Acta Pacis Westphalicae III A 1,1 : Die Beratungen der kurfürstlichen Kurie, 1. Teil: 1645 - 1647 / Winfried Becker
Zusammenkunft der kurfürstlichen Sekundargesandten Münster 1646 Januar 21 nachmittags
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Münster 1646 Januar 21 nachmittags
Kurmainz Rk FrA Fasz. 9 II nr. 6 = Druckvorlage. Vgl. ferner Kurköln zA I fol.
146–148’ ( damit identisch Kurköln spA I fol. 317–323, Kurköln spA Ib fol. 326–331’ );
Kurbayern Rp II; Kurbayern K II fol. 32’–33’ ( damit identisch Kurbayern spA II
p. 69–70 ).
Die niederländischen Gesandten beanspruchen vor den kurfürstlichen Sekundargesandten den Vor-
rang und wollen Ebenbürtigkeit im Zeremoniell nur den kurfürstlichen Primargesandten zugestehen.
Kompromißvorschläge. Mögliche negative Folgen für die Stellung der Kurfürsten in der europäischen
Staatenwelt.
[Im Kurfürstenratszimmer des Bischofshofs]. Vertreten: Kurmainz, Kurtrier, Kurköln, Kur-
bayern , Kurbrandenburg.
Kurmainz . Stelze zur umbfrag, weiln man vernehmme, daß die Hollän-
dische hier anweßende gesanden
Die Gesandten der Vereinigten Niederlande Frans van Donia (Friesland), Godard van Reede
(Utrecht), Johan van Matenesse, Adriaan Pauw (beide Holland), Bartold van Gent ( Gelder-
land ), Johan de Knuyt (Zeeland), Willem van Ripperda (Overijssel), Adriaen Clant (Stad en
Lande) zogen am 11. Januar in Münster ein; der Nuntius und die Reichsfürsten verweigerten
ihnen zunächst das Exzellenzprädikat ( Andreae S. 445–451, Poelhekke S. 212, 216ff.,
265–269).
schafften in ihrem logiament bey ablegung der visiten vorzugehen, auch
bey gebung der revisiten in der churfürstlichen logiament alle acht vor den
primariis den vorzug zu haben gemeint, ob solches ohne praeiudiz der
churfürstlichen hochheit nachzugeben oder waß dabey vor ein mittel zu
ergreiffen und ihnen zugleich vor ein praedicat zu geben.
Kurtrier . Die erste frag betreffend, da hetten die königlich Hispanische
gesanden, alß sie bey denselben ihre visiten abgelegt, sowohl dem primario
alß secundariis den vorgang gelaßen. Hielten dahero dafür, die Hollän-
dische gesanden sich deßen auch nit verweigern würden, welches dann
ihres erachtens denselben hinwieder durch dieienige, so besagte ihre gefaste
resolution vorpracht, anzuedeuten.
Bey der revisiten hetten sie hingegen auch sowohl den primarium alß secun-
darios vorgehen laßen. Wolte man nun dergleichen auch mit den Hollän-
dern thun, stelzen sie den herrn gesanden zu bedencken anheimb.
Kurköln .
1 Wehre] Davor zusätzlich in Kurköln zA I, spA I, Ib: Die kurkölnischen Gesandten
wollten die bei den Niederländern bereits heute zwischen 4 und 5 Uhr anberaumte Visite nicht
abstatten, bevor über das Zeremoniell Klarheit bestand, und haben deswegen diese collegial-
versamblung von Churmaintzischern directorio begert. Verweisen auch darauf, was
für ein ceremonial von den Staden von Holland gemacht, was darauff anno 1641
nahmens der Churfürstlichen Durchlaucht zu Brandenburg fur wolmeinende erin-
nerung geschehen, daß man sich wol hette in acht zu nehmen, damit die herrn
churfürstliche nit also gar hinder die thür gleichsamb gewiesen werden mochten.
ein underschied zu machen; wann man sie ut singulos considerirte, wehren
sie allein von graffschafften, alß nemblichen Holland, Seeland, Zutphen
und dergleichen
Gelderland kam als Herzogtum ein gewisser Vorrang innerhalb der Union zu, allerdings war in
der Gesandtschaft der Niederländer die Provinz Holland mit zwei Vertretern besonders hervor-
gehoben ; Overijssel als Teil des ehemaligen Bistums Utrecht und Utrecht selbst waren als Graf-
schaften ursprünglich ebenfalls ranghöher. Die übrigen Provinzen waren Zeeland, Friesland,
Overijssel und Groningen. Vgl. Fockema Andreae S. 40f., 12f., Delfos S. 193ff.
sich zu nennen pflegten, confoederirte achten, so werde ihnen doch kein
churfürst im geringsten weichen und dan man ihnen dießfals nachgeben
solte, werde eß eine böße consequenz nach sich ziehen. Zu verhütung nun
deßen hette man ihres erachtens, soviel daß praedicat anlangt, ihnen Excel-
lentiae zu geben, wann man vernehmme, daß sie den churfürstlichen princi-
palgesanden solches auch nit verweigern würden.
Und weiln andere, auch die königliche gesanden, bey ablegung der visiten
nit allein die primarios, sondern auch secundarios von den churfürstlichen
gesandschafften vorgehen laßen, so werden ihres erachtens die Holländer
sich dießes auch nit zuwider sein laßen. Solten sie aber dabey wider zuver-
sicht bedencken haben, hielten sie den under den churfürstlichen gesanden
bishero geprauchten modum zu observiren, daß nemblichen pro numero
personarum primus dem primo, secundus secundo, tertius tertio etc. zu
cken , ob nit alßdann solche visiten gar einzustellen oder allein durch die
principalabgesanden zu verrichten.
Kurbayern . Sie hetten observirt, daß die königlich Spanische sowohl dem
primario alß den secundariis von ihnen bey ablegung der visiten den vor-
gang gelaßen. Hielten solches, da es ubrigen churfürstlichen gesanden auch
also beliebig, gleichergestalt bey den Holländern zu beobachten, wiederigen-
falß dieselbe wie auch die Venediger, Schweitzer und andere mehr die
praecedenz vor den herrn churfürsten erhalten würden. In effectu wehren
sie allein von graffschafften deputirt, dahero die churfürstliche gesanden
denselben im geringsten nichts nachzugeben. Vermeinten derowegen,
solches etwan durch die herrn Churbrandenburgische, welche ohnedaß
wegen nacher nachparschafft und sonsten zuzeiten zusammenkunfften
hetten, anzudeuten.
Kurbrandenburg . Ihren Nachrichten zufolge haben die Niederländer davon
gehört, daß Longueville und der Venezianer allein den kurfürstlichen Primarge-
sandten den Vortritt gelassen haben, und wollen auch nicht mehr zugestehen. Nun
wehre ihnen bekand, daß, alß nit allein von Ihrem Gnädigsten Herrn zu
ihnen gesanden in Haag verschickt, sondern auch zuzeiten wegen der
hertzogthumber Cleve etc. gewiße deputirten zu angestelten zusammen-
kunfften abgeordnet und tractirt worden, denselben yederzeit von den
Holländern in sessionen, subscriptionen und siegelungen der vorzug gege-
ben worden
Die Vertreter Kurbrandenburgs (unter ihnen Adam Gf. Schwarzenberg) unterschrieben an erster
Stelle die Konföderation zwischen Kurbrandenburg und den Niederlanden 1622 und die Allianz
von 1632 ( Lünig , Reichsarchiv IX S. 56, 64). Siehe oben S. [ 116 Anm. 1 ] .
citum , und wolten sie denselben zu einiger offension nit gern ursach, gleich-
wohl aber auch, wie sie dann deßen specialiter bevelcht, nichts nachgeben,
so der churfürstlichen praeeminenz und hochheit zuwider.
auch nit in pari gradu gleich der Venetus begrieffen, sondern allein von
graffschafften deputirt; stehen derowegen dahin, ob man den von Chur-
cölln vorgeschlagenen modum ergreiffen wolte.
Kurmainz . Recapitulirte der herrn vorstimmenden vota. Soviel nun daß
praedicatum belanget, wehre solches albereit ein abgehandlete und ver-
glichene sach, dabey es dann auch sein bewendens.
Sonsten vermeinten sie, weiln sie vernehmmen, daß die königlich Hispa-
nische sowohl den primariis alß secundariis der churfürstlichen gesand-
schafften bey ablegung der visiten den vorzueg geben, wann solches den
Holländern remonstrirt werden solte, sie auch weichen würden, welches
dann ahm füglichsten durch die herrn Churbrandenburgische, dafern sie
die bemüehung uber sich zu nehmmen beliebens tragen solten, geschehen
könde; wobey dann anzuhencken, daß man verhoffen wolte, sie sich bey
annehmmung der visiten gleich die königlich Hispanische bezeigen und
ein mehrers nit achten würden, uff den fall aber solches nit zu erhalten,
wolten sie sich der Churcöllnischen vorschläg auch nit zuwider sein laßen,
wiewohl sie besorgten, es bey demselben auch noch allerhand difficultäten
geben würde.
Sonsten besorgten sie, wann der Venetianische ambassador vernehmmen
solte, daß der Frantzösische plenipotentiarius duc de Longeville den prima-
riis allein die vorhand geben, die secundarios aber nachgehen laßen, er
mögte darauß ein actum praecedentiae erzwingen.
5–11 Ist – genohmmen] Laut Kurköln zA I, spA I, Ib, Kurbayern Rp II folgt
eine weitere Umfrage: Kurmainz und Kurtrier sind der Auffassung, daß die kurbrandenburgi-
schen die niederländischen Gesandten umstimmen sollen. Kurköln möchte bei Nicht-Annahme
seines Kompromißvorschlags seitens der Niederländer die visita allein per primarium ver-
richten lassen und weist darauf hin, daß die Venezianer und Niederländer sich auf das Bei-
spiel Longuevilles nicht berufen können, weil auf dessen person ein particularreflexion
zu machen. Kurbayern bemerkt dazu ergänzend, daß man auch mit Franckreich zu trac-
tiren , mit den Holländern aber, außer was Churcollen und -brandenburg der nach-
parschafft willen, nichts zu thun hab. Kurbrandenburg greift Kurbayerns Hinweis auf,
daß die kurfürstlichen Gesandten alle sammentliche in der volmacht begriffen, dahero
der underschied so groß nit zu machen. Den kurkölnischen Kompromißvorschlag erwei-
tert Kurbrandenburg: Da die niederländischen Gesandten in einem frembden logament,
da sich der numerus electoralium endigte, nicht gern einige Mitglieder ihrer Gesandt-
schaft hinden nachgehen lassen werden, kann man ihnen das medium vorschlagen, daß
ultimus auß der churfürstlichen gesandtschaft allen ubrigen zuletzt folgen soll.
worden, dahin zu sehen, wie etwan durch
vermittelst einer dritten persohn unvermerckterdingen die Holländische
gesanden dahin zu disponiren, daß sie sowohl den secundariis alß primariis,
gleich von den königlich Hispanischen gesanden geschehen, bey ablegung
der visiten den vorzueg geben theten, allermaßen dann auch wohlermelte
herrn Churbrandenburgische, solches zu verrichten, uber sich genohmmen.