Das neuzeitliche Schriftgut der Protokolle, genauer gesagt der „Verhandlungs-“ und „Sitzungsprotokolle“
H. O.
Meisner,
Archivalienkunde (1969) S. 194–197 und die Definitionen in der archivarischen Begriffssprache bei F.
Wolff (APW
III A 4, 1 S. XXXII ff.), L.
Gross,
Geschichte der deutschen Reichshofkanzlei S. 240ff.
, hat bisher in der Urkunden- und Aktenlehre relativ wenig Beachtung gefunden und ist auch in den Quelleneditionen der historischen Wissen-schaft nicht eben häufig berücksichtigt worden. Hinter diesem bekannten Sachverhalt steckt mehr als nur bloßer Zufall, er bezeichnet mehr als ein Desiderat der Forschung oder das isolierte Spezialproblem einer historischen Hilfswissenschaft. Es handelt sich vielmehr um eine Tatsache, die mit der Entwicklung der historischen Forschung und der diese begleitenden Aktenkunde und Diplomatik selbst zusammenhängt und die als solche historisch zu erklären ist. Bei der kurzen quellenkundlichen Einordnung und Herleitung der Kurfürstenratsprotokolle, die im Folgenden versucht wird, geht es deshalb nicht allein um die Beschreibung äußerlicher Phänomene, an der lediglich kleine Kreise der historischen Fachgelehrten ein esoterisches Interesse fänden.
Die staatlichen und die meisten, in allgemeinerem Sinne politischen Schriftstücke, die wir als Quellen benutzen, sind Erzeugnisse von Amtspersonen oder Institutionen, die sie hervorbringen. Schon die formale Betrachtung dieser materialen Substrate des Geschehens, und zwar gerade die Untersuchung der historischen „Überreste“, nicht erst diejenige der „Tradition“
Zur Unterscheidung A. V.
Brandt,
Werkzeug des Historikers (
71973)
S. 51–64.
, läßt Rückschlüsse auf Konstanz und Entwicklung der Institutionen zu, deren Geist und Technik sich in ihnen niedergeschlagen haben. Ministerielle Gegenzeichnung auf Urkunden, monarchische Sanktion von Protokollen eines Ministerrats, solche Formalitäten sind geeignet, verfassungsgeschichtliche Wandlungen, wie Ansätze zur Herausbildung des Konstitutionalismus oder Rückfälle in die absolutistische Regierungspraxis, augenfällig zu dokumentieren
So
H.Rumpler (Hrsg.) im Einleitungsband zu den Protokollen des österreichischen Minister-rates 1848–1867 S. 11, 93, 104f.: Die Untersuchung der Form, nicht nur des Inhalts der Pro-tokolle erscheint gleichbedeutend mit der „Veranschaulichung und Erläuterung eines Macht- und Rechtsverhältnisses“.
. Aber auch das Kategoriensystem, das die Forschung zur Sichtung einzelner Quellen und Quellen-gruppen bereitstellt, der Grad der Wertschätzung, den einzelne Forscher bestimmten Quellengattungen entgegenbringen, gewähren mittelbar Einblick in die Zeitgebunden-heit des wissenschaftlichen Selbstverständnisses, das letztlich wieder auf die Kräfte der Beharrung und der Wandlung in Staat und Gesellschaft zurückweist.
Als der Mediävist
E.Winkelmann 1886 Heidelberger Universitätsakten edierte, berücksichtigte er auch die „aufzeichnungen über die einzelnen berathungen“, die „protokolle der universitätskongregation“, fand sie aber nur insoweit bemerkenswert, als sie „auszüge oder abschriften vieler sonst nicht mehr vorhandene(r) dokumente“ enthielten, die „eingereiht“ oder angehängt waren: „statuten, urkunden, aktenstücke
E.
Winkelmann(Hrsg.), Urkundenbuch der Universitaet Heidelberg I S. VII.
. Dieses ungünstige Urteil bezog sich hier auf den Sonderfall der Universitätsprotokolle, es war aber für die Einschätzung der gesamten Quellengruppe der Protokolle gewissermaßen symptomatisch. Ihr Aussagewert wurde als relativ ge-ring erachtet, schienen sie doch minder aufschlußreiches Material als die anderen Aktenformen zu umfassen – in der Hauptsache Aufzeichnungen über Dinge, die die Zeitgenossen nicht direkt „aktenwürdig“ gefunden hatten
M.Krebs (Hrsg.), Die Protokolle des Konstanzer Domkapitels, in: ZGOrh 100 S. 128.
; sie mochten als Ersatz oder zur Ergänzung der brieflichen Akten, die allein dokumentarischen Wert besäßen, herangezogen werden. Gemessen an dem Gesamt an Aktenarten und -überlieferungen maß man den Protokollen nur subsidiäre Funktion für die historische Erkenntnis zu. Wie kam es zu diesem abschätzigen Urteil?
Man muß zunächst bedenken, daß für die Diplomatik die Akten gegenüber den Urkunden ein Schriftgut minderen Ranges darstellten; Urkunden waren die eigentlich maßgeblichen Quellen mit dem höchsten, konzentriertesten, am besten beglaubigten Gehalt an geschichtlicher Aussage
H. O.Meisner, Aktenkunde (1935) S. 8f. setzt die Grenze zwischen Urkunden- und Akten-zeit auf 1400. Etwa von dieser Zeit an (Regierungsantritt des Kg. Wenzel 1378) werden die Quellen der Reichsgeschichte auch in die Deutschen Reichstagsakten und nicht mehr in die Monu-menta Germaniae Historica aufgenommen.
. Denn die ältere Urkunden- und Aktenlehre war in erster Linie auf das Mittelalter, und zwar besonders auf die Geschichte seiner Kaiser und Könige, ausgerichtet gewesen. Aus dieser wenig schreibfreudigen Zeit waren von der oberen Regierungsebene, die hauptsächlich interessierte, vor allem Ur-kunden (Privilegien, Schenkungen, in Urkundenform beglaubigte Weistümer) über-kommen, die nur bedeutsamere Geschehnisse durch Schriftlichkeit erhellten. Erst im Spätmittelalter sind auf Reichsebene Protokolle anzutreffen, zunächst nur in der Vorform von knappen „Aufzeichnungen über den Haupthergang“, von „Kanzlei-notizen oder von Notariatsinstrumenten“
RTA ÄR 1 S. LVI (
Weizsäcker), nr. 45 S. 71f. (Wahlinstrument), protokollähnlich auch nr. 184 S. 327f. (1381 XI 14), nr. 301 S. 546f. (1387 III 20), nr. 321–323 S. 584ff. (städtische Gutachten 1387).
(vor allem über Wahlen). Protokolle von Universitätsgremien, Klöstern, Domkapiteln, Stadträten und Konzilskongregationen existierten zwar schon in dieser Zeit, konnten aber als sozusagen informelle Zeug-nisse ihrer Institutionen kein allgemeineres Interesse erwarten und galten infolgedessen als weniger editionswürdig. Bereits für die frühe Neuzeit schwoll nun das hinter-lassene Schriftgut gewaltig an; vor allem in den Stadtarchiven fand sich über die Verhandlungen des Reichs, seiner hohen Regenten und Stände, eine Fülle reichhaltigen Materials; das Urkundenzeitalter wurde vom Aktenzeitalter der Neuzeit abgelöst, statt der Zeugnisse über das abschließende Rechtsgeschäft, statt der Urkunden, domi-nierten nun die unjuridischen Bezeugungen der Hergänge, die zu den Rechtsgeschäften geführt hatten, die Akten
Im Unterschied zu den Urkunden zeigen die Akten das Bedürfnis, „über die Motive einer Ver-ordnung klar zu sehen“, die dem „urkundlichen Abschluß einer Angelegenheit“ vorausgehen (
H. O.Meisner, Aktenkunde S. 8).
. Das Überlieferungsproblem stellte sich damit neu. Hatte man bisher versuchen müssen, durch exakte Kombination urkundenmäßig und
chronikalisch belegter Aussagen politisches Geschehen im Mittelalter zu rekonstruieren und nicht-schriftliche Quellen ergänzend zu berücksichtigen, so galt es für die Neuzeit, aus der Masse des Stoffs das Wichtige und Wesentliche herauszuziehen und nur die entscheidenden Brennpunkte des Geschehens zu schildern. Die Konzentration auf Dokumente, die wesentlich zu sein schienen, war ursprünglich notwendig gewesen, weil die Überlieferung vieles im Dunkel gelassen hatte; sie wurde bei den Geschichts-schreibern, die in der Nachfolge
L. V.Rankes standen, zum Auswahlprinzip. Auf der Suche nach dem roten Faden, der die Akten zu bewältigen half, ergab sich die Neigung, aus der Fülle des Überlieferten nur das wirklich Bedeutsame herauszu-greifen
Vgl. etwa die Dissertationen von K.
Breuer(starke Konzentration auf die Instruktionen), H.
Brockhaus, E.
Dürbeck.
und auf seine individuelle historische Aussage hin zu interpretieren.
Dem Erfordernis solcher Interpretation kamen vor allem diejenigen Akten und Urkunden entgegen, die dem Geist ihres Urhebers die Ausformung, die Konzentration auf das Wesentliche verdankten und sozusagen in Selbstauslegung ohne viel zeitfremdes Hinzutun des Historikers von ihrer Situation und zugleich von ihrer Zeit Zeugnis ablegten. Vergleichsweise formlose Geschichtsquellen wie Verhandlungsprotokolle eigneten sich schwerlich für diese Methode, gehörten ihre Verfasser doch meist nicht zu den einflußreichen Persönlichkeiten ihrer Zeit und wiesen diese Akten selbst doch anscheinend keine Merkmale bewußter Durchbildung oder Spuren zeitgemäß-charakteristischer Formgebung auf. Die Vertiefung in unwesentliche Einzelheiten, die nicht wenigstens in Briefen oder Urkunden niedergelegt worden waren, drohte sogar von der eigentlichen Aufgabe abzulenken: Der Historiker mochte in der Gefahr stehen, sich in das Gestrüpp der vergangenen „Geschichten“ zu verlieren, statt zu zeigen, wie aus „Geschäften“ Geschichte wurde.
Vgl.
J. G.Droysen, Grundriß der Historik, in:
ders., Historik (
21943) S. 322: „Das, was heute Politik ist, gehört morgen der Geschichte an; was heut ein Geschäft ist, gilt, wenn es wichtig genug war, nach einem Menschenalter für ein Stück Geschichte. Wie wird aus den Ge-schäften Geschichte?“
Die referierende Geschichts-schreibung, die wichtige Ereignisse in den Mittelpunkt stellte, nötigte ebenso wie die genetische Betrachtungsweise mit ihrer Schilderung der großen Zusammenhänge dazu, die sachlichen Auswahlkriterien für die Quellen durch formale Gesichtspunkte zu ergänzen
Vgl. dazu
E.Bernheim, Lehrbuch der Historischen Methode I S. 22–41; S. 87ff. wird das Verhältnis der Geschichtswissenschaft zu den Nachbardisziplinen zuerst am Beispiel der Philo-logie erörtert. – Die folgenden Ausführungen verkennen natürlich nicht, daß die Forderung nach Heranziehung aller Quellen, nach Exaktheit im einzelnen, aus dem erst der allgemeine Gang der Geschichte abgeleitet werden dürfe, gerade vom Historismus aufgestellt worden ist.
. Das „Wesentliche“ einer „große(n) sittliche(n) Gestaltung“ wie des Staates war nur zu begreifen über die Aussonderung des Zufälligen; erst durch die Ausscheidung des „bloß Ephemere(n)“ kam bei Durchschreitung der „geschicht-lichen Sphären“ die „Erkenntnis der endlich in der Gegenwart erreichten, relativ höchsten Entwicklung“ zustande, „welche uns das Durchlebte subsummieren und verstehen ließ“
J. G.
Droysen,
Texte zur Geschichtstheorie (1972) S. 15, 13f.; vgl.ders.,
Enzyklopädie und Methodologie der Geschichte, in:ders.,
Historik (1943) S. 28f.
. War für den Historiker nur das „generelle Ich“ der „Persönlich-keit“, ihre Teilhabe an der – in einer „fortschreitenden Bewegung“ begriffenen – „sittlichen Welt“, von Bedeutung, so konnte dies nicht ohne Einfluß auf die quellen-mäßige Behandlung der Hinterlassenschaften solcher Persönlichkeiten bleiben. Inso-weit es dem „generellen Ich“ zugeordnet werden konnte, fand auch das zufällige „empirische Ich“ die Beachtung des Historikers; aus anonymen Geschichtsquellen wie Protokollen oder statistischen Aufzeichnungen war ein „empirisches Ich“ nur unter Schwierigkeiten oder gar nicht zu ermitteln. Mochten diese Quellen nicht erst in zweiter Linie Objekte sein für den „menschlichen Geist“, der in der Begegnung mit den sittlichen Mächten der Vergangenheit sich selbst auf einer niedrigeren Stufe und damit zugleich als fortschreitend erkannte? Selbst wenn es ohne nationale oder universalgeschichtliche Konjekturen nur das vergangene Leben zu erfassen galt, das aus den „toten Papieren“ aufstieg
Zit. nachRepgen,
Kurie I, 2 S. VI.
: die Vergangenheit sprach nicht aus allen Papieren gleich unüberhörbar. Die Auswahl der sprechenden Akten aus der Fülle des toten Stoffs mochte einen großen Rest um so sicherer dem Vergessen überliefern.
Wie waren nun die Wertungskategorien inhaltlich bestimmt, die es ermöglichten, den historischen Prozeß auf seine „wesentlichen“ Entwicklungen hin vorzustrukturieren oder zu überprüfen und gleichzeitig eine entsprechende Vor-Auswahl unter historischen Quellengattungen zu treffen? Das nationale Geschichtsverständnis, an das hier zu-nächst zu denken ist, hat sich im 19. Jahrhundert auf die Edition neuzeitlicher Protokolle keineswegs nur ungünstig ausgewirkt. Von 1889 bis 1917 gab
OttoMeinardus sechs Bände „Protokolle und Relationen des Brandenburgischen Geheimen Rates aus der Zeit des Kurfürsten Friedrich Wilhelm“ heraus
Publicationen aus den K. Preußischen Staatsarchiven 41, 54, 55, 60, 80, 89, Bd. 1–6.
; bereits elf Jahre früher hatte man in Schweden mit der Edition der schwedischen Reichsrats-protokolle (von 1621 bis 1650) begonnen
1878–1916, besprochen von
Meinardus, Protokolle VI (Die „Protokolle“ als Geschichts-quelle) S. XII.
. Die Aufarbeitung anonymer Quellen-gruppen der eigenen Nationalgeschichte konnte indes nur dort zureichend begründet werden, wo ein Territorium nicht untergegangen war, d. h. in Deutschland die Säkularisation überstanden und ein nationales Selbstbewußtsein entwickelt hatte: Der national verstandenen historischen Individualität schienen auch die abgelegeneren Zeugnisse ihres Wachsens und Werdens bedeutungsvoll. Die Vorstellung einer geschichtlichen Einheit Preußen-Deutschlands, in der die historische Existenz und der politisch wirtschaftliche Aufstieg des preußischen Staats mit tragenden Zeitideen verschmolzen, erwies sich als fruchtbare Arbeitshypothese; doch der geschichtsphilo-sophische Entwicklungsgedanke, der, fasziniert von der Höhe gegenwärtiger Staats-bildung, nur nach bestimmten Vergangenheiten fragte, wirkte auch verdrängend: das Wissen um die Vielzahl untergegangener oder gleichsam subkutan weiterlebender Institutionen und ihrer Zeugnisse wurde zu einer historischen Kenntnis zweiten Grades.
Auch verfassungspolitische Auffassungsweisen wirkten auf diese negative Klassifizie-rung des Protokoll-Schriftguts ein. Als
L. v.Ranke die diplomatischen Berichte
der Venezianer entdeckte und als erster auswertete, fand er nicht nur in ihrer „humanistischen und künstlerischen Stilisierung“
F.
Schnabel,
Deutschlands geschichtliche Quellen I S. 134.
eine besonders aussagekräftige Eigentümlichkeit.
Ranke empfand „den besonderen Geist“ der Venezianischen Relationen „als einen seiner eigenen Zeitstimmung verwandten“
F.
SchnabelS. 131.
; der konservative Historiker trug damit bestimmte inhaltliche Erwartungen seiner eigenen politischen Perspektive an die Geschichtsquellen seiner Wahl heran: „Diese Venezianer betrach-ten den Staat grundsätzlich
von oben, vom Standpunkte der Regierenden aus, und als treibende Kräfte der Geschichte erkennen sie die Staatsmänner, die wissen, was an der Zeit ist“
Zit. nach F.
SchnabelS. 132, vgl.SrbikI S. 254, 265, 252, 258.
. Für
Ranke, der in dem Gegensatz zwischen Volkssouveränität und monarchischem Prinzip auch ein historisches Ringen sah, konnte danach nicht zweifelhaft sein, welchem Prinzip er die Sichtweise der Relationen zuordnete.
Ohne Berufung auf
Ranke, aber auch nicht unabhängig von zeitgeschichtlicher Selbsteinschätzung, führte dann die moderne deutsche Archivalienkunde das gesamte neuzeitliche und mittelalterliche Aktengut auf die verfassungspolitische Grund-anschauung derjenigen Jahrhunderte zurück, in denen dieses historische Material entstanden war.
H. O.Meisner betrachtet „die Aktenkunde vor 1918“ in analytischer und genetischer Hinsicht „als ein
kontinuierliches Ganzes wie die gleichzeitige monarchische
Staatsform“
H. O.
Meisner,
Archivalienkunde S. 125, 123f.
: Bei der Einteilung und Benutzung der Akten sei stets davon auszugehen, daß es sich um die Erzeugnisse „monarchischer Jahrhunderte“ handele. Dieser Auffassung ist zuzustimmen, soweit man die Para-digmata vor Augen hat, an denen die neuzeitliche deutsche Urkunden- und Akten-lehre entwickelt wurde: Die preußische Schule gewann ihre Begriffe hauptsächlich am Behördenschriftgut des preußischen Absolutismus. Das untersuchte Schriftgut war aber zeitlich und sachlich begrenzt, ein aktenkundliches Kategoriensystem, das all-gemeine Geltung und übernationale Anwendungsmöglichkeiten beanspruchen könnte, war bei den Besonderheiten der speziellen Forschungsobjekte nicht erreichbar. Die Begriffsbildung der preußischen aktenkundlichen Systematik machte zwar eine Grund-struktur allgemein menschlichen Verhaltens sichtbar, die an dem behandelten Material besonders deutlich zutage trat, aber gerade wegen ihrer anthropologischen Allgemein-gültigkeit nicht nur diesen bestimmten Jahrhunderten der Menschheitsgeschichte zu-gerechnet werden darf.
Die Hauptkriterien zur Kennzeichnung verschiedener Aktenarten entnahm man der Rangordnung, die zwischen Absender und Adressat der „Schreiben“ herrschte: Das Briefgut wurde in „Weisungen“ (Reskripte, Dekrete, Mandate) einer höhergeord-neten an eine untergeordnete Stelle und in „Berichte“ (Relationen) der unteren an die obere Instanz und damit in Schriftstücke der Über- und Unterordnung eingeteilt. Diese grundlegende Zweiteilung brachte das hierarchische Verfassungsprinzip per-sönlicher Unterstellung zum Ausdruck, das im Absolutismus für die aktenprodu-zierende Behördenorganisation und Territorialverwaltung bestimmend geworden war.
Die dritte große Aktengruppe, die Schriftstücke der Gleichordnung umfaßte, spie-gelte die direkten Standesbeziehungen der untereinander gleichberechtigten Mitglieder der europäischen Fürstenfamilie wider. Einen Archetyp dieser Gruppe bildete die (Privat-)Korrespondenz der Monarchen und hohen Potentaten, die untereinander auf gleichem Fuße verkehrten; auch der Schriftverkehr einander gleichgestellter Behörden oder Instanzen ließ sich dieser Gruppe zurechnen.
Aus diesen drei Kategorien fällt das Schriftgut der Protokolle heraus, weil es durch die Absenz eines Adressaten und des „Rangmerkmals“ charakterisiert, d. h. „neutral“
H. O.
Meisner,
Archivalienkunde S. 194, 199f.
ist. Es wurde deshalb mit anderen Akten, die ebenfalls nicht brieflich waren, aber darüber hinaus nach Entstehung und Zweckbestimmung keine positiven gemeinsamen Merkmale mit Protokollen aufwiesen, dem sogenannten „internen Schreibwerk“
Ebd.S. 27.
zugerechnet. Wie Grund-, Rechnungs- und Amtsbücher, Einlauf-, Auslaufjournale und Kopialbücher von expedierten Schreiben blieben nämlich auch die Protokolle „intern“, d. h. sie verließen nicht die sie verfertigende Behörde
/Kanzlei und „die Registratur des Ausstellers“
Ebd.;
vgl.ders.,
Aktenkunde S. 54ff., 163.
. Diese Bestimmung kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Protokolle mit den Geschäftsakten über das Innenleben einer Behörde, den Registranden und Ordnungsbehelfen, denen sie damit zugewiesen wurden, im Grunde nur den situs loci gemeinsam hatten. Diese eher notdürftige Kennzeichnung im Rahmen der selbst wieder historisch bedingten aktenkundlichen Systematik kann die eigenständige Definition der Aktenform Protokolle nicht ersetzen. Bereits dem frühneuzeitlichen Sprachgebrauch entsprechend mag sie lauten: „möglichst gewissen-hafte und zutreffende Wiedergabe der in“ einer „Sitzung oder Besprechung vorge-fallenen Aussprachen und Vorgänge“
Meinardus,
Protokolle VI S. XI. Vgl.GrossS. 241f. und die umfassendere Definition von F.
Küch(zit. APW
[III A 4, 1 S. XXXIII] ).
.
O.Meinardus, dem wir diese Definition verdanken, hat sich seinem Stoff vom behördengeschichtlichen Aspekt her zugewendet. In den Sitzungen des Geheimen Rats, die teils unter Einschluß des Großen Kurfürsten stattfanden, sah er Besprechungen des „Landesfürsten“ mit den ihm verantwortlichen „Beamten“
Meinardus,
Protokolle VI S. XI f.
; die Niederschriften davon wertete er als Behördenprotokolle. Auch die Entstehung und Führung der schwedischen Reichsratsprotokolle erklärte er u. a. damit, daß dem Landesherrn über die Regierungsgeschäfte, die während der Dauer seiner Abwesenheit aus dem Reich getätigt worden waren, Rechenschaft gelegt werden mußte.
Meinardus behandelt die Protokolle des brandenburgischen Geheimen Rats sowie des schwedischen Reichs-rats also gewissermaßen als adressiertes Schriftgut, dessen innerer Ausrichtung auf die monarchische Landes- und Reichsführung die wichtigsten Aufschlüsse zu ent-nehmen seien.
Sicherlich haben Protokolle auch eine Funktion im Rahmen eines allgemeinen Schrift-verkehrs, der inner- wie auch zwischenstaatliche Unterstellungsverhältnisse voraus-setzt und sich entsprechend gliedern läßt. Die Sanktion durch den Monarchen als
das oberste Staatsorgan kann geradezu zum Sichtungs- und Auswahlkriterium einer Protokoll-Edition erhoben werden, falls eine Körperschaft, die Protokolle hervor-bringt, keine oder eine nur sehr beschränkte verfassungsrechtliche Stellung innehat und – etwa innerhalb eines neo-absolutistischen Staatsgefüges – eine Abhängigkeit aufweist, ohne die ihre Tätigkeit nicht zu verstehen wäre
H.
RumplerS. 92f.
: Hier wird das Protokoll nur durch die Gegenzeichnung oder Genehmigung einer höheren Instanz wirksam. Auch gelangt das Protokoll eines beschlußfassenden Gremiums generell dadurch zum Effekt, daß es in ein „Verkehrsschriftstück“ umgewandelt wird und in Form eines „Protokollextraktes“, eines wichtigen Auszugs, oder in Gestalt eines „Resolutions-protokolls“, d. h. einer Zusammenfassung des erreichten Beschlusses, zur Grundlage einer Anordnung gemacht wird, die der Leiter der Behörde expediert
H. O.
Meisner,
Archivalienkunde S. 264f., 281.
. So wurden von den Reichstagsprotokollen des 17. Jahrhunderts, um die es hier geht, vor allem die Conclusen für den Geschäftsgang der Reichsversammlungen bedeutsam: Sie wurden mündlich oder schriftlich dem Kaiser oder seinen Vertretern übermittelt und machten zusammen mit der Stellungnahme des Reichsoberhaupts den Grundgehalt der Reichs-abschiede aus.
Ist aber die unverwechselbare Eigenart einer Gattung historischer Quellen letztlich aus deren externen Bezügen abzuleiten, aus. der Art und Weise, wie ein übergeord-netes Herrschaftsorgan sie verwertet? Das Prinzip der Über- und Unterordnung, das zur Einteilung der brieflichen Akten verwendet worden ist, repräsentiert den Geist der vergangenen Jahrhunderte nur partiell. Mit Hilfe dieses Prinzips können zwar Protokolle klassifiziert werden, die bei hierarchisch eingebundenen Behörden anfielen; die spezifischen Eigentümlichkeiten der Behördenprotokolle, z. B. Sichtver-merk durch den Monarchen, sagen jedoch zu wenig über die Form der gesamten Quellengruppe aus. Das Erscheinungsbild der Behördenprotokolle ist historisch von absolutistischen oder neo-absolutistischen Zeittendenzen mitgeprägt worden; aber die Protokolle frühneuzeitlicher Ständegremien sind in ihrer Eigenart nur unvollkommen erfaßt, wenn sie retrospektiv an der Zweckbestimmung von Protokollen aus absolu-tistischer Zeit gemessen werden. Die strukturelle Abhängigkeit des Phänotyps Behördenprotokolle von dem stets hierarchischen Aufbau eines Regierungs- oder Ver-waltungsapparates ist zwar als solche ein generalisierbares Element, sie trifft aber nur auf einen kleinen Ausschnitt der historischen Protokolle zu. Die Vorherrschaft des monarchischen Verfassungsprinzips in Deutschland bis 1918 darf nicht den Blick dafür verstellen, daß unter und neben den Monarchien kollegial organisierte Regierungen und Körperschaften mit regierungsähnlichen Befugnissen in großer Zahl bestanden haben: Ihre Beschlüsse, in Protokollform niedergelegt, konnten sozusagen an die Stelle landesfürstlicher Einzelentscheidungen treten: ein Musterbeispiel dafür ist die Konferenz der niederländischen Generalstaaten
Nicht zufällig haben die Niederländer früh eine genaue aktenkundliche Terminologie für das Potokollschriftgut entwickelt, vgl. darüber
F.Wolff in
APW[III A 4, 1 S. XXXIX Anm 9] .
Staaten-Konferenz, die an die einzelnen Provinzen abgesandt wurden, ähnelten in ihrer Funktion den Reskripten und Mandaten der Landesherrn an einzelne Landes-teile und an die Landstände. Läge aber das für die Definition der niederländischen „Resolutionen“ ausschlaggebende Element in deren Versendungsform, so wären sie von den landesfürstlichen Reskripten allenfalls dadurch zu unterscheiden, daß man sie im Gegensatz zu den fürstlichen Einzelschreiben als „Kollektivschreiben“
Z. B. Ausschreiben; vgl.
F.Küch (Hrsg.), Politisches Archiv des Landgrafen Philipp, I S. XXX.
be-zeichnen könnte, die an mehrere Adressaten verschickt und von mehreren gleichbe-rechtigten Absendern unterfertigt wurden. Selbst in dem angeführten Fall, daß Pro-tokolle oder deren Zusammenfassung in Schreiben umgewandelt wurden, ergäbe sich aus dem Außenverhältnis ihres Wirksamwerdens, ihrer
effectuirung, keine befrie-digende Beschreibung der Protokolle als Geschichtsquelle. Denn dann würde indirekt das „Rangmerkmal“, das die Definition als „neutrales“ Schriftgut gerade ausschloß, wieder eingeführt; aber selbst die Kennzeichnung von der „Neutralität“ her greift nicht, weil sie vom Fehlen erforderter Kriterien ausgeht, anstatt positiv aufweisbare Elemente in die Definition einzubringen. Es gilt also, auf die jeweiligen Entstehungs-situationen der Protokolle abzuheben: Sie lassen sich zwanglos auf den gemeinsamen Nenner bringen, daß den Protokollen – anders als den „Schreiben“ und jeder Art behördlicher Geschäftsregistratur – die Bindung an ein kollegial verfaßtes Gremium eignet, ohne das sie nicht zustandekämen. Sitzungsprotokolle dokumentieren den internen Prozeß einer korporativen Willensbildung, wie er innerhalb von Räten, Kurien, Konferenzen, Kollegien stattfindet; sie enthalten gleichberechtigte oder abge-stufte Willensbekundungen der Mitglieder des Kollegs zu einer bestimmten vorge-stellten, beantragten, proponierten Sache. Diese Willensäußerungen können selbst wieder auf dem Weg korporativer Willensbildung gefunden sein, insofern nämlich das Kollegium nicht aus Einzelpersonen, sondern aus Unterkollegien besteht, die innerhalb des größeren Corpus in einem Verhältnis der Hierarchie oder der Gleichordnung zueinander stehen
Der Reichstag, die ältere Universitätstagung und die verschiedenen Kongregationen der Konzilien von Basel und Konstanz ähnelten einander in dieser verschachtelten Beratungstechnik. Vgl.
A.Seifert (Bearb.), Die Universität Ingolstadt S. 18, passim.
. Wesentlich aber ist, daß die Willensbildung nicht auf dem Wege der Korrespondenz
Vgl. zu dieser Methode per schedam
(schriftliche Beantwortung einer unter den Votanten kur-sierenden Anfrage) A.
Seifert,
Statuten- und Verfassungsgeschichte S. 215, 212f.
(die dann wiederum unter dem Gesichtspunkt der Über- und Gleich-ordnung aktenkundlich zu systematisieren wäre), sondern durch mündlichen Vortrag der divergierenden oder konvergierenden Ansichten zur Sache erfolgt. Werden die Einzeläußerungen (Voten) der Kollegglieder zur Sache notiert, spricht man von „Verlaufsprotokoll“, wird nur das Ergebnis der Beratungen festgehalten, so bietet sich der Terminus „Beschlußprotokoll“
H. O.
Meisner,
Archivalienkunde S. 195; auch „Resolutionsprotokoll“ (
GrossS. 246ff.) oder „Schlußprotokoll“ (
Boshof –
Düwell –
KloftS. 233) genannt: die Aneinanderreihung ergibt „Konklusionsbücher“. Vgl. M.
Krebs(Hrsg.), Die Protokolle des Speyerer Domka-pitels, I S. VII. – Ein bekanntes Schlußprotokoll ist das Londoner Protokoll von 1852 über die dänische Erbfolge.
Im Unterschied zu den Urkunden und auch zu den brieflichen Akten der Überordnung enthalten Protokolle ihrer eigentlichen Bedeutung nach weniger eine Sollens- als eine Seinsaussage. Sie schildern in der Regel einen konkreten Vorgang der politischen Willensbildung und gipfeln in Beschlüssen, die selbst wiederum eine Funktion in einem fortwährenden, institutionell rückbezogenen Handlungsstrang haben. Protokolle be-leuchten das Miteinanderhandeln und die Auseinandersetzung politischer Handlungs-träger, die jeder für sich mit Sollensvorschriften (Instruktionen) oder zumindest mit Absichten und Ansichten in Bezug auf ein vorliegendes Problem ausgestattet sind. Als Geschichtsquelle dienen Protokolle nicht primär der Darlegung von Rechtsvor-schriften, politischen Plänen und leitenden Absichten, sondern sie klären, wie solche Vorschriften und Absichten in die Wirklichkeit umgesetzt werden.
Vgl.
E.Bonvalot, Le Tiers Etat d’après la charte de Beaumont S. 372, 83–87 (Wahlproto-kolle 1591–1717).
Als Quellengattung sind Protokolle Institutionen, Versammlungen und deren Ver-fahrensweisen zugeordnet. Große Personen, Ideen und Prinzipien kommen erst in zweiter Linie zur Geltung; ihre normativen und regulativen Ansprüche erscheinen in den Proto-kollen auf Durchsetzbarkeit hin reduziert. Dies heißt aber nicht, daß in Protokollen nur konturlose Zustände oder Verläufe beschrieben würden. Wollte man analog dem „Geist“ der Venezianischen Relationen von einem Geist der Pro-tokolle sprechen, so wäre auf das genossenschaftliche Element zu verweisen, das auf diese Quellengattung einwirkt und ihre verschiedenen Unterarten einheitlich struk-turiert. Das Handeln des Menschen in Institutionen, das anthropologische
Vgl. M.
Hauriou,
Die Theorie der Institution, hrsg. v. R.
SchnurS. 27ff., 53.
und historische Komponenten hat und von der Bildung eines politischen Bewußtseins nicht zu trennen ist, färbt auch auf die Protokolle als den schriftlichen Niederschlag und die Hinterlassenschaft institutionenbezogenen Handelns ab. Wenn auch in den Protokollen Rechtsvorschriften und Handlungsabsichten nicht primär in der Abstraktions-stufe ihrer ideellen oder programmatischen Äußerung, ihrer Anempfehlung oder ihres Gebots anzutreffen sind, so wird darin doch deutlich, in welcher Weise solche lang- oder kurzfristigen Normsetzungen und Vorschläge praktisch werden. So ist z. B. nur aus den Wahlprotokollen, nicht aber aus den „Chartes“ zu entnehmen, wie eine Wahlordnung gehandhabt wurde, da sie in den Protokollen gerade nicht in der Abgezogenheit ihrer Dekretierung oder ihres Idealtyps erscheint
E.
BonvalotS. 372f.
. Selbst die vage Protokollform der zweiseitigen Gesprächsnotizen hochgestellter (politischer) Per-sönlichkeiten wird, sofern sie – wegen ihrer Länge und Wichtigkeit – nicht in einen diplomatischen Bericht eingearbeitet ist, weniger mit Rücksicht auf die Person der Gesprächspartner als deshalb gewählt, weil der Inhalt Ihrer wechselseitigen Aus-führungen
Zu unterscheiden von der „diplomatischen Mitteilung“, die noch einen Adressaten hat, z. B. dem Aide-Mémoire, der im Rang unter einer förmlichen oder Verbalnote liegenden mündlichen Erklä-rung, die von Diplomaten gegenüber fremden Staaten abgegeben wird (
Boshof–Düwell–Kloft S. 232).
für die betroffenen Staatswesen bzw. Institutionen von erheblichem Interesse ist.
Der allgemeine institutionenbezogene Ansatz zur quellenkundlichen Einordnung der Protokolle muß angesichts spezieller Gegenstände konkret gefaßt werden. Haben die vielen neuzeitlichen Institutionen in Europa nicht auch zur Ausbildung verschiedener Protokoll-Typen geführt, die von Gremium zu Gremium – und innerhalb der Ge-schichte eines Gremiums entwicklungsmäßig voneinander abweichen? Und weiter: Ist vom Entwicklungsstand eines Protokolls her der Rückschluß auf den Konsolidierungs-grad derjenigen Institution möglich, die das Protokoll produzierte? Vergleicht man einige neuere Protokoll-Editionen aus verschiedenen Zeiträumen, so wird trotz aller Unterschiede im einzelnen doch eine große Kontinuität in der Form sichtbar, in der gemeinschaftliches Handeln bezeugt ist
Vgl.
M.Komjáthy (Hrsg.), Protokolle des Gemeinsamen Ministerrates der Österreichisch-Ungarischen Monarchie S. 124 Anm. 181: „In der Entwicklung der im weitesten Sinne ge-nommenen gesellschaftlichen Beziehungen, der gesellschaftlichen Berührungsformen, der Beziehungen innerhalb der Klassen, im alltäglichen Zusammenleben hat sich im Verlaufe von Jahrhunderten kaum eine meritorische Veränderung gezeigt. Gemessen an dem riesigen Unterschied, der zwischen den Lebensverhältnissen der altgriechischen Gesellschaft und der Welt der modernen bürgerlichen Gesellschaft in technischer Hinsicht besteht, haben sich Art und Formen des menschlichen Zu-sammenlebens seit dem Zeitalter des Perikles bis zum Zeitalter des ersten Weltkrieges im wesent-lichen kaum geändert.“
. Die Protokolle verschiedener Provenienzen und Zeiten unterscheiden sich gattungsmäßig von anderem Aktenschriftgut, aber nicht wesentlich voneinander: Die Editoren beschreiben ganz ähnliche Merkmale für Uni-versitätsprotokolle des ausgehenden 14.
E.
Winkelmann(siehe oben S. XLIV Anm. 1), G.
Ritter,
Die Heidelberger Universität, I S. 120 (Plenarversammlungen seit 1393).
und 15. Jahrhunderts
A.Staehelin, Geschichte der Universität Basel S. 7ff., 19 (Regenzprotokolle seit 1482),
A.Seifert (Bearb.), Die Universität Ingolstadt S. 94–99, 111, 127, 142–145, 209, 238. Die Protokollführung ist in „den neunziger Jahren des 15. Jahrhunderts“ an der Universität Ingol-stadt „zur festen Einrichtung geworden“ (
ders., Statuten und Verfassungsgeschichte S. 214f.).
, für Domkapitels-protokolle
Vgl. die Edition der Konstanzer und Speyerer Domkapitelsprotokolle durch
M.Krebs, sowie
F.Herrmann (Bearb. und Hrsg.), Die Protokolle des Mainzer Domkapitels seit 1450 III; Forschungsbericht von
L.Lenhart, Zur Geschichte der Mainzer Domkapitelsprotokolle, in: AmrhKG 12 S. 129–147.
, die um 1450 einsetzen, für Konzilsprotokolle des
15.
Siehe unten S. LVII Anm. 6 sowie
CT, 4.5, 6.1, 6.2, 6.3, 7.1, 8.9.
und Reichs-tagsprotokolle des 16. und 17. Jahrhunderts
Vgl. die unten angeführten Stücke aus denDeutschenReichstagsakten,
denUrkunden-
undAktenstückendesBurgundischenKreisesund denActaReformationisCatholicae (ARC),
den APW
III A 4, 1.
. Dabei spielt es im Grunde keine Rolle, ob die Protokolle der vorrevolutionären Zeit angehören wie die Wahl-protokolle des Kurkollegs
Siehe unten S. LIII Anm. 8.
und luxemburgischer Gemeinden
E.
BonvalotS. 83ff.
, wie die Protokolle des „Brandenburgischen Geheimen Rates“
Vgl. vor allem die Einleitung vonMeinardus,
Protokolle VI S. XI-XV.
, ob sie der Französischen Revolution selbst entstammen wie die Akten der Pariser Stadtverordneten von 1789–90
S.Lacroix (Publ.), Actes de la Commune de Paris pendant la Révolution I, 1–7.
oder ob sie Produkte des 19. und 20. Jahrhunderts sind: so etwa die Protokolle des öster-reichischen Ministerrats 1848–1867, die „Konseilprotokolle“ des preußischen Staats-ministeriums 1850–1878
Vgl. dazu H.
RumplerS. 103.
, die Protokolle des Gemeinsamen Ministerrats von Öster-reich-Ungarn (1914–1918)
und die Protokolle der Reichstagsfraktion der deutschen Zentrumspartei von 1926–1933
1926–1933, bearb. von R.
Morsey.
.
Das auffälligste Merkmal, um zwischen altem und modernem Protokoll zu unter-scheiden, scheint die Entstehungsgeschichte zu bieten: dort die Verfertigung auf-grund einer mehr oder weniger vollständigen Mitschrift in der Sitzung, hier das Steno-gramm des Gesprochenen, das seit 1848 für die großen deutschen parlamentarischen Körperschaften die Regel geworden ist. Der Übergang von (langschriftlichen) Notizen zum Wortstenogramm bedeutet aber eher einen technischen Fortschritt als eine gene-tische Stufe in der Bildung oder im Zusammenwachsen von Institutionen. Eine Vorstufe zum genauen Wortprotokoll, das in der Regel der glättenden Korrektur der einzelnen Redner vor der amtlichen Fertigstellung unterliegt und folglich wie seine unvollkommeneren Vorgänger Mängel an Authentizität aufweisen kann, bildete wohl die Ablösung des reinen Beschlußprotokolls durch das ausführliche „Verlaufs-protokoll“
Bezeichnung ausBoshof –
Düwell –
KloftS. 233f.
, in dem die Meinungsäußerungen der einzelnen befragten Mitglieder des Kollegiums summarisch oder ausführlich oder gar wortgetreu aufgezeichnet wurden. Ein Grundtyp dieser Verlaufsprotokolle sind die Wahlprotokolle jeder Art
Wahlprotokolle aus den Anfängen politischer Meinungsbildung erwähnt bei
M.Braubach, Ein publizistischer Plan der Bonner Lesegesellschaft S. 26 Anm. 2f., S. 38 Anm. 4; Wahlproto-kolle über mündliche oder schriftliche Wahlvorschläge der Urwähler bei Landtagswahlen bei
K.Hugelmann, Die österreichischen Landtage S. 65.
, denn hier war die Zählung der Stimmabgaben die Grundlage für das Ergebnis der Sitzung und die jeweilige personelle Entscheidung, die Zählung aber hatte die genaue Notierung der Stimmen zur Voraussetzung. Eine Aufbewahrung der Einzelstimmabgaben konnte Anfechtungen der Wahl vermeiden helfen und die eigene Wahlberechtigung jedes Tagungsteilnehmers erhalten.
Als erste Protokolle des Kurkollegs sind Wahlprotokolle zu fixieren
RTA ÄR
1 nr. 45 S. 71f. (1376 VI 10), RTA JR
1 nr. 380 S. 849–853 (1519 VI 28).
. Von Anbe-ginn der kurfürstlichen Königswahl an herrschte innerhalb des Kurkollegs grund-sätzlich eine einzelne und gleichberechtigte Stimmabgabe, nicht etwa zusätzlich ein korporatives Votum, eine Akklamation oder Kooptation. Die egalitär konkurrie-rende Teilhabe jedes Kurfürsten an der Wahl, die im Gegensatz zu den teilweise überaus komplizierten, mit Elementen der Kooptation durchsetzten, abgestuften und indirekten Wahlmodi der Städte stand, könnte die Aufzeichnung einzeln gezählter
Stimmen begünstigt haben. Dennoch liegt hier nur ein zeitlich und sachlich sehr ent-fernter Grund für die Votenzählung im ausgebildeten Kurfürstenratsprotokoll von 1645.
Wichtig für die Entstehung eines Sitzungsprotokolls war weiterhin die beratende Funktion, die die Kurfürsten dem König gegenüber ausübten. Von 1441 datiert eine in den Reichstagsakten abgedruckte knappe Aufzeichnung der königlichen Kanzlei über den Ratschlag der Kurfürsten
RTA ÄR
16 nr. 20 S. 61f. (1441 VII 6–16).
; die Ratgeber-Funktion der Kurfürsten aber war zweifellos älter als deren schriftlicher Niederschlag, das Festhalten des Ratsergeb-nisses in einer Art Protokoll
Vgl. auch
Bonvalot S. 373, der „procès verbaux d’ élection“ nach dem Recht von Beaumont (1182) nicht vor 1591 findet, dazu aber bemerkt: „ils nous révèlent, malgré leur date moderne, des formes de procéder souvent très anciennes et parfois contemporaines des affranchissements“ (13. Jahrh.),
Meinardus, Protokolle VI S. XIII, XV (Spanne zwischen Beginn der Proto-kollführung und Konstituierung der Institution, sowohl beim preußischen Geheimen Rat: 1604–1613, als auch beim Schwedischen Reichsrat: 1602–1621).
.
Ein dritter Faktor, der zur Entstehung der Kurfürstenratsprotokolle beitrug und der ebenfalls aus den inneren Verhältnissen des Kollegs resultierte, lag darin, daß der Kurmainzer es übernahm, die Kanzlei des Reiches und der Reichstage zu führen. Vor allem seit Berthold von Henneberg (1441/42–1504) verlagerte sich die führende Rolle des Erzkanzlers von der Kur und vom kaiserlichen Hof auf die Reichstagsgeschäfte.
Vgl. A.SchröckerS. 24ff., RTA MR
3,2 S. 1081.
Dem Mainzer Kurfürsten oblag die Überbringung der Reichsbeschlüsse an den Römischen König, der von den internen Beratungen der Reichstage ausgeschlossen wurde. Auch aus der politischen Position Bertholds entwickelte sich der später fest institutionalisierte Anteil des kurmainzischen Kanzlers an der Organisation der Ku-rien und des Kurfürstenrats. Für die schriftliche Fixierung der Reichsgutachten wurde die kurmainzische Kanzlei federführend und rechtlich verantwortlich. Damit war eine technische Voraussetzung des Kurfürstenratsprotokolls, die Existenz eines Sekre-tärs/Kanzlers für schriftliche Verlautbarungen, gegeben.
Die kompetierenden Rechte und Würden der einzelnen Kurfürsten im Kolleg führten zu Streitigkeiten, deren Schlichtung auf Dauer durch schriftliche Fixierung der einzelnen Vorrechte und Funktionen – bis hin zur Form des Protokolls – erleichtert wurde. Das erste, (allerdings nur in Regestenform) abgedruckte Protokoll des Kur-fürstenrats am Reichstag (1524) hat den Streit zwischen Kursachsen und Kurmainz um das Ansage- und Umfragerecht im Rat zum Gegenstand
Nürnberger Reichstag 1524 II 8 (
RTA JR 4 nr. 22 S. 54–59 und ff.: „Protokollarische Auf-zeichnung des Mainzer Sekretärs Andreas Rucker über die Verhandlungen auf dem Reichstage“). Auf diesen Streit wurde noch in der Lengericher Konferenz Bezug genommen, wo Kurbrandenburg und Kurbayern zugleich das sächsische Umfragerecht reklamierten. Siehe unten S. 171. – Wie die „Summarischen“ und die „Ausführlichen Protokolle“ der Kurmainzer Kanzlei vom Frankfurter Reichstag (1489) ist auch diese Aufzeichnung insgesamt ein diarienähnlicher Bericht über fort-laufende reichsständische Verhandlungen (
RTA MR 3,2 S. 1080f., 1099f.).
: Das technische Direk-torium des Mainzers im Kolleg wurde von Kursachsen mitbeansprucht. Der Streit-punkt wurde einer ausführlichen Berichterstattung, die auch die eigentlichen Beratungs-gegenstände der Sitzung mit einbezog, für wert erachtet. Darin trat, abgesehen von der allgemeinen Ratgeber-Stellung des Kurkollegs gegenüber dem König, ein spezieller thematischer Gesichtspunkt hervor, der protokollwürdig erschien: das technische Ver-fahren im Kolleg selbst, bezogen auf die rangmäßige Stellung und die Ehrenfunktionen seiner Mitglieder.
Das Protokoll von 1524 bringt bereits wichtige institutionsgeschichtliche Aufschlüsse. Kurtrier, das nicht weiß, ob es dem Aufruf von Kurmainz oder von Kursachsen folgend sein Votum ablegen soll, geht mit den übrigen Kurfürsten und Räten – ausgenommen Kurmainz und Kursachsen – zu Rate, wem es zu antworten habe: ein frühes Beispiel für die Unterredung a part, die im Kurkolleg wie in anderen Ratsgremien neben und vor den offiziösen Verlautbarungen der Einzelbefragten stattfand. Des weiteren findet hier schon ein Ausschluß derjenigen Ratsmitglieder statt, die an der Entscheidung einer bestimmten, in den Rat eingebrachten Frage materiell und direkt interessiert waren; auch später hatten die
interessati den Sitzungen fernzubleiben, auf denen Angelegenheiten ihres eigenen Interesses verhandelt wurden. Historisch gesehen bildete die Beratung a part überhaupt den Ausgangspunkt eines eigenen Kur-fürstenrates insofern, als die Kurfürsten oder ihre Räte gesondert vom König und seinen Räten sowie den übrigen Reichsständen zu beraten begonnen hatten. Zieht man ungefähr gleichzeitige Universitätsprotokolle zum Vergleich heran, so wird der all-gemeine institutionsgeschichtliche Zusammenhang des Phänomens noch deutlicher: auch für die älteren Konzilstagungen der Universitäten Ingolstadt und Heidelberg waren
itio in partes und Sonderberatungen korporativer Untergliederungen charakte-ristisch
Für Ingolstadt (vor 1507) A.
Seifert,
Statuten- und Verfassungsgeschichte S. 212f., 205–220, außerdem G.
Ritter,
Die Heidelberger Universität I S. 120.
. Die Einrichtung eines Kollegs im Kolleg kennzeichnet allgemein das Spät-stadium einer beratenden Institution; damit beginnt die Ausbildung neuer handlungs-fähiger und in sich (zunächst) wieder geschlossener Ratsgremien.
Wir setzen die Drei-Kurien-Organisation des Reichstags, wie sie ausgangs des 16. Jahrhunderts erreicht war, als idealtypische Ausformung der Reichstagsorgani-sation an, weil auch die frühneuzeitlichen Theoretiker des deutschen Reichsstaatsrechts dieses Entwicklungsstadium zum normativen Zielpunkt ihrer historischen Herleitun-gen erhoben haben. Der Reichstag bildete sozusagen das Ober-Kolleg, aus dem das Unter-Kolleg des Kurfürstenrats herauswuchs. Auf dem Reichstag, der selbst wieder von den Gesetzmäßigkeiten der kurfürstlichen Wahlberatungen beeinflußt wurde, ver-selbständigten und verdichteten sich die kurfürstlichen Sonderberatungen a part, bis das Bildungsgesetz des kurfürstlichen Reichstagskollegs sich schließlich auf dieses selbst erstreckte und das Corpus Catholicorum für erneute Parteiung unter Kur-fürsten, Fürsten und Ständen sorgte. Dieses Ober-Kolleg des Reichstags war erwachsen aus der
curia regis, die bereits unter den Saliern und Staufern be-standen hatte. Es ist zwar auffallend, aber bei der „geringeren Ausbildung des Schreibereiwesens“, die für das 14. Jahrhundert noch festgestellt wird
Weizsäckerin RTA ÄR
1 S. LVI.
, erklärlich, daß der Reichsrat des Königs real bestand und häufig beansprucht wurde, ohne daß
jedoch von diesen Beratungen Protokolle überkommen sind. Von den Reichstagen, die im 15. Jahrhundert zu festerer Form fanden, sind zunächst nur flankierende Schrift-stücke, wie man sie bezeichnen könnte, von der maßgeblichen königlichen Kanzlei überliefert: die Ausschreiben für die Reichstage und die Schlußmandate. Die Reichs-tagshandlungen selbst sind durch Briefe, Bündnisabmachungen, Urkunden und Nota-riatsinstrumente dokumentiert. Wie eine kurze Durchsicht der Reichstagsakten ergibt, erwiesen sich dann auch Propositionen und Bedenken der Stände als wichtig und über-lieferungswürdig. Auch hier wurden zunächst Anfang und Ende der Beratungen, der Auftrag an die Stände und ihr Gutachten, schriftlich festgehalten
Vgl. RTA JR
7, 2 nr. 104 S. 1128ff., nr. 106 S. 1138ff., RTA JR
2 S. 390ff.
, die Schriftlichkeit der Reichstage wuchs gleichsam von außen nach innen. Ausgefertigt wurden zunächst diejenigen amtlichen Dokumente, die den Beginn und den Schluß des Gesamtreichstags säumten und die den Ausgang sowie das Ergebnis der jeweiligen Ständeberatungen oder Beratungsperioden sichtbar werden ließen. Der Beratungsverlauf im einzelnen blieb von der Niederschrift vorerst ausgeklammert, er blieb rechtlich unverbindlicher, meist mündlicher Zwischentext.
Im 15. und 16. Jahrhundert traten nun verschiedene Umstände und Entwicklungen ein, die eine ausführlichere Überlieferung des gesamten Reichstagsgeschehens und in der Folge auch die Protokollierung der Ständeberatungen begünstigten. An erster Stelle ist hier die Reichstags-Berichterstattung der Städte zu nennen. Bereits auf dem Nürnberger Reichstag von 1387 wurden bei der Schilderung von Bündnisverhand-lungen zwischen König Wenzel und dem Schwäbischen Städtebund die Anwesenden und einzelne Beschlüsse aufgeführt
RTA ÄR
1 nr. 301 S. 546f. (1387 III 20–21).
. Aus solchen Schriftstücken entstanden dann „pro-tokollarische Aufzeichnung(en)“ der städtischen Ratsschreiber über die Verhand-lungen auf Reichstagen. Die Stadtschreiber berichteten sowohl über Verhandlungen der Städte untereinander wie über Beratungen in Ausschüssen u. ä., an denen Reichs-städte beteiligt waren
Vgl.
RTA JR 4 nr. 28 S. 217ff. (1524), vorher
RTA ÄR 16 nr. 42, 43 S. 80–86ff. (Ver-handlungen schwäbischer und fränkischer Reichsstädte 1441 VII 2–5),
RTA JR 7,1 S. 593ff. (Ausschuß-Sitzungsberichte), 598f., 656 (Sitzungsberichte des Städterats vom Speyerer Reichs-tag 1529).
. Dabei reihten sie kurze Mitteilungen über Sitzungen, die an aufeinanderfolgenden Tagen stattgefunden hatten, chronologisch aneinander. In den fortlaufenden Berichten über Zusammenkünfte, die sich über mehrere Tage hinweg erstreckt hatten, wurden nicht nur Sitzungsbeschlüsse verzeichnet; bereits 1441 tauchen Voten einzelner Städte mit Namen auf
RTA ÄR
16 S. 80ff.
. In Form und Gehalt liegt hier der Archetyp des Reichstagsdiariums vor, dessen Führung später bei den Gesandten bedeutenderer Reichsstände zur Regel wurde: Es schilderte den eigenen Anteil an den Reichstagsgeschäften, verzeichnete den eigenen Briefauslauf und -eingang und enthielt Eintragungen allgemeinerer Natur über den Verlauf des Reichstags
Bekanntes Beispiel das „Protokoll“ des Augsburger Reichstags 1530 von Valentin von Tetleben (dazu
APW[III A 4, 1 S. XXXIV] ).
. Zwei Ursachen für das schreibfreudige Verhalten der Städte auf Reichsversammlungen scheinen
unmittelbar einleuchtend zu sein: Da in der Regierung der Städte genossenschaftliche und kollegiale Organisationsprinzipien herrschten, war auch ein Gesandter, selbst wenn er im Rang eines Bürgermeisters stand, verpflichtet, über den Erfolg seiner Reise Rechenschaft zu legen. Dabei kamen ihm ausführliche Berichte zustatten. Da außerdem Ratsbeschlüsse in einzelnen Städten bereits während des frühen 15. Jahr-hunderts protokolliert wurden
„Protokollierte Ratsbeschlüsse“ sind aus Venedig, Siena (
RTA ÄR 10 S. XLIII), Florenz (Ausschußberatung 1434 XI 21 mit Voten der einzelnen Mitglieder,
RTA ÄR 11 nr. 307 S. 564f.) und Zürich (reines Beschlußprotokoll von 1433 XI 17,
RTA ÄR 11 nr. 75 S. 154) bekannt; weitere Beispiele (Literatur) bei
H. O.Meisner, Archivalienkunde S. 209 Anm. 9. – Protokolle städtischer Gerichtsverhandlungen sind schon vom Beginn des 14. Jahrhunderts über-liefert (
Ruebel nr. 284: Wesel 1302).
, mochten die Stadt- oder Ratsschreiber, die den Reichstag besuchten, in ihrer sonstigen Übung und Gewohnheit Anregung finden, zumindest diejenigen Beschlüsse zu notieren, die Belange ihrer Stadt betrafen
Vgl. G.
Wolf,
Quellenkunde I S. 389f.
. Denn zum Protokollieren gehörte auch Fähigkeit und Technik, die, wenn sie in kleineren und geschlosseneren Gremien als der Versammlung der hohen Reichstände erworben war, auch auf höhere Ebenen korporativer Willensbildung wie die Reichsversammlung übertragen werden konnte.
Aber es wurde nicht nur in den Reichsstädten früh Protokoll geführt: Während der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts begann man in den Domkapiteln, deren bischöf-liche Herren die Reichstage zum Teil persönlich besuchten, mit der Protokollierung der Kapitelssitzungen
In Konstanz 1432, in Mainz 1450, in Köln 1461, in Augsburg 1462, in Speyer 1500, in Worms 1544 (
Lenhart S. 132f.,
M.Krebs, Die Protokolle des Speyerer Domkapitels I S. VII). Vgl. auch
G.Wolf, Quellenkunde II, 2 S. 171.
. Universitätsprotokolle knappster Art datieren bereits seit 1386
Aus Heidelberg, wobei Verluste der Protokollbücher in Rechnung zu stellen sind (E.
Winkel-mannI S. VII, 13ff.). Vgl. H.
Keussen,
Die alte Universität Köln S. 138.
; auch die Protokolle der Ordenskapitel
Darüber G.
Wolf,
Quellenkunde I S. 256, 272.
und der Konzilien von Konstanz (1414–1418) und Basel (1431–1449)
Auf dem Reformkonzil von Basel war aber die Protokollführung noch nicht verfassungsmäßiger Brauch der Konzilskongregationen, sondern hing von der Anwesenheit eines protokollierenden Notars in den Sitzungen ab (
G.Wolf, Quellenkunde I S. 92–94, 63–67). Deshalb verdienen diese Konzilsprotokolle, die während der Sitzungen angefertigt und in ein gebundenes Heft (Kladde) eingetragen wurden, noch nicht den Namen „offizieller“ Konzilsprotokolle (
RTA ÄR 10 S. LI X f.).
konnten für die zunehmende Schriftlichkeit bei den Reichstagsverhandlungen von Einfluß sein. Auch auf Reichsebene wirkte ein genossenschaftliches Prinzip, wie es in den Städten und Kapiteln, auf den Konzilien und bei den Landständen in Geltung stand: Weltliche und kirchliche Korporationen, die im 15. Jahrhundert – oder bereits früher – ihr Handeln in Protokollform auf-zeichnen ließen, besaßen Vertretung auf Reichstagen. Gebildete Kleriker versahen nicht nur in den Städten, oft bis zur Reformationszeit, das Amt des Ratsschreibers und in den Kapiteln die Rolle des Sekretärs, sie traten auch als Gesandte oder als Ge-folge am Reichstag auf.
Die Wandlung des Reichstags vom Fürstentreffen zum Gesandtenkongreß, die sich nach 1500 verstärkt vollzog, machte für alle Stände, nicht nur für die Reichsstädte,
eine ausführlichere Berichterstattung vom Reichstag notwendig. Wenn der Reichsadel nicht mehr selbst am Reichstag die Entscheidungen traf und dort die Beratungsgegen-stände kennenlernte, mußte er darauf sehen, seinen Gesandten genaue Instruktion zu erteilen und von ihnen ausführliche Relation über alle getätigten Geschäfte zu erhalten; Berichte über stattgehabte Verhandlungen fanden Aufnahme in die brieflichen Akten, die vom Reichstag nach Hause übersandt wurden.
Darüber hinaus wurde die Erstellung von Reichsratsprotokollen durch zwei allgemein-geschichtliche Entwicklungen gefördert: durch den Humanismus und durch die Refor-mation. Bereits um 1450 sahen humanistisch gebildete Räte im Reichstag ein ge-eignetes Forum, die Kunst der schönen Rede zu üben
Ein frühes Beispiel ist die doppelte Wiedergabe der Reden auf der allgemeinen Schlußsitzung des Reichstags von Regensburg 1454 V 21 in Form einer „amtlichen Niederschrift“ und einer Dar-stellung des Bf. Enea von Siena (
RTA ÄR 19, 1 nr. 37 S. 282–286, 288ff.); über den Einfluß des Humanismus allgemein
Schubert S. 159–190.
. Man schätzte oratorische Leistungen so hoch ein, daß man sie in ihren Einzelheiten aufzeichnete und so der Nachwelt übermittelte.
Den letzten äußeren Anstoß zur Anfertigung ausführlicher Protokolle aus dem Kurfürstenrat scheint die Reformation gegeben zu haben. Jedenfalls treten die ersten, über Beschlußnotationen hinausgehenden Kurfürstenratsprotokolle, soweit sich dies anhand der gedruckten Akten nachweisen läßt, im Zeitalter der Reformation auf. Zu dem bereits angeführten Protokoll der kurfürstlichen Unterredung vom Nürnberger Reichs-tag 1524 mögen noch die oben genannten Gründe geführt haben: kollegintern das Wahlrecht der Kurfürsten, ihre Sonderverpflichtung zu Rat und Hilfe, die kur-mainzische Verwaltung der Reichskanzlei und die Rangordnung im Kolleg, extern das Vorbild der Städte und der geistlichen Genossenschaften, die Anwesenheit schreib-gewohnter Reichstagsteilnehmer, der Übergang vom Fürstentag zum Gesandtenkon-greß und die gelehrte Neigung zu den „artes“. Aber das erste gedruckte Mainzer Kurfürstenratsprotokoll, das Voten enthält
1542 VIII 3/4 (Nürnberger Reichstag). Druck:UuABurgund.
KreisI nr. 273 S. 180f.
, steht nicht isoliert in seiner Epoche.
In das mehrbändige Werk der
ActaReformationisCatholicae
Mitgeteilt von G.
Pfeilschifter(Hrsg.) Bd. I-V.
sind viele protokollähnliche Schriftstücke aufgenommen worden. Sie bezeugen die Sammlungs-bewegung der altgläubigen Partei gegen die kirchliche Neuerung, die vor allem im süddeutschen Raum früh zu Konventen und Konferenzen führte. Die Zeugnisse über diese Tagungen reichen vom summarischen „Rahmenbericht“
ARC I nr. 44 S. 172–174 (fortlaufender Bericht des Salzburger Rats Dr. Nikolaus Ribeisen über Beschlüsse und Handlungen der Salzburger Konferenz 1523 XI). Vgl. das „Diarium der Gesandten des jülicher Herzogs“ 1540 XII 4–20, Worms (
ARC III nr. 100 S. 291–298).
über Abschiede und Rezesse bis zu Beschluß- und Verlaufsprotokollen. Es hatte zwar lange vor der Reformation genossenschaftliches Handeln gegeben, das protokollähnliche Akten schuf, aber es ist doch auffallend, daß zugleich mit der Herausbildung einer katholischen Partei unter den Reichs- und Landständen seit 1522 eine verstärkte Produktion protokollähnlichen Schriftgutes einsetzte. Vermehrter Anfall von Akten über münd-liche Verhandlungen ist nicht nur aus dieser Zeit kirchlicher Umwälzungen bekannt:
; die Aktivität der deutschen Revolution von 1848 hat in den Stenographischen Berichten der Frankfurter Nationalversamm-lung und des österreichischen Reichstags
Die Stenographischen Berichte aus der Paulskirche umfassen neun, die Verhandlungen des Reichs-tags in Wien 1848/49 fünf Bände.
sowie in den Protokollen und Verfassungs-entwürfen deutscher Landtage
Vgl. K.
Hugelmannpassim, sowie die Protokollreihe der Berliner Nationalversammlung.
reichen Niederschlag gefunden. Die institutions-bildenden Bewegungen und Kräfte dieser unruhigen Zeiten verstärkten den Schrift-verkehr und den Hang zur Dokumentation. Es kann zwar methodisch nicht gelingen, einen schlüssigen Kausalzusammenhang zwischen einer Quellengattung und dem ge-schichtlichen Leben herzustellen, das sie hervorrief, weil dieses Leben selbst nur in bereits geformten Quellen faßbar ist
J. G.
Droysen,
Grundriß der Historik §§ 21–36 S. 332–339, insbesondere § 34;ders.,
Texte zur Geschichtstheorie S. 61.
; dennoch mag die Annahme erlaubt sein, daß die Formmerkmale, die die Quellengattung der Reichsratsprotokolle des frühen 16. Jahrhunderts ausprägte, den Kampf der wirkenden Kräfte des Zeitalters wider-spiegeln.
Ähnlich wie bei den städtischen Reichstagsprotokollen des frühen 16. Jahrhunderts lassen sich auch bei den Protokollen altgläubiger Stände verschiedene Entwicklungs-stadien unterscheiden. Vorstufen der Protokolle sind zunächst die Relationen, dann die Abschiede oder Gutachten. Die Beratungsergebnisse einzelner Beratungen oder Beratungsphasen werden in selbständigen Schriftstücken festgehalten; sie bedürfen nicht mehr der Briefform, um quellenmäßig in die Welt zu treten. Solche Abschiede heißen
Recessus sive conclusio eorum, quae tractata et consulta sunt in congre-gatione;
So der „Rezess“ des Mühldorfer Reformkonvents von 1522 V 31 (
ARC I nr. 13 S. 62–66) und der „Rezess“ der Speyerer Konferenz (Beratung des Eb. Matthäus von Salzburg mit seinen
mitbischoven und deren Räten) von 1529 IV 24 (
ARC I nr. 204 S. 620).
sie sind zwar keine Relationen mehr, bilden aber erst die Vorstufe der Protokolle, da sie nur die Ergebnisse der Verhandlungen, nicht diese selbst festhalten. Gutachten und Abschiede können förmlich und feierlich ausgefertigt und in die rechts-gültige Form von Mandaten oder Verträgen gegossen werden wie z. B. die Reichs-abschiede. Mit dem ansteigenden Grad ihrer förmlichen Fixierung, ausdrücklichen Rechtsgeltung und Irreversibilität entfernen sie sich von der Form des Protokolls, zumal wenn sie den förmlichen Abschluß einer festgelegten Phase gesetzgeberischer Tätigkeit bilden. Die Ausarbeitung förmlicher Einzelgutachten kann aber zurück-treten, wenn Konsultationen, wie die der altgläubigen Stände auf regionaler und Reichs-ebene, eher situationsbedingt als rechtlich aufgegeben sind, wenn längere Konferenz-folgen eintreten und hochgestellte Instanzen fehlen, denen Gutachten übergeben werden müßten. Die Rezesse einzelner Beratungen werden dann in Gestalt eines „Rahmen-berichts“
Vgl. das „Protokoll über die Verhandlung des Episkopats mit den weltlichen Fürsten auf dem Passauer Fürstentag“ 1537 II 16/20 (
ARC II nr. 83 S. 371f.) und
RTA JR 4 nr. 28 S. 217ff.
aneinandergereiht; der fortlaufende Bericht über die einzelnen Beratungs-ergebnisse vermittelt so selbst Einzelheiten über den Gang längerer Verhandlungen: Er führt ihre Kristallisationspunkte auf und gerät damit zum protokollartigen Zwischentext des Verhandlungsstranges in seiner Gesamtheit. An die Stelle poten-tieller Einzelgutachten treten Beschlußprotokolle. Die beiden Quellengruppen der Gut-achten/Abschiede/Rezesse einerseits und der Protokolle andererseits sind erst dann völlig zweifelsfrei zu unterscheiden, wenn der
Rezess oder
Ratslag nicht nur die beratenen Punkte mitteilt, sondern darüber hinaus Hinweise auf Reden, Äußerungen, Meinungen der Konferenz-teilnehmer zum Beratungsgegenstand enthält, d. h. wenn das Beschlußprotokoll wenigstens ansatzweise zum Verlaufsprotokoll geworden ist. Kommt es zur Ausbildung langer und unübersichtlicher Verlaufsprotokolle, so kann das notwendig gewordene Beschlußprotokoll selbst wieder zum „Abschied“
So das Beschlußprotokoll der Neusser Konferenz 1535 XII 29 – 1536 I 7 (
ARC II nr. 51 S. 133–136). – Reine Beschlußprotokolle mit Datum, Präsenz, knapper Inhaltsangabe des zu beratenden Eingangs und mit Beschluß sind die Protokolle der Propagandakongregation in Rom
ActaSCdePF). Diese Beschlußprotokolle sind aber nicht Abschiede zu nennen, obwohl sie nur bei der (seltenen) Anwesenheit des Papstes dessen Stellungnahme und mögliche Erwiderungen enthalten. Sie informieren, wie z. B. auch die teilweise „knappe(n) Beschlußprotokolle“ der Zentrumsfraktion (
Morset S. XXV), über die Abfolge interner Beratungen.
werden: Das Protokoll ist ein Ergebnis der Ausdifferenzierung von Schriftgut, es tritt langfristig neben die Gutachten bzw. Abschiede, ersetzt sie aber nicht.
Der Übergang vom Rezess zum Beschluß- und danach zum Verlaufsprotokoll, der sich im Lauf der katholischen und gemischtgläubigen Ständekonferenzen und Reli-gionsgespräche zwischen 1522 und 1541 vollzieht, läßt sich an bestimmten formalen Eigentümlichkeiten greifen, die später auch bei den Kurfürstenratsprotokollen anzu-treffen sind. Zunächst wird der
Ratschlag, das
consilium einer
consultatio, mit Actum-Vermerk versehen. Dann wird eine Präsenzliste der Persönlichkeiten, die an den
consulta teilgenommen haben, hinzugefügt
Vgl. die Protokolle der Salzburger Konferenzen 1523 XI 16 (ARC
I nr. 47 S. 176–178), 1542 I 7–12 (ARC
II nr. 182 S. 720–723), das Consilium in re Lutherana
1523 XI (ARC
Inr. 50 S. 183f.); zum „Actum“ H. O.
Meisner,
Aktenkunde S. 55.
und Vorsorge für die dokumentarische Echtheit getroffen. Schließlich entwickelt sich, weil besonders wichtige Themen behan-delt werden und man die einzelnen Meinungsäußerungen schriftlich festhalten will, das Verlaufsprotokoll.
a)
Präsenz: Im Unterschied zu den in Mandatsform gebrachten Gutachten, etwa den Reichsabschieden, werden die Protokolle von den Konferenzteilnehmern nicht förmlich (vertretungsweise oder eigenhändig) unterschrieben; die Beteiligten sind aber – in der Regel am Anfang des Protokolls – namentlich aufgeführt: Dies ist der Präsenzvermerk. Im Unterschied zu den Abschieden, beispielsweise den Reichsab-schieden, steht die Vollmacht des am Verhandlungsakt teilnehmenden Vertreters eines Herrn (wie bei Unterfertigung eines Abschieds etwa des Subskribenten) nicht von vornherein rechtskräftig fest. Die Erörterung des Problems, ob dieser oder jener anwesende Vertreter handlungsbefugt, d. h. mit rechter Vollmacht versehen sei, im Namen seines Herrn zu sprechen, und „Plenipotenz“ besitze, um bindende Beschlüsse zu fassen, gehört selbst in das Protokoll hinein. Das Problem der Vollmacht kann
selbst Thema der Konferenz werden und verdient dann, vor allem im Hinblick auf zu fassende, alle Konferenzteilnehmer bindende Beschlüsse, ausführliche Protokollierung
Vgl. Beratung der bischöflichen Vertreter von Freising, Regensburg, Passau 1531 II 8 auf dem Kreistag zu Regensburg (
ARC I nr. 214 S. 650–652), Protokoll der Speyerer Konferenzbischöf-licher Vertreter aus verschiedenen Bistümern 1529 IV 13 (
ARC I nr. 203 S. 619).
.
b)
Dokumentarische Echtheit: Da zum Wesen frühneuzeitlicher Stände-protokolle nicht die förmliche Unterschrift der Teilnehmer oder des/der Protokollanten hinzugehört, sondern der formlosere Präsenzvermerk, stellt sich für sie verschärft das Problem der Echtheit und Beglaubigung. Protokolle sind bereits in diesem frühen Stadium andere Dokumente als formell unterschriebene Briefe, Abschiede und Urkun-den, auf die man sich grundsätzlich berufen könnte; sie sind zunächst nicht die Schriftform für eine zweifelsfrei gegebene vertragliche Verpflichtung. Dies schließt aber keineswegs aus, daß die Protokollanten sich um die getreue Wiedergabe des Gesprochenen bemühen. Im „Mainzer Präsidialprotokoll des Wormser Gesprächs-tages“
1540 XI 19 – 1541 I 18 (
ARC III nr. 99 S. 196–291).
wird den protokollierenden Notaren (Doktoren) anempfohlen, ihre Notizen
miteinander zu
collationiren und jder dem andern seine acta zu
subscri-birn
Die „Vollziehung“ des Protokolls mittels Unterschrift der Parteien (darüber
F.Küch S. XXXIV) ist aber noch kein konstitutives Merkmal des frühneuzeitlichen Protokolls (anders Vernehmungsprotokolle).
. Sie und ihre Substitute nehmen es auf ihren Eid, alles Vorgebrachte sorg-fältig aufzuzeichnen,
ire bucher und prothocolla nur den Gesprächsteilnehmern zur Kopie zu überlassen und die
originalia aufzubewahren
Die Substitute (Sekretäre) hingegen sollen zunächst nur
ausschreiben, was ihnen befohlen wird (
ARC III nr. 99 S. 225f.). Über die Eidesleistung protokollierender Domkapitelsekretäre vgl.
F.Herrmann S. XII, über das Problem der Vertraulichkeit bei Protokollen aus der Zeitgeschichte
Morsey S. XXVIII.
. Im Unterschied zum Brief bleibt das Original bei Händen und wird gerade nicht zur Expedition frei-gegeben.
c)
Thematik und Votum: Mit der Notierung von Einzelvoten der Konferenzteilnehmer ist der erste Schritt hin zum vollständigen Verlaufsprotokoll vollzogen; der stenographische Bericht über Parlamentsreden im 19. Jahrhundert bedeutet gegen-über dem frühen
protocollum votorum nur eine letzte Ausformung. Die Anfänge des Votenprotokolls, die bei den bischöflichen Beratungen um 1529 – und vorher schon bei den Wahlprotokollen und bei den Protokollen über Städte-Konferenzen – zu beobachten sind, bestanden darin, daß abweichende Meinungen bestimmter Ver-treter zu einem Beratungspunkt aufgeschrieben wurden
Siehe die
„Nota“ von Passau und Freising auf dem Regensburger Kreistag von 1531 (
ARC I nr. 214 S. 651) sowie das Protokoll der Salzburger Konferenz 1542 I 7–12 (
ARC II nr. 182 S. 723).
; diese abweichenden Mei-nungen bei fast erreichter Einmütigkeit wurden zunächst mehr angemerkt als breit dargelegt. Es gab formal zwei Grundmöglichkeiten, die allerdings miteinander kom-biniert werden konnten, die Sondermeinungen zur Niederschrift zu bringen: Entweder gab der Protokollant die Beschlüsse zu den einzelnen Artikeln in der Reihenfolge der Proposition wieder, diese sachliche Gliederung ließ nur knappen Raum für die Ein-fügung divergierender Ansichten
Siehe
ARC I nr. 203 S. 618f. (1529), ARC IV nr. 225 S. 549–558 (Protokoll der Salzburger Bischofskonferenz 1545 IX 19/20),
A.Seifert (Bearb.), Die Universität Ingolstadt S. 38–56, 94–99, 111, 142–145, 209, 238, 316f.
; oder die Voten der einzelnen Konferenzteilnehmer zum Gesamtkomplex der Proposition wurden hintereinander aufgeführt: Die Reihen-folge in der Abgabe der Voten wurde zur Grundlage für die Gliederung des Protokolls
Voneinander abgesetzte Voten der Jülicher und der Kurkölner Räte im Protokoll der Neusser Konferenz 1535 XII 29 – 1536 I 7 (
ARC II nr. 52 S. 136–138) und der Kölner Konferenz 1537 I 16 (
ARC II nr. 60 S. 169–174).
.
Die Aufschreibung von Einzelvoten setzte voraus, daß die Thematik der behandelten Sachen von hohem Interesse war. Die Themen mußten aus der Perspektive eines oder mehrerer Konferenzteilnehmer oder aber – später – einer interessierten Öffentlich-keit
Im Kurfürstenrat wandte man sich noch 1645 gegen den Raubdruck von Sitzungsprotokollen in Post-Zeitungen (siehe unten
[Nr. 39] S. 240). Auf dem Immerwährenden Reichstag wurden dann die Reichsprotokolle durch Kurmainz und Kursachsen (für das Corpus Evangelicorum) diktiert und teilweise gedruckt (vgl.
J. J.Moser, Teutsches Staatsrecht). Der Deutsche Bundestag nach 1816 unterschied zwischen Separatdruck
loco dictaturae für die Bundesmitglieder und einer Quartausgabe für die Öffentlichkeit. Die Veröffentlichung sollte tendenziösen Presseberichten über Bundestagssitzungen entgegenwirken. Eine letzte Stufe war der – 1848/49 geübte
– sofortige und vollständige Druck stenographischer Berichte zur Unterrichtung des Volkes (
H. O.Meisner, Die Protokolle des Deutschen Bundestages S. 2–14, 12f.).
für so wichtig erachtet werden, daß man die Meinungsäußerungen darüber in extenso mitschrieb und aufbewahrte. Zu den Entstehungsbedingungen des Votenproto-kolls gehört ein zumindest im Ansatz vorhandenes Publikum, auch wenn es zunächst nur aus den Mitgliedern der verhandelnden Genossenschaft besteht
Beim Marburger Religionsgespräch wandte sich Luther gegen die Führung eines offiziösen Proto-kolls, weil er den „vertraulichen Charakter“ der Unterredung wünschte (
G.Wolf, Quellenkunde II, 1 S. 254). Bei den Protokollen des österreichisch-ungarischen Gemeinsamen Ministerrats (1914) durften laut Mitteilung des Protokollanten gewisse vertrauliche Nachrichten nicht in das Protokoll aufgenommen werden (
Komjáthy S. 95f.: Insofern sei das Protokoll eine „negative Quelle“, die, eine Spur vom Verschwiegenen enthaltend, über das Verschweigenswerte indirekt Auskunft gebe).
. Neben dem Inte-resse und dem informationsberechtigten Publikum wird eine weitere Bedingung der nach Voten gegliederten Protokollführung die Reflexion auf gesteigerte Verantwort-lichkeit der einzelnen Genossenschaftsglieder für zu fassende Beschlüsse. Ein Bewußt-sein für Autonomie und Selbständigkeit tritt hervor. Bei der Spaltung des alt-gläubigen Lagers, die während der Wormser Religionsgespräche 1540 eintritt, be-gründen Pfalz, Brandenburg und Jülich den Wert ihrer Einzelstimm-Abgabe unter Berufung auf das Hagenauer Religionsgespräch: Dort sei vorgesehen worden, daß die katholische und die evangelische Seite
christlich freuntlich miteinander reden sollten; da
eyns jeden votum oder stym yhe fry und unverbonden sei, könne im Falle einer ausbleibenden Einigung der abweichende Stand seine Meinung übergeben, wie er es vor Gott, der Welt und seiner Obrigkeit verantworten zu können hoffe
„Diarium der Gesandten des jülicher Herzogs“ 1540 XII 18 (
ARC III nr. 100 S. 294f., 291–298). Zur gesteigerten Bedeutung der Visitationsprotokolle während der Reformation
G.Wolf, Quellenkunde II, 1 S. 1, 7–10, 13, II, 2 S. 120.
. Es liegt auf der Hand, daß die wichtige religiöse Thematik nicht nur gegensätzliche Stellung-nahmen unter den Gesprächspartnern auslöste, sondern auch die Aufzeichnung der Einzelvoten von
Pfaltz, Meintz und
Strassburg sowie die Anfertigung zweier Protokolle, eines katholischen kurmainzischen und eines evangelischen kurpfälzischen, begünstigte
Das „Mainzer Präsidialprotokoll“ von 1540 XI 19 –1541 I 18 (
ARC III nr. 99 S. 196–291) informiert über den Gesprächsverlauf (Einzelmeinungen, Bedenken), über die Präsenz (
ebd. S. 207, 216), über Mehrheitsbildung (
ebd. S. 260).
. In auffälliger zeitlicher Nähe zu den Protokollen vom Wormser Ge-sprächstag 1540/41 steht das ebenfalls Voten aufweisende Mainzer Kurfürsten-ratsprotokoll von 1542
Nürnberger Reichstag 1542 VIII 3/4 (
UuABurgund.Kreis I nr. 273 S. 180f.); das Pro-tokoll davor (1542 VII 29/30,
ebd. nr. 272 S. 180) führt bereits die Räte von Kurmainz, Kursachsen, Kurbrandenburg als Handelnde auf.
, dem gleichartige Protokolle aus dem Kurfürstenrat der Reichstage von Speyer (1544) und Worms (1545)
Teildrucke
UuABurgund.Kreis I nr. 330 S. 245f., nr. 346 S. 257–259, nr. 349 S. 261f., nr. 359 S. 267, nr. 363 S. 269f., nr. 370 S. 285f. (1544 VI 7 – 1545 VII 27).
, von Augsburg (1547
1547 IX 3 – X 8 (
ARC V nr. 32 S. 87–107), 1547 X 18–26 (
ebd. nr. 48 S. 138–148). Vgl.
ebd. nr. 33 S. 107f. bayerisches Fürstenratsprotokoll 1547 IX 3, 5 (2 Voten).
und 1548
UuABurgund.
KreisI S. 313 und 1549 (ARC
V).
) folgen. Themen dieser ersten Votenprotokolle sind die burgundische Frage, also staatsrechtliche Probleme der Reichszugehörigkeit, und die Glaubensspaltung.
Spätestens seit 1542 sind also im Kurfürstenrat des Reichstages
protocolla votorum geführt worden. Sie bilden die Grundform der hier edierten Kurfürstenratsprotokolle vom Westfälischen Friedenskongreß, nur daß die ursprünglich kurzen Voten-No-tierungen 1645 an Umfang gewaltig zugenommen haben und zum Teil viele Folioseiten füllen. Dies ist aber keineswegs erst das Resultat der Entwicklung eines Jahrhunderts; bereits 1551, ein knappes Jahrzehnt nach dem ersten bisher ermittelten Votenpro-tokoll aus dem Kurfürstenrat, haben die kurfürstlichen Voten vom Passauer Tag eine erhebliche Länge.
Vgl.UuABurgund.
KreisII nr. 489 S. 55ff.
Dennoch wird sich das
protocollum votorum im Kurfürstenrat eher allmählich als schlagartig durchgesetzt haben. Vor und neben den ersten Votenprotokollen existieren nämlich weiterhin kurmainzische Beschlußprotokolle aus dem Kurfürstenrat. Noch 1647 bis 1649 sind von einzelnen, minder wichtigen Kurfürstenratssitzungen aus der Mainzer Kanzlei nur Beschlußprotokolle erhalten. Diese Vorstufe des
protocollum votorum ist bereits ein echtes Protokoll. Es bildet gegenüber den Gutachten des Kurkollegs ein selbständiges Schriftstück
Vgl. die Kurfürstenratsgutachten 1541 VII 4 (
ARC III nr. 118 S. 379, nr. 122 S. 388f.), 1547 IX 20, 30 (
ARC V nr. 37 S. 118–120, nr. 41 S. 124–126).
und enthält Aufzeichnungen über die Re- und Correlation, d. h. über den Austausch der Beschlüsse und Gut-achten der drei Reichsräte
Auch nachdem Voten notiert worden sind, wird der Meinungsaustausch der Kurfürsten mit
Gemaine stendt, die Re- und Correlation, festgehalten (1547 IX 3,
ARC V nr. 32 S. 87ff.). Reines Kurfürstenratsprotokoll über die Re- und Correlation: 1541 VII 2, 4 (
ARC III nr. 117 S. 378f.).
Kurfürstenrat, Fürstenrat und Städterat, die ihre An-sichten zum Reichsgutachten zusammentragen.
Läßt nun die Entstehung eines ausführlichen Votenprotokolls darauf schließen, daß die Genossenschaft, die es hervorbringt, eine verfassungsrechtlich höhere Entwicklungs-stufe erreicht hat? Bezogen auf den inneren Zusammenhalt des Kollegs, muß die Antwort überraschend lauten: Nein. Die Aufschreibung oder Übergabe
Schriftliches bayerisches Votum im Fürstenrat 1541 VII 4 (
ARC III nr. 120 S. 385f.), kursächsisches Votum 1547 IX 30 (
ARC V nr. 40 S. 122f.).
von Einzel-voten wird notwendig, wenn in der beratenden Körperschaft abweichende Standpunkte zu Gehör gebracht werden sollen oder aber wenn ein Stand besonderen Einfluß aus-üben will: Vorher fraglose Einhelligkeit beginnt fragwürdig zu werden, gegen ein gemeinschaftlich verfaßtes Gutachten liegen von vornherein Vorbehalte in der Luft, kurzum, eine Art von Opposition entsteht
Protokolle über die gegensätzliche Kollektiv-Äußerung zweier Parteien (als solche prinzipiell auch die Re- und Correlation aufzufassen): Molsheimer Tag 1542 X 18 (Bistum contra Stadt Straßburg, ARC IV nr. 37 S. 191–193), Wormser Tag 1540/41, wo sich die Kurfürstlichen der gemeinsamen Beratung mit den katholischen Fürstlichen widersetzen (
ARC III nr. 99 S. 229, vgl. nr. 100 S. 293, 297), Spaltung des Kurfürstenrats zwischen Sachsen, Pfalz, Brandenburg und Mainz, Trier, Köln 1548 I 17–30 (
ARC V nr. 57 S. 172–187).
, die ein Forum für das Austragen der Gegensätze braucht. In den früheren Beschlußprotokollen des Kurfürstenrats über die Re- und Correlation liegt der Akzent gerade auf dem geschlossenen Handeln des Kollegs gegenüber den konkurrierenden Kurien; nur das gemeinschaftliche Auftreten scheint der Protokollierung würdig. Das
protocollum votorum ist aber ein Anzeichen dafür, daß der Zusammenhalt der protokollführenden Genossenschaft auf die Probe gestellt ist und die sichere Aussicht auf Einhelligkeit weicht. Die Einzel-äußerungen werden im Rahmen einer Auseinandersetzung wichtig, die das Interesse, die Eigenverantwortung der Genossen und eine zunächst begrenzte Öffentlichkeit
Siehe oben
[S. LXII Anm. 3] . Die wechselseitige Beziehung zwischen Protokollführung und Öffent-lichkeit gestand auch der erste Frankfurter Demokratenkongreß ein. Er beschloß, ein publikations-fähiges „offizielles Verhandlungsprotokoll“ nicht vorzulegen, sondern lediglich seine Beschlüsse „zur öffentlichen Kenntnis zu bringen“, weil die Versammlung sich „auf dem Boden der revo-lutionären Praxis bewege“ (zit. nach
G.Becker, Das Protokoll des ersten Demokratenkon-gresses vom Juni 1848 S. 386).
einbeziehen: Das Votenprotokoll bezeugt den Übergang zur vorparlamentarischen Debatte, repräsentiert die vorparlamentarische Öffnung einer vorher geschlossenen Genossenschaft, die die Präliminarien ihrer Beschlüsse bislang in völliger Vertrau-lichkeit abgewickelt hatte. Die Verantwortlichkeit des Gesandten gegenüber seinem Auftraggeber wirkt umformend auf die Beratungstechnik innerhalb der Kollegien ein. Durch Schriftlichkeit gewährleistete Nachprüfbarkeit tritt an die Stelle insta-biler Vertraulichkeit, die allerdings jederzeit ex post revozierbar war. Auch die kurfürstlichen Beschlußprotokolle über den Umgang der drei Kurien miteinander beleuchten bereits eine vorparlamentarische Öffnung des Reichstags, die wiederum genetisch vor der Offenlegung kolleginterner Auseinandersetzungen liegt. Die Notie-rung der drei Kollegialbeschlüsse der Kurfürsten, Fürsten und Städte, die im 17. Jahr-hundert noch Voten genannt werden
Vgl. etwa den Sprachgebrauch: votum decisivum
der Reichsstädte, aber auch – in der Staats-rechtsliteratur und in den Akten: Votum
der Kurfürsten (
StariciusS. 26), Vot(um) Caesarei et vot(um) statuum (
Kornmanncap. 5 § 13).
auf drei kompetierende Gruppen/Kurien deutlich. Bereits die kurmainzischen Be-schlußprotokolle über die Re- und Correlationen sind – allerdings noch gruppen-bezogene – Votenprotokolle mit dem angedeuteten spezifischen verfassungsrechtlichen Hintergrund einer beginnenden Auflösung und Umbildung mittelalterlich geschlos-sener Genossenschaft.
III. Die Kurfürstenratsprotokolle vom Friedenskongreß 1645–1649
1. Die Überlieferung: AllgemeinesDie in diesem Band edierten Konferenzprotokolle der kurfürstlichen Kurie umfassen den Zeitraum vom 25. Februar 1645 bis zum 25. September 1647. Dabei handelt es sich nicht um eine kontinuierliche Beratungsphase, wie sie sich in den späteren Verhandlungen abzeichnet, die vom 6. Mai 1648 bis zum 9. Juni 1649 in Osnabrück über unerfüllte schwedische und französische Friedensforderungen geführt worden sind. Die Fixierung des Zeitraumes dieser vorliegenden Publikation bedarf daher der Begründung, wobei zunächst zu entscheiden war, bei welchem Zeitpunkt die Edition einsetzen sollte, um die Teilhabe der Kurfürsten am beginnenden Kongreßgeschehen zureichend zu dokumentieren. Denn die Beratungen der kurfürstlichen Gesandten begannen nicht gleichzeitig mit den Beratungen der Fürsten- und Städtekurie nach einer feierlichen kaiserlichen Proposition, wie sonst auf Reichstagen im Prinzip üblich. Die in Münster und Osnabrück anwesenden kurfürstlichen Gesandten traten erstmals in dem westfälischen Dorf Lengerich, das zwischen den beiden Kongreßorten liegt, als förmlicher Kurfürstenrat zusammen (10. bis 11. Juli 1645)
In seinen handschriftlichen Corrigenda in dem prothocollo der Lengericher conferenz den 10
ten July
entscheidet der kurmainzische Gesandte Brömser, diese Konferenz – wie den eigent-lichen Kurfürstenrat – per sessiones zu distinguiren (
MEAFrAFasz. 12).
. Die eigent-lichen Sitzungen der kurfürstlichen Kurie – fast zeit gleich mit den Sitzungen des Fürstenrats in Münster – setzten aber erst über einen Monat später, am 31. August, ein, nachdem zwei Tage zuvor der kaiserliche Gesandte in Münster, Isaak Volmar, der Versammlung der kurfürstlichen und fürstlichen Stände aufgetragen hatte, die Beratungsweise der Reichsstände am Kongreß zu erörtern. Vorher hatten aber schon, abgesehen von den drei Sitzungen der Lengericher Konferenz, 35 Vorkonferenzen der kurfürstlichen Gesandten in Münster und Osnabrück stattgefunden, an denen meist die kaiserlichen Gesandten ebenfalls teilgenommen hatten. Dies entsprach dem Ham-burger Präliminarvertrag von 1641, in dem vorgesehen worden war, daß den Frie-densverhandlungen des Kaisers mit den Franzosen Kurköln und Kurbrandenburg, des Kaisers mit Schweden aber Kurmainz und Kurbrandenburg beiwohnen sollten. Die Konferenzen dieser kurfürstlichen Deputierten, denen sich Kurbayern bereits im Februar 1645 (in Münster) hinzugesellte, begannen am 25. Februar 1645 in Mün-ster und am 17. Mai 1645 in Osnabrück. Da die Kurfürsten hier in Wahrnehmung ihrer Prärogative, ihres Mitspracherechts in Dingen der Reichsaußenpolitik, handelten, erschien es notwendig, diese Konferenzen in die Edition mit aufzunehmen. Seitens der
Reichsstände begann der Westfälische Friedenskongreß praktisch also mit einem auf zwei Orte verteilten Kurfürstentag. Allerdings waren – anders als im Regelfall dieser Art von Reichsversammlung – die kurfürstlichen Gesandten angesichts der aus-wärtigen Mächte nicht die ausschlaggebenden Tagungsteilnehmer; das Kollegium war nicht vollständig; und die Konferenzen fanden meist im Beisein der kaiserlichen Gesandten statt.
Nicht aufgenommen wurden in unsere Publikation die zweiseitigen Besprechungen, die während der Besuche, der sogenannten Visiten eines kurfürstlichen Standes bei einem anderen, stattfanden. Gemäß dem zeitgenössischen Rechtssatz, daß zwei Teilnehmer kein Kollegium bilden, wurden also nicht die zahlreichen Kontakte und Gespräche der Kurbrandenburger mit den Kurmainzern in Osnabrück berücksichtigt, sondern nur die gemeinsamen Assistenzberatungen beider Kurstände mit den kaiserlichen Gesan-dten Lamberg und Krane. In diesen gemeinsamen kurfürstlich-kaiserlichen Kon-ferenzen werden wesentliche Züge der kurfürstlichen Aktivitäten im Vorfeld des Kongresses sichtbar. Die Kurfürstlichen nahmen hier eine intime Ratgeberstellung gegenüber den Kaiserlichen ein. Die Situation ähnelte in etwa derjenigen „im Kabi-nett“, nur daß der Kaiser nicht persönlich anwesend war und daß die kaiserlichen Gesandten in den Monaten bis zum Eintreffen Trauttmansdorffs (29. November 1645) nicht voll verhandlungsfähig waren. Die Bedeutung dieser Vorkonferenzen braucht nicht erst nachträglich vom Historiker festgestellt zu werden, sie war bereits den Handelnden bewußt: Anläßlich der Übergabe der kaiserlichen Proposition am 25. September 1645 wurden übergroße Feierlichkeiten im Kurfürstenrat abgelehnt, um nicht den Eindruck entstehen zu lassen, als hätten bis zu diesem Zeitpunkt noch keine Beratungen stattgefunden
. Sachlich ist die Einbeziehung dieser Vorkonferen-zen in die Edition von Kurfürstenratsprotokollen also durchaus geboten.
Von den Quellen her gesehen ist dagegen diese Einbeziehung keineswegs unproble-matisch. Für die Konferenzen liegen nämlich nicht, wie vom 10. zum 11. Juli 1645 und ab 31. bzw. 29. August 1645, geschlossene Reihen von Protokollen vor, sondern es mußte, um einen Text zu konstituieren, auf protokollartige Schilderungen in den Diarien (Gesandtschaftstagebüchern) und Relationen sowie auf Protokollextrakte der kaiserlichen Gesandten zurückgegriffen werden. Dazu wurden herangezogen das
DiariumWartenberg (Kurköln), das Diarium der kurbayerischen Gesandt-schaft, das
DiariumLöben (Kurbrandenburg), kurmainzische Relationen aus Münster und Osnabrück an den Kurfürsten und Protokolle der kaiserlichen Gesan-dten Krane und Volmar (letztere sind teilweise in den älteren Quellenwerken von
A.Cortrejus, C. W.Gärtner und
J. G.Meiern bereits gedruckt worden). Das
DiariumWartenberg, so genannt nach dem kurkölnischen Hauptgesandten Franz Wilhelm von Wartenberg, ist eigentlich ein Diarium der kurkölnischen Ge-sandtschaft über die
Münsterischen Friedensverhandlungen 1644–1648
HStADüsseldorf,
Kurköln VI (Reichshandlungen 1638–1649) 239–251 Bd. I-XIII und ein Beiband (Publikation in den APW
durch Dr. J.
Förster,
der auch eine aktenkundliche Beschreibung des Diariums liefern wird, in Vorbereitung).
ersten vier Bänden, die hier benutzt worden sind, tritt der Geschäftsanteil Warten-bergs stark in den Vordergrund; auch wird Wartenberg anders tituliert als die übrigen kurkölnischen Gesandten
Durchgängig Ihre Hochfürstliche Gnaden,
bezogen auf seine Herkunft und seine reichsrecht-liche Stellung.
. Das Diarium enthält in der Hauptsache sehr detailliert aufgezeichnete Gespräche, die Wartenberg mit den Kongreßgesandten bei den Visiten geführt hat. In diesen zahlreichen Niederschriften sind – wie auch in den anderen Diarien – die Ausführungen beider Seiten gewissenhaft geschildert. Ähnlich wie bei den Visitenprotokollen wurden auch in die Diariums-Niederschrif-ten über die kurfürstlichen Vorkonferenzen die einzelnen Äußerungen der Teilnehmer in chronologischer Reihenfolge aufgenommen. Als Protokollant der Vorkonferenzen fun-gierte unter anderen der kurkölnische Sekretär Matthias Lintz. Die Zusammenkünfte der kurfürstlichen Gesandten untereinander und die kaiserlich-kurfürstlichen Assistenz-beratungen wurden im
DiariumWartenberg wohl auch deshalb so ausführlich protokolliert, weil Wartenberg in Münster vor dem Zusammentritt des vollständigen Kurkollegs eine direktoriale Stellung beanspruchte: So lieh sich der kurmainzische Gesandte Brömser von dem kurkölnischen Sekretär Gesprächsaufzeichnungen aus
Vgl. Brömser/Osnabrück an Kf. Anselm Casimir, 1645 V 4 (
MEAFrAFasz. 7 [4] nr. 23): Da
mir nicht moglich geweßen, alles dasjenige, waß in 2½ stundt geredet worden, memoriter zu behalten [...] habe ich copiam prothocolli [...] gebetten
(Konferenz zwischen Kurmainz und Kurköln, Wartenberg, von der Recke, Landsberg, vom 3. Mai 1645).
, obwohl es doch zu den Vorrechten des Kurmainzers gehörte, auf Reichstagen authen-tisch zu protokollieren
. Dies ist ein wichtiges Zeugnis für die Gründlichkeit der kur-kölnischen Mitschrift, die in unserer Edition zur Textgrundlage für die kurfürstlichen Vorkonferenzen in Münster gemacht wurde; nur in Ausnahmefällen wurde die kur-bayerische oder kurmainzische Parallelüberlieferung vorgezogen.
Seit dem 10. Juli 1645, der ersten Sitzung der Lengericher Konferenz, unterscheiden sich die Protokolle im
DiariumWartenberg äußerlich nicht mehr von den seit 29. August 1645 gesondert abgelegten kurkölnischen Kurfürstenratsprotokollen: Der Beginn und das Ende der Einzelvorträge im Kolleg werden nicht mehr, wie vorher, formlos und frei angekündigt und umschrieben, sondern der Einsatz der einzelnen Voten ist durch Absatz im fortlaufenden Text gekennzeichnet. Die Votanten werden gleichmäßig benannt (
Churcöllnische, Churbaierische) und durch eine in Zeilen-mitte oder marginal gesetzte Überschrift hervorgehoben
. Den einzigen Unterschied zu den Kurfürstenratsprotokollen kurkölnischer Provenienz seit 29. August bildet die Form der Ablage. Vom 10. Juli bis zum 29. August blieben die Protokolle der kur-fürstlichen Sitzungen in die chronologisch aneinandergereihten Aufzeichnungen von anderen Ereignissen und Gesprächen eingegliedert und wurden mit diesen im Diarium geheftet und gebunden; erst danach erfolgte eine eigene Ablage des bei den Kurfürsten-ratssitzungen produzierten Schriftguts in der zeitlichen Reihenfolge der Sitzungen
1645 VIII 29 setzen die Protokollreiben kurkölnischer Provenienz ein (Verweis in der über-sandten Reinschrift desDWartenberg1646 III 26 auf Session in Fürstenrat und Kurfürsten-rat vermog protocolß,
das im Diarium selbst nicht mehr vorhanden ist,HStAMünchenAbtlg. II, Kasten schwarz 2232: Oßnabruckische correspondenz
1646). Trennung der Pro-tokolle von den Diarium-Eintragungen auch in den kurmainzischen Akten bezeugt durch den Kanzleivermerk: NB protocolla et diariae [!] seind separiret (
MEACorrAFasz. 19 [2]).
Demnach kann die formale Einverleibung von kurfürstlichen Vorkonferenzproto-kollen in das Diarium kein sachlicher Grund für ihre Ausscheidung aus der Edition der Kurfürstenratsprotokolle sein, in der auch die historisch bedingten Vorstufen der förmlichen, reichsgesetzlichen Kollegialberatung erfaßt werden müssen. Außerdem wurden das Diarium und die davon getrennte Protokollreihe im Geschäftsgang ganz ähnlich verwendet: Teile des Diariums, vor allem Aufzeichnungen über wichtige Gespräche, sind von Wartenberg ebenso wie später die kurkölnischen Protokolle des Kurfürstenrats, des Fürstenrats und des Corpus Catholicorum als Brief-Beilagen (u. a. an den Kurfürsten von Bayern) versandt worden
Siehe vor allem Tom. 1 und 2 der Münsterischen collegialtagsacta von der generalfridens-tractation,
bestehend aus kurfürstlichen bevelchen
und nach München erstatteten berichten in praeliminaribus
1644 XII 18 – 1645 VIII 23 (
HStAMünchen,
Abtlg. II: Geh. Staats-archiv, Kasten schwarz 7641 fol. 149’, 341f.; Wartenbergs Berichte wurden teilweise von Kf. Maximilian wieder den auf der Anreise nach Münster befindlichen bayerischen Gesandten zuge-schickt. Wartenberg versandte zusätzlich zu seinen Auszügen aus dem Diarium abschriftlich Briefe u. a. Beilagen zum Diarium). In der Oßnabruckischen correspondenz
1645 VII 5 – 1645 XII 29 zwischen Wartenberg und dem Kurfürsten von Bayern sind die Protokolle der kur-fürstlichen Vorkonferenzen bis 12. August 1645 als abschriftlich übersandte Auszüge aus demDWartenberg,
vom 31. August an als Abschriften von Kurfürstenratsprotokollen kurköl-nischer Provenienz (1645 VIII 31, IX 2, IX 18, IX 20, IX 21, IX 28, X 5, X 15 und 1645 VII 10, 11) enthalten (Kasten schwarz 2231).
. Die Diarien galten aber eigentlich wie die Protokolle als internes Material.
Auch im Diarium der kurbayerischen Gesandtschaft ist nur für die ersten Vorkon-ferenzen die Form der Protokolle von der der späteren kurbayerischen Kurfürsten-ratsprotokolle verschieden. Auch hier sind ab 19. Juli 1645, der ersten Zusammen-kunft nach der Lengericher Konferenz, deren Protokolle in Kurbayern allerdings ablagemäßig bereits der eigentlichen Protokollserie zugehören, Voten aufgeführt
DKurbayernK II p. 300–314.
. Das
DiariumKurbayern liegt in zwei Überlieferungen vor. Das Original im
HauptstaatsarchivMünchen umfaßt drei Bände
HStAMünchen, Abtlg. II Kasten schwarz 7666 (1645 II 21 – 1645 VI 18), 7667 (1645 VI 18 – 1645 X 29), 7668 (1645 X 30 – 1646 IV 29), hier benutzt: 7666, 7667.
. Es ist in der Weise der baye-rischen Relations-Konzepte halbbrüchig von Kanzleihand, aber auch von den Gesan-dten Haslang und J. Adolf Krebs geschrieben und diente der Gesandtschaft am Kon-greßort als Unterlage. Die Einträge reichen vom 21. Februar 1645, dem Vortag des Einzugs der kurbayerischen Gesandtschaft in Münster, bis zum 29. April 1646. Das Diarium ist bis Ende des dritten Bandes (1646 IV 29) in 60
Relationen eingeteilt. Vergleicht man die
bericht der kurbayerischen Kongreßgesandten
Kasten schwarz 7641f., 7646ff.
mit den Einträgen in das Diarium, so zeigt sich, daß
bericht und Diarium keineswegs identisch sind; vielmehr werden im Diarium nur Hinweise darauf gegeben, welchen Relationen die sonst zeitlich fortlaufenden Eintragungen ins Diarium jeweils einzu-fügen oder abschriftlich beizuschließen waren. Das Diarium, das ebenso wie die
bericht der kurbayerischen Gesandten und wie die kurbayerischen Kurfürstenrats-protokolle in Konzeptform vorliegt, ist nichts anderes als die fortlaufend geführte Vorlage für die bis 29. April 1646 übersandten Beilagen und der Stoff für die Rela-tionen. Falls alles Wichtige, d. h. auch die Gesprächsaufzeichnungen, in die
bericht hineingeschrieben wurde, kamen weder Beilage noch Diarium zustande; das Diarium enthält in solchen Fällen nur eine dies kurz mitteilende Notiz unter dem entsprechen-den Tagesdatum
So zur 29. Relation (1645 IX 8): ist kein absonderlich protocoll, sonder die ganze ver-richtung in zwey bericht überschrieben
nach München geschickht worden
(Kasten schwarz 7667 fol. 597); bei der 30. ordinari
wurde außer den berichten
nur das Ratsprotokoll expediert (
ebd.).
. Die Depeschen der kurbayerischen Gesandten bestanden zumindest bis Anfang Mai 1646 aus zwei Komponenten, deren Konzeptstufe in Kasten schwarz (
GeheimesStaatsarchivMünchen) vorhanden ist: aus den eigentlichen Rela-tionen, den
bericht, und aus den
nebenlagen
Kasten schwarz 7663 fol. 109.
oder Beilagen; dazu gehören die gesondert gebundenen und verzeichneten Konzepte der als Beilagen übersandten Reichs-ratsprotokolle (Kurfürstenrat, Fürstenrat, Corpus Catholicorum). Das nach Rela-tionen unterteilte Diarium und die Berichte selbst stellen also zwei verschiedene Über-lieferungsweisen des Kongreß-Geschehens dar: Während die Berichte kommentieren und werten, bieten das Diarium und in seiner (Teil-)Fortsetzung die Kurfürstenrats-protokolle sozusagen das objektive Material, die neutrale Schilderung wichtiger Be-sprechungen und Konferenzen. Diese mit viel Schreibarbeit verbundene Sonderung des Schriftguts, die zu Beginn des Kongresses, möglicherweise unter dem Eindruck von Wartenbergs ausführlicher Berichterstattung, vorgenommen wurde, ist später aufge-geben worden. Besonders in der Schlußperiode des Kongresses haben die kurbayerischen Gesandten in der Regel die Protokolle aus dem Kurfürstenrat, aus dem Fürstenrat und aus den Plenar- und Ausschußsitzungen in ihre Relationen, die dadurch einen beträchtlichen Umfang gewannen, eingearbeitet
Vgl.
Münsterische collegialtagsacta 1648 III 5 – 1648 VIII 31 (und ff.), Relationen von 1648 V 14 und V 11, wo die eingearbeiteten Kurfürstenratsprotokolle nach Voten (V 14, Kasten schwarz 7657 fol. 173’-176’) oder nach Sachgesichtspunkten (V 11,
ebd. fol. 157–159) gegliedert sind (ebenso Kasten schwarz 7661 fol. 354’-357’).
. Für die Aufnahme der entsprechenden Teile des Diariums in unsere Protokolledition spricht übrigens auch, daß die Kon-ferenz-Aufzeichnungen von den Gesandten im Diarium und vom Kurfürsten in seinen Reskripten
prothocollum genannt werden
In Kasten schwarz 7667 fol. 599 (über die Eintragungen 1645 I X 22–28), Kf. Maximilian an Haslang, München 1645 X 11 (Kasten schwarz 7643 fol. 109).
.
Die zweite Überlieferung des Diariums ist eine späte Abschrift. Sie befindet sich in der dritten Serie des Fonds Dreißigjähriger Krieg,
einem Mischbestand kurbaye-rischer Provenienz
Vgl.Minerva-
HandbücherArchive (21974) S. 664, 666f.
in der Abteilung I (Allgemeines Staatsarchiv) desBayeri-schenHauptstaatsarchivsMünchen.
Der Aktenbestand der Serie umfaßt 16 Tomi mit Relationen/Reskripten und Protokollen, die aus den Original-Akten der kurbayerischen Registratur von Friedenskongreß 1644–1649 (heute imGeheimen
Staatsarchiv) direkt oder auf Umwegen abgeschrieben worden sind. Nach dem Schriftbild zu urteilen, erfolgten die Abschriften nicht vor 1750; andererseits ist aus dem Ex-Libris und aus den von Joseph Samet beschriebenen Deckblättern zu erschlies-sen, daß die Serie zwischen 1803 und 1806 im Geheimen Landesarchiv, dem Vorläu-fer der heutigen Abteilung I desHauptstaatsarchivs,
das vor allem Dokumente über die innere Geschichte des Landes aufnahm, gebunden worden ist
Freundliche Auskunft von Dr. Schwertl und Dr. Busley vomHStAMünchen,
Abtlg. I: Allgemeines Staatsarchiv. Ex-Libris auf der Rückseite der Einbanddeckel: grave par Kranz-mayr á Munic 1803.
.Die Vorlagen dieser späten Abschrift des kurbayerischen Gesandtschaftsdiariums waren eindeutig die heute im
GeheimenStaatsarchiv befindlichen, in Münster geschriebenen Konzepte bzw. Originale des Diariums. Dies geht aus den Ex-Archivo-Vermerken, in denen die Bandzahl und die alte Signatur des Originals angegeben sind, hervor
Diarium der churbairischen Gesandschaft bey den Reichsfriedensunterhandlungen zu Münster, Tom. II
(1645 II 21 – 1645 VI 25) p. 5 Randrubrik Ex archivo et autographo Münst. Diariorum Pars I
mit Bleistiftzusatz K schw 325/12,
ebd.p. 769 Hinweis auf Münzer. [!] Diarium Tom. 2 fol. 1.
; auch sind die Abschriften nach dem Vorbild des Originals in drei Teile gebunden
Diarium (=
DKurbayernspA) Tom. II
ursprünglich Bd. 1 des Original-Diariums (=
DKurbayernK) in Kasten schwarz 7666; Diarium Tom. XV
ursprünglich Bd. 2, 7667; Dia-rium Tom. IV
ursprünglich Bd. 3, 7668.
. Trotz durchgängiger Kollation
Entsprechender Vermerk Diarium Tom. II
p. 769.
wurde die Kopie recht mechanisch ange-fertigt: Lesefehler und falsche Auflösung von Abkürzungen sind nicht selten; die in den Band-Überschriften angegebenen zeitlichen Grenzen stimmen nicht stets mit dem Inhalt überein
So Tom. XV
(1645 VI 28 – 1645 X 29), II
(1645 II 21 – 1645 VI 26).
; die Bände springen vom zweiten
Tom. I
des Diariums
(1644 XII 1 – 1645 II 8) im Fonds Dreißigjähriger Krieg
enthält die Abschriften der nach München übersandten Auszüge aus dem DWartenberg, die in die Münsterischen Collegialtagsacta Tom. 1
(Kasten schwarz 7641) eingeordnet worden waren. – In der Edition sind verwendet Tom. II und XV
des Diariums (=DKurbayern
spA I, II).
auf den 15. und zurück auf den vierten. Für unsere Edition sind jeweils die ersten beiden Bände der Konzeptstufe (K I, II) und der späten Abschrift (spA I, II) des Diariums benutzt worden.
Für die kurfürstlichen Vorkonferenzen in Osnabrück wurde der erste Teil des
Dia-riumsLöben herangezogen, das gleichzeitig ein Geschäftstagebuch der kurbran-denburgischen Gesandtschaft in Osnabrück ist
DiariumLöben, 1.
Teil (1645 III 12 – 1645 XI 1 st. v.) fol. 1–185 (
DeutschesZentral-archivMerseburg,
Historische Abteilung II, Rep. 12 nr. 139 a). Das Diarium umfaßt ins-gesamt 7 Teile (Rep. 12 nr. 139 a – g) und reicht bis Februar 1648.
. Es besteht ebenfalls zum größten Teil aus Aufzeichnungen über zwei- und mehrseitige Gespräche und Konferenzen. Die Eintragungen im ersten und zweiten Teil stammen ausnahmslos aus der Feder des kurbrandenburgischen Gesandten von Löben – später ist das Diarium dann von dem kurfürstlichen Kammersekretär Paul Kemnitz weitergeführt worden. In seiner engen, die ganze Seite meist ohne Abschnitte bedeckenden Schrift notierte Löben, meist aus dem Gedächtnis, Wechselreden und Vorträge: Er nahm auch Wertungen vor, kommentierte, gab persönliche Eindrücke und am Rande geführte Diskurse
wieder. Das
DiariumLöben trägt damit einen persönlicheren Charakter als das kurkölnische, kurbayerische und kurmainzische. Die kurbrandenburgischen Gesan-dten Löben und Fritze drangen bereits früh, am 16. Juni 1645, auf eine ordentliche, dem Kurfürstenrat angemessene offizielle Protokollierung, um die Assistenz-Beratun-gen zwischen den Kaiserlichen, Kurmainz und Kurbrandenburg in Osnabrück zum Reichsrat aufzuwerten
Siehe unten
[Nr. 21] S. 135. Allerdings lag der Wunsch nach ausführlicher Protokollierung auch deshalb nahe, weil Kurbrandenburg und Kurmainz als Friedensvermittler gemeinsame Gespräche mit Schweden führen mußten. So brachten die kurbrandenburgischen Gesandten 1645 V 30 zur Visite bei den Kurmainzern, mit denen sie dann anschließend zum schwedischen Quartier auf-brachen, gleich drei Sekretäre mit (
DLöben I fol. 46).
. Daraufhin führte der kurbrandenburgische Sekretär Kem-nitz für die Sitzung am 18. Juni ein Protokoll, das er zusammen mit den späteren Kurfürstenratsprotokollen ablegte
DZA Rep. 12 nr. 131 fol. 1–12, gleich anschließend daran die Protokolle der Lengericher Kon-ferenz (siehe unten
[Nr. 22] S. 135).
. Kurmainz protokollierte diese Sitzung offenbar nicht
Zeugnis von Kemnitz (siehe unten
[S. 139] ). Ein kurmainzisches Protokoll der Sitzung war nicht aufzufinden.
, wahrscheinlich aus der ängstlichen Erwägung heraus, daß ein kurmainzisches Reichsprotokoll ein Präjudiz für die Entstehung eines Osnabrücker Kurfürstenrats schaffen werde. Über die ersten vier Sitzungen, von denen kurbrandenburgische Sekre-tärsprotokolle vorliegen (18. Juni, 10.-11. Juli 1645) fertigte auch Löben weiterhin Niederschriften an
DLöben I fol. 60’-62 (1645 VI 18), fol. 66’-69 (1645 VII 10, 11: Summarisches Protokoll in Form eines Referats über den Verlauf der drei Sitzungen).
. Dies stand nicht im Wiederspruch zu den kurbrandenburgischen Bemühungen, mittels förmlicher Protokollierung den kurfürstlichen Vorkonferenzen in Osnabrück einen offiziellen Anstrich zu verleihen: Löbens Protokolle konnten eine ähnliche Funktion haben wie ergänzende Notizen, die üblicherweise vom Direk-torium der Reichsräte, aber auch von einzelnen Gesandten bei oder nach den Sitzungen gemacht wurden
Vgl. auch die Mitschrift Löbens über die Unterredung mit Kursachsen 1645 II 17/27 im brandenburgisch-pommerschen Fürstenratsprotokoll aus Osnabrück (
DZA Rep. 12 nr. 133 b fol. 164), daneben das Protokoll vom Regensburger Kurfürstentag 1636/37 von der Hand des kurbrandenburgischen Gesandten Levin von dem Knesebeck (
DZA Rep. 12 nr. 103
Fasz. 2).
. Während vom Fürstenrat in Osnabrück nur die Zeit und die Reihenfolge der
sessiones sowie der jeweilige Teilnehmer (für Pommern Petrus Fritze und Matthäus Wesenbeck) aufgeführt sind, gibt Löben im Diarium einen Bericht über die Re- und Corre-lation vom 26. April 1646 in Osnabrück, obwohl ein brandenburgisches Kurfürstenratsprotokoll darüber geführt wurde
Siehe unten
[Nr. 85] S. 588–597 (
DZA Rep. 12 nr. 131) und
DLöben II fol. 157–160’. In der Zeit zwischen dem 1. August 1645 und dem 6. Mai 1648 trat nur bei dieser Re- und Correlation (1645 IV 26) der Kurfürstenrat in Osnabrück, vertreten durch Kurmainz und Kurbranden-burg, nominell in Erscheinung.
. Löbens wenige Protokolle über die kurfürstlichen Vorkonferenzen im Diarium bewahren also gegen-über dem Stil anderer Geschäftstagebücher, aus denen Reichsratsprotokolle nahtlos hervorgehen konnten, eine gewisse Eigenständigkeit.
Von den kurfürstlichen Vorkonferenzen bis zum 29. August 1645 sind in den kur-mainzischen Akten nur wenige Protokolle und in die Relationen der Gesandten
eingearbeitete Berichte erhalten. Nach Durchsicht der Friedens- und Correspondenz-akten im Mainzer Erzkanzlerarchiv (
Haus-,Hof-undStaatsarchivWien) ließen sich unselbständige, in die Gesandtenberichte aufgenommene Vorkonferenz-Protokolle
Vgl. den Begriff prothocollarrelation
aus den kurtrierischen Akten (Kurtrier/Münster an Kf. Philipp Christoph, 1645 X 24,MEACorrAFasz. 12 [1] fol. 14).
in den Friedensakten Faszikel 7 und in den Correspondenzakten Fas-zikel 10 [1] und 19 [1], selbständige Protokolle in den Friedensakten Faszikel 7, 11, 12 nachweisen. Möglicherweise hat es noch mehr Protokolle gegeben, so für die Konferenzen, von denen keine Aufzeichnungen vorliegen, obwohl Kurmainz daran teilnahm
So für die Konferenzen von 1645 VIII 1 (
[Nr. 35] S. 217) und 1645 VIII 12 (
[Nr. 37] S. 229).
. Die überlieferten Protokolle
Reinschriften:
MEAFrAFasz. 7 [4] nr. 60, 61 (1645 V 24, 26, 27). Halbbrüchig ge-schriebene Konzepte:
MEAFrAFasz. 11, 12. Sie gleichen äußerlich ganz den von J. Adam Krebs geführten Visitenprotokollen (in
MEAFrAFasz. 12; 13,2).
enthalten Präsenzvermerke, aber keine her-vorgehobenen Voten; ihre Konzepte stammen vom kurmainzischen Gesandten J. Adam Krebs, ihre Reinschriften sind als Briefbeilagen an den Kurfürsten übersandt worden
MEACorrAFasz. 10
[1], 19
[1],FrAFasz. 7 [3,4]. Die Faszikel sind unfoliiert und wurden vom Bearbeiter für den Zweck der Edition untergliedert (
[ ]), da der Hinweis auf die Nummer der Beilagen und Briefe nicht ausreichend schien.
. Ebenso wie die ausführlichen, in sich geschlossenen Konferenz-Berichte innerhalb der Relationen schildern sie den Konferenzverlauf und die Meinungsäußerungen der be-teiligten Gruppen: die Proposition der Kaiserlichen, die interne Beratung der Kur-fürstlichen, den Vortrag der kurfürstlichen Gesamtmeinung und eventuell die Erwi-derung der Kaiserlichen. Aus den Relationen wurden für unsere Edition – zur Ver-wendung als Grundtext oder als Variante – nur die Konferenzprotokolle, keine Visitenprotokolle ausgezogen; in Analogie zu den späteren eigentlichen Reichsrats-protokollen werden die Protokolle aus ausgefertigten und übersandten Relationen Reinschriften (Rs), aus Brief-Kopien zeitgenössische Abschriften (zA) genannt. Die schlechte Überlieferung der Vorkonferenzen in den kurmainzischen Akten muß über-raschen, weil der gewissenhafte kurmainzische Sekundargesandte J. Adam Krebs sonst sehr fleißig mitschrieb und nach Meinung des Kurfürsten eher zu viel als zu wenig in sein Postpaket packte
J.
Adam Krebs verteidigte gegenüber dem Kurfürsten von Mainz, der Sachen des Erzstifts und Vorgänge quoad publica
in Form eines summarium ex protocollo
in die Relationen einge-bracht sehen wollte, die Absendung seiner zahlreichen Protokoll-Beilagen damit, daß gegen-wertige tractatus von solcher wichtigkheit, das gleichsamb auch die minutissima, zu geschweigen die importirendte sachen pillig in das protocoll gebracht werden müßen
(Brömser/Krebs an Kf. Anselm Casimir, Osnabrück 1647 III 14,MEACorrAFasz. 17 nr. 43).
. Hier mögen das relativ späte Eintreffen der kur-mainzischen Gesandten, ihre anfängliche Desorientiertheit, ihre Zurückhaltung gegen-über der Einleitung formeller Reichsberatungen in Osnabrück und die Menge der Schreibarbeit
Vgl. Cratz/J. Adam Krebs an Kf. Anselm Casimir, Münster 1645 IX 29: mir Dr. Krebsen [...] zu ausfertigung der protocollen fast keine stundt übrig (
MEACorr A
Fasz. 19,1 nr. c/56). Im Juni 1645 konnte Kurmainz/Osnabrück zur
haltung des protocolls
nur auf zwei Kanzlisten (wahrscheinlich Wendel Cron und Hans Henrich Beck) zurückgreifen (
MEACorrAFasz. 16 [2] nr. 39).
Die Protokolle aus der Registratur der kaiserlichen Gesandten mußten für die eigentlichen Assistenzberatungen der Vollständigkeit halber mit herangezogen werden. Die wichtigste Quelle ist hier das Diarium des in Münster akkreditierten kaiserlichen Sekundargesandten Isaak Volmar, der neben Trauttmansdorff, aber länger als dieser, den Geschäftsverkehr mit den Reichsständen besorgt hat. Sein Diarium ist ein nüchternes Geschäftstagebuch mit genauem Verzeichnis der Ein- und Ausläufe und mit Protokollen der geführten Besprechungen. Die Aufzeichnungen über die kur-fürstlich-kaiserlichen Vorkonferenzen reichen vom
ausfüeherlichen prothocoll
Ks. Ferdinand III. an Volmar, 1645 V 30 (
RKFrAFasz. 92/V fol. 122) mit Bezug auf die Unterredung von 1645 V 5 in Münster (siehe unten
[Nr. 11] S. 55).
bis zum summarischen Beschlußprotokoll und zum kurzen Eintrag
Vgl. die Protokolle von 1645 V 5, 1645 V 23 (
[Nr. 13] S.
70) mit den kurzen Einträgen 1645 IV 30 (
[Nr. 10] S. 50), 1645 IV 13 (
[Nr. 8] S. 42).
. Unserer Edition wurde das eigenhändig geschriebene Exemplar des Diariums zugrunde gelegt
RKFrAFasz. 90 Bd. 1–3 (benutzt Bd. 1). Das Diarium, bearbeitet von Frau Dr. Roswitha
Philippe,
ist im Druck (APW
III C 2).
. Waren die herausgenommenen Stücke bereits im Zusammenhang – bei
A.Cortrejus– oder verstreut bzw. auszugsweise (im Extrakt) bei
Meiern oder
Gärtner ge-druckt worden, so wurden Druckort und Seite ebenfalls angegeben. Aus dem
DiariumVolmar abgeschriebene und an den kaiserlichen Hof übersandte Protokolle wurden (wie beim
DiariumWartenberg) nicht berücksichtigt, da die Protokolle inner-halb des Originals vollständig sind.
Für die Protokolle, die die kaiserliche Gesandtschaft in Osnabrück angefertigt hatte, wird hingegen auf die Beilagen der kaiserlichen Korrespondenz zurückgegriffen. Die hier benutzten Reinschriften liegen in den Friedensakten der Reichskanzlei (
RKFrA) Faszikel 48a und 92/V
Aus den 18 Bänden Beilagen zumDVolmar (
RKFrAFasz. 92/I-XVIII: 1643–1649).
(Korrespondenzakten zumDiariumVolmar)imHaus-,
Hof-
undStaatsarchivWien.
Teile davon sind, allerdings fehler-haft, beiMeiernundGärtnerabgedruckt. Sie werden in der Edition nach dem kaiserlichen Sekundargesandten in Osnabrück, Johann Krane, benannt, weil sie teil-weise in dessen Ich-Form gehalten sind. Die Protokolle enthalten förmliche Präsenz-vermerke sowie Wechselreden nach Art der Visitenprotokolle über zweiseitige Be-sprechungen.In den Kanzlei- und Gesandtschaftsregistraturen der kurfürstlichen Stände treffen wir also drei, sich teilweise überschneidende Formen des Schriftguts an: 1. die Briefe, d. h. in den Kanzleien der Residenz die Ausfertigungen der Gesandten und die Konzepte des Kurfürsten, in der Registratur der Gesandten die Originale des Kurfürsten und die Konzepte der Gesandten; 2. die Diarien und Protokolle, die teilweise wört-lich in die Briefe eingefügt, zumeist aber als reinschriftliche Beilagen nach und nach an die kurfürstliche Kanzlei geschickt wurden;
3. Verhandlungsakten wie Memo-rialien, Resolutionen, Projekte, Diktatursachen, Brief-Kopien. Die Diarien und Protokolle bilden gemeinsam das interne Schriftgut der Gesandten, das zunächst der eigenen Information und Geschäftsorientierung dient, weil es detaillierter als die Briefe Zeugnis von der eigenen Tätigkeit ablegt. Diarien und Protokolle bleiben im
Original, d. h. im gut lesbaren Konzept oder Reinkonzept zunächst bei der Gesandtschaft und werden erst nach deren Rückkehr der heimischen Kanzlei überliefert. Die Visiten- und Konferenzprotokolle der Diarien gleichen im Zweck, in der Verwendung und im äußeren Bild den späteren, dann separat abgelegten und aus dem Diarium herausgewachsenen Ratsprotokollen. Diarium und Visitenprotokolle sind in den kurmainzischen, kurbayerischen (und kurkölnischen) Akten, soweit nachprüfbar, von denselben Händen in der gleichen halbbrüchigen Konzeptform geschrieben wie die späteren Ratsprotokolle. Dennoch sind die Reichsratsprotokolle wiederum ein Kanz-leischriftgut sui generis: Nach der zeitgenössischen kurmainzischen Terminologie unterscheiden sich die Reichsprotokolle
Der Terminus protocollum imperii
(Kurmainz/Osnabrück an Kf. Anselm Casimir, 1648 VI 29,MEACorrAFasz. 18 [3]) oder
reichßprothocoll
(Kf. Anselm Casimir an Kur-mainz/Osnabrück, 1648 III 21,MEACorrAFasz. 18 [4]) galt für die kurmainzischen Protokolle aus dem Corpus Catholicorum und aus dem Kurfürstenrat.
vom
summarisch protocoll
Z. B. von 1645 XI 19ff. zunächst ein Beschlußprotokoll über die Sitzungen im Corpus Catholicorum, im Kurfürstenrat und im Fürstenrat, über die Re- und Correlation, dann über Visiten Volmars, die eine Aussprache über das diesem überbrachte Conclusum zum Inhalt hatten (
MEACorrAFasz. 10 [C]).
als der konzen-trierten Niederschrift mündlich getätigter Vorgänge. Die lockere Berichtsform weicht der strengen Gliederung nach Voten. Man geht über zur separaten Ablage der Reichsprotokolle und zur wertfreien, von Kommentaren nicht mehr unterbrochenen Berichterstattung. Die Diarien sind in Komposition und Inhalt noch recht unter-schiedlich, während die Kurfürstenratsprotokolle zum Zweck größerer Genauigkeit ausgetauscht werden. Die Abspaltung der Kurfürstenratsprotokolle von den Diarien, der Übergang zum regelmäßig gegliederten Votenprotokoll, der sich in den Diarien von Kurköln und Kurbayern vollzieht, sind Reflex der zunehmenden Institutionali-sierung des Kongresses. Der Beginn der formellen Reichsberatungen und der Zusam-mentritt des Kurfürstenrats können äußerlich auch an der Spezialisierung des Schrift-guts abgelesen werden. Der Entschluß zur ersten Kollegialzusammenkunft, die dem Reichsherkommen entsprach und vollzählig war, läßt die kurfürstlichen Gesandten auf die bereits existente Form des Kurfürstenratsprotokolls zurückgreifen, aber eigenständige Kurfürstenratsprotokolle am Kongreß wachsen erst allmählich aus dem umfassenderen Kanzleischriftgut der Diarien und Briefe heraus; für die engere Geschichte der Protokollgattungen des Kongresses wiederholt sich quasi im kleinen der historische Entstehungsprozeß der Reichsratsprotokolle.
Da die Vorkonferenzen in die vorliegende Publikation aufgenommen sind, kann die Edition auch nach dem Beginn formeller Reichsratssitzungen (31. August 1645) nicht auf die eigentlichen Sitzungen des Kurfürstenrats beschränkt bleiben. Die Kur-fürstenratsprotokolle sind nämlich auch als Protokolle kurfürstlicher Provenienzen, nicht nur als Quelle der kurfürstlichen Kurie zu definieren. Sie erfassen gemäß ihrer Entstehungsgeschichte einmal das interne Handeln der Kollegglieder, zum andern das Handeln des Kollegiums als solchen im Verein mit den übrigen Kollegien; die ersten Mainzer Kurfürstenratsprotokolle hatten sogar in erster Linie über die Verhand-lungen des Kurfürstenrats mit den anderen beiden Reichstagskurien Aufschluß zu
geben. So sind in unsere Edition auch jene 19 Konferenzen aufgenommen worden, an denen der Kurfürstenrat in seiner Gesamtheit oder vertreten durch seine Deputierten (Kurmainz, Kurbayern) bzw. durch das Direktorium teilnahm
, Sonderzusammenkünfte der katholischen Kurfürsten, sofern sie, wie die übrigen hier aufgenommenen externen Konferenzen, in kurfürstlichen Protokollen aufgezeichnet sind und thematisch nicht dem Corpus Catholi-corum, sondern den Verhandlungen über die Beratungsweise, über den modus consultandi, zugehören
1645 IX 7 (
[Nr. 41] S. 261–263), 1645 IX 30 (
[Nr. 50] S. 347), 1646 II 17 (
[Nr. 69] S. 487–489).
. Desgleichen wurden alle Re- und Correlationen, die im unmittelbaren Anschluß an die kurfürstlichen Sitzungen oder später stattfanden, mit berücksichtigt: Dafür waren die erwähnten sachlichen Gründe ebenso ausschlaggebend wie die Tatsache, daß die Re- und Correlationen in die Protokolle kurfürstlicher Provenienz aufgenommen worden sind. Meist wurde nämlich der Beschluß des Fürsten- oder Städterats durch die Deputierten (Kurmainz und Kurbayern) oder durch den kurmainzischen Direktor nach Kenntnisnahme kurz im Kurkolleg mitgeteilt, so daß alle kurfürstlichen Protokollanten in der Lage waren, Zustimmung oder Ablehnung der niederen Kurien wenigstens kurz zu notieren, falls nicht überhaupt Re- und Corre-lation im Plenum stattfanden
Siehe oben Anm. 2. Re- und Correlation im Plenum trat 1648–49 in den Vordergrund.
.
Anders als im Fürsten- und Städterat war es im Kurkolleg 1645 bereits Reichs-herkommen, daß jede kurfürstliche Gesandtschaft ihren Protokollanten mitbringen durfte. Die Protokollführung war nicht dem Direktor des Kollegs vorbehalten; untersagt war lediglich, daß eine Gesandtschaft, die im Kolleg meist doppelt, durch den votierenden Sekundargesandten und den
stellhaltenden adligen Hauptgesandten, vertreten war, auch zwei Sekretäre mit in den Rat nahm
Ein entsprechender Versuch Kurbrandenburgs wurde von Kurmainz zurückgewiesen (Cratz/J. Adam Krebs an Kf. Anselm Casimir, Münster 1645 X 20,
MEACorrA 19,1 nr. 85).
. Theoretisch gibt es also sechs Provenienzen von Kurfürstenratsprotokollen, die auch vorliegen: Kurmainz, Kurtrier, Kurköln, Kurbayern, Kursachsen und Kurbrandenburg (Kurpfalz war wegen der Ächtung des Winterkönigs zum Rat nicht zugelassen).
Ein Sonderfall ist Böhmen. Obgleich ihm nach Reichsrecht der Platz im Kurfürsten-rat als Reichstagskurie versagt war und ihm nur bei der Königswahl die Abgabe eines Votums zustand
Vgl.BeckerS. 79f. Anm. 125, S. 240 Anm. 91 und zusätzlichGuntherusth. XV.
, nahm es an den zwei Ratssitzungen über die pfälzische Frage bzw. die achte Kur (16. und 18. März 1647) teil. Böhmische Kurfürstenratsproto-
kolle dieser (und anderer) Sitzungen konnten indes nicht aufgefunden werden. Am ehesten wären sie in der sogenannten Erskeinischen Sammlung zu vermuten, die Akten der Reichskanzlei zu Prag bzw. zu Wien enthält
NiedersächsischesStaatsarchivStade Rep. 32, I-IV. Die „archivalisch wie juristisch anfechtbare private Sammlung“ wurde von dem schwedischen Kriegskommissar, dann Kriegsrats-präsidenten, Erbkämmerer und (seit 1653) Präsidenten der schwedischen Regierung in Stade, Alexander von Erskeine, angelegt, der die Archive eroberter Städte aufsuchte und dort Dokumente mitnahm (
Weise S. 90, 107f., 247).
. Diese Bestände waren bei der Einnahme Prags im Sommer 1648 in die Hände der schwedischen Truppen gefallen und schließlich mit der Dienstregistratur des schwedischen Kriegsrats Alexander Erskeine zusammengefügt worden. Diese Sammlung liegt heute im
Niedersäch-sischenStaatsarchivStade. In dem Bestand aus der Reichskanzlei, dessen Inhalt genau verzeichnet ist
Erskeinische Sammlung I: Akten der Reichskanzlei zu Prag bzw. zu Wien 1431–1648 (II: Dienstregistratur von A. Erskeine 1626–1655, III: Handakten verschiedener Juristen am Reichs-kammergericht 1505–1631, IV: Verschiedene Provenienzen. Bremen-Stadt, Lothringen, Stra-lendorf, 1574–1645).
und der u. a. Allgemeine Reichsangelegenheiten, Privi-legien, Schutz- und Lehensbriefe, Zoll- und Münzgerechtsame sowie Judensachen um-faßt, sind böhmische Kurfürstenratsprotokolle nicht anzutreffen. Auch eine diesbe-zügliche Anfrage im
Haus-,Hof-undStaatsarchivWien, an das Reichs-akten aus der Erskeinischen Sammlung zurückgegeben worden sind, blieb ergebnislos. Es ist daher anzunehmen, daß die kaiserliche Kanzlei sich mit den Kurfürstenrats-protokollen, die von Fall zu Fall vom kurmainzischen Direktorialgesandten Raigers-perger den kaiserlichen Gesandten übergeben worden sind, sowie mit den Conclusen und Re- und Correlationen, die in die Friedensakten der Reichskanzlei und der österreichischen Staatskanzlei gelangt sind
Wobei Conclusum-Übergaben durch Kurmainz und österreichische Aufzeichnungen aus den Fürstenräten zu unterscheiden sind.
, zufriedengegeben hat. Summarische Be-richte über den Verlauf der Reichsberatungen und damit auch über die Ergebnisse der Kurfürstenratssitzungen gaben die kaiserlichen Gesandten ohnehin in ihren Rela-tionen.
2. Die Überlieferung: a. Kurmainz
Das kurmainzische Direktorium führte bei den Sitzungen des Kurfürstenrats, des Corpus Catholicorum, der Deputationen und der Ausschüsse sowie bei Re- und Correlationen das authentische Reichsprotokoll
Vgl. – statt vieler Belege aus der Staatsrechtsliteratur – H.
Becker,
Speyerer Reichstag S. 3,StariciusS. 12. Siehe unten S. CXV Anm. 4–5.
. Deshalb hatte der Bearbeiter zu-nächst nach der kurmainzischen Überlieferung zu fragen. Sie liegt für den Zeitraum vom 10. Juli 1645 bis zum 5. Juni 1649 in den Friedensakten des Mainzer Erz-kanzlerarchivs (
HHStAWien) nahezu vollständig vor. Allerdings sind drei Proto-kolle (dazu die Protokolle zweier Plenarsitzungen, einer Deputation) verloren
und 12 Sitzungsprotokolle (von insgesamt 71 bzw. 74, bis 25. September 1647) nur fragmen-tarisch überliefert. Ein Vorteil der kurmainzischen Überlieferung besteht neben ihrer relativen Vollständigkeit, die sonst nur noch von dem kurkölnischen Protokoll erreicht wird, darin, daß für einzelne Sitzungen mehrere Protokoll-Exemplare von der ersten Mitschrift bis zur Reinschrift erhalten sind; sie gewähren Einblick in die Entstehung der Kurfürstenratsprotokolle, bei der verschiedene Stufen unterschieden werden können.
Wie aus der Überlieferung der Lengericher Konferenz ersichtlich ist, wurden zunächst während der Sitzungen flüchtige stichwortartige Mitschriften, sogenannte Rapulare (
Kurmainz Rp)
Zu den unten angegebenen vgl. auch die Rapulare von den Pfälzischen Restitutionstraktaten in Wien (1642 IV 1 bis 1642 V 23): Nach reinschriftlicher Angabe von Sessio und Datum (die Bögen wurden offenbar mit Kopf in die Sitzung mitgenommen) folgen Einträge in flüchtigem Duktus mit unregelmäßigem Rand von der Hand des kurmainzischen Gesandten Brömser von Rüdesheim (
MEAFrAFasz. 5 fol. 151–256). In
DVolmar fol. 1134’ (1648 I 9) verweist der Verfasser auf
deß Gailii rapular huius diei d. h. auf das Protokoll einer im Diarium selbst nur knapp resümierten Zusammenkunft. Gedruckte Beispiele in
APW[III A 4, 1 S. XL] , zur akten-kundlichen Einordnung
ebd. und
H. O.Meisner, Archivalienkunde S. 195. Vgl. auch die kurbayerischen Rapularprotokolle vom Heidelberger Ligatag (1629 II 19 – III 8) mit kurzen stichwortartigen Voten und halbbrüchiger Beschriftung für Notanda und Ergänzungen, die aller-dings eher schon konzeptmäßig ist (
HStAM I, Dreißigjähriger Krieg, Akten nr. 231).
, entweder vom Protokollanten oder aber vom anwesenden Gesan-dten selbst, angefertigt: Da die Proposition und das kurmainzische Votum bekannt und teilweise bereits vor der Sitzung fixiert (Proposition) waren, jedenfalls aber ohnehin spezieller Ausarbeitung bedurften, konnten der Protokollant, mehr aber noch der mitschreibende Gesandte, sich darauf beschränken, die übrigen Voten zu notieren. Die Mitschrift des kurmainzischen Gesandten diente vor allem als Direktorialnotiz, ermöglichte eine Kontrolle des eigentlichen Rapulars und war Gedächtnisstütze für die Formulierung des kurmainzischen Schlußvotums bzw. Conclusums am Ende der Sit-zung. Solche (teils schwer lesbare) Notizen von der Hand des kurmainzischen Kanz-lers Raigersperger, des kurmainzischen Sekundargesandten Krebs (und möglicherweise auch des kurmainzischen Hauptgesandten Graf Cratz von Scharffenstein) finden sich in den Faszikeln 9, 11, 12 (J. Adam Krebs, Beck), 14, 15, 21 (Raigersperger), 18 (wohl Cratz von Scharffenstein)
In dem Büschel mit der nicht ganz zutreffenden Aufschrift Protocollum in consilio electorum catholicorum vom 3. July bis 7. August 1647
(Sitzungen 1647 VII 3, VII 10): mit schwarzer Tinte nachgezogene Bleischrift auf beidseitig beschriebenen Blättern in dem sonst nur für Handzettel gebräuchlichen Format (nach eingelegtem Lesezeichen Cop. 13,
obwohl es sich schwer-lich um Abschriften handelt). Da von Cratz nur Brief-Unterschriften und kurze Postskripte bekannt sind, ist der Handschriften-Vergleich unsicher.
der Friedensakten. Die Aussortierung und Vernichtung der Rapulare und Gesandten-Notizen mag aus Unachtsamkeit unter-blieben sein, vielleicht wollten aber Raigersperger und vor ihm sein etwas peniblerer Kollege J. Adam Krebs das Reichsprotokoll auch möglichst vollständig erhalten.
Sogleich oder bald nach der Sitzung wurde das Rapular halbseitig erstmals, um Platz für Verbesserungen zu lassen, ins Reine geschrieben. Die Korrekturen wurden von den Gesandten interlinear eingefügt oder an den Rand gesetzt. War viel zu ver-bessern oder hinzuzufügen, wie z. B. bei den drei Sitzungen der Lengericher Konferenz,
so erfolgte eine zweite Niederschrift dieses Konzeptes (
Kurmainz K)
Auch bei den österreichisch-ungarischen Ministerratsprotokollen sind die Konzepte „sekundäre, eventuell tertiäre Produkte der Sitzungen“ (
Komjáthy S. 96f.); vgl.
F.Hermann S. XI.
, in die alle Zusätze, Streichungen und Korrekturen reinschriftlich übertragen wurden. Das Ergeb-nis war das ebenfalls halbbrüchig geschriebene Reinkonzept (
Kurmainz Rk), das u. U. noch einmal, zumindest in Kleinigkeiten, verbessert werden konnte. Manchmal wurden im Konzept beträchtliche Lücken für Nachträge gelassen
: Dies wie die teilweise saubere Form und sorgfältige Schrift erhaltener Konzepte deuten darauf hin, daß man es aus Gründen der Zeit- und Arbeitsersparnis nach Möglichkeit beim ersten Konzept belassen wollte. Dabei wurden fortlaufend ungeheftete Lagen beschrie-ben, die mit Nummern und links oben mit den Datumsangaben der in der Lage anzu-treffenden Sitzungen versehen sind. Ende der Lagen und Ende der Sitzungen stimmen nicht überein, am Ende einer Sitzung wurde noch auf der gleichen Seite unter dem entsprechenden Datum mit einer neuen Sitzung begonnen. Die Niederschriften dürften über mehrere Sitzungen und Lagen hinweg jeweils in einem Zug vorgenommen worden sein, so daß es angebracht ist, mehrere nacheinander erfolgte Einträge in einem Fas-zikel einheitlich als Reinkonzept- (
Kurmainz Rk) bzw. Konzeptstufe (
Kur-mainz K) zu bezeichnen. Meistens fehlen von einer Sitzung entweder das Konzept oder das Reinkonzept, so daß nicht mehr exakt zu klären ist, ob es sich um die erste oder die zweite Niederschrift handelt. Für die Identifizierung eines Reinkonzepts ist in solchen Fällen in Analogie zu den Reinkonzepten von der Lengericher Konferenz, die drei Entstehungsstufen (Rapular-Konzept-Reinkonzept) klar unterscheidbar aus-weist, das äußere Bild maßgeblich, nämlich saubere Schrift mit wenigen Verbesse-rungen und ohne Lücken. Als Konzepte werden die Protokolle derjenigen Sitzungen bezeichnet, die lange Verbesserungen ganzer Abschnitte aufweisen; hier hat man sich offenbar die Mühe einer nochmaligen Abschrift nicht gemacht. Die Differenzierung zwischen Konzept und Reinkonzept ist angesichts des Anschauungsmaterials, das die Protokolle der Lengericher Konferenz bieten, aus Gründen der Systematik erforder-lich, obwohl Konzepte (mit Verbesserungen) und Reinkonzepte den gleichen Wortlaut haben und das Konzept für das (nicht mehr angefertigte) Reinkonzept Ersatz sein konnte. Das Reinkonzept oder das (nicht mehr verbesserungsbedürftige) Konzept der zweiten Niederschrift, im Falle des Fehlens beider aber das verbesserte Rapular, stellen das Original-Protokoll
Vgl.
APW[III A 4, 1 S. XLI Anm. 1] .
H.Rumpler S. 97 bezeichnet die Reinkonzepte der Ministerratsprotokolle als „Letztform“, weil ihnen die Einzelkorrekturen der Minister hinzugesetzt worden waren, eine der (brieflichen) Ausfertigung vergleichbare letzte Abschrift dieser mit Verbesserungen versehenen Reinkonzepte aber nicht mehr erfolgte.
dar, das als unmittelbare Informationsquelle bei der Kanzlei der Gesandtschaft in Münster blieb.
Obwohl die Deckblätter der Faszikel 13, 14, 20, 21, 24, die einen großen Teil der Protokollkonzepte enthalten, Redaktionsvermerke tragen, ist nur mangelhaft Ord-nung geschaffen worden. Die Absonderung der Kurfürstenrats- von den
CC-Proto-kollen ist meist unterblieben (teilweise durchgeführt in
Fasz. 14, 24); im chrono-logischen Verbund mit den Reichsratsprotokollen liegen Conclusen und Mainzer
Visiten-Protokolle. Die
sessiones sind nur sporadisch durchgezählt (1645 XII 23:
sessio 12, 1646 I 24- II 10: sessio 15–18); da häufig nur (Wochen-) Tag und Monat als Datum über die Sitzung geschrieben worden sind, sind Protokolle falsch einge-ordnet worden (so 1646 III 21, Rs
Fasz. 20): Die chronologische Reihung zeigt wie in den Faszikeln 9, 11 und 12 Verwerfungen, manche Sitzungsprotokolle sind aus-einandergerissen, die Fortsetzungen tauchen am unrechten Ort in anderen Faszikeln auf (so 1645 VIII 31, IX 2 in
Fasz. 9, 11, 12, 1645 XI 4 in
Fasz. 11 und 12) oder sind verschwunden, so daß manche Sitzungen nur bruchstückhaft durch die kur-mainzische Überlieferung belegt sind (1645 IX 20, 21, X 15, 21, 1646 II 21, IV 10, 1647 I 21, 31, II 16, V 6, VI 1). Da das Fehlen von Protokollen oder Protokoll-Stücken bereits von den zeitgenössischen Registratoren der kurmainzischen Kanzlei bemerkt worden ist
Rechts unten auf der letzten Seite von Fragmenten häufig der Vermerk: Deest continuatio,
obwohl die Fortsetzung in anderen Faszikeln vorhanden sein kann (1645 IX 2, XI 4);MEAFrAFasz. 21 nr. 52:
Protocolla de anno 1647. 5. Decembris. Priora desunt.
, wird die Zersplitterung der Protokoll-Ablage auf die Teilung der kurmainzischen Gesandtschaft am Kongreß zurückgehen. Obwohl Rai-gersperger seine Kollegen in Osnabrück mit Kurfürstenratsprotokollen nur spärlich bedachte, führte die Aufrechterhaltung zweier Geschäftsstellen doch auch zu einer Aufteilung der ohnehin wenigen Kanzleikräfte. Es kam hinzu, daß die kurmainzi-schen Kanzler Raigersperger und Meel einzelne Protokolle den Akten entnahmen, was ihnen bei dem ungebundenen Zustand der losen Lagen leicht fiel
Entsprechende Kanzleivermerke inMEACorrAFasz. 7,
MEAFrAFasz. 21:
NB den 42ten sexternen hatt h. Meel den 29ten Jan. 1653 empfangen.
.
Dennoch macht die beigefügte Tabelle deutlich, daß eine fast geschlossene Reihe von Reinkonzepten der Gesandtschaftsregistratur erhalten geblieben ist. Sie zieht sich in der chronologischen Abfolge der Sitzungen durch die Faszikel 12 (9, 11), 9, 14, wieder 9, 21 und schließlich 24 (für 1648/49). Das beste Bild bietet die Reihe in Faszikel 24 (1648), die sich von einem Protokollbuch, wie es vom Regensburger Reichstag 1640/41 vorliegt, nur durch die fehlende Bindung unterscheidet. Reste einer durchgehenden Foliierung (fol. 160–195’: 1646 III 8 bis IV 24, fol. 78–88’:
CC 1646 II 21) sind in Faszikel 14 erkennbar. Die fortlaufenden Lagen-Nummern reichen von 3/4 (in
Fasz. 12) bis 51 bzw. 55/56 (Plenum Osnabrück: unvollständig): anhand dieser Lagen-Zählung ist nachprüfbar, daß nicht nur nr. 42 durch Meel ent-nommen worden ist, sondern daß auch nr. 52, 53 und 54 (mit den sonst nur in
Kur-köln und teilweise in
Kurbayern überlieferten Sitzungen 1647 VIII 26, IX 16, IX 19, IX 25) existiert haben müssen. Beim Übergang von Faszikel 9 auf 14 springt die Lagennummer von 14 auf 25 (1646 III 3–8), obwohl zwischen dem 3. und 8. März 1646 keine Sitzungen stattgefunden haben. Sehr wahrscheinlich ist hier ein Schreibfehler (statt von 14 auf 15) unterlaufen, denn in Faszikel 14 springt die Nummer ebenfalls von 27 (29. Sitzung) auf 37/38 (30. Sitzung), dann wieder zurück auf 27 (31. Sitzung), und in der 32. Sitzung (1646 IV 24) von 27 auf 38; außerdem finden sich parallel zu den in Faszikel 14 mit der Nummer 27 bzw. 37 antreffbaren Kurfürstenratsprotokollen (1646 IV 10, 21, 24) in
Fasz. 9
CC-Pro-
tokolle des gleichen Zeitraums (1646 IV 18, 21) mit der Nummer 17. Möglicher-weise sind dem Kopisten hier die Nummern übersandter Reinschriften, die ebenfalls in Faszikel 14 liegen, mit den Lagenummern der Konzepte durcheinander geraten; Irrtümer waren umso eher möglich, als die Sitzungen nicht in einer festen Kladde konzipiert wurden und die Niederschriften wohl auch nicht stets in der Reihenfolge der Sitzungen chronologisch hintereinander vorgenommen wurden
Ähnliches Verfahren bei den Protokollen der Zentrumsfraktion (
Morsey S. XXI, XXX).
. Jedenfalls ergäbe sich eine auch nach den Lagenummern der Reinkonzepte geschlossene Reihe, wenn in Faszikel 14 statt von 25 (bis 27 und von 38) bis 40 von 15 bis 20 gezählt worden wäre; diese Zählung der sechs Lagen würde sich der Lücke zwischen nr. 14 (24. Sitzung 1646 III 3) und nr. 23 (40. Sitzung 1646 VIII 4) in Faszikel 9 glatter einfügen. Von den Schreiberhänden her (Veit Berninger, Johann Günther und Se-bastian Kayser) ist zwischen den Protokoll-Reinkonzepten (-Konzepten) in Fas-zikel 9, 14 und 21 eine eindeutige Kontinuität gegeben, durchweg sind auch die cha-rakteristischen Verbesserungen des kurmainzischen Kanzlers Raigersperger über die Faszikel hinweg anzutreffen.
Die vierte (bzw. bei Ausfall des Reinkonzepts dritte) Entstehungsstufe des Proto-kolls bilden die Reinschriften (
Kurmainz Rs), die von Kurmainz/Münster nach Osnabrück und an den Kurfürsten übersandt wurden. Diese Briefbeilagen wurden ebenso wie die Ausfertigungen der Briefe ganzseitig oder fast ganzseitig beschriftet, während die Protokoll-Reinkonzepte (-Konzepte) ebenso wie die Briefkonzepte der kurmainzischen Gesandten halbbrüchig beschrieben sind
Besonders deutlich an den Brief- und Protokoll-Konzepten von J. Adam Krebs (
MEAFrAFasz. 9, 11, 12) und von Veit Berninger (
MEAFrAFasz. 14, 24, 25,
CorrAFasz. 26 [4]).
und im Unterschied zur Querfaltung der Briefausfertigungen und Protokoll-Reinschriften eine Mittellängs-faltung tragen. Auf der Rückseite der Reinschriften übersandter Sitzungsprotokolle, die auch von besserer Papierqualität sind, finden sich
ad litteras-Vermerke mit Beilagennummern
Die Nummer kann sich auf die Anzahl der jeweiligen Briefbeilagen oder aber auf die Brief-zählung beziehen, die beim „Zusammenregistrieren“ der Briefe in den Correspondenz- und Frie-densakten eingeführt worden ist.
. In der kurmainzischen Kanzleisprache wurden diese Reinschriften mit Bezug auf das Originalprotokoll
abschrifften
MEA Corr A
Fasz. 14 [1] nr. 45. Siehe unten S. LXXXI Anm 3.
oder Kopien genannt; auch war analog der Ausfertigung der Briefe von einer
mundirung
Für die kurmainzischen Akten siehe oben S. LXXII Anm. 6 und Kurmainz/Osnabrück an Kf. Anselm Casimir, 1645 VII 20 (
MEAFrAFasz. 7 [4] nr. 121):
mundirung
des Protokolls vor ietzt ablauffender post
unterbleibt wegen vorgefallener verhindernußen;
für die kur-trierischen Akten Kurtrier/Münster an Kf. Philipp Christoph, 1646 V 11 (
MEACorrAFasz. 12 [2] fol. 37’,
ebd.fol. 40): Man läßt das geführte prothocollum außfertigen
und ad mundum
bringen, versetzt es so in statum transmittendi (
ebd.fol. 263’, ebenso fol. 68’, 123’, 230, 241’).
der zu übersendenden Protokolle die Rede. Der Terminus „Reinschrift“ ist aber vorzuziehen, weil auch ein übersandtes Protokoll gegenüber dem Mundum des Briefs ein eigenständiges Schriftgut bleibt und der Ausdruck „Abschrift“ zu unscharf ist; er wird in der Edition den weder als Konzept noch als übersandte Reinschrift einzustufenden, meist
in einem Zuge gefertigten Protokoll-Kopien vorbehalten. Die Bezeichnung Mundum trifft auch deshalb nicht zu, weil übersandte Reinschriften keineswegs wie Brief-Originale inhaltliche und formale Endstufe zugleich sind; vielmehr konnte einer Pro-tokoll-Reinschrift auch ein unverbessertes Konzept zugrunde gelegt werden, wenn die Zeit drängte und das Protokoll-Konzept noch nicht durchgesehen war
So Rs Fr A
Fasz. 15 (1646 III 8); zuzeiten konnte das
prothocoll [...] wegen geschwind ablauffender post
überhaupt nit copirt werden
(Kurmainz/Osnabrück an Kf. Johann Philipp, 1647 XII 5,MEACorr A
Fasz. 24 [1]).
. Häufig wurden auch gar keine vollständigen Reinschriften zur Übersendung angefertigt
MEAFrAFasz. 14, 15, 17, 20 (1646 VIII 23, 28, 1647 I 1, 1647 V 22 [25], VI 1, VIII 26).
. Der aus-drücklichen kurfürstlichen Anweisung, Sitzungsprotokolle zu halten und
ohnfehlbar zu überschicken
Kf. Anselm Casimir an Kurmainz/Osnabrück, Frankfurt 1645 VII 19 (
MEACorrAFasz. 14 [1] nr. 45), ebenso die kurmainzische Instruktion.
, wurde in vielen Fällen dadurch Genüge geleistet, daß nur ein rein-schriftlicher Protokoll-Extrakt, der Proposition und Conclusum enthielt, zur Ver-sendung kam
Kurfürstliche Kritik an der kurmainzischen Proposition (allerdings war ein ausführliches Proto-koll übersandt worden) in: Kf. Johann Philipp an Raigersperger, Aschaffenburg 1648 IX 19 (
MEACorrAFasz. 16
[5]).
; denn das Original befand sich ohnehin bei der Gesandtschaft. Der gut ausgebildeten formalen Seite der Protokoll-„Ausfertigung“ – Schönschrift ohne Korrekturen und Auflösung aller Abkürzungen – entsprach also weder für die einzelnen Sitzungen noch für die Gesamtheit der Sitzungen, über den Zeitraum von 1645 bis 1649, inhaltliche Vollständigkeit.
Da gemäß der Aufteilung des Mainzer Erzkanzlerarchivs in Friedens- (33 Bände) und Correspondenzakten (28 Bände) die Protokolle
zusammenregistrirt
Nota Bene auf dem Deckblatt von
MEACorrAFasz. 11 Bd. 2 (Korrespondenz des Kurfürsten mit seinen Gesandten in Münster 1645 XII 25 – 1646 VI 30).
und unter den Verhandlungsakten in den Friedensakten abgelegt worden sind, waren lange Reihenreinschriftlicher Kurfürstenratsprotokolle in den Correspondenzakten nicht zu erwarten. Dem entspricht der Befund. Die Aufteilung ist zwar nicht konsequent durchgeführt worden, und Teile der Korrespondenzen der kurmainzischen Gesandten mit dem Kurfürsten und der kurmainzischen Gesandten untereinander sind in die Friedensakten gekommen
Sowohl aus den Gesandtschaftsregistraturen in Münster und Osnabrück (Konzepte der Gesandten, Ausfertigungen des Kurfürsten) als auch aus der kurmainzischen Kanzleiregistratur in Frankfurt, Aschaffenburg und Würzburg (
MEAFrAFasz. 7, 8, 11, 13, 18 [D], 19, 20, 21, 23, 30
[1], 32, 33).
, doch finden sich in den Correspondenzakten Protokoll-Reinschriften aus dem Kurfürstenrat nur spärlich (so in
MEACorrAFasz. 18, 22). Was die Registratoren nicht aussortiert haben, wird im Geschäftsgang, bei Besprechungen im Geheimen Rat usw., verlorengegangen sein. Das Ergebnis der Ordnungsbemühungen ist, daß übersandte Protokoll-Reinschriften von Visiten, aus dem Corpus Catholicorum und aus dem Kurfürstenrat bei den Reinkonzepten in Faszikel 14, 21, 24 liegen, allerdings von diesen büschelweise gesondert. Vereinzelt finden sich übersandte Reinschriften auch in der Reihe der Reinkonzepte (
Fasz. 14)
und in den Faszikeln 13 [2], 15, 16. Ein Büschel von Reinschriften aus dem Jahr 1648, vermischt mit Conclusen und Re- und Correlationen, ist in Faszikel 22 abgelegt. Die übersandten Protokoll-Reinschriften aus dem Kurfürstenrat sind im Ansatz chronologisch geordnet; jedenfalls aber tragen sie Spuren kanzleimäßiger Bear-beitung wie Randrubriken und Inhaltsangaben.
Am kurmainzischen Protokoll haben mitgewirkt: zunächst – sieht man von Rai-gerspergers Direktorialnotizen ab
– der kurmainzische Subdelegierte Dr. Johann Adam Krebs aus Mainz, von dem mehrere Konzepte stammen
Von Re- und Correlationen und kurmainzischen Voten in
MEACorrAFasz. 26 [2]; vgl. Angaben in den Kopfregesten. – J. Adam Krebs hatte in Freiburg und Heidelberg studiert (
Mayer, Matrikel der Univ. Freiburg I S. 857); er trat Ende 1647 in salzburgische Dienste ein (
Widmann S. 297).
, der Hofratssekretär (bis 17. Januar 1646 Hofratsprotokollist) Veit Berninger aus Aschaffen-burg
Er hat Konzepte der Relationen aus Münster (
MEA Corr A
Fasz. 25 [4], 26 [4] und den größten Teil der Reinkonzepte in
FrAFasz. 9, 14, 24, 25 aufgesetzt. Berninger ging mit Raigersperger 1647 nach Osnabrück und durfte dort vom Wein der Gesandten kosten, während die übrigen Kanzlisten mit Bier vorliebnehmen mußten (
MEACorrAFasz. 26 [2], vgl.
MEACorrAFasz. 11 [1] nr. b/31,33).
, der Hofratsprotokollist (bis 17. Januar 1646 Kanzlist) Johann Günther aus Aschaffenburg, der sich durch Erfahrung, Fleiß und Anstelligkeit auszeichnete
Nach dem Zeugnis der Gesandten Cratz und Raigersperger (
MEACorrAFasz. 11 [1] nr. b/31,32).
, sowie die Kanzlisten Johann Heinrich Beck aus Miltenberg, der Ende 1646 in Osnabrück starb, dessen Nachfolger in Osnabrück Sebastian Kayser, ebenfalls ein bereits erfah-rener Protokollist
Er hatte auf dem Regensburger Kurfürstentag von 1636/37 Protokoll geführt (
MEACorrAFasz. 24 [1], 26 [2], 25 [6]: 6. Session 1637 I 3).
, Wendel Cron aus Höchst, der hauptsächlich die Relationen der Gesandten an den Kurfürsten geschrieben und selbst ein kleines Reisetagebuch geführt hat
Von ihm stammen die Protokolle der Vorkonferenzen 1645 V 26, 27. Er hatte bereits bei den Wiener Traktaten über die pfälzische Restitution Protokoll geführt (
MEAFrAFasz. 5 fol. 145ff., sein Diarium:
MEACorrAFasz. 7 b [3]).
, sowie Christoph Heyl
August 1648 in Osnabrück. Einmal wird von der Anreise des cammer-
und rechenschreibers
Groß berichtet (
MEACorrAFasz. 10
[1],
Brömser an Cratz/J. Adam Krebs, Osnabrück 1645 IX 7).
.
Die Aufzeichnungen der einzelnen Protokollanten können je nach Individualität verschieden sein: Beck schreibt undifferenzierter mit als Berninger und J. Adam Krebs; das Protokoll, das unter der Aufsicht Raigerspergers erstellt worden ist, ist knapper, aber auch konziser als das von J. Adam Krebs betreute. Krebs hat als ehemaliger Sekretär überhaupt mit peinlicher Genauigkeit, die sicherlich auch von diplomatischer Unsicherheit zeugt, ein relativ unpolitisches Protokoll geführt
Besonders in Fragen des Reichszeremoniells, siehe unten
[Nr. 44] .
, wäh-rend Raigersperger zu souveränem Weglassen von vermeintlich Unwichtigem neigte; 1647 treten, vor allem bei kürzeren Sitzungen, an die Stelle von ausführlichen Voten-protokollen sogar Beschlußprotokolle
In den Kopfregesten „Extrakt“ genannt, ebenso wie Auszüge aus dem Protokoll (z. B.
Kurköln zA Extrakt). Vgl. die Besprechung der einzelnen Überlieferungen.
kommt doch eine gemeinsame Eigentümlichkeit des kurmainzischen Protokolls zum Ausdruck: Es zeichnet die kurze Zusammenfassung der Voten der Vorstimmenden, mit der Kurmainz sein Votum nach dem Zeugnis der übrigen Protokolle zu eröffnen pflegte, nicht auf. Unterschiede zwischen der kurmainzischen und der Meinungs-äußerung der vorher votierenden Stände verschwimmen; selbst wenn die Meinung der Kurmainzer noch formell von dem Conclusum abgesetzt wird – in der Formel:
Concludierten deshalb –, so entsteht doch der Eindruck einer annähernden Iden-tität von kurmainzischem Votum und Sitzungsconclusum, es sei denn, der kurmain-zische Direktor hat Wert darauf gelegt, seine Meinung von einem mißliebigen Majoritätsbeschluß, den er nicht verhindern konnte, deutlich abzusetzen. Die Kur-brandenburger kreideten den Kurmainzern direkte Unterschlagungen bereits bei der mündlichen Verhandlungsführung an
Vgl.
Becker S. 299 Anm. 128, unten S. CVII Anm. 2, Nr. 102 S. 682.31ff., wo
Kur-mainz die uminterpretierende Wiederholung des kursächsischen Votums durch Kurmainz wegläßt.
, was sich natürlich auch im kurmainzischen Protokoll auswirken mußte. Allerdings ist hier nicht nur feindselige politische Ab-sicht zu unterstellen.
Kurmainz glättet und neutralisiert durchgehend in Wort-wahl und Ausdruckweise; drastische Redewendungen (z. B. bei der Lengericher Konferenz) werden im Protokoll abgeschwächt, schroffe Stellungnahmen erfahren eine mildernde Stilisierung, weitschweifige Argumentationsketten mit barocken Paroxys-men werden verkürzt, verlieren dadurch an Nuancenreichtum und gewinnen an Klar-heit. Hinter all dem steckt zweifellos das Bemühen des reichsamtlichen Protokoll-führers um Objektivität und geschäftsmäßige Sprache. Auch das äußere Bild verrät Sorgfalt. Die Zeichensetzung ist gut, die Rechtschreibung trotz Unterschieden zwi-schen den einzelnen Schreibern relativ regelmäßig, der gut durchgebildete Satzbau wechselt angemessen zwischen Ko- und Subordination.
2. Die Überlieferung: b. Kurtrier
Die kurtrierische Überlieferung ist weniger aufgefächert und nicht so umfangreich wie die kurmainzische. In der Abteilung 1 C des zuständigen
StaatsarchivsKoblenz existiert bei den Akten über die „auswärtigen Beziehungen“ Kurtriers nur ein Pro-tokoll-Buch mit zusammenhängenden Eintragungen aus den Jahren 1645 bis 1646. Das Buch enthält späte, im 18. Jahrhundert angefertigte Abschriften (
Kurtrier spA) von Kurfürstenrats- und
CC-Protokollen, die chronologisch – darum teils abwechselnd– aufeinander folgen, aus dem Zeitraum zwischen dem 10. Juli 1645 und dem 31. Dezember 1646
StAKoblenzAbtlg. 1 C Nr. 903 p. 1–1290.
. Die Vorlage ist verloren, was bei den Schicksalen des kurtrierischen Archivs nicht verwunderlich ist
Vgl.Minerva-
Handbücher,
Archive S. 506–510 (mit Literatur),Ausfeld.
. Es handelt sich um Abschriften, die auf die Original-Protokolle (Konzepte) der kurtrierischen Gesandtschaft direkt oder indirekt, über dazwischenliegende Abschriften, zurückgehen. Die übersandten Rein-schriften sind nur noch in kleinen Resten und Fragmenten über verschiedene Akten-bände verstreut antreffbar
StAKoblenz 1 C Nr. 901 fol. 220–221’ (Bruchstück aus 1649), fol. 222–222’ (1649 IV 26), fol. 222’-227 (1649 IV 28); 1 C Nr. 9226 fol. 37–47’, 47’-56’, 56’-60 (Lengericher Konferenz 1645 VII 10, 11 unter Zugrundelegung des kurkölnischen Protokolls, weil Kurtrier zu dieser Zeit noch nicht anwesend
war), 1 C Nr. 9231 fol. 23–24’ (1649 III 22, Fragment), fol. 78–83’ (1645 X 21).
, sie werden kaum als Vorlage gedient haben. Dabei
könnte die Überlieferung der Protokoll-Reinschriften wegen der besonderen poli-tischen Verhältnisse, die in Kurtrier von 1645 bis 1649 herrschten, besser sein als in anderen Kanzleien: Der erst im April 1645 aus kaiserlichem Gewahrsam ent-lassene Kurfürst von Trier, Philipp Christoph von Sötern, zieh seine Gesandten am Kongreß, darunter besonders den Kanzler Johann Anethan und den Hauptgesandten Hugo Friedrich Freiherrn von Eltz, landesverräterischer Umtriebe und des heim-lichen Einverständnisses mit dem Kaiser und den Spaniern. Reinschriften der Proto-kolle müssen in sorgfältiger Ausarbeitung und regelmäßig nach Trier geschickt worden sein
Kurtrier/Münster an Kf. Philipp Christoph, 1646 IV 27: Die nach unndt nach eingeschickte prothocolla [...] hatt der unß mitgegebener secretarius auß den geführten votis unßers wißens in substantialibus fideliter excipirt (
MEACorrAFasz. 12 [2] fol. 17’). Weitere Verweise auf beigelegte Protokolle in Kurtrier/Münster an Kf. Philipp Christoph, 1647 IV 9 PS
(
StAKoblenz1 C Nr. 9227 fol. 172–172’), vgl.MEACorrAFasz. 12 fol. 211’.
, weil der Kurfürst, wie aus seinen Reskripten hervorgeht, sie argwöhnisch regi-strierte und mit seinen sonstigen Informationsquellen verglich; er könnte deshalb sogar eine gesonderte Abheftung der Protokoll-Reinschriften, die dann auch Vorlage für die späte Abschrift in 1 C nr. 903 hätten sein können, veranlaßt haben.
Die ausführlichste kurtrierische Überlieferung liegt in Form einer zeitgenössischen Abschrift (
Kurtrier zA) im unfoliierten Faszikel 16 des Mainzer Erzkanzler-archivs vor
Gemeint die in APW
III A 4, 1 alsKurmainzA bezeichnete Überlieferung.
. Hier sind
CC- und Kurfürstenratsprotokolle nach der zeitlichen Reihen-folge der Sitzungen aufgenommen. Die Eintragungen reichen vom 19. Oktober 1645, der ersten Reichsratsitzung, an der Kurtrier teilnahm, bis zum 17. Juni 1647; das Protokoll dieser Sitzung bricht mitten im kurbayerischen Votum ab, die Fort-setzung ließ sich nicht finden. Nach Tinte, Schreiberhänden und Form der Beschrif-tung handelt es sich eindeutig um einen Protokollband zeitgenössischer kurtrierischer Provenienz. Die Abschrift muß noch während des Kongresses und sehr wahrschein-lich in einem einzigen Arbeitsgang getätigt worden sein. Wie bei den kurtrierischen Relationen sind die Seiten bis auf einen kleinen Rand ganz in sauberer bis kalligra-phischer Manier beschriftet worden; am Kopf jeder Sitzung sind auf dem Rand die Anwesenden vermerkt; dabei werden die Votanten streng in der Reihenfolge ihrer Stimmabgabe hintereinander aufgeführt (Kurtrier alternierend an zweiter Stelle mit Kurköln).
Gegen die Annahme, daß Faszikel 16 der Mainzer Friedensakten statt einer Kopie ein Teil des „Original-Konzepts“ der kurtrierischen Gesandtschaft selbst ist, spre-chen verschiedene Gründe. Der Band wirkt wie aus einem Guß hergestellt, weist durchweg keine Verbesserungen, aber typische Kopistenfehler auf. Außer ihm befinden sich im Mainzer Erzkanzlerarchiv noch zeitgenössische Kopien von den Berichten der kurtrierischen Gesandten in Münster (
MEACorrAFasz. 12) und von den Weisungen des Kurfürsten Philipp Christoph an seine Gesandten (
MEACorrA
Fasz. 16) aus den Jahren 1645–1647. Zwei der drei in dem Protokollband festzu-stellenden Schreiberhände haben auch bei den Abschriften der kurfürstlichen Reskripte mitgewirkt (
MEAFrAFasz. 16 und
MEACorrAFasz. 16). Auch brechen die kurtrierischen Protokoll-Abschriften und Briefkopien zum etwa gleichen Zeitpunkt ab: Die Protokolle enden am 17. Juni, die Kopien der Relationen mit dem 30. Juli, der Reskripte im Mai 1647. Es ist demnach am ehesten wahrscheinlich, daß aus verschiedenem Schriftgut der kurtrierischen Akten zusammenhängende Abschriften gemacht worden sind, und zwar mit einer bestimmten Absicht, die auch die rätsel-hafte Eingliederung der drei Aktenbände kurtrierischer Provenienz ins Mainzer Archiv erklären könnte.
In seinen Reskripten warf Kurfürst Philipp Christoph seinen Gesandten ständig vor, sie berichteten mangelhaft, verspätet oder falsch und handelten nicht instruktions-gemäß
Kf. Philipp Christoph an Kurtrier/Münster, Trier 1646 IV 16 (
MEACorrAFasz. 16 fol. 107’):
Wir bekommen fast in allen punctis einen andern bericht alß in ewern uber-schickten prothocollis (so an viellen orthen maneo).
Vgl. Kurtrier/Münster an Kf. Philipp Christoph, 1646 IV 20, wo die Abstimmung des kurtrierischen Votums in der Satis-faktionsfrage mit den französischen Gesandten gemeldet wird (
MEACorrAFasz. 12 fol. 12). Während die Gesandten beteuern, es an
calor
und eiffer
nicht fehlen zu lassen und von keinem menschen
beeinflußt zu sein (Kurtrier/Münster an Kf. Philipp Christoph, 1647 I 31,StAKoblenz 1
C Nr. 9227 fol. 48, vgl.ebd.fol. 138–141’; Kf. Philipp Christoph an Kurtrier/Münster, Trier 1647 IV 1,ebd.fol. 157, vgl. fol. 164, 266, 283), scheut sich der Kurfürst nicht, seinen Gesandten über Weisungen hinaus ausgearbeitete schriftliche Voten und rathsordi-nantzien
zuzusenden, damit sie sich hernegst desto weniger zu entschuldigen haben
würden (
ebd.fol. 157, 258–265, 285–285’).
. Bereits am 3. Dezember 1645 berief der Kurfürst den Sekundargesandten Johann Theodor Breuer, Offizial der Trierer Kirche und Dekan von St. Simeon, aus Münster ab. Da er des Flüchtigen nicht habhaft werden konnte, ergriff er Repressalien gegen dessen Besitz und Familienangehörige und ließ ihm in Abwesen-heit wegen „Verrats“ den Prozeß machen
Breuer wurde zu 1000 Goldgulden Strafe, zum Verlust aller Benefizien verurteilt und
sine spe remigrationis aus dem Erzstift ausgewiesen. Sein Haus wurde mit Militär belegt, sein Bruder Colinus eingekerkert; nach eigener Angabe erlitt er 10 000 Reichstaler Vermögensverluste (
BATrier, Abtlg. B 40, 2 Nr. 12 S. 3f. 1651 I 12,
ebd, S. 6–9 ausführlicher Bericht Breuers, der bei der Kurie eine Revision seines Prozesses anstrengte, dafür in Rom weilte und dabei mit dem Nuntius Chigi in finanzielle Beziehungen trat). Vgl.
Repgen, Finanzen S. 264 u. Tab. 3,
Bro-werus-Masenius II S. 542. – Auch Anethan mußte (1648) seinen Gesandtenposten aufgeben, weil er in Ungnade des Kurfürsten fiel.
. In seinen Weisungen schärfte Philipp Christoph immer wieder die isolierte Wahrnehmung kurtrierischer Partikularinter-essen ein, sprach sich gegen gemeinsames Handeln der katholischen Stände aus
Kurtrier/Münster an Kf. Philipp Christoph, 1647 I 15 (
StAKoblenz 1 C Nr. 9227 fol. 12–15’, vgl. Nr. 9228 fol. 1–3, 12).
, empfahl zeitweise sogar ein Zusammengehen mit Kurbrandenburg
undt protestieren-den
Immerhin in der schwerwiegenden Frage der Wahlkapitulation und der
libertas imperii (Kf. Philipp Christoph an Kurtrier/Münster, Trier 1646 III 29,
MEACorrA 16 fol. 110).
, betonte die Bindung des Erzstifts an Frankreich und schleuderte Invektiven gegen die Kaiserlichen und die Spanier
Kf. Philipp Christoph an Kurtrier/Münster, 1646 VIII 20 (
MEACorrA 16 fol. 201): will den Religionsfrieden, falls er nur Ehrenbreitstein erhält, künftig gegen
Pabst, Spanier undt Jesuiter
verteidigen helfen.
nur einen äußerst geringen taktischen Spielraum für die Vertretung der kurtrie-rischen Belange. Motive zur Anfertigung eines „Dossiers“, das – je nach Entwicklung der Regierungskrise im Erzstift – als Anklage- oder als Rechtfertigungsschrift ver-wendet werden könnte, waren also gegeben
Vgl. Kurtrier/Münster an Kf. Philipp Christoph, 1647 III 26 (
MEACorrA 12 fol. 215’):
wollen [...] damit unß getrosten, daß wir unß vor Gott unndt gantz dissinteressirten weit unschüldigh [...] wißen, unß auff die acta unndt hießigen allgemeinen convents unverwerffliche zeugnuß beziehende.
. Da der Kurfürst grundlos verspätete Absendung von Relationen unterstellte
Die Post aus Münster wurde laut
praesentatum der Relationen ca. eine Woche nach Abfassung in Trier vorgelegt. Die Gesandten beteuerten, daß laut Auskunft der Post in Köln ihre Post trotz der Reklamationen des Kurfürsten normal gelaufen sei. Vgl. Kf. Philipp Christoph an Kurtrier/Münster, Trier 1647 IV 29 (
StAKoblenz 1 C Nr. 9227 fol. 195) mit Kurtrier/Münster an Kf. Philipp Christoph, 1647 IV 30 (
ebd. fol. 203–205).
, auf viele der behandelten Themen nicht ein-ging und ärgerliche Sonderanweisungen (so an Hermann Adolf Scherer) erließ
Ebd. fol. 198–202’ (Instruktion von 1647 IV 29).
, mochten ihm seine Gesandten auch zutrauen, deren Berichte oder gar seine eigenen Anweisungen zu unterschlagen: Denn mißliebige Domkapitulare, gegen die der Kur-fürst bedenkenlos prozessierte, gerieten bei Appellationen in Beweisnot, weil Schreiben des Domkapitels und
churfürstliche antwortungsschriefften [...] entweder von Ihrer Churfürstlichen Gnaden schimpfflich angenohmen oder gar abge-leugnet wollen werden
In Sachen der Exkommunikation des Trierer Dompropsts Johann Wilhelm Husmann von Namedy 1646, gegen die das Kapitel an die Kurie appellierte (
BATrier Abtlg. B 40, 2 Nr. 11 S. 86).
. Besonders wegen ihrer Beziehungen zu dem vom Kur-fürsten abtrünnigen Trierer Domkapitel, das sich in Köln aufhielt, mußten die Gesandten ernstlich Söterns Ungnade fürchten
Kf. Philipp Christoph an Kurtrier/Münster, Trier 1646 VIII 6, argwöhnte, daß die Trierische undt Mayntzische capitularen undt senioren unß uff ein neuwes außmüsteren,
verbat sich angebliche Drohungen mit dem Münsterischen dhumbcapitul
sowie österreichische Kon-spirationen zugunsten eines Koadjutors und drohte den Gesandten mit Aufhebung ihrer Amnestie und Einziehung ihrer Güter (
MEACorrAFasz. 16 fol. 189–198’); die besonders verletzenden Stellen sind in dieser Kopie unterstrichen. – Vgl. Nr. 68 (1646 II 14) S. 473.27 mit S. 471. 36–39 (Aussparung prokaiserlicher Ausführungen Kurtriers in
KurtrierzA).
. Die Korrespondenzen mit dem
schis-matischen kapitel in Köln, von der Teile noch im Trierer Bistumsarchiv liegen, führten die kurtrierischen Domkapitulare und Chorbischöfe Hugo Friedrich von Eltz (zugleich kurmainzischer Domkapitular) und Hugo Eberhard Cratz von Scharffen-stein
Kf. Philipp Christoph an Kurtrier/Münster, Trier 1647 V 20 PS (
StAKoblenz1 C Nr. 9227 fol. 242). Siehe oben Anm. 5,BATrierAbtlg. B 40, 2 Nr. 11 S. 70ff. – Eltz war obrister chorbischoff
von Trier, Mainzer Domkantor und Kämmerer des weltlichen Gerichts zu Mainz, Cratz von Scharffenstein chorbischoff S. Lubentii in Diekirchen (
ebd.Abtlg. B 9, 6 Nr. 4: Gedruckte Liste der Domkapitulare und Domherren zu Trier, 1641) und Mainzer Domkustos. Die Eltz standen sowohl mit den Cratz von Scharffenstein als auch mit der Familie des regierenden Mainzer Kurfürsten in verwandtschaftlichen Beziehungen (darüberRothin seiner Geschlechterbiographie, passim).
; sie waren die Hauptgesandten von Kurtrier und von Kurmainz. Ihre Briefe
nach Köln schrieb der gleiche Sekretär, von dem der größte Teil der kurtrierischen Protokoll-Abschriften in den kurmainzischen Friedensakten stammt, dessen Hand aber in den sonstigen (erhaltenen) Akten, die in die kurfürstlich-trierische Kanzlei gelangt sind, äußerst selten auftaucht. Es kann also vermutet werden, daß ein Teil der kurtrierischen Gesandtschaft sich durch Abschrift aus ihren Akten eine Art Rückversicherung gegen mögliche Strafverfolgung schaffen wollte
Kurtrier/Münster an Kf. Philipp Christoph, 1647 IV 9: Betonen ihre künfftige verantwor-tungh, daß in gegenwertiger schwärer legation nichts von unß verabsaumbet werde
und beziehen sich auf die Akten, da sie mit schweren straffen transgressi mandati et criminis falsi zur unschuldt bedrawet werden wollen (
MEACorrAFasz. 12 fol. 237). Eltz (an den Kurfürsten 1646 VI 8) hoffte, nicht ebenso behandelt zu werden wie Breuer
(
MEACorrAFasz. 12 fol. 49).
oder sogar Zweit-exemplare für den Gebrauch des Domkapitels anfertigen ließ. Die Abschriften wären dann durch die Anwesenheit zweier hervorragender Mitglieder des Trierer Kapitels im Gesandtenrang rechtlich abgedeckt gewesen; sie hätten folglich auch im Archiv eines der beiden Kapitulare deponiert werden können; möglicherweise hat Eltz sie schon vor seiner Abreise nach Köln im August 1647
Mit
gnädigster erlaubnuß dem Kurfürsten bereits 1647 V 14 angekündigt (
MEACorrAFasz. 12 fol. 254). Eltz betonte hierbei wie stets, daß das Domkapitel nicht dem Kaiser oder Spanien anhängig, sondern kurtrierisch gesinnt sei. Allerdings war auch Ehg. Leopold von Österreich, mit dem das Kapitel über Erasmus von Horst in Verbindung stand, Trierer Domherr (
MEACorrAFasz. 12 fol. 218,
BATrier Abtlg. B 40,2 Nr. 11,
StadtarchivTrier 174, 194 [1536]).
dem kurmainzischen Haupt-gesandten Cratz von Scharffenstein und damit dem kurmainzischen Archiv über-antwortet. Dieser direkte Weg ist wohl wahrscheinlicher als der Umweg über den Nachlaß von Eltz (oder auch Cratz), weil die Akten von den Angehörigen sowohl des Eltz wie des Cratz eher an das kurtrierische Archiv hätten zurückgegeben werden können, wohin sie ja eigentlich gehörten. Über den Zeitpunkt der Abreise Eltzens vom Kongreß reichen die Kopien jedenfalls nicht mehr hinaus; ihre Existenz und ihr heutiger Fundort könnten so die latente Nebenregierung des Domkapitels in der kurtrierischen Kongreßvertretung bis August 1647 bezeugen.
An kurtrierischen Protokollanten werden in den Akten der Sekretär Stamb
MEACorrAFasz. 12 [1] fol. 1: Kurtrier an Kf. Philipp Christoph, Köln 1645 X 7.
und Marten Wilhelmb Strengh
MEACorrAFasz. 12 [2] fol. 196 (Ende Februar 1647 als Postbote nach Trier).
, der auch zu Kurierdiensten verwendet wurde, genannt; eventuell ist für
Kurtrier zA an einen eigenen Sekretär des Domkapitels zu den-ken
1667: N. Kneipff (
BATrierAbtlg. B 9, 5 nr. 22).
. Kurtrier führte, ganz anders als die Vorwürfe Philipp Christophs es vermuten lassen, ein ausgezeichnetes Protokoll, das inhaltlich umfassend, allerdings wegen seiner konzentrierten und knappen Diktion teilweise schwer lesbar ist.
2. Die Überlieferung: c. Kurköln
Auch von der ursprünglichen kurkölnischen Überlieferung sind in dem eigentlich zu-ständigen erzstiftischen Archiv (heuteHStADüsseldorf)
nur Reste erhalten. In Düsseldorf liegt nur noch ein einziges Heft mit reinschriftlichen
Protokoll-Extrak-
ten
, das die Propositionen der Kurfürstenrats- und
CC-Sitzungen enthält. Es ist eine Art Register zu zwei verlorenen Bänden kurkölnischer Original-Protokolle, ver-mutlich dem
Protocollum Electorale Monasteriense,
von dem es Seitennachweise und – bis Sessio 33 (1646 IV 25) numerierte – Sitzungseinträge mit Datum (und Proposition) bringt
; die Einträge reichen vom 29. August 1645 bis zum 22. März 1649. Eine unvollständige Reihe zeitgenössischer Protokoll-Reinschriften konnte imBayerischenHauptstaatsarchivMünchen,
Abtlg. II, Geh. Staatsarchiv, aufgefunden werden. Sie liegt der Oßnabruckischen correspondenz 1645,
Briefen Wartenbergs an den Kurfürsten von Bayern, mit weiteren Fürstenratsprotokollen bei
HStAMünchenII Kasten schwarz 2231 (1645 VII 5 – 1645 XII 29).
. Diese Reinschriften umfassen nur die drei Sitzungen der Lengericher Konferenz (1645 VII 10, 11) und die ersten neun Sitzungen des Kurfürstenrats (1645 VIII 31 – X 15); sie stammen von den Schreibern des Wartenberg-Diariums.Nahezu vollständige kurkölnische Protokollreihen sind uns jedoch in Form von Ab-schriften überliefert. Eine zeitgenössische Abschrift von Kurfürstenrats- und
CC-Protokollen (
Kurköln zA I, II) ist in der
DombibliothekHildesheim erhalten: Tom. I enthält Eintragungen von 1645 VIII 29 bis 1648 II 5, Tom. II von 1648 III 18 bis 1648 XII 17
Nr. 766/I-II, besprochen beiWolffin APW
III 4, 1 S. LX (dort: „
Wartenberg/
Hil-desheim“).
. In diesen beiden Bänden sind kurkölnische Schreiberhände, die Hand des kurkölnischen Gesandten Buschmann und – im zweiten Band sogar überwiegend – die Hand des P. Adamus Adami OSB nachweisbar, der als Gesandter der Fürstabtei Corvey sowie der schwäbischen Reichsprälaten eine bedeutsame Stellung im Corpus Catholicorum einnahm. Wahrscheinlich hat Adami, der 1663 als Weihbischof von Hildesheim starb, die Protokollreihe bereits am Kongreß unter Verwendung kurkölnischer Papiere, die ihm dank seiner Beziehungen zu Buschmann und Wartenberg zugänglich waren, mit angelegt
Darauf deutet auch der Dorsalvermerk auf dem Einbanddeckel hin: Adami hoc protocollum [...] collegit.
und später an seinen Amtssitz mitgenommen, wo sie dann verblieben ist.
Die späteren Abschriften kurkölnischer Kurfürstenratsprotokolle (
KurkölnspA) sind zahlreicher und umfassender. Sie füllen sieben Bände und befinden sich heute imBayerischenHauptstaatsarchivMünchen,
Abteilung II, Geh. Staats-archiv.KurkölnspA I (Kasten blau 281/2c) enthält 33 numerierte Kurfürsten-ratssitzungen (1645 VIII 29 – 1646 IV 26, fol. 1–472’). Zeitlich parallel laufende Duplikate mit den gleichen Sitzungseinträgen, aber mit anderer Folio-Zählung liegen inKurkölnspA I a (Kasten blau 281/3a, 1645 VIII 29–1645 XI 19, fol. 1–246’) und inKurkölnspA I b (Kasten blau 281/3b, 1645 XI 19 – 1646 IV 26, fol. 247–508’) vor;KurkölnspA I b ist die Fortsetzung vonKurkölnspA I a. AnKurkölnspA I schließtKurkölnspA II (Kasten blau 281/2d, 1646 IV 28 – 1647 IX 25, fol. 473–754 und 1648 XII 3–1649 III 22) an (dazugehörige Doppelüberlieferung Kasten blau 278/3-IV). Dieses Protocollum electorale Monasteriense super tractatibus pacis Westphalicae
wird ergänzt durch das
sogenannte Protocollum electorale Osnabrugense:
KurkölnspA III (Kasten blau 281/3c, fol. 1–462) mit dem DoppelKurkölnspA lila (Kasten blau 281/3d, fol. 1–516) umfassen die Sitzungen des Kurfürstenrats, des Reichsplenums und der Reichsdeputation zwischen dem 1. Juli und dem 25. September 1648. Nicht überliefert sind in dieser Reihe die Sitzungen aus den Monaten Mai bis Juni 1648 und September bis Anfang Dezember 1648, woKurkölnspA II wieder einsetzt.Diese Kurfürstenratsprotokolle weisen – ebenso wie die in Kasten blau antreffbaren
CC-Protokolle
In APW
III A 4, 1: „
Wartenberg-
Register“.
– ein einheitliches äußeres Bild auf: Halbbrüchig rechtsseitig in Register-Schrift ausgefüllte Seiten, teilweise mit Ledermerkzeichen und regelmäßig mit Kollationsvermerken versehen. Der gesamte Bestand ist im Zuge der Ergänzung des kurpfälzischen Archivs, das für die Zeit der Ächtung der Pfalzgrafen in den Reichsratsprotokollen eine Lücke aufwies (1613–1653), am Immerwährenden Reichs-tag in Regensburg 1735 von dem kurpfälzischen Legationssekretär Johann Joseph Pachner angefertigt worden und dann später in das bayerische Geheime Staatsarchiv gelangt
. Vorlage war das kurkölnische
originalprotokoll vom Friedenskongreß, auf das am Ende von
Kurköln spA II verwiesen ist
Kasten blau 281/2 d fol. 754.
. Da die Abschrift sorgfältig ist, darf der Ouellenwert von
Kurköln spA kaum geringer veranschlagt werden als der von
Kurköln zA.
Aus dem Vergleich vonKurkölnspA mitKurkölnzA Extrakt sind überdies Rückschlüsse auf Form und Umfang des originalprotocolls
möglich: Mit großer Sicherheit ist hier an ein zweibändiges Protocollum electorale Monasteriense
zu denken, das für 1656 erwähnt ist
. Die Bemerkung des Kopisten, daß im Original-protokoll einige Blätter nach der Sitzung vom 25. September 1647 leer
gewesen seien, paßt zu der Lücke inKurkölnspA II (ebenfalls Protocollum electorale Monasteriense
betitelt), das erst mit dem 3. Dezember 1648 einsetzt, während bereits seit dem 25. September 1648 in Münster wieder Kurfürstenrat abgehalten wurde. Analog wirdKurkölnspA III, III a ein einbändiges Protocollum electorale Osnabrugense
auf der Stufe des Reinkonzepts oder der Reinschrift vor-gelegen haben, das ebenfalls am Anfang unvollständig war – im Unterschied zur Vor-lage vonKurkölnzA I, II.Das Original enthielt offenbar wie
Kurköln spA I, II 65 durchnumerierte Ses-siones
Die Zählung ist allerdings unkorrekt und konnte deshalb nicht übernommen werden.
bis zum 25. September 1647. Da die Folio-Angaben für Vol. I der Vorlage von
Kurköln zA Extrakt und die Folio-Zahlen des halbbrüchig geschriebenen
Kurköln spA I nicht übermäßig voneinander abweichen
Vol. I reicht nach
Kurköln zA Extrakt von fol. 1–403ff.,
Kurköln spA I (281/2 c) für den gleichen Zeitraum 1645 VIII 29 – 1646 IV 26 von fol. 1–472’.
, ist anzunehmen, daß zumindest der erste Band des Reinkonzepts nach Art des Wartenberg-Diariums halbseitig beschrieben war und ca. 400 Folien umfaßte
Das ganzseitig beschriebene
Kurköln zA I zählt bis 1646 IV 26 etwa halb soviel, nämlich 217 fol.
; auch wird die Person Warten-bergs hervorgehoben. Seine Anbringen am Schluß der Sitzungen sind dem Protokoll eingefügt, auf seine Kompetenz in der kurkölnischen Gesandtschaft wird mehrfach indirekt angespielt. Außerdem wird bei der Erwähnung von Visiten und Gesprächen (vor allem Wartenbergs) auf die entsprechenden genaueren Schilderungen im
DiariumWartenberg verwiesen
. In der Diktion ist
Kurköln wegen seiner langen und schwer überschaubaren Perioden schwieriger zu verstehen als
Kurmainz; die Sätze werden nicht immer heutigen grammatikalischen Vorstellungen entsprechend zu Ende geführt.
2. Die Überlieferung: d. Kurbayern
Die kurbayerische Überlieferung der Kurfürstenratsprotokolle ist wie die kurmain-zische in allen Entstehungsstufen erhalten. Überwiegend Rapulare von Kurfürsten-rats- und
CC-Protokollen in meist chronologischer Ordnung, vermischt mit Kon-zepten, enthält das Bündel Kasten schwarz 6982/1a-b:
Protocolla et acta misce-lanea zu denen reichs- und deputationstagshandlungen von anno 1646 biß 1649 gehörig (Kurbayern Rp I). Die dort in losen Lagen antreffbaren Proto-kolle stammen allerdings aus dem Zeitraum zwischen 29. August 1645 und 21. März 1646. Eine ganze Reihe von Kurfürstenrats- und
CC-Rapularen ist in dem Faszikel Kasten schwarz 3394
II enthalten, das eigentlich ein drittes Konvolut zusammen-hängender Protokoll-Konzepte aus dem Kurfürstenrat darstellt (
Kurbayern Rp in K III)
Der Titel Münsterische rapularprothocolla
trifft deshalb nur bedingt zu; der Band besprochen in APW
[III A 4,1 S. LXI f.]
. Es sind in ursprünglich zwei Stößen chronologisch geordnete Rapulare der Sitzungen vom 6. Mai bis zum 20. Juli und vom 24. Juli (
CC) bis zum 7. Novem-ber (
CC) 1647 (3394
II fol. 518–560’, 470–517’ und fol. 465ff.: 1646 I 8). Die in Stichworten mitschreibenden Protokollanten haben unnumerierte Lagen fort-laufend und platzsparend ganzseitig ausgefüllt und die einzelnen Sitzungen durch breite Querstriche voneinander getrennt. Der Duktus ist überaus flüchtig, mit vielen Abkürzungen, die teilweise – in Konzept und später Abschrift – zu falschen Auf-lösungen führten.
Die wichtigste Überlieferung ist die in drei Konvoluten (Kasten schwarz 7663, intus:
CC 1645 X 24, 7665, 3394
II) vorliegende Konzeptreihe, hier als
Kurbayern K I, II, III bezeichnet:
Kurbayern K I reicht vom 10. Juli 1645 bis 27. Novem-ber (
CC) 1645 (Kasten schwarz 7663 fol. 1–312’),
Kurbayern K II vom 23. De-zember 1645 bis zum 30. April (
CC) 1646 (7665, fol. 1–249’, bricht in der kurmainzischen Proposition ab),
Kurbayern K III vom 5. Mai 1646 bis zum 31. März (
CC) 1647 (3394
II fol. 10’-458 mit Ergänzungen 1647 VI 23, 30, VII 21 fol. 579–596’)
Kasten schwarz 3394II (mit
CC-Protokollen) in
APW
III A 4, 1: „
KurbayernA III“.
. Diese Konzepte gleichen äußerlich ganz den kurbayerischen
Original-Diarien (
DKurbayern K I, II) und den Konzepten der nach München übersandten
bericht, in denen 1648 die Protokolle summarisch, nach Sach- statt nach Votenfolge gegliedert, mitgeteilt worden sind
Siehe oben S.
[LXIX Anm. 3] und Kasten schwarz 7661 fol. 354’-357’ (1649 IV 26).
: halbbrüchige bis ganzseitige (dann mit starkem Rand versehene) Beschriftung mittellängsgefalteter Lagen, Verbesse-rungen von J. Adolf Krebs und Haslang, nachgetragene statt mitgeschriebene kur-bayerische Voten
. Manchmal sind reinschriftliche Originalvoten anderer Kurstände dem eigenen Konzept beigelegt worden
So die kurtrierischen Voten (Papier und Schrift kurtrierische Kanzlei) von 1646 II 26 (Satis-faktionsfrage) und 1646 II 14 (Ständerechte) inKurbayernK II (Kasten schwarz 7665 fol. 119–120’, 135–137);ebd.fol. 168 ein Teil des kurmainzischen Protokolls (kurmainzische Kanzleihand) mit dem kurbrandenburgischen Votum und dem kurmainzischen Schlußerachten in der Pfalzfrage 1646 III 8.
. Auf der Rückseite der Lage, die in
Kur-bayern Rp I die beiden Sitzungen vom 31. August und 2. September 1645 enthält, ist der Name des kurbrandenburgischen Sekretärs Schletzer notiert, was auf Austausch der Protokolle hindeutet.
In weiteren Aktenbüscheln unterschiedlichen Inhalts finden sich verstreut noch weitere Einzelstücke von Konzepten, Rapularen und Reinschriften
Kasten schwarz 7669/1, 7671/1a, 7672/1a (Konzepte: 1645 XII 23, VIII 7, 1647 V 6, Rapular: 1645 VII 10, Reinschrift: 1647 III 18).
. Außerdem sind zugleich mit den Diarien und einem Teil der Relationen auch die Kurfürstenrats- und
CC-Protokolle noch einmal abgeschrieben worden: Die späten Abschriften der Kur-fürstenratsprotokolle (
Kurbayern spA I, II) liegen in zwei eigenen Bänden vor, die zu dem gleichen Bestand wie die Relationen und Diarien (
DKurbayern K spA I, II) gehören
. Da diese beiden Bände aber auch – in chronologischer Reihen-folge und abwechselnd –
CC-Protokolle enthalten, können die nur Kurfürstenrats-protokolle enthaltenden Konzeptbände (Kasten schwarz 7663, 7665) nicht allein als Vorlage gedient haben; auch fehlen
Ex-Archivo-Vermerke wie bei der späten Abschrift der Diarien, und es treten Abschreibfehler auf, die klar lesbare Text-stellen der Konzeptbände sinnentstellt wiedergeben. Zwar könnten nach chronologischen Gesichtspunkten
CC-Protokoll-Konzepte aus Kasten schwarz 7664, wo die kur-bayerischen
CC-Protokolle geschlossen liegen, interpoliert worden sein; sehr viel wahr-scheinlicher aber ist, daß
Kurbayern spA I, II eine verlorene, übersandte reinschriftliche Überlieferung zugrunde liegt, die Kurfürstenrats- und
CC-Protokolle in der zeitlichen Reihenfolge ihres Einlaufs in der Münchner Kanzlei umfaßte
SoWolffinAPW[III A 4, 1 S. LXII] . Allerdings stimmt der Anfang von
KurbayernK II mit dem Ende vonKurbayernspA I (1645 XII 23) überein,KurbayernK II und spA II enden gleichzeitig (1646 IV 30). Auf längere Interpolation in einem Stück könnten die Verwerfung inKurbayernspA II (p. 611–657
CC 1646 III 12, III 21, 22 zwischen KfR 1646 III 8 und III 13) und die Serie der
CC-Protokolle am Ende von
KurbayernspA I (1645 XI 16 – XII 20 p. 497–710) hindeuten.
.
An der Erstellung des kurbayerischen Protokolls haben die Kanzlisten Veith Jacob Pichler (vom Kurfürsten am 28. 11. 1645 mit Dr. Ernst nach Osnabrück beordert),
Pragg und möglicherweise Georg Baumbgartner, der zur Führung des Rechnungs-wesens für den im Dezember 1645 abberufenen Rechnungskommissar Christoph Michael Mändl nach Münster kam, mitgewirkt
HStTAMünchenII, Kasten schwarz 7684 fol. 8, 13, 28, 39. Mändl wurde vom Kurfürsten bereits am 11. Juni 1645 angefordert.
. Die Gesandten Haslang und Krebs verbesserten die Protokolle eigenhändig, sie trugen die kurbayerischen Voten nach; Unterlagen ihrer Vorträge im Rat dienten als Protokoll-Beilage
Nachtrag der Voten: Kasten schwarz 7665 fol. 231–232 (1646 IV 24), 242’-244 (1646 IV 25). Verweis auf einen von Haslang verlesenenauffsatzebd.fol. 124’ (1646 II 14), Kasten schwarz 3394IIfol. 535’ (1647 VI 17). Siehe unten Nrr. 81, 82, 68, 120.
.
Kurbayern K, spA ist außerhalb der kurbayerischen Voten und da, wo es auf eigene Rapulare zurückgeht statt auf (ausgetauschte) fremde Provenienzen, durchweg knapper und unvollständiger als
Kurmainz,
Kurtrier,
Kurköln und
Kurbrandenburg. In seinen originalen Teilen gibt es häufig komplexe Vortragsinhalte nur vereinfachend wieder.
2. Die Überlieferung: e. Kursachsen
Vom kursächsischen Protokoll sind ausnahmsweise nur die übersandten Reinschriften überliefert, die in den anderen Provenienzen allenfalls fragmentarisch vorhanden oder verlorengegangen sind. Sie lagern zusammen mit dem evangelischen Protokoll über die Verhandlungen der Gravamina-Deputationen in Osnabrück 1646 in zwei Konvoluten des
StaatsarchivsDresden.Kursachsen Rs I (Loc. 8133, 1) umfaßt die Plenarsitzungen in Osnabrück vom 26. und 27. April 1646 und weitere elf Kur-fürstenrats-sessiones vom 4. August 1646 bis zum 1. Januar 1647
Protocoll derer zu Münster im churfürstlichen collegio gehaltenen sessionen, weil die Chursächsischen gesandten daselbst gewesen (
Loc. 8133,1 fol. 81–128’).
. Der Beginn der Protokollreihe ist auf das späte Eintreffen der kursächsischen Gesandten in Osna-brück zurückzuführen; Leuber und Pistoris zogen auch erst am 8. Juli nach Münster weiter
Vgl. dasNotandumin Loc. 8133, 1 fol. 123 und das Diarium der kursächsischen Gesandt-schaft Vol. 1 (Loc. 8134 fol. 106ff.).
. Wegen ihrer häufigen Reisen von Münster nach Osnabrück ist das kur-sächsische Protokoll aus 1647 sehr lückenhaft; es enthält eine geschlossene Serie nur zwischen dem 17. Juni und dem 10. Juli 1647
Kursachsen nahm außerdem noch an den Sitzungen 1647 III 16, 18, V 6 teil.
und bildet zusammen mit dem Proto-koll der Jahre 1648–1649
Kursachsen Rs II (Loc. 8133, 2)
Fol. 92 (1647 V 6) – 505’ (Reichsdeputation 1649 I 10): Protocollum, so bey denen zu Münster und Oßnabrügk in Westphalen angestalten generalfriedenstractaten gehalten worden. Anno 1646–48.
. In diese Protokoll-Reinschriften sind Protokolle der ad hoc gebildeten Deputationen (an Hessen-Kassel, an die Kaiserlichen, an Schweden) und von Plenarsitzungen sowie Einzelberichte der kursächsischen Gesandten einbezogen. Die Blätter in
Kursachsen Rs I, II sind ganzseitig mit Schönschrift bedeckt und tragen die für Korrespondenz typische Quer-Längs-Faltung. Die Protokolle zweier oder dreier aufeinanderfolgender Sitzungen sind jeweils im Verbund abgeschrieben und als Beilagen den einzelnen Postpaketen
. Die Foliierung erfolgte nach der Übersendung in die Kanzlei und der Sichtung der eingegangenen Protokolle. Das Vorhandensein der reinschriftlichen Überlieferung erklärt sich nicht nur aus dem Fundort der beiden Protokollbände, der gut erhaltenen Registratur des Geheimen Rats
Überblick über die gesamten kursächsischen Friedensakten bei H. J.
Schreckenbach,
Kur-sachsen auf dem Westfälischen Friedenskongreß.
. Es ist vielmehr denkbar, daß die Reinkonzept-Stufe mit der sonst üblichen Sorgfalt nicht angelegt worden ist, obwohl es natürlich Konzepte zu den übersandten Reinschriften gegeben haben wird, weil die einzelnen Sessiones bereits im kursächsischen Diarium systematisch aufgeführt werden: Hier finden sich Angaben der behandelten Materien und das Conclusum, also eine Art Beschlußprotokolle. Einzelne Sitzungsprotokolle in
Kursachsen Rs I sind von Leuber verbessert und unterschrieben
Loc. 8133, 2 fol. 171–175’, 316.
. Möglicherweise hat Leuber den Protokoll-Reinschriften seinen aus-gearbeiteten Vortrag, das kursächsische Votum, und daneben direkt die Protokoll-notizen des Rapulars über die anderen Voten zugrunde gelegt. Der Unterschied zwischen der ausgefeilten, eine schriftliche Vorlage verratenden Diktion des kur-sächsischen Votums und den übrigen Voten, die kurz und bündig fast im Telegramm-stil gehalten sind, ist jedenfalls unverkennbar; wo die Voten der anderen Kurstände ausführlicher werden, läßt sich mit großer Wahrscheinlichkeit als Vorlage eine andere Protokoll-Provenienz erschließen. Wahrscheinlich sind die Knappheit und Lücken-haftigkeit des kursächsischen Protokolls auf das Fehlen einer Reinkonzept-Stufe
Außerhalb des kursächsischen Votums gleichtKursachsenRs, wo es autogen ist, in seinem knappen Stil dem eigenhändigen Protokoll des kurbrandenburgischen Gesandten Knesebeck vom Regensburger Kurfürstentag 1636/37 (
DeutschesZentralarchivMerseburg,
Historische Abteilung II nr. 103
Fasz. 2).
und letztlich auf einen Mangel an Sekretären in der ohnehin kleinen und bescheiden auftretenden kursächsischen Gesandtschaft zurückzuführen: Obwohl von Kursachsen erwartet wurde, daß es in die Verhandlungen des Corpus Evangelicorum, dessen Vorsitz es innehatte, einen eigenen Sekretär schicken werde
DLöbenII fol. 153, dort wird der kursächsische Sekretär Khiesel
genannt (fol. 27).
, unterzeichneten dort die alten Protokollführer
Christian Werner (Magdeburg), Samuel Ebart (Sachsen/Altenburg), Eusebius Jäger (Sachsen/Weimar), Christian Lampadies (Braunschweig-Lüneburg) und Daniel Repp (Loc. 8133, 1 fol. 23, 80, 8133, 2 fol. 5, 131’); ebenso im Fürstenrat Osnabrück, während im Fürstenrat Münster herkömmlicherweise einige fürstengesandten ihre secretarios und protocollisten
nicht mitbringen durften (
MEACorrAFasz. 19, 1 nr. 85, 1645 X 20
).
auch nach der Ankunft Kursachsens weiterhin die Protokolle.
2. Die Überlieferung: f. Kurbrandenburg
Das brandenburgische Kurfürstenratsprotokoll besteht wie das mainzische hauptsäch-lich aus Reinkonzepten, außerdem aus Berichten über die einzelnen sessiones,
die wie bei Kurbayern in die Relationen eingearbeitet wurden. Zu unterscheiden sind das
Prothocol zu Oßnabrück:
KurbrandenburgRk I (1645 VI 18, VII 10, 11)
DZA
MerseburgRep. 12 nr. 131 fol. 1–48.
, das Prothocol im churfürstenrath zu Münster:
KurbrandenburgRk II (1647 I 21–1647 VII 3, 1648 X 2 – 1649 I 5, 1649 IV 17 – 1649 V 17)
Ebd.nr. 125 g fol. 1–228.
, das Oßnabrüggische letztere protocollum im churfürstenrhat vom 26. April biß auff dem 2. Sept. 1648
(st. v.):KurbrandenburgRk III
Ebd.nr. 132 fol. 1–499.
. Diese Protokollfaszikel sind also genau wie das kurkölnische originalprotocoll
nicht rein chronologisch, sondern nach den Kongreßorten, an denen die Sitzungen statt-fanden, angelegt worden;KurbrandenburgRk II setzt Rk III nach der erneuten Tagung des Kurfürstenrats in Münster (seit 1648 X 2) fort. Es handelt sich ein-deutig um halbbrüchig bis ganzseitig beschriebene, lose liegende Reinkonzepte der Gesandtschaftsregistratur, die von dem secretario legat[ionis] h[ern] Paul Kemnitzen An[no] 1649 m[ense] Sept[embris] bey dem churf [ürstlichen] archiv eingegeben worden
Nr. 125 g Deckblatt.
sind. Die meisten Protokolle stammen von der Hand des Kammer- und Legationssekretärs Kemnitz
Später Amtskammerrat, vgl.Meinardus,
Protokolle S. 134, II S. 346, I S. 643.
, der ausdrücklich vermerkte, wenn er ein Protokoll begann oder fortsetzte
Nr. 125 g fol. 176’.
. Außerdem haben der Legationssekretär ad interim
Johann Samuel Fehr
DLöbenII fol. 153’,Meinardus,
Protokolle I S. 258, 234. Fehr ging auch als pommerscher Sekretär in den Fürstenrat (DZA
MerseburgRep. 12 nr. 1373 fol. 121’: 1646 II 24 st.v.).
am Kurfürstenratsprotokoll in Osnabrück, der Sekre-tär, spätere kurbrandenburgische Rat und Resident in England, Johann Friedrich Schletzer
DLöbenII fol. 125ff., I fol. 108’. Schletzer galt als „turbulent und anspruchsvoll“, er wurde 1660 wegen Übertritts zu den Schweden und wegen Hochverrats in Abwesenheit zum Tode ver-urteilt (
UuAFriedrichWilhelmVII S. 822f.,Meinardus,
Protokolle V S. 558 VI S. 4f.).
, am Münsteraner Protokoll mitgewirkt; anfangs unterhielt Kurbranden-burg in Osnabrück diese drei Sekretäre und drei Kanzlisten, aber nur einen Kanzlisten in Münster
1645 V 8/18 forderten Heiden und Portmann deshalb den Sekretär Stützing aus der klevischen Kanzlei an (
DZAMerseburgRep. 12 nr. 136 a fol. 35).
, so daß Schletzer dorthin beordert werden mußte. In Münster führten auch die Gesandten Heiden und Portmann Protokoll
NachDLöbenII fol. 114 haben herr Heiden, herr D. Portmann undt secretarius Schletzer, alle drey,
das kurbayerische Votum in causa Palatina (
wahrscheinlich 1646 II 14, unten Nr.
[66 S. 477f.]) vleissigk verzeichnedt.
Vgl. auchebd.I fol. 153’, 154.
. Die Gesandten haben noch am Reinkonzept einzelne Verbesserungen vorgenommen, insgesamt aber istKurbran-denburgRk in tadelloser Schönschrift abgefaßt: Anders als etwaKurbayernK oderKurmainzK weist es wenige Korrekturen oder Abkürzungen auf. Obwohl die kurbrandenburgischen Sekretäre eine gewisse Vorliebe für raffende Partizipialkon-struktionen entwickelten, haben sie ein sehr gutes, klares und inhaltlich ausführliches Protokoll geschrieben. In der Regel fertigte die kurbrandenburgische Gesandtschaft keine Protokoll-Reinschriften zur Übersendung an die heimische Kanzlei aus. Be-richte über die einzelnen Kurfürsten- und Fürstenratssitzungen wurden den Rela-
tionen
einverleibt, desgleichen Extrakte bzw. summarische Aufzeichnungen aus den Visitenprotokollen, die zunächst imDiariumLöbenfestgehalten worden waren
Vgl. Löben an Burgsdorff, Osnabrück 1645 VII 3/13: Alle Vorgänge pflege ich ins diarium zu verzeichnen, welches ich allemahl [...] herrn Dr. Fritzen bey abfassungen der relationibus communicire, darauß dan die nova auch genommen undt denen [...] relationibus beygesetzedt werden (DZA
MerseburgRep. 12 nr. 122b fol. 7).
. Nur in Ausnahmefällen wurde ein prothocollum [...] votorum, [...] wie wir dieselbe quoad substantiam et quoad fieri potuit, ad verba einnehmen kön-nen
Heiden/Portmann an Kf. Friedrich Wilhelm, Münster 1647 III 18 (
ebd.nr. 136d fol. 175, 176).
,
von den Gesandten angekündigt; in diesen Fällen finden sich aber 1646 wie 1636/37 auf den Relationen Kanzleivermerke des Empfängers, daß hierbey [...] kein protocoll gewesen
Ebd. und zur kurbrandenburgischen Relation aus Regensburg 1636 XII 14 (
ebd.nr. 107, 2 fol. 231, vgl. fol. 55’, 56).
.
Es blieb durchweg beim referiren
Heiden/Portmann an Kf. Friedrich Wilhelm, Münster 1647 III 28 (nr. 136d fol. 191), ebenso Relation aus Regensburg 1636 X 29 (nr. 107, 2 fol. 154’).
der Protokollinhalte. Diese geringe Differenzierung des Korrespondenz-Schriftguts wurde durch die kur-brandenburgischen Instruktionen gedeckt, in denen die Gesandten nur angewiesen waren, über alle Vorkommnisse fleißig zu berichten
Originalinstruktion für Münster 1644 XII 4 (
DZAMerseburgnr. 121 fol. 21’).
Wohl auch deshalb, weil die Relationen bis auf 40 Folien anwuchsen, erließ Kf. Friedrich Wilhelm 1651 die Anordnung, jeweils nach Gegenständen gesonderte Relationen bzw. Postskripte zu verfassen und getrennt abzulegen (
Meinardus, Protokolle VI S. VIII).
, während z. B. die kurmain-zische Instruktion den Gesandten neben genauer Berichterstattung auch die Anfertigung und Übersendung von Protokollen auferlegte.Die Sitzungsberichte, die in die Relationen eingearbeitet worden sind, sind meist nicht wie die spezifizierten Sitzungsprotokolle nach der Votierordnung gegliedert: An die einzelnen Punkte der Proposition werden jeweils die Stellungnahmen aller Votanten angehängt. Die einzelnen Themen und die Äußerungen dazu werden hintereinander abgehandelt, das Sitzungsreferat ist anders als das Protokoll nach Sachgesichts-punkten statt nach sukzessive folgenden Voten aufgeteilt
Vgl. Relationen aus Münster 1645 XII 30 (nr. 136 a fol. 379’-380), 1646 V 11 (nr. 136 b/3 fol. 26f.) sowieebd.fol. 54, 95, 120’, 121’, nr. 137, 3 fol. 121ff.; Sitzungen des Fürstenrats Osnabrück in den Relationen aus Osnabrück 1646 II 2, II 27.
. Steht Kurbrandenburg mit seiner Meinung im Kurfürstenrat allein, so wird die Konfrontation der Meinungs-blöcke zum Gliederungsprinzip: Dem brandenburgischen Votum ist die Gegenmei-nung gegenübergestellt, von der es vereinfachend heißt, daß Kurtrier, Kurköln, Kur-bayern und Kurmainz sie vertreten hätten
So wird in dem Bericht über den Kurfürstenrat 1645 X 5 (in Relation von 1645 X 11) nur zwischencatholiciundChurbrandenburgunterschieden (nr. 136 a fol. 206), vgl. Relation aus Münster 1645 XII 30 (
ebd.fol. 379–380’). In Münster protokollierte zu dieser Zeit J. Fried-rich Schletzer.
. Bei diesen mehr summarischen Auf-zeichnungen spielte die subjektive Auswahl eine größere Rolle als bei den eigentlichen Protokollen, die eine möglichst vollständige Wiedergabe des Gesagten erstrebten; auch flossen in die protokollartigen Sitzungsreferate persönliche Wertungen und Beur-teilungen von Vorgängen ein
Vgl. Relation aus Münster 1646 VI 16 über Kurfürstenrat 1646 VI 13 (nr. 136 b/3 fol. 120, 121’). Bereits Auswahl und Gliederung bedeuteten eine Wertung.
. Bei großer Wichtigkeit des Sitzungsthemas konnte allerdings sogar die Abschrift eines Wortprotokolls fremder Provenienz in die Rela-tion aufgenommen werden
So über diesessiovon 1646 XII 31 zur Pommernfrage, der Kurbrandenburg als interessiert fernbleiben mußte (Relation aus Münster 1646 I 13 nr. 136 d fol. 24 ff.).
. Innerhalb der Relationen wurden die Sitzungsreferate mit Hinweisen auf die Ansage und auf die Fahrt zum Rat eingeleitet, auch in den Rein-konzepten beginnen die
sessiones teilweise mit ähnlichen Überleitungsformeln; ebenso wie die kurmainzischen beachteten auch die kurbrandenburgischen Protokollführer die Formalien der Verhandlungsprozedur.
Die reinschriftliche Kryptoform der Protokolle ist nun nicht, wie man zunächst an-nehmen könnte, ein Ersatz für die fehlenden Reinkonzepte zwischen dem 11. Juli 1645 und dem 21. Januar 1647 sowie dem 5. Januar und dem 17. April 1649, denn sie liegt auch für den längeren Zeitraum vor, aus dem
Kurbrandenburg Rk erhalten ist
Vgl. die Schilderung der Lengericher Konferenz in der Relation aus Osnabrück 1645 VII 14 (
DZAnr. 137, 2 fol. 1ff.).
. Die kurbrandenburgische Gesandtschaft hielt eine Information des Kurfürsten im Rahmen der Relationen offenbar für ausreichend, verzichtete aber nicht darauf, in den Sitzungen Protokoll zu führen – wofür sie mitunter zwei Sekretäre mitbrachte – und dieses Protokoll zunächst für den eigenen Gebrauch bis zur Stufe des Reinkon-zepts auszuarbeiten. Nach der Rückkehr vom Kongreß wurde dieses Originalproto-koll der kurfürstlichen Kanzlei übergeben, die damit eine Protokollreihe zum Nach-schlagen besaß. Folglich wird es für den gesamten Zeitraum des Kongresses kurbran-denburgische Reinkonzepte gegeben haben, von denen Teile aus den Jahren 1645, 1646, 1648, 1649 verlorengegangen sind. Darauf deutet auch ein Findbuch-Vermerk aus dem 18. Jahrhundert hin, in dem es heißt, daß Nr. 125g, das Münsteraner Kur-fürstenratsprotokoll,
doch nicht allerdings perfekt zu sein scheint
Im sogen. „Roten Buch“, Bd. 2 (
freundliche Mitteilung von Frau Dr. Grete Weiser, DZA
Merseburg).
.Gerade die kurbrandenburgische Überlieferung macht aber deutlich, daß für die Edi-tion der Kurfürstenratsprotokolle in erster Linie die Reinkonzept-Stufe heranzu-ziehen ist. Wie der Durchgang durch die einzelnen Protokoll-Provenienzen gezeigt hat, bietet
Kurmainz die am ehesten vollständige Reihe von Reinkonzepten.
3. Die Abhängigkeit der Protokoll-Provenienzen untereinanderDie Überlieferungsformen innerhalb der einzelnen Protokoll-Provenienzen sind, abge-sehen von den textlichen Unterschieden zwischen den ursprünglichen Mitschriften und dem Konzept, in der Regel identisch, d. h. im Wortlaut gleich, mit kleineren Ab-schreibfehlern. Die Provenienzen untereinander hingegen können, wie teilweise in den Diarien, bis zur völligen Verschiedenheit im Wortlaut und in der Sache auseinander-gehen; dies rührt meist daher, daß nicht ordentlich protokolliert worden ist. Wurden die einzelnen Protokolle, die im Kurfürstenrat von jedem Kurstand selbständig geführt
worden waren, nicht nachträglich miteinander abgestimmt, verglichen oder gar kollatio-niert wie im Fürstenrat Osnabrück
Siehe oben S.
[XCIII Anm. 6] . Das Bestreben, ein authentisches Fürstenratsprotokoll zu ver-fertigen, rührte auch von dem komplizierten Beratungsmodus her: Da erst die Auszählung der (Fürstenrats-) Voten in Münster und Osnabrück das korrekte Conclusum ergab, mußten zumin-dest über die Voten unbezweifelbare Aufzeichnungen existieren; auch wurde die
mainungim Osnabrücker Fürstenrat zur Proposition in Münster und umgekehrt. Die nächste Stufe war hier wie bei den
CC-Beratungen die Diktatur der Protokolle. Vgl.
MEAFrAFasz. 14 nr. 41.
, so stimmen sie gewöhnlich bei abweichendem Wortlaut, abgesehen von manchen gleichen oder ähnlichen Formulierungen, die dann Rückschlüsse auf das wirklich Gesagte zulassen, nur inhaltlich überein. Gegenseitige Beeinflussung der sechs Kurfürstenratsprotokolle zum Zeitpunkt ihrer Entstehung wird also überall dort ersichtlich, wo Protokolle identisch sind, wo einige oder alle sechs Protokollanten sich auf eine Fassung geeinigt haben, oder wo sich zwischen den einzelnen Provenienzen mehr oder minder ausgeprägte Übereinstimmungen in Wort-laut, Formulierung oder Satzbau ergeben haben. Der erste Fall, Identität, ist für die hier edierten Protokolle der Jahre 1645–1647 selten. Interessanter sind die gleich-lautenden oder fast gleichlautenden Passagen, weil in ihnen Ansätze zu einer gemein-schaftlichen Redaktion der Protokolle sichtbar werden, zumal wenn Rapulare und Konzepte von mehreren Überlieferungen erhalten sind. Diese Stellen werden deshalb stets in den Varianten angezeigt; sie differieren in Umfang und Häufigkeit zwischen einzelnen Provenienzen von Sitzung zu Sitzung und sogar innerhalb der Sitzungen und der Voten.
Textliche Gemeinsamkeiten, die auf gegenseitige Abhängigkeit deuten, sind für das Jahr 1645 vor allem zwischen
Kurmainz und
Kurbrandenburg sowie zwischen
Kurmainz und
Kurbayern
KurmainzgleichlautendKurbayernunten Nr.
[26] –
[28] (1645 VII 10, 11),
[39] (1645 VIII 31)-
[54] (1645 X 21).
festzustellen. Gleichlautende Formulierungen zwi-schen dem kurmainzischen und dem kurbrandenburgischen Protokoll ergeben sich besonders im kurmainzischen und im kurbrandenburgischen Votum, aber auch für andere Teile des Protokolls wie das kurkölnische Votum, deren Text für die zwischen
Kurmainz und
Kurbrandenburg gleichlautenden Passagen von
Kurbayern und
Kurköln (mit jeweils wieder anderem Text) abweicht
. Ähnlich sind die Beziehungen zwischen
Kurbayern und
Kurmainz: auch hier annähernde Gleich-heit der kurbayerischen und kurmainzischen Voten, die noch häufiger auftritt; dazu kommen gleichlautende Zwischenstücke aus anderen Voten
Aus den Voten von Kurköln (1645 I X 28, Nr. 49 S. 432) und Kurbrandenburg (1645 VIII 31, Nr. 39 S. 245), siehe auch Nr.
[43] (1645 I X 18).
. Diese Gemeinsamkeiten der Formulierung steigern sich für einzelne Sitzungen bis zur Identität. Nur eine Sitzung hat Kurbayern anfangs dem kurkölnischen Protokoll entnommen
. Wie der Vergleich der Rapulare und Konzepte zeigt, sind die Abhängigkeiten in den Voten der eigenen und der Gegen-Überlieferung durch schriftlichen Austausch entstanden: Der kurmainzische Protokollist Beck hat bereits in seinem Rapular von einer kur-brandenburgischen Aufzeichnung des brandenburgischen Votums abgeschrieben
. Die kurbrandenburgischen Voten sind in
Kurmainz Rk auch länger als in der kurköl-nischen, kurbayerischen und (ab 21. Oktober 1645) kurtrierischen Überlieferung und haben einen anderen Text
. Obwohl das kurbrandenburgische Protokoll für 1645–1646 fehlt, kann aus dem Gleichklang der kurbrandenburgischen Originalvoten vom 12. Februar und vom 8. März 1646 (Abschrift in
Kurbayern K II beiliegend)
mit der kur-mainzischen Überlieferung des brandenburgischen Votums der gleichen Sitzungen geschlossen werden, daß in
Kurmainz Rk das brandenburgische Votum temporär stärker berücksichtigt worden ist als in den anderen Protokollen. Vice versa hat der brandenburgische Sekretär Kemnitz aus dem ursprünglichen Text der kurmainzischen Propositionen und Voten in
Kurmainz geschöpft
.
Die kurbayerischen Sekretäre haben Teile aus dem kurmainzischen Konzept des kur-mainzischen und darüber hinaus des kurkölnischen Votums wörtlich übernommen; die Exzerpte setzten sie an den Rand ihres Rapulars
. Im Gegensatz zu der sonst stichwortartig gehaltenen Mitschrift in
Kurbayern Rp lauten diese Marginalzu-sätze mit
Kurmainz K und
Kurbayern K gleich. Teilweise geht
Kurbayern K allerdings – vor allem für die außermainzischen Voten – auf ein stichwortartiges kurbayerisches Rapular und damit auf eine autogene Vorstufe zurück
; es divergiert dann textlich von
Kurmainz K. Wenn außerhalb des kurbayerischen Votums
Kur-bayern Rp,
Kurbayern K und
Kurmainz K gleichlautend sind, ist
Kurbayern K keine interne Weiterentwicklung eines eigenständigen Rapulars und
Kurbayern Rp selbst nicht originell. Abschreibfehler und Verschlimmbesserungen in
Kurbayern K gegenüber
Kurbayern Rp und damit auch
Kurmainz K weisen als Vorlage von
Kurbayern Rp ein meist noch unverbessertes kurmainzisches Konzept aus
. Das Konzept von
Kurbayern kann aber auch direkt aus
Kurmainz entlehnt worden sein; dann existiert ein eigenes kurbayerisches Rapular, das die Konzeptstufe nicht erreicht hat, neben dem – nicht autogenen – Text von
Kurbayern K
. Hat der Text von
Kurmainz bereits in
Kurbayern Rp Eingang gefunden, so zeigt sich eine gewisse Eigenständigkeit des kurbayerischen Konzipisten doch in den teilweise rigorosen Kürzungen, die er an dem entlehnten Text von
Kurbayern Rp vornahm
So Nr.
[46 S. 319f.] (kurmainzische Proposition), auch teilweise Nr.
[44] . Genauso wurde mit eigenständigen kurbayerischen Rapularen verfahren. Vgl. Nr.
[73 (1646 III 3) S. 510] ,
[514] .
. Zur Vorlage von
Kurbayern Rp bzw. K ist zu sagen, daß das kurmainzische
Rapular im Juli und dann vom September bis Dezember 1645 von Kurbayern kaum ausgeschrieben worden sein dürfte: Es ist in diesen Monaten von Beck nur steno-grammartig geführt worden und enthielt gerade nicht die Proposition und das kur-mainzische Schlußvotum, auf die es den bayerischen Sekretären besonders ankam: Möglicherweise hat der kurmainzische Gesandte J. Adam Krebs seine meist sorg-fältigen Protokollnotizen der politisch nahestehenden kurbayerischen Gesandtschaft zugänglich gemacht. Wo die kurbayerischen Voten in
Kurmainz K mit dem – nicht verbesserten – Urtext von
Kurbayern Rp und mit
Kurbayern K über-einstimmen, dort sind aller Wahrscheinlichkeit nach Übernahmen aus dem kur-bayerischen Rapular ins kurmainzische Konzept erfolgt
. Dabei kann
Kurbayern Rp jeweils bereits ein schriftliches Votum zugrunde gelegen haben, das von den kur-bayerischen Gesandten in Münster, Haslang und J. Adolf Krebs, zum Gebrauch in der Sitzung vorformuliert worden war. Möglicherweise hat Kurbayern seine Position als ordentlicher Deputierter des Kurkollegs (anstelle von Kurpfalz) dadurch festigen wollen, daß es sein Protokoll mit dem Reichsprotokoll abstimmte; die Re- und Corre-lationen hat Kurbayern jedenfalls, nach den erhaltenen Rapularen zu schließen, ori-ginal mitgeschrieben
Siehe Nrr.
[41 S. 260f.] ,
[46 S. 321] ,
[52 S. 365] ,
[98 (1646 IX 2) S. 665] ,
[123 (1647 VII 10) S. 821] . Vielleicht wirkte hier auch die Tradition der Ligatage nach, auf denen nur Kurmainz und Kurbayern aus Gründen der Geheimhaltung Protokolle führen sollten
(
Neuer-LandfriedS. 206).
Auf dem Mühlbausener Kurfürstentag unterschieden sich die kurmainzischen und kur-bayerischen Kurfürstenratsprotokolle noch sehr voneinander (
HenkS. 12, 57, 66, 103).
.
Durchweg sind die eigenen Voten in der eigenen Überlieferung nach ihrem partiellen Austausch noch einmal überarbeitet, d. h. verbessert, zusammengestrichen oder mit kleineren oder größeren Zusätzen versehen worden
. So sind Interlinear- und Marginal-korrekturen, die zum kurmainzischen Votum in
Kurmainz K gemacht worden und bei der zweiten Konzipierung in
Kurmainz Rk eingeflossen sind, in
Kurbayern K nicht mehr enthalten, genau wie kurbayerische Verbesserungen in
Kurbayern K nicht mehr in
Kurmainz Rk; häufiger als in den anderen Überlieferungen ist das kurbayerische Votum in
Kurbayern K von der Hand des Gesandten J. Adolf Krebs nachgetragen worden. Der Kurstand, der Partner einer wechselseitigen Ab-stimmung der Protokolle war, konnte das fremde Votum zunächst nur in einer vor-läufigen Fassung seinem Protokoll einverleiben. Der Austausch des Originalvotums, und zwar in der Reinschrift der das Votum produzierenden Kanzlei, blieb der Aus-nahmefall für wichtige Anlässe: Das fremde Votum wurde dann dem eigenen Proto-koll-Konzept förmlich beigelegt statt – wie sonst – in seinen wesentlichen Teilen exzerpiert. Nur Kurmainz achtete streng darauf, daß die eigene Kanzlei von dem beizulegenden Votum Abschrift nahm und es dabei zumindest in indirekte Rede transponierte
Die enge Zusammenarbeit der kurmainzischen Protokollisten mit ihren kurbaye-rischen Kollegen lockerte sich nach der Ankunft Raigerspergers am 10. Dezember 1645. Das kurmainzische Protokoll wirkt seither straffer und konzentrierter,
Kur-bayern K rekurriert wieder stärker auf eine originale kurbayerische Mitschrift.
Während es
Kurtrier, vor allem in den ersten Protokollen, gelang, bei aller Knapp-heit der Diktion den vollen sachlichen Gehalt des Gesagten zum Ausdruck zu bringen, ergaben sich bei
Kurmainz mit zunehmender Knappheit auch inhaltliche Abstriche. Fragen des Zeremoniells wurden nun kürzer behandelt, Diskussionen, die kurmainzische Direktorialrechte tangierten, sogar mit souveräner Kürze wiederge-geben – so z. B. die Erörterung der Frage, ob das kurbrandenburgische Votum dem kurfürstlichen Gutachten über die erste Klasse der schwedischen Replik nur beige-legt oder inseriert, d. h. eingearbeitet werden sollte
Siehe Nr.
[78 (1646 III 28) S. 555ff.] (vgl.
DLöbenII fol. 134); Nr.
[91 (1646 VI 7) S. 621] : Prokaiserliche Änderung des Protokolls durch Raigersperger, der im kurmainzischen Votum angesichts der kurbrandenburgischen Bitte um die Unterstützung der Reichsstände gegen die schwe-dischen Satisfaktionsansprüche auf Kurbrandenburgs früheren Rat verweist, die Satisfaktion der
Franzosen sogleich zu behandeln. Nr. 220 (1647 VI 17) berichtet Kurmainz recht verhalten darüber, aus welchen Voten die vom Direktorium zu konzipierenden Schreiben an das Reichs-kammergericht zusammenzustellen seien.
. Bereits die dokumentierte Existenz solcher Erörterungen konnte das alleinige Auskunftsrecht des kurmain-zischen Direktoriums bei späteren Streitfällen einengen. Hinter dem kanzleitech-nischen Vorgang der Straffung des kurmainzischen Protokolls stand zweifellos eine politische Begründung: Die Weitschweifigkeit wich unter Raigerspergers Regie
der Konzentration, die Offenlegung des eigenen Protokollkonzepts dem Ausschluß anderer Kollegglieder von authentischen Reichsprotokoll.
Kurmainz redigierte sein Protokoll aber auch fortan keineswegs isoliert. Es hat Konzepte seiner Proposition weiterhin den Protokollanten anderer Kurstände: Kur-sachsen, Kurbrandenburg, Kurtrier, Kurbayern zugänglich gemacht, es hat sich jedoch die abschließende Überarbeitung des ausgetauschten Propositionskonzepts nicht nehmen lassen und sogar durch den Entwurf mehrerer Propositionen; die inhaltlich voneinander abwichen, sich Handlungsspielraum verschafft
Nrr.
[102 (1646 XI 8) S. 678] ,
[116 (1647 IV 29) S. 768] : Für diese Sitzung ist neben
Kur-mainzRk eine Proposition zusätzlich überliefert, die inhaltlich nicht mit der Proposition inKurmainzRk, sondern mit den ausführlicherenKurtrierzA, spA undKurbrandenburgRk II übereinstimmt. Für Nr.
[94 (1646 VIII 23, S. 635)] sind drei Propositionen vorhanden: eine kurze Zusammenfassung der Proposition in einer nur Proposition und Conclusum enthaltenden Reinschrift, ein von Raigersperger überarbeitetes Konzept und eine Reinschrift, die in Einzel-heiten sowohl vom Urtext wie vom Endtext des Konzepts abweicht und die Tendenz der Propo-sition, Bejahung der Übergabe Philippsburgs an Frankreich, etwas mildert. Vgl. auch J. Adam Krebs’ Propositionskonzepte für 1645 VII 10, 11, VIII 31, IX 2. Hier ist erst durch Wort-vergleich mit den übrigen Überlieferungen feststellbar, ob die ursprünglichen oder die von Kurmainz abgeänderten Passagen zum Vortrag gekommen sind. Durch Übernahme des von Kurmainz zum Austausch zugelassenen Propositionskonzepts wurden aber auch die anderen Provenienzen ungenau, so daß die häufig zu beobachtende Übereinstimmung zwischen dem ersten Text von
KurmainzK und anderen Provenienzen gerade an der wirklichen Fassung des kurmainzischen Eröffnungsvor-trages vorbeigehen kann. Siehe auch Nrr.
[64 (1646 I 29) S. 427f.] ,
[75 (1646 III 13) S. 525] .
Kurmainz die Originalvoten der anderen Überlieferungen: das trierische Votum aus Kurtrier, das bayerische aus Kurbayern, das sächsische aus Kursachsen, das branden-burgische aus Kurbrandenburg, seltener das kölnische aus Kurköln. Dieses Verfahren, das allerdings nur für einzelne Sitzungen direkt nachweisbar ist, mochte Kurmainz grundsätzlich damit rechtfertigen, daß es das Reichsprotokoll auf einen angemes-senen Stand bringen müsse
Nr.
[113 S. 750] : Das kurbrandenburgische Votum soll Kurmainz
pro extractu faciendo
zugeschickt werden.
. Kurmainz konnte sein Protokoll mit den Voten, die aus fremden Provenienzen extrahiert waren, wiederum zur Benutzung weitergeben, so daß Dritte von dem ihnen sonst nicht zugänglichen schriftlichen Votum einer Fremd-provenienz ergänzend Nachricht erhielten: So stimmt
Kurköln mit
Kurmainz nicht nur im kurkölnischen, sondern auch im kurbrandenburgischen Votum, das in
Kurmainz allerdings etwas ausführlicher ist, formulierungsmäßig überein
. Hier sind allerdings auch wieder die Fälle möglich, daß ein eigenständiges kurmainzisches Konzept dem anderen gleichlautenden Protokoll zugrunde liegt oder die zwei parallelen Überlieferungen in den in beiden gleichlautenden Fremdvoten direkt auf die Provenienz zurückgehen, die das Votum produziert hat. So haben Kurbayern und Kurmainz von Februar bis April 1646 mehrfach das kurtrierische Votum, das ihnen von Kurtrier zugestellt wurde, ganz übernommen, wie Kurbayern sogar beigelegt oder doch stark ausgeschrieben
: Von hier erklären sich dann die weiterdauernden textlichen Gemeinsamkeiten zwischen
Kurmainz Rk und
Kur-bayern K. Während sich Kurköln in Sachen der Protokollführung weitgehend distanziert verhielt, gleichwohl aber seine eigenen Protokoll-Reinschriften an den bayerischen Kurfürsten verschickte und auch Kurtrier zur Abschrift überließ
So die Sitzungsprotokolle der Lengericher Konferenz (Nrr.
[26] –
[28] ). Für 1647 III 27 (
[Nr. 113] ) hat Kurköln das kurmainzische Votum, Conclusum samt Re- und Correlation offenbar von
Kurtrierkopiert; 1647 III 28 (Nr.
[114] ) lautet
KurkölnmitKurtrier/Kurbranden-burggleich. 1647 VII 10 (Nr.
[123] ) ist das kurkölnische Votum – offenbar wegen Behandlung der für Kurköln wichtigen hessischen Satisfaktion – an die anderen Überlieferungen gegangen.
, pflegten die übrigen katholischen Kurstände bis zu dem bezeichneten Grad den gegenseitigen Austausch ihrer Voten und Protokollkonzepte.
Die weiteren Abhängigkeiten, die bis September 1647 sichtbar werden, hielten sich nicht in konfessionellen Grenzen. Die gemeinsame Redaktion des kurtrierischen und
kurbrandenburgischen Protokolls war möglicherweise von der extravaganten Weisung des Trierer Kurfürsten eingegeben, enge Verbindung zum protestantischen Kurbrandenburg zu halten
. Die Redaktionsgemeinschaft ist nur für die Sitzungen des Jahres 1647 exakt festzustellen, weil
Kurbrandenburg Rk (II) erst am 21. Januar 1647 wieder einsetzt; sie hat aber vielleicht schon für die Sitzung vom 28. August 1646 bestanden, wo
Kurtrier (zA) keinen autochthonen Eindruck mehr macht
: Statt gewohnter konzentrierter Kürze herrschen hier lange Satzgefüge und Parti-zipialkonstruktionen, die für
Kurbrandenburg Rk typisch sind;
Kurtrier hat auch keine Anklänge an den Text der anderen bekannten Provenienzen. In acht Sitzungen sind
Kurbrandenburg Rk II und
Kurtrier zA (1647 I 21 – 1647 V 22) über die gesamte Sitzungsdauer hinweg gleichlautend
. Dabei hat, wie aus Abschreibfehlern eindeutig hervorgeht,
Kurtrier das kurbrandenburgische,
Kur-brandenburg das kurtrierische Votum übernommen, und die Protokollisten beider Gesandtschaften haben natürlich jeweils ihr eigenes Votum im Protokoll beibehalten. Wegen des Fehlens kurtrierischer und kurbrandenburgischer Rapulare und Konzepte ist nicht mehr sicher auszumachen, welches der beiden Protokolle für die Fremdvoten, die nicht der Gegenprovenienz entnommen wurden, jeweils die Vorlage stellte. Nach Stil und Abschreibfehlern kann für etliche Sitzungen Kurbrandenburg, für andere Kurtrier primär gewesen sein. Die Protokollisten dieser beiden Provenienzen haben ihr jeweils eigenes Votum nicht nur gegenseitig ausgetauscht, sondern auch zeitweise Kurköln, Kurmainz
So gingen die Voten Kurtriers, Kurbrandenburgs und Kursachsens in der Sitzung 1647 III 18 (Nr.
[112] ) auch an Kurmainz.
und Kursachsen übermittelt.
Die
intimation des eigenen Votums in fremde Protokolle hat am konsequentesten Kursachsen betrieben. Ab der Sitzung vom 4. August 1647, in der Kursachsen erst-mals den Rat besuchte, lautet das kursächsische Votum regelmäßig in fast allen Protokollen gleich
Eine Ausnahme macht Kurköln, das z. B. 1646 XI 8 (Nr.
[102] ) das kursächsische Votum nicht übernimmt.
; es ist in
Kursachen Rs, um die Eingangsfloskeln und um kleinere nachträgliche Zusätze erweitert, meist noch etwas ausführlicher
. Kursachsen hat aber auch regelmäßig von Protokollkonzepten anderer Provenienz Abschrift genommen. Zunächst übernahm es das Protokoll der Re- und Correlation, die am 27. April 1646 in Osnabrück stattfand, von Kurbrandenburg
Nr.
[85] : Einmal ist in
Kursachsenfreier Raum für einen Nachtrag gelassen, der inKur-brandenburgenthalten ist, stattKurbayernbeißt es wie im kurbrandenburgischen Protokoll nurBayern.Kurmainzist völlig autochthon, obwohl J. Adam Krebs sonst austauschfreudig war; möglicherweise wollte Kurbrandenburg Kursachsen über die gemeinsame Protokoll-Redaktion für seinen Plan gewinnen, einen zweiten Kurfürstenrat in Osnabrück zu eröffnen.
. Es folgte eine Serie von Sitzungen, deren Protokollierung zwischen Kurbayern und Kursachsen dergestalt abgestimmt wurde, daß Kursachsen den Austausch seines Votums zeitweise – und
; allerdings hängt
Kurbayern, das wiederum sein Votum
Kur-sachsen gab, für manche Sitzungen auch vom kursächsischen Text (auch außerhalb des kursächsischen Votums) ab
1647 VII 1, VII 3, VII 10: Nrr.
[121] (
KurbayernRp vonKurbayernRk divergent, fürKursachsentypische Wendungen),
[122] (
KurbayernRp textlich divergent,KurbayernRk mit Datierung nach styl. vet. wieKursachsen),
[123] (typische Satzzeichen aus
Kursachsen).
. Die Abhängigkeit
Kursachsens von
Kurbay-ern wird weniger daraus ersichtlich, daß
Kursachsen die kurbayerischen Ver-besserungen enthält, denn diese konnten, zumal im kurbayerischen Votum, noch nach dem Austausch hinzugesetzt werden
Vgl. Nr.
[97 (1646 IX 22)] : kurbayerisches Votum der zweiten Umfrage mit nachträglichen Krebs-Korrekturen.
: Hier sind eher die Abkehr von der kur-sächsischen knappen Diktion und die analoge Abhängigkeit
Kursachsens von anderen Protokollen zu berücksichtigen. Umgekehrt sind typische Wendungen des kursächsischen Stils, Abkehr
Kurbayerns vom eigenen Rapular (wie vorher beim Verhältnis
Kurbayern-Kurmainz) und protestantischer Datierungsbrauch im gemeinsamen Text für die Abhängigkeit des kurbayerischen Konzepts bezeichnend. Für eine Sitzung unterhielt Kursachsen Redaktionsgemeinschaft mit Kurbayern und mit Kurbrandenburg im kurmainzischen Votum, das von beiden gleich dargestellt ist
Nr.
[105 (1646 XII 31: Pommernfrage) S. 691] : Wie vorher von
Kurbayerndas kurbayerische, so wird nun vonKurkölndas kurkölnische Votum übernommen; Nr. 106 (1647 I 1: Pommern-frage) S. 695ff.
. Die Abhängigkeiten
Kursachsens von
Kurbay-ern,
Kurmainz und
Kurköln werden vor allem in den Beratungen über die Pommernfrage deutlich: In dieser prekären Frage wollte Kursachsen offenbar nicht das Risiko einer völlig selbständigen und darum angreifbaren Protokollführung tragen. Wenn Kursachsen eine solche wechselseitige Abstimmung der Protokolle – mit deut-lichen Ansätzen zu Ausgewogenheit – unternahm, so ist dies aber auch als Versuch deutbar, ein einheitliches Kurfürstenratsprotokoll zu schaffen. Als Direktorium des Corpus Evangelicorum und als Inhaber des Erzmarschallamts, der in die Kanzlei-geschäfte des Reichstags bevorzugt eingeschaltet war, konnte Kursachsen durchaus den Ehrgeiz einer Einflußnahme auf das kurfürstliche Reichsprotokoll entwickeln; die auch teilweise einheitlichen Protokolle des Fürstenrats Osnabrück und des Corpus Evangelicorum sind hauptsächlich von sächsischen Sekretären kollationiert worden.
Am Beispiel
Kursachsens zeigt sich, daß die Annäherung der verschiedenen Pro-tokoll-Provenienzen in Richtung auf ein Einheitsprotokoll erst dann erreicht wurde, wenn nicht mehr nur jeweils zwei Kurstände bei der Fertigstellung ihres Protokolls eng zusammenarbeiteten (
Kurmainz/Kurbayern, dann
Kurtrier/Kurbranden-burg
,
Kurbayern/Kursachsen), sondern wenn jede Gesandtschaft bereit war, ihr schriftliches Votum innerhalb des gesamten Kollegs bekanntzugeben (zu
propaliren) und selbst reihum abwechselnd die Protokolle der anderen zur Vorlage zu nehmen. Der Herausgabe des eigenen Votums, das – mit Vorbehalt – zur Text-grundlage der anderen Protokolle werden sollte, entsprach idealtypisch die Verar-beitung oder wörtliche Übernahme der Voten jedes anderen Kurstandes aus dessen eigenem Protokoll. Ein solches „ideales“ Protokoll ist nicht zustande gekommen. Am nächsten kommen ihm die Überlieferungen der Sitzung vom 6. Mai 1647 über die
iura electorum
S. 772–790; damit vergleichbar Nr.
[112 (1647 III 18: Pfälzische Frage) S. 732ff.] : Soweit es sich wegen Fehlens von
KursachsenRs nachprüfen läßt, haben hier Kurtrier und kurbranden-burg ihre Voten ausgetauscht, Kurmainz hat die Voten dieser beiden und das Votum Kursachsens herangezogen.
. Außer in
Kurköln sind hier das kurtrierische und das kur-sächsische Votum in allen Überlieferungen gleichlautend, und zwar auf der Grundlage der Provenienz des jeweiligen Votums; beide Voten sind also von allen Mitgliedern des Kollegs, abgesehen von Kurköln, ausgeschrieben worden. Der abweichende Text von
Kurbayern Rp im kurtrierischen Votum bestätigt dies nur.
Kurköln hat kein fremdes Votum übernommen, aber immerhin das seinige an das hier gleich-lautende
KurbayernK abgegeben. Kurtrier und Kurbrandenburg haben ihr Votum jeweils ausgetauscht und beide noch das kursächsische Votum aus
Kursachsen rezi-piert, haben aber die restlichen drei Voten nicht im Original der jeweiligen Provenienz entgegengenommen, sondern nur gemeinsam redigiert;
Kurbrandenburg war dabei wahrscheinlich eher Vorlage für
Kurtrier als
Kurbayern K wie gewohnt überein;
Kur-bayern K rekurriert aber dann wieder – abgesehen von den entlehnten Voten, auf
Kurbayern Rp. Nach Voten unterteilt zeigen die Protokolle, ersichtlich aus ihren gleichlautenden Teilen, folgende Abhängigkeiten:
KURMAINZ
KURTRIER
KURKÖLN
KURBAYERN[K]
KURSACHSEN
KURBRANDENBURG
Kmz. Votum
Kmz[Rp]
[Rp] bedeutet Eigenständigkeit d. h. Rückgang auf ein selbst geführtes Rapular.
4. Konsequenzen für die Textgestaltung dieser EditionDurch den zwei- oder mehrseitigen Austausch von Voten wurde die Eigenständigkeit der einzelnen Protokoll-Provenienzen relativiert, aber nicht aufgehoben. Vor allem die nachträgliche Verbesserung des eigenen Votums, nicht nur von Kurmainz geübt
Nr.
[65 (1646 II 7: kurbayerisches Votum) S. 446.15] . Auch in den amtlich geführten Land-tagsprotokollen des 18. und den Kabinettsprotokollen des 19. Jahrhunderts blieb den Votanten das Recht zur Verbesserung ihrer eigenen Verlautbarungen
(
RengerS. 97f.,Rumpler).
, entzog das eigene Protokoll der Kontrolle durch andere Protokollanten auch dort, wo formulierungsmäßig Angleichung erfolgt war. Kurmainz protokollierte nach anfäng-licher Zusammenarbeit mit Kurbayern und Kurbrandenburg wieder selbständig. Kur-trier, anfangs mit eigener Wortwahl und Diktion, arbeitete zumindest seit Januar 1647 mit Kurbrandenburg zusammen. Das Protokoll Kurkölns weist in der Formu-lierung viele Anklänge an
Kurbayern und
Kurmainz auf, ist aber bis Ende 1647 neben der kurmainzischen die am meisten autogene Niederschrift. Kurbayern ver-fertigte sein Protokoll meist in Redaktionsgemeinschaft mit Kur-mainz und dann mit Kursachsen, ließ aber wohl stets ein eigenes Rapular führen. Kursachsen stimmte nach anfänglicher Eigenständigkeit sein Protokoll abwechselnd mit den anderen Kur-ständen ab, wobei es mehr nahm als gab. Kurbrandenburg ließ zunächst mit Kurmainz, dann mit Kurtrier zusammenarbeiten, was es aber nicht hinderte, durch seine zahlreichen und erfahrenen Protokollanten original mitschreiben und auch konzipieren zu lassen. Überhaupt sind der Austausch und die gemeinsame Redaktion von Proto-koll-Texten wohl nur im Falle Kursachsens auf eine schwach besetzte Gesandt-schaftskanzlei zurückzuführen, obwohl auch hier die Übernahme fremder Protokoll-Konzepte mit politischer Absicht geschehen ist. Während Kurmainz sich die eigen-ständige Konzipierung des Reichsprotokolls als Recht des sozusagen amtlich bestellten Protokollführers vorbehalten zu müssen glaubte
, wird bei Kursachsen das Bemühen spürbar, ein einheitliches Protokoll des Kollegs zu erstellen, das die Mitschriften aller Einzelprotokollanten einschloß. Zu
einem Protokoll
des Kurfürstenrats an-stelle
der Protokolle
im Kurfürstenrat ist es aber von keiner der beiden Seiten gekommen: Kurmainz war nicht der einzige Protokollant des Kollegs geblieben. Ein „ideales“ Protokoll auf der Grundlage des jeweiligen Votums jeder der sechs Proveni-enzen war nicht nur technisch schwer realisierbar, denn jeder Kurstand hatte zwar ein Interesse an der Weitergabe seines eigenen Votums, nicht aber an der beständigen Wort-für-Wort-Verzeichnung aller anderen Voten; Fremdvoten wurden vor allem bei wichtigen Themen,
iura imperii, Amnestie, Satisfaktion und bei Gelegenheit programmatischer Äußerungen, die allgemein akzeptabel schienen, im eigenen Pro-tokoll zugelassen. Außerdem wollte jede Gesandtschaft die letzte Fassung des eigenen Votums, die für den Kurfürsten bestimmt war, sich offenhalten. Drittens wäre denk-bar gewesen, daß ein zwei- oder mehrseitig redigiertes Protokoll wie
Kurtrier/Kurbrandenburg,
Kurbayern/Kursachsen die Basis eines Einheitsproto-kolls abgegeben hätte; so wurde das Osnabrücker Fürstenratsprotokoll von einem Sekretärskonsortium aus verschiedenen Gesandtschaften konzipiert, das zur Proto-kollführung abgestellt wurde
: Bei der Vielzahl der Fürstenratsvoten wäre über Votenaustausch ein gemeinsames Protokoll kaum zustande gekommen. Dieser letzte-ren Möglichkeit zur Herstellung eines Kurfürstenratsprotokolls hätte sich vor allem Kurmainz widersetzen müssen, weil es zwar nicht das einzige, wohl aber ein bevor-zugtes Protokoll führte
. Statt einer Integration der sechs Protokolle bzw. der authentischen Niederschrift eines legitimierten Protokollanten wurde im Kurkolleg gemeinsam-einheitliche Protokollführung nur in Ansätzen erreicht: in zwei- bis drei-seitiger Redaktion eines gemeinsamen Textes oder im temporären Austausch ver-schiedener Voten mit wechselnden Partnern. Erst 1648 werden die verschiedenen Kur-fürstenratsprotokolle durchweg textlich stärker aneinander angeglichen. Ihre Existenz und ihre vorwiegend partnerschaftlichen, gegenseitigen Abhängigkeiten machen deut-lich, daß die Protokollführung im Kurkolleg von den einzelnen Gesandtschaften während der ersten Jahre des Kongresses als Bestandteil ihrer sonstigen sorgfältig austarierten und abgewogenen, gleichen Prärogativen aufgefaßt worden ist.
Da eine abschließende Wiedergabe des Konferenzinhalts in Form eines einheitlichen Protokolls nicht geleistet worden ist, muß diese Aufgabe editorisch versucht werden. Die kritische Edition von Reichsratsprotokollen verschiedener Herkunft und Über-lieferungsform unterscheidet sich daher von der Edition eines autorisierten Protokolls anderer, etwa moderner Gremien, wo die Publizierung, z. B. in Form des steno-graphischen Berichts, eine wissenschaftliche Herausgabe praktisch ersetzt
Allerdings bringt die moderne Methode der Protokollierung auch besondere quellenkundliche Probleme mit sich: So finden z. B. die Reden deutscher Bundestagsabgeordneter erst nach Über-prüfung seitens der Redner im gedruckten Protokoll Aufnahme, ohne daß diese Kontrolle später aktenmäßig faßbar wäre wie die Verbesserung der Einzelvoten in den kurfürstlichen Protokollen 1645–1648.
.
1. Es geht bei Protokollen nicht um die Rekonstruktion eines einzigen Textes wie bei (Akten-)Schriftstücken, sondern um die annähernde Rekonstruktion dessen, was in den Konferenzen tatsächlich gesagt, aber in sechs eigenständigen Texten verschie-dener Provenienzen und Überlieferungsformen niedergelegt worden ist. Voraussetzung dafür ist, daß für jede Sitzung aus den überlieferten Protokoll-Provenienzen ein guter Text ausgewählt und sozusagen als Kommentar zu jeder Textstelle die sach-lichen Abweichungen der anderen Provenienzen in einem Variantenapparat vermerkt werden. Auch solche Redewendungen, die in einer Mehrzahl von Provenienzen ent-halten sind, müssen nicht wirklich gefallen sein. Bei den recht zahlreichen textlichen und sachlichen Divergenzen kann das Gesagte nicht mehr in allen Einzelheiten sicher erschlossen werden. Die Rekonstruktion muß bei dem Nachweis von Möglichkeiten stehenbleiben: Es lassen sich nur verschiedene Äußerungen oder – was häufiger ist – Nuancierungen von im Kern anscheinend klaren Aussagen dokumentieren. Zur Er-mittlung des Wirklichkeitsgrads dieser Aussagevarianten gibt es nur Anhaltspunkte, abgesehen von historischen Aussagen im Text, die in der Regel durch Anmerkungen erläutert worden sind: Wenn eine einprägsame Wendung und womöglich bildliche Umschreibung in verschiedenen, sonst textlich voneinander abweichenden Provenienzen
auftaucht, ist sie mit großer Wahrscheinlichkeit verwendet worden
Kurbayerns Vorwurf in Nr.
[66 (1646 II 10) S. 459. 18f.] , daß
auß dem Römischen Reich ein mördergruben gemacht
werde, findet sich ebenso in allen Überlieferungen, die Wendung intention in mente retenta
(kurkölnisches Votum) in den sonst formulierungsmäßig voneinander abweichendenKurmainzundKurköln(Nr.
[56, 1645 XI 4 S. 389. 28] ).
. Bei wichtigen Sonderproblemen werden die Gesandtschaftsberichte vergleichend herangezogen werden können. Auslassungen oder perspektivische Verzeichnungen und Übertreibungen, etwa in Fragen der Religion oder der französischen und schwedischen Satisfaktion, sind teilweise als Produkte der politischen Tendenz eines Protokolls zu erkennen. Ver-besserungen des eigenen Votums von der „feilenden“ Hand des votierenden Gesandten können, sofern in den anderen Protokollen sachlich nicht enthalten, als nachträgliche absichtliche Zusätze oder Streichungen angesehen werden. Schließlich ist eine sozu-sagen „vertikale“ Kontrolle des Gesagten im Fortlauf des Textes möglich, weil das Conclusum auf die Voten, die Voten auf die vorherigen Voten und auf die Propo-sition stets Bezug nehmen; deshalb ist gerade bei Konferenzen, die zäh verlaufen und der Sache nach auf der Stelle zu treten scheinen, Vorsicht gegenüber starker Kürzung des Textes geboten. Der Varianten-Apparat ist daher umfangreich.
2. Die Varianten sind auch deshalb ausführlich berücksichtigt, weil sie der edierten Quellengattung eigentümlich sind. Sie rühren meist aus technischen Gründen statt aus bewußter Verfälschung her: Hör- und Abschreibfehler, nicht wortgetreue und unvoll-ständige Wiedergabe der Vorträge sind ebenso typisch wie das an sich löbliche Streben der Protokollanten nach Abwechslung im Ausdruck und stilistischer Perfektion, das dazu bewog, den Boden einer streng neutralen Nachschrift beim Übergang vom Rapular zum Konzept zu verlassen: Nur Kurtrier und Kursachsen behalten für ihre ersten protokollierten Sitzungen den konzisen Stil einer stenogrammartigen Mit-schrift bei. Bewußte Abänderungen waren wohl am unauffälligsten durch Auslassungen zu erreichen
Vgl.DLöbenII fol. 114 über die kurmainzische Wiedergabe des bayerischen Votums über die pfälzische Frage (wohl 1646 II 14 Nr.
[68 S. 477–479] ): Obwohl es im kurbrandenburgischen Protokoll genau aufgezeichnet ist,
will sich doch der rechte tenor in des reichsdirectorii, dem Churmeintzischen protocollo, nicht befinden, worauß abzunehmmen, daß die Bayerische mitt Meintz dergestalt correspondiren müssen, daß sie daßjenige, waß ihnen beliebedt, ins protocollum bringen, waß ihnen aber mißfälledt, herausserlassen, welches dem reichsdirectorio ubel anstehedt.
; diese werden deshalb im einzelnen angemerkt, es sei denn ein Protokoll ist überhaupt wesentlich summarischer abgefaßt. Manche Protokollisten waren auch in bestimmten Angelegenheiten, besonders solchen des eigenen Standes, hellhöriger als andere und trafen unbeabsichtigt aus solcher Disposition ihre Auswahl. In den genannten Unvollkommenheiten liegt ein wesentliches Problem der Quellenkunde: Mündliche, allerdings bei vorheriger Fixierung der Voten schriftlich abgestützte Verlautbarungen sind durch die „Auffassung“ anderer Personen als die des Vor-tragenden „hindurchgegangen“, ehe sie zum Protokoll und damit zum „Überrest“ werden.
Vgl.A. v.Brandt, Werkzeug des Historikers S. 61, 52f. „Tradition“ werden die Protokolle aber nicht, weil die fremde „Auffassung“ auf einen Gegenwartszweck bezogen und geschäftlicher Natur ist.
Die Unschärfe der Protokolle ist zwangsläufig Begleiterscheinung ihrer Ent-stehung, die von mindestens zwei Personen abhängt, welche mit gewisser Eigenständig-keit arbeiten. Anders als bei der diktierten Niederschrift eines Briefs oder Beratungs-ergebnisses (Diktatur der Conclusen) oder als bei der schriftlichen Weitergabe eigener Reden kommt beim Protokoll die „fremde“ Auffassung der – einander kontrol-lierenden – Protokollanten hinzu: diese führt (selbst noch bei Verwendung des Steno-gramms) zu Varianten. Im strengen Sinne sind bloße Nachträge des eigenen Votums, durch die zuständigen Gesandten vorgenommen, so wenig Protokolle wie Ciceros Reden. Ihre größere Ausführlichkeit im Vergleich zu den Fremdvoten ihrer Pro-venienz kann wirklichkeitsfremd sein; da es umgekehrt vorkommt, daß in einer fremden Provenienz das eigene Votum besser wiedergegeben wird als im eigenen Pro-tokoll
So das kurkölnische Votum von 1645 IX 18 besser inKurmainzRk als inKurkölnzA, spA (Nr.
[43 S. 277–281] ), ebenso 1645 IX 28 Nr.
[49 S. 338] .
, wäre das „Idealprotokoll“, bestehend aus der Selbstprotokollierung der eigenen Verlautbarungen, gerade kein ideales Protokoll.
3. Ein vollständiger Querschnitt durch alle Protokoll-Provenienzen ist auch deshalb für jede Sitzung notwendig, weil statt der Korrespondenzen aller am Friedenskongreß beteiligten Reichsstände nur ihre Protokolle zur Edition in den
APW vorgesehen sind
Abgesehen von einigen wichtigen Diarien. Vgl.JahrbuchderHistorischenForschung1974 S. 59.
. Diese Zeugnisse müssen möglichst exakt wiedergegeben werden, weil sie das Handeln der Reichsstände nur auf der offiziellen Ebene ihrer zuständigen Korpo-rationen komprimiert fassen. Die verschiedenen Auffassungen des Geschehens, die der Vergleich der Protokolle verschiedener Herkunft zutage bringt, gehören zu diesem Geschehen selbst. Da die einzelnen Mitglieder des Kurkollegs gleichberechtigt Proto-kolle führten, verdient auch jede ihrer Auffassungsweisen gleiche Beachtung.
4. Die Varianten sind für die Verfassungsgeschichte der Reichsversammlungen be-deutsam. Aufzeichnung oder Nicht-Aufzeichnung von Kurialien oder Kollegial-rechten, etwa des kursächsischen Umfragerechts, aber auch der gesamten rechtlichen Prozedur der Sitzungen, wirkte sich langfristig auf die Rechte und auf die Stellung einzelner Reichsstände aus, ebenso wie die mehr oder weniger ausführliche Behandlung ihrer territorialen Angelegenheiten in den Reichsräten. Die Aufnahme eines An-spruchs oder Protests in eines der Protokolle lag in ihrer rechtlichen Bedeutung zwar unter vertraglich-urkundlicher Verbriefung, aber über unverbindlicher Erinnerung, die nur mündlich geltend zu machen war.
5. Auch wenn das wirklich Gesprochene nicht durchweg rekonstruierbar ist, so wird doch durch die verschiedenen überlieferten Protokoll-Provenienzen ein Feld von Aus-sagen abgesteckt, die möglich gewesen sind. Nuancierte Bezeichnungen politischer Sach-verhalte, Synonymität und Vieldeutigkeit der Begriffe kommen zum Ausdruck: Erst über die Varianten erschließt sich der Formenschatz barocker Aktensprache; erst die gleichmäßige Heranziehung aller Protokolle läßt das Schwanken zwischen einer „diplomatischen Sprache“ mit hintergründiger Aussage und der „lingua deli-berativa“
Die Kategorien nach D. Sternberger undW. G.Grewe, Die Sprache der Diplomatie S. 8, 21, 29, 36.
, die wegen gemeinsamer Interessen der Beratenden offener sein kann, im
Kurfürstenrat erkennen. Die Sprache dient in diesen Protokollen nicht nur der Infor-mation, sondern sie zeigt gerade auch da, wo sie diplomatisch-verhüllend sein will, „Redundanz“ und Wortreichtum.
Welche Protokoll-Provenienz jeweils für die einzelnen Sitzungen zum Abdruck kommt, wird nach zwei Gesichtspunkten entschieden.
Grundsätzlich ist das kurmainzische Reichsprotokoll vorrangig zu berücksichtigen, und zwar 1. wegen seiner reichsrechtlichen Valenz, die von den anderen Reichsständen anerkannt
und auch in der Staatsrechtsliteratur des 17. und in den Aktenpublikationen des 18. Jahrhunderts
Ernst August Koch wertet 1747 in der Widmungsrede der Neuen Sammlung der Reichsabschiede, die er verlegt hat, als besonderen Vorzug des Werks, daß Kf. Johann Friedrich Karl von Mainz die Kollation der edierten Texte mit den Originalen des Mainzer Erzkanzlerarchivs befohlen habe.
zugestanden worden ist. 2. In Kurmainz sind nur wenige Sitzungen nicht enthalten; es gibt kein durch das Fehlen des Votanten bedingtes Fehlen der Protokolle, weil Kurfürstenratssitzungen nicht ohne den kurmainzischen Direktor stattfinden konnten. 3. Vom kurmainzischen Protokoll sind die durchweg originalen Überlieferungsformen der Konzepte bzw. Reinkonzepte erhalten. 4.
Kurmainz Rk ist auch da, wo es mit anderen Protokollen kontaminiert wurde, eigenständig. Für die Sitzungen der Lengericher Konferenz mit ihrer guten Überlieferungslage wird beson-ders deutlich, daß das Direktorium um eine möglichst neutrale, protokollgerechte Wiedergabe der Voten sich offenbar absichtlich bemüht hat.
Schon um eine Aufschwemmung des Variantenapparats zu vermeiden,
ist in zweiter Linie die Güte des jeweiligen Sitzungsprotokolls für den Abdruck maßgebend, d. h. seine Vollständigkeit und sein inhaltlicher Gehalt und Umfang. Diese Ent-scheidung mußte für jede Sitzung neu getroffen werden, weil die Qualität der Pro-venienzen zwischen 1645 und 1647 schwankend ist: So besteht
Kurmainz Rk 1647 bei unwesentlich erachteten Themen nur aus einem Protokollregest ohne Voten;
Kur-mainz ist teilweise knapper als
Kurköln und
Kurtrier, wenn es auch nicht so wesentliche Auslassungen enthält wie
Kurbayern und
Kursachsen.Kurmainz scheidet da für den Druck aus, wo es fehlt, fragmentarisch ist oder zu große und zu viele Lücken aufweist. Hier wird in der Regel der inhaltlich beste Text abgedruckt: Das Springen zwischen den Überlieferungen erscheint gerechtfertigt, weil die einzelnen Provenienzen, wie geschildert, bereits im Zeitpunkt ihrer Entstehung eng mitein-ander zusammenhängen.
Das Verhältnis des jeweils gedruckten Protokolls – meist
Kurmainz Rk zu den nicht gedruckten Texten – wird nach folgendem Schema erfaßt:
Identisch sind Texte immer dann, wenn (kollationierte) Abschriften vorliegen (
Kurköln spA) oder wenn zwei eng verwandte Entstehungsstufen überliefert sind: Konzept und Reinkonzept bzw. Reinschrift (
Kurmainz K, Rk); beim Übergang vom Rapular zum Konzept wird die Identität in der Regel nicht gewahrt, weil es sich um die Ausarbeitung einer Mitschrift handelt. Dabei muß keineswegs die ab-schriftlich vorliegende Überlieferungsform einer Provenienz auf eine gleichfalls erhal-tene Abschrift oder auf ein vorliegendes Konzept der gleichen Provenienz direkt zurückgehen. Die Zwischenglieder können, wie im Fall von
Kurtrier zA, spA,
Kurköln zA, spA, Rs,
Kurbayern K, spA verlorengegangen sein.
Gleichlautend sind Protokolle dann, wenn sie nahezu miteinander übereinstimmen oder doch in Wortwahl und Satzbau gemeinsame oder sehr ähnliche Formulierungen aufweisen. Da Identität meist für ganze Serien von Sitzungen und für verwandte Protokollreihen zutrifft, ist sie im Kopfregest angegeben. Gleichlautende Formu-lierungen dagegen sind in der Regel in den Varianten angemerkt, weil sie zeitweise – von Sitzung zu Sitzung und innerhalb der Sitzungen wechselnd – immer dann auf-treten, wenn ein mehr oder weniger intensiver Votenaustausch stattgefunden hat. Gleichheit der Formulierungen war bei unabhängigen und eigenständigen Protokollen nicht von vornherein gegeben, sonst gäbe es keine nur sachlich und nicht auch formu-lierungsmäßig übereinstimmenden Protokoll-Provenienzen
. Der Rückgang formu-lierungsmäßiger Abweichungen bis hin zum gleichlautenden Text, die steigende Anzahl gleicher und ähnlicher Formulierungen, sind auch Anzeichen dafür, daß das Thema einer Sitzung für besonders wichtig erachtet wurde und daß zur Vermeidung späteren Auslegungsstreits sachliche Differenzen, die sonst zu Varianten führten, durch gegen-seitige Abstimmung der Protokolle ausgeräumt wurden
Deutlich bei der Beratung über die Amnestie 1646 II 10 (Nr.
[66 S. 452ff.] ) im Vergleich zu den vorherigen Beratungen über den
modus consultandi.Siehe auch Nr.
[117 S. 773ff.]
.
Bei identischen Texten werden kleinere Abweichungen, meist Abschreibfehler und Irrtümer in der Wiedergabe von einzelnen Wörtern, und abschreibbedingte Aus-lassungen (bei
Kurköln zA manchmal mehrere Sätze) nur zur Demonstration vorhandener bzw. nicht vorhandener Filiationen aufgeführt
Nr.
[68 S. 476] . 27: Keine direkten Beziehungen zwischen
KurtrierzA und spA, ebenso nicht zwischenKurkölnzA und spA.
. Auslassungsvermerke bei Reinkonzepten, die für später herzustellende und zu übersendende reinschriftliche Extrakte bestimmt sind, werden ebenfalls aufgenommen. Da bei identischen Texten im Vergleich zu ihrer Vorlage nur beabsichtigt oder unbeabsichtigt Fehlendes be-merkt werden kann, wird auf Zusätze nur hingewiesen, wenn sie im Konzept als solche kenntlich und für Votenaustausch bedeutsam sind.
Bei gleich- und anderslautenden Texten müssen vor allem sachlich-inhaltliche Ab-weichungen, Auslassungen und Zusätze notiert werden, bei gleichlautenden Texten aus textkritischen Gründen der Rekonstruktion auch Abweichungen der Formulierung, zumal wenn sie Abweichungen in der Sache einschließen. Die Beziehungen zwischen formulierungsmäßig übereinstimmenden Texten, etwa zwischen dem kurmainzischen Konzept und der davon abhängigen Fremdprovenienz
Kurbayern K, Rp, werden erst
durch die genaue Verzeichnung von Formulierungsgemeinsamkeiten und -abweichungen transparent. Im Hinblick auf die tatsächlich vorgebrachten Passagen sind hier vor allem Auslassungen und Zusätze wichtig. Aus Gründen der Kürze und um inhalt-lich gleiche Zusätze mehrerer Provenienzen zusammenfassen zu können, werden diese Varianten teilweise in Regestenform wiedergegeben. Starke Auslassungen in einer Minderheit nicht gedruckter Protokolle werden nur summarisch verzeichnet, weil sie durch die Qualität der betreffenden Protokolle bedingt erscheinen: Wenn in den anderen Provenienzen oder Überlieferungsformen, zumal im Verhältnis Rapular-Konzept, ein inhaltlich umfangreicherer Befund gegeben ist, kommt diesem faktisch die größere Wahrscheinlichkeit zu, und es kann angenommen werden, daß die summarischen Protokolle den Inhalt der Sitzungen unvollkommener reproduzieren
Das Votenprotokoll rückt dann in die Nähe des summarischen begriffs
(Proposition und Conclusum der
CC-Sitzung von 1645 XI 19 in
MEACorrAFasz. 10 [C]) bzw. des
sum-marischen protocolls
mit Einträgen verschiedener Conclusen (
ebd.nr. 53), vgl. auch unten Nr.
[27 S. 185. 1] .
.
Enthalten Protokolle, wie im Regelfall, einen anderen Text als das Protokoll der Druckvorlage, so bedeutet das Auswerfen eines Zusatzes, einer Auslassung oder Abweichung gegenüber einem Satz oder Satzteil des gedruckten Textes nur, daß an dieser Stelle inhaltlich etwas fehlt oder hinzuzusetzen ist, nicht aber, daß die Texte über die im Kopfregest oder in den Anmerkungen hinaus gemachten Angaben identisch oder gleichlautend wären. Rapulare, beispielsweise
Kurbayern Rp für Nr. 125–128, werden zum Textvergleich nur dann herangezogen, wenn die betreffende Prove-nienz außerdem keine Überlieferung mehr bietet und die Überlieferungslage für die betreffende Sitzung ohnehin schlecht ist oder wenn Rapulare, wie bei der Lengericher Konferenz, über das Verhältnis einzelner Provenienzen zueinander etwas aussagen.
Im Apparat werden an Kennzeichnungen gebraucht
a) für Abweichungen:
Statt dessen ...:
Dieser bewußt neutrale Ausdruck, durch den eine Festle-gung auf die Art der Änderung vermieden werden soll, berücksichtigt Unwägbarkeiten der Formulierung und Syn-onymität. Er wird meist bei kleineren Abweichungen ver-wendet oder bei solchen, wo es Interpretationssache wäre zu sagen, ob eine Verknappung oder eine Änderung vorliegt.
Abweichend ...:
Wird verwandt, wenn die Änderung klar als Alternative zum Text zu qualifizieren ist.
Deutlicher ...:
Dies bedeutet eine Präzisierung (oder schon nähere Aus-führung) des im gedruckten Text Enthaltenen.
b) für Auslassungen:
Knapper (kürzer) ...:
teilweise mit Hinweis darauf, was in den anderen Proto-kollen stehengeblieben ist. Natürlich läuft jedes Mehr oder Minder auf eine Änderung hinaus, solange aber die Ab-weichung nicht erkennbar gewollt ist, wird unter dem neu-tralen Gesichtspunkt der Vollständigkeit nur ein Mehr oder Weniger konstatiert.
mit Präzisierung, was auf ein ausgeworfenes Wort oder einen Satz(-Teil) der Druckvorlage in anderen Überlieferungen noch folgt.
Ausführlicher ...:
wenn umfangreiche Zusätze vor allem auch in mehreren Über-lieferungen anfallen. Danach werden außer den betreffenden Überlieferungen/Provenienzen keine weiteren Angaben mehr gemacht, wenn die größere Ausführlichkeit, ebenso wie die wesentliche Kürzung in b), auf die Qualität des Protokolls zurückzuführen ist.
Ergänzt ...:
Hier werden ein Wort oder eine Zeile (Zeilensprung bei Abschrift) aus identischem oder gleichlautendem Text in die Vorlage, falls sie dort fehlen, eingesetzt.
Eingesetzt ...:
desgleichen, nur daß ein irrtümlicher bzw. fehlerhafter Aus-druck der Vorlage aus einer identischen Überlieferungsart (spA für zA, Rk für K, Rs für Rk einer Provenienz) ersetzt wird.
Gerade weil der gedruckte Text durch den Variantenapparat erheblich verlängert wird, erscheinen Kürzungen in Regestform angebracht. Regestierung im Text wird im wesentlichen nach den Grundsätzen vorgenommen, die
F.Wolff für die Edition der
CC-Protokolle aufgestellt hat; auf sie sei der Kürze halber verwiesen
APW
III A 4, 1 S. LXV f.
. Da die Kurz-regesten im laufenden Text Überflüssiges aussparen – wie Titel und Höflichkeits-floskeln –, werden dazu in der Regel keine Varianten angegeben. Wiederholungen werden da, wo sie thematisch, etwa für das Reichstagszeremoniell, bedeutsam sind und bestimmte Punkte scheinbar stagnierend, aber bekräftigend oder interpretierend umkreisen, nicht regestiert: so bei den Verhandlungen über die Amnestie, während der die Katholiken die Tür zu interkonfessionellen Verhandlungen nur einen winzigen Spalt breit öffnen wollten
. Manchmal wirkt die kurmainzische Überlieferung, die größtenteils Druckvorlage ist, selbst wie ein Regest der wortreicheren anderen Proto-kolle, besonders im Conclusum, so daß sich die Regestierung seitens des Bearbeiters erübrigt. Die
recapitulation der Voten, in
Kurmainz K, Rk, Rs meist nur ohne nähere inhaltliche Angaben kurz vermerkt, wird aus den anderen Provenienzen dann in die Varianten übernommen, wenn sie nötig ist, um die kurmainzischen Anteile am Conclusum zu verdeutlichen oder die Formierung eines Conclusums
per maiora, das aus den vorherigen Voten nicht zwingend hervorgeht, verständlich zu machen.
Ergänzungen, erschlossene Ortsangaben, aufgelöste Abkürzungen, vor allem aus dem Rapular, sind in eckige Klammern [ ] gesetzt, desgleichen Auslassungen [...]. Runde Klammern im Text sind original; erscheinen sie nach Votenangabe – z. B.
Kurmainz (Raigersperger) – und im Kopfregest, so bedeutet dies, daß die beigesetzten Namen in einem der Protokolle der betreffenden Sitzung auftauchen und übersichts-halber an dieser Stelle mitgeteilt werden. Ist eine Variante, die wörtlich mitgeteilt wird, sinngemäß in mehreren Überlieferungen enthalten, so richtet sich der Text nach der ersten der für die Variante angegebenen Überlieferungen. Im Kopfregest und in den Varianten werden die Protokolle in folgender Reihenfolge bezeichnet: Provenienz (z. B.
Kur-mainz), Überlieferungsform/Entstehungsstufe (z. B. Rk), Band oder Faszikel der betreffenden Überlieferungsform (bei geschlossenen Protokollbänden eigene Zählung: z. B.
Kurköln spA I, sonst Archivsignatur:
FrA = Friedens-akten
Fasz. 9
Vgl. unten Nr. 54 S. 368:KurtrierRs 9231 (=
StAKoblenzAbtlg. 1 C nr. 9231).
). Ist bei den Diarien die Überlieferungsform nicht angemerkt (z. B.
DiariumWartenberg), so wurde stets das Original (Konzeptstufe) benutzt.
5. Rechtsgeltung und Aussagekreis der KurfürstenratsprotokolleDie Rechtsgeltung von Sitzungsprotokollen ist geringer zu veranschlagen als das Recht der Verträge. Diese allgemeine Feststellung trifft auch für die Kurfürstenrats-protokolle zu. Allerdings erlangt jede protokollierte Äußerung eine gewisse Verbind-lichkeit. Sie legt ihren Urheber in gewisser Weise für den Augenblick und vor der Nachwelt fest
Kf. Anselm Casi-mir (1645 XI 29) lobte seine Gesandten in Münster dafür, daß sie befehls-gemäß in den protocollo dergestalt versehen, daß bey der wehrten posteritet wir einigen verweiß nit haben noch hinder unß laßen mögen (
MEACorrAFasz. 10 [C]). Raigers-perger (an Kf. Anselm Casimir, 1645 XII 26) bedauerte, daß eine Verwahrung gegen die an-maßende Ansage der Fürstlichen zum Reichsrat in Osnabrück nicht protokollkundig geworden sei, weil die Ansage
den prothocollis und relationibus einverleibt pleibet und nichst dagegen einzuwenden ist (
MEACorrAFasz. 11 [1] nr. 6
).
. Der Gesandte, der im Reichsrat etwas zu Protokoll gab, tat weder eine bloß private diplomatische Äußerung
Es begründete indes bereits einen Mangel an herkommensrechtlicher Legitimität, wenn nach-richtungh in privatum,
nicht erst in protocollis,
fehlte (Kathol. Gravamina 1646 I 24/25,MEACorrAFasz. 12 [
2
]).
, noch führte er eine Art mündlicher Korrespondenz. Während seine brieflichen Mitteilungen, von ihm selbst klar eingrenz-bar, ihn nur gegenüber einem Empfänger, gleich ob einer natürlichen oder einer juri-stischen Person, verpflichteten, wurde nun ein ganzes Gremium Zeuge seines viel elastischeren gesprochenen Worts. Es verlieh einen Spielraum, der seine Position stärken oder sie verwundbar machen konnte. Zwar war sein Votum an Vollmacht und Instruktion gebunden
Die Regel war, daß die kurfürstlichen Instruktionen dem Gesandten die rationes,
aber nicht alle wortte
vorschrieben (
DLöbenII fol. 48). Kurfürstliche Befehlschreiben wurden nur aus-nahmsweise im Rat verlesen.
, was sowohl Absicherung als auch unerwünschte Festleg-barkeit bedeuten konnte. Das Medium des gesprochenen Worts entwickelte jedoch eine Eigengeltung, die nur noch begrenzt vom fernen Auftraggeber kontrolliert werden konnte. Um mißliche Interpretationen der eigenen und der gehörten Äußerungen zu
verhindern, mußte das Protokoll zunächst gegenüber den einzelnen Gliedern des Rats mit einer gewissen Autorität, was seinen Wahrheitsgehalt betraf, ausgestattet sein. Bereits bei wichtigen Visiten und Konferenzen, sie mochten zwischen kaiserlichen und kurbayerischen, schwedischen und kurbrandenburgischen Räten stattfinden, wurde Wert auf ordentliches Protokollieren seitens der Gesandten oder ihrer Sekretäre gelegt
Vgl. den Bericht des bayerischen Kammerpräsidenten Johann Mändl aus Prag (1648 II 17): Weilen der Kayserlichen deputirten vier gewesen und ein yeder geredt und gemerkht, waß er gewölt, ich aber allein ware, alß hab ich ihnen allen nit red und antwordt geben und zugleich alles minutim prothocolliren khünden. Aber weilen ihre sachen und reden so fleissig prothocolirt, speciosi herfürgestrichen und zu ihrem glimpf andern communicirt, waß ihnen in ihr kram gedaugt, alß währe ihnen wol angestanden, daß sy auch dasyenige,
was für Kurbayern eingewendet worden ist, prothocolliert und andern gesagt hetten (
MEACorrAFasz. 21 tom. 4
).
Bei Visiten brachte Kurbrandenburg bis zu drei Sekretäre mit (
DLöbenI fol. 46),
in wichtigen Konferenzen gebrauchte sich auch
Salvius seiner schreibtaffel,
obwohl der schwedische Sekretär protokollierte (
ebd.II fol. 62). – Ein Sonderfall war die Herausgabe der schwedischen Replik (1646 I 7) in Form eines Protokolls, das nit allein in substantialibus, sondern sogar auch in formalibus
kollationiert werden mußte (
RKFrAFasz. 50 b fol. 18–19,
DLöbenII fol. 52).
. Visitenprotokolle der einzelnen Kurstände galten aber immer noch weniger als ordent-liche Reichsratsprotokolle
Vgl.DLöbenI fol. 60.
, sie wurden nicht miteinander abgestimmt, dienten haupt-sächlich zur eigenen Information und gingen nicht auf einen bestallten Protokollführer zurück. Wurde Kritik an unliebsamen Beschlüssen oder Kollegialschreiben laut, so sah sich das Direktorium gezwungen, die Richtigkeit seines Protokolls zu betonen, den anderen Ständen nicht den Rückzug in die Unverbindlichkeit zu gestatten, ihre Mitwirkung herauszustellen
Die haltung richtigen prothocolls
mit deutlicher Aufzeichnung der Voten diente vor allen dingen zu versicherung
des kurmainzischen directorii (
MEACorrAFasz. 24 [1], Kur-mainz/Münster an Kurmainz/Osnabrück 1647 IV 19). Die Kurbrandenburger verlangten den Umlauf der von Kurmainz konzipierten Kollegialschreiben unter allen Gesandtschaften, die Abfassung allein durch das Direktorium aufgrund von dessen Protokoll genügte ihnen nicht
(
DLöbenI fol. 145).
. Die Rechtskraft des Protokolls ergab sich gerade daraus, daß es gemeinsam zu verantwortendes Handeln bezeugte und so geeignet war, das Direktorium gegen den Vorwurf der Eigenmächtigkeit zu schützen. Aber der Streit um rechtswirksame Beschlüsse führte auch die einzelnen Kollegglieder dazu, die Gültigkeit des Protokolls zumindest vorauszusetzen: Ein beliebtes Mittel, Mehr-heitsbeschlüssen vorzubeugen, die eigene Interessen und Rechte zu beeinträchtigen drohten, war der Protest eines Standes in offener Sitzung
Die iedeßmalß in voto incontinenti
vorgebrachten Proteste (Protestation Bischopings von 1648 IV 1,MEACorrAFasz. 19 [2]), durch
die abgelegte vota et prothocolla gnug-samb an tag geben
(Kurmainz/Münster an Kf. Johann Philipp, 1648 VII 20,MEACorrAFasz. 16 [5]), konnten durch gedruckte oder schriftlich eingereichte Proteste, die
dem reichs-protocollo
beigelegt wurden (Kf. Maximilian an Kf. Johann Philipp, Salzburg 1648 X 3,MEACorrAFasz. 22,5), bekräftigt werden. Jeder Protest gewann durch
repetiren
und aus-bleibenden Reprotest. Vgl. auchDLöbenII fol. 161, I fol. 124.
. Diese förmliche Geltend-machung eines Rechtsvorbehalts mußte normalerweise aufgezeichnet werden, so daß auch die Neigung zu Protest und Reprotest die Protokolle aufwertete. Die Kurfürsten
Kurtrier/Münster an Kf. Philipp Christoph, 1646 VII 24 (
MEACorrAFasz. 12 [2] fol. 75’): Der Kurfürst und seine Stifter werden
ungeachtet ihres ad prothocollum gebrachten dissensus quoad vinculum et observantiam pacis publicae unßers unvergreifflichen ermeßens allezeit gleich anderen ständen obligirt sein unndt verbleiben müßen.
und Johann Philipp von Mainz suchten ihren proto-kollierten Protest sogar gegen die Entwürfe der Friedensinstrumente auszuspielen, obwohl ihre eigenen Gesandten dies unwirksam fanden und die angegriffenen Friedens-bestimmungen voll rechtskräftig fanden
Den Auftrag des Kf. Johann Philipp (an Kurmainz/Osnabrück, 1648 III 21,MEACorrA 18
[4]),
das – nicht zugestandene – ius reformandi über Erfurt mittels anderwerttigen sal-vationen unnd heylßamen reservaten bey der dictatura und den reichßprothocollis
sich auszubehalten, konterkarierte Raigersperger mit dem lapidaren Nota Bene: frustranea sunt.
. Das Kurfürstenratsprotokoll vermochte lediglich in umstrittenen Rechtsfragen, die nicht zwischen den eigentlichen Friedens-kontrahenten vertraglich entschieden wurden, einzelnen Ständen ihre Rechtsansprüche zu gewährleisten. Darüber hinaus konnte es Streitfälle in herkommensrechtlichen Fragen entscheiden und, wie andere Protokolle auch, bei späteren Interpretationen der Friedensinstrumente als Auslegungsinstanz herangezogen werden
Im Streit um die Auslegung des Präliminarschlusses von 1641 lehnten es die Kaiserlichen ab, fremde Protokolle gegen den Vertragstext gelten zu lassen, weil sie nurannotationes privataeseien, bezogen sich aber auf ihre eigenen Protokolle, die mit der kaiserlichen Auslegung des Ver-trages übereinstimmten (
GärtnerIII nr. 116 S. 788).
.
Maßgeblich war das kurmainzische Reichsprotokoll
Von dem authentico Moguntino prothocollo imperii
konnte vidimata copia
genommen werden, um Zweifel des Kommittenten am eigenen (hier kurtrierischen) Protokoll auszuräumen (
MEACorrAFasz. 12 [2] fol. 17’), vgl. auch
MEACorrAFasz. 18 [3], 1648 VI 29, Beilage L.
Churbeyerische
baten umb abschrifft
vom kurmainzischen Protokoll (der Sitzung 1647 III 18, aus der sie selbst ausgeschlossen waren, Kurmainz/Osnabrück an Kurmainz/Münster, 1647 III 21,MEACorrAFasz. 24
[1]).
Bei der Beratung der Assistenzklausel 1648 waren die geschriebene, zweifelsohne annoch auch bei der Curmeinzischen reichscanzelei befindtliche prothocolla
der Assistenzberatungen, die 1548, 1550, 1552 wo nit per directum saltem per indirectum
stattgefunden hatten, noch von Bedeutung (Philipp von Vorburg an Kf. Johann Philipp, 1648 undatiert,MEACorrAFasz. 19 [2]).
. Hier mußten andere Kurstände, selbst wo es um ihre eigenen Voten ging, Streichungen und Zusätze erbitten und vom Direktorium genehmigen lassen
Raigersperger beurkundete auf Antrag Kurtriers, im kurtrierischen Votum (von 1646 II 26) statt der Worte foederibus
gesetzt zu haben: mit gewißen capitulationibus assistentiae et neutralitatis
(1646 IV 19,MEAFrAFasz. 13, 2, vgl.
MEACorrAFasz. 16 fol. 103’, 12 [2] fol. 261). Der vom Kollegium befürworteten Änderung des Wahlprotokolls von 1636 (Zustimmung Kurtriers) widersetzte er sich allerdings unter Hinweis auf die Wahlbestätigung, die der Kurfürst von Trier bei seiner Entlassung abgegeben und der Kaiser dem Erzkanzlerarchiv
in perpetuam rei memoriam
überlassen habe (Raigersperger/Münster an Kf. Anselm Casimir, 1647 I 11,MEACorrAFasz. 25 [2]).
. Die Aufnahme einer Verbesserung ins Reichspro-tokoll stand über der Absicherung eigener Rechte im eigenen Protokoll. Die juri-stisch gebildeten kurmainzischen Räte wußten, warum sie fremde Voten in Auszügen oder zur Gänze wörtlich einbauten. Sie machten ihr eigenes Protokoll unangreifbarer: Die Existenz eines quasi amtlichen Protokolls brachte bereits dessen relative Rechts-geltung mit sich. Dem kurmainzischen Protokoll, das im Kurfürstenrat vergleichs-weise weniger galt als das österreichische oder salzburgische Direktorialprotokoll im
Fürstenrat, ging aber ein letzter Grad von Authentizität ab
So genügte es nicht, die nachträgliche Wahlbestätigung Kurtriers allein in daß Churmayntzisch prothocoll clanculum
einzuschieben, sie war auch in pleno, darmit eß in aller churfürsten prothocolla eingerücket, vorhero offentlich
zu verleßen
(Kf. Philipp Christoph an Kur-trier/Münster, 1646 IV 23,MEACorrAFasz. 16 fol. 111’).
, der durch das Vor-handensein der übrigen Kurfürstenratsprotokolle selbständiger Herkunft ausgeglichen wurde. Diese rangierten zwar, wenn sie nicht untereinander oder mit Kurmainz abge-stimmt wurden, unter dem Reichsprotokoll, hatten aber doch auch Teil an jener Rechtsgültigkeit, die im Falle der Einigung auf ein gemeinsam zu verfassendes und mit Autorität zu versehendes Wortprotokoll auf dieses allein gefallen wäre. Auch in sich selbst waren die Protokolle von unterschiedlicher Rechtsgeltung. Äußerungen
im ordentlichen votiren galten mehr als das
nur inter discursum
DLöbenI fol. 68 (zu 1645 VII 11).
Gesagte. Be-merkenswerterweise enthält Kurmainz durchweg keine inoffiziellen Mitteilungen, die außerhalb der Voten gefallen sind. Die geringste Verbindlichkeit hatte das
a part gesprochene Wort, das den Ohren der Unbefugten und der Sekretäre verborgen blieb oder bleiben sollte.
Die Rechtsverbindlichkeit der Protokolle, schwer greifbar und nur fallweise zu ent-scheiden, ist nun nicht getrennt von der dort behandelten Thematik zu sehen: Materien des Reichsrechts, des Territorialrechts, der Verträge, des Religionsstandes, des Völ-kerrechts. Meist standen die Interpretation und die Gültigkeit vergangener Ab-machungen zur Debatte. Nur wenige Beratungsgegenstände waren in einem positiv-rechtlichen Sinne festgelegt; auch die Frage, wie verflossene Reichsabschiede und -gesetze gelten sollten, war kontrovers. Jedes reichs- oder völkerrechtliche Argu-ment, das vorgebracht wurde, war ebenso aus dem Kontext und der Situation heraus zu verstehen wie die Regelungen, auf die es sich bezog. Es waren nicht ver-fassung und Konstitution, aus der Vernunft und dem Volkswillen hergeleitet, die den historischen Rechten Geltung verschafften, sondern ihr historisches Schicksal mit allen wechselnden Konjunkturen und der zähe Behauptungswille derjenigen, die wohler-worbene Rechte bedroht sahen. Deshalb müßte jede Dokumentation über die Gesamt-lage des Reichs, die in notwendiger Beschränkung einen zeitlichen Querschnitt legt, ergänzt werden durch die Edition aller diplomatischen
handlungen, Protokolle und Abschiede, die als historische Bezugspunkte im Argumentationsfluß der Einzelvoten auftauchen. Sachliche Anmerkungen bieten nur einen unvollkommenen Ersatz und können dem Leser die Aktenkenntnis der Gesandten, die aus Gedächtnisleistung, Findigkeit und Geschäftserfahrung herrührte, nicht ersetzen. Die Fülle der Ver-handlungsgegenstände, immer nur in einer Zeitsituation vorfindbar und in der verti-kalen Dimension des historischen Zeitablaufs veränderlich, läßt sich so wenig wie die allgemeingeschichtlichen Bezüge in einem institutionsgeschichtlichen Rahmen verorten; ja über diesen führt auch die reine Betrachtung der Institution (Kurfürstenrat) hinaus, weil jede Institution, selbst in ihren perennierenden Elementen, wirkender Faktor im historischen Geschehen ist: reagierend oder als treibende Kraft
Vgl. M.
KomjáthyS. 54.
. Die ahistorisch deutbare Struktur jeder technischen „Amtsführung“ transzendiert sich, als Teilstück
eines umfassenderen Ganzen gesehen, selbst. Die Gesandten im Kurfürstenrat han-delten als einzelne und als Beauftragte, korporativ miteinander und mit den Gesandten der anderen Reichsräte zusammen und waren dabei eingebunden in das Gesamtgeflecht der handelnden Mächte, deren Einflüsse auf die Prozedur im Rat zurückwirkten. Kaum anders steht es mit den juridischen Aussagekomplexen, die auch nicht nur für sich genommen werden dürfen: Aber weder durch Rückbeziehung auf ihnen zugrunde-liegende historische Sachverhalte noch durch Deduktion aus der zeitgenössischen Rechts-wissenschaft noch durch Einbindung in politische Zeitkonstellationen werden sie vollends begreiflich, geschweige „positiv-rechtlich“ definierbar. Sie sind hineingestellt in eine epochale Totalität: Hinter der ausgiebigen Behandlung der Rang- und Titel-fragen, der Freude an der Selbstdarstellung verbirgt sich barockes Rollenspiel. Diplo-matische Distanzierung und literarische Spielhaltung scheinen sich in jenen kunst-vollen Beweisketten zu begegnen, die bewußt an der Oberfläche bleiben und arcana aussparen. Oder: Ohne die epochale Wirkung der Reformation ist die zustimmende Haltung der katholischen Reichsstände zur Veräußerung von Reichsgut nicht zu verstehen. Die Edition stellt eine zerfließende Vielfalt historischer Konkretionen bereit, die, obwohl sie unsere Kenntnis des Westfälischen Friedens ergänzen, selbst wieder in hohem Grade ergänzungsbedürftig sind. Der Historismus hat das Sche-matische, Mechanisch-Demonstrationshafte quasi naturgesetzlicher Geschichtserklä-rung dem „approach“ an die Komplexität des historischen Geschehens mit seinen prinzipiell gleichwertigen Teilkomponenten geopfert. Wir können uns dieser wissen-schaftlichen Tradition nicht entziehen. Aber müssen wir uns deshalb an die nimmer-satten Einzelheiten der Protokolle ausliefern? Zwei Versuche der Lösung dieses Dilemmas mögen angeboten werden.
a) Der Aussagekreis der Protokolle läßt sich abstecken unter dem traditionellen Aspekt einer an Epochen orientierten Geschichtsbetrachtung. Sie stellt die existen-tielle Verbindung zwischen gleichzeitig bestehenden Lebenserscheinungen über deren kategoriale Trennung: Die Fakten der politischen Geschichte, der Rechts-, Sozial-, Geistes- und Kulturgeschichte gehören primär dem Entwicklungsstand eines Kultur-kreises an und sind dadurch zumindest ebenso geprägt wie durch ihre überhistorisch kategoriale Herkunft. Als gemeinsame Produkte des politischen Bewußtseins ver-schiedener – nicht nur personhafter – Individualität erschließen sich die Protokolle der geisteswissenschaftlichen Analyse: Vernunft und Herkommen, Ratio und Tra-ditio werden im Kurfürstenrat als legalisierende Instanzen beschworen; ihr Neben-einander als übergeordnete Bezugssysteme berührt die Problematik, die darin liegt, natürliche Vernunft und Tradition zu historischen Prinzipien der Periodisierung, etwa der Abgrenzung von Mittelalter und Neuzeit, zu erheben. Das Ideenpotential der Menschheit wird vielleicht doch weniger sukzessive ausgeschöpft, als es manche fortschrittliche Geschichtsbegeisterung des 19. Jahrhunderts annahm: Warum sollte jede Epoche es nicht prinzipiell in voller Breite reproduzieren können? Mitwirkungs-ansprüche, gegenseitige Zubilligung originärer Rechte, rational gedachte Harmonie-vorstellungen werden am Ende dreier grausamer Kriegsdekaden zu einer reichspatrio-tischen Programmatik entfaltet, mit der das Urteil
Kohns, in Deutschland habe
anders als in Westeuropa „ein rationaler Begriff von der Gesellschaftsordnung“
KohnS. 449–464.
nicht aufkommen können, unvereinbar ist.
b) Die Krise der historischen Bewußtseinsbildung erstreckt sich heute auch auf die regulativen Ideen, mittels derer beispielgebend
Ranke im Fluß des uferlos sich dar-stellenden historischen Geschehens, dem der Historismus zur Gänze sich zuwendete, Ordnungsmarken setzte. Wenn ein kultureller Konsens über die großen Ideen und Zusammenhänge, über die „herrschenden Tendenzen in jedem Jahrhundert“
SrbikI S. 250ff.
, die Quell-punkte des vielfältigen Lebens, nicht mehr erzielt werden könnte, ergäbe sich der ordnende Zugang zu den Quellen wiederum aus der Sachlogik sozialwissenschaftlicher Spezialdis-ziplinen. Die Kurfürstenratsprotokolle bieten empirisches Material für strukturelle so-zialgeschichtliche Fragestellungen der Friedensforschung und der Diplomatiegeschichte. Werden Herstellung und Bewahrung des Friedens, Beilegung gewalttätiger Konflikte nach einem „System von Regeln“
D.
SternbergerS. 402–407.
, zu zentralen Gegenständen der politischen Wissen-schaft erklärt, dann sind die hier edierten Friedensakten unabhängig von ihrem Alter eminent politisch. Sie enthalten bereits das ungelöste dialektische Problem, ob nicht zur Zurückdämmung der Gewalt selbst wieder Gewalt in irgendeiner Form eingesetzt werden müsse
Vgl.FlassanI S. 18: Das Schicksal der Nationen hängt von der Diplomatie ab, „puisqu’elle forme la moitié de la puissance“;DeutschS. 178ff.
: im Arrangement der Gesprächspartner, durch Hinweise auf den Fortgang der
campagna. Die Protokolle zeigen, daß ein Friede ohne Gerechtigkeit für unvollkommen gehalten wurde, daß ein Friedenszustand in totaler Wertfreiheit nicht erstrebenswert schien, daß ein friedlicher Ausgleich den „einigermaßen natür-lichen Einklang“ zwischen den „Rechtsbeziehungen, Kräfteverhältnisse(n) und Macht-bedürfnisse(n) der europäischen Staatengesellschaft“
G.Wolf, Friedensschlüsse S. 101f. mit Bezug auf Rankes „Große Mächte“.
voraussetzte. Die Affinität der Föderativstruktur zum europäischen Frieden wird deutlich: Macht und Recht mußten zum Ausgleich kommen, ohne wechselseitige Respektierung des Eigenstands der Staaten und ohne Eindämmung frühabsolutistischer Macht war ein multilateraler Friedensvertrag nicht möglich. Andererseits förderte die innerstaatliche absolutistische Konsolidierung des Rechtswesens die Ausbildung eines europäischen Völkerrechts, das willkürliche Fehden und Austräge zurücktreten ließ
Vgl. W.
SchückingS. 51f., H.
ConradS. 14–18 und am konkreten Problem der „nullité“Ph.CahierS. 646ff., 684–691.
.
Obwohl die Protokolle im Vorfeld eines Epochenereignisses stehen, bieten sie selbst keinerlei epochal deutbaren Resultate. Die korporative Willensbildung der Reichsräte im Interaktionsprozeß der Friedensfindung vollzog sich weniger ostentativ als die bilateralen Gespräche der Reisediplomatie im Jet-Zeitalter; das scheinbar ergebnis-lose Ringen um diplomatische Ausgangspositionen an einmal festgelegten Kongreßorten hatte seine Bedeutung, als die Wege noch weiter waren. Auch das heute so sehr disku-tierte Spannungsverhältnis zwischen innerer Verfassung und äußeren Beziehungen der Staaten klingt in den Protokollen an. Es war damals so wenig wie heute durch eine
FlassanI S. 25, 29: „L’expérience d’autrui“ wird erworben „en méditant les âges précédents“.
aufzulösen. Die Diplomaten des 17. Jahrhunderts haben keine grundlegenden Veränderungsstrategien, wohl aber erfolgreiche Methoden und Techniken des Friedensschlusses entwickelt und auf pragmatische Weise planend in das Chaos der politischen Machtrivalitäten eingegriffen. Sie lehren uns bereits die Taktik der begrenzt öffentlichkeitsbezogenen Deklamation, des Rekurses auf allgemein Aner-kanntes, sie haben mit der harten Selbstbehauptung staatlicher Souveränität so gut ihre Erfahrung gemacht wie mit der dynamischen Dialektik des Kompromisses. Sie zeigen uns, wie geschichtliche Erfolge aus erlernbaren Geschäften wachsen. Gerade
Droysen gibt eine historische Methode an, die Geschäfte der Geschichte in einem gewissen Sinne nutzbar zu machen: „Die
diskussive Darstellung wendet die Fülle des Erforschten, diese Lichter wie in einem Hohlspiegel sammelnd, auf einen bestimmten Punkt der Gegenwart [...], auf eine Frage, die zu entscheiden, eine Alternative, in der ein Entschluß zu fassen, eine neue Erscheinung, deren Verständnis zu erschließen ist.“
J. G.
Droysen,
Grundriß des Historik § 93, in:ders.,
Historik (1943) S. 363.
Wir sindnichtzukunftsfeindlich, wennwir weit zurückliegende Erfahrungen übernehmen.
✦ ✦ ✦Den Personen und Institutionen, die mich bei der Bearbeitung dieses Bandes unter-stützt haben, spreche ich meinen herzlichen Dank aus. Die Archivdirektoren Frau Dr. Grete Weiser (Deutsches Zentralarchiv Merseburg, Historische Abtei-lung II), Herr Professor Dr. Richard Blaas (Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien), Herr Dr. Hermann-Joseph Busley (Bayerisches Hauptstaatsarchiv München, Ge-heimes Staatsarchiv), Hochw. Herr Engfer (Dombibliothek Hildesheim), Herr Dr. Franz-Josef Heyen (Staatsarchiv Koblenz) haben sich persönlich um die Bereit-stellung der Quellen gekümmert. Persönlich geholfen haben mir auch Herr Dr. Wilhelm Engels vom Hauptstaatsarchiv Düsseldorf und Herr Ernst Punke von der Fürstlichen Archiv- und Bibliotheksverwaltung Büdingen (Hessen). Für ihre Unterstützung danke ich auch dem Staatsarchiv Dresden, dem Bistums- und dem Stadtarchiv Trier.Kollegiale Ratschläge haben mir Frau Ursula Irsigler, Frau Dr. Roswitha von Kietzell-Philippe, Herr Dr. Joachim Förster, Herr Dr. Gottfried Lorenz (seiner-zeit alle Bonn) erteilt; für eine wichtige Auskunft danke ich Herrn Dr. Helmut Urban (Staatsbibliothek München). Beim Abschreiben der Protokolle half mir Frau Hella Haupts. Eine besondere Dankespflicht habe ich gegenüber Herrn Dr. Fritz Wolff (Marburg), dem Bearbeiter der Protokolle des Corpus Catholicorum. Als der Erfahrenere hat er seine Kenntnisse in sehr kollegialer Weise weitergegeben. Vor allem aber danke ich meinem Lehrer, Herrn Professor Dr. Konrad Repgen. Er hat die ersten Archivrecherchen für diesen Quellenband selbst ausgeführt und die Edi-tion in wissenschaftlicher und organisatorischer Hinsicht hervorragend betreut. Seiner Geduld und seinem ermutigenden Zuspruch, seinem Gewährenlassen und seinem kompe-tenten Eingreifen, seinem Anspruch und seinen zahlreichen Anregungen, Hilfen, Hinweisen verdanke ich mehr, als äußerlich sichtbar werden kann. Mir ist jene Füh-rungskunst des akademischen Lehrers zugute gekommen, die wissenschaftliches Ar-beiten mehr fördert, als der Zeitgeist wahrhaben will.