigentlichen Rela-tionen, den bericht, und aus den nebenlagen

Kasten schwarz 7663 fol. 109.
oder Beilagen; dazu gehören die gesondert gebundenen und verzeichneten Konzepte der als Beilagen übersandten Reichs-ratsprotokolle (Kurfürstenrat, Fürstenrat, Corpus Catholicorum). Das nach Rela-tionen unterteilte Diarium und die Berichte selbst stellen also zwei verschiedene Über-lieferungsweisen des Kongreß-Geschehens dar: Während die Berichte kommentieren und werten, bieten das Diarium und in seiner (Teil-)Fortsetzung die Kurfürstenrats-protokolle sozusagen das objektive Material, die neutrale Schilderung wichtiger Be-sprechungen und Konferenzen. Diese mit viel Schreibarbeit verbundene Sonderung des Schriftguts, die zu Beginn des Kongresses, möglicherweise unter dem Eindruck von Wartenbergs ausführlicher Berichterstattung, vorgenommen wurde, ist später aufge-geben worden. Besonders in der Schlußperiode des Kongresses haben die kurbayerischen Gesandten in der Regel die Protokolle aus dem Kurfürstenrat, aus dem Fürstenrat und aus den Plenar- und Ausschußsitzungen in ihre Relationen, die dadurch einen beträchtlichen Umfang gewannen, eingearbeitet

Vgl. Münsterische collegialtagsacta 1648 III 5 – 1648 VIII 31 (und ff.), Relationen von 1648 V 14 und V 11, wo die eingearbeiteten Kurfürstenratsprotokolle nach Voten (V 14, Kasten schwarz 7657 fol. 173’-176’) oder nach Sachgesichtspunkten (V 11, ebd. fol. 157–159) gegliedert sind (ebenso Kasten schwarz 7661 fol. 354’-357’).
. Für die Aufnahme der entsprechenden Teile des Diariums in unsere Protokolledition spricht übrigens auch, daß die Kon-ferenz-Aufzeichnungen von den Gesandten im Diarium und vom Kurfürsten in seinen Reskripten prothocollum genannt werden

In Kasten schwarz 7667 fol. 599 (über die Eintragungen 1645 I X 22–28), Kf. Maximilian an Haslang, München 1645 X 11 (Kasten schwarz 7643 fol. 109).
.
Die zweite Überlieferung des Diariums ist eine späte Abschrift. Sie befindet sich in der dritten Serie des Fonds Dreißigjähriger Krieg, einem Mischbestand kurbaye-rischer Provenienz

Vgl. Minerva- Handbücher Archive ( 2 1974) S. 664, 666f.
in der Abteilung I (Allgemeines Staatsarchiv) des Bayeri-schen Hauptstaatsarchivs München. Der Aktenbestand der Serie umfaßt 16 Tomi mit Relationen/Reskripten und Protokollen, die aus den Original-Akten der kurbayerischen Registratur von Friedenskongreß 1644–1649 (heute im Geheimen

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Staatsarchiv ) direkt oder auf Umwegen abgeschrieben worden sind. Nach dem Schriftbild zu urteilen, erfolgten die Abschriften nicht vor 1750; andererseits ist aus dem Ex-Libris und aus den von Joseph Samet beschriebenen Deckblättern zu erschlies-sen, daß die Serie zwischen 1803 und 1806 im Geheimen Landesarchiv, dem Vorläu-fer der heutigen Abteilung I des Hauptstaatsarchivs, das vor allem Dokumente über die innere Geschichte des Landes aufnahm, gebunden worden ist

Freundliche Auskunft von Dr. Schwertl und Dr. Busley vom HStA München, Abtlg. I: Allgemeines Staatsarchiv. Ex-Libris auf der Rückseite der Einbanddeckel: grave par Kranz-mayr á Munic 1803.
.
Die Vorlagen dieser späten Abschrift des kurbayerischen Gesandtschaftsdiariums waren eindeutig die heute im Geheimen Staatsarchiv befindlichen, in Münster geschriebenen Konzepte bzw. Originale des Diariums. Dies geht aus den Ex-Archivo-Vermerken, in denen die Bandzahl und die alte Signatur des Originals angegeben sind, hervor

Diarium der churbairischen Gesandschaft bey den Reichsfriedensunterhandlungen zu Münster, Tom. II (1645 II 21 – 1645 VI 25) p. 5 Randrubrik Ex archivo et autographo Münst. Diariorum Pars I mit Bleistiftzusatz K schw 325/12, ebd. p. 769 Hinweis auf Münzer. [!] Diarium Tom. 2 fol. 1.
; auch sind die Abschriften nach dem Vorbild des Originals in drei Teile gebunden

Diarium (= DKurbayern spA) Tom. II ursprünglich Bd. 1 des Original-Diariums (= DKurbayern K) in Kasten schwarz 7666; Diarium Tom. XV ursprünglich Bd. 2, 7667; Dia-rium Tom. IV ursprünglich Bd. 3, 7668.
. Trotz durchgängiger Kollation

Entsprechender Vermerk Diarium Tom. II p. 769.
wurde die Kopie recht mechanisch ange-fertigt: Lesefehler und falsche Auflösung von Abkürzungen sind nicht selten; die in den Band-Überschriften angegebenen zeitlichen Grenzen stimmen nicht stets mit dem Inhalt überein

So Tom. XV (1645 VI 28 – 1645 X 29), II (1645 II 21 – 1645 VI 26).
; die Bände springen vom zweiten

Tom. I des Diariums (1644 XII 1 – 1645 II 8) im Fonds Dreißigjähriger Krieg enthält die Abschriften der nach München übersandten Auszüge aus dem DWartenberg, die in die Münsterischen Collegialtagsacta Tom. 1 (Kasten schwarz 7641) eingeordnet worden waren. – In der Edition sind verwendet Tom. II und XV des Diariums (=DKurbayern spA I, II).
auf den 15. und zurück auf den vierten. Für unsere Edition sind jeweils die ersten beiden Bände der Konzeptstufe (K I, II) und der späten Abschrift (spA I, II) des Diariums benutzt worden.
Für die kurfürstlichen Vorkonferenzen in Osnabrück wurde der erste Teil des Dia-riums Löben herangezogen, das gleichzeitig ein Geschäftstagebuch der kurbran-denburgischen Gesandtschaft in Osnabrück ist

Diarium Löben, 1. Teil (1645 III 12 – 1645 XI 1 st. v.) fol. 1–185 ( Deutsches Zentral-archiv Merseburg, Historische Abteilung II, Rep. 12 nr. 139 a). Das Diarium umfaßt ins-gesamt 7 Teile (Rep. 12 nr. 139 a – g) und reicht bis Februar 1648.
. Es besteht ebenfalls zum größten Teil aus Aufzeichnungen über zwei- und mehrseitige Gespräche und Konferenzen. Die Eintragungen im ersten und zweiten Teil stammen ausnahmslos aus der Feder des kurbrandenburgischen Gesandten von Löben – später ist das Diarium dann von dem kurfürstlichen Kammersekretär Paul Kemnitz weitergeführt worden. In seiner engen, die ganze Seite meist ohne Abschnitte bedeckenden Schrift notierte Löben, meist aus dem Gedächtnis, Wechselreden und Vorträge: Er nahm auch Wertungen vor, kommentierte, gab persönliche Eindrücke und am Rande geführte Diskurse

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wieder. Das Diarium Löben trägt damit einen persönlicheren Charakter als das kurkölnische, kurbayerische und kurmainzische. Die kurbrandenburgischen Gesan-dten Löben und Fritze drangen bereits früh, am 16. Juni 1645, auf eine ordentliche, dem Kurfürstenrat angemessene offizielle Protokollierung, um die Assistenz-Beratun-gen zwischen den Kaiserlichen, Kurmainz und Kurbrandenburg in Osnabrück zum Reichsrat aufzuwerten

Siehe unten [Nr. 21] S. 135. Allerdings lag der Wunsch nach ausführlicher Protokollierung auch deshalb nahe, weil Kurbrandenburg und Kurmainz als Friedensvermittler gemeinsame Gespräche mit Schweden führen mußten. So brachten die kurbrandenburgischen Gesandten 1645 V 30 zur Visite bei den Kurmainzern, mit denen sie dann anschließend zum schwedischen Quartier auf-brachen, gleich drei Sekretäre mit ( DLöben I fol. 46).
. Daraufhin führte der kurbrandenburgische Sekretär Kem-nitz für die Sitzung am 18. Juni ein Protokoll, das er zusammen mit den späteren Kurfürstenratsprotokollen ablegte

DZA Rep. 12 nr. 131 fol. 1–12, gleich anschließend daran die Protokolle der Lengericher Kon-ferenz (siehe unten [Nr. 22] S. 135).
. Kurmainz protokollierte diese Sitzung offenbar nicht

Zeugnis von Kemnitz (siehe unten [S. 139] ). Ein kurmainzisches Protokoll der Sitzung war nicht aufzufinden.
, wahrscheinlich aus der ängstlichen Erwägung heraus, daß ein kurmainzisches Reichsprotokoll ein Präjudiz für die Entstehung eines Osnabrücker Kurfürstenrats schaffen werde. Über die ersten vier Sitzungen, von denen kurbrandenburgische Sekre-tärsprotokolle vorliegen (18. Juni, 10.-11. Juli 1645) fertigte auch Löben weiterhin Niederschriften an

DLöben I fol. 60’-62 (1645 VI 18), fol. 66’-69 (1645 VII 10, 11: Summarisches Protokoll in Form eines Referats über den Verlauf der drei Sitzungen).
. Dies stand nicht im Wiederspruch zu den kurbrandenburgischen Bemühungen, mittels förmlicher Protokollierung den kurfürstlichen Vorkonferenzen in Osnabrück einen offiziellen Anstrich zu verleihen: Löbens Protokolle konnten eine ähnliche Funktion haben wie ergänzende Notizen, die üblicherweise vom Direk-torium der Reichsräte, aber auch von einzelnen Gesandten bei oder nach den Sitzungen gemacht wurden

Vgl. auch die Mitschrift Löbens über die Unterredung mit Kursachsen 1645 II 17/27 im brandenburgisch-pommerschen Fürstenratsprotokoll aus Osnabrück ( DZA Rep. 12 nr. 133 b fol. 164), daneben das Protokoll vom Regensburger Kurfürstentag 1636/37 von der Hand des kurbrandenburgischen Gesandten Levin von dem Knesebeck ( DZA Rep. 12 nr. 103 Fasz. 2).
. Während vom Fürstenrat in Osnabrück nur die Zeit und die Reihenfolge der sessiones sowie der jeweilige Teilnehmer (für Pommern Petrus Fritze und Matthäus Wesenbeck) aufgeführt sind, gibt Löben im Diarium einen Bericht über die Re- und Corre-lation vom 26. April 1646 in Osnabrück, obwohl ein brandenburgisches Kurfürstenratsprotokoll darüber geführt wurde

Siehe unten [Nr. 85] S. 588–597 ( DZA Rep. 12 nr. 131) und DLöben II fol. 157–160’. In der Zeit zwischen dem 1. August 1645 und dem 6. Mai 1648 trat nur bei dieser Re- und Correlation (1645 IV 26) der Kurfürstenrat in Osnabrück, vertreten durch Kurmainz und Kurbranden-burg, nominell in Erscheinung.
. Löbens wenige Protokolle über die kurfürstlichen Vorkonferenzen im Diarium bewahren also gegen-über dem Stil anderer Geschäftstagebücher, aus denen Reichsratsprotokolle nahtlos hervorgehen konnten, eine gewisse Eigenständigkeit.
Von den kurfürstlichen Vorkonferenzen bis zum 29. August 1645 sind in den kur-mainzischen Akten nur wenige Protokolle und in die Relationen der Gesandten

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eingearbeitete Berichte erhalten. Nach Durchsicht der Friedens- und Correspondenz-akten im Mainzer Erzkanzlerarchiv ( Haus -, Hof - und Staatsarchiv Wien) ließen sich unselbständige, in die Gesandtenberichte aufgenommene Vorkonferenz-Protokolle

Vgl. den Begriff prothocollarrelation aus den kurtrierischen Akten (Kurtrier/Münster an Kf. Philipp Christoph, 1645 X 24, MEA CorrA Fasz. 12 [1] fol. 14).
in den Friedensakten Faszikel 7 und in den Correspondenzakten Fas-zikel 10 [1] und 19 [1], selbständige Protokolle in den Friedensakten Faszikel 7, 11, 12 nachweisen. Möglicherweise hat es noch mehr Protokolle gegeben, so für die Konferenzen, von denen keine Aufzeichnungen vorliegen, obwohl Kurmainz daran teilnahm

So für die Konferenzen von 1645 VIII 1 ( [Nr. 35] S. 217) und 1645 VIII 12 ( [Nr. 37] S. 229).
. Die überlieferten Protokolle

Reinschriften: MEA FrA Fasz. 7 [4] nr. 60, 61 (1645 V 24, 26, 27). Halbbrüchig ge-schriebene Konzepte: MEA FrA Fasz. 11, 12. Sie gleichen äußerlich ganz den von J. Adam Krebs geführten Visitenprotokollen (in MEA FrA Fasz. 12; 13,2).
enthalten Präsenzvermerke, aber keine her-vorgehobenen Voten; ihre Konzepte stammen vom kurmainzischen Gesandten J. Adam Krebs, ihre Reinschriften sind als Briefbeilagen an den Kurfürsten übersandt worden

MEA CorrA Fasz. 10 [1], 19 [1], FrA Fasz. 7 [3,4]. Die Faszikel sind unfoliiert und wurden vom Bearbeiter für den Zweck der Edition untergliedert ( [ ]), da der Hinweis auf die Nummer der Beilagen und Briefe nicht ausreichend schien.
. Ebenso wie die ausführlichen, in sich geschlossenen Konferenz-Berichte innerhalb der Relationen schildern sie den Konferenzverlauf und die Meinungsäußerungen der be-teiligten Gruppen: die Proposition der Kaiserlichen, die interne Beratung der Kur-fürstlichen, den Vortrag der kurfürstlichen Gesamtmeinung und eventuell die Erwi-derung der Kaiserlichen. Aus den Relationen wurden für unsere Edition – zur Ver-wendung als Grundtext oder als Variante – nur die Konferenzprotokolle, keine Visitenprotokolle ausgezogen; in Analogie zu den späteren eigentlichen Reichsrats-protokollen werden die Protokolle aus ausgefertigten und übersandten Relationen Reinschriften (Rs), aus Brief-Kopien zeitgenössische Abschriften (zA) genannt. Die schlechte Überlieferung der Vorkonferenzen in den kurmainzischen Akten muß über-raschen, weil der gewissenhafte kurmainzische Sekundargesandte J. Adam Krebs sonst sehr fleißig mitschrieb und nach Meinung des Kurfürsten eher zu viel als zu wenig in sein Postpaket packte

J. Adam Krebs verteidigte gegenüber dem Kurfürsten von Mainz, der Sachen des Erzstifts und Vorgänge quoad publica in Form eines summarium ex protocollo in die Relationen einge-bracht sehen wollte, die Absendung seiner zahlreichen Protokoll-Beilagen damit, daß gegen-wertige tractatus von solcher wichtigkheit, das gleichsamb auch die minutissima, zu geschweigen die importirendte sachen pillig in das protocoll gebracht werden müßen (Brömser/Krebs an Kf. Anselm Casimir, Osnabrück 1647 III 14, MEA CorrA Fasz. 17 nr. 43).
. Hier mögen das relativ späte Eintreffen der kur-mainzischen Gesandten, ihre anfängliche Desorientiertheit, ihre Zurückhaltung gegen-über der Einleitung formeller Reichsberatungen in Osnabrück und die Menge der Schreibarbeit

Vgl. Cratz/J. Adam Krebs an Kf. Anselm Casimir, Münster 1645 IX 29: mir Dr. Krebsen [...] zu ausfertigung der protocollen fast keine stundt übrig ( MEA Corr A Fasz. 19,1 nr. c/56). Im Juni 1645 konnte Kurmainz/Osnabrück zur haltung des protocolls nur auf zwei Kanzlisten (wahrscheinlich Wendel Cron und Hans Henrich Beck) zurückgreifen ( MEA CorrA Fasz. 16 [2] nr. 39).
eine Rolle gespielt haben.

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Die Protokolle aus der Registratur der kaiserlichen Gesandten mußten für die eigentlichen Assistenzberatungen der Vollständigkeit halber mit herangezogen werden. Die wichtigste Quelle ist hier das Diarium des in Münster akkreditierten kaiserlichen Sekundargesandten Isaak Volmar, der neben Trauttmansdorff, aber länger als dieser, den Geschäftsverkehr mit den Reichsständen besorgt hat. Sein Diarium ist ein nüchternes Geschäftstagebuch mit genauem Verzeichnis der Ein- und Ausläufe und mit Protokollen der geführten Besprechungen. Die Aufzeichnungen über die kur-fürstlich-kaiserlichen Vorkonferenzen reichen vom ausfüeherlichen prothocoll

Ks. Ferdinand III. an Volmar, 1645 V 30 ( RK FrA Fasz. 92/V fol. 122) mit Bezug auf die Unterredung von 1645 V 5 in Münster (siehe unten [Nr. 11] S. 55).
bis zum summarischen Beschlußprotokoll und zum kurzen Eintrag

Vgl. die Protokolle von 1645 V 5, 1645 V 23 ( [Nr. 13] S. 70) mit den kurzen Einträgen 1645 IV 30 ( [Nr. 10] S. 50), 1645 IV 13 ( [Nr. 8] S. 42).
. Unserer Edition wurde das eigenhändig geschriebene Exemplar des Diariums zugrunde gelegt

RK FrA Fasz. 90 Bd. 1–3 (benutzt Bd. 1). Das Diarium, bearbeitet von Frau Dr. Roswitha Philippe, ist im Druck (APW III C 2).
. Waren die herausgenommenen Stücke bereits im Zusammenhang – bei A. Cortrejus oder verstreut bzw. auszugsweise (im Extrakt) bei Meiern oder Gärtner ge-druckt worden, so wurden Druckort und Seite ebenfalls angegeben. Aus dem Diarium Volmar abgeschriebene und an den kaiserlichen Hof übersandte Protokolle wurden (wie beim Diarium Wartenberg) nicht berücksichtigt, da die Protokolle inner-halb des Originals vollständig sind.
Für die Protokolle, die die kaiserliche Gesandtschaft in Osnabrück angefertigt hatte, wird hingegen auf die Beilagen der kaiserlichen Korrespondenz zurückgegriffen. Die hier benutzten Reinschriften liegen in den Friedensakten der Reichskanzlei ( RK FrA ) Faszikel 48a und 92/V

Aus den 18 Bänden Beilagen zum DVolmar ( RK FrA Fasz. 92/I-XVIII: 1643–1649).
(Korrespondenzakten zum Diarium Volmar ) im Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien. Teile davon sind, allerdings fehler-haft, bei Meiern und Gärtner abgedruckt. Sie werden in der Edition nach dem kaiserlichen Sekundargesandten in Osnabrück, Johann Krane, benannt, weil sie teil-weise in dessen Ich-Form gehalten sind. Die Protokolle enthalten förmliche Präsenz-vermerke sowie Wechselreden nach Art der Visitenprotokolle über zweiseitige Be-sprechungen.
In den Kanzlei- und Gesandtschaftsregistraturen der kurfürstlichen Stände treffen wir also drei, sich teilweise überschneidende Formen des Schriftguts an: 1. die Briefe, d. h. in den Kanzleien der Residenz die Ausfertigungen der Gesandten und die Konzepte des Kurfürsten, in der Registratur der Gesandten die Originale des Kurfürsten und die Konzepte der Gesandten; 2. die Diarien und Protokolle, die teilweise wört-lich in die Briefe eingefügt, zumeist aber als reinschriftliche Beilagen nach und nach an die kurfürstliche Kanzlei geschickt wurden; 3. Verhandlungsakten wie Memo-rialien, Resolutionen, Projekte, Diktatursachen, Brief-Kopien. Die Diarien und Protokolle bilden gemeinsam das interne Schriftgut der Gesandten, das zunächst der eigenen Information und Geschäftsorientierung dient, weil es detaillierter als die Briefe Zeugnis von der eigenen Tätigkeit ablegt. Diarien und Protokolle bleiben im

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Original, d. h. im gut lesbaren Konzept oder Reinkonzept zunächst bei der Gesandtschaft und werden erst nach deren Rückkehr der heimischen Kanzlei überliefert. Die Visiten- und Konferenzprotokolle der Diarien gleichen im Zweck, in der Verwendung und im äußeren Bild den späteren, dann separat abgelegten und aus dem Diarium herausgewachsenen Ratsprotokollen. Diarium und Visitenprotokolle sind in den kurmainzischen, kurbayerischen (und kurkölnischen) Akten, soweit nachprüfbar, von denselben Händen in der gleichen halbbrüchigen Konzeptform geschrieben wie die späteren Ratsprotokolle. Dennoch sind die Reichsratsprotokolle wiederum ein Kanz-leischriftgut sui generis: Nach der zeitgenössischen kurmainzischen Terminologie unterscheiden sich die Reichsprotokolle

Der Terminus protocollum imperii (Kurmainz/Osnabrück an Kf. Anselm Casimir, 1648 VI 29, MEA CorrA Fasz. 18 [3]) oder reichßprothocoll (Kf. Anselm Casimir an Kur-mainz/Osnabrück, 1648 III 21, MEA CorrA Fasz. 18 [4]) galt für die kurmainzischen Protokolle aus dem Corpus Catholicorum und aus dem Kurfürstenrat.
vom summarisch protocoll

Z. B. von 1645 XI 19ff. zunächst ein Beschlußprotokoll über die Sitzungen im Corpus Catholicorum, im Kurfürstenrat und im Fürstenrat, über die Re- und Correlation, dann über Visiten Volmars, die eine Aussprache über das diesem überbrachte Conclusum zum Inhalt hatten ( MEA CorrA Fasz. 10 [C]).
als der konzen-trierten Niederschrift mündlich getätigter Vorgänge. Die lockere Berichtsform weicht der strengen Gliederung nach Voten. Man geht über zur separaten Ablage der Reichsprotokolle und zur wertfreien, von Kommentaren nicht mehr unterbrochenen Berichterstattung. Die Diarien sind in Komposition und Inhalt noch recht unter-schiedlich, während die Kurfürstenratsprotokolle zum Zweck größerer Genauigkeit ausgetauscht werden. Die Abspaltung der Kurfürstenratsprotokolle von den Diarien, der Übergang zum regelmäßig gegliederten Votenprotokoll, der sich in den Diarien von Kurköln und Kurbayern vollzieht, sind Reflex der zunehmenden Institutionali-sierung des Kongresses. Der Beginn der formellen Reichsberatungen und der Zusam-mentritt des Kurfürstenrats können äußerlich auch an der Spezialisierung des Schrift-guts abgelesen werden. Der Entschluß zur ersten Kollegialzusammenkunft, die dem Reichsherkommen entsprach und vollzählig war, läßt die kurfürstlichen Gesandten auf die bereits existente Form des Kurfürstenratsprotokolls zurückgreifen, aber eigenständige Kurfürstenratsprotokolle am Kongreß wachsen erst allmählich aus dem umfassenderen Kanzleischriftgut der Diarien und Briefe heraus; für die engere Geschichte der Protokollgattungen des Kongresses wiederholt sich quasi im kleinen der historische Entstehungsprozeß der Reichsratsprotokolle.
Da die Vorkonferenzen in die vorliegende Publikation aufgenommen sind, kann die Edition auch nach dem Beginn formeller Reichsratssitzungen (31. August 1645) nicht auf die eigentlichen Sitzungen des Kurfürstenrats beschränkt bleiben. Die Kur-fürstenratsprotokolle sind nämlich auch als Protokolle kurfürstlicher Provenienzen, nicht nur als Quelle der kurfürstlichen Kurie zu definieren. Sie erfassen gemäß ihrer Entstehungsgeschichte einmal das interne Handeln der Kollegglieder, zum andern das Handeln des Kollegiums als solchen im Verein mit den übrigen Kollegien; die ersten Mainzer Kurfürstenratsprotokolle hatten sogar in erster Linie über die Verhand-lungen des Kurfürstenrats mit den anderen beiden Reichstagskurien Aufschluß zu

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geben. So sind in unsere Edition auch jene 19 Konferenzen aufgenommen worden, an denen der Kurfürstenrat in seiner Gesamtheit oder vertreten durch seine Deputierten (Kurmainz, Kurbayern) bzw. durch das Direktorium teilnahm

[Nrr. 38] S. 232, [41] S. 261, [42] S. 263, [47] und [48] S. 322–333, [50] S. 347, [53] S. 366, [55] S. 380, [57] S. 393f., [58] S. 395, [69] S. 487, [83–86] S. 583–599, [96] S. 655, [98] S. 665, [99] S. 667, [114] S. 754.
: Plenarsitzungen anläßlich der kaiserlichen Propositionen sowie der Re- und Correlationen

Acht Plena: [Nrr. 38] , [47] , [48] , [53] , [83–85] , [114] ; sonstige Re- und Correlationen, die nicht im Sitzungsprotokoll verzeichnet sind: [Nrr. 55] , [58] , [96] , [98] , [99] ; eigens notierte Deputationen: [Nrr. 55] , [57] , [86] .
, Depu-tationen zu den kaiserlichen Gesandten, eine kaiserlich-kurfürstliche Assistenzbe-ratung als Nachklang der Vorkonferenzen

1645 IX 13 ( [S. 263–274] ).
, Sonderzusammenkünfte der katholischen Kurfürsten, sofern sie, wie die übrigen hier aufgenommenen externen Konferenzen, in kurfürstlichen Protokollen aufgezeichnet sind und thematisch nicht dem Corpus Catholi-corum, sondern den Verhandlungen über die Beratungsweise, über den modus consultandi, zugehören

1645 IX 7 ( [Nr. 41] S. 261–263), 1645 IX 30 ( [Nr. 50] S. 347), 1646 II 17 ( [Nr. 69] S. 487–489).
. Desgleichen wurden alle Re- und Correlationen, die im unmittelbaren Anschluß an die kurfürstlichen Sitzungen oder später stattfanden, mit berücksichtigt: Dafür waren die erwähnten sachlichen Gründe ebenso ausschlaggebend wie die Tatsache, daß die Re- und Correlationen in die Protokolle kurfürstlicher Provenienz aufgenommen worden sind. Meist wurde nämlich der Beschluß des Fürsten- oder Städterats durch die Deputierten (Kurmainz und Kurbayern) oder durch den kurmainzischen Direktor nach Kenntnisnahme kurz im Kurkolleg mitgeteilt, so daß alle kurfürstlichen Protokollanten in der Lage waren, Zustimmung oder Ablehnung der niederen Kurien wenigstens kurz zu notieren, falls nicht überhaupt Re- und Corre-lation im Plenum stattfanden

Siehe oben Anm. 2. Re- und Correlation im Plenum trat 1648–49 in den Vordergrund.
.
Anders als im Fürsten- und Städterat war es im Kurkolleg 1645 bereits Reichs-herkommen, daß jede kurfürstliche Gesandtschaft ihren Protokollanten mitbringen durfte. Die Protokollführung war nicht dem Direktor des Kollegs vorbehalten; untersagt war lediglich, daß eine Gesandtschaft, die im Kolleg meist doppelt, durch den votierenden Sekundargesandten und den stellhaltenden adligen Hauptgesandten, vertreten war, auch zwei Sekretäre mit in den Rat nahm

Ein entsprechender Versuch Kurbrandenburgs wurde von Kurmainz zurückgewiesen (Cratz/J. Adam Krebs an Kf. Anselm Casimir, Münster 1645 X 20, MEA CorrA 19,1 nr. 85).
. Theoretisch gibt es also sechs Provenienzen von Kurfürstenratsprotokollen, die auch vorliegen: Kurmainz, Kurtrier, Kurköln, Kurbayern, Kursachsen und Kurbrandenburg (Kurpfalz war wegen der Ächtung des Winterkönigs zum Rat nicht zugelassen).
Ein Sonderfall ist Böhmen. Obgleich ihm nach Reichsrecht der Platz im Kurfürsten-rat als Reichstagskurie versagt war und ihm nur bei der Königswahl die Abgabe eines Votums zustand

Vgl. Becker S. 79f. Anm. 125, S. 240 Anm. 91 und zusätzlich Guntherus th. XV.
, nahm es an den zwei Ratssitzungen über die pfälzische Frage bzw. die achte Kur (16. und 18. März 1647) teil. Böhmische Kurfürstenratsproto-

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kolle dieser (und anderer) Sitzungen konnten indes nicht aufgefunden werden. Am ehesten wären sie in der sogenannten Erskeinischen Sammlung zu vermuten, die Akten der Reichskanzlei zu Prag bzw. zu Wien enthält

Niedersächsisches Staatsarchiv Stade Rep. 32, I-IV. Die „archivalisch wie juristisch anfechtbare private Sammlung“ wurde von dem schwedischen Kriegskommissar, dann Kriegsrats-präsidenten, Erbkämmerer und (seit 1653) Präsidenten der schwedischen Regierung in Stade, Alexander von Erskeine, angelegt, der die Archive eroberter Städte aufsuchte und dort Dokumente mitnahm ( Weise S. 90, 107f., 247).
. Diese Bestände waren bei der Einnahme Prags im Sommer 1648 in die Hände der schwedischen Truppen gefallen und schließlich mit der Dienstregistratur des schwedischen Kriegsrats Alexander Erskeine zusammengefügt worden. Diese Sammlung liegt heute im Niedersäch-sischen Staatsarchiv Stade . In dem Bestand aus der Reichskanzlei, dessen Inhalt genau verzeichnet ist

Erskeinische Sammlung I: Akten der Reichskanzlei zu Prag bzw. zu Wien 1431–1648 (II: Dienstregistratur von A. Erskeine 1626–1655, III: Handakten verschiedener Juristen am Reichs-kammergericht 1505–1631, IV: Verschiedene Provenienzen. Bremen-Stadt, Lothringen, Stra-lendorf, 1574–1645).
und der u. a. Allgemeine Reichsangelegenheiten, Privi-legien, Schutz- und Lehensbriefe, Zoll- und Münzgerechtsame sowie Judensachen um-faßt, sind böhmische Kurfürstenratsprotokolle nicht anzutreffen. Auch eine diesbe-zügliche Anfrage im Haus -, Hof - und Staatsarchiv Wien, an das Reichs-akten aus der Erskeinischen Sammlung zurückgegeben worden sind, blieb ergebnislos. Es ist daher anzunehmen, daß die kaiserliche Kanzlei sich mit den Kurfürstenrats-protokollen, die von Fall zu Fall vom kurmainzischen Direktorialgesandten Raigers-perger den kaiserlichen Gesandten übergeben worden sind, sowie mit den Conclusen und Re- und Correlationen, die in die Friedensakten der Reichskanzlei und der österreichischen Staatskanzlei gelangt sind

Wobei Conclusum-Übergaben durch Kurmainz und österreichische Aufzeichnungen aus den Fürstenräten zu unterscheiden sind.
, zufriedengegeben hat. Summarische Be-richte über den Verlauf der Reichsberatungen und damit auch über die Ergebnisse der Kurfürstenratssitzungen gaben die kaiserlichen Gesandten ohnehin in ihren Rela-tionen.

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