Acta Pacis Westphalicae III C 3,1 : Diarium Wartenberg, 1. Teil: 1644-1646 / Joachim Foerster
1645 I 26

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1645 I 26
Donnerstag D’Avaux / Servien bei W: Wegen des Pfarrers
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zu Neuss haben sie an den Kommandanten

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Karl von Rabenhaupt (1602–1675), Frhr. von Sucha, hessischer Oberst (vgl. ADB
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XXVII S. 85ff.
, die Landgräfin und nach
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Frankreich geschrieben sowie mit den hessischen Gesandten geredet und er-
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warten
die Antwort. Nochmaliges Ersuchen um Freigabe der Leiche
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Bothelhos. Die Schweden wollen vorher nicht verhandeln, weshalb d’Avaux
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die geplante Reise nach Osnabrück verschieben mußte. W dankt für
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die Bemühungen in der Neusser Sache, die er noch weitter mit mehrerm

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eiffer zu urgiren bittet, da die Antworten sich offensichtlich verzögern. In
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der anderen Sache kann er nur, wie schon zweimal geschehen, an den Feld-
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marschall
Geleen schreiben; die Antwort verzögert sich vielleicht, weil die
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militärischen Stellen sich nicht im Unrecht glauben oder weil die Schwe-
5
den
sich nicht an Geleen gewandt haben [...]. W wiederholt, der Irrtum
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wäre nicht entstanden, wenn die Schweden den Paß in der im Präliminar-
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vertrag
festgesetzten Form ausgestellt hätten, weshalb sie und andere Ge-
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sandte
zu erinnern seien, damit behutsamer umzugehen. D’Avaux
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stimmt zu, Servien aber führt an, auch mit einem ksl. Paß sei der schwe-
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dische
Sekretär

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Mathias Mylonius (1607 1671), 1646 geadelt unter dem Namen Biörnklou, 1643–
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1647 schwedischer Gesandtschaftssekretär in Osnabrück, 1648 Resident in Münster, von
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ksl. Truppen gefangengenommen Mai 1644.
vor einigen Monaten im Stift Minden von den Ksl. ange-
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griffen
worden. W verspricht, nochmals an Geleen zu schreiben, und
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äußert sich erfreut, daß nach Auskunft der Mediatoren aus Paris eine gün-
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stige
Resolution wegen Vorlage der Friedensproposition eingetroffen sei.
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Da die allein noch im Weg stehende portugiesische Sache schnell zu erledi-
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gen
sei, werde d’Avaux die Reise nach Osnabrück zur Beförderung der
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Verhandlungen hoffentlich nicht verschieben. Er fürchte nur, daß, gleich hie-
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bevor offters verspührt worden, nicht hiernach wiederumb etwas newes
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von ihnen, den Franzosen oder Schweden, werde auf die bahn kommen.

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Darauf alßbalden der Servient, diese sach mit dem Bodelli, alß ein
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haubtpunct, und darahn ihr und aller gesandten authoritet, auch ipsa
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praeliminaria hafften thette, müste redressirt sein, dan auff solche weiß sie
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selbst in oder vor der statt nicht sicher weren. I. H. G., sie wüsten
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mehrers nit hierzu zu sagen, alß beraiz geschehen, daß nemblich der fehler
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auß manquement des paßes und dem modo procedendi herrühre, und sich
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hiervon das argument auf die gesandten nicht ziehen laße. Subiungirten
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demnach, sie vernehmen, daß eine newe difficultet in dem sich ereignen
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wolt, daß die Churbayerische und andere churfürstliche, in specie die Chur-
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brandenburgische gesandten nicht gebuhrend wolten tractirt oder fur for-
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mal gesandten gehalten werden. Und weilen nun die herren churfürsten
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ihre bevollmächtigte anderer gestalt anher oder nacher Oßnabruck nit
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kommen laßen, auch hieran die fürsten sich spieglen werden, sie die Fran-
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zosische aber vor diesem sich erklehrt, ohn die stende nit zu tractiren, so
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seye leicht zu mercken, wo es damit hienauß wolle, und warumb eben iezt
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und nit zuvor dergleichen movirt worden; seye zu befahren, daß man diß
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abermal gar speciose pro remora gebrauchen werde. Worauf der Servi-
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ent , der churfürsten vorhaben seye ein lauttere novitet und zuvor nie
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gehört worden. I. H. G., sie wolten pitten, er mochte sich in dieser sach
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pro iudice so geschwind nit heraußlaßen, dan sie forchten, er werd den
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39–S. 76,3 Warauf – zuegehort] am Rande: omittatur an Churcollen
rechten bericht nit haben. Warauf I. H. G. der d’Avaux angesehen
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und mit dem kopff und augen auf den Servient gewuncken, worauß sie ab-

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1
nehmen konnen, daß er einer andern mainung alß der Servient sey, wie er
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dan auch fast die ganze zeit bey hierüber geführtem discurß geschwiegen
3
und nur mit lachenden mund zuegehort. Der Servient aber sagt, er
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wiste keine occasion, daß der churfürsten abgeordnete yemaln fur formal-
5
gesandten gehalten worden. Dem I. H. G. replicirt, man müße einen
6
underschied zwischen dem, wie es im reich und bey ordinari conventibus,
7
und außer demselben, wan ahn die frembde potentaten schickungen ge-
8
schehen , gehalten werd, machen. Zweiffleten auch nit, daß dergleichen
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distinction in Franckreich seye, wie dan nit zu glauben, sie auch nie gehort
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hetten, daß, wan einem vom konig in seines konigreichs sachen commission
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geben, derselb allemal wie hier und ahn andern koniglichen hoffen solte
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respectirt und tractirt werden. Als Beispiel einer bayerischen Formalge-
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sandtschaft
führt er den Empfang eines Grafen Fugger in Rom vor etwa
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20 Jahren

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Wohl Wilhelm Gf. von Fugger (1585–1659), bayerischer Rat und Kämmerer, 1623 ksl.
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Kämmerer, 1623 als bayerischer Gesandter in Rom.
an und antwortet auf Serviens Einwurf, ob Bayern damals
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schon Kurfürst gewesen sei, habe er solche formal gesandschafft als herzog
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gethan, gebuhre ihm die ehr iezo viel mehrerers [...]. So befinde sich auch,
17
daß vor ein- zweyhundert und mehr jahren churfürstliche gesandten nacher
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Rom geschickt, auch von geistlichen churfürsten, und dafur allda gehalten
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worden, konte also gar nit fur eine novitet geachtet werden. Wie aber noch
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vor wenig jahren die titul und anders mit Savoya, Florenz, auch mit
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andern sich geändert und gestiegen, also stehe es in arbitrio eines oder des
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andern nit, sondern muste inter pares paritas gehalten werden. Sie die
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Franzosische selbst hetten den Venetianischen pottschaffter anfangs auch
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nit wie iezt tractirt noch tractiren wollen. Der Servient sagt, Venedig
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seye ein groß- und ganz absolute republicq, und hette es mit derselb viele
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considerationes. Darauf I. H. G., man wiste der Venediger statum,
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potentiam et authoritatem sehr wol, und seye der churfürsten glori soviel
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desto größer, dan weilen sie und dero gesandten allemal der republiq und
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deren pottschaffter vorgangen und deßen von vielhundert jahren in pos-
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sessione weren, so hetten sie auch solches desto mehr zu praetendiren, und
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nicht davon abzustehen. Nachdem W hinsichtlich der Hofämter der Kur-
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fürsten
durch Vergleich mit dem officium stratoris des Kaisers dargelegt
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hat, daß solche officia mehr zu ehr alß abbassamento gereichig und eo ipso
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desto großer, daß es andern in dergleichen publicis actibus zu thun nit
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zugelaßen würde, führt er auf einen neuen Einwand Serviens hin Beispiele
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dafür an, daß früher die Kurfürsten und sogar der Herzog von Bayern den
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Vorrang vor Venedig tatsächlich besessen hätten. Den Einwand von
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d’Avaux, es existiere ein ksl. Dekret zugunsten Venedigs, korrigiert er da-
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hin
, es sei 1637 ohne Vorwissen der Kurfürsten ergangen, die sich dagegen
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verwahrt hätten. Im übrigen solle danach Venedig pro testa coronata be-
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handelt
werden, doch als letzte in der Reihenfolge, so daß damit der Präze-
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denz
der Kurfürsten nichts abgehe, zumal der Kaiser befohlen habe, diese

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mit Venedig gleich zu behandeln. D’Avaux: Es hetten die herren chur-
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fürsten keinen beßern advocaten alß I. H. G. schicken und gebrauchen kon-
3
nen . Diß weren solche sachen, die wol zu consideriren, davon sie zuvor kei-
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nen bericht gehabt. Auf welches I. H. G., eben darumb hetten zuvor
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gebetten, daß der herr Servient alß ein außländer von den reichssachen
6
ohne grundliche information nit so gestracks judicirn wolt. Worauf der
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Servient abermal herausgefahren, warumb dan die fursten in persona den
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churfürstlichen gesandten vorgingen? Darauf erläutert W am Beispiel
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des Mülhausener Konventes und des letzten Reichstages den Unterschied
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zwischen Fürstenrat, wo ein Fürst in Person allen Gesandten vorgeht, und
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Kurfürstenrat, wo der Gesandte, in Verhinderung des Prinzipalgesandten
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auch ein anderer, persönlich anwesenden Kurfürsten nicht weicht.

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D’Avaux: Es seye wunderlich, daß repraesentans repraesentantem auch die
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ehr und praeeminenz haben solt. I. H. G., diß seye also herkommen,
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und sich im reich nit würde ändern laßen, auch die Franzosen, alß welche
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yederzeit libertatem imperii im mund fuhreten, zu thun nit gedencken
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würden. Und sehen sie dergleichen ahn dem Volmari und Brün, welche, ob
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sie gleich nur gelehrte und keine standtspersonen weren, dannoch für
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Kayser- und konigliche gesandten gehalten würden. Wer auch der repu-
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blica zu Venedig verpiethen wolle, daß sie nit noch einen, welcher dem
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Contarini ahn herkommen nit gleich, ihme adiungiren möchte. Auf
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dieses nahme der d’Avaux den hutt ab, und denselben vor den mund hal-
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tend , redete dem Servient in ein ohr, und darauf gegen I. H. G., er muste
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bekennen, daß ihnen diese information sehr nutzlich und gutes licht gebe,
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und würden sie auch nun andern bericht nacher Pariß thun mußen. In
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diesem discursu seind von I. H. G. auch die

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26 den – dieses] Lücke zur Einsetzung des Datums
den dieses beym Savedra, und
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beym Rortee den 25. Januar vorkommene motiven introducirt und
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gebraucht, auch under andern gedacht worden, daß dafern die churfurst-
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lichen gesandten nit wenigst dem Venetianischen gleich gehalten werden
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solt[en], sowol in endgegenschickung der gutschen alß dem titul, visiten
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und anders, kondten sie versichern, daß endweder keine churfürstlichen ge-
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sandten weitters anhero kommen, oder doch (maßen sie in instructione,
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auch habender nachricht nach, andere in befelch hetten) diejenige ehr hin-
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wiederumb andern, die ihnen bezeigt wurde, zu erweisen, es weren auch
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dieselbe, wer sie wolten. Darauf der d’Avaux den Servient angesehen
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und gelacht, dieser aber sagt, questa è una gran resolutione. I. H. G.
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andwort war, solche resolution müsten die churfursten gegen dieienige
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nehmen, die ihr ehr und dignitet bestreitten oder abbassiren, sie umb ihre
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libertet pringen, und das ganze reich umbkehren wolten. Und hetten sie
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eben diß bey den Spanischen auch bedeuttet, konten ihro aber nicht vor-
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stehen laßen, daß die Spanische und Franzosische eben iezt in dießem eins
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sein und zusammenhalten wolten, die herren churfürsten dergestalt, sonder-

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1
lich bey diesen belli temporibus et pacis tractatibus, zue disgustiren, da sie
2
doch sonst in allen sachen discrepiren. Der Servient sagte, was Chur-
3
bayern anlangte, vermeinten sie nit, daß mans demselben alß einem her-
4
zogen in Bayern solt oder wolte controvertiren. Worauf I. H. G., wan
5
nit alß herzogen solte geschehen, warumb nit viel weniger alß churfursten,
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der in dignitate viel mehr; oder ob sie Churbayern nicht fur einen chur-
7
fürsten erkennen wolten. Sagte er von nein, die mainung habe es nit, al-
8
lein seye es darumb zu thun, daß was sie ihme alß churfursten erwiesen,
9
solches auch andern geschehen muste, welches ihnen bedencklich. I. H. G.
10
darauf, ob sie wol die ehr, welche sie einem herzogen bezeigen, einem chur-
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fursten verwaigern wolten. Darauf schwiegen beyde und meldeten nur,
12
wans gleich auch noch Sachsen und Brandenburg wiederfahren solt, konten sie
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doch die geistliche zue solche praeeminentz nit recognosciren. Worauf
14
I. H. G., der Pabst, Kayser, auch die konige in Franckreich vor diesem
15
krieg hetten die churfursten, geist- und weltliche, yedeßmalß alß churfür-
16
sten gleich respectirt, und were dergleichen distinction unerhört. Sie Fran-
17
zosische mochten ahm cardinal Richelieu ein exempel nehmen, wie derselb,
18
da er nur ein privat cavallier gewesen, von den Franzosen uberall respectirt
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werden müßen; auch der cardinal Mazarini noch, und wie durchgehendts
20
alle cardinäle verehrt würden, also diese distinctio, die sie zu machen inten-
21
diren , gar unbegrund, und abermal contra libertatem imperii seye. Es
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gingen die geistliche churfursten in collegio electorali dem konig in
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Boheimb, wan er gegenwertig, vor, und die weltliche nach, darumb aber
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seye kein underschied oder praecedentia under ihnen, sondern allein ordo.
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Wisten aber außerdem gar nit, warumb sie den Churbrandenburgischen
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gesandten nit eben das tractament, was ihro, anthun wolten, weiln eben wie
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Churcollen, Churbrandenburg vom gesambten churfürstlichen collegio zu
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den friedenstractaten deputirt. Worauf der Servient, diß hetten sie wol
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bedacht, es seye aber die ehr, so I. H. G. angethan, alß einem reichsfürsten,
30
der so viele landen, und sonderlich hierherumb hette, auch von so hohem
31
hauß descendirte, geschehen. Deßen I. H. G. sich zwar bedanckt, aber dabey
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vermeld, sie sehen gar nit, mit was raison durch diß argument die chur-
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fursten , sonderlich deputirte des collegii zueruckzusezen. Es würde sich aber
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zeigen, daß wan sie diese maximam behaubten solten und die churfursten
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nit, wie im reich und sonsten herkommen, tractiren wolten, das friedens-
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negotium gewiß schlecht befurdert, weniger auch ihr intention, in beywesen
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der stende zu tractiren, erlangen, sondern wol allerhand disgusti darauß
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endstehen würden. Diesem nach und zuletzt fragten I. H. G., ob sie nicht
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bald ihre proposition eröffnen und damit, daß zu den sachen gethan und
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mit der handlung verfahren würde, anlaß geben oder dises einstrewen
41
wegen der herren churfürsten tractament pro remora abermal gebrauchen
42
wolten. Worauf nichts geandtworttet, sondern einer den andern ange-
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sehen und gleich darauf aufgestanden. Und obwoln I. H. G. nachmaln
44
gedacht, weilen sie sehen, daß hier nichts zu thun, und darumb auf etlich

[p. 79] [scan. 129]


1
tag nach ihrer statt und vestung Wiedenbruck und residenz Reckenberg
2
begeben, sich aber, wan sie nur durch einen ihrer hinderlaßender hoffoffi-
3
cier , daß sie ad propositionem schreitten wolten, advertiert, bey der nacht,
4
wie in 12 stunden geschehen kund, wieder zuruckverfügen wolten, haben
5
sie es doch ebenfalß mit stillschweigen beandworttet, und zur gutschen
6

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6 eingesessen] am Rande: an Köln 1645 I 26, an Bayern 1645 II 3, an bayerische Ge-
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sandte in Hamm 1645 II 4.
eingesessen.

7
Nassau bei W. Bericht über das Gespräch mit den Franzosen; während Ws
8
Reise nach Wiedenbrück soll Landsberg als Verbindungsmann dienen.

9
Gleiche Mitteilung an Chigi.

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