Acta Pacis Westphalicae II B 4 : Die französischen Korrespondenzen, Band 4: 1646 / Clivia Kelch-Rade und Anuschka Tischer unter Benutzung der Vroarbeiten von Kriemhild Goronzy und unter Mithilfe von Michael Rohrschneider

1. Politisch-militärischer Rahmen

Der Feldzug von 1646 hatte für die Franzosen vielversprechend begonnen. In Italien drangen sie seit Mai 1646 die toskanische Küste entlang nach Süden vor und setzten damit nicht nur ihren Kriegsgegnern zu, sondern zwangen auch den Papst zu einer Regelung der verschiedenen strittigen Punkte, die das gegenseitige Verhältnis seit langem belasteten

Nr. 1; vgl. Mazarin, Lettres II S. 326 und 328f.
. Militärisch zielte Frankreich auf die spanischen Festungen des Stato dei Presidii und belagerte seit dem 15. Mai 1646 Orbetello

Chéruel, Minorité II S. 201.
. Den Vorstoß leitete der Herzog von Brézé als surintendant général de la navi-gation et du commerce

Das Amt entsprach dem eines Admirals von Frankreich, das 1627 abgeschafft worden war; vgl. [nr. 37 Anm. 6] .
. Während in Paris schon Gerüchte über die Einnahme der Stadt kursierten

Nr. 22.
, lieferten sich die Franzosen am 14. Juni vor Orbetello mit

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den Spaniern eine Seeschlacht, aus der sie zwar siegreich hervorgingen, aber mit Brézé den Kommandanten ihrer Flotte verloren

Chéruel, Minorité II S. 206–209; vgl. nr.n 37, 45.
. Andere widrige Umstände be-gleiteten die Belagerung, die nach letzten Anstrengungen am 15. Juli 1646 abge-brochen werden mußte

Chéruel, Minorité II S. 212ff.; Bazin III S. 335; Mazarin, Lettres II S. 311. Vgl. nr.n 38, 45, 77, 94.
.
Frankreich gelang es jedoch, die Lage in Italien im Herbst 1646 durch eine rasche Reorganisation seiner Kräfte wieder zu wenden. Das Kommando übertrug Köni-gin Anna, welche selbst die surintendance générale de la navigation et du com-merce übernommen hatte, den Marschällen La Meilleraye und du Plessis-Pras-lin

Nr. 43. Zur Übernahme des Kommandos s. Mazarin, Lettres II S. 322.
. Ziel war erneut der Stato dei Presidii. Statt eines zweiten Angriffs auf Orbe-tello, den Mazarin freigestellt hatte, entschieden sich die Marschälle für eine Bela-gerung des weiter nordwestlich gelegenen Porto Longone auf Elba. Piombino er-gab sich nach nur viertägiger Belagerung am 8. Oktober 1646, seine Zitadelle drei Tage später. Damit war Porto Longone isoliert und kapitulierte am 29. Ok-tober

Chéruel, Minorité II S. 295–299; vgl. nr.n 193, 197, 221, 257.
. Mazarin dachte bereits an den dauerhaften Besitz dieser strategischen Schlüsselposition

Nr.n 222, 223, 224.
. Zunächst aber hatte Frankreich sich eine gute Ausgangsposi-tion für die Kampagne des Jahres 1647 verschafft, denn von Porto Longone aus war es möglich, das Königreich Neapel anzugreifen, wo Mazarin einen nur noch schwachen Rückhalt der spanischen Regierung sah

Nr.n 219, 233, 240.
.
Erfolgreich begann der französische Feldzug auch in den Spanischen Niederlan-den

Eine Liste der französisch besetzten Plätze in den Spanischen Niederlanden wurde den Gesand-ten als Beilage zu nr. 222 übersandt.
. Nachdem die Oberbefehlshaber, Orléans und Enghien, Anfang Juni 1646 ihre Truppen in Arras vereinigt hatten, marschierten sie auf Courtrai (Kortrijk) zu und belagerten die Stadt, die sich am 29. Juni ergab

Chéruel, Minorité II S. 225–228; vgl. nr.n 18, 22, 23, 49.
. Dieser Erfolg bereitete Mazarin ebenso wie den Bevollmächtigten besondere Genugtuung, denn den Spa-niern und den militärisch nach wie vor passiven Generalstaaten wurde damit gezeigt, daß Frankreich auch ohne seine Alliierten erfolgreich sein konnte

Nr.n 18, 23, 51, 86. Welche Erleichterung Mazarin über den erfolgreichen Flandern-Feldzug auch ohne ndl. Hilfe empfunden hat, läßt sich noch an einem fünf Jahre später von ihm ge-schriebenen Brief ablesen, der die Ereignisse des Jahres 1646 rekapitulierte; Mazarin, Lettres IV S. 102.
. Die französische Armee bewegte sich danach auf die Nordseeküste zu. Am 31. Juli 1646 nahm der Herzog von Orléans Bergues-Saint-Vinox

Nr.n 94 und 111; Chéruel, Minorité II S. 231f.
, am 25. August ergab sich Mardijk. Die französischen Angreifer wurden, nach langem Drängen, nun auch durch die Flotte der Generalstaaten unterstützt, doch die im Landesinnern erwartete, weitere Entlastung durch den Prinzen von Oranien blieb aus. Mit der

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Einnahme Mardijks war der Weg frei für die Blockade Dünkirchens, die am 19. September 1646 begann und am 11. Oktober mit der Übergabe der Stadt an den Herzog von Enghien endete. Frankreich zahlte jedoch für seine Siege an der flan-drischen Küste mit hohen Verlusten

Nr.n 105, 115, 117, 124, 193, 196, 197; Chéruel, Minorité II S. 232ff. und S. 253–257.
.
In Deutschland gestaltete sich der Feldzug

Zu seinem Verlauf s. die Karten bei Croxton S. [362–365], Bérenger S. [536] und Fe-mern S. [168], [180].
zeitweilig heikel. Die Beschädigung einer Schiffbrücke bei Oberwesel verhinderte einen raschen Rheinübergang der französischen Armee. Sie marschierte unter dem Befehl Turennes über 200 km rheinabwärts, bis sie auf der Höhe von Wesel, in Gegenwart der französischen Gesandten, die den Empfang der Herzogin von Longueville zum Anlaß genom-men hatten, der Operation selbst beizuwohnen, den Strom am 19. Juli 1646 über-querte

Bérenger S. 232f.; nr. 91; Turenne an Mazarin, Schwartzenstein 1646 Juli 21, Ausf.: AE , CP All. 66 fol. 188–189; Druck: Marichal S. 285ff.
. Durch den verspäteten Rheinübergang verzögerte sich auch die geplante Vereinigung der französischen mit den schwedischen Truppen. Die schwedische Armee, in der Carl Gustav Wrangel das Oberkommando im Reich zunächst in-formell, ab Juni 1646 offiziell anstelle des schwerkranken Torstenson übernom-men hatte, brachte dies in eine bedrohliche Lage, denn zwischen ihr und ihren Verbündeten stand die vereinigte kaiserlich-bayrische Reichsarmada

Nr. 7; zur Situation der schwed. Armee s. Steckzén S. 58–84. Turenne berichtete den Ge-sandten am 21. Juni von der Vereinigung der ksl. mit der bay. Armee bei Frankfurt (Turenne an Longueville, d’Avaux und Servien, Oberwesel 1646 Juni 21, Kopie: AE , CP All. 66 fol. 78). Salvius machte in Schreiben an Königin Christina vom 6./16. Juli und vom 27. Juli/6. August 1646 den langsamen Marsch Turennes unmittelbar für militärische Rückschläge Schwedens verantwortlich; APW II C 2 nr. 147 S. 365 und nr. 157 S. 397f.
. Den Fran-zosen kam die Verzögerung nicht ungelegen. Ihnen wäre eine Konzentration der eigenen Kräfte zum weiteren Vorstoß auf Luxemburg und damit auf habsburgi-sches Gebiet lieber gewesen als ein französisch-schwedischer Zug nach Süddeutsch-land und damit Bayern, zumal ein erfolgreicher Feldzug in Flandern und zu-gleich in Luxemburg demonstriert hätte, daß Frankreich selbst ohne Verbündete eine erfolgreiche Militärmacht sei

Vgl. Croxton S. 271.
. Lange hatte die französische Regierung mit den Bevollmächtigten in Münster diskutiert, ob sich die Truppenvereinigung nicht doch noch vermeiden lasse. Man stand dabei vor einem Dilemma: Verzö-gerte oder vermied man die Vereinigung, setzte man Schweden unkalkulierbaren Risiken aus. Einzig d’Avaux scheute diese nicht und wünschte den Schweden an-gesichts ihrer bedrohlich werdenden Stärke im Reich durchaus ein zweites Lüt-zen

Nr. 31; vgl. auch nr.n 8 und 19.
. Seine Kollegen und die Regierung in Paris dagegen fürchteten nicht nur eine empfindliche militärische Schwächung des Verbündeten bei Vermeidung der Truppenvereinigung, sondern auch dessen Mißtrauen gegenüber Frankreich, das katastrophale politische Folgen nach sich ziehen könne. Vereinigten sich allerdings

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die französischen mit den schwedischen Truppen, gerieten Bayern und andere ka-tholische Reichsstände in höchste Gefahr. Eine allgemeine Waffenruhe, die die Franzosen den Bayern im Frühjahr 1646 in Aussicht gestellt hatten, scheiterte am Widerstand Schwedens. Eine Waffenruhe Schwedens und Frankreichs mit Bayern allein konnte ebenfalls nicht erreicht werden

Nr.n 10, 11; APW IIB 3 S. LXVII.
. Erst im Oktober zeichneten sich ernsthafte Verhandlungen darüber ab, die 1647 in die Ulmer Waffenstillstands-gespräche mündeten

Nr. 222; vgl. Immler S. 398–408.
. Mazarin entschied schließlich, daß eine Gefährdung des Bündnisses nicht riskiert werden dürfe, ja er hoffte, daß zusätzlicher militärischer Druck auf den Kaiser und auf Bayern vielleicht auch Nachgiebigkeit bei dem einen oder dem anderen bewirken würde. Die Truppenvereinigung wurde im Juni 1646 angeordnet

Zur Diskussion und Entscheidung darüber s. nr.n 7, 8, 10, 11, 15, 19, 22, 23, 30, 31; vgl. auch nr.n 135, 222; zur bayrischen Fehleinschätzung, wie Frankreich sich nach Regelung seiner Satisfaktion militärisch verhalten werde, s. Immler S. 392.
.
Wie politisch berechtigt diese strategische Entscheidung war, zeigte sich bald. Als sich Turennes Rheinübergang und damit der Marsch in Richtung der schwedi-schen Armee noch verzögerte, konfrontierte Oxenstierna die französischen Ge-sandten auf dem Kongreß nicht nur mit Beschwerden, sondern auch mit Gerüch-ten über den Abschluß einer separaten französisch-bayrischen Waffenruhe

Nr.n 60 und 71; vgl. APW II C 2 nr. 142 S. 355 und nr. 150 S. 371f.
. Zu-dem registrierten die Franzosen angesichts der verzögerten Militäraktionen bei ihren Gegnern eine nachlassende Verhandlungsbereitschaft

Nr.n 84 und 88.
. Sie konnten ihren Verbündeten mit der Zuführung eines Kontingents neu ausgehobener Truppen unter Tracy beruhigen

Nr.n 84, 85, 87; d’Avaugour an Mazarin, Feldlager bei Amöneburg 1646 Juli 17, Ausf.: AE , CP Suède 8 fol. 568–571’; Tracy an Mazarin, Staufenberg 1646 August 1, Ausf.: AE , CP All. 66 fol. 215–216; Druck: Marichal S. 291ff. Vgl. Croxton S. 290.
, und am 10. August 1646 kam es schließlich zwischen Gießen und Wetzlar zur geplanten Truppenvereinigung unter Turenne und Wrangel

Bérenger S. 233; nr. 112; die näheren Umstände werden geschildert in dem Advis du camp près de Hanau, 1646 August 18, Kopie: AE , CP All. 66 fol. 258–259’. Trauttmansdorff schätzte die Lage für die Reichsarmada nach der erfolgten frz.-schwed. Vereinigung als be-drohlich ein; s. APW II A 4 nr. 314.
.
Turenne verstand es, die Reichsarmada geschickt auszumanövrieren, so daß er mit seinen Verbündeten weitgehend kampflos in südöstliche Richtung marschieren konnte. Sie überschritten die Donau, fielen in Bayern ein und wandten sich dann wieder westwärts. Die Belagerung von Augsburg jedoch scheiterte am 13. Okto-ber 1646, was die Franzosen mit einer gewissen Erleichterung zur Kenntnis nah-men. Sie hofften, Schweden werde sich nun in den Verhandlungen kompromißbe-reiter zeigen. Die französischen und schwedischen Truppen zogen sich aus Bayern zurück und unternahmen, abgesehen von einem nochmaligen kleinen Vorstoß,

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keine Aktion mehr in diese Richtung. Mit ihrem Winterquartier im schwäbischen Gebiet jenseits des Lech

Zu den Winterquartieren s. die Karte Femern S. [188].
standen sie indes zum Angriff auf Bayern bereit. In Münster hatten die französischen Gesandten sich mit den bitteren Klagen der bayrischen Deputierten Haslang und Krebs über den geschilderten militärischen Vorstoß auseinanderzusetzen. Kurfürst Maximilian hatte sich in den ersten Mona-ten des Jahres 1646 beim Kaiser erfolgreich für die französische Satisfaktion ein-gesetzt. Die französischen Gesandten hatten im Gegenzug ihre Absicht erklärt, sich für die Interessen Bayerns und für eine allgemeine Waffenruhe zu verwenden. Eine offizielle Verpflichtung waren sie freilich nicht eingegangen

Zur Rolle Bayerns bei der Durchsetzung der frz. Satisfaktion gegenüber dem Ks. sowie zur frz.-bay. Kongreßpolitik zwischen März und Juni 1646 siehe APW II B 3 S. XXXVIIIf, XLV, LIII-LVI, LXVII-LXX; Immler S. 219–250.
. Servien ver-trat ohnehin die Ansicht, es sei erforderlich, daß Bayern seine Forderungen zu-rückschraube. Als die Gesandten des Kurfürsten zudem versuchten, zugunsten Lothringens zu vermitteln, wies er sie rüde an, sich aus diesen Angelegenheiten herauszuhalten

Nr. 21.
.
Allgemein sah sich die französische Regierung durchaus verpflichtet, fest für die bayrischen Interessen einzustehen

Nr. 77.
, doch stand diese Verpflichtung in Wider-spruch zur Bündnispolitik gegenüber Schweden. Als Krebs und Haslang darauf verwiesen, daß Bayern sich nachdrücklich für die französischen Interessen einge-setzt habe und daß die bayrische Armee angewiesen sei, keine Angriffe gegen fran-zösische Stellungen zu unternehmen

Vgl. auch Immler S. 311f.
, verteidigten die französischen Unterhänd-ler sich mit dem Hinweis, daß Frankreich die Truppenvereinigung so lange wie möglich verhindert habe und Turenne mehrmals aufgefordert worden sei, Bayern möglichst zu schonen. Sie waren über das weite Vordringen, das im übrigen auch durch erhebliche Führungsfehler der kaiserlichen und bayrischen Befehlshaber er-möglicht worden war

Immler S. 320ff.; Steckzen S. 94; vgl. auch Ruppert S. 142 Anm. 27. Croxton S. 111f sieht in der Unfähigkeit der ksl. Befehlsführung – angefangen bei den Oberbefehlshabern Ehg. Leopold Wilhelm und Peter Melander selbst –, mit der bay. zusammenzuarbeiten, den eigent-lichen Grund für die Schwächung der militärischen Position Bayerns, die dann zu den Ulmer Waffenstillstandsverhandlungen führte. Vgl. auch Kf. Maximilians Beschwerden über das mi-litärische Vorgehen Ehg. Leopold Wilhelms in den folgenden Monaten, die Ende 1646 mit dessen Rücktritt endeten; APW II A 5 nr. 27 Beilage [2] S. 49f., nr. 33 Beilage [1] S. 63f. swie S. XLIX.
, selbst nicht glücklich, konnten aber nicht ihre Kriegsgeg-ner um den Preis einer Entzweiung mit den Verbündeten schonen. Das einzige Angebot, zu dem sie sich bereit zeigten, war der Abschluß einer separaten Waffen-ruhe Bayerns mit den verbündeten Mächten

Nr.n 188, 202, 203, 207, 235.
.
Eine empfindliche Niederlage erfuhr die französische Kampagne 1646 in Katalo-nien. Seit Mai 1646 belagerte Harcourt Lérida. Die Belagerung zog sich über ein

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halbes Jahr hin. Trotz der langen Dauer und der Tatsache, daß die Stadt stark befestigt war und gut verteidigt wurde, hatten die Franzosen zunächst kaum Zweifel, daß ihnen die Eroberung gelingen werde. Für die Spanier war dieser Ort eine Schlüsselposition zur Rückgewinnung Kataloniens, für die Franzosen war er ein zentraler Stützpunkt zu dessen militärischer Sicherung, der gegebenenfalls als Einfallstor nach Aragón dienen konnte

Zur Bedeutung Léridas vgl. nr.n 193 und 197.
. Die Spanier, die Lérida erst 1644 er-obert hatten, waren fest entschlossen, die Stadt zu halten. In Frankreich jedoch rechnete man mit einem Sieg und richtete die Verhandlungen an dieser Erwar-tung aus

Vgl. nr.n 180, 193.
. Erst Mitte Oktober äußerte Mazarin gegenüber den Bevollmächtigten in Münster Zweifel an den optimistischen Lageberichten Harcourts

Nr.n 195 und 197; positive Aussichten vermittelte dennoch weiterhin Brienne in nr. 208.
, und der Zweifel war berechtigt: In der Nacht vom 21. auf den 22. November 1646 ge-lang es einem spanischen Heer unter Leganes, den Ort zu entsetzen – ein militä-risches Ereignis von großem politischem Gewicht

Chéruel, Minorité II S. 63, 301–304.
.

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