Acta Pacis Westphalicae III B 1,2 : Die Friedensverträge mit Frankreich und Schweden, 2. Teil: Materialien zur Rezeption / Guido Braun, Antje Oschmann und Konrad Repgen

Zeitgenössische Kritik an den deutschen Übersetzungen des IPO

Vorbemerkungen (von Konrad Repgen) Interne Kritik näher beteiligter Zeitgenossen an der Unzuverlässigkeit der Publikation der Vertragstexte setzte sofort im September 1648 ein, wie sich für Leuber

Vgl. oben S. 9 Anm. 44 und S. 129
, Volmar

Vgl. oben S. 129.
und Nassau

Ebenda.
nachweisen läßt. Deren Kritik bezog sich auf die vermutlich früheste Publikation des IPOml, den Raubdruck Ausgabe 1. Auch bei den späteren Kritiken am Text ging es stets um den Osnabrücker Frieden. Leuber hatte anfangs noch Hoffnung auf eine Korrektur durch die bevorstehende offiziöse kurmainzische Publikation gesetzt. Die erste kurmainzische Ausgabe (Nr. 5) war jedoch ebenfalls nicht fehlerfrei, und das hatte schon bei den deutschen Übersetzungen des IPOm (Anhang A Stück a–b) schlimme Folgen

Vgl. oben S. 128f und S. 135 Anm. b.
. Dies besserte sich nicht, als die Verträge unterschrieben worden waren und neue Texte auf dem Markt kamen.
Die Kritik richtete sich am Rande, wie erwähnt, auf den Abdruck der kaiserlichen Portugalklauseln

Vgl. oben S. 132f.
, vor allem aber, nach der Ratifizierung (18. Februar 1649), auf die deutschen Übersetzungen der kurmainzischen Ausgaben des IPO

Die Mitteilung Meiern s (APWP III, Vorrede, Bl. [1] Anm. * ), daß Kurmainz selbst durch ein öffentlich publiziertes Edikt diese Übersetzung als fehler⸗ und mangelhafft verworffen, und sich darauf zu beruffen, verboten habe, läßt sich bisher nicht bestätigen. Vielleicht liegt eine Verwechslung mit der hier publizierten Flugschrift vor.
. Bayern beanstandete nun, daß in Art. IV,3 IPO (= § 11 IPM), wo der Übergang der Kurwürde von der Pfalz auf Bayern geregelt wird, allein die regalia, officia, praecedentiae und iura übersetzt worden seien, eine Übersetzung des Begriffs „Wappen“ ( insignia) aber fehle

Vgl. unten S. 230 Anm. j.
. Darauf dürfe sich Kurpfalz in den bevorstehenden Verhandlungen mit Bayern

[p. 161] [scan. 209]

nicht berufen, da nur der lateinische Vertragstext gelte

Kf. Maximilian an die kurbay. Ges. , München 1649 Februar 3 ( BHStA München, Kurbayern, Äußeres Archiv 3071 fol. 147–150’: Ausf.).
. Kurmainz rechtfertigte sich mit Ausflüchten und versprach, in künftigen Auflagen für Korrektur zu sorgen

Kurbay. Ges. an Kf. Maximilian, Münster 1649 Februar 19 ( BHStA München, Kurbayern, Äußeres Archiv 3071 fol. 63’–69, hier fol. 67–67’: Konzept).
, was hinsichtlich des IPO zwar unterblieben ist

In den Kurmainzer Ausgaben des IPOud (S. 74–91 Ausgabe 45–51) fehlt in Art. IV,3 IPO das Wort Wappen, während es in den korrespondierenden Teilen des IPMud § 11 vorhanden ist, wenn auch mehrere Male (Ausgabe 71–74) verderbt (Waffen).
, aber offenbar keine weiteren politischen Verwicklungen verursacht hat.
Vor allem verlief im Frühjahr 1649 eine Anregung Kursachsens im Sande, durch die Reichsstände eine korrekte deutsche Übersetzung des IPO herauszubringen. Sie hätte zuerst vom Corpus Evangelicorum und danach auch vom Corpus Catholicorum akzeptiert werden sollen, um danach als versio authentica allegiert werden zu können

Protokoll der Sitzung des CE vom 24. März/3. April 1649 im münsterischen Quartier Leubers: THStA Altenburg, Altes Hausarchiv Cl. I E 21 fol. 635’–647.
. Aber die Reichsstände hatten zu diesem Zeitpunkt andere politische Sorgen: ihre Augen waren auf den Nürnberger Exekutionstag gerichtet, zu dem seit Ende März allmählich eingeladen wurde und dessen reichsständische Beratungen im Juni in Gang gekommen sind

Vgl. Oschmann, Exekutionstag, 666.
. Einen für alle Seiten passablen deutschen Text des IPO zustande zu bringen, hatte unter diesen Umständen wenig Aussicht auf Erfolg, wenngleich der Lübecker Vertreter bei jener Sitzung des Corpus Evangelicorum am 3. April 1649 nicht unberechtigt harsche Kritik an Kurmainz geübt hatte. Es habe formal gar kein Recht, auch für seine deutsche Übersetzung das kaiserliche Druckprivileg in Anspruch zu nehmen. Überdies sei die kurmainzische versio so plump, der sensus depravirt und fast alle punct und articuli mangelhaftig. Diese polemische Zuspitzung traf nicht Falsches, wenn es auch im internen Kreis eines reichständischen Gremiums so deutlich nicht immer angesprochen worden ist.
Die gleiche Kritik ist jedoch auch öffentlich artikuliert worden, wie eine offenbar seltene

VD17 bringt keinen Nachweis (Stand: 4. November 2005).
kleine Flugschrift beweist. Sie liegt heute in Krakau und gehört zu der im 19. Jahrhundert angelegten Flugschriftensammlung der Preußischen Staatsbibliothek in Berlin. Der Berliner Katalog hat sie zum Jahr 1648 eingeordnet, sie kann aber erst 1649 erschienen sein

Der letzte Satz spielt an auf die Nachausfertigung IPO-NE sowie die schwed. Ratifikation für Kursachsen IPO-SRE, die Kursachsen (als Spitze des Corpus Evangelicorum) erhalten hatte und die erst im August 1649 in Dresden waren (Teilband 1, LXXXI sowie 95 und 175; außerdem die Schlußrelation Leubers, Dresden, 1649 Juli 24/August 3: SHStA Dresden, Geh. Rat (Geh. Archiv), Locat 8132/5 fol. 213–225: Ausfertigung). In Nürnberg kannte man am 11. September 1649 die Flugschrift aufgrund einer mündlichen Mitteilung ( Das Nürnberger Buchgewerbe Nr. 163).
. Lei-

[p. 162] [scan. 210]

der ließ sich über die näheren Umstände dieser Publikation, vor allem über den Drucker, nichts Weiteres ermitteln. Sie ist gewiß einem protestantischen Reichsstand zuzuordnen, der eine bessere Publikation der Reichsdrucksachen wünschte, vielleicht einem der sächsischen Herzogtümer.
Im Titel dieser Druckschrift, die nur vier bedruckte Seiten in Quart umfaßt, heißt es Anerinnerung und Verwarnung. Das verspricht politische Polemik – moderat, aber deutlich. Es geht vornehmlich um die gedruckten kurmainzische Ausgaben der Übersetzungen der Friedensschlüsse, faktisch allein um die Übersetzungen des IPO. Wie am 3. April 1649 im Corpus Evangelicorum zu Münster wird Fischer/Heyll der Anspruch bestritten, sich auf die kaiserlichen und kurmainzischen Schutzbriefe auch für die deutsche Übersetzungen berufen zu dürfen. Rechtsgültiger Text sei ohnehin allein die beim Reichsdirektorium hinterlegte lateinische Urkunde. Niemals hätten die Kontrahenten des Vertrags sich über eine deutsche Privatversion verständigt. Auch sprachlich aber sei der Text, den nur ein vnerfahrner Scholar habe liefern können, inakzeptabel, so daß fast der mehrertheil ůberhaupt unrichtig ist. Ergo: Allein die vnterschriebene / besiegelte / [und] ratificierte Urkunde in kaiserlicher, schwedischer, kurmainzischer und kursächsischer Hand (oder davon direkt abgeleitete Abschriften) böten einen verläßlichen Text. Dieses Urteil verkennt zwar, daß auch die genannten urkundlichen Ausfertigungen nicht bis in die letzten Details hinein völlig identisch und verläßlich sind. Aber das können wir erst wissen, seitdem 1998 ein kritisch gesicherter lateinischer Text vorgelegt worden ist. Für die Bedürfnisse von 1648/49 genügten offenbar die lateinischen IPO-Ausgaben, im Unterschied zu den deutschen Übersetzungen.

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