Acta Pacis Westphalicae III A 6 : Die Beratungen der Städtekurie Osnabrück: 1645 - 1649 / Günter Buchstab

c) Zur Arbeitsweise der osnabrückischen Teilkurie

Vor Beginn der offiziellen Verhandlungen im Januar 1646 hatten sich in den Vor-bereitungen des Jahres 1645 die zunächst offenen Fragen nach der Besetzung des Direk-toriums und dem Verfahren bei internen Beratungen geklärt

Vgl. zum Folgenden ausführlich G. Buchstab S. 63–98, insbesondere S. 88ff.
. Den Vorsitz in der Osnabrücker Teilkurie übernahm, da der Kongreß im geographischen Bereich der Rheinischen Bank tagte, Straßburg als die vornehmste anwesende Stadt dieser Bank; in Münster fiel diese Funktion der Stadt Köln zu. Das Direktorium hatte die Sitzungs-leitung inne mit dem Recht der Proposition und der abschließenden Zusammenfassung der abgegebenen Voten im Conclusum; auch war es für die geschäftsmäßigen Beziehun-gen zum kurmainzischen Reichsdirektorium zuständig, das in der Regel die Beratungs-tungsthemen vorschrieb

Ein eigenes städtisches Propositionsrecht war zwischen Städterat und Kurmainz heftig umstritten (vgl. [Anm. 27] ).
sowie die Gutachten und Conclusa der Kurien, wenn diese er-beten waren, entgegennahm. Nach Bekanntgabe der Proposition durch den Direktor erfolgte die Stimmabgabe der städtischen Gesandten, wobei jeweils auf einen Vertreter der Rheinischen Bank ein Vertreter der Schwäbischen Bank in der Reihenfolge ihrer auf den Bänken festgelegten Rangordnung votierte. Diese Rangordnung fand ihre in-haltliche Entsprechung in den Voten: Die in der Umfrage zuerst geäußerten Meinun-gen der wichtigeren Städte beeinflußten den Gang der Beratung ganz wesentlich, so daß sich die weniger bedeutenden Städte in der Regel den Äußerungen ihrer Vorredner an-schlossen. Manchmal gaben die Gesandten ihr Votum auch schriftlich zu Protokoll, wenn die Bedeutung der zu beratenden Probleme ihnen eine differenzierte Aussage mit besonders genauen Formulierungen nötig erscheinen ließ.
Ob die Mühe intensiver städtischer Beratung und Beschlußfassung sich gelohnt hatte, mußte sich in den gemeinsamen Beratungen aller Reichstagskurien erweisen, die sich an die separaten Konferenzen der einzelnen Räte anschlossen

Zum Geschäftsgang der Reichstage, der seit der Mitte des 16. Jahrhunderts feststand, vgl. Rauch; zum votum decisivum G. Buchstab S. 127–148.
. Während in Münster die tradierte Praxis der Re- und Correlationen gepflegt wurde, Kurfürsten und Fürsten sich vor der Zuziehung der Reichsstädte zu einigen versuchten, gab es in Osnabrück wegen des Fehlens einer kurfürstlichen Kurie, in Verbindung mit der beiden unteren Kurien gemeinsamen Ablehnung kurfürstlicher Präeminenz, ein engeres Zusammen-rücken von Fürsten- und Städterat.
Auch hier war der Modus der Beratung aber den herkömmlichen Re- und Correla-tionen auf Reichstagen angeglichen: Zunächst berieten beide Räte getrennt, sodann traten sie zur Abstimmung ihrer Meinung zu gemeinsamen Verhandlungen zu-sammen. Konnte man sich einigen, formulierte man ein gemeinsames Gutachten, war dies nicht möglich, trat man wieder auseinander, bis man zu einer einheitlichen Stellung-

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nahme gelangte oder zwei verschiedene, aber durchaus gleichberechtigte Voten den kur-mainzischen Gesandten übermittelte. Sobald aber das überkommende Beratungsver-fahren mit allen drei Kurien gepflegt wurde, verschlechterte sich die Position der Städte; sie versuchten, Konflikte mit den beiden höheren Kurien zu vermeiden, indem sie sich eng an die fürstliche ablehnten. Daß überhaupt eine Formulierung über das votum decisivum in den Friedensvertrag Art. VIII § 4 aufgenommen und damit zumindest das Mitberatungsrecht der Städte auf Reichstagen festgehalten wurde (ein Recht städti-scher Entscheidung bei nicht in Übereinstimmung zu bringenden Voten von Kurfürsten und Fürsten zugunsten der einen oder anderen Partei war nicht ausdrücklich formuliert und blieb somit der Interpretation und zukünftiger Kräftekonstellation vorbehalten), verdankten die Städte ihren guten Beziehungen zu den Schweden sowie der Notwendig-keit ihrer Mitwirkung bei der Abwicklung der schwedischen Armeesatisfaktion. Diese Ausgangsposition und die Tatsache, daß die Bestimmung des Art. VIII §4 vor allem aufgrund schwedischer Interventionen bei Kaiser, Kurfürsten und Fürsten zu-standegekommen war, ließ den Wert des votum decisivum von vornherin zweifelhaft erscheinen. Tatsächlich zeigte sich die Fragwürdigkeit des Votums bereits im Jahr des Friedensschlusses, als sich Kurfürsten und Fürsten über die Köpfe der Städte hinweg über den Weserzoll einigten

Vgl. Nr. 188 S. 876f.
; die städtischen Proteste gegen diese Hintansetzung ver-pufften wirkungslos. Der erste Reichstag von 1653 nach dem Westfälischen Frieden bestätigte die Zweifel an einer vertraglich festgelegten Gleichstellung aller dreier Kurien; eine Entscheidungsbefugnis besaßen die Reichsstädte zu keiner Zeit

Vgl. dazu auch A. Laufs, Regensburger Reichstag.
; fest stand lediglich ihr Recht auf Teilnahme und Mitberatung bei Reichsversammlungen.

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