Acta Pacis Westphalicae III A 1,1 : Die Beratungen der kurfürstlichen Kurie, 1. Teil: 1645 - 1647 / Winfried Becker
[55.] Sitzung des Kurfürstenrats Münster 1647 März 16

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[55.] Sitzung des Kurfürstenrats


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Münster 1647 März 16

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Kurmainz Rk FrA Fasz. 21 nr. 38 = Druckvorlage; damit identisch Kurmainz Rs FrA
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Fasz. 20. Vgl. ferner Kurtrier zA ( damit gleichlautend Kurbrandenburg Rk II fol.
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23–28); Kurköln zA I fol. 278–280 ( damit identisch Kurköln spA II fol. 627’–631 und
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Kurköln zA Extrakt fol. 31’–32’).

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Kaiserliche Proposition in der pfälzischen Frage: Bestätigung der bayerischen Kurwürde, achte
9
Kur und Untere Pfalz für Pfalz-Heidelberg. Bedingungen für die Wiederaufnahme der Pfälzer
10
ins Kurkolleg: Beibehaltung des Konfessionsstands in der Unteren Pfalz, Bergstraße an Kurmainz,
11
Arrondierung des Bistums Worms durch Neuhausen und Sinsbeim, Bestätigung der zwischenzeit-
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lich vom Kaiser und Kurbayern verausgabten pfälzischen Lehen sowie der Privilegien der freien
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Reichsritterschaft.

14
[Im Kurfürstenratszimmer des Bischofshofs]. Vertreten: Kurmainz, Kurtrier, Kurköln, Böhmen,
15
Kursachsen, Kurbrandenburg.

16
Kurmainz .

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16–31 Bekanntlich – entschloßen] Kurtrier zA, Kurbrandenburg Rk II gleich-
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lautend
mit Vorlage, Kurköln zA I, spA II, zA Extrakt wesentlich kürzer.
Bekanntlich haben die Kaiser Ferdinand II. und Ferdinand III. und

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mit ihnen die herrn churfürsten

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17–18 alß – rähten] Hier wie in 28–30 waß – worden] unterbleibt laut Kurtrier zA,
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Kurbrandenburg Rk II die Hervorhebung der Kurfürsten.
alß haubtseulen des heyligen reichs und
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deroselben innersten räthen die Herbeiführung des Friedens im Reich und con-
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sequenter die totalberuehigung aller chur-, fürsten und ständ ohne under-
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schied sich angelegen sein und zu diesem Zweck verschiedene Reichskonvente
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anstellen laßen, auf denen fast yedesmahls die Erledigung der pfälzischen Frage
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als für den Frieden unerläßlich erschien. Doch blieben die particulartractaten über
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diese Frage unvolnzogen, erst auf dem Kongreß ist sie nach Verhandlungen des
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Kaisers mit den beiden Kronen dann zumindest mit Franckreich uff gewiße maß
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erlediget worden. Um nun in Anbetracht der ernsten Lage durch güetliche
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pfleg- und handlung alle mißverständ im reich und under anderm auch
27
dieße Pfaltzische sach beizulegen, alß haben allerhöchstgedachte Ihre Maye-
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stät der sachen reifflich nachgedacht und sich in erinnerung deßen, waß
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allschon vor vielen jahren hierinnen tacite gehandlet und mit zuziehung
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der churfürsten vor guet angesehen und darauff verordnet worden, eines
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gewißen und zwar des inhalts entschloßen und ihnen den Churmaintzi-
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schen, chur-, fürsten und ständen des reichs vorzutragen und zu proponiren,
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vor guet angesehen, wie die herrn gesanden ab dem auffsatz, und zwar wie
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derselbe ihnen von Ihrer Mayestät ietztverstandenermaßen zukommen

40
Druck Meiern IV S. 383 ff.; am 14. März 1647 dem Reichsdirektorium übergeben.
,
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mit mehrem vernehmmen können; verlaße solchem nach besagten auffsatz

[p. 729] [scan. 853]


1
volgenden inhalts.

26
729, 1–732, 2 Eß – werden] Vorlage gleichlautend mit Kurtrier zA, Kurbrandenburg
27
Rk II; Kurköln zA I, spA II wesentlich kürzer.
Eß ist ein- und außerhalb des heyligen Römischen reichs
2
wie auch chur-, fürsten und ständen notori und bekand, waßgestalten die
3
Römisch Kayßerliche Mayestät Ferdinandus 2 us […] auf vorhergehendes
4
unverantworttliches und der gantzen weit bekandes verbrechen des pro-
5
scribirten pfaltzgraff Friederichs auß gerechten, pillig und erheblichen ursa-
6
chen bewogen worden, die ihro in crafft der güldenen bull, reichsconstitu-
7
tionen lediglich heimbgefallene churdignität und Pfaltzische lande von dem
8
hauß Pfaltz Heidelbergischer linie ab- und auff die Churfürstliche Durch-
9
laucht in Bayern und dero hauß Wilhelmischer lini auß trifftigen und vor-
10
tringenden ursachen zu verlegen

28
Am 24. Februar 1623 verlieh Ks. Ferdinand II. Maximilian von Bayern die Kurwürde auf
29
Lebenszeit ( Albrecht S. 49ff. 88, Ritter III S. 184–188, Häusser II S. 415f.), im
30
Münchener Vertrag vom 22. Februar 1628 zwischen Maximilian und dem Kaiser wurde die
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Übertragung der Kur auf die Wilhelmische Linie ausgedehnt ( BuA I 4 nr. 32 S. 28, Ritter III
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S. 374).
, allermaßen dann hierauff solche recht-
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meßige verordnung, auch absonderlich und bevorderist waß die privation
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der churdignität belanget, nit allein von dem churfürstlichen collegio anno
13
1627 zue Mühlhaußen durch guetachten allerdings approbirt

33
Vgl. über den Mühlhausener Kurfürstentag vom 18. Oktober bis 12. November 1627 neben der
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veralteten Arbeit von Karl Breuer die Wiener Diss. von Herta Henk (dazu kritisch Urban
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S. 426) und über die Restitutionsfrage Urban S. 187–200; die Verhandlungen über die Über-
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tragung der Kurwürde an Bayern sind auch zuverlässig dargestellt bei Ritter III S. 391ff.,
37
Gindely, Friedrich V S. 28–31, Bezzel S. 10–13.
, sondern
14
auch vor- und nachderhand hochgedachte Churfürstliche Durchlaucht in
15
Bayern vor einen churfürsten des reichs erkennet, geehret und von dem
16
gantzen Römischen reich, auch fast allen außwendigen potentaten dato
17
davor gehalten worden, wie nit weniger dieselbige dennen zu aller zeit
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hero celebrirten churfürstlichen collegial-, auch gemeinen reichs- und
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deputationtägen beygewohnet und admittirt worden, darbey ihr session
20
und votum ordentlich genohmmen, geführt und andere churfürstliche
21
actus solennes mit und neben andern churfürsten, auch sonderlich bey der
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wahl und crönung eines Römischen königs in selbsteigener persohn ver-
23
richtet oder durch ihre gesandtschafften verrichten laßen

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Auf konfessionell gemischten Reichskonventen hatte Hg. Maximilian von Bayern als Kurfürst
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Session genommen in Mühlhausen 1627, am Regensburger Kurfürstentag von 1630, am Frank-
40
furter Kompositionstag von 1631, am Regensburger Kurfürstentag von 1636/37, am Nürnberger
41
Kurfürstentag von 1640, am Regensburger Reichstag von 1640/41, am Frankfurter Deputations-
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tag von 1643/45. Für die faktische Anerkennung der bayerischen Kurwürde war ferner die
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Direktorialstellung Kurbayerns auf den Ligatagen, mit der Kurmainz im ganzen eher zurück-
44
haltend konkurrierte, bedeutsam geworden ( Neuer-Landfried S. 206–213, Verzeichnis der
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Ligatage ebd. S. 230f.).
, wie sie dann
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deßwegen sogar in die churfürstliche verain ahn- und auffgenohmmen
25
worden, ingleichen, daß allerhöchstgedachte Kayßerliche Mayestät Ferdi-

[p. 730] [scan. 854]


1
nandus 2. selligster gedächtnus zu ergetzung und widererstattung der uner-
2
schwinglichen großen kriegsuncosten, so erwehnter proscribirter pfaltz-
3
graff Friederich durch sein hohes verbrechen verursachet, die Pfaltzische
4
land und leuthe in crafft der güldenen bull und reichsconstitutionen pillig-
5
meßig eingezogen und darunder die Oberpfaltz hochgedachter Ihrer Chur-
6
fürstlichen Durchlaucht, und zwar in solutum derienigen dreyzehn mil-
7
lionen, so sie in der execution wider offt erwehnten pfaltzgraff Friederichen
8
außgelegt,

31
8 gnedigst ubergeben] In der Vorlage ausgelassen, ergänzt aus Kurtrier zA.
gnedigst ubergeben und eingeraumbt haben

32
Anläßlich der Kurübertragung von 1628 gab Maximilian von Bayern dem Kaiser das Land ob
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der Enns zurück; als Ersatz für seine Kriegsschuldforderung in Höhe von 13 Millionen fl. an
34
Österreich erhielt er nunmehr die Oberpfalz und die rechtsrheinischen Besitzungen der Unterpfalz
35
mit Garantie auf 30jährigen Besitz zugesprochen. Für den Fall des Verlustes der Oberpfalz
36
beließ der Kaiser dem Kurfürsten von Bayern den Anspruch auf 13 Millionen fl. und war bereit,
37
bis zu ihrer Rückerstattung ihm dann wieder pfandweise das Land ob der Enns (Oberösterreich)
38
einzuräumen ( Jüdel S. 8, Hurter II S. 629ff., Ritter III S. 374, 189).
.

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Da ohne Lösung dieser Frage beständiger Friede im Reich nicht zu erhoffen ist,
10
alß haben Ihre Kayßerliche Mayestät der sachen zwar reifflich nachgedacht
11
und sonderlich die zwischen beyden heußern Bayern und Pfaltz etwa vor
12
vielen jahren accordirte alternativam

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Nach dem Hausvertrag von Pavia vom 4. August 1329 (Extrakt bei Londorp IV S. 735f.)
40
sollte die Kurwürde zwischen der pfälzischen und der bayerischen Linie der Wittelsbacher ab-
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wechseln, während die Goldene Bulle 1356 die Kur an die Primogenitur und das Territorium von
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Kurpfalz band ( Spindler II S. 163f., Häusser I S. 152–154).
zu gemüet geführt. Dieweil aber
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selbige so schwehre difficultäten nach sich gezogen, daß daß hochlöbliche
14
churhauß Bayern seithero darvon ab- und zurückgehalten worden und
15
dannenhero Ihre Kayßerliche Mayestät wahrgenohmmen, daß daß medium
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alternationis nit practicirlich seye, so haben Ihre Mayestät kein anders
17
mittel ersinnen mögen, alß daß nach vorhergehender gepürender submission
18
dem hauß Pfaltz Heidelbergischer lini, ungeachtet zu gegenwertiger weiterer
19
zerrüttung und ubelstand im heyligen reich auch diejenige pfaltzgraven
20
selbsten durch ihre feindliche thaten gegen Ihre Kayßerliche Mayestät und
21
dem Römischen reich anderweitige ursach gegeben und sich ihres vattern
22
commissorum selbsten theilhafftig und zu abführung der so schwehren
23
uncosten verbindlich gemacht, der octavus electoratus, und zwar in ultimo
24
loco, conferirt und daß selbige hierüber investirt, wie auch die Underpfaltz
25
zu führung ihrer churfürstlichen dignität solchergestalt und his conditioni-
26
bus mitgegeben werde,

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1º daß es der religion halber in dem stand, wie sich derselbe ietzo befindet

43
Betroffen waren nach Jüdel S. 35f. 4 Benediktiner-, 15 Zisterzienser- und 5 Jesuitenklöster.
,
28
und

29
2º dem ertzstifft Maintz die in der Bergstraß zugehörige ämbter, stätt,
30
schlößer, dorffschafften, clöster, leuth und güeter, so vor dießem ahn Chur-

[p. 731] [scan. 855]


1
pfaltz pfandsweiß versetzt worden

33
Die Bergstraße, u. a. bestehend aus den Schlössern und Städten Starkenburg, Bensheim, Heppen-
34
heim und Mörlenbach, war 1623 wieder vorübergehend an Kurmainz gekommen; vor Beginn des
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Mühlhausener Kurfürstentages verlangte Pfalz-Neuburg dafür von Kurmainz die Pfandsumme
36
( Gindely, Friedrich V S. 28, Stramberg 3, 2 S. 159, 3, 1 S. 555, 564); erst Kf. Johann
37
Philipp von Schönborn gelang die Einlösung der Bergstraße aus den Gütern der den Erben
38
Friedrichs V. zugedachten Unteren Pfalz.
, nach inhalt darüber auffgerichter
2
pfandverschreibungen und ergangener Kayßerlicher erkandnußen gegen
3
erlegung des pfandschillings verpleiben und under die restitution der
4
Underpfaltzischen landen nit gezogen werden,

5
3º daß auch das stifft Wormbs bey der possession des nebenstiffts Newhaußen

39
Das Stift Neuhausen war 1337 in den Schirm der Patronatsrechte ausübenden Pfalzgrafen
40
genommen worden ( Moraw S. 24, Naendrup-Reimann S. 151, Stocker III S. 11). Siehe unten
41
S. [749 Anm. 1] .

6
und Sinßheimb

42
Kollegiatstift und Benediktinerkloster bei Heidelberg an der Elsenz im speyerischen Kirchen-
43
sprengel; die Stadt war seit 1362 kurpfälzisch ( Umminger S. 160–162, Kretschmer
44
S. 414).
, so ihme von der Römisch Kayßerlichen Mayestät und allen
7
chur-, fürsten und ständen, und zwar auff offenem reichstag, zuerkennet
8
worden, manutenirt werde,

9
4. daß die Pfaltzische lehen und

31
9 andere gaben] In Kurtrier zA, Kurbrandenburg Rk II, auch Kurköln zA I,
32
spA II statt dessen gnadengaben.
andere gaben, so der zeit uber von der
10
Römisch Kayßerlichen Mayestät oder der Churfürstlichen Durchlaucht in
11
Bayern verliehen und vergeben worden, dennen possessoribus und lehen-
12
leuthen rhuiglich gelaßen, wie auch

13
5º der freyhen reichsritterschaft in Francken, Schwaben und ahm Rhein-
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stromb und darzugehörigen orthen geseßen, ahn ihrer freyher exemption
15
und immedietät, privilegien und indulten einiger eintrag nit zugefügt, son-
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dern dieselbe vielmehr dabey erhalten werden sollen.

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Wie nun die Kayßerliche Mayestät […] es bey translation der chur wie
18
auch Obern Pfaltz und andern obgesagten conditionibus nachmahln ver-
19
pleiben laßen, hergegen aber den octavum electoratum für daß zuträg-
20
lichste mittel zu beruehigung dießer innerlichen unrhue erachtet, alß haben
21
sie beneben, umb willen sie wohl vorgesehen, daß ohne einwilligung der
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chur-, fürsten und ständ wider die güldene bull kein mehrer und ferner
23
electoratus und churdignität eingeführt werden solle, chur-, fürsten und
24
ständ gnedigst ersuchen wollen, sinthemahlen sie selbsten und ihrestheils
25
hierinnen kein bedencken machen, sondern vielmehr darfürhalten, daß
26
dießes ein sicheres mittel zu stabilirung der innerlichen rhue im reich seye
27
und dardurch dennen pfaltzgraven ein hohe Kayßerliche gnad beschehe, es
28
wolten auch chur-, fürsten und ständ ihnen solches mittel deß octavi elec-
29
toratus gefallen und umb deß lieben friedens willen ihre einwilligung gehor-
30
sambst ertheilen und deßwegen den so hoch verlangten frieden und rhue-

[p. 732] [scan. 856]


1
stand im Römischen reich nit stecken laßen, welches die Kayßerliche Maye-
2
stät mit Kayßerlichen gnaden absonderlich erkennen werden.

3
Sie befinden dieße resolution haubtsachlich uff zween puncten bestehend,
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nemblichen 1º daß Ihre Kayßerliche Mayestät es nachmahln bey demienigen,
5
so von ihro der churdignität und -landen halben verordnet und den chur-
6
fürsten des heyligen Römischen reichs applacidirt worden, bewenden ließen,
7
2º daß sie chur-, fürsten und ständ allergnedigst ersuchten, in daß mittel
8
des electoratus octavi zu verlangter hinlegung der Pfaltzischen sach umb
9
deß lieben frieden willen auch zu consentiren, auff maß und weg, wie die
10
conditiones in der proposition sich verhalten. Und hielten sie davor, daß
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dießer letztere punct vornemblich zu deliberiren sein mögte. Sie zweivelten
12
nit, sinthemahln die deliberation dießer sachen allschon im Augusto bevor-
13
geweßen, die herrn gesanden […] hierüber instruirt und von selbsten
14
geneigt sein werden, bey gegenwertiger session daßienige, so sie in bevelch
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haben, zu eröffnen.

16

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16–18 Weiln – verschoben] In Kurtrier zA, Kurbrandenburg Rk II, Kurköln
37
zA I, spA II sind die Einzelvoten der Umfrage kurz aufgeführt. Laut Kurtrier zA,
38
Kurbrandenburg Rk II begründen die Kurtrierer ihren Wunsch nach Suspension noch
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damit, daß sich in ihrer instruction ersehen mögen.
Weiln die herrn Churtryrische dieße proposition bis uff nechstkünfftigen
17
montag ad deliberandum angenohmmen, alß haben uberige churfürstliche
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gesanden auch bis dahin ihre vota verschoben.

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