Acta Pacis Westphalicae III A 3,3 : Die Beratungen des Fürstenrates in Osnabrück, 3. Teil: 1646 / Maria-Elisabeth Brunert

1. Die Zusammenarbeit der Direktoren bei der Zusammenstellung der Propositionen, Conclusen und Correlationen

Richtersberger hat die Vorstellung eines in sich geeinten und nur örtlich getrennten Fürstenrats einmal in die Worte gefaßt: Es gebe nur einen Für-stenrat, nur ein Kollegium und daher auch nur ein Direktorium

Siehe S. 112 Z. 26f.
. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, bedurfte es vielfältiger Absprachen über einheitliche Propositionen an beiden Orten, über die Formulierung der Gesamtberatungsergebnisse (conclusae) und die daraus zusammenge-setzten Fürstenratscorrelationen sowie über eine zeitliche Koordination der Beratungen:
Übereinstimmende Propositionen waren die Voraussetzung dafür, daß die Beratungsergebnisse zu einem Gesamtresultat zusammengefaßt werden konnten. Wie die Beratung des Fürstenrats Osnabrück am 13. März zeigt, teilten sich die Direktoren den Wortlaut ihrer Propositionen mit. Da die französischen Satisfaktionsforderungen zunächst (am 1. März) in Münster Beratungsgegenstand gewesen waren, zitierte Richtersberger wörtlich die dortige Proposition und stellte sie in Osnabrück zur Umfrage

Siehe S. 282 Z. 5–16.
. Ebenso

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informierten sich die Direktoren untereinander über die Beratungsergeb-nisse. Da die Beratung über einen bestimmten Gegenstand nie am selben Tag an beiden Orten vorgenommen wurde, sondern immer ein Fürstenrat zeitlich voranschritt, wurde dessen Beratungsergebnis dem jeweils ande-ren mitgeteilt. War kein einheitliches Beratungsergebnis zustande gekom-men, wurde die Mehrheits- und die Minderheits-„Meinung“ überschickt. Erst wenn auch der andere Teilfürstenrat die Beratung abgeschlossen hat-te, ergab sich bei Addition aller Voten aus den „Meinungen“ der beiden Teilfürstenräte das Endresultat: das conclusum des Gesamtfürstenrats

Diese Terminologie ist in den Protokollen nicht immer gleichmäßig verwendet worden. So meint z. B. das im FRO am 13. Februar bekanntgegebene conclusum per maiora die Mehrheitsmeinung des FRM vom 10. Februar 1646 (s. dazu [Nr. 101 Anm. 5] ). Zu den terminologischen Schwierigkeiten angesichts ao. Verfahren in einer neuen Situation s. oben Anm. 143.
. Dieses Verfahren wurde bald durch die Evangelischen im Fürstenrat Os-nabrück in Frage gestellt. Sie forderten, daß ihr einstimmiges Votum, das angesichts der eindeutigen Mehrheitsverhältnisse im Gesamtfürstenrat als Minderheitsmeinung entfallen wäre, im Gesamt- Conclusum, in der Cor-relation des Fürstenrats und im Reichsbedenken, neben der Mehrheits-meinung gesondert aufgeführt werde. Die grundsätzliche Geltung des Mehrheitsprinzips wollten sie nicht in Zweifel ziehen. Nur in dieser be-sonderen Situation könne es nicht gelten, denn per maiora sei kein friede zu machen, die cronen würden sich an die maiora durchaus nicht [...] binden laßen, und man dürfe die rechnung [nicht] ohne den wirth ma-chen

Siehe S. 111 Z. 33f, S. 109 Z. 18–21.
. Sie traten mit dieser Argumentation und generell mit ihrer For-derung nach Einbeziehung ihrer Minderheitsmeinung am 13. Februar 1646 hervor, als im Fürstenrat Osnabrück das Beratungsergebnis des Für-stenrats Münster zur Amnestie und pfälzischen Restitution bekanntgege-ben wurde:
Die katholischen Fürstenratsmitglieder waren im Prinzip mit der bislang vom Kaiser gewährten Amnestie einverstanden, indem sie die in den Re-gensburger Reichsabschied von 1641 aufgenommene Regelung akzeptier-ten, die eine Generalamnestie mit den Stichjahren 1630 für Personen und weltliche Sachen und 1627 für geistliche Sachen vorsah, davon aber aus-drücklich die kaiserlichen Erblande und die Pfalzfrage ausnahm, über die gesondert verhandelt werden solle. Diese Regensburger Amnestie war zu-nächst bis zur Aussöhnung aller Reichsstände mit dem Kaiser ausgesetzt (suspendiert) worden, doch hatte der Kaiser sie durch die Aufhebung die-ser Suspension (die cassation des effectus suspensivus) am 10. Oktober 1645 in Kraft gesetzt. Die katholischen Reichsstände des Fürstenrats Mün-ster hatten ihre Zustimmung vom 10. Februar allerdings an die Bedingung geknüpft, daß die Forderungen aller, die durch diese Regelung nicht zu-friedengestellt waren, angehört werden müßten und gesondert zu beraten

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seien

Zur Regensburger Amnestie von 1641 s. APW III A 3/1 [Nr. 19 Anm. 83] ; 3/2 [Nr. 32 Anm. 6] , 7. Die „Meinung“ der kath. Reichsstände im FRM wurde im FRO am 13. Fe-bruar als conclusum per maiora vom 10. Februar bekanntgegeben (s. Nr. 101 bei Anm. 6). Die kath. Ges. des FRO hatten am 8. Februar 1646 entsprechend, doch ohne die in Münster angehängte Bedingung, votiert (s. S. 77 Z. 8ff).
. Die Evangelischen im Fürstenrat Osnabrück forderten (bis auf Hessen-Darmstadt) einstimmig eine den Status quo ante bellum wieder-herstellende Amnestie mit dem Stichjahr 1618 in geistlichen und weltlichen Sachen

Siehe S. 77 Z. 11–15. Die ev. Minderheit im FRM hatte am 10. Februar ebenso gestimmt; ihr Votum ist angeführt in dem [Nr. 101 Anm. 2] nachgewiesenen Text. Zu Hessen-Darm-stadt s. oben bei Anm. 77.
. Sie hatten schon vor Beginn der Hauptberatungen vorausgese-hen, daß es in dieser Frage zu gegensätzlichen Auffassungen der konfessio-nellen Parteien kommen werde, so daß man sich alsbalt zustoßen werde

APW III A 3/2, 483 Z. 11f.
. Tatsächlich wurde der 13. Februar, an dem die Beratungsergebnisse des Fürstenrats Münster im Fürstenrat Osnabrück bekanntgegeben wurden, zum Kulminationspunkt, denn die Evangelischen machten seither die Be-rücksichtigung ihrer Minderheitsvoten zu ihrer zentralen Forderung. Ob Richtersberger dem Fürstenrat Münster darüber sofort berichtet hat, ist un-gewiß, denn in dieser Phase scheint die Kommunikation zwischen den Rä-ten nicht sehr intensiv gewesen zu sein

Am 16. Februar hatte Richtersberger keine Nachricht aus Münster (S. 153 Z. 23f); am 19. Februar konnte er drei Beratungsergebnisse aus Münster mitteilen, hatte aber noch keine Antwort auf die „Meinungen“ des FRO vom 6. Februar (S. 154f Z. 30–33, Z. 1–14; S. 164 Z. 11–14).
. Am 21. Februar verlas Richters-berger den ersten Entwurf der Correlation zu Klasse I der Repliken, den er aus den Mehrheitsbeschlüssen, wie sie sich bei Zusammenzählung der Vo-ten aus den beiden Teilfürstenräten ergaben, zusammengesetzt hatte. Sein Entwurf hatte Gültigkeit für beide Fürstenräte; ob Richtersberger ihn aber vor der Bekanntgabe in Osnabrück vom Fürstenratsdirektorium Münster hat billigen lassen, muß offenbleiben. Beratungspunkte, die zwar in Osna-brück, aber noch nicht im Fürstenrat Münster behandelt worden waren, hat er nicht aufgenommen

Siehe Nr. 106 bei Anm. 5.
. Die evangelische Mehrheit im Fürstenrat Osnabrück lehnte diesen Entwurf einstimmig ab, da ihre abweichenden „Meinungen“ zwar erwähnt (remissive einverleibet), ihre Argumente (ra-tiones) aber ausgelassen und somit ihre Forderungen vom 13. Februar nicht erfüllt seien. Sie verlangten erneut die Einfügung ihrer „Meinungen“ ein-schließlich ihrer Argumentation. Richtersberger wollte eine so schwerwie-gende Entscheidung, die vom Reichsherkommen abwich

Siehe S. 172 Z. 1ff, 12ff.
, nicht allein treffen und schrieb ratsuchend nach Münster

Ob er sich an das dortige FR-Direktorium oder mehrere Institutionen wandte, geht aus dem Protokoll nicht hervor (s. S. 186 Z. 10).
. Eine kontroverse Beratung am 23. Februar über das Re- und Correlationsverfahren (in dem herkömm-licherweise die Beratungsergebnisse der Kurien so lange miteinander ver-

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glichen wurden, bis ein einstimmiges Ergebnis vorlag

Zur Re- und Correlation nach Reichstagsherkommen s. Aulinger, 214ff.
) veranlaßte Rich-tersberger zu erneuten Briefen an den Fürstenrat Münster, den Kurfürsten-rat, das Reichsdirektorium und an Trauttmansdorff

Siehe S. 186 Z. 17–20; Nr. 109 bei Anm. 30.
. Am 28. Februar konnte er zwar drei in Münster formulierte conclusa bekanntgeben, hatte aber auf seine Anfragen noch keine Antwort erhalten

Siehe S. 202 Z. 10.
. Am 5. März konnte er wiederum ein Beratungsergebnis des Fürstenrats Münster mittei-len, doch fehlte immer noch die Antwort auf seine Briefe vom 21. und 23. Februar. Die evangelischen Gesandten erneuerten ihre Forderungen und übergaben ihr Votum commune über Amnestie und Restitution zur Ein-fügung in Correlation und Reichsbedenken. Richtersberger konnte nur darauf verweisen, daß ihm nach wie vor eine instruction aus Münster fehle. Dabei muß er an Trauttmansdorff gedacht haben, denn der Fürstenrat Münster konnte ihm sicherlich keine instruction erteilen. Am 8. März konnte er schließlich das Beratungsergebnis des Fürstenrats Münster über die Re- und Correlation und die Einfügung von Minderheitsvoten be-kanntgeben und in Osnabrück zur Umfrage stellen

Siehe Nr. 110.
. Auch scheint er nun die nötigen instructionen erhalten zu haben. Die Zustimmung des Für-stenrats Osnabrück zu den „Meinungen“ des Fürstenrats Münster konnte er durch geschickt geleitete Umfragen erreichen, so daß sein zweiter Corre-lationsentwurf zu Klasse I der Repliken am 10. März im Fürstenrat Osna-brück zur Umfrage gestellt werden konnte. Er hatte bereits den Direktoren des Fürstenrats Münster vorgelegen und war von ihnen gebilligt worden . Die örtliche Trennung der beiden Fürstenräte und die notwendige Eini-gung über Verfahrensfragen hatte zu einer Verzögerung von sechzehn Ta-gen geführt, die zwischen der Verlesung des ersten Correlationsentwurfs am 21. Februar und der Beratung über den zweiten Entwurf am 10. März verstrichen waren. Richtersberger schickte seinen zweiten Entwurf nach Billigung durch den Fürstenrat Osnabrück wahrscheinlich am 11. März an den Fürstenrat Münster . Auch danach fuhr er fort, die Osnabrücker Beratungsergebnisse dorthin zu senden

Er überschickte die „Meinungen“ des FRO vom 12. bis 17. März, ebenso die ev. Grava-mina politica (S. 381 Z. 15; oben bei Anm. 154).
. Am 17. März wurden die Bera-tungen im Fürstenrat Osnabrück vorläufig abgeschlossen. Die nächste Sit-zung fand am 17. April statt, nachdem die Salzburger Gesandten nach Os-nabrück gekommen waren, um ihren Correlationsentwurf zu Klasse II bis IV der Repliken im Fürstenrat zu proponieren. Nachdem Richtersberger die Correlation zu Klasse I federführend entworfen hatte, war nach dem Alternationsprinzip nun die Reihe am Salzburger Fürstenratsdirektorium, das die Correlation gemäß den Beratungsergebnissen beider Fürstenräte

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und von vornherein unter Einbeziehung der Minderheitsvoten ausgearbei-tet und bereits am 9. April im Fürstenrat Münster zur Umfrage gestellt hatte

Zur Ausarbeitung der Correlation s. S. 381 Z. 14f; zur Billigung des Entwurfs durch den FRM s. S. 380 Z. 18f; zum Datum s. das FRM -Protokoll vom 9. April 1646 ( StA Bam-berg Rep. B 33 Serie II Bd. 4 fol. 396’-403’).
. Im Fürstenrat Osnabrück wurde er am 17. April verlesen, am 19. April zur Beratung gestellt

Siehe Nr. 117, 118.
und noch während der Sitzung korrigiert. Dazu setzten sich der Salzburger und der Österreichische Direktor an einen Tisch und trugen die Änderungswünsche in das Manuskript ein. Diese rec-tification

Siehe Nr. 118 bei Anm. 69.
war wohl ihre unmittelbarste und intensivste Zusammen-arbeit. Die korrigierte Fassung wurde dem Kurmainzer Reichsdirektorium übergeben

Siehe Nr. 118 bei Anm. 88.
, das nun die Vorbereitungen zur Re- und Correlation treffen mußte, die am 26. und 27. April in beiden Kongreßstädten gleichzeitig in Plenarsitzungen der Reichskurien vorgenommen wurde.

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