Acta Pacis Westphalicae III C 3,1 : Diarium Wartenberg, 1. Teil: 1644-1646 / Joachim Foerster

1. Das Diarium Wartenberg

Unter den kurkölnischen Beständen des Staatsarchivs Düsseldorf hat sich eine Serie von Akten zu den Verhandlungen des Westfälischen Friedens erhalten, die unter dem Namen ‚Diarium Wartenberg‘ zusammengefaßt werden. Es handelt sich dabei um 13 starke Foliobände, von denen nr. 1–7 eine fortlaufende zeitgenössische Paginierung (1–5358)aufweisen. Der Gesamtumfang beträgt 9 993 Seiten

Kurköln VI. nr. 239–251. Die ursprüngliche Ordnung erfolgte durch jahrgangsweise Numerierung der (mit starken Abweichungen im einzelnen) gewöhnlich 24 Seiten umfassen-den Blattlagen, nur für die letzten Monate des Jahres 1647 war der Zusammenhang lediglich durch Kustoden gegeben. Später sind immer etwa 30 Blattlagen zu einem Band zusammen-gefaßt und die Bände jahrgangsweise durchnumeriert worden. Alle Bände weisen heute eine moderne Foliierung auf. Da aber die Literatur durchweg der alten Paginierung folgt, ist diese, soweit vorhanden, beibehalten worden.
. Im ersten Band ist vorn eingebunden ein 21 Seiten umfassendes ‚Ceremonial‘

Das ‚Ceremonial‘ umfaßt die Zeit vom 24.–30. November 1644, überschneidet sich also mit dem Beginn des nachfolgenden ‚Protokoll‘, mit dem erst die fortlaufende Paginierung beginnt, und ist somit als in sich geschlossener selbständiger Aufsatz zu betrachten. Da es bereits durch H. Lahrkamp unter dem Titel ‚Der Einzug des Fürstbischofs Franz Wilhelm von Osnabrück als Gesandter in Münster‘ 1963 publiziert worden ist, wurde auf einen nochmaligen Abdruck verzichtet.
.
Vor dem ‚Ceremonial‘ befindet sich die Überschrift Anno Domini 1644 bey den generalfriedenstractaten zue Münster gehaltenes diarium, anfahend den 24. Novembris, der nach dem ‚Ceremonial‘ beginnende Hauptteil trägt den Titel Protocollum. Dieser enthält in chronologischer Reihenfolge eine protokollartige Niederschrift über die Tätigkeit der kur-kölnischen Gesandtschaft, wobei die Konferenzen mit anderen Gesandten im Vordergrund stehen. Die Seiten sind durchweg halbbrüchig beschrieben und weisen am Rande außer Korrekturen und Zusätzen eine Reihe von Notizen, Anstreichungen und ähnlichen Bearbeitungszeichen auf, die – oft nur flüchtig mit Bleistift geschrieben – heute nicht mehr alle deutbar sind, sich vermutlich aber durchweg auf die Übernahme in Relationen oder ähnliche Formen der Mitteilung beziehen. Der Text selbst ist gewöhnlich fortlaufend geschrieben, doch kommt das Auslassen von Blättern oder Seiten vor. Das ist besonders dann der Fall, wenn die ursprünglich getrennt angefertigte Niederschrift über einen Vorgang nachträglich in das Diarium eingearbeitet worden ist, z. B. durch Streichung der Überschrift und Einfügung eines Überleitungssat-zes auf der vorhergehenden Seite

So z. B. die Eintragung zu 1648 XII 27–28 ( [S. 1212] ). Gelegentlich ist auch Raum freigelassen für eine spätere, nicht mehr erfolgte Eintragung (vgl. S. 932). Sehr selten finden sich auch bruchstückhafte Eintragungen, die offenbar noch nicht die endgültige Fassung darstellen (vgl. [S. 287] ).
. Gelegentlich finden sich auch darauf

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bezügliche Bemerkungen redaktioneller Art am Rande, wie sequitur auff-satz secretarii Ernesti

Vgl. S. 716, ähnlich [S. 488] , 726, 737.
.
Wie dieser Befund bereits zeigt, ist das ‚Diarium Wartenberg‘ nicht das geschlossene Werk eines einzelnen, auch nicht des kurkölnischen Prinzipalge-sandten und Osnabrücker Bischofs Franz Wilhelm von Wartenberg. Somit bedarf die Bezeichnung ‚Diarium Wartenberg‘ einer Erklärung. Zumal Wartenberg eine der markantesten Gestalten des Westfälischen Friedenskon-gresses war, stellt sich vor allem die Frage, wie weit das Diarium überhaupt als authentische Quelle für die Politik dieses Mannes herangezogen werden darf. Formal korrekt wäre die Bezeichnung ‚Tagebuch‘ oder ‚Protokollbuch der kurkölnischen Gesandtschaft‘. Es setzt sich zusammen aus einer Abfolge von Berichten der verschiedenen kurkölnischen Gesandten, verbunden mit die Gesamtgesandtschaft betreffenden Angaben über das Kongreßgeschehen wie Ankunft oder Abreise von Diplomaten, Übermittlung von Nachrichten etc. Wo von Wartenberg die Rede ist, dessen Verhandlungen allerdings den Hauptteil der Berichte ausmachen, wird er immer in der dritten Person als Ihr Hochfürstliche Gnaden bezeichnet, auch dann, wenn es sich um Eintragungen von seiner eigenen Hand handelt

Selten sind Ausnahmen wie S. 5l7,7 und S. [861,22] , wo Wartenberg versehentlich die erste Person benutzt.
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Der durchlaufende Text der Niederschrift stammt von Sekretären. Obwohl die Unterscheidung der einzelnen Handschriften mitunter problematisch ist, sind doch zehn oder elf verschiedene Schreiber festzustellen, die oft ohne erkennbaren Grund innerhalb desselben Berichtes wechseln

In diesem Zusammenhang interessant, wenn vielleicht auch nur auf einem Zufall beruhend, ist die Angabe bei F. Bosbach S. 22, wonach das Kanzleipersonal Wartenbergs im Sommer 1647 tatsächlich aus 11 Personen bestand.
. Leider lassen sie sich nur zum geringen Teil identifizieren oder einordnen. Die Frage vereinfacht sich jedoch insofern etwas, als der überwiegende Teil der Eintragungen, schätzungsweise etwas über 60 Prozent, von der Hand eines einzigen Schreibers herrührt, der sich durch die Initialen M.L. bei Abschluß des Jahres 1645 selbst zu erkennen gibt: Es ist der kurkölnische Gesandt-schaftssekretär Matthias Lintz, der im Diarium mehrfach erwähnt und gelegentlich sogar mit einer eigenen diplomatischen Mission betraut wird

Vgl. S. [347] , [1020] , [1228ff] .
. Zumindest im Anfang stammt die Niederschrift fast durchgehend von seiner Hand. Später sind andere Schreiber stärker herangezogen worden, wohl in dem Maße, wie Lintz für wichtigere Aufgaben verwandt wurde. Als Hand B ist ferner zu identifizieren Ernst Schnur, der hauptsächlich als Warten-bergs persönlicher Sekretär gearbeitet zu haben scheint, da von ihm offenbar

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ein Großteil der erhaltenen Konzepte von Schreiben Wartenbergs an Kurfürst Ferdinand stamm

Von seiner Hand stammt wohl auch das ’Ceremonial‘; zur Identifizierung Bd. 6 p. 4091, Bd. 10f. 308.
.
Von den übrigen Handschriften läßt sich zumindest noch C ebenfalls häufig in Wartenbergs Korrespondenzen nachweisen

Von ihr z. B. die Niederschrift über die Lengericher Konferenz.
. D könnte mit dem Pader-borner Dompropst von der Reck in Zusammenhang stehen. E scheint ein untergeordneter Schreiber gewesen zu sein, dessen Texte gelegentlich von A und C ergänzt werden

So S. [1070,4] und [1071,5] , wo der von E fortlaufend geschriebene Text am Rand mit Zusätzen von C bzw. A versehen ist.
. Die verhältnismäßig selten erscheinende Hand J kommt mehrfach gerade dann vor, wenn es sich um die Beschreibung offizieller Festakte, also nicht im eigentlichen Sinne diplomatisch-vertrauli-che Vorgänge handelt

So S. [1094,7–8] (staatisches Gastmahl), [1108,7] (Gastmahl bei Nassau).
.
Es wäre von Interesse zu wissen, wie weit diese Schreiber auf die Formulie-rung der Niederschrift Einfluß genommen haben könnten. Indessen lassen sich hierzu nur ganz allgemeine Überlegungen anstellen. Es ist vereinzelt wohl einmal von einem Diktat Wartenbergs die Rede

Da sich die eigenhändige Anweisung Wartenbergs: hic inseratur quod dictavi Matthiae hoc die (Bd. 4 p. 2553) an einer der seltenen bruchstückhaft überlieferten Textstellen befindet, wird man nicht schließen können, daß Diktat eine Ausnahme war.
, es gibt aber auch Hinweise auf einen ‚Aufsatz‘ des Sekretärs

Vgl. Anm. 4.
. Bei den sich oft über viele Seiten hinziehenden, in Rede und Gegenrede minutiös dem Verhandlungs-verlauf folgenden Protokollen läßt sich nur schwer vorstellen, daß Warten-berg sie ohne jede Unterlage vollständig aus der Erinnerung diktiert haben sollte. Er wird in solchen Fällen entweder einen Sekretär mitgenommen oder sich selbst Notizen gemacht haben. In ersterem Falle mag der Sekretär nach eigenen Unterlagen einen Text erstellt haben, der von Wartenberg durchge-sehen und korrigiert wurde, in letzterem ein Diktat Wartenbergs anhand seiner eigenen Notizen vorliegen. Für die Form des Diktates, bei welcher der Verfasser den Text nicht selbst schriftlich vor Augen hat, könnte die auffällig häufige Inkongruenz im Satzbau, das Auftreten unvollständiger Sätze und ähnlicher sprachlicher Erscheinungen sprechen. Dagegen läßt die eigenhändige Hinzufügung ganzer Passagen durch Wartenberg, wenn deren Einschub nach Diktat natürlich auch nicht ausgeschlossen ist, doch eher an einen von ihm ergänzten Aufsatz des Schreibers denken

Vgl. S. 238 das Gespräch mit Fritze.
. Zumindest den beiden Hauptsekretären wäre eine einigermaßen selbständige Arbeitsweise wohl zuzutrauen. Noch mehr wird man bei Texten, die sich durch Äußerlichkeiten wie Benutzung anderen Papieres als Einlage zu erkennen

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geben, mit selbständigen Aufsätzen zu rechnen haben, sofern es sich nicht um Diktate anderer Kölner Gesandter handelt

Gesondert eingelegt ist z. B. der Bericht über den Besuch bei Longueville 1646 XII 28, vgl. S. [660f] . Auf Diktakte anderer Gesandter wird öfter verwiesen, vgl. S. [495] , [496] , [530] , [535] , [552] , [553] , [634] , [667] .
.
So interessante Einblicke in die Entstehung des Diariums im einzelnen und in die Arbeitsweise der kurkölnischen Gesandtschaft sich hieraus auch ergeben mögen, für die politische Aussagekraft des Textes dürfte der Wechsel der Handschriften kaum von Belang sein. Viel wichtiger ist, daß der gesamte auf Wartenberg zurückgehende Text Korrekturen von seiner eige-nen Hand aufweist. Ihre Häufigkeit und ihre Bedeutung wechseln. Gele-gentlich sind am Rande ganze Absätze von Wartenberg hinzugefügt, häufiger sind bloße Korrekturen einzelner Ausdrücke oder auch nur des Stiles. Dabei ist Wartenberg oft recht flüchtig vorgegangen, d. h. er hat die durch seine Eingriffe in den Text notwendig gewordenen syntaktischen Änderungen wie Wechsel von Singular auf Plural oder von Aktiv auf Passiv im weiteren Satzgefüge vernachlässigt. Auch von der Aussagequalität her sind seine Korrekturen gewöhnlich nicht von derart überragender Bedeu-tung, daß ihre besondere Hervorhebung bei der Edition gerechtfertigt erschiene. Allein die Tatsache dieser durchgehenden Korrekturen zeigt aber – und darin liegt ihr Hauptwert –, daß Wartenberg den gesamten Text nach der Niederschrift in der Hand gehabt, ihn geprüft und in der vorliegenden Fassung als authentisch und korrekt anerkannt hat, natürlich mit der Einschränkung auf diejenigen Verhandlungen, an denen er selbst beteiligt war. Mithin handelt es sich nicht um ein relativ selbständiges Produkt wechselnder Schreiber, das nach deren Persönlichkeit zu interpre-tieren wäre, sondern wirklich um ein ‚Diarium Wartenberg‘, den Ausdruck der Willensmeinung des Osnabrücker Fürstbischofs. Daß Wartenberg diesen Aktenbestand, und zwar in dem vorliegenden Exemplar, nun selbst wieder als gültige Darstellung des Handlungsverlaufes bei weiteren Gesprächen benutzt hat, läßt sich zumindest in einem Fall eindeutig beweisen: Zum 10. Januar 1645 berichtet der kaiserliche Gesandte Dr. Isaak Volmar, die Kölner seien dagewesen, und Wartenberg habe auß seinem protocoll weittläuffig verlesen, was er am 5. und 7. Januar mit den Franzosen und Contarini verhandelt habe, dabei aber anderthalb Seiten übersprungen mit dem Bemerken: da ists transponirt . Zwar ist Volmars Verdacht irrig, hier hätten im Protokoll Nachrichten über bayerische Neutralitätsbestrebungen gestanden, tatsächlich findet sich an dieser Stelle aber im Diarium ein etwa anderthalb Seiten langer Passus über frühere kurkölnische Neutralitätsverhandlungen, der an Kurbayern nicht mitgeteilt werden sollte

Vgl. [S. 46] .
. Wartenberg hat also offenbar die Unvorsichtigkeit began-

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gen, das ungekürzte Original mit in die Konferenz zu nehmen, wobei den Kaiserlichen natürlich aufgefallen ist, daß er eine gekürzte Fassung vorge-tragen hat.
Die Frage der Auslassungsvermerke berührt den zweiten Verwendungs-zweck des Diariums: Es wurde regelmäßig zur Berichterstattung an die Kurfürsten von Köln und Bayern übersandt. Davon zeugen in dem vorlie-genden Exemplar Wartenbergs zahlreiche communicatur-Vermerke, die das Datum der Absendung festhalten, doch auch wo solche fehlen, dürfte die regelmäßige Übermittlung nicht unterbrochen worden sein; wahrscheinlich bezieht sich darauf ein Teil der nicht eindeutig zu erklärenden Anstreichun-gen am Rande. Zumindest was Bayern betrifft – für Köln fehlen die entsprechenden Korrespondenzen leider fast völlig –, machen diese Proto-kollauszüge, gewöhnlich ‚continuatio protocolli‘ genannt, einen wichtigen Teil der regelmäßigen Informationen aus, die eigentlichen Korrespondenz-schreiben sind gegenüber diesen Beilagen oft verhältnismäßig kurz

Korrespondenz Wartenbergs mit Kf. Maximilian in München II K. schw. nr. 2228, 2230–2234 (1644 I 3 – 1648 XI 10). Unter den Beilagen findet sich namentlich auch ein Teil der Korrespondenz mit Bischoping und Buschmann vom Januar 1647.
.
Das Gegenstück zu den communicatur- bilden die schon erwähnten omitta-tur-Vermerke. Neben sehr vereinzelten Stellen, die sich ausdrücklich auf Kurköln beziehen, sind sie entweder ganz allgemein gehalten, so daß angesichts des Fehlens der an Kurköln gegangenen Reinschrift nicht mehr festzustellen ist, ob Kurköln darin eingeschlossen war, oder – und das am häufigsten – auf Bayern bezogen. An der schon erwähnten Stelle, wo dies das erste Mal der Fall ist , wird hinzugefügt, gegenüber Köln sei die Auslassung als solche zu kennzeichnen. Das galt, um angesichts der engen Korrespon-denz zwischen Bonn und München Mißverständnisse zu vermeiden, wohl auch für die übrigen Fälle. Sachlich wird man in diesen Stellen selten Ansätze einer eigenen, vor Bayern oder gar Köln geheimzuhaltenden Politik Wartenbergs sehen können. Es handelt sich einmal um gelegentlich aufge-nommene Interna der westfälischen Stifter, häufiger auch um Besprechungen mit den Vertretern Maximilians, worüber eine Doppelberichterstattung nach München unnötig erschien

Vgl. [S. 682f] .
, schließlich aber auch um gesprächsweise gefallene Bemerkungen, die vor allem Maximilians immer sehr empfindli-ches Selbstwertgefühl treffen konnten. Für die Bewertung solcher Stellen aufschlußreich ist Wartenbergs Antwort, als am 11. März 1646 die Bayern weisungsgemäß eine Kurfürst Maximilian unpassend erscheinende Äußerung Volmars geahndet wissen wollten: Man erwecke durch derart übertriebene Reaktionen nur Mißtrauen und laufe Gefahr, keine vertraulichen Informa-tionen mehr zu erhalten; notfalls müßten die Kölner auch gegenüber den Bayern in ihren Äußerungen zurückhaltender werden

Vgl. [S. 418f] .
. So erscheinen diese

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Stellen eher interessant als Gradmesser für das, was Wartenberg beiden Kurfürsten an offenen Äußerungen zumuten zu können glaubte, wobei die Auswahl gegenüber Maximilian natürlich wesentlich enger war, zu dem er nicht in demselben Vertrauensverhältnis wie zu Ferdinand stand.
Ohnehin dürfen die etwa 150 omittatur-Vermerke – inwieweit auch reine Anstreichungen und ähnliche Zeichen dieselbe Bedeutung haben, muß offen bleiben – nicht den Eindruck erwecken, als handle es sich bei der vorliegen-den Fassung des Diariums um eine vollständige und rückhaltslose Darle-gung der kurkölnischen oder wartenbergischen Politik. Die Aufnahme von persönlichen Eindrücken, Urteilen, Absichten und Plänen Wartenbergs verbot schon der Charakter des offiziellen Tagebuches der Kölner Gesamt-delegation. Aber auch die Probleme seiner drei Stifter Osnabrück, Minden und Verden werden eigentlich nur so weit behandelt, wie es um ihre Erhaltung als katholische Stifter, also ein auch von Kurköln zu betreibendes gemeinkatholisches Anliegen geht. Die Stellung Wartenbergs als Landesherr kommt dabei eher gelegentlich und mehr nebenbei zum Ausdruck. Für die in der Schlußphase des Kongresses bedeutsamen Verhandlungen über die Osnabrücker ‚capitulatio perpetua‘ wird meist auf Sonderprotokolle verwie-sen

Allerdings ist zu beachten, daß Wartenberg aus grundsätzlichen Erwägungen nach außen hin als an diesen Verhandlungen nicht beteiligt gelten wollte. Vgl. [S. XLIV]
. Ebensowenig zum Ausdruck kommt das Zusammenspiel der drei ‚Triumvirn‘ Wartenberg, Adami und Leuchselring als der unbeugsamsten Vertreters der katholischen Sache. Seine grundsätzlich von Kurbayern, aber auch von Kurköln unterschiedliche Haltung zum Ulmer Waffenstillstand wird lediglich ansatzweise gestreift und wird aus dem Diarium allein nicht klar ersichtlich. Vollends mit keinem Wort wird eingegangen auf die Isolation, in die er seit Herbst 1647 auch innerhalb der Kölner Delegation immer mehr geriet

Vgl. [S. XLVIf] .
; allenfalls lassen gelegentliche Seitenhiebe wie wegen unförmblicher ansagh am 2. Oktober 1648

Vgl. [S. 1152f] .
seine Stimmungslage in etwa erahnen. So gut wie völlig unberücksichtigt bleiben ferner die Aufgaben, die Wartenberg in der Vertretung anderer, nicht zum kölnischen Länderkom-plex gehöriger Reichsstände übernommen hatte.
Auch die Bezeichnung der vorliegenden Quelle als Tagebuch der Kölner Gesandtschaft bedarf einer näheren Eingrenzung. Es handelt sich zunächst um keine Dienstregistratur, wie sie etwa der kaiserliche Gesandte Dr. Volmar geführt hat und in der der gesamte durch seine Hände gegangene Schriftverkehr berücksichtigt ist

Zur Charakterisierung und Abgrenzung vgl. APW III C 2,1 S. XXI ff, über Aussagewert im Verhältnis zu dem völlig anders gestalteten Diarium des päpstlichen Nuntius Fabio Chigi vgl. APW III C 1,1 S. 30ff.
. Weder von den Weisungen des Kurfürsten noch von den an ihn abgegangenen Relationen ist etwas zu erfahren, was natürlich die Beurteilung der einzelnen Verhandlungsschritte sehr erschwert.

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Zumindest vorgesehen war dagegen die Aufnahme des internen Schriftver-kehrs mit den zeitweilig in Osnabrück befindlichen Gesandten und im externen Gebrauch entstandener Schriftstücke wie Memoriale, Propositio-nen usw. Wie weit dieser Plan verwirklicht worden ist, läßt sich indessen nur schwer beurteilen. Erhalten hat sich lediglich ein Heft für die Zeit von Dezember 1644 bis Dezember 1645 mit den (auch nicht vollständig vorhandenen) Nummern 1–169

Kurköln VI nr. 242a.
. Für 1646 und 1647 ist im Diarium zwar jeweils mit einer neuen Numerierung der Beilagen begonnen worden, da diese aber abbricht ( [1646 V 7] bzw. [1647 II 9] ) und danach nur noch Lücken zur Einsetzung der Nummern gelassen sind, steht nicht fest, ob für diese Zeit eine Sammlung überhaupt zustande gekommen ist. Gelegentlich seit Früh-jahr 1647, häufig im Jahre 1648 werden Schreiben erwähnt, ohne daß ein Anlagenvermerk beigefügt ist. Ob dahinter eine bewußte Absicht steht oder ob die Vermerke vergessen worden sind, läßt sich nicht entscheiden, zumal im Wechsel damit Schreiben mit denselben Korrespondenten doch wieder einen Anlagenvermerk tragen

Als Beilagen durchweg nicht erwähnt sind z. B. die Schreiben Bischopings seit Mai 1647 (vgl. [S. 872ff] ), Ausnahmen aber S. [1118] , [1135f] .
. Zwar unterschied sich Wartenbergs Hal-tung 1648 deutlich von der in Osnabrück vertretenen Politik Kurkölns, so daß etwa die Unterdrückung der Korrespondenz mit seinem Offizial Bischoping in einer für Kurköln bestimmten Sammlung verständlich erschei-nen könnte, doch entfällt dieses Argument für den in gleicher Weise behandelten Schriftverkehr mit Buschmann

Allerdings könnte die fehlende Numerierung und fehlende Kennzeichnung auch dadurch verursacht worden sein, daß Kf. Maximilian keinen Hinweis auf solche Stücke erhalten sollte.
.
Sieht man von solchen Ansätzen zu einer weitergehenden Sammlung ab, die offenbar nicht konsequent weitergeführt worden sind, so kann man das Diarium Wartenberg im wesentlichen als ein Visitenprotokoll bezeichnen, d. h. es verzeichnet die von Wartenberg und den übrigen Kölner Gesandten mit den Vertretern anderer Mächte hauptsächlich durch Besuche – aber auch durch Schreiben und Boten – vermittelten Kontakte. Das allerdings in ausgedehntestem Maße. Schon die Vorbereitungen und Verabredungen der Zusammenkünfte werden meist genau geschildert, die Wiedergabe der Gespräche selbst erweckt den Eindruck einer fast stenographischen Genauig-keit. Gewöhnlich in der Form von Rede und Gegenrede folgen sich hier die Argumente in aller Weitläufigkeit. Das wirkt mitunter ermüdend, vermit-telt aber auch den Eindruck einer nicht durch nachträgliche Reflexion oder Zusammenfassung gebrochenen Ursprünglichkeit, die durch die Wiedergabe im umständlichen und verwickelten Schriftdeutsch der Zeit vielleicht etwas verwischt wird, aber namentlich in kurzen Kontroversen immer wieder durchbricht. Für Stil und Kolorit der mündlichen Verhandlungen, für Denk- und Argumentationsweise der beteiligten Personen ist also das

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Diarium eine unschätzbare und unerschöpfliche Quelle. Vor allem natürlich für die Person des Osnabrückers selbst. Seine ausgedehnten Kenntnisse in den theologischen Wissenschaften, in Reichsrecht und Reichsgeschichte, seine praktischen Erfahrungen als Diplomat und langjähriger leitender Minister eines Kurfürsten kommen hier ebenso zum Ausdruck wie eine mitunter weitschweifige Pedanterie, schulmeisterliche Belehrungssucht und wenig verbindliche Starrheit im Festhalten einmal eingenommener Positionen. Da aber Wartenberg nun eimal einer der Führer und profiliertesten Köpfe der katholischen Partei war, sind auch diese in seiner Person liegenden Eigenar-ten für den Verlauf der Dinge nicht ohne Interesse.
In gewisser Weise vertrat Wartenberg in Münster auch den Landesherrn. So enthält das Diarium in allerdings geringerem Umfang auch Landessachen wie Verhandlungen mit Mitgliedern des Domkapitels, der Regierung und militärischen Stellen, gelegentlich auch Hinweise auf Wartenbergs Tätigkeit als Osnabrücker Fürstbischof. Wichtiger als solche Bemerkungen, soweit sie über den Rahmen der Friedensverhandlungen hinausgehen, sind die Proto-kolle über Konferenzen, die Wartenberg in das Diarium aufgenommen hat. Es handelt sich hier um die Vorkonferenz des münsterischen Fürstenrates und des Corpus Catholicorum

1645 X 1, vgl. [S. 292] .
(nebst einigen dazugehörenden Deputatio-nen) sowie, vor allem, um die kurfürstlichen Vorkonferenzen des Jahres 1645. Die entsprechenden Niederschriften sind, nachdem Wartenberg als ursprünglich einziger kurfürstlicher Vertreter in Münster mit den Kaiserli-chen unterhandelt hatte, später aber die Bayern und Mainzer hinzuzog, organisch aus den Visitenprotokollen erwachsen und nehmen erst mit der kurfürstlichen Gesamtkonferenz in Lengerich am 10./11. Juli 1645 äußerlich die Form von Sitzungsprotokollen an, bleiben aber dennoch zunächst Teil des Diariums und werden erst mit der formellen Institutionalisierung des Kurfürstenrates als eigene Serie ausgesondert

Seit 1645 VIII 29, vgl. S. [267f] .
. Dank ihrer ausführlichen Wiedergabe sind sie fast immer die beste Überlieferung für die kurfürstli-chen Konferenzen und wurden bereits entsprechend ausgewertet

In APW [III A 1,1] ; zur Bewertung vgl. ebd. S. [LXIff] , zur Überlieferung und Charakterisie-rung der kurkölnischen Kurfürstenratsprotokolle ebd. S. [LXXXVIIff] .
. Nimmt man die Angaben über das sonstige Geschehen am Kongreß hinzu, vor allem über Ankunft und Abreise von Gesandten und die damit verbundenen Zeremonialakte, so enthält das Diarium eine derartige Fülle von Informa-tionen, daß es – soweit Wartenberg darin Einblick hatte – als eine der ergiebigsten Quellen für den Friedenskongreß gelten kann.
Allerdings sind hierbei doch wieder Einschränkungen zu machen. Die ungemein genaue und detaillierte Wiedergabe der Gespräche darf nicht zu der Folgerung führen, daß Wartenberg nun auch immer und überall alles wiedergegeben hat, was besprochen worden ist. Auf bewußte Lücken und

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Verschleierungen hat zuerst K. Repgen aufmerksam gemacht

Vgl. K. Repgen, Wartenberg S. 232ff, besonders S. 237f.
. Sie im einzelnen sicher nachzuweisen, ist von der Natur der Sache her schwer, doch muß auch sonst damit gerechnet werden. So finden sich die, wie oben erwähnt, von Volmar vermuteten Sonderverhandlungen zur bayerischen Neutralität zwar nicht im Protokoll, doch verdient die dezidierte Behaup-tung des kaiserlichen Gesandten, er wisse davon aus sicherer Quelle und könne weitere geheime Nachrichten über Wartenbergs Verhalten beschaffen, doch einiges Gewicht

Volmar an Ferdinand III. 1645 I 9 (Druck: APW [II A 2 S. 140f] ). Vgl. auch ähnliche Äußerungen Volmars über ein Gespräch Wartenbergs mit d’Avaux 1645 VII 28 (Druck: APW [III C 2,1 S. 410f] ), wo als Zwischenträger Pellegrino Carleni, der Bevollmächtigte des Grafen von Egmont, genannt ist.
. Zwar sollte über die immerhin von den beiden Wittelsbacher Kurfürsten damals schon ins Auge gefaßte Möglichkeit einer Neutralität mit Frankreich nicht am Kongreß, sondern unmittelbar in Paris sondiert werden

Über die Verhandlungen zwischen Kurköln und Kurbayern zu dieser Frage vgl. J. Foerster S. 273f.
, so daß hierin Volmars Verdacht weit über das Ziel hinausschießt, denkbar wären aber intensivere Bemühungen um einen Waffenstillstand mit Frankreich, die Wartenberg aufgetragen waren, in der Wiedergabe der Gespräche dieser Wochen jedoch nur verhältnismäßig wenig Berücksichtigung finden

Erwähnungen vor Ankunft der bayerischen Gesandten lediglich [1644 XII 27] , [1645 I 7] gegenüber den Mediatoren (vgl. S. [33] , [49] ), [1645 I 19] , [II 12] , [13] gegenüber den Kaiserlichen (vgl. S. 94ff). Allerdings stand auch Kurköln einem allgemeinen Waffenstillstand in diesen Wochen mit gewissen Reserven gegenüber; im übrigen wünschte man, daß die Anregung offiziell von den Mediatoren vorgebracht werden sollte.
. Auf jeden Fall zeigt die Bemerkung Volmars, daß es in der Umgebung Wartenbergs Personen gab, die gegenüber den Kaiserli-chen nicht verschwiegen waren, und daß der Bischof gut daran tat, wirklich streng vertrauliche Dinge dem offiziellen Diarium nicht anzuvertrauen. Noch einmal zu erinnern wäre in diesem Zusammenhang auch an die Tatsache, daß die omittatur-Vermerke sich selten auf wirklich tiefgreifende Gegensätze zur bayerischen Politik beziehen. Diese waren zweifellos vor-handen, werden aber mehr oder minder ‚dissimuliert‘, wohl nicht nur mit Rücksicht auf das Personal in Münster, sondern auch auf die Regierung in Bonn, wo es eine starke bayerische Partei gab. Zwischen ihr und Wartenberg hielt Kurfürst Ferdinand ungefähr die Mitte, bis er seit Ende 1647 mehr und mehr auf die bayerische Linie einschwenkte und Wartenberg, wenn nicht formell, so doch praktisch kaltgestellt wurde. Auch davon läßt das Diarium nichts erkennen. Äußerlich geht die Berichterstattung über Besprechungen mit den in Münster anwesenden Diplomaten wie vorher weiter, in Wirk-lichkeit wurden alle Entscheidungen in Osnabrück getroffen, ohne daß Wartenberg auf sie einwirken konnte. Wenn er weiter als wirklicher Delegationschef auftritt, dissimuliert Wartenberg im Grunde auch hier. Das Diarium allerdings wird so aus einem kurkölnischen Gesandtschaftsdiarium

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noch mehr als zuvor zu einem Diarium Wartenberg, d. h. es referiert vornehmlich die Aktivitäten des Bischofs von Osnabrück, auch dort, wo diese für die Kölner Politik nicht mehr repräsentativ sind. Eine inhaltliche Würdigung des Diariums hat also zunächst neben der Person Wartenbergs sein Verhältnis zu Kurköln und zu Kurbayern ins Auge zu fassen.

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