Acta Pacis Westphalicae III C 4 : Diarium Lamberg: 1645-1649 / Herta Hageneder
2. Der Inhalt des Diariums
Das Diarium Lamberg zählt zu den privaten Tagebüchern der Kongreßgesand-ten; es ähnelt also dem Tagebuch, das der Mediator und päpstliche Nuntius Fabio Chigi geführt hat, obgleich es sich mit diesem weder nach Inhalt noch Umfang messen kann
Das Tagebuch Chigi liegt jetzt vor in den
APW III C 1,1.
. Es diente dem Grafen wahrscheinlich als eine Art Notizbuch, zur persönlichen Erinnerung an seine erste größere und bedeutendste Mission im Auftrag des Kaisers. Später verfaßte Lamberg keine derartigen Aufzeichnungen mehr, auch nicht als Gesandter in Spanien
Jedenfalls ist im Zentralarchiv Lamberg nichts überliefert; Briefschaften Johann Maximilians hingegen sind in staatlicher Anzahl vorhanden (vgl. O. Ö. LA HASteyr, Bestand Familienarchiv, Korrespondenzen).
. Über den Inhalt des Tagebuches hat Hans
Sturmberger bereits vor längerer Zeit eingehend gehandelt
Sturmberger,
Tagebuch S. 275–289.
. Wie er zeigen konnte, darf man sich keine näheren Aufschlüsse über den Gang der Verhandlungen am Westfälischen Friedenskongreß erwarten. Es führt uns einen Edelmann der Barockzeit vor Augen, den besonders das höfische Zeremoniell und die Etikettefrage beschäftigten, die weltpolitischen Auseinan-dersetzungen dagegen weniger berührten, zumindest aber nicht der Nieder-schrift wert waren
Vgl. z. B. die Eintragungen Lambergs am 11. Juni 1645, als die Schwedischen den Kaiserlichen ihre Friedensbedingungen übermitteln: Nur Äußerlichkeiten werden notiert, über den Inhalt wird nichts gesagt (
Diarium S. 70–71 Z. 25–27 und 1–6; siehe dazu auch
Sturmberger S. 282).
. Die Kenntnis über das Ringen um den Frieden wird durch ihn nicht sonderlich bereichert, hingegen fällt einiges Licht auf das Alltagsge-schehen um ihn her. Er läßt uns teilhaben am sozialen und kirchlichen Umfeld, ohne, wie schon Sturmberger bemerkte, ein Meister der Feder zu sein
. Lamberg war, nach längeren Verhandlungen über die Höhe seines Deputates am Kon-greß
Am 19. Mai 1644 hatte die Hofkammer dem Grafen mitgeteilt, daß der Kaiser ihm zu den 6000 fl Reisekosten noch weitere 2000 fl bewilligt habe, ebenso 500 fl von den noch ausstehenden Hofmeisterbezügen seines verstorbenen Vaters, mit der Bemerkung, er solle mit diesen Mitteln auskommen (vgl. O. Ö. LA HASteyr, Sch. 1220,
Fasz.
9 Nr. 191).
Vgl. auch die Aufzeichnungen Lambergs über die ihm bewilligten Gelder für die Reise (
Diarium Hs. 1495, a. a. O.,
fol. [9
v
]. Siehe unten
[S. XXXVIII] ). Dazu neuerdings
Bosbach
S. 5 und passim.
, im September 1644 nach einer eher gemächlichen Reise in Osnabrück
[p. XXXI]
[scan. 31]
eingetroffen
, wo er den Grafen Johann Weikhard Auersperg, der zum Oberst-hofmeister des späteren römischen König Ferdinand IV. ernannt worden war
Mecenseffy
S. 328;
Schwarz
S. 201. – Auersperg war empört über Lambergs Reisetempo gewesen (vgl. APW
[II A 1 Nr. 381 S. 616] ).
, ablöste. Zur Unterstützung fand er den Reichshofrat Johann Krane vor
, der ihn in die Geschäfte, die seiner harrten, einführen sollte.
Wie schon oben angedeutet, bietet das Diarium wenig über die Amtstätigkeit. Zwar vermerkt der Graf in der Regel gewissenhaft alle Audienzen und Besuche, die ihm als kaiserlichem Prinzipalgesandten abgestattet worden sind, aber man hört selten Näheres über den Inhalt der Gespräche. Niemals vergißt der Verfasser den täglichen Besuch der Messe zu notieren und über die Wetterlage zu berichten
Auch das Diarium Chigi enthält Nachrichten über das Wetter (vgl.
APW III C 1 S. XXXV).
. Dennoch lebte er nicht in den Tag hinein, wenngleich sich seine Arbeit am Kongreß zumeist auf dem repräsentativen Felde bewegte und die eigentlichen Entscheidungen von dem vorübergehend in Münster und Osna-brück weilenden
caput legationis, dem Grafen Maximilian Trauttmansdorff, sowie von dem Sekundargesandten Dr. Isaak Volmar getroffen wurden
Vgl. dazu vor allem
Dickmann
S. 195 und passim sowie APW
III C 2 S. XXXIIIff.
. Während der Anwesenheit Trauttmansdorffs scheint dann auch für Lamberg und Krane eine etwas hektische Zeit angebrochen zu sein, wurden sie doch täglich von diesem zur Konferenz berufen und mit Aufgaben betraut, die dem schnelleren Fortgang der Unterhandlungen dienen sollten. Davon gibt selbst das Tagebuch in dürren Worten Aufschluß
.
Daneben fand der Graf Zeit genug, mit seiner Familie, die er bald nach Osnabrück nachkommen ließ
Am 2. Juli 1645 traf Judith Rebecca Eleonore Gräfin Lamberg mit der ältesten Tocher Eleonore Franziska und dem Sohn Franz Joseph in Osnabrück ein (Diarium
[S. 74] ).
, vor allem an den kirchlichen Festen teilzuneh-men, für die er eine besondere Vorliebe hegte
. Das Diarium weist auf den kirchlichen Alltag in Osnabrück und später in Münster ausführlich hin: Es werden die Sorgen und Nöte der in einer weitgehend protestantischen Umwelt katholisch gebliebenen Bevölkerung angeführt
. Ausflüge zu den Wallfahrerzie-len und Klöstern der Umgebung nehmen in der Schilderung einen etwas
[p. XXXII]
[scan. 32]
breiteren Raum ein
Gerne suchte Lamberg das Zisterzienserinnenkloster Rulle, einen beliebten Wallfahrtsort im Osnabrücker Land, auf (
Diarium
[S. 21 Z. 15–19] und öfter); ebenso kam er etliche Male zu den Benediktinerinnen nach Oesede, deren Kloster ebenfalls in der Nähe lag (
Diarium
[S. 27 Z. 14–23] und passim).
. Ebenso bemerken wir seine Neigung für einzelne Orden, vornehmlich für Dominikaner und Jesuiten
Mit den Dominikanern nahm er in Osnabrück sofort die Verbindung auf (vgl.
Diarium
[S. 20 Z. 2–3] ), pflegte auch persönliche Beziehungen zu deren Prediger Heinrich Freitag (vgl.
[ebd. [mit Anm. 2]] ,
[S. 25 Z. 28] ,
[S. 29 Z. 9–10] und passim) und besuchte sonntags häufig im Dominikanerkloster die Messe, wo er auch beichtete (vgl.
ebd.
[S. 30 Z. 20–21] ,
[S. 32 Z. 4–8] und passim). Mitglieder der Gesellschaft Jesu kamen erstmals am 24. Dezember 1644, verkleidet, zu Lamberg, so daß man in der Stadt bald mutmaßte, er wolle den von den Schweden vertriebenen Orden wieder einführen (vgl.
Diarium
[S. 36 Z. 7–10] ). Während seines Aufenthaltes in Münster unterhielt er engen Kontakt mit den Patres des Münsteraner Kollegs (
Diarium
S. 193–231).
. Selbstverständlich suchten schon früh einzelne Domherren die Gesellschaft des kaiserlichen Hauptbevollmächtig-ten in Osnabrück, zumal Lamberg bei der Wahl eines neuen Dompropstes 1644 für den Sohn seines Münsteraner Kollegen, des Grafen Johann Ludwig Nassau-Hadamar, intervenierte
, freilich ohne Erfolg, da anscheinend die französische Partei im Domkapitel siegreich geblieben ist
Vgl.
Diarium
S. 30 Z. 3–4.
. Mit dem Kollegiatstift St. Johann wurden bald enge Kontakte geknüpft durch den Dechanten Raban Heyster-mann, der gelegentlich als Internuntius bei den Schwedischen Gesandten diente
Vgl. das
Diarium
[S. 17 Z. 7] (mit Anm. 1) und passim; auch der Pastor von St. Johann war zuweilen Gast im Hause Lamberg: so vollzog er z. B. am 23. Juli 1646 die Taufe an dem neugeborenen Sohn des Grafen (
Diarium
[S. 137] ).
. Das Diarium vermerkt auch freundschaftliche Beziehungen zu einigen Edelleuten der Kongreßstadt und ihrer Umgebung
. Ein lebhafteres Bild ergibt sich aus den Berichten über das Zusammentreffen mit den anderen Legaten und ihren Familien
. Man erfreute sich am Kegel- oder
a la beste Spiel; zuweilen werden kleinere Ausflüge oder der Vogelfang erwähnt
.
Ende September 1648 trat Lamberg mit seiner Frau und den beiden Kindern eine Reise zum Grafen Anton Günther von Oldenburg an
Vom 21. bis zum 28 September 1648; die brandenburgischen Gesandten vermerken lakonisch: recreationis causa
begebe sich der Graf nach Oldenburg (
Urkunden
und
Acten-stücke
S. 724).
, der ihm schon
[p. XXXIII]
[scan. 33]
wiederholt sein Wohlwollen gezeigt hatte
. Nach der Osnabrücker Enge mußte ihm das höfische Leben in einem vom Krieg weitgehend verschont gebliebenen Land außerordentlich zusagen. Er wird redselig in der Beschreibung der festlichen Tafel, die ihn mit ihren zeremoniellen Einrichtungen entzückt, vergißt nicht, die Tafelmusik zu erwähnen und das angeblich angeregte Gespräch. Der Graf von Oldenburg behandelte allerdings seine Gäste recht großzügig, er ließ Pferde vorführen, veranstaltete eine Jagd, die dem kaiserli-chen Legaten sichtlich behagte, und präsentierte ihm schließlich sieben Pferde als Abschiedsgeschenk
Vgl.
Sturmberger,
Tagebuch S. 286f.
. Befriedigt von all diesen Aufmerksamkeiten kehrte Lam-berg nach Osnabrück zurück. In der letzten Phase des Kongresses ging er mit den Seinen nach Münster, wo neben den Bemühungen um den endgültigen Abschluß des Friedens, ein reges gesellschaftliches Treiben begann
Diarium
[S. 198f] . – vgl.
Dickmann
S. 488ff.
. Nach der Unterzeichnung der Verträge am 24. Oktober 1648 gab es festliche Tage mit Hochamt und Tedeum im Dom zu Münster und Theateraufführungen bei den Jesuiten
Diarium
[S. 199 Z. 16–17] ;
Lahrkamp,
Friedensunterzeichnung S. 287; bei den Jesuiten wurde das Schauspiel Zorobabel seu laetus ab exilio Persico reditus …
etc. aufgeführt (
Diarium
[S. 202 Z. 8–9] ).
. Der Austausch der Ratifikationsurkunden erfolgte aber erst am 18. Februar des folgenden Jahres
. Hierauf wurde in Münster ein großes Feuerwerk abgehalten, das leider nicht ohne Unglücksfälle verlief
. Dem Fasching hatte man in der westfälischen Kongreßstadt schon zu Jahresbeginn Tribut gezollt: So fand bei dem kaiserlichen Prinzipalgesandten in Münster, Johann Ludwig Graf Nassau, am 7. Januar 1649 eine Bauernhochzeit statt, bei der z. B. Lamberg als Pfarrer, seine Frau als Beschließerin und seine Tochter Eleonore als Magd fungierten
Anwesend waren neben Nassau und Lamberg Mitglieder der gräflichen Familien Wittgen-stein, Waldeck und zur Lippe. Es wurde bis um Mitternacht getanzt (vgl.
Diarium
[S. 216] ).
.
Bevor Johann Maximilian endgültig seine Zelte in Westfalen abbrach, entschloß er sich noch zu einer größeren Fahrt, die er zusammen mit seiner Familie und kleinem Gefolge am 13. März 1649 antrat. Sie führte ihn, den Binnenländer, in eine völlig fremde Welt, nach Holland, an die See
Vom 13. bis zum 31. März 1649 (vgl.
Sturmberger, Tagebuch S. 288); die Tagebuchaufzeich-nungen über diese Reise wurden in die vorliegende Edition nicht aufgenommen, vgl. dazu unten
[S. 229] .
.
Das Diarium gewinnt wieder an Farbe, der Verfasser wird redseliger, vornehm-lich Amsterdam mit den großen Schiffen, den Märkten und den überseeischen Waren hat es ihm angetan. Er besucht sogar die portugiesische Synagoge und läßt sich auch das dortige
spinnhaus, wo böse puben und weiber eingeschlos-sen werden und arbeiten müssen, nicht entgehen
Diarium
zum 20. März 1649.
. Die kleine Reisegesellschaft
[p. XXXIV]
[scan. 34]
besichtigte noch weitere Städte mit ihren Sehenswürdigkeiten und kaufte u. a. Damasttischwäsche ein
A. a. O.
zum 24. März 1649.
, um dann am 31. März wiederum in Münster einzu-treffen
.
Für Lamberg begann nun der letzte Akt: Wie es die Höflichkeit vorschreibt, machte er seine Abschiedsbesuche bei den noch am Kongreßort weilenden Gesandten
.
Am 13. April 1649 verließ Lamberg Münster, nachdem er sich mit seiner ganzen Familie von den Jesuiten verabschiedet hatte
, und reiste über Paderborn, Kassel und Frankfurt
Zu den Besichtigungen in Paderborn, den Empfängen und Geschenken in Kassel, am Hofe der Landgräfin, und dem Aufenthalt in Frankfurt vgl. das
Diarium
[S. 232–236] .
nach Nürnberg, wo über die Exekution der Friedensver-einbarungen verhandelt werden sollte
A. a. O.
S. 237–243;
Sturmberger,
Tagebuch S. 288.
. Allein, obgleich er kaiserlichen Auftrag dazu hatte, war Lamberg anscheinend der Fremde überdrüssig und ersuchte um die Rückreiseerlaubnis, die er Ende Mai erhielt. Den größten Teil seiner Heimfahrt legte er auf dem Wasser zurück; er ging in Passau und in Linz an Land und machte noch einen Abstecher nach Steyr. Endlich traf er in Wien ein, wo er am 15. Juni 1649 an Ferdinand III. die Originale der Friedensverträge übergab
.
Das Diarium gibt keinen Aufschluß, welche Bedeutung sein Verfasser diesen Dokumenten beimaß; persönlich mag ihn wohl seine Unterschrift auf dem Instrumentum Pacis Osnabrugense, die Zufriedenheit des Monarchen und die Bewunderung etlicher Bekannter und Verwandter für seine diplomatische Tätigkeit mit einer gewissen Genugtuung erfüllt haben. Natürlich stellte diese Mission eine große Erweiterung seines gesellschaftlichen und sozialen Horizon-tes dar. Schließlich hatte er die unterschiedlichsten Persönlichkeiten kennenge-lernt: den päpstlichen Nuntius Chigi, der später als Alexander VII. die Tiara getragen hat
, den streitbaren Bischof von Osnabrück, Franz Wilhelm von Wartenberg, der sich mit dem Friedensschluß nicht abfinden konnte und bis zuletzt um seine beiden anderen Bistümer Minden und Verden kämpfte
Zu den Verhandlungen mit Wartenberg vgl. das
Diarium passim und neuerdings
Hageneder, Zum kirchlichen Alltag (erscheint in Festschrift für Josef Lenzenweger, 1986).
, die zwei schwedischen Gesandten, Johann Axelsson Oxenstierna und Johan Adler Salvius, mit denen der kaiserliche Legat jahrelang zu tun hatte
Vgl.
Diarium passim. – Selbst mit Oxenstierna bahnte sich ein halbwegs freundschaftliches Verhältnis an, siehe dazu u. a. eine Notiz vom 10. August 1645: Der Schwede wartet anläßlich eines Besuches Lambergs mit Kirschenwein auf, zeigt ihm dann sein Studierzimmer und seine Bibliothek (
Diarium
[S. 81f] .).
. Man soll auch
[p. XXXV]
[scan. 35]
nicht die spanischen Vertreter vergessen, denen ja Lamberg persönlich zuneig-te
, und die beiden Franzosen d’Avaux und Servien, von denen der letztere sich sogar um sein Porträt bemühte und eigens einen Maler zu ihm schickte
, von der Vielzahl der Gesandten der Reichsstände gar nicht zu reden. Wir finden sie alle, mehr oder minder kurz erwähnt, in seinem Tagebuch wieder, ohne daß er den Versuch gemacht hätte, sie näher zu charakterisieren oder in ihrer Vielschichtig-keit zu erfassen. Sein Diarium legt Zeugnis ab von den Interessen eines sprachenkundigen, barocken Edelmannes mit seiner Freude am Zeremoniell und seinen Vorstellungen von der repräsentativen Stellung eines kaiserlichen Gesandten, auch von einem gewissen Fleiß, der sich u. a. in seiner weitläufigen Korrespondenz niederschlug. Nicht der Jahre dauernde erbitterte Kampf um die Herbeiführung des Friedens erscheint ihm aufzeichnungswert, sondern die kirchlichen und weltlichen Feste, die Ehrenbezeigungen, die ihm als dem Vertreter des Kaisers erwiesen worden sind, aber auch eigene und fremde Freuden und Krankheitsfälle, Taufen, Hochzeiten und Begräbnisse
Im
Diarium (
[S. 99 Z. 16–18] ) erwähnt er z. B. die Hochzeit seines Barbiers mit der Tochter eines Osnabrücker Kollegen, die zwei Tage lang unter Beteiligung seiner Bedienten gefeiert wurde.
Ebd.
[S. 158–159] berichtet er über den Todessturz seines Pagen und dessen Begräbnis in der Osnabrücker Dominikanerkirche. Lamberg notiert aber auch eine Faschingsunterhal-tung im Dominikanerkloster, wozu er noch den Dompropst, zwei Domherren und den Dechanten von St. Johann geladen sowie
das ganze convent gespeiset hatte (
ebd.
[S. 113 Z. 6–9] ).
. Damit läßt er uns einen Blick hinter die Kulissen tun, in den Alltag eines höfischen Diplomaten der Barockzeit und sein soziales Umfeld.