Acta Pacis Westphalicae III D 1 : Stadtmünsterische Akten und Vermischtes / Helmut Lahrkamp
EINLEITUNG

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EINLEITUNG


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Die im Stadtarchiv Münster vorhandenen Archivalien aus dem letzten Jahrzehnt
3
des Dreißigjährigen Krieges sind bisher für die Geschichte des Friedenskongresses
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kaum herangezogen worden. In der für diese Veröffentlichung getroffenen Auswahl
5
möglichst charakteristischer Dokumente belegen sie anschaulich die Stellung der
6
Stadt zu der in ihren Mauern tagenden Diplomatenversammlung, die den Rat mehrere
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Jahre lang vor nicht geringe Probleme stellte.

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Schon bevor Kaiser Ferdinand III. am 1. September 1641 dem Magistrat Mitteilung
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machte, daß Münster auf Ansuchen der Krone Schweden zum Kongreßort für die
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Friedensverhandlungen mit Frankreich bestimmt sei, hatte ein kaiserlicher Sekretär
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vertraulich seine Vaterstadt informiert, welch wichtige Rolle ihr bald zufallen werde,
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wobei er nicht versäumte, auf die finanziellen Vorteile hinzuweisen, die ein derartiger
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Fremdenzustrom bringen könnte. Nun hatte Münster, die Hauptstadt des gleich-
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namigen
Fürstbistums, zwar im Kriege wesentlich weniger gelitten als die übrigen
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westfälischen Städte, weil seine starke Befestigung und die entschieden kaisertreue
16
Haltung der Bürgerschaft die durchziehenden Söldnerheere der schwedisch- protestan-
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tischen
Partei vor Belagerungen abschreckten

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Ende Mai bis Mitte Juni 1634 war die Stadt durch eine Armee unter Herzog Georg von Braun-
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schweig -Lüneburg (vereinigte Lüneburger, Schweden, Hessen, dazu holländische Hilfstruppen)
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ernstlich gefährdet. Die Generalstaaten hatten damals mit dem schwedischen Kanzler Oxenstierna
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vereinbart, bis zur Eroberung Münsters monatlich 20000 Taler Subsidien zu zahlen. Da sich
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kaiserliche Streitkräfte unter Feldmarschall-Leutnant von Geleen nach Münster geworfen hatten,
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fand eine wirkliche Belagerung nicht statt; vgl. Lahrkamp , Bönninghausen S. 299ff.
. Aber die ländliche Umgebung war
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nicht minder ausgeplündert als die im Kriege verheerten übrigen deutschen Territorien.
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Nicht ohne Grund befürchtete man daher im Rate der Stadt, den eintreffenden Ge-
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sandtschaften
kaum in ausreichendem Maße Unterhaltsmittel zur Verfügung stellen
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zu können, so daß die erste Antwort der Stadt an die kaiserlichen Gesandten zu Köln
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abwartend und zögernd klang . Auch der in Bonn residierende Landesherr, Kurfürst
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Ferdinand von Köln, erwartete allerhandt beschwernußen, konnte aber seine Zu-
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stimmung
zu den kaiserlichen Wünschen nicht versagen.

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Sehr langsam kam der Kongreß in Gang. Der Reichshofrat Johann Krane entband
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die Stadt gemäß dem Hamburger Präliminarvertrag (25. Dezember 1641) von ihren
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Verpflichtungen gegen Kaiser und Landesherrn und erklärte sie in feierlicher Zere-
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monie
auf der münsterschen Ratskammer am 27. Mai 1643 für die Dauer des Frie-
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denskongresses
als neutral. Der Rat hatte sich mit der Unterbringung der zahlreichen
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Diplomaten zu beschäftigen. Direkte Quartiervermittlung schien ihm bedenklich,
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er überließ die Vermietung der Wohnungen und Ställe den Besitzern und griff nur bei
32
Mietdifferenzen schlichtend ein, obgleich eine Wohnungskommission eingesetzt wurde,
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die Vorschläge für die Quartierverteilung einreichte . Krane hatte die zu erwartende
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Menge an fremden Gästen – sicher zu hoch – auf zehn- bis zwölftausend Köpfe
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geschätzt. Nun zählte Münster innerhalb seines Mauerrings rund zehntausend Ein-

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wohner
; wenn wirklich etwa die gleiche Anzahl an Gesandtschaftspersonal hätte
2
untergebracht werden müssen, würden wir mehr von Wohnungsnot und unerfreulichen
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Streitigkeiten hören. Anscheinend hat die Vermietung der notwendigen Quartiere
4
keine nennenswerten Schwierigkeiten bereitet, zumal die Stadt Osnabrück neben der
5
schwedischen Hauptgesandtschaft die meisten protestantischen Reichsstände aufnahm.
6
Allerdings waren auch angeworbene Stadtsoldaten, vier Kompanien stark, mit Weib
7
und Kind in Bürgerhäusern untergebracht. Ihr Befehlshaber wurde der vormals kaiser-
8
liche
Obrist Johann von Reumont, der für die Sicherheit des Kongresses die Verant-
9
wortung
trug und sich seiner Aufgabe mit Geschick entledigte. Die Besoldung der
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Garnison erfolgte aus Landesmitteln, die aber nur stockend eingingen.

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Zu Beginn des Kongresses machte die Wahrung der Neutralität dem Rate zu schaffen.
12
Im Hochstift Münster befanden sich hessische und kurkölnische Besatzungen, die aus
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dem Lande lebten und sich Übergriffe erlaubten; über die Streifzüge der hessischen
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Einquartierung in Coesfeld wurde immer wieder geklagt. Am 20. Juni 1643 – also
15
nach der Neutralisierung Münsters – fielen hessische Söldner bei Nacht in das vor den
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Stadtmauern gelegene Stift St. Mauritz ein und plünderten es aus – ein Vorfall, der
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zur Beschwerde beim Reichshofrat Krane und zu ärgerlichem Schriftwechsel mit dem
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hessischen Generalleutnant Graf Eberstein führte; sogar der dänische König pro-
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testierte
deshalb bei der Landgräfin Amalie

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[ Nr. 30 S. 43 ] bzw. [ Nr. 36 S. 49 ] . Außerdem betreffen folgende bei Gärtner I gedruckte Schrift-
34
stücke die wegen der Neutralisierung Münsters mit den hessischen Besatzungstruppen entstandenen
35
Differenzen (namentlich wegen des Überfalls auf das Stift St. Mauritz): Nr. 133 S. 294f.,
36
Nr. 152–154 S. 335–350, Nr. 157–158 S. 343–352, Nr. 160 S. 353f., Nr. 162
37
S. 356ff., Nr. 165–166 S. 360ff., Nr. 170 S. 367–370, Nr. 175–176 S. 377ff., Nr. 178
38
S. 381ff., Nr. 182 S. 396ff., Nr. 184 S. 401ff., Nr. 186 S. 405f., Nr. 199 S. 453f., Nr. 203
39
S. 460f., Nr. 209–214 S. 470–477, Nr. 217–219 S. 481–484, Nr. 224 S. 493f., Nr. 229
40
S. 499ff., Nr. 231 S. 504, Nr. 234–235 S. 507–511, Nr. 240 S. 521–525, Nr. 242 S. 526f.,
41
Nr. 245 S. 529ff., Nr. 247–248 S. 534–537, Nr. 251–252 S. 542–552, Nr. 264–265
42
S. 572–580, Nr. 283 S. 606–609, Nr. 301 S. 642ff., Nr. 303 S. 646f., Nr. 308 S. 654f.,
43
Nr. 320 S. 680f., Nr. 325 S. 691, Nr. 335 S. 713ff., Nr. 346 S. 732ff. Sämtliche Schreiben
44
stammen aus dem Jahre 1643.
. Auf strikte Wahrung der Neutralität
20
war Münster in der Folge sehr bedacht, weshalb der Rat heimliche Werbungen von
21
Kriegsvolk in der Stadt untersagte, ohne sie offenbar ganz verhindern zu können. Als
22
1646 die Schwedenarmee des Feldmarschalls Wrangel in Westfalen erschien oder 1647
23
der General Hans Christoph von Königsmarck den benachbarten kurkölnischen
24
Waffenplatz Warendorf belagerte, sah sich die Bürgerschaft zu Verteidigungsmaß-
25
regeln
genötigt . Mehrfach richtete der Rat der Neutralität halber Eingaben an die
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beiden Friedensvermittler, den päpstlichen Nuntius und den venezianischen Botschafter,
27
die diese Suppliken wohl meist mündlich erledigten, da sich in den städtischen Akten
28
keine Antwortschreiben der Mediatoren vorfinden.

29
Aus den Ratsprotokollen erfahren wir von den Bemühungen Münsters um geregelte
30
Zufuhr von Lebensmitteln und vom Einschreiten der örtlichen Gilden gegen fremde
31
Kramer, Schneider, Bäcker und Konfektverkäufer, die den Zunftzwang durchbrachen.
32
Der Rat setzte die Fleischpreise fest, überwachte den freien Verkauf und richtete

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1
Garküchen ein. Neben den gewohnten Verkaufsständen unter den Bogen des Prinzipal-
2
markts
wurden getrennte Fisch-, Fleisch- und Gemüsemärkte sowie ein Platz für
3
Butter- und Käseverkauf vorgeschrieben. Die Lebensmittelpreise waren hoch und
4
stiegen immer weiter an, je stärker der Fremdenzustrom war, doch wehrte sich der
5
Rat nachdrücklich gegen den Vorwurf mangelnder Aufsicht und bestritt, daß zu
6
Münster alle sachen theurer sein solten als an andern örtteren . Freilich klag-
7
ten
namentlich die Kaufleute ständig über die Verteuerung der Waren durch die Li-
8
centen
oder Durchgangszölle, die von den krieg führenden Parteien in jeder Garnison
9
erhoben wurden. Eingaben der Stadt um Erleichterung der Kontributionen auf dem
10
platten landt blieben wirkungslos. Im Jahre 1646 vereinbarte man ein gemeinsames
11
Vorgehen gegen die Licenten mit den Städten Wesel und Osnabrück und trug, die
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alten Hansebeziehungen benutzend, auch den stadtkölnischen und lübischen Bevoll-
13
mächtigten
diese Beschwerden vor, ohne daß doch eine Besserung eingetreten wäre.
14
Vergeblich blieb die Berufung auf die Hamburgischen präliminartractaten, um
15
dieses pestilentialübel der commercien auszurotten. Auch der Druck der hessi-
16
schen
Einquartierung im Hochstift wurde nicht gemildert; immer wieder ereigneten
17
sich Fälle von Mord und Straßenraub unmittelbar vor den Toren der Stadt.

18
Die Kriminalität im Kongreßort nahm nicht unerheblich zu. Der ersten Schlägerei
19
städtischer Bediensteter mit französischen Dienern im März 1644 folgte eine Aus-
20
einandersetzung
zwischen Katalanen und Franzosen, im Juli des gleichen Jahres ver-
21
wundete
der Sekretär des Stadtkommandanten einen französischen Edelmann und
22
wurde flüchtig. Schüler des Jesuitengymnasiums gerieten mit dem französischen Ge-
23
sandtschaftsapotheker
und dessen Gehilfen ins Handgemenge. Im November 1646
24
erstachen Franzosen den Kammerdiener des spanischen Prinzipalgesandten Peñaranda,
25
was zum Verhör der Verdächtigen durch den Rat führte, der auch Justiz gegen das
26
niedere Gesandtschaftspersonal übte, wenn innerhalb der Gesandtschaften Diebstähle
27
vorkamen . Dem Herzog von Longueville stellte der Magistrat zwei Stadttore als
28
Gefängnis für seine Untergebenen zur Verfügung. Schon zu Kongreßbeginn verboten
29
die Stadtväter die übliche „Zeche“ der „Petergesellschaft“; in den folgenden Jahren
30
untersagten sie zur Karnevalszeit den Verkauf von Gesichtslarven und Masken.
31
Fremde Bettler wurden ebenso wie leichtfertige weibspersonen aus der Stadt ent-
32
fernt
, die als Handelsagenten einkommenden Juden beaufsichtigt. Die Polizeidiener
33
erhielten Anweisung, alle Herbergen und Bürgerhäuser zu visitieren und die ange-
34
troffenen
Fremden, die nicht zu den einzelnen Gesandtschaften gehörten, dem Rate zu
35
melden, der auch den Hebammen einschärfte, die unehelichen Geburten zu erfassen .
36
Die Vorsorge trug ihre Früchte, da die Zwischenfälle doch verhältnismäßig unblutig
37
verliefen. Erst im April 1648 kam es zu einem größeren Zusammenstoß zwischen
38
den verfeindeten Spaniern und Portugiesen, der elf Verletzte gefordert haben soll.

39
Für die Unterhaltung der Gäste sorgte der Rat durch die Einrichtung einer Lotterie,
40
des „Glückshafens“, den ein auswärtiger Pächter betrieb. Fahrendes Volk, Komö-

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1
dianten
und Seiltänzer, Quacksalber und Schausteller erhielten befristete Aufent-
2
haltsgenehmigungen
, um ihre Künste zu zeigen. Gelegenheit zu besonderer Pracht-
3
entfaltung
der Gesandtschaften boten die Einzüge der Hauptbevollmächtigten, bei denen
4
Bürger und Soldaten die Straßen säumten und „Ehrenschüsse“ abgaben, dann die
5
wiederholten Prozessionen zur Erflehung des allgemeinen Friedens , schließlich die
6
feierliche Ratifikation des spanisch-niederländischen Vertrages am 15. Mai 1648 im
7
münsterschen „Friedenssaal“. Die öffentliche Verkündung des Friedensschlusses
8
am 25. Oktober vollzog sich in einem bescheidenerem Rahmen. Das Verhältnis der
9
ausländischen Gesandten zur Bürgerschaft war gut, wie sich schon darin ausdrückt,
10
daß nicht wenige der hohen Herren die Patenschaft bei münsterschen Bürgerkindern
11
übernahmen

41
Dafür bietet Anhang I zahlreiche Beispiele; vgl. S. 274–280.
. Graf d’Avaux und die Gräfin Servien hielten das Söhnchen des
12
Christopher Poll über das Taufbecken, auch Graf Peñaranda verschmähte nicht die
13
Annahme der Patenstelle beim Sohn des Stadtadjutanten gemeinsam mit der Frau
14
eines Hauptmanns der Stadtsoldateska. Mitunter erfolgten Hochzeiten zwischen
15
Bürgertöchtern und Gesandtschaftsangehörigen; etliche Ausländer wurden eingebür-
16
gert
, wie ein französischer Barbier, der zur „Bruderschaft“ dieses Gewerbes Zugang
17
fand.

18
Durch die Neutralisierung war Münster für die Dauer der Friedenstagung in einen
19
Zustand faktischer Unabhängigkeit von der landesherrlichen Gewalt gekommen. Im
20
Rate überlegte man, wie die Stellung der Stadt durch Zusicherungen „ewiger Neu-
21
tralität
“ seitens der Kriegführenden oder „Erwerbung etlicher Privilegien“ vom
22
Kaiser zu stärken sei. Der Gedanke, um Aufnahme in die Reichsmatrikel anzu-
23
suchen
, tauchte zwar auf, doch ging die Meinung der Mehrzahl der Ratsmitglieder
24
dahin, dies nur mit Bewilligung des Landesherrn zu versuchen. Von den übrigen Land-
25
ständen
wollte man sich weder trennen, noch gegen den geleisteten Eid handeln. Auch
26
wurden Bedenken laut, ob es nicht die Finanzkraft der Stadt übersteige, die künftigen
27
Reichskontributionen zu zahlen. In einer Sitzung vom 1. April 1647 fiel die Ent-
28
scheidung
dahin, daß um die Reichsfreiheit beim Kaiser nicht nachzusuchen sei; wohl
29
aber wurde in der Folge der Plan betrieben, die früher erlangten Privilegien vom Kaiser
30
erweitern zu lassen . Am 11. September ging eine Eingabe an den Wiener Hof ab,
31
worin die Stadt bat, Ferdinand III. möge alte Vorrechte bestätigen und neue erteilen,
32
die schon bedenklich in die landesfürstlichen Gerechtsame eingriffen, wie in die Münz-
33
hoheit
und das Besatzungsrecht. Am 29. Dezember bat der Rat dann den Kaiser um
34
Anweisung an die Generalität, damit die notwendigen Gelder für die Garnison aus
35
den Stiftsmitteln sichergestellt würden. Auf beide Suppliken erfolgte zunächst keine
36
Antwort, so sehr man bei einflußreichen Persönlichkeiten durch „Verehrungen“ und
37
„Handsalben“ Verständnis für Münsters Bestrebungen zu wecken suchte. Auf-
38
schlußreich
ist die ausführliche Instruktion für die zum Kurfürsten nach Bonn be-
39
stimmten
städtischen Deputierten vom 17. März 1649; erst damals wurde der

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1
Landesherr von der Stadt über die bereits 1647 vom Kaiser erbetenen Gnaden offiziell
2
ins Bild gesetzt

37
Dem widerspricht nicht das bei Tourtual S. 338ff gedruckte undatierte Schriftstück aus
38
Chigis Nachlaß (Q II 52 fol. 129), das wohl ein Gutachten der fürstlich Münsterischen Räte
39
Zur Eingabe der Stadt ( [ Nr. 206 S. 207ff ] ) darstellt und vielleicht ins Jahr 1649 zu setzen ist.
40
Die Instruktion [ Nr. 237 S. 241ff ] ; die Stellungnahme des Kurfürsten [ Nr. 240 S. 246ff ] .
.

3
Entgegen der landläufigen Meinung ist Münster als städtisches Gemeinwesen durch
4
den Friedenskongreß nicht reicher geworden, so sicher einzelne Bürger von den Ge-
5
sandtschaften
ihren Nutzen gezogen und an Mieten und Handelsgeschäften gut ver-
6
dient
haben. Schon 1644 hatte der Rat darauf hingewiesen, daß der Stadt an Akzisen
7
und Abgaben ein merckliches abgehe, da den Gesandtschaften alles zollfrei geliefert
8
werde und diese ihre eigenen Handwerker, Bäcker und Brauer beschäftigten . Die
9
Stadtväter kamen zu der Überzeugung, der Kaiser sei moralisch verpflichtet, eine
10
Entschädigung für Münsters hohe Ausgaben im Krieg und während der Friedensta-
11
gung
als gnadenrecompens anzuweisen, weil die Stadt sich immer kaisertreu er-
12
wiesen
und nach Kräften die kaiserliche Generalität unterstützt habe. Auf die erste
13
Bittschrift des Rates vom 8. Mai 1649 folgte zunächst ein vertröstender Bescheid aus
14
Wien, der in der Bürgerschaft große Hoffnungen erweckte; auch unterstützte Kurfürst
15
Ferdinand das Anliegen der Stadt durch schriftliche und mündliche Vorstellungen
16
bei Hofe. Am 15. September 1650 erneuerte Münster seine Bitte um Milderung der
17
Schuldenlast und erbat eine größere Zuweisung aus Reichsmitteln unter Hinweis auf
18
jene kaiserliche Exspectanz. Die Stadtschulden beliefen sich auf etliche hundert-
19
tausent thaler . Einen letzten Versuch unternahmen Bürgermeister und Rat im
20
Jahre 1653, als sie am 3. Januar wieder schriftlich um eine billichmeßige recom-
21
pens und ergötzlichkeit wegen geleisteter treuer Dienste anhielten und den Stadt-
22
arzt
und Ratsherrn Dr. Bernhard Rottendorff zum Reichstag nach Regensburg ent-
23
sandten
. Obgleich dieser durch Geschenke an die Umgebung Ferdinands III. bene-
24
volentiam zu captiren suchte, wurde am 25. Oktober das Anbringen Münsters ab-
25
geschlagen
, da es nach Meinung der kaiserlichen Räte eine Sache von weithaussehend-
26
ter consequentz wäre, wenn das Reichsoberhaupt eine derartige Bitte bei den ihm
27
obliegenden hohen Kriegslasten bewillige . Wohl oder übel mußte die Stadt sich in
28
diesen Bescheid fügen. Daß sie trotzdem gerade in diesen Jahren mit der Widersetz-
29
lichkeit
gegen den neuen Landesherrn, den absolutistischen Fürstbischof Christoph
30
Bernhard von Galen, den erfolglosen Versuch machte, nun doch die Reichsunmittelbar-
31
keit
zu erringen, war ein Beweis der politischen Kurzsichtigkeit von Rat und Gilden.
32
Diese Verkennung der wahren Machtverhältnisse bezahlte Münster 1661 mit einer
33
schweren Niederlage und der Degradierung zur bischöflichen Landstadt.

34
*

35
An der Spitze der städtischen Verwaltung standen zwei Bürgermeister und 22 Rats-
36
herren
, die jährlich gewählt wurden und sich in die Besetzung der Ämter teilten. Der

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1
Stadtsyndikus, ein erfahrener Jurist, besorgte die Rechtsgeschäfte und wurde auch zu
2
Gesandtschaftsreisen herangezogen; welche „Qualitäten“ man von ihm verlangte,
3
bezeugt anschaulich das Ratsprotokoll vom 15. Dezember 1645. Neben ihm hatte der
4
Stadtsekretär durch seine Geschäftskenntnis hervorragenden Einfluß. In Münster
5
bekleidete 48 Jahre lang Heinrich Hollandt

36
Heinrich Hollandt, geb. 1572, war seit 1600 als Nachfolger des Johann Pagenstecher Stadt-
37
sekretär ; er starb 1648. Bis 1661 hatte sein Sohn Bernhard Hollandt, der 1645 seinem alten
38
Vater beigeordnet wurde, dies Amt inne.
, immatrikulierter Notar am kaiser-
6
lichen
Kammergericht, diese Stelle; von seiner Hand stammen die Rats- und Kriminal-
7
protokollbände
jener Zeit. Ihm oblag die Leitung der städtischen Kanzlei, in der
8
mehrere Schreiber oder Kopisten tätig waren. Die im vorliegenden Bande veröffent-
9
lichten
Schreiben der Stadt sind in der Mehrzahl von Hollandt entworfen oder kor-
10
rigiert
worden, da er die städtische Korrespondenz selbständig führte und auch oft im
11
Namen des Rates unterzeichnete

39
Die Kanzleivermerke der Ein- und Ausgänge stammen durchweg von Hollandts Hand und wer-
40
den daher meist nicht eigens als von ihm herrührend gekennzeichnet.
.

12
Bemerkenswert war in Münster die starke Stellung der 17 Gilden, auf die der Rat bei
13
seinen Beschlüssen Rücksicht zu nehmen pflegte. Fast alle wichtigen Dinge wurden den
14
beiden Alderleuten der Gesamtgilde zur Kenntnis gebracht; durch ihre Befragung such-
15
ten
sich Bürgermeister und Rat den Rücken zu decken. Daneben wurde mitunter noch
16
ein besonderer Ausschuß aus der „Gemeinheit“ der Bürgerschaft zugezogen. Im Rate
17
selbst saßen überwiegend juristisch vorgebildete Bürger, die z. T. akademische Grade
18
erworben hatten.

19
Die Exekutive in Polizeisachen besorgte der Stadtadjutant, dem des Rates „reitende
20
Diener“ unterstanden; außer ihnen hatten die „Bottmeistere“ Polizeidiener- Funktio-
21
nen
, wenn sie für die Überwachung der Fremden und Bettler, die leidige Straßenreini-
22
gung
und zur Ansage der Ratsbeschlüsse herangezogen wurden. Auch die Stadtpförtner
23
oder Torwärter wurden vom Rate bestellt und waren ihm verantwortlich. In den
24
„Bürgerfahnen“ waren die waffenfähigen Bürger straff organisiert. Mit der gewor-
25
benen
Soldateska unter vier auf die Stadt vereidigten Hauptleuten wurden sie bei
26
besonderen Anlässen zur Parade oder zur Bewachung der Wälle aufgeboten und waren
27
ihren gewählten Offizieren zum Gehorsam verpflichtet. Der 1643 eingesetzte Stadt-
28
kommandant
wurde erst am 5. April 1651 – sehr gegen seinen Willen – abgedankt .

29
*

30
Die im Text wiedergegebenen Schriftstücke stammen aus dem „Alten Verwaltungs-
31
archiv
“ der Stadt, das die Urkunden und Akten der Zeit vor 1803 enthält. Leider
32
hat eine dilettantische Verzeichnung um die Mitte des 19. Jahrhunderts viele Sach-
33
zusammenhänge
zerrissen. Eingeteilt ist dieser Bestand in 18 Einzelabteilungen;
34
die Mehrzahl der den Friedenskongreß betreffenden Stücke befindet sich in der
35
Abteilung XIV. Bedauerlicherweise sind die städtischen Akten zum Kongreß für

[p. XXIII] [scan. 23]


1
das Jahr 1648 wie auch das Ratsprotokoll dieses Jahres im Archiv nicht vorhanden;
2
möglicherweise sind sie früher einmal ausgeliehen und nicht zurückgegeben worden.
3
Es erschien daher zweckmäßig, bei sonstiger Beschränkung auf die städtische Pro-
4
venienz
diese Lücke durch Auszüge aus dem Diarium Wartenberg zu schließen

5
Neben den Nummern [ 224–229 ] entstammt ihm auch [ Nr. 151 ] (Einzug der Herzogin von Lon-
6
gueville ).
.

[p. XXIV] [scan. 24]

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