Acta Pacis Westphalicae III A 1,1 : Die Beratungen der kurfürstlichen Kurie, 1. Teil: 1645 - 1647 / Winfried Becker
VORWORT
Die Edition der Protokolle der reichsständischen Beratungen des Westfälischen Friedenskongresses wirft besondere Methodenfragen auf. Es muß nämlich nicht nur, wie bei den Korrespondenzen, das umfangreiche und verstreute Material zusammen-gebracht und erläutert werden, sondern bereits die Entscheidung, welche Kriterien für die Konstituierung des Grund-Textes maßgeblich sein sollen, bildet ein historisches Problem sui generis. Daher hatte Fritz Wolff mit dem ersten Band der Proto-kolle des Corpus Catholicorum im Jahre 1970 ( APW III A 4, 1) methodisches Neuland zu betreten. Er konnte mehrere Textüberlieferungs-Gruppen ermitteln, von denen eine den in der Regel ausführlichsten und zuverlässigsten Text bot. Diese Provenienz wurde daher der Edition zugrunde gelegt; die notwendigen Ergänzungen wurden in den umfangreichen Variantenapparat verwiesen. Für die Kurfürstenrats-Protokolle war dieses Verfahren als durchgängiges Editions-Prinzip nicht anwendbar. Das Dilemma besteht hier darin, daß es nicht nur nie „zu einem Protokoll des Kurfürstenrates anstelle der Protokolle i m Kurfürstenrat gekommen ist“ (S. CV), sondern daß sechs Überlieferungsstränge vorhanden sind, von denen keiner für sich allein als „bester“ oder „vollständigster“ Text bezeichnet werden darf. Daher kann die Edition sich für die Auswahl des Grund-Textes nicht nur auf eine einzige Provenienz stützen; sie muß neben den durchgängigen formalen auch die teilweise von Sitzung zu Sitzung und Tagesordnungspunkt zu Tagesordnungs-punkt wechselnden inhaltlichen Kriterien berücksichtigen, nach denen sich entscheiden läßt, was Grund-Text und was Variante sein soll. Die Gesichtspunkte, die dabei im einzelnen beachtet wurden, hat Herr Dr. Winfried Becker in der Einleitung ausführlich dargelegt. Dabei hat er seine konkreten aktenkundlichen und editorischen Probleme im Kontext ihrer historischen und methodologischen Prämissen und Konsequenzen erörtert. Diese Ausführungen an dieser Stelle könnten von dem einen oder anderen übersehen werden. Es sei daher eigens darauf hingewiesen. In dieser Form der Explikation spiegelt sich selbstverständlich auch die geistige Landschaft, in welche die deutsche Geschichtswissenschaft gelangt ist, die sich schweren Anfechtungen von innen und außen ausgesetzt sieht. Dabei wird das Feld der Dis-kussion fast mehr von theoretisch (zum Teil auch weltanschaulich) Interessierten be-herrscht als von solchen, die sich durch wissenschaftliche Erfahrung auszeichnen. Wenn sich in derartigen Fragen auch junge Gelehrte zu Wort melden, die die hohe Kunst einer anspruchsvollen Edition, wie es die vorliegende Publikation ist, gelernt haben und be-herrschen, so ist dies zu begrüßen. Denn die Zukunft der Geschichtswissenschaft hängt wesentlich mit davon ab, daß diejenigen, die sie weiterhin handwerklich solide betreiben wollen und können, der wissenschaftlichen Öffentlichkeit und dem interessierten Publi-kum zu begründen vermögen, warum sie mit ihrer Methode auf einem richtigen Wege sind und warum auch geschichtliche Phänomene, die sich schon vor-vorgestern ereignet haben, heute noch durchaus „aktuell“ sein können. Dies ist um so wichtiger, als für die Acta Pacis Westphalicae zum ersten Male seit dem Beginn der Publikation die Weiterführung der staatlichen Finanzierung nicht mehr als ungefährdet zu gelten hat. Wenn das zügig voranschreitende Unter-nehmen – derzeit sind vier weitere Bände im Satz – nicht mittendrin abgebrochen werden soll, müssen organisatorische Veränderungen vorgenommen werden, die admini-strativ erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Wir hoffen, daß eine befriedigende Lösung gefunden werden kann, und werden dazu unsererseits nach besten Kräften beitragen, da Wissenschaftsorganisation nicht Selbstzweck ist, sondern sich als Mittel zum Zweck rechtfertigt. Im übrigen hat unsere Planung sich aufgrund der Ergebnisse des vorliegenden Bandes etwas verändert. Ihm wird ein zweiter Band mit Protokollen der kurfürstlichen Beratungen folgen, so daß der ursprüngliche Gedanke, alle reichsständischen Beratun-gen von 1648 in einem eigenen Band der Unterabteilung Protokolle zusammenzu-fassen (vgl. APW III A 4, 1 S. VII) fallen gelassen worden ist. Hingegen ist entschieden, daß auch die Protokolle der Beratungen der Städtekurie publiziert werden sollen. Die Vorarbeiten an diesem Manuskript dürften in naher Zukunft abgeschlossen sein. Bonn, den 12. Februar 1975 Konrad Repgen