Acta Pacis Westphalicae III A 6 : Die Beratungen der Städtekurie Osnabrück: 1645 - 1649 / Günter Buchstab
26. 9. Sitzung des Städterats Osnabrück 1646 Februar 7
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Osnabrück 1646 Februar 7
Nürnberg S I L 203 Nr. 19 fol. 21’–24’ = Druckvorlage; Strassburg AA 1144 fol.
29–33’; Ulm A 1560 o. F.; Isny Büschel 868 o. F.; Esslingen „tomi actorum“ Bd. IV fol.
35–40; Lübeck Senatsakten Reichsfriedensschlüsse 24 o. F.; vgl. ferner Bremen 2 – X. 8. m.
Gravamina der katholischen Stände: Beratungsmodus, Geistlicher Vorbehalt, Kurmainzischer Vor
stoß gegen Sitzungsautonomie des Städterats. Städtisches Bedenken zu Gravamina politica.
Anwesend: Straßburg, Lübeck, Bremen auf der Rheinischen, Eßlingen und Lindau auf der Schwä
bischen Bank.
Straßburgisches Directorium referirt: Habe sich gestern umb 3 uhren bey
dem Magdeburgischen directorio auf vorhergegangenes ankünden gebüh
rend eingefunden, und deßen proposition kürzlich dahin verstanden, daß,
nachdeme nunmehr die gravamina catholicorum auch hieher geschikt und
communicirt worden, das hochlöbliche directorium solches zu dem ende
habe wollen andeuten, damit man sich darinnen ersehen und ohne zeitverlie-
rung zu gegengravaminibus möchte gefaßt machen.
Dabey haben sich gleich bey dem ersten voto die zwo fragen erreget: Was
nehmlich sowol ratione modi als ipsius materiae zu beobachten? Den modum
betreffend seye man anfänglich different und etliche der meinung gewesen,
daß man per deputatos et quidem eosdem, so hiebevor zu verfaßung dißeiti
ger gravaminum niedergesezt gewesen, aniezo wieder handeln, die sach
erwegen und ihre meinung den übrigen hinterbringen laßen solle. Andere
haben begehrt, collegialiter durchzugehen, andere aber auff beede modos
zugleich collegialiter scilicet et per deputatos zu deliberiren gerathen.
Die erste haben sich darauf fundirt, daß ihr vorgeschlagener modus bey
berathschlagung und verfaßung voriger gravaminum nicht allein ergriffen,
sondern auch ex eventu gut befunden worden seye.
Es habe aber der andern meinung praevalirt, weiln die vorige deputirte übel
angesehen und deßwegen davor gehalten worden, es würde sich zu dieser
arbeit niemand gerne gebrauchen laßen. Zu deme, so sehen viel augen mehr
als eines und wolle der sachen wichtigkeit, so jederman betrifft, auch von
jederman angehört und berahtschlaget werden; befürderung seye höchst
nöhtig , per deputatos zu handeln verzüglich und dahero undienlich, deß
wegen man es bey dem collegial modo gelaßen.
Materiam belangend habe man geschloßen, alsobald den geistlichen vor-
behalt an die hand zu nehmen, dabey aber die sach zu keinen extremitäten
gelangen zu laßen, umb den hiebevorigen erklärungen, daß man sich jeder-
zeit zur billichkeit verstehen wolle, nachzukommen und zu verhüten, daß
die tractaten nicht miteinander zu waßer werden. Sonsten werde man auch
von Frankreich keine assistenz haben. Cum respublica et ecclesia
et ecclesia sit in republica, müse zuvorderst auff diese conservation gesehen
werden. Zwar habe es die meinung gar nicht, daß man den geistlichen vor-
behalt approbiren, sondern allein, daß man sich vor extremitäten in diesem
stükh hüten solle.
Die im fürstenraht vorgeschlagene, an diesem ort referirte und von dem
Lübekhischen herrn abgesanden wiederholte media seyn auff künfftige
außzustellen, vor gut erachtet worden.
Ipse habe nicht gewußt, warumb man würde zusammenkommen. Dero-
wegen alles ad referendum genommen, gleichwol ratione deputationis ge-
sagt , daß solche nicht rahtsam sein, wie auch circa materiam niemand von
stätten seines ermeßens auff extremitäten incliniren werde; doch demjenigen,
so die herrn abgesanden iezo sich darauff zu erklären haben, unvorgreiflich.
Lübeck. Dieses seye der verlauff, wie iezo vorgebracht, und in alle weg
billich, daß collegialiter gehandelt und in so hochwichtigem geschäfft einem
ieden seine meinung selbsten zu eröffnen, verstattet werde. Dahero denen
herren collegiis frey stehen werde, persöhnlich oder per deputatos zu er-
scheinen , gleich wie es dann auch bey neulicher deputation die meinung
gehabt, daß der dem bedacht begehrt beyzuwohnen, ob er schon nicht
deputirt worden, unaußgeschloßen sein solle.
Res ipsa seye von weitem aussehen; er seines theils conformirc sich gern
damit, daß man sich vor extremiteten zu hüten, aber unterdeßen den leidigen
vorbehalt in keinerley weis zu approbiren, sondern sich des widrigen ex-
presse zu bedingen habe. Und weiln keine hoffnung, daß die catholische zu
cassation des vorbehalts sich werden disponiren laßen, so müße man unter
anderen mitteln dahin trachten, daß alle stiffter, so von zeit des Passauischen
vertrags biß ad annum 1618 in evangelischen handen, oder aber zugleich mit
evangelischen und catholischen capitularen vermenget gewesen, seithero aber
in ein oder andere weg seind reformirt worden, in statum anni 1618 restituirt
und die besizer aller regalium ratione voti et sessionis fähig erkennt
werden.
Wegen der catholischen stiffter laße ers dabey bewenden, daß deroselben
der evangelischen religion zu tretten erlaubt, das jus reformandi aber nicht
gestattet werde et ita reciproce, wann von einem evangelischen stifft sich
jemand zu der catholischen religion begeben sollte. Und weiln dieser vor-
schlag auf dem aequilibrio bestehet, so seye davon nicht zu weichen, iedoch
wolle er über dieser materi sich inskünfftig ferner zu erklären, ihme hiemit
expresse reservirt haben.
Eßlingen. Habe verstanden, was außführlich vorgetragen worden; laße es,
ratione modi, dabey bleiben, daß die sach collegialiter geführet werde. Weiln
die materia groß und wichtig und er nicht gewust, warumb diese consulta-
tio angestellet worden, bitte er zeit, umb sich in den gravaminibus selbsten
zu ersehen und sich darauff mit beßerem grund vernehmen zu laßen. Seye
recht, daß keine extremiteten ergriffen werden, aber auch nohtwendig, wider
den geistlichen vorbehalt sich durch außdrükliche bedingung zu ver-
wahren .
Bremen. Dankt pro relatione, recapitulirt dieselbe, ist einig, daß collegialiter
und nicht per deputatos zu consultiren. Wann man vor diesem auff reichs
tägen in religionssachen zu tractiren gehabt, seyn die vota viritim gesamblet
worden. Selber modus würde auch iezo wie bey den fürstlichen also auch
bey denen stättischen zu halten sein.
Rem ipsam belangend, illo praesupposito, daß ein ieder darzu komme, seye
zu früe, davon zu reden, doch eventualiter halte er dafür, daß man vorsichtig
gehen, das gewißen beobachten, dannoch keine extrema gebrauchen solle. Der
geistliche vorbehalt seye iederzeit wie der Papisten augapfel gewesen, dero-
wegen wir deßen abstellung auch für unseren augapfel halten sollen und
weil deßen finis ist, die veritatem evangelicam zu unterdrüken, in diesem
stukh nicht das geringste nachgegeben, sonsten werde crimen laesae majes-
tatis divinae begangen, wie zu anderen zeiten in den fürstlichen votis die verba
formalia gefallen sind.
Lindau. Dankt auch pro relatione, findet, daß majora schon auf delibera-
tionem collegialem gehen, läst ihme solches wol belieben, sowol wegen
wichtigkeit des geschäffts als auch, weil per modum deputationis doch keine
zeit könne gewonnen werden.
Circa rem ipsam keine extrema brauchen, sondern soviel möglich nach-
geben . Propter naturam transactionum quae fieri solent dato aliquo et
retento.
Wegen des geistlichen vorbehalts kan er sich nicht erklären, weil er vorhin
davon nichts gewust. Der fürstliche vorschlag ist gut, sorge aber, da er
gleich anfangs beschehe, würde er a catholicis nicht pro medio, sondern pro
extremo gehalten und darauf ferner in uns gesezt werden.
Straßburgisches Directorium. Seye schon richtig, daß nicht per depu-
tatos , sondern collegialiter vel potius viritim gehandelt und gleich morgen
der geistliche vorbehalt vorgenommen werden solle. Stehe zwar zu einem
jeden zu erscheinen, doch were beßer, daß sich ein jeder selbsten expecto-
rirte , welches,
kurzem geschehen müße. Dasienige, so man sich über den geistlichen vor-
behalt albereit erkläret, binde niemand, sondern stehe zu fernerem nach-
denken ; seines theils seye er im zweifel, ob die catholische zu gemeldem
vorschlag sich verstehen werden. Auf welchen fall dahin zu trachten, daß
man zuvorderist in statum anni 1618 restituirt, dabey per longissimum
tempus a 100 oder mehr jahren ruhig und nach deren verfließung einem
ieden das seinige unverlezt verbleiben möge. Die reservatio seye nöhtig, da
die tractaten sich zerschlagen, niemand etwas zu praejudiz gereiche.
Conclusum. Solle collegialiter consultirt, der geistliche vorbehalt an die
hand genommen, extremiteten geflohen und alles praejudiz, deßen man sich
bey zerschlagung der tractaten zu befahren, protestando salvirt werden.
Directorium. Churmainzische haben sich dieser tagen beschwert, daß die
von ihnen angekündete stunden bey diesem collegio hindangesezt und die
conventus nach eigenem willen zu anderen zeiten angestellet werden, und
gebetten, sich in diesem stukh dem herkommen gemäß zu verhalten .
Nun seye bekannt, daß die churfürstliche alhier gar nicht, die fürstliche aber
nach ihrem gutbefinden zusammen kommen und dahero die stättische ad
horam praecisam nicht mehr als andere gebunden sein, insonderheit, weiln
die auf ordinari reichstagen gewöhnliche re- und correlationes an diesem ort
unterbleiben, in dero ansehen alle drey collegia sich auf eine zeit versamlen
sollen. Zu dem, so seye Mainz in dem ankünden sehr langsam, und hingegen
an befürderung der sach hoch gelegen, deßwegen man sich eußerlichem
schein nach an solche Mainzische erinnerung, zuvorderst, weiln sie von dem
fürstlichen Österreichischen directorio, deme man in diesem und anderen
dergleichen sachen nichts einzuraumen, herrühren solle, wenig zu kehren
habe. Demnach aber gleichwol zu befahren, daß diese zusammenkünfften
von dem Churmainzischen directorio für keine förmliche conventus erken-
net undt deßwegen dieses collegium einer singularitet
so seye zu berahtschlagen, auf was weis solches zu verhüten.
Lübeck. Seye eine sehr ungereimte sach, so mehr belachens als entsezens
wehrt. Werde an keinem ort die ordnung, darzu man die stätt astringiren
wolle, gehalten.
Das Österreichische directorium bringe im fürstenraht sachen vor, davon
derselbe nichts gewust
Das eigenmächtige Vorgehen des österreichischen Fürstenratsdirektoriums wurde am 26. Fe-
bruar 1646 von Reigersberger scharf gerügt (APW [ III A 1,1 S. 501 ] ). Dr. Nikolaus Georg
Ritter von Reigersberger (gest. 1652) studierte in Köln und Mainz, wurde 1622 kurmainzischer
Hofrat, 1624–1651 Stadtschultheiß von Aschaffenburg, Reichshofrat, 1645 kurmainzischer
Kanzler (nach APW [ III A 1,1 S. 396 Anm. 1 ] , dort auch Literatur).
Referire sich Mainz auff Österreich, deßen man sich allein höchlich zu ver-
wundern . Seye ein nichtiger wind, besonders, weiln es auß keiner beständigen
redlichen ursach, sondern aus bösem beginnen herrühret, allein ihne, wel-
cher wegen Sachsen Lauenburg in dem fürstenraht bißhero ein votum
geführet, daselbst ab und in das stättische collegium zu verweisen. Vor-
nehme fürstliche persohnen ex evangelicis habens pro risu und nicht würdig
gehalten, daß deswegen mit dem Österreichischen directorio sollte geredt
werden. Stelle dahin, ob das löbliche directorium mit zuziehung eines
andern sich zu dem Mainzischen directorio verfügen und daselbst die ursach,
warumb diese andung geschehen, zu wißen begehren wolle, mit dem
erbieten, man wolle sich zuvor in minutissimis gern ad formalia halten, die-
weiln man aber solche in vielen andern stukhen unterlaßen und auch die
causam, warumb man sonsten auf eine zeit zusammen kommen, an diesem
ort cessiren sehe, verhoffe man nicht, daß an dieser änderung jemanden
werde gelegen sein. Sollte man aber auch auf diese weis nichts erhalten
können, so stelle er dahin, ob man nicht eine stund anticipiren oder aber
später wolle zusammenkommen, damit er ja neben dem fürstenraht auch
dem stättraht beywohnen könne. Auf den unmöglichen fall begehre er
dannoch von dem stättraht nicht außzusezen, dieweil er von seinen herrn die
qualitet eines stättischen gesanden bißhero vornemlich getragen und sich
auß der ursachen zu keiner deputation in dem fürstenraht habe gebrau-
chen laßen; seye hineingangen, propter utilitatem reipublicae et communi-
cationum facilitatem.
Eßlingen. Habe von directorio verstanden, was Mainz habe erinnern laßen,
und sich verwundert, daß man den stätten die ordnung verrucke, welche
sonsten niemand begehret zu halten. Mainz solle stante pede proponiren und
re- und correlationes vorgehen laßen, deren bißhero keines beschehen. Solle
derowegen mit ihnen reden und solches alles glimpflich andeuten laßen.
Habe allezeit solches für gut gehalten, daß Lübekh in den fürstenraht
komme, müße derowegen von Mainz vernehmen, was sie für rationes alle-
giren und denenselben widersprechen und, da es nicht abgehen wollte, nach
beschaffenheit der antwort sich ferner resolviren.
Bremen. Ist einig mit Lübekh und Eßlingen.
Lindau. Ebenmäßig; sollen nicht spüren laßen, daß uns diese sach sollicite
angelegen, doch gleichwol bey Mainz per deputationem andung zu thun.
Straßburgisches Directorium. Habe es nicht für lachen, sondern für einen
eingriff angesehen. Solle es anden, nicht daß man sich forchtsam erzeige,
sondern wegen des unvermuhteten andeutens befrembde. Weiln ohne das
keine re- und correlationes geschehen, so seye gut, daß man auf diese weis,
ob in dem fürstenraht etwas zu praejudiz der stätt vorkommen möchte,
erfahren könne. Solle derowegen nicht allein mit Churmainz, sondern auch
mit Österreich reden laßen. Zu dem lezten habe sich Lübekh selbsten
erbotten, das erste werde denen Brem- und Lindauischen herren abgesanden
zu übernehmen belieben.
Conclusum. Solle mit dem Churmainz- und Österreichischen directorio
obenangedeuteter maßen geredet werden.
Straßburgisches Directorium. Lezthin habe man dafür gehalten, daß die
unaußgestellte gravamina glimpflich contrahirt werden sollten, habe, was
die churfürstlichen anlangt, und am meisten unwillen hette erweken können,
inter jura statuum dermaßen eingetragen, daß es verhoffentlich keines special
gravaminis bedörffen werde. Wollens die fürstliche a part anden, so mögen
sie es thun. Laß ab, wie solches eingetragen worden. Caetera gravamina, so
noch absonderlich vorzubringen, seyen fünff, werden zur gütlichen ver-
gleichung nachgebracht und bestehen darauf, wie der auffsaz außweiset.
Lübeck. Läßet ihme alles abgelesener maßen belieben und habe daran nichts
zu desideriren.
Eßlingen. Sehe gerne, daß man sich der kürze befleißigt und odium electo-
rum declinirt. Läßts dabey bewenden.
Bremen. Dankt pro labore. Vernehme gern, daß wider die herren churfürst
lichen directo nichts vorgebracht werde. Habe nichts zu erinnern, außge
nommen bey dem lezten, so alßbald geendert worden.
Lindau. Habe nichts zu erinnern.
Conclusum. Soll bey dem aufsaz verbleiben.