Acta Pacis Westphalicae III A 6 : Die Beratungen der Städtekurie Osnabrück: 1645 - 1649 / Günter Buchstab
112. 94. Sitzung des Städterats Münster 1647 Juni 30/Juli 10 9 Uhr
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Münster 1647 Juni 30/Juli 10 9 Uhr
Strassburg AA 1144 fol. 392’–397 = Druckvorlage; Ulm A 1560 o. F.
Erfolglose Reichsdeputation an Hessen-Kassel wegen Satisfaktion und Marburger Erbauseinander-
setzung ; Bittschreiben an die Landgräfin von Hessen-Kassel; Deputation an die kaiserlichen, fran
zösischen und schwedischen Gesandten.
Anwesend: Köln, Aachen, Straßburg, Lübeck, Frankfurt, Kolmar auf der Rheinischen, Augsburg,
Nürnberg, Eßlingen [per Lindau] und Memmingen auf der Schwäbischen Bank.
Köln als Directorium proponiert: Gleich wie sich allerseits herren abge-
sandte zweiffelsfrey erinneren, welcher gestalt bey letzterer session dahin ge
schloßen worden seye, denen Heßen Caßel- und Darmstättischen herren abge-
sandten durch eine, von gesambten chur-, fürsten und ständen an dieselbe
gemachte deputation aufs beweglichste zuzusprechen und zu sehen, ob die
wegen der Heßen Caßelischen satisfaction und Marpurgischen successions-
sach noch obschwebende und dem fridenswerckh sehr hinderliche differen-
tien deren mahl eines assopirt und beygeleget werden möchten, also seye
selbige am 5. und 6. hujus werckstellig gemacht, von dem Churmaintzischen
reichsdirectorio die relation darüber in forma abgefaßt, denen directorüs in
allen dreyen reichsräthen zu dem ende, damit die herren abgesandten ihre
gemüthsmeinungen noch ferners darüber eröffnen möchten, abzulesen gege-
ben und dabenebens, in nochmahlige umbfrag dieses zu stellen, für nöthig
erachtet worden
Druck Meiern IV S. 637 –641; Hessen-Kassel war am 25. Juni/5. Juli 1647, Hessen- Darm-
stadt am Tag darauf vor die Reichsdeputation geladen. – Neben Wolff von Todenwarth war Hessen-
Darmstadt durch Justus Sinold gen. Schütz (1592–1657) vertreten ( J. L. Walther S. 70).
modation der Heßen Caßelischen satisfactions- und Marpurgischen succes-
sionssach außgestellten declaration vest bestehen, sondern auch die Heßen
Caßelische defectum mandati vorschützen und die interessenten beständig
contradiciren, was bey so bewandten extremiteten weitters zu thun sein
wolle?
Aachen. Er habe, was bey der an die Heßen Caßelische herren abgesandten
gethanen deputation vorgangen seye, wohl vernommen, weiln aber
daßelbe etwas weitläuffiig, die sach auch an ihr selbsten von großer Wichtig-
keit und ohne das styli seye, ad dictaturam kommen zu laßen, was ad deli-
berationes gebracht werden solle, damit man vorhero sich darinnen nach
notturfft ersehen und desto näher zur sach votiren könne, alß wolte er, daß
abgelesene relation per dictaturam vorderst communicirt werden möchte,
gebetten und biß dahin sein votum suspendiret haben.
Augsburg. Er habe ebenmäßig verstanden, was von denen herren depu-
tirten zwischen denen Heßen
seye. Weiln er aber die sach an sich selbsten sehr schwär und nachdenckhlich
befinde, auch auff das bloße ablesen alles nach notturfft zu faßen und sich
darüber zu erclären, vast ohnmöglich seye, alß conformire er sich dißfalls
auch mit Aach, daß nemblichen das abgelesene protocoll per dictaturam
communicirt und alßdann fernere notturfft dabey beobachtet werden köndte.
Im fall aber die majora ein anders mittbringen wolten, habe er in eum
eventum sein votum dahin abgefaßt: Er befinde, daß die Heßen Caßelische
praetension auff 7 petitis bestehe, nemblich 1. der amnistiae mitzugenüßen,
2. die reformirte religion liberrime zu exerciren, 3. den stifft Hirschveldt und
die darzu gehörige clöster und probsteyen dem hauß Heßen Caßel zu über
laßen und in weltlichen standt zu versetzen, 4. demselben in seinen vor
schlägen bey der Marpurgischen succession sach zu willfahren, 5. deßglei
chen gegen denen herren graven von Waldeckh, 6. der Heßen Caßelischen
frauen wittiben wegen ihres allegirten schadens satisfaction zu geben, 7. letzt-
lichen dero underhabende völckher zu bezahlen.
Das erste petitum dependire von der in handlung stehenden universal und
durchgehenden amnistia, was nun darinnen geschloßen werden möchte,
davon würde Heßen Caßel active und passive nicht außzuschließen sein.
Das andere haffte gleichfalls an deme, weßen sich die catholischen und Augs-
purgischen confessionsverwandte chur-, fürsten und stände insgemein, der
reformirten religion halben, bereden und vergleichen werden, daran Ihre
Fürstliche Gnaden zu Heßen Caßel sich auch zu halten.
Soviel drittens den stifft Hirschveldt anlange, gehöre solche sach ad punctum
der religions gravaminum, daselbst man der erledigung zu erwarten.
Die Marpurgische succession-, auch die Waldeckhische sach köndten noch-
mahl auff güthliche tractatus außgestellet und hierzu von allen theilen
gewiße arbitri benennet,
mediatorum außspruch endlich beygelegt werden.
Weil dann die von Heßen Caßel selbsten verlangende amnistia mitbringe,
daß die hinc inde zugefügte schäden in vergeßenheit gestelt und einem jeden
seine liegende güther, die er vor diesem krieg inngehabt, restituirt werden
sollen, cumque it, quod uni parti justum est, alteri quoque iustum sit, alß
könne man nicht sehen, warum Ihrer Fürstlichen Gnaden diß orths ein
besonders zu machen und ratione damni dati, darüber sich die interessirte viel
mehrers zu beschwären hetten, wenig oder viel zu bewilligen,
ursachen selbige der restitution befreyet oder einig jus retentionis zu ge-
brauchen befugt sein mögen.
Und gleich wie ein großer underschiedt seye zwischen außwertigen cronen
und den ständen des reichs, qui legibus imperii vivere tenentur, die sich nach
deßen reichsconstitutionen, dem gemeinen land- und religionfrieden zu
richten schuldig, also seye über das vorstehende frembd zu vernemen, daß
man noch darzu die Heßen Caßelische soldatesca um ihren soldt bezahlen
und befriedigen solle. Laße es demnach bey dem vor einem jahr in allen
dreyen reichsräthen abgefaßten bedenckhen und deren inhalt bewenden, ihme
aber nicht entgegen sein, daß Heßen Caßel durch einige weittere vorträgliche
mittel und weeg zu der billichkeit vermögt werde.
Weil dan schließlich die relation oder das protocoll über die Heßen Caße
lische deputation bloß abgelesen worden und nicht gleich alles nach notturfft
zu faßen gewesen, alß hielte er davor, man solle alles ad dictaturam geben,
damit diese sach ihrer schwerwichtigkeit nach deßto beßer bedacht werden
möge.
Da aber in den höheren räthen auff eine deputation an die herren
Frantzösische und Schwedische solte geschloßen werden, begehre er
sich nicht davon zu separiren.
Straßburg. Weiln er von deme, was verlesen worden, vorhero auch keine
nachricht gehabt, alß conformire er sich ebenmäßig mit Aach, in eventum
aber, dafern in denen höheren collegiis dafür gehalten werden solte, daß eine
deputation an beeder königlicher cronen plenipotentiarios dahin zu machen
seye, denen herren Caßelischen gesandten beweglich zuzusprechen, daß sie
von ihren extremiteten abstehen und das fridenswerckh beßer befürdern
helffen wolten, trage er kein bedencken, mit selbigen und zwar um soviel
mehr sich zu vergleichen, weiln mit denen herren Caßelischen gesandten, in
dem sie sich auff beeder cronen hülff verlaßen und außgestelte declarationes
gründen, weitters nicht außzurichten seye. Wann nun jene von ihrem vor-
haben nicht vorhin dimovirt noch ihnen causae qualitas vor augen gestelt
werde, sehe er nicht, wie aus der sachen zu kommen seye und das fridens-
werckh befürdert werden könne. Reservirte ihme auch im übrigen alle fernere
notturfft.
Nürnberg. Weiln er von dieser in consultation gestelten sach nichts ge
wußt , als bitte er, selbige vorderist ad dictaturam zu bringen, dahin er auch
sein votum suspendiren wolle. Dafern aber in denen höheren collegiis auff
eine deputation geziehlet werden möchte, wolle er sich davon nicht sepa-
riren . Daß aber auch dasjenige, was von beeden königlichen cronen in
beeden, die Heßische satisfaction und Marpurgische successionsach betref-
fenden puncten außgestelt worden ist, tamquam res transacta in das instru-
mentum pacis eingeruckt werden solle, darauff seye er von seinen herren und
oberen nicht instruirt. Stelte dabenebens zum nachdenckhen, ob nicht thun-
lich sein wolte, daß man an die fürstliche frau landgrävin zu Caßel selbsten
ein bewegliches erinnerungsschreiben abgehen ließe und dahin einrichtete,
daß sie sich in angeregten beeden puncten zu möglichster beschleunigung
des fridens auff billichere mittel und wege weisen laßen und bequemen
wolte. Es were aber vor allen dingen, was die höhere thun werden, zu ver-
nemen und wolte er ihme fernere erclärung und beßere gedancken erhei-
schender der sachen nothdurfft nach auff selbigen fall reservirt und vorbe-
halten haben.
Lübeck. Er laße ihme zwar, daß das jenige, was aus dem protocollo verlesen
worden, zu mehrerer nachricht ad dictaturam gegeben werde, nicht miß
fallen . Nachdem aber nicht allein die erfahrung bezeuge, sondern auch das
werckh vor sich selbsten an die handt gebe, daß durch dergleichen delibera-
tiones der sachen keineswegs geholffen und der fridenszweckh zu erreichen
stehe, halte er für rathsamer, mit dergleichen berathschlagungen und con-
clusis sich gantz nicht aufzuhalten, sondern vielmehr dahin zu sehen, ut alia
commodior et practicabilior via, dieses geschäfft zu accommodiren, inveniri
possit. Weiln dann an disen beeden puncten das obstaculum pacis haffte, in
deme sich nemlichen die herren Heßen Caßelischen auff der frembden
cronen außgestelte resolutiones beruffen, von ihren ohnmäßigen vorschlägen
auch im geringsten nicht weichen, noch die interessenten darein gehälen,
sondern bey ihrer contradiction ebenermaßen beharrlich verbleiben und also
die fridenstractaten dadurch nur schwärer gemacht werden wollen, alß hielte
er seines wenigen ermeßens kein beßer expediens zu sein, dann durch eine
ansehliche deputation beederseits
anzusprechen und die difficulteten dieser sachen auffs beweglichste dahin zu
gemuth zu führen, daß sie auch mit denen Kayserlichen darauß commu-
niciren und sich dahin bemühen wolten, damit diese beede, dem fridens-
negotio sehr hinderliche differenzen ad aequabiles terminos reducirt und
allen dabey sich eräugenden difficulteten ihre abhelffliche maß bestmöglichst
gegeben werden möchte. In mehrerer betrachtung auch bey denen herren
Kayserlichen, sich bey dem werckh zu interponiren und mit ersprießlichen
compositionsvorschlägen heraußzulaßen, nicht wenig stehe; wolte er vast
dafür halten, es würde nicht ohndienlich sein, wann man auch sie per
specialem deputationem, daß sie ihnen die sach dahin angelegen sein laßen
möchten, die herren Caßelischen sowohl als Heßen Darmstättischen dem
werck etwas näher zu tretten, zu disponiren und die zwischen ihnen ob-
schwebende differenzen auff fridtliebende weege zu vermittelen. Und ob
zwar nicht ohn, wann man beeder partheyen postulata et oblata conferiren
und der länge nach examiniren und justificiren wolte, daß die sach vielleicht
mit guthem bedacht accommodiret werden köndte, weiln aber nicht eben
darauff bestehe, daß man allererst consultationes zu schädlicher derselben
weitleuffigkeit und verzögerung des fridens darüber anstelle, hingegen die
zeit nutzlich zu ersparen angeregter vorschlag darum nicht ohnpracticirlich
seye, weiln herr grav von Trautmansdorff und herr grav Oxenstirn zur
abreise starckhe minen machen, und alßdann, wann diese 2 capita legationum
weggehen solten, nichts gewißes, als, da Gott vor behüte, die gantzliche
ruptur dieser tractaten mit höchster der gantzen christenheit bestürtzung
ervolgen würde. Alß were diesem malo, damit unser liebes vatterlandt Teut-
scher nation vor endlichem undergang errettet und nicht länger in blut und
threnen schwimmen müße, mit vorgeschlagenen deputationen oder auch
andere beßere wege eyfferigst vorzukommen. Was aber materia proponenda
bey angeregten deputationibus sein solle, darüber stehen der höheren ge-
dancken zu erwarten, mit denen er sich in eum eventum conformire.
Eßlingen per Lindau. Es seye ihme zwar auch von deme, was ad delibe-
rationem gebracht, nichts bewußt gewesen, weiln er aber daßelbe aus ab-
lesung der herren deputirten relation jetzund verneme und befinde, daß
diese die Heßische satisfaction und Marpurgische successionssach betref-
fende differenz weit außsehendt seye, durch consultationes nicht eben bey-
gelegt , und die zeit dadurch nur vergebens angewendet werden dörffte, alß
ließe er ihme vorgeschlagene deputationes an die herren Kayserlichen und
beeder cronen herren plenipotentiarios wohl belieben. Es köndte aber abge-
lesene relation vorderst ad dictaturam gegeben und, da es zur ferneren con-
sultation ankommen solte, die nothdurfft alßdann beobachtet werden. Solten
aber die majora dahin, daß man es bloß bey denen deputationen bewenden
laßen wolle, gehen, begehrte er sich in istum eventum davon auch nicht zu
separiren und stelte mit Nürnberg ebenmäßig zum nachdenckhen, ob nicht
zugleich ein bewegliches erinnerungsschreiben an die frau landtgrävin zu
Heßen Caßel abgelaßen werden möchte.
Frankfurt . Er habe aus abgelesener relation, daß es 1. um die Caßelische
satisfaction und 2. die Marpurgische successionssach zu thun seye, ver-
nommen .
Was nun das erste anlange, seye er von seinen herren und oberen, das votum
in isto puncto zu suspendiren, expresse instruiret. Soviel aber das andere
betreffe, verstehe er, daß die relatio ad dictaturam gebracht werden solle,
worbey er es auch bewenden laße. Wolle sich ingleichen, da die höhere auff
einige deputationes schließen solten, damit conformiren. Die materialia,
welche den cronen von den deputirten vorzutragen, werden vermuthlich
dahin gehen, nemblichen die herren Caßelischen vermittelst ihrer hoch
gültigen interposition dahin zu disponiren, daß sie, zuvorderst aber ihre
gnädigste fürstin und frau, mit demjenigen, was ihr von Darmstättischer
seitten bereits offerirt, sich begnügen laßen und beede theil auf solche
accommodationsmittel trachten wolten, damit der allgemeine fridenszweckh
dadurch nicht verhindert, sondern soviel möglich befürdert werden
möchte.
Memmingen . Er habe auch kein eigentliche nachricht von proponirter
materi gehabt, seye aber, weiln die notturfft schon vorhero dabey angeführet
worden, ein mehrers beyzusetzen oder zu erinnern oder auch, im fall die
höhere sich weitter herauß laßen solten, sich davon zu separiren, nicht
gemeint.
Kolmar. Es seye höchlichen zu betauren, daß die an die Heßen Caßelische
herren abgesandten abgangene deputation mit so schlechten fruchten abge-
loffen . Wann aber die sach annoch darauff bestehe, daß die Heßen Caßeli
schen auff der cronen außgestelten declarationibus beharren und sich davon
nicht dimoviren laßen wollen, weren alle media zu versuchen, ob man sie
vermittelst derselben und durch allerhand bewegliche ihnen an die hand
gebende remonstrationes ad moderatiora consilia bringen köndte, mit ange-
hengter dieser absonderlichen erinnerung, daß, wie Nürnberg und Lindau
monirt, pari passu ein bewegliches remonstration- und erinnerungsschreiben
an die frau landtgrävin zu Caßel abgelaßen werde. Erwarte im übrigen von
abgelesener relation ohnfehlbare partgebung.
Directorium ( Köln ). Man wiße vast nicht, was bey solchem statu, da
kein theil dem anderen das geringste weichen, viel weniger abtretten wolle,
zu thun. Were zwar sonsten der billichkeit nicht ohngemäß, daß in tali
extremitatis casu derjenige theil, welcher fast bey allen in dem concept, daß
er mit seinen postulatis zu hoch gestiegen seye, weichen solte; man laße es
aber dahin gestelt sein, und könne underdeßen denen für guth befundenen
deputationibus an beeder cronen herren plenipotentiarios wohl beystimmen,
es falle allein dabey diese difficultet für, wie nemblichen solche deputationes
werckhstellig zu machen sein werden, gestalten, wann man erstlich zu denen
Frantzosen deputire, die Schwedischen besorglich offendirt werden dörfften
et vice versa. Wann es aber pari passu an beede cronen geschehe, werden
selbige darauff sehen, zu welcher die hauptgesandtschafften deputirt seyen,
auff den fall nun in denen höheren collegiis berührte deputationes beliebet
werden solten, hielte er ohnmaßgeblich davor, man hette aus mittel der
catholischen an die Frantzosen, an die Schwedischen aber von denen evan-
gelischen zu deputiren. Stelte es doch dahin.
Conclusum. Es solle verlesene relation per dictaturam communicirt und
weittere notturfft einem jeden dabey reservirt und vorbehalten, underdeßen
aber auch auff den fall, da die chur- und fürstliche auf eine deputation an
beede königliche cronen oder auch an die herren Kayserlichen schließen
solten, stättischen theils damit verglichen werden.