Acta Pacis Westphalicae III A 6 : Die Beratungen der Städtekurie Osnabrück: 1645 - 1649 / Günter Buchstab
102. 84. Sitzung des Städterats Osnabrück 1647 April 23 8 Uhr
102
Osnabrück 1647 April 23 8 Uhr
Strassburg AA 1144 fol. 346’–350 = Druckvorlage; Ulm A 1560 o. F.; vgl. ferner Bremen
2–X. 8. m.
Erneute, durch Volmar hervorgerufene Auseinandersetzung um das städtische votum decisivum.
Streitsache zwischen Hessen-Darmstadt und Hessen-Kassel.
Anwesend: Straßburg, Lübeck, Frankfurt, Bremen auf der Rheinischen, Nürnberg, Eßlingen [per
Lindau] und Memmingen auf der Schwäbischen Bank.
Herr Director. Es seye zwar dise zusammenkunfft, wie allerseits herrn
abgesandten bekandt, darumb angestellt, daß man von dem Heßen Darmb-
stattischen memorial collegialiter deliberiren und reden solle. Er könne aber
gleich wohl vorhero dasjenige, was er gestern abend spät in erfahrung ge-
bracht habe, zu berichten nicht umbgehen, daß nemblich herr Vollmar den
erbaren frey- und reichsstätten wegen ihres voti decisivi neue difficulteten
mache. Dieweiln nun, was bey jüngstgehaltener conferenz deßwegen vor-
kommen sein möchte, herrn Salvio am besten bekandt sein werde, alß habe er
sich gestrigen abend bey demselben umb audienz beworben, dieselbe aber,
weiln er, herr Salvius, wegen des posttages sehr occupirt gewesen, allererst
uff heut umb 9 uhren erlanget. Nachdem er auch, daß die herren Kayserlichen
disen § um de voto decisivo civitatum imperialium in ihren notandis prae-
terirt und alß ohnnöthig und impertinent durchgestrichen, wahrgenommen,
die herren Kayserlichen aber heuttigen tag widerumb zu denen herren
Schwedischen fahren werden, die noch übrige discrepantien in dem instru-
mento pacis abzuhandlen, diejenigen puncten aber, welche sie under sich
nicht werden vergleichen können, in die 3 collegia imperialia zu bringen und
dises stättische geschäfft vermuthlich dabey vorkommen dörffte, alß habe er
etliche rationes, quibus evincitur votum civitatum imperialium non esse con-
sultativum sed decisivum, in omnem eventum und zu dem ende, daß er
bey verstatteter audienz mit herrn Salvii Excellenz darauß communiciren
möchte
Vgl. dazu die schwedischen Friedensprojekte vom April 1647 in Meiern IV S. 490 –493,
insbes. S. 491; V S. 457–468, insbes. 464.
gesandten , was sie dabey zu erinnern haben möchten, ohnbeschwärt andeut-
ten wolten, gebetten.
Lübeck. Sagt vorderist dem herrn directori für die vertrauliche communi-
cation deßen, was sich der löblichen frey- und reichsstätt voti decisivi halber
auffs neue widerumb erregen wolle, hohen danck und weiln zu besorgen, es
möchte denenselben bey so schleunigem fortgang der zwischen den herren
Kayserlichen und Schwedischen an itzo versirenden handlungen etwas prae
judicir- und verfängliches begegnen, halte er nöthig zu sein, zumahln sie
heuttigen nachmittag wiederumb zusammenkommen werden, daß der herr
director bey herrn Salvii Excellenz zu bestimbter audienz sich einstelle und
das werck bester maßen recommendire.
Nürnberg. Bedanckt sich gegen dem herrn directore ebenermaßen für die
vertrauliche partgebung dises neuen emergentis und auffgesetzte rationes,
finde selbige wohl gefaßt, und, weiln sich viel, die denen erbaren stätten
nicht zum besten geneigt, befinden, hette man desto mehr ursach zu wachen
und der herr director die offerirte gelegenheit, mit herrn Salvii Excellenz auß
dem werck zu communiciren, in acht zu nemen.
Frankfurt. Hette zwar an seinem orth, daß der von dem voto decisivo han-
dlende pass auß dem instrumento pacis geblieben were, darumb lieber sehen
mögen, weiln 1. die stätte ihnen selbsten dadurch neue scrupulositeten und
gevölgig die sach nur schwärer machen, 2. wüßte er sich noch wohl zu erin-
nern , daß die herren Kayserlichen auff jüngstem Regenspurgischen reichstag
gegen etlichen auß mittel der stätt gesandten sich expresse vernemen
laßen, wann ihnen jemand ihr votum decisivum disputiren wolte, werden
Ihre Majestät solches nicht zugeben, sondern sie quovis modo dabey main-
teniren und handhaben. So seyen auch daselbsten 3. verschiedene praejudicia,
alß da man different gewesen, ob dem könig
„majestatis“ oder „dignitatis“ zu geben sein wolle, vorgangen, in denen der
erbaren stätt votum numerirt, und weiln die chur- und fürstliche sich deß
wegen nicht vergleichen können, die majora gemacht worden seyen. Nach-
dem aber dises votum decisivum bey diesen tractaten zu verschiedenen
mahlen angefochten werden wollen, könne man deßwegen die nothdurfft in
obacht nemen.
Eßlingen per Lindau. Bedanckt sich gleichergestalt gegen dem herrn direc-
tor wegen gethaner apertur und halte nicht allein vorhabendes ansprechen
bey herrn Salvii Excellenz, sondern auch, daß demselben die wegen des voti
decisivi auffgesetzte rationes, zumahln weiln die conferenz zwischen denen
herren Kayserlichen und Schwedischen heut widerumb vorgehen solle, zu
genügen remonstrirt werden, für höchstnothwendig; maßen er dann
darumb höchlich gebetten haben und zugleich gerne sehen wolte, daß bey
dieser occasion auch des
möchte.
Bremen sagt dem herrn directori für fideliter gegebene nachricht und erwi-
sene vorsorg freundlichsten danck. Und halte auch dafür, daß das werck auß
bereits angeregten ursachen, nachdeme auch alhier verschiedene disputen
wegen des voti decisivi vorgefallen seyen, denen herren Schwedischen omni
meliori modo zu recommendiren seye.
Memmingen repetita gratiarum actione conformire sich mit vorgehenden
vernünfftigen votis.
Conclusum. Es soll der herr director das ansprechen bey herrn Salvii Ex-
cellenz zu werck richten und demselben das geschäfft de meliori recommen-
diren .
Ehe nun der herr Director seinen abdritt genommen, hatt er ferner propo-
nirt , es seyen noch zwey sachen zu expediren, nemblich das Heßen Darmb-
stattische
Meiern IV S. 430f. , 431–438. Zur hessischen Erbauseinandersetzung vgl. F. Dickmann
S. 380ff.
Lübeck. Das Heßen Darmbstattische memorial betreffend wolle die frag
sein, ob man sich stättischen theils darüber vernemen laßen oder daßelbe
zu thun bedenckens tragen wolle. Er an seinem orth halte dafür, man werde
vorhero, was die höhere, under denen das werck ohne das versire, dabey
thun werden, zu vernemen. In omnem eventum aber sich dahin zu resol-
viren haben, daß, im fall dise sach zwischen denen herren Frantzösischen
und Schwedischen mit der interessirten guthem willen beygelegt und ver-
glichen werden köndte, es dahin zu stellen. Im widrigen aber, weiln gleich-
wohl auch dise sach nicht materia belli gewesen, consequenter auch zu die-
sen tractaten nicht gehöre, zu versuchen seye, ob beede puncten, das die güt
lich angefangene tractaten mit zuziehung noch etlicher stände fortgestellt
werden möchten, zu disponiren seyen. In entstehung aller gütlichen hand-
lung aber, halte er das beste zu sein, daß man das werck ad justitiam verweise
und denen interessenten an hand gebe, daß sie sich mit ordentlichem außtrag
rechtens begnügen, de forma judicii aber sich selbsten undereinander ver-
gleichen möchten. Wolle doch, daß der höheren stände sentiment vor allen
dingen darüber vernommen werde, der meinung sein.
Nürnberg. Seye auch in dem einig, daß man, was die herren fürstliche in
dieser zwischen beeden fürstlichen häusern Heßen Caßel und Heßen Darmb-
statt obschwebenden streitsach, sich resolviren werden, dißorths vorhero
erwartten solle. Habe sonsten auß dem per dictaturam erhaltenen memoriali
so viel ersehen, daß an Heßen Darmbstättischer seitten begehret werde, man
wolte denen herren Schwedischen, Frantzösischen und Kayserlichen per
deputatos die billichkeit ihrer sachen bester maßen recommendiren und, daß
Heßen Caßel auff beschehene remonstration ihrer billichmäßigen vor
schläg sich einmahl accomodiren möchte, möglichst cooperiren. Müße be-
kennen , daß die herren Heßen Darmbstättische sich zimlicher maßen zum
ziehl legen, in dem sie den herren Caßelischen, daß sie selbsten nach ihrem
gefallen richter erwöhlen und wegen der in possession habender güther
tertio non interessato die administration gegeben werden möchte, freystel-
len , welche vorschläg alle der billichkeit gemäs seyen. Wiewohln sich nun
die erbaren stätt in dise sach nicht zu mis chen haben, könne man jedoch,
daß bisherige gewesene güthliche tractaten noch ferners continuiret wer-
den , wohl geschehen laßen. Solten aber selbige nichts fruchten, were es end-
lich auff vorgeschlagene ohnpartheyische justiz außzustellen, vorderist aber,
was die herren fürstliche dabey thun werden und, ob sie Heßen Darmbstatt
mit suchender deputation gratificiren wollen, zu sehen und zu erwartten.
Frankfurt. Conformire sich ebenmäßig mit vorhergehenden vernünfftigen
votis, daß man nemblich der herren
sach erwartten und auff allen fall womüglich die güthliche handlung zu
befürdern trachten solle. Seine herren und oberen desideriren zwar ein meh-
rers nicht, alß daß beede fürstliche häußer, zumahl wegen so naher nachbar-
schafft , in guthes vernemen und einigkeit widerumb gebracht werden
köndten. Seye aber von denenselben auff dise sach expresse nicht instruirt;
weiln jedoch die an Heßen Darmbstättischer seitten gethane vorschläg und der
modus procedendi nicht ohnbillich, in dem sie von gesambten ständen des
reichs eine deputation an die herren Kayserlichen und königlichen Frantzö
sische und Schwedische wegen gütlicher composition und an die interessen-
ten selbsten, daß sie sich accomodiren möchten, begehren und in entstehung
derselben effect den Heßen Caßelischen, daß sie selbsten nach belieben judi-
ces erwöhlen solten, vorschlagen. Und demnach nur dahin stehen werde, ob
man disem petito deferiren wolle? Alß halte er der frau landtgrävin
Amalie Elisabeth (s. o. S. [ 118 Anm. 10 ] ).
Heßen nicht zu nahe votirt zu sein, wann man sie, disen vorschlag anzu-
nemen , disponiren thete. Im übrigen aber werde man sich mit denen herren
fürstlichen, insoweit es absque praejudicio der erbaren stätt geschehen
möge, zu conformiren haben.
Eßlingen per Lindau. Könne sich auch an seinem wenigen orth mit vor-
stimmenden vernünfftigen votis gar wohl vergleichen, daß nemblich der
herren fürstlichen meinung in disem negotio für allen dingen zu erwartten,
sonsten aber nicht ohndienlich seye, das von Lübeck vorgeschlagene
medium compositionis zu practiciren. Laße es sich nicht thun, könne man
alßdann bey dem Heßen Darmstättischen erbieten bestehen.
Bremen sagt: Er habe nicht allein keine nachricht von der materia delibe-
randi gehabt, sondern auch dasjenige, was deßwegen per dictaturam com-
municirt worden, nicht alles gesehen noch gelesen. Könne also sein votum
noch nicht ablegen. Finde gleichwohl die sach also beschaffen, daß man
stättischen theils, sich darein zu mengen, nicht ursach habe. De caetero laße er
das werck in integro und an seinem orth beruhen.
Memmingen sagt: Er habe auch nicht aigentlich gewußt, worüber man heut
deliberiren werde. Habe aber dictirte memorialia gelesen und, daß Heßen
Caßel sich noch trefflich stercke, wahrgenommen. Könne wohl geschehen
laßen, daß die sach in omnem eventum auff ein compromissum und gewiße
judices gewisen werde.
Conclusum. Obwohl die zwischen beeden fürstlichen häußern Heßen Caßel
und Heßen Darmbstatt versirende schwärwichtige controversia von diser
noch anhaltenden grundtverderblichen kriegsempörung ihren ursprung
nicht genommen noch alß eine von der justitia dependirende sach zu vor-
habenden friedenstractaten proprie gehörig, weiln sie jedoch der allgemei-
nen reichsberuhigung eine schädliche hindernuß und verzögerung leichtlich
gebären köndte, alß wolle man sich stättischen theils gern damit vergleichen,
daß vermittelst einer auß allen 3 reichscollegiis verordneten deputation die
höchst ansehnliche herren Kayserliche, königliche Frantzösische und
Schwedische plenipotentiarii ersucht und angesprochen werden, allen mög
lichen fleiß dahin, wie bißhero geschehen, noch ferners anzuwenden, daß
obberürter differenz ihre abhelffliche mas und endliche richtigkeit under
wehrenden disen tractaten in güthe und ohne beschwärung anderer stände
des reichs gegeben oder in entstehung derselben das geschäfft auff ohnpar-
theyischen außschlag selbst erwöhlender schiedtsrichter gestellet werden
möge.