Acta Pacis Westphalicae III B 1,1 : Die Friedensverträge mit Frankreich und Schweden, 1. Teil: Urkunden / Antje Oschmann

1 Die Ausfertigung der Vertragsurkunden für das kurmainzische Reichs-direktorium und das Corpus Evangelicorum

Schon vor dem Austausch der Ratifikationsurkunden war unter den Reichsstän-den erörtert worden, auf welche Weise die Stände (insgesamt oder jeder einzeln) authentische Texte der Friedensverträge erhalten könnten. Das Reichsdirektorium erhob den Anspruch, für diese Aufgabe mehr oder minder allein zuständig zu sein, weil dem Mainzer Kurfürsten als Reichserzkanzler die Schriftführung in den Reichsgeschäften obliege

Dazu zuletzt, für den Immerwährenden Reichstag: Härter, Reichstagsdirektorium.
. Dementsprechend hatte sich das Reichsdirektorium unmittelbar nach dem Friedensvertrag um die Drucklegung der Friedensverträge gekümmert

Dazu Meiern 6, 891 . Einzelheiten demnächst in APW III B 1/2.
. Damit kam es einem Antrag der Evangelischen zuvor, die ebendies

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selbst in die Wege hatten leiten wollen. Einige Reichsstände ließen sich die Drucke vom Reichsdirektorium beglaubigen und verschafften sich auf diese Weise einen authentischen Vertragstext

Beglaubigte, 1648 erschienene Drucke des IPM und des IPO (Druck: Raesfeld/Münster) be-finden sich im StA Wolfenbüttel, 142 Urk 94; in AS Turin, Trattati diversi, mazzo 11 n. 1, liegt ein beglaubigter Druck des IPM von 1648 (Druck: Heil/Mainz). Der nürnbergi-sche Ges. berechnete 1649 IV 27/V 6 für die Beglaubigung eines Friedensvertragstextes bei der kurmainzischen Kanzlei 9 fl. ( StA Nürnberg, Rep. 54a II Nr. 828; Hinweis von Franz Bosbach); ein solcher Druck hat sich bislang in den Nürnberger Beständen nicht finden lassen.
.
War die Ausstattung der einzelnen Reichsstände mit gültigen Texten mehr ein praktisches Problem, so ging es bei der Frage, wieviele Ausfertigungen des Frie-densvertrags erstellt werden sollten, um Verfassungspolitisches. Schon zu Anfang der reichsständischen Verhandlungen, im Frühjahr 1646, war von protestan-tischer Seite der Gedanke aufgebracht worden, daß mehrere Ausfertigungen des künftigen Friedensvertrags für die Stände erstellt werden sollten. Damals war sogar davon gesprochen worden, daß für die ständischen Korporationen ein Dut-zend Originale anzufertigen seien

So im FR in Osnabrück, 1646 III 7/17 (Text demnächst: APW III A 3/3 Nr. 116). Zu anderen Erwägungen Bauermann , 425 (nach Meiern ).
. Im Juli / August 1648, kurz vor der Verein-barung des IPO, als die assecuratio pacis wieder diskutiert wurde, kam dieser Punkt erneut zur Sprache. Ein Passus über die Zahl der rechtsgültigen Ausfertigun-gen wurde jedoch nicht mehr in die Friedensverträge aufgenommen. Die Sicher-stellung des Friedens war anders geregelt: beide Verträge sollten in den nächsten Reichsabschied aufgenommen und zu Reichsgrundgesetzen erklärt werden

§ 112 IPM und XVII,2 IPO.
. Freilich war damals durchaus daran gedacht, daß Kurmainz je eine Ausfertigung des IPM und des IPO für das Reichsdirektorium erhalten solle, hatte Kurmainz vom Kaiser doch beispielsweise auch 1635 eine Ausfertigung des Prager Friedens zur Aufbewahrung im Archiv erhalten

BA II.10/4, 1631f.
. Auch bei der Vereinbarung des IPO am 6. August waren drei Exemplare vorbereitet worden, eines davon für Kur-mainz

Oben, XLVII.
. Als die Friedensverträge im Oktober 1648 unterzeichnet wurden, hat man jedoch, aus welchen Gründen auch immer, von der Ausfertigung von Exem-plaren für das Reichsdirektorium zunächst abgesehen.
Immerhin hat die nachträgliche Herstellung dieser Originale keine verfassungspo-litischen Bedenken oder andere Einwände auf den Plan gerufen, auch nicht von seiten der kaiserlichen Gesandten

Die ksl. Ges. haben die Unterzeichnung dieser Ausfertigungen allerdings nicht nach Wien gemeldet.
. Sowohl sie als auch Servien und die schwedi-schen Gesandten unterzeichneten bis Anfang März 1649 die dafür vorgesehenen, neu abgeschriebenen Urkunden. Am 8. März setzten die reichsständischen Ge-sandten ihre Unterschriften darunter, der kurmainzische Kanzler Raigersperger hatte dafür offiziell auf den Bischofshof eingeladen .

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Schon im August 1648 war auch erwogen worden, zusätzlich zu den Ausfertigun-gen der Unterhändlerurkunden Ratifikationen für das Reichsarchiv dem Reichs-direktorium einzuhändigen, und zwar nicht nur von den Reichsständen, sondern auch von den Hauptvertragsparteien. Als verpflichtende Vereinbarung konnte dies jedoch nicht durchgesetzt werden. Nur die schwedischen Gesandten haben wohl noch vor der Unterzeichnung der Friedensverträge eine bindende Zusage für eine separate königliche Ratifikation gegeben

Salvius wenigstens ging davon aus, daß drei schwed. Ratifikationen nötig seien (Anm. 134).
und zusammen mit der Ratifika-tion für den Kaiser am 18. Februar 1649 eine solche auch ausgehändigt. Hinge-gen ist mit den Kaiserlichen und mit Servien darüber bis in den Herbst 1648 hinein offensichtlich nicht offiziell gesprochen worden. Während Servien die Ra-tifikation dann auf ein ausdrückliches Ansuchen der Reichsstände hin nachträglich beim königlichen Hof anforderte

Anm. 162.
, hat der Kaiser trotz mehrfacher Anfrage sei-ner Gesandten diese Forderung abgelehnt

Anm. 145.
– wie es scheint, mehr aus verhand-lungstaktischen Überlegungen als aus grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Er-wägungen. Mehrere Reichsstände haben neben den Urkunden für die beiden Kro-nen und den Kaiser auch dem Reichsdirektorium zwei Ratifikationen, je eine für IPM und IPO, übergeben

Einzelheiten unten, CXXXIf.
.
Die Tatsache, daß Kurmainz Ausfertigungen der Verträge und vor allem die Ra-tifikationen erhielt, unterstreicht den Anspruch der Reichsstände, an den Friedens-verhandlungen mitzuwirken und das Reich gemeinsam mit dem Kaiser zu reprä-sentieren. Darüber hinaus erhoben die Evangelischen die Forderung, je ein Exem-plar der Verträge sowie Ratifikationen für das Corpus Evangelicorum zu erhal-ten

Vgl. die Wortmeldungen des sachsen-altenburgischen Ges. in der Sitzung des FR in Osna-brück, 1648 VII 25/VIII 4 ( ThStA Altenburg, Altes Hausarchiv I E 27 fol. 5–11’).
. Sie begründeten ihr Anliegen damit, daß sie, insbesondere hinsichtlich des Reichsreligionsrechts (V und VII IPO), Vertragspartei des Friedens seien, und wollten so die verfassungsrechtliche Verbindlichkeit sichern. Das im Vertrag for-mulierte Reichsreligionsrecht sollte eindeutig als zweiseitiger Vertrag gelten, der nicht ohne die Zustimmung beider Parteien, der katholischen Reichsstände einer- und der protestantischen andererseits, verändert werden dürfe.
Auf dem Kongreß stand dieser Forderung zunächst wenig entgegen, obwohl sie ebenso wie das kurmainzische Anliegen nicht in die Vertragstexte aufgenommen worden war. Im November 1648 ließ der kursächsische Gesandte Leuber je ein Exemplar des IPM und des IPO zu diesem Zweck erstellen

Leuber an Kf. Sachsen, 1648 XI 28/XII 8 (Ausf.: SHStA Dresden, Locat 8132 Band 18 fol. 128–128’).
. Dafür erhielt er sogar die Unterstützung der Kaiserlichen, die ihm die bei ihnen befindlichen Aus-

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fertigungen zur Verfügung stellten und bei der Kollation halfen . Für die Ur-kunden verwendete man viel Mühe; im Unterschied zu den am 24. Oktober un-terzeichneten Dokumenten wurde Pergament als Beschreibstoff verwendet, das erste Blatt wurde aufwendig gestaltet und im Ganzen eine sorgfältige Schrift ver-wendet. Später wurden die Kosten dafür unter den Protestanten umgelegt

Beratung der evangelischen Stände, 1649 III 24/IV 3 ( TE 6, 704ff; SHStA Dresden, Locat 8132 Band 22 fol. 14–22’). Der nürnbergische Ges. berechnete 1649 III 29/IV 8 als nürnber-gische Quote zu den Abschreibkosten der kursächsischen Vertragsdokumente 6 fl. ( StA Nürnberg, Rep. 54a II Nr. 828 unfol.; Hinweis von Franz Bosbach).
. Die kaiserlichen Gesandten und Servien sowie Oxenstierna und Salvius haben Anfang Februar 1649 signiert und gesiegelt

1649 II 4 wurde das IPM, drei Tage später das IPO von den ksl. und kgl. Ges. unterzeichnet (Diarium Leuber, SHStA Dresden, Locat 8134 Band 29 fol. 29–29’, 36). S. auch Meiern 6, 830 , auch 817ff ; vgl. überdies APW III C 2, 1203 Z. 31 – 1207 Z. 17. Zum weiteren Verlauf des Disputs s. Meiern 6, 855 f, sowie die Einträge im Diarium Leuber ( SHStA Dresden, Locat 8134 Band 29 fol. 42–45, 47’–49’, 57–58, 67–68, 72, 79–79’).
.
Jedoch gelang es im weiteren Verlauf nicht, bei Kurmainz einen offiziellen Ter-min für die Unterzeichnung dieser Vertragsexemplare durch die reichsständischen Unterhändler zu erhalten; das kurmainzische Reichsdirektorium widersetzte sich nämlich ganz entschieden dem evangelischen Begehren

Die Ges. des Mainzer Kf.en, die für Kurmainz und Würzburg votierten, unterzeichneten in der Folge nicht die Ausfertigungen für das CE .
. Dabei scheint es mehr von der Sorge um seine Direktorialbefugnisse geleitet gewesen zu sein als von konfessionspolitischen Grundsatzüberlegungen. Mitte Februar 1649 verweigerte der kurmainzische Kanzler öffentlich die Unterzeichnung, als Leuber die Doku-mente in eine reichsständische Versammlung mitbrachte

Meiern 6, 855 f, und Diarium Leuber ( SHStA Dresden, Locat 8134 Band 29 fol. 47’–49); nach dem letztgen. Bericht fand diese Sitzung 1649 II 6/16 statt.
, und beim Austausch der Ratifikationsurkunden erhob er Einspruch, als Oxenstierna die beiden für die Reichsstände vorgesehenen Urkunden gleichzeitig übergeben wollte

Vgl. auch Leuber an Kf. von Sachsen, 1649 II 27/III 9 (Ausf.: SHStA Dresden, Locat 8132 Band 21 fol. 76–79’, PS fol. 80–80’).
. Eine schriftliche Versicherung, in der die Evangelischen bestätigten, daß dem Reichsdi-rektorium kein Präjudiz geschehe und das Corpus Evangelicorum die Vertragsdo-kumente nur zur Information, nicht aber als juridisch verbindlichen Text er-halte

Kopie: ebenda fol. 14–14’; fol. 15–15’ der im folgenden erwähnte Gegenentwurf Leubers.
, sollte ein Einvernehmen ermöglichen. Zu einer Einigung ist es jedoch nicht mehr gekommen, obwohl Leuber einen Gegenentwurf vorlegte und die evangelischen Stände in dieser Sache zweimal an den Mainzer Kurfürsten schrie-ben

Zuerst 1649 II 27/III 9 (Kopie: ebenda fol. 87–88’), dann 1649 IV 17/27 (KonzeptLeu-bers: SHStA Dresden , Locat 8138 Band 47 fol. 433–438).
. Die Evangelischen konnten ihrem Anliegen nur wenig Nachdruck verlei-hen, da der Kongreß sich schon in voller Auflösung befand und selbst der sächsi-sche Kurfürst zu diesem Zeitpunkt und unter den gegebenen Umständen schlecht-

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hin wenig Verständnis für eine innerständische Auseinandersetzung hatte

Kf. von Sachsen an Leuber, 1649 II 27/III 9 (Konzept: SHStA Dresden, Locat 8132 Band 21 fol. 19–20).
. Ob-wohl Leuber häufiger nachsetzte, gelang es ihm deshalb in der Folgezeit nicht, den kurmainzischen Kanzler zu einem Sinneswandel zu bewegen. Schließlich blieb die Angelegenheit ohne eine klare Lösung

Leuber an Kf. von Sachsen, 1649 V 11/21 (Ausf.: SHStA Dresden , Locat 8132 Band 22 fol. 174–175’). Die kurmainzischen Ges. nahmen einen ausgefertigten Revers ( SHStA Dresden , Locat 8138 Band 47 fol. 251–252) nicht an; den von ihnen verlangten Zusatz, daß die evan-gelischen Instrumente bloß loco informationis ausgestellt worden seien, lehnten die sachsen-altenburgischen Ges. ab ( ebenda fol. 250), s. auch Schreckenbach , 96; der Hinweis in Meiern 6, 1017 , ist mißverständlich.
, und Leuber ging daran, die Interessenten reihum direkt um ihre Unterschrift zu bitten. Immerhin gelang es ihm, achtzehn Gesandte zur Unterzeichnung zu bewegen. Was diese Vorgänge für die Rechtsver-bindlichkeit dieser Nachausfertigungen bedeuteten, läßt sich schwer sagen. Das Problem ist später nicht erledigt worden

In der Rechtsliteratur sind später Auseinandersetzungen über die Interpretation der Verträge ausgetragen worden, die sich aus dem Umstand ergaben, daß die Mainzer und die sächsischen Urkunden im Wortbestand, in einer grammatikalischen Form oder in der Interpunktion diffe-rierten ( Pütter, 96). Ein bekanntes Beispiel war V,49 IPO, in dem im letzten Absatz in der einen Urkunde ein Komma gesetzt ist, wo in der anderen ein Punkt steht ( Meiern, Instru-menta, 7).
. Der sächsische Kurfürst jedenfalls war zufrieden

Kf. von Sachsen an Leuber, 1649 VI 1/11 (Konzept: SHStA Dresden, Locat 8132 Band 22 fol. 177–177’); Kf. Johann Georg hielt die Unterschriften der ksl. und kgl. Ges. für das Wich-tigere.
. Für sein Archiv erhielt er neben den beiden Vertragsurkunden außer-dem zwei königliche und 37 reichsständische Ratifikationen, abzüglich seiner ei-genen

Einzelheiten s. unten, CXXXIf.
.

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