Acta Pacis Westphalicae III A 1,1 : Die Beratungen der kurfürstlichen Kurie, 1. Teil: 1645 - 1647 / Winfried Becker
[67.] Sitzung des Kurfürstenrats Münster 1647 August 17

2

[67.] Sitzung des Kurfürstenrats


3
Münster 1647 August 17

4
Kurmainz Rs FrA Fasz. 20 = Druckvorlage; damit identisch Kurmainz Rk FrA Fasz.
5
21 nr. b/51.

6
Anhörung und Restitution des Herzogs von Lothringen noch während der Friedensgespräche.
7
Französische protection über Lothringen und Reichsstandschaft des Herzogtums.

8
Frankreichs Hoheitsansprüche über die Lehensleute der drei Reichsbistümer Metz, Toul und Ver-
9
dun in Lothringen, Luxemburg und an der Saar.

10
Beschwerde der elsässischen Dekapolis über die voreilige Zession österreichischer und kaiserlicher
11
Schutz- und Schirmrechte im Elsaß an Frankreich. Ungebührliche Höhe und Methode der franzö-
12
sischen Forderungen. Konsensrecht der Reichsstände zu Veränderungen ihres Besitzstandes und
13
ihrer Immediatstellung.

14
[Im Kurfürstenratszimmer des Bischofshofs]. Vertreten: Kurmainz, Kurtrier, Kurköln, Kur-
15
bayern .

16

36
16 Kurmainz ] In der Vorlage Randvermerk: Der Churbrandenburgischer gesander
37
Dr. Fronholt entschuldiget sich seines niterscheines halben, dahero man auch
38
insgesambt bedenckens getragen, sein secretarium zu haltungh deß protocolß ad
39
consilium zu admittiren.
Kurmainz proponebat.

17
Den herren gesandten wehre bekandt, waß annoch zwischen den herren
18
Kayserlichen unnd koniglich Frantzoßischen plenipotentiarien wegen der
19
Lottringischen restitution vor differente meinung bevor unndt welcherge-
20
stalt die herren Kayserliche bey der handtlung gesetzt, daß alles einigen be-
21
standt nit haben soll, es sey dan auch der hertzog auß Lottringen restituirt,
22
die cron Franckreich aber dagegen verschiedene rationes eingewendt,
23
warumb solche sach anhero nit zu ziehen, sondern immediate ahn königli-
24
chen Frantzoßischen hoff zu verweißen seye, zumahlen hochgedachte Ihre
25
Furstliche Durchlaucht mit derselben albereit sich verglichen unnd von der
26
alliance mit dem ertzhauß Ostereich abzustehen unnd der cron Franckreich
27
anzuhangen, auch deroselben seine volcker zu uberlaßen, erclärt unnd ver-
28
obligirt gehabt. Es erinnerten sich dieselbe auch annoch sonder zweivel,
29
waß albereit vorm jahr in monath Junio derentwegen in allen dreyen reichs-
30
räthen vorkommen

40
Siehe oben nr. 74: Über Lothringen wurde im Kurfürstenrat am 8. März 1646 beraten. Vgl.
41
APW [ III A 4,1 S. 272 ] und unten S. [ 831 ] .
unndt welchergestalt auß denen dabey angefuhrten
31
motiven derzeit vor guet angesehen worden, mehrhochgedachte Ihre
32
Furstliche Durchlaucht alß ein confoederirter unnd mitstandt deß heyligen
33
reichs von dießen tractaten nit außzuschließen, sonderen deroselben gleich
34
anderen ein gewißer salvus conductus zu ertheilen unnd sie der noturfft
35
nach zu hören.

[p. 825] [scan. 949]


1
So werden wenigers nicht pro 2º die herren gesandten auß der iungst
2
erstatteten relation vernohmen haben, waß die königlich Frantzoßischen
3
gesandten wegen der immediat- unnd anderer freyer reichsständt, so lehen
4
von denen stifftern Metz, Tull unnd Verdun tragen, annoch vor praeten-
5
siones thuen unnd welchergestalt sie dieselbe cum omnimoda superioritate
6
ahn sich zu ziehen gemeint.

7
3º seye auch den herren gesandten iungst per dictaturam communicirt
8
worden, wie hoch sich die zehen im Elsaß gelegene reichsstätt beschwert

39
Die Dekapolis bestand aus Hagenau, Colmar, Schlettstadt, Weißenburg, Landau, Oberebnheim,
40
Rosheim, Münster im St. Gregorienthal, Kaisersberg und Türckheim; sie war 1354 gegründet
41
worden ( Gauss , Wettstein S. 93, Bardot S. 18ff., Wörterbuch passim). Vgl. zum Stand
42
der Verhandlungen Dickmann S. 408, 418.

9
uber die Kayserliche erpieten, so sie der cron Franckreich pro satisfactione
10
gethann, daß namblichen neben der reichlandtvogtey Hagenaw angehori-
11
gen 36 dorffern auch dieienige rechten unnd gerechtsame, so eine zeit hero
12
die ertzhertzogen zu Ostereich occasione dießer landtvogtey uber die zehen
13
reichsstätt in communi schirmbsweiß unnd dan etwan in particulari uber
14
ein- oder andere in nahmen Ihrer Kayserlichen Mayestät unnd des heiligen
15
Romischen reichs zu haben vermeinen, gleichergestalt der cron Franckreich
16
mit uberlaßen werden sollen, unnd dahero negst deducirung ihrer iurium
17
immedietatis unnd immunitatis, auch waß nit allein fur ein hohes interesse
18
dem corpori civitatum, sonderen dem gantzen reich unnd insonderheit
19
den vielen angrentzenden ständen hierdurch zugezogen werde, umb reme-
20
dirung gebetten.

21
Die ksl. Gesandten bitten um das Gutachten sämtlicher Reichsstände über diese drei
22
verschiedenen Punkte.

23
Kurtrier. Wehren zwar von Ihrem Gnädigsten Herren noch zur zeit uber
24
das instrumentum Gallicum in specie nit instruirt, gleichwoll aber in genere
25
bevelcht, vor allen dingen dahien zu sehen, damit daß reich beysammen
26
unnd alle ständt bey ihren landen und leuthen soviel möglich unnd ohne
27
auffstoßung der tractaten beschehen konte, erhalten werde; auß diesem
28
bevelch sie dan die drey quaestiones resolviren konden.

29
Unnd zwar 1º, ob Lottringen mit in die tractaten zu ziehen unnd dießorths
30
zu vergleichen, erinnern an ihr am 8. März 1646 sub ratificatione abgelegtes
31
Votum, bey welchem voto Seine Churfürstliche Gnaden derzeit bewenden
32
laßen, welcheß dan dem gemachten concluso gemeeß, deren meinung sie
33
annoch sein musten, umb do mehr, weilen nit allein Ihre Kayserliche Maye-
34
stät sich dießes haußes alß eines reichsstandts unnd assistenten, sondern auch
35
die cron Spanien alß eines confoederirten starck annehmen. Unnd nachde-
36
mahlen davorgehalten worden, daß der fried ohne vereinigung beyder
37
cronen Spanien und Franckreich im Romischen reich nicht woll zu erhalten,
38
besagte cron Spanien aber sich schwerlich ohne miteinschließung Lottrin-

[p. 826] [scan. 950]


1
gen einlaßen werde, alß wehre pillig dahien zu sehen, wie solche tractaten
2
befurdert werden mögen. Ihre Churfürstliche Gnaden zu Trier wehren auch
3
in particulari hiebey interessirt, indeme sie nun in daß zehende ihar durch
4
die Lottringische volcker wegen angrentzender landen hart beschwert
5
worden unnd noch beschwert wurden. Hetten auch in bevelch, solches
6
vorzupringen unnd zu pitten, dem gutachten einrucken zu laßen, damit
7
die anweisungen, so vom Kayserlichen hoff auß beschehen, eingestelt
8
pleiben mögen, weilen solches ohnedaß wieder die reichsconstitutiones
9
seye. Sonsten vermeinten sie, dieße Lottringische sach umb soviel weniger
10
von Franckreich difficultirt werden solte, weilen sie vermeinen, daß selbige
11
herren plenipotentiarii quoad ipsas conditiones sich albereit ad partem
12
vernehmen laßen. Unnd ob selbe woll so schwehr, daß Lottringen darinnen
13
nit willigen werden konte, so wehre gleichwoll darab so viel abzunehmen,
14
daß diese sach nit woll werde sich von dießen tractaten abziehen laßen.

15
2º die lehenleuth betreffendt, dabey wehren viel vornehme fursten, graven
16
unnd herren interessirt, alß in specie Luxemburg

32
Vgl. Zeller II S. 129.
, Lottringen

33
Metzer Lehen Lothringens waren u. a. Burg und Grafschaft Saarwerden, Stadt Bockenheim,
34
Hof Wiebersweiler ( Bierther S. 184 Anm. 209 ). Vgl. Zeller II S. 210f. und Hiegel
35
S. 10, 96–125 über die Exklaven des Bistums Metz in der baillage d’Allemagne des Herzog-
36
tums
Lothringen.
, daß gantze
17
hauß Zweybrucken

37
Das Geblingerthal trug Pfalz-Zweibrücken zusammen mit Nassau-Saarbrücken von Metz zu
38
Lehen; indirekt konnte Zweibrücken auch in seinen vielen Lothringer Lehen betroffen werden
39
( Wörterbuch S. 676, 1347f., 1120, 1147, 1247f., 938). Vgl. auch Fabricius .
unnd Saarbrucken

40
Die Grafschaft Nassau-Saarbrücken, die im 10.-11. Jahrhundert selbst Metzer Bistumslehen
41
gewesen war, besaß an Metzer Lehen die Herrschaft Püttlingen (anteilig), Burg Saarbrücken,
42
Völklingen, Quierschied, den Warndt, Saarwerden, Bockenheim, die Vogtei über Homburg und
43
St. Avold ( Ruppersberg-Köllner II S. 109f., Wörterbuch S. 937, 676).
. Die herren Kayserlichen hetten
18
in ihrem proiect die standt alle außgelaßen. Habe auch niemahlen die
19
meinung gehabt, der cron Franckreich solche superioritet einzuraumen;
20
dahero die herren Kayserliche zu ersuchen, es bey dem proiect zu laßen

44
Das Reichsgutachten vom 25. September 1647 (Münster) führte allerdings an Lehensleuten auf
45
die Herzöge von Luxemburg und Lothringen, die Pfalzgrafen von Zweibrücken und Veldenz,
46
die Grafen von Saarbrücken und Hanau ( MEA FrA 10 [16]). Vgl. Schaab-Moraw S. 411f.
.
21
Seye auch noch nit disponirt, quo iure in temporalibus die bischoffen in den
22
dreyen stiffteren kunfftig gesetzt werden unndt ob unnd waßgestalt sie die
23
regalia unnd andere weltlichkeiten empfangen sollen; hielten dahero, sol-
24
ches gleichergestalt specifice abzuhandtlen.

25
Anlangend den 3 ten puncten, da wehre zu wunschen geweßen, daß diese
26
stätt ehender einkommen wehren, damit man hette konnen von der beschaf-
27
fenheit wißenschafft haben unnd die noturfft darauff inzeiten beobachten
28
mögen. Dieweilen gleichwoll noch nichts zum schluß gebracht worden,
29
so hielten die angefuhrte rationes von solcher erhebligkeit, daß man sich
30
der statt pillig ahnzunehmen unnd den herren Kayserlichen durch guet-
31
achten zu recommendiren, damit womöglich sie auß den tractaten ver-

[p. 827] [scan. 951]


1
pleiben mögen, wie sie dan den vorschlag theten. Daß solches ohne ruptur
2
der tractaten beschehen konte, vermeinten, es konte die iharliche reichs-
3
stewr zu einem capital geschlagen unnd von den gelderen, so Ostereich
4
geben werden solten, abgezogen, dahingegen dieselbe Kayserlicher Maye-
5
stät disposition uberlaßen oder doch solche assecuration gemacht werden,
6
damit die reichsstätt ihrer immuniteten unnd freyheiten versichert pleiben
7
mögen.

8
Kurköln ( Wartenberg ). Die Lottringische sach betreffendt, da wehren
9
hiebevorn, wie Churtrier bedeutet, ein conclusum von catholischen unnd
10
uncatholischen gemacht worden, daß man sich Seiner Furstlichen Durch-
11
laucht annehmen solte. Die rationes, so derzeit pro parte affirmativa vor-
12
kommen , militirten noch insgesambt; sehen dahero nit, warumb man auß
13
solchem gesambten concluso schreiten solte, maßen sie dan auch seithero
14
uff ein wiedriges nicht instruirt worden.

15
Der Frantzosen argumenta seyen dardurch leicht zu wiederlegen, 1º daß
16
der hertzog nit allein ein reichsfurst seye, so sessionem et votum habe,
17
sonderen auch 2º certam quotam contribuire, imgleichen, daß er 3º specia-
18
liter confoederatus imperii wehre, maßen solches im reichsabscheidt zu
19
Nurenbergh de anno 1542 unnd den damahlß vorgangenen actis auß-
20
fhurlich zu sehen

36
Siehe oben S. [ 524 Anm. 2 ] .
. 4º hetten Seine Liebden Kayserlicher Mayestet so viel
21
ihar wercklich assistirt unndt derentwegen 5º von der cron Franckreich
22
prosequirt unnd ihrer landen destituirt worden. 6º nehme sich die cron
23
Franckreich der Portugisen so starck ahn, die doch mit ihnen gantz nit
24
confoederirt seyen. Franckreich gebe vor, daß Lottringen under ihrer pro-
25
tection wehre, man wuste aber, daß protectio kein dominium et tale, daß
26
einem daß gantze landt solte genohmen werden, importire

37
Bodin S. 787, 211 wollte seinen Begriff von protection, der durchaus Vorstufe zur subiection
38
sein konnte, auch auf Vasallen angewendet wissen. Vgl. zur Protektion der drei Bistumsstädte
39
Zeller II S. 251ff.
. Wan auch
27
einige offension geschehen wehre, so hette doch Franckreich selbsten vor
28
die herren pfaltzgraven unnd andere, so gegen Ihre Kayserliche Mayestät
29
gar rebellisch worden, die amnistia dergestalt urgirt unnd erhalten, daß sie
30
pillig, wan einige offension beschehen wehre, den hertzogen von Lott-
31
ringen auch nit außschließen konde. Unnd ob sie auch woll vorgeben, daß
32
Seine Liebden sich mit ihnen verglichen, ia gar darauff geschworen hetten,
33
so wuste man gleichwoll, wie es mit dem hertzogen von Wurttenberg
34
gangen, mit welchem Ihre Mayestät auch in gnaden procedirt unnd mit
35
demselben gegen reversaln accordirt

40
Hg. Eberhard III. von Württemberg hatte nach der Nördlinger Schlacht sein Land verlassen;
41
für die Aussöhnung mit dem Kaiser verlor er zwei Drittel seines Landes und Besitzes, was auf
42
dem Kongreß zum großen Teil rückgängig gemacht wurde. Vgl. Dickmann S. 31f., Bierther
43
S. 147f. mit Einzelnachweisen, und nunmehr Philippe .
, dieselbe dannoch ietzo directe et

[p. 828] [scan. 952]


1
indirecte zu verenderen gezwungen werden wolten. Wehre auch damahlß
2
im furstenrath, alß von der Lottringischen sach deliberirt worden, in under-
3
schiedtlichen votis vorkommen, daß dergleichen vergleich, so in praeiu-
4
dicium Ihrer Kayserlichen Mayestät unnd deß reichs beschehen, ein nullität
5
seye, maßen ein exempel mit den bischoven von Tull wehre, welcher anno
6
1564 durch die cron Franckreich gleichergestalt zum vergleich gezwungen
7
worden, in praeiudicium der Kayserlichen regalien unnd deß reichs, maßen
8
dan darauff kayser Ferdinandus ein offentliche cassation, darinnen er alles
9
null unnd nichtig, auch in macht deß bischoffs nit stehendt geweßen zu
10
sein declarirt habe

35
Gemeint offenbar die Übereinkunft vom 6. März 1562, durch die Bf. Toussaint d’Hocédy
36
dem Hg. Karl III. von Lothringen in den Hugenottenwirren die Regalien über Stadt und Bistum
37
Toul übergab. Auf Bitte des Kapitels von Toul hin ließ Ferdinand I. am 15. Januar 1564 die
38
Vereinbarung, gegen die auch der französische König protestierte, vom Reichskammergericht
39
kassieren ( Martin II S. 17f., Zeller II S. 210, Pimodan S. 43–53). – Dem Kaiser wurde
40
vom Kurfürstenrat 1640 in Nürnberg noch das Recht der Bistumsbesetzung in Toul zugestanden,
41
während das Bistum vakant (1637–1645) war, weil sich Frankreich und der Papst auf einen
42
Kandidaten nicht einigen konnten ( Brockhaus S. 219f., Martin II S. 216–224).
. Zudeme muste man auch Lottringen uber dießes
11
hören, dan inter status, wie es mit dießem vergleich hergangen, warumb
12
derselbe nit gehalten worden oder wie es damit beschaffen, keine bestendige
13
wißenschafft oder nachricht vorhanden. Stützt sich umb desto mehr auf
14
diese Argumente und das bestehende Conclusum, weillen alhie quaestio seye 1º
15
super admissione ad tractatus unnd die Frantzoßen selbst sustinirt, daß alle
16
gravati, keiner außgenohmen, alhie erscheinen unnd dießer frieden uni-
17
versal in tota christianitate sein solte, maßen Trier erwehnt, daß eben
18
dardurch, wan solcher salvus conductus nit solte bewilliget werden, der
19
friedt zwischen Spanien (welche den hertzogen auß vielen ursachen nit
20
laßen werden wollen) unnd der cron Franckreich nit befurdert werde, zu
21
geschweigen, daß, wan dießer herr durch verlaßung von Kayserlicher Maye-
22
stet unndt den standten zur desperation gebracht werden solte, waß er noch
23
mit underhabenden armaden unnd sich vielleicht darzu besorgentlich schla-
24
genden volckeren vor unheil im reich anrichten konde. Die exempla vor
25
hundert iahren mit dem Alberto Brandenburgico

43
Mgf. Albrecht Alcibiades von Brandenburg (1522–1557) nutzte die Kriege Karls V. mit
44
Frankreich, besonders die Belagerung von Metz, zu Raubzügen im Reichsgebiet ( Stramberg 1,
45
4 S. 190–232 mit epischer Breite).
seyen sonderlich in
26
dießen landen annoch unvergeßen. Unndt wehre solche coniunction zwar
27
nit auß solchen pillichen ursachen, sonderen damahlß mehr auß muthwillen
28
unnd sonsten beschehen.

29
Die zweyte unnd 3 te quaestionen betreffendt, dieweilen es sachen seindt, so
30
meistens noviter hervorgepracht werden, also seyen sie darauff nit instruirt.
31
Hetten zwar gleich Churtrier eben dergleichen commission, dem reich
32
keine landt unnd leuth, iura oder superiorität, weniger mehrere dismem-
33
bration abzuvotiren; dahero sie nit unpillig in sorgen stunden, daß Ihre
34
Churfurstliche Durchlaucht schwerlich praesertim partibus non auditis vel

[p. 829] [scan. 953]


1
consentientibus ihr votum absolutum pro affirmativa werden abstatten
2
laßen wollen, umb desto mehr, weilen man noch uff dieße stundt nit
3
eigentlich wiße, waß die bestendige begehren der Frantzoßen seyen, ange-
4
sehen sie underschiedtlich damit variirt, wenigers, waß vor fursten, graven
5
unnd andere standt damit interessirt gemacht werden wolten. Dan 1º hetten
6
sie allein die stiffter, wie es die bischoven gehabt, in temporalibus unnd sie
7
Frantzoßen biß dato possedirt, bestendig zu behalten unnd unangesprochen
8
zu laßen begehrt, darnach hetten sie 2º sich verlauten laßen, daß sie dieienige
9
reichsständt, so in den districten dießer stiffter geseßen, auch haben wolten,
10
weilen sie nit leiden konten unnd allerhandt confusion zu beforchten hetten,
11
wan dieienige freye ständt in ihrem landt sitzen unnd einen anderen herren
12
erkennen solten. 3º seye daß begehren wieder erweitert worden, daß sie
13
alle vasallos, so auch außer der stiffter gelegen, von der cron Franckreich
14
mit aydt unnd pflichten allein zu dependiren begehrt haben. Unnd dan 4º
15
kommen sie ietzo noch weiter, daß sie alle dieienige fursten, graven unnd
16
herren, auch standt, so under die geistliche iurisdiction gehörig, mögten
17
erlangen unnd ihnen subiect machen. Nunn seye albereit im Trierschen
18
voto vermeldet worden, daß eine zimbliche anzahl ahn der Saar, hertzog-
19
thumb Luxemburg unnd anderen ortheren dem bischoven von Metz under-
20
worffen , so seye auch notorium, daß under dieße drey stiffter daß meinste,
21
wo nit daß gantze hertzogthumb Lottringen gehörig

38
Lothringische Bestrebungen, gegen die von französischem Einfluß immer stärker beherrschten drei
39
Stifter ein eigenes Landesbistum zu bilden, waren unter den Herzögen Karl III. und Karl IV.
40
gescheitert ( Just S. 254ff.).
. Mogten dahero vie-
22
leicht einen newen titul, Lottringen per indirectum under sich zu pringen,
23
suchen, weillen

36
23–24 Lottringen – trage] und 30–31 mundtlich – theten] in Kurmainz Rk von Kanzlei-
37
hand
unterstrichen.
Lottringen fast die meiste landtschafft von den stifftern zu
24
lehen trage. Konden also ohne bevelch uff keine seiten sich erclären; hetten
25
allein erinnern wollen, daß dieße considerationes durch die herren media-
26
torn den Frantzoßen zu gemuth gefuhrt unnd soviel möglich von den
27
unbefugten praetensionibus divertirt werden mogen. Unnd hette man sie
28
zu errinnern, waß sie nit allein vor dießem zu Heilbronnen

41
Vgl. zum Heilbronner Vertrag vom 19. April 1633 zwischen Frankreich und Schweden
42
Kretzschmar , Heilbronner Bund I S. 283–293, hierzu bes. S. 292f.
unnd sonsten
29
public unndt privatim durch schickung, schrifften unnd bey dießen trac-
30
taten underschiedtliche mahl mundtlich sich erclert haben, daß sie von dem
31
reich nichts begehren theten, sinthemahlen dan dießes indubitate allein
32
gegen daß reich lauffen thete, also sie selbsten pillig abstandt davon zu
33
thuen hetten, unnd daß auch weder Kayserliche Mayestät noch ein standt
34
den anderen dergestalt ohne sein vorwißen unnd consens dismembriren
35
unnd einem frembden potentaten nit undergeben wolten noch könden.

[p. 830] [scan. 954]


1
Bezüglich der 10 Reichsstädte sind in den eingegebenen schrifften zimbliche
2
petitiones begriffen. Unnd habe man woll dahien zu sehen, wie sie selbsten
3
setzen, daß sie insgesambt gleichsamb soviel alß ein churfurst dem reich
4
contribuirten, welches dem reich auch insoweit abgehen wurde. Unnd ver-
5
glichen sich im ubrigen unnd soviel dieße statt betreffendt mit dem Chur-
6
trierschen voto,

37
6–8 wie – gangen] In Kurmainz Rk von Kanzleihand unterstrichen.
wie auch in deme, daß, wie offters vermeldet worden, in
7
so viel underschiedtlichen wichtigen puncten die herren Kayserliche ohn-
8
befragt der ständt oder interessirten zimblich weit gangen unnd daß man
9
auch quoad episcopos pillig die reformation bey den dreyen stifftern ratione
10
regalium unnd wie es zu halten unnd dan wegen der metropolitanischen
11
iurisdiction alles beßer unnd magis specifice gesetzt unnd verglichen, auch
12
die interessirten furderlich daruber vernohmen werden, maßen Churtrier
13
sich quoad ius metropolitanum mit mehrem vernehmen zu laßen erpotten,
14
vom bischoven zu Verdun

38
Bischof von Verdun war seit 1623 Franciscus von Lothringen ( 1599–1661 ) ( Gauchat IV
39
S. 370, Hübner I 281 ).
auch furderlich die andtworth unnd resolution
15
einkommen unndt leicht hernacher uff andere stiffter gerichtet werden
16
konte.

17
Kurbayern. Musten bekennen, daß es ein uberschwere sach wehre, einigen
18
standt vom corpore abzureißen oder einigen standt seiner immedietet zu
19
entsetzen unnd die handt gantz abzuziehen. Befinden auch, gefahrlich zu
20
sein, die tractaten noch lenger auffzuziehen und ferner im krieg zu stehen
21
und dardurch nit allein ein- oder andern stand, sondern daß gantze reich der
22
gefahr der gentzlichen dissolution noch ferner zu underwerffen. Hetten
23
derowegen nit underlaßen, sobald sie vernohmen, daß dieße puncten in
24
deliberation gestelt werden sollen, Ihrem Gnedigsten Herrn davon under-
25
thenigste relation zu erstatten, aber wegen kürtze der zeit dato daruber
26
keine resolution empfangen können. Weiln sie sich dann so weit nit instru-
27
irt befinden, daß sie sich daruber in specie könden heraußlaßen, also könten
28
sich in genere in crafft habenden befelchs, das sie alles mit würcken solten,
29
so zu befürderung friedens immer dienlich seye, vernehmen laßen. Und
30
hielten, den herren Kayserlichen dieße drey puncta zu weiterer handlung,
31
weiln sie ohnedas die beste wißenschaft hetten, zu remittiren und sie zu
32
ersuchen, ihrer beywohnenden discretion nach die umbstend und momenta
33
rerum zu consideriren und mit Franckreich uff solche mittel sich fürderlich
34
zu vergleichen, wordurch die angezogene ständt ahm wenigsten beschwert,
35
hingegen aber auch der so nothwendige frieden dardurch nit gesteckt, son-
36
dern soviel möglich befürdert und zu end gepracht werden möge.

[p. 831] [scan. 955]


1
Kurmainz. Recapitulirten der vorstimmenden vota. Und ob sie zwar wohl,
2
ehe und zuvorn auch die herren Chursächß- und -brandenburgische sich
3
hieruber der ordnung nach vernehmen laßen, nit wohl einig bestendig
4
conclusum verfaßen könden, so wolten sich gleichwohl inmittels zu ge-
5
winnung zeit mit den herren Churtryer- und -cöllnischen auß den einge-
6
führten ursachen in deme gern vergleichen, daß 1º, soviel die Lottringische
7
restitution betreffend, es allerdings bey deme vorm jahr im monath Junio
8
dießfals den herren Kayserlichen commissarien von sambtlichen stenden
9
uberreichten guetachten annoch ungeendert zu laßen, daß nemblich die
10
Lottringische sach diesorts vorzunehmen, Seine Fürstliche Durchlaucht zu
11
hören und zu solchem end deroselben gleich allen andern gravirten von
12
den cronen ein gewißer salvus conductus zu ertheilen,

13
2º daß der lehenleuth halber es beym Kayserlichen proiect allerdings zu
14
laßen, wenigers nit mit der cron Franckreich specifice zugleich abzuhandlen,
15
quo iure in temporalibus die bischoven künfftig in obbesagten dreyen
16
stiefftern gesetzt werden und ob und waßgestalt sie die regalia und andere
17
weltlichkeiten empfangen sollen,

18
3º daß der zehen reichsstätt anliegen den Kayserlichen herren plenipoten-
19
tiariis dergestalt bestens zu recommendiren, damit dieselbe bey dem heyli-
20
gen reich, consequenter ihren reichsfreyheiten und immuniteten gelaßen
21
werden, wobey dann zugleich daß von den stätten vorgeschlagene mittel
22
denselben ahn hand gegeben werden könde, daß nemblichen die von ihnen
23
erhebende jährliche reichsstewer uff ein capital geschlagen und von denen
24
geldern, so die cron Franckreich dem hochlöblichen hauß Österreich zu
25
erlegen sich obligirt, abgezogen und dahingegen bemelte reichsstewer
26
Kayserlicher Mayestät allergnedigsten disposition uberlaßen werden.

Documents