Acta Pacis Westphalicae III A 1,1 : Die Beratungen der kurfürstlichen Kurie, 1. Teil: 1645 - 1647 / Winfried Becker
[52.] Sitzung des Kurfürstenrats mit Re- und Correlation Münster 1647 Januar 31
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Münster 1647 Januar 31
Kurmainz Rs FrA Fasz. 20 = Druckvorlage; damit identisch Kurmainz K FrA Fasz. 9 I
nr. 34 ( unvollständig ). Vgl. ferner Kurtrier zA; Kurköln zA I fol. 271–274 ( damit iden-
tisch Kurköln spA II fol. 610’–616’ und Kurköln zA Extrakt fol. 30–30’ ); Kurbayern
K III fol. 427–432’; Kurbrandenburg Rk II fol. 9–16.
Exemtion Basels vom Reich und vom Reichskammergericht. Grundsätzliche, historische und Oppor-
tunitätsaspekte des Problems. Prozeß Wachter contra Basel.
[Im Kurfürstenratszimmer des Bischofsbofs]. Vertreten: Kurmainz, Kurtrier, Kurköln, Kur-
bayern , Kurbrandenburg.
Kurmainz . Setzen das Anbringen der Kaiserlichen vom 2. und das Conclusum
vom 21. Januar,
als bekannt voraus, daß nehmblich in Sachen der Exemtion Basels vor allen
dingen des cammergerichts information einzuholen. Dieweil dann die Kay-
serliche herrn gesanden solches, alß sie davon nachricht erlangt, nit wenig
nachdencklich befunden, zumahlen besorgt, dafern man sich mit dergleichen
cameralischen informationibus aufhalten undt dieser statt ihre freyheit
disputirlich machen wolte,
cron Franckreich undt Schweden zu erlangung mehrern gunst bey derselben
undt gantzer Aydtgenoßschafft der sachen mit eyffer annehmmen undt
solche ihre omnimodam exemptionem et libertatem in daß instrumentum
pacis alß ein pactum publicum eingerückt werden haben wollen, dahero
dann Sie Churmaintzische uff deß Basellischen abgeordneten
Basel ( Stadt ) und die evangelischen Orte der Eidgenossenschaft vertrat Johann Rudolf Wettstein
( 1594–1666 ), 1620 Ratsherr, 1645 Bürgermeister von Basel ( über ihn Gauss , Wettstein;
Gallati S. 146–159, 165, Gauss-Stoecklin passim, Lexikon der Schweiz 7 S. 503,
500 ); er befand sich seit 28. Dezember 1646 in Münster. – Die Beratungen über Basel und die
Eidgenossenschaft sind anhand der Kurfürstenratsprotokolle geschildert bei Gallati S. 187–196
beschehenes nachmahliges anhalten nach besag deren ad dictaturam gebe-
nen schrifften ersucht, diese sach nachmahlen in deliberation zu pringen
undt dabey die erinnerung zu thun, damit in ansehung der angezogenen
motiven dem cammergericht ahnbevohlen werdte, die angefangene process
gäntzlich abzustellen, auch inskünfftig dergleichen nit mehr zu erkennen,
sondern die nachvolgende partheyen ahn die obrigkeiten, worunder die
beklagte gesesßen, zu weisen, alß stünde zu berathschlagen, ob daß verfaste
conclusum zu endern undt dem Basellischen deputirten zu willfahren undt
selbe statt
der herrn gesanden meinung hierüber vernehmmen und sich mit dennselben
gern eines gewisßen vergleichen; zwar wehre ihres erachtens in alle weg
dahien zu sehen, daß alle newe motus im reich, dabenebens auch verhüetet
werdte, daß die frembde cronen sich in diese sach nit einschlagen, pro
conditione pacis zu Ihrer Mayestät undt der stendt disreputation dem
instrumento einrücken undt den danck bey denn Aydtgenosßen undt son-
derlich der statt Basell verdienen, die stendt des reichs aber sich dieselbe
zuwieder machen mögten. Yedoch würdte auch, dafern der statt Basell will-
fahrt werden solte, pillig in alle weg dahien zu sehen sein, damit wenigist
der clagende Wachter, soweit derselbe im rechten befuegt, seines erlittenen
schadens contentirt werdte, nit allein daß Kayserliche urtheil und respect
salvirt, sondern auch die clagende parthey klaglos gestelt.
Kurtrier . Sie liesen der statt Basell abermahls beschehenes einwenden ahn
sein orth gestelt sein. Hielten darvor, ehe man sich hierüber hauptsachlich
entschliese, daß zuvorderist die principalen darüber vernohmmen werden,
wie sie dann Ihrer Churfürstlichen Gnaden zu Trier […] alles, so ahnpracht
worden, daß auch der duc de Longeville sich der sachen ahnnehmme, waß
auch darauß entstehen werdte, wan man der statt Basell ihr begehren ab-
schlagen solte, undt wie hoch man dahien zu sehen, daß newe motus ver-
hüetet werden, gehorsambst berichtet. Können also vor Erhalt der resolution
nichts sagen, zumal ihr Kurfürst hiebey ex duplici capite interessirt, 1º als
cammerrichter, 2. daß solcher arrest von schultheisen und richtern zu
Speyer, welche sie alß bischoff daeselbsten zu setzen hetten, angelegt wor-
den , masßen sie auch solches denn Frantzosen, von welchen sie derentwegen
abermahls belangt worden, zu verstehen geben undt sie, biß dahien sich zu
gedulden, ersucht. Sie hielten darvor, wan die statt durch eingewilligten
frieden oder einen reichsschlues solte exempt erklärt werden, es werdte
uff eines auskommen. Ehe aber von beeden eines beschehe, müsten sie
specialbevelch haben, dann sie nit befinden, daß solche exemption ihemahls
guetgesprochen worden, wie yetzo beschehen solte. Uff denn fall der ver-
willigung wehren sie der meinung, daß Ihre Kayserliche Mayestät sich beim
cammergericht über die merita causae zu informiren undt, dafern dem clagen-
den theil unrecht beschehen, die verordnung zu thun, damit demselben
respectu imperii satisfaction beschehe, bevorab weilen solches propter
denegatam iustitiam herrühre.
Kurköln . Seye nit ohne, daß sowohl die Kayserliche alß Baselische starcke
rationes angeführt, warumb hierin zu
21. Januar 1647 keineswegs für ein Präjudiz, dann in alle weg pillig, daß der
gegentheil zu hören. Wehre zu verwundern, daß man so betroheliche in-
stantias mache, nur daß man solche sachen durchtringen wolte.
gleich alhie beschehen, also auch beede reichsräth zu Osnabrugk hierüber
zu vernehmmen. Es wehre hiebey sowohl daß interesse imperii als priva-
torum zu consideriren; zwar seye daß interesse imperii schlecht, weilen die
Baseller ohnedaß sich von allen reichsoneribus eximiren undt bißhero dem
reich wenig nutzen geschafft, also daß hiebey nur daß interesse der cammer
versire; daß interesse privatorum auch seye umb soviel mehr zu beobachten,
weilen auch gegen andere höhere auß- und inländische potentaten, die
wenigers nit vom cammergericht eximirt seyen, in casu denegatae iustitiae
gleichergestalt mit arresten verfahren werde . Erwarten auf ihren diesbezüg-
lichen Bericht hin Bescheid des Kurfürsten. Zweiffelten gleichwohl nit, waß per
maiora wie wenigers nit von den Kayserlichen gesanden dem Römischen
reich vor guet angesehen werdte, Seine Churfürstliche Durchlaucht davon
sich auch nit separiren werdte. Yedoch hetten Ihre Kayserliche Mayestät
dahien zu sehen, damit die reputation des reichs erhalten undt der Wachter
contentirt werden möge, auch die errinnerung bey den Baseller zu thun,
daß sie künfftig die bestellung thun wolten, damit den reichsunderthanen
bey ihren gerichten guete assistenz geleistet werdte undt dennselben die
iustiz wiederfahre.
Kurbayern . Hat sich während der letzten Sitzung auf Instruktionsmangel berufen,
dabey er gleichwohl besorgt, dafern den Baseller nit willfahrt werden solte,
es würden sich dieselbe ahn beede cronen Franckreich undt Schweden
hencken undt solches vermittels deren entweder durch einen reichsschlues
oder frieden durchtringen, welcher meinung er auch noch wehre.
hielte, wann dennselben ex parte imperii guetwillig willfahrt werden solte,
daß solches mit mehrerm respect geschehe, als wann es durch die cronen
beschehe. Dafern man künfftig hierin gehehlen solte, so vergleiche sich mit
den herrn vorstimmenden, daß dahien zu sehen, damit ihme clagenden
Wachter wegen zugefüegter laesion satisfaction beschehe.
biß noch darüber nit vernehmmen lassen könten. Discursweis aber etwas
zu berühren,
3–5 da – worden] Abweichend in Kurtrier zA, Kurbrandenburg Rk II: Findet
sich iuxta Mynsingerum
Dr. Joachim Mynsinger von Frundeck (1517–1588), 1548 Assessor am Reichskammergericht,
1556 fl. braunschweig-wolfenbüttelscher Kanzler (über ihn ADB 23 S. 22f. , Mommsen S. 71,
Kaul S. 200f., Jöcher III Sp. 795). Er verfaßte mehrere juristische Kommentarwerke,
darunter eine Urteilsammlung des Reichskammergerichts in 5 Foliobänden, verlegt in Frankfurt
( Dietz III S. 47).
gehalten wirdt.
dern auch ihren selbstaigenen historicis yederzeit vor eine reichsstatt seye
erkent undt gehalten worden. Die praetendirende exemption kähme dahero,
daß sie sich anno 1501 zum Schweitzerischen bundt
darfürhalten, daß dieser punctus exemptionis wohl von der yetzigen
quaestion könte separirt werden, dann diese sach könte uff einen allge-
meinen reichsconvent verschoben, im übrigen aber der statt Basell wohl
etwas deferirt werden.
Die observanz betreffendt, seye den Basellischen burgern albereits vor
hundert jahren verbotten worden, ahm cammergericht nichts zu clagen;
von der zeit finden sich auch keine actus possessionis.
13–16 Soviel – wehren] Kurbrandenburg nennt als weiteres Argument für Basel ( laut
Kurtrier zA, Kurbrandenburg Rk II, Kurköln zA I, spA II ): Gegen die unter-
bliebene insinuatio privilegii beim Kammergericht kahn seitens Basels die contradic-
tion vorgeschützt werden, indeme sich die statt so langh darwieder maintenirt.
Andererseits führt Kurbrandenburg gegen Basel ( laut Kurtrier zA, Kurbrandenburg
Rk II ) an, daß die Frage seiner Reichstandschaft nicht schon deshalb zu verneinen ist, weil
die Stadt nur aufgrund Privilegs nit zur camer steuwert.
gium belangendt, weilen sie vom hoffgericht eximirt worden, werden sie
darfürhalten, wan daß cammer- undt andere gericht mehr derzeit gewesen,
daß sie auch davon eximirt worden wehren. Diese undt andere rationes
wehren nun starck ahnzüeglich; sie müsten aber auch consideriren, daß es
ein groß praeiudicium des reichs sein werdte.
zu sein, wan diese exemption mit füegen reiicirt werdte, undt konte, wie
Churcölln bedeutet, dahien gezogen werden, daß die causa privata von dem
interesse publico zu separiren, die causa privata aber also einzurichten, damit
es absque laesione der parthey beschehe. Zwar seyen sie berichtet, daß dieses
kein casus denegatae iustitiae, sondern von der statt Basell ein abgeurtheilte
sach, dem Wachter aber habe daß urtheil nit allerdings gefallen undt also
den process ahm cammergericht
aber anderst sich befinden, wehren die Kayserliche zu ersuchen, darahn zu
sein, damit dem Wachter anderweite satisfaction beschehen möge. Solte
aber der Basellische uff eine anderwerte exemption tringen, müsten sie
darfürhalten, daß dieses eine sach, so anhero nit gehörig. Gleichwohln aber
könten sich hauptsachlich nichts vernehmmen lasßen, weilen sie hierüber
noch nit bevelcht. Zweiffelten gleichwohlen nit, Ihre Churfürstliche Durch-
laucht sich auch demihenigen conformiren werden, was insgemein geschlos-
ßen undt von Kayserlicher Mayestät vor guet befunden werdte, damit also
in entstehung einiger resolution denn Schweitzern zum disgusto nit uhrsach
gegeben werdte.
Kurmainz . Die Gesandten geben alle an, hierzu noch nicht instruiert zu sein,
haben deshalb Bedenken, sich heraußzulasßen, gleichwohl aber in discursu
sich soviel vernehmmen lasßen, sintemahlen die cron Franckreich sich
dieser sachen albereits ahnnehmme, auch zu besorgen, dafern besagter
statt nit willfahrt werden solte, es mögte dieselbe neben der cron Schweden
diese sach endtlich mit gewalt durchtringen, daß besßer sein werdte, mit
ermelter exemption der statt Basell zu willfahren, bevorab weilen auch die
Kayserliche gesanden solches vor rathsamb befinden, gleichwohl aber daß
interesse imperii von dem privato zu separiren undt dahien zu sehen, damit
der clagende Wachter, so weit er befuegt, clagloß gestelt und also deß hey-
ligen reichs reputation erhalten werden möge.
Sie Churmaintzischentheils wehren zwar hierüber albereits instruirt, es
wolte aber ihnen nit gepüren, denn herrn vorstimmenden mit ihrem voto
vorzugreiffen […]. Inmittels würdte gleichwohl auch nit undienlich sein,
daß den herrn Chursachsischen gesanden von allem demihenigen, so dieser
sachen halben diesorths vorkommen, communication gethan undt sie
wenigers nit darüber vernohmmen werden.
der Römisch Kayserlichen Mayestät allerunderthenigst einzurathen, den
Baselern die exemption a camera begehrtermasßen zu ertheilen undt zu
solchem endt nit allein ihr diesfals habendes privilegium zu confirmiren,
sondern auch dabey zu annectiren, daß sie auch künfftig von dem Kayser-
lichen cammergericht allerdings eximirt sein solten, die exemption ab impe-
rio aber allerdings stillschweigendt zu praeteriren, undt dieses denn Kayser-
lichen herrn abgesanden per directorium zu insinuiren
abgeordneten aber noch in etwas zur gedult ahnzuweisen.