Acta Pacis Westphalicae III A 3,3 : Die Beratungen des Fürstenrates in Osnabrück, 3. Teil: 1646 / Maria-Elisabeth Brunert

VI. Das Verhältnis des Fürstenrats Osnabrück zum Corpus Evangelico-rum und zum Corpus Catholicorum; die Gravaminaverhandlungen

Im Februar und März 1646 gehörten mehr als vier Fünftel der Reichs-stände des Fürstenrats Osnabrück dem Corpus Evangelicorum an. Fak-tisch bildeten sie das Corpus Evangelicorum, denn in diesen Monaten nah-men an dessen Sitzungen im wesentlichen nur Fürstenratsmitglieder teil

Zu den Zahlen s. oben bei Anm. 53, zu den Mitgliedern des CE Wolff, Corpus Evan-gelicorum, 94.
. Der Fürstenrat Osnabrück bestand somit de facto aus dem Corpus

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Evangelicorum unter Einschluß einzelner katholischer Gesandter, deren Position dadurch etwas verbessert wurde, daß mit Österreich einer der Ihren das Direktorium führte. Durch vorher vereinbarte Voten, durch Eingabe gemeinsam beschlossener Schriftsätze

Zum Votum commune zu Amnestie und Restitution, praes. 1646 III 5, s. Nr. 109 bei Anm. 17; zum Schriftsatz des CE zur Friedensgarantie, praes. 1646 III 15, s. Nr. 115 bei Anm. 34; zu den ev. Gravamina politica, praes. 1646 III 17, s. Nr. 116 bei Anm. 16; zum Schriftsatz des CE betr. Handelsfragen, verlesen 1646 IV 27, s. Nr. 120 bei Anm. 20.
und durch die Forde-rung, daß diese in Correlation und Reichsbedenken aufgenommen werden müßten, versuchten die evangelischen Reichsstände, dem Fürstenrat ihren Willen aufzunötigen. Ihre Taktik wurde am 8. Februar bei der Beratung über die Amnestie offenbar, ihr Postulat nach Berücksichtigung ihrer Min-derheitsvoten zuerst am 13. Februar bei Bekanntgabe der Mehrheits-„Meinung“ des Fürstenrats Münster zur Amnestie nachdrücklich aus-gesprochen

Siehe Nr. 98 und Nr. 101.
. Die katholischen Reichsstände mit dem Österreichischen Direktor an der Spitze reagierten zurückhaltend; das Verhalten der Evan-gelischen wurde in den Sitzungen weder kommentiert noch kritisiert, die eingereichten Schriftsätze wurden nicht zurückgewiesen. Richtersberger wußte, daß sie in gemeinsamen Sitzungen Absprachen für den Fürstenrat trafen, wie die Erwähnung einer solchen Sitzung im österreichischen Pro-tokoll beweist: Der erst bei der Re- und Correlation am 27. April vor-getragene Schriftsatz des Corpus Evangelicorum über Handelsfragen sei, so heißt es dort, in conciliabulo Magdeburgico zusammengestellt wor-den

Siehe S. 421 Z. 28f. Das CE tagte im Magdeburger Quartier. conciliabulum bezeichnet normalerweise eine Kirchenversammlung, deren Mitglieder der Irrlehre beschuldigt wer-den, oder im verächtlichen Sinn ein kleines, nicht rechtmäßiges Konzil ( Campe I, 249; Sleumer, 228).
. Diese herabsetzende Charakteristik paßt zu der stillschweigenden Mißbilligung, mit der die katholischen Fürstenratsmitglieder dem Verhal-ten der Evangelischen begegneten. Sie steht auch damit im Einklang, daß die auf Reichstagen seit langem praktizierten Separatzusammenkünfte der Protestanten offiziell weder vom Kaiser noch von der katholischen Mehr-heit anerkannt worden waren

Wolff, Corpus Evangelicorum, 3. Das CE konstituierte sich erst 1653 als formelle Reichstagsinstitution ( Repgen, Corpus Evangelicorum, 1320). – Der Begriff Corpus Evangelicorum taucht demgemäß in den FR-Protokollen nie auf, ebensowenig der Be-griff Corpus Catholicorum. Beide werden hier benutzt, da sie für die Bezeichnung der Separatverhandlungen der konfessionellen Parteien auf dem WFK gebräuchlich sind.
.
Die kritische Einstellung des Fürstenratsdirektors betraf allerdings nicht unterschiedslos alle Verlautbarungen der Evangelischen. Als Sachsen-Al-tenburg am 5. Februar nomine der herren evangelischen bat, die Ver-handlungen über die Gravamina ecclesiastica möchten befördert wer-den

Siehe S. 36 Z. 9–13.
, war Richtersberger bereit, sich dafür einzusetzen. Die Gravamina sollten jedoch nicht in den Reichstagskollegien, sondern gesondert durch

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Deputierte beider Konfessionsparteien behandelt werden . Die Evangeli-schen zählten sie zu den wichtigsten Gegenständen überhaupt

Siehe S. 36 Z. 14.
und drängten auf den Beginn direkter, mündlicher Verhandlungen, während die im Corpus Catholicorum zusammengeschlossenen katholischen Reichs-stände den Behandlungsbeginn verzögerten

Bayern und Würzburg fanden sich zur Behandlung der Religionsbeschwerden auf dem WFK nur zögernd bereit ( Jürgensmeier, 74f; Immler, 279–298; Albrecht, Maximilian, 1033–1041); zur Haltung beider s. auch oben bei Anm. 113, zu den Gravaminaverhand-lungen insgesamt und zur ksl. Position s. Wolff, Corpus Evangelicorum, 151–176; Rep-gen, Hauptprobleme, 412.
. Richtersberger kam dem Wunsch der Evangelischen nach und konnte schon am 10. Februar im Für-stenrat bekanntgeben, daß die katholischen Gegenbeschwerden nunmehr vorlägen, was einen baldigen Beginn der mündlichen Verhandlungen er-hoffen ließ

Siehe Nr. 100 bei Anm. 5.
. Am 21. Februar gab er während der Fürstenratssitzung be-kannt, daß die herrn catholischen einen Beschluß über die Gravamina überschickt hätten. Trauttmansdorff hatte Richtersberger aus dem Sit-zungssaal rufen lassen, um ihm diese Information zu übermitteln, und die-ser richtete den Evangelischen sogleich aus, daß Trauttmansdorff wegen dieser Angelegenheit eine Deputation erbitte

Siehe Nr. 106 bei Anm. 56.
. Diese Unterbrechung der Fürstenratssitzung zeigt, wie wichtig sowohl Trauttmansdorff als auch Richtersberger die Gravaminaverhandlungen nahmen. Beide erkannten in diesem Zusammenhang auch die Evangelischen im Fürstenrat und damit das Corpus Evangelicorum als zuständiges Gremium an. Die Kritik richtete sich demnach gegen das Engagement des Corpus Evangelicorum in all-gemeinpolitischen Fragen, nicht gegen seinen Einsatz für konfessionelle Be-lange und die Gravaminaverhandlungen, die seit der Reformation faktisch in seinen Zuständigkeitsbereich gefallen waren

Entsprechend fiel auch die (von Richtersberger inspirierte) Kritik Lambergs und Kranes beim Ks. vom 22. März 1646 aus ( APW II A 3, 436 Z. 9f). Zu der Behandlung der Gravamina durch das CE s. Repgen, Corpus Evangelicorum, 1320.
. – Das Corpus Catholi-corum wird im übrigen nur im Zusammenhang mit dieser Vermittlungs-aktion Richtersbergers erwähnt; der Fürstenrat Osnabrück als solcher un-terhielt keine Kontakte zu dieser Vertretung der katholischen Reichsstände.

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