Acta Pacis Westphalicae II B 3,1 : Die französischen Korrespondenzen, Band 3, 1. Teil: 1645 - 1646 / Elke Jarnut und Rita Bohlen unter Benutzung der Vorarbeiten von Kriemhild Goronzy, mit einer Einleitung und einem Anhang von Franz Bosbach
EINLEITUNG
[p. XXXIII]
[scan. 33]
EINLEITUNG
-
1. Die Kriegsführung
-
2. Die Friedensverhandlungen
-
a) Die Verhandlungen mit dem Kaiser über das Elsaß
-
b) Die Verhandlungen mit Spanien und die Rolle der Generalstaaten der Niederlande
-
3. Die Einrichtung der Edition
Die in diesen Band aufgenommene Korrespondenz umfaßt die Zeit vom 25. No- vember 1645 bis 8. Juni 1646 und berücksichtigt damit eine Phase des Friedens- kongresses , die durch erste intensive Verhandlungen über substantielle Vertragsbe- stimmungen gekennzeichnet war. Nach Eingang der Zusatzinstruktion vom 23. November 1645, nach der Ankunft Trauttmansdorffs, des wichtigsten Unter- händlers des Kaisers, Ende November 1645 sowie nach dem Eintreffen der nie- derländischen Gesandten im Januar 1646 waren aus französischer Sicht die Vor- aussetzungen geschaffen, um in den Verhandlungen die Themen anzugehen, die die europäische Dimension des Kongresses ausmachten: Die Verhandlungen mit dem Kaiser über die französische und die schwedische Satisfaktion sowie die Ver- handlungen mit Spanien über einen spanisch-französischen und einen spanisch- niederländischen Frieden. Dies erforderte eine Abstimmung mit Schweden, die sich teilweise sehr schwierig gestaltete. Darüber hinaus mußten in Hinblick auf den Kaiser die Reichsstände und in Hinblick auf die Verhandlungen mit Spanien die italienischen Staaten möglichst zu einer den Interessen Frankreichs förderli- chen Haltung gebracht werden.
Die Einleitung führt in drei Aspekte der französischen Politik und des Verhand- lungsgeschehens ein, die für die Gesandten besonders wichtig waren und deren Erforschung durch die nun zugänglich gemachten Quellen auf eine neue Grund- lage gestellt werden: Die militärischen Planungen für den Feldzug im Jahr 1646 lassen sich nun in ihrer Bedeutung für das Verhandlungsgeschehen bewerten. Die Quellen zeigen, daß Mazarin eine realistische Chance sah, im Jahr 1646 gegen Spanien nicht nur bedeutende, sondern kriegsentscheidende Erfolge zu erzielen und damit den Gegner zu einem für Frankreich vorteilhaften Friedensschluß zwingen zu können. Die Forschung über die kontrovers beurteilte französische Politik bei den Verhandlungen über die Satisfaktion im Reich und besonders über das Elsaß erhält mit den Quellen dieses Bandes erstmals einen umfassenden Zu- gang zu allen einschlägigen französischen Akten. Dasselbe gilt für die französische Verhandlungspolitik gegenüber Spanien und den Niederlanden. Über die spa- nisch -französischen Verhandlungen weiß man bisher nur wenig, und dementspre- chend konnten weder ihr Zusammenhang mit den gleichzeitigen spanisch- nieder- ländischen Verhandlungen noch die französische Politik dabei angemessen beur- teilt werden.
[p. XXXIV]
[scan. 34]
1. Die Kriegsführung
Die militärische Politik Frankreichs von Ende November 1645 bis in die ersten Tage des Juni 1646 bestand im wesentlichen aus der Vorbereitung der Kampagne des Jahres 1646. Als Resumée der Rüstungen konnte Mazarin im April 1646 nicht ohne Stolz feststellen, daß in den elf Jahren des erklärten Krieges Frankreich nie eine stärkere Streitmacht besessen habe
. Geplant waren eine Offensive Harcourts in Katalonien, die gemeinsame Operation der Armeen Orléans’ und Enghiens in Flandern sowie ein Flottenunternehmen gegen den Stato dei Presidii, das in Zu- sammenarbeit mit dem zu Lande operierenden Prinzen Thomas von Savoyen ab- laufen sollte. Auch die für den Krieg gegen Kaiser und Bayern bestimmte Armee Turennes war stärker als im vergangenen Jahr, als sie zusammen mit Enghiens Truppen im Reich gestanden hatte
. Flandern und das Reich wurden im Frühjahr 1646 aber noch wenig vom Kriegsgeschehen berührt, während die militärischen Operationen auf den Kriegsschauplätzen in Katalonien und in Italien wie geplant begannen. In Katalonien konzentrierten sich die militärischen Unternehmungen ganz auf die Belagerung Léridas, die im Mai von Harcourt eröffnet wurde
und sich dann wider Erwarten erfolglos bis in den September hinzog
Chéruel ,
Histoire II S. 301–304;
Sanabre
S. 208–311.
.
Für die Absprache der Operationen in Italien hatte sich Prinz Thomas von Fe- bruar bis April in Paris aufgehalten
. Das Unternehmen richtete sich zum einen gegen Spanien, wobei als Ziel die Eroberung Neapels angestrebt wurde. Zum an- deren sollte die Expedition den Pamfili-Papst Innozenz X. unter Druck setzen, um ihn von seiner spanienfreundlichen Haltung abzubringen.
Nach dem Feldzugsplan, den die Gesandten im Mai vertraulich erhielten
Als Beilage 2 zu nr. 275.
, sollte die Operation sich zunächst gegen die spanischen Besitzungen vor der toskani- schen Küste richten, wofür man bis Ende Juni 1646 mit einem erfolgreichen Ab- schluß rechnete. Anschließend sollte noch im Sommer das Königreich Neapel er- obert werden, wo bis dahin kooperierende einheimische Kräfte die Vorbereitun- gen für begleitende Maßnahmen abgeschlossen haben könnten, wobei an die Auf- bringung von 2000 Reitern gedacht war. Die kooperierenden Neapolitaner hat- ten sich ausbedungen, daß Prinz Thomas als neuer Herrscher alle Rechte, die Frankreich durch die Eroberung zuwüchsen, erhalte – eine Forderung, der man von französischer Seite geneigt war nachzugeben, weil damit der Gegner in einem Land, das eine Stütze für alle anderen darstelle, seiner Herrschaft verlustig gehe oder doch wenigstens erheblich geschwächt werde. Im Falle des Erfolges könnte der Friede mit Spanien für Frankreich noch günstiger ausfallen, als es jetzt schon sich abzeichne. Die Hoffnungen auf einen Erfolg des Unternehmens in Neapel waren also groß, weil, wie der Feldzugsplan feststellt, alle Voraussetzungen dafür
[p. XXXV]
[scan. 35]
gegeben seien: die eigene militärische Stärke, der Überdruß der Einheimischen an der spanischen Herrschaft, ihr Verlangen nach einem Herrscher, den sie in Person sehen könnten und der sie in eigener Person regiere, sowie ihre besondere Zunei- gung zu dem Prinzen Thomas und dem Haus Savoyen. Allerdings war man sich auf französischer Seite bewußt, daß alle diese Planungen bei dem geringsten Fehl- schlag in der Ausführung gefährdet sein konnten
ebenda ,
fol. 294’–295’: [...] On fait estat d’agir en ces quartiers-là jusques vers la fin de juin, que l’air y est encore bon et dans ce temps-là on songe les choses s’ajustans comme l’on espère, de passer vers le royaume de Naples où l’on peut aborder par mer en esté sans crainte de maladies, ce qui n’est pas dans la mer de Toscane, et cependant on aura gaigné le temps que les diverses personnes avec qui nous avons intelligence dans le pays ont demandé pour avoir plus de moyen de se bien préparer à seconder nos effortz. Les condi- tions qu’ilz ont fait sçavoir qu’ilz désirent de nous c’est qu’on leur bailleroit un prince particulier pour roy, la France luy cédant tous les droictz. Et comme monsieur le prince Thomas en a porté icy la négotiacion que c’est en sa faveur seulement qu’ilz y consentent et que c’est par son entremise que l’affaire se mesnage, le Roy pour luy en donner quelque tiltre apparent est prest de luy céder ses droictz parce qu’outre beaucoup d’advantages particuliers que nous pourrions réserver et qu’il seroit superflu de desduire icy, nous af- foiblirions encore notablement nostre ennemy, luy ostant ou l’inquiétant dans un estat qui est le soustient de tous les autres, outre que non seulement ce nouvel incident ne retarde- roit point la paix, s’il est jugé à propos de la conclurre pour le bien de la chrestienté, mais plustost obligeroit les ennemys à nous accorder des conditions encore plus advantageuses que celles où nous avons offert de consentir. Les dernières nouvelles que l’on a de ces quartiers-là donnent les meilleures espérances du monde du succez de l’entreprise. Les correspondans dudict sieur prince luy promettent deux mil chevaux à son arrivée. Ce renfort, la qualité de nos troupes et le nombre qui est très considérable, le dégoust qu’ont les peuples de la domination espagnolle, la passion qu’ilz ont d’avoir un maistre qu’ilz puissent voir et qui les gouverne luy-mesme, leur estime pour la personne de monsieur le prince Thomas et l’amour qu’ilz ont tousjours témoigné pour la maison de Savoye sont toutes circonstances à nous en promettre quelque chose de bon ou du moings à faire que les ennemys dès qu’ilz verront nos forces en ces quartiers-là songent plus qu’ilz ne font à ce qui leur peut arriver et que lesdits sieurs plénipotentiaires en ressentent bientost le fruit dans le progrès de la négotiation. C’est pour cela qu’on a voulu leur communiquer tout le détail quoyque l’on cognoisse bien que cette affaire est de la nature des entreprises fondées sur des intelligences que le moindre accident fait souvent manquer [...].
Später erwog Mazarin aber auch die Möglichkeit, Neapel als Lehen der französischen Krone zu vergeben;
Chéruel
II S. 205f.).
.
Ende April brach die französische Flotte unter dem Kommando des Herzogs von Brézé von Toulon auf, um in Vado Ligure die Truppen des Prinzen Thomas aufzunehmen
. Außer der Schiffsbesatzung zählte die Streitmacht mehr als 8000 Soldaten
, die einige Küstenplätze im Golf von Talamone unter ihre Kontrolle brachten und in der Mitte des Monats Mai mit der Belagerung von Orbetello begannen, mit dessen baldiger Einnahme man in Paris rechnete, zumal der Groß- herzog der Toskana Neutralität wahrte
. Die Bedeutung der französischen Er- folge sollten die Gesandten herunterspielen, da Mazarin damit rechnete, daß Spa-
[p. XXXVI]
[scan. 36]
nien die sich abzeichnende Bedrohung ganz Italiens durch Frankreich propagan- distisch ausschlachten werde
nr. 297; zu diesem ersten von zwei Italienunternehmen des Jahres 1646, das im Juli erfolglos abgebrochen wurde:
Chéruel
II S. 191–201;
Claretta
II S. 176–178;
Coville
S. 118–129;
Goubert S.
173–175;
Pastor
XIV, 1 S. 48.
.
In Flandern wurden bis in den Juni 1646 keine militärischen Operationen begon- nen
Zum Geschehen in Flandern
Chéruel
II S. 221–225;
Waddington
II S. 147–151.
. Mitte April 1646 waren die französischen Planungen abgeschlossen, die auch vorsahen, daß sich der Hof in die Pikardie begeben sollte, um dem Unter- nehmen Gewicht zu verleihen
. Aber erst Ende Mai begaben sich Enghien und Orléans zu ihren Truppen
, um danach die Belagerung von Courtrai (Kortrijk) zu eröffnen. Vorausgegangen waren Monate der Verhandlungen, die Brasset, d’Estrades und ab April auch La Thuillerie mit den Generalstaaten über die Aus- gestaltung des Subsidienvertrages führten. Der Vertrag kam am 6. April 1646 zustande und wurde am 11. Mai im Haag, am 25. Mai in Paris ratifiziert. Die zögerliche Haltung hatte ihre Ursache in den unterschiedlichen Auffassungen, die auf niederländischer Seite über das weitere Vorgehen gegen Spanien bestanden. Während der Prinz von Oranien für die Kriegsführung eintrat, blieb die Provinz Holland lange Zeit einem Feldzug abgeneigt und wollte den Friedensverhandlun- gen den Vorzug geben
. Auch die zusätzlichen französischen Subsidien, die La Thuillerie nach dem Vorbild des vergangenen Jahres bewilligte
, und der danach gefaßte Beschluß Hollands zum Feldzug konnten bei den Gesandten nicht den Verdacht ausräumen, daß die niederländische Aktionsbereitschaft gering bleiben werde. Sie plädierten daher für eine vorsichtige Kriegsführung
.
Die Feldzugsplanung für die im Elsaß, in Lothringen und im Kurtrierischen in Quartier gegangene Armee Turennes im Reich sah im März 1646 noch vor, daß dieser mit den Schweden zusammen operieren sollte
, was Aussicht eröffnete auf die Kontrolle des gesamten Reichsgebietes nördlich der Donau
. Auch die hessi- sche Armee sollte in dieses gemeinsame Vorhaben einbezogen werden
. Mehrere Gründe waren dann jedoch dafür verantwortlich, daß Turenne auf der linken Rheinseite verblieb, wenngleich die Mittel für den Unterhalt seiner Truppen dort immer schwieriger zu beschaffen waren und eine alternative Operation in spani- schen Gebieten unvermeidbar erschien
. Im Verhandlungsgang mit dem Kaiser und Bayern zeichnete sich die Möglichkeit einer Waffenruhe ab
, für die die
[p. XXXVII]
[scan. 37]
Schweden aber keine Neigung zeigten. Gleichwohl hatten sie selbst am 10. April 1646 ohne französische Beteiligung den Waffenstillstand mit Kursachsen bis zum Kriegsende verlängert und ließen den Franzosen von dieser Vereinbarung zu- nächst nur einen Auszug mitteilen
. Die französischen Gesandten schlugen daher vor, einen möglichen Waffenstillstand abzuwarten, denn der Übergang Turennes über den Rhein und seine gemeinsame Kriegsführung mit Schweden werde nur diesen von Nutzen sein. Sei der Waffenstillstand erreicht, dann könne Turenne nach Luxemburg oder in die Franche-Comté ziehen
. Diesen Überlegungen stimmte der Hof zu. Der widerstrebende Turenne wurde deshalb Ende Mai ange- wiesen , weiterhin linksrheinisch zu verbleiben
. Da sich mittlerweile die Mög- lichkeit eines spanisch-niederländischen Friedens abzeichnete und deshalb mit ei- nem Ausscheiden der Niederlande aus dem Krieg zu rechnen war, sollte Turenne stattdessen an der flandrisch-spanischen Front eingesetzt werden und gegen Lu- xemburg ziehen
nr. 299; zur Kriegsführung Turennes
Chéruel
II S. 313–316;
Immler ,
Kurfürst S. 310–313;
Ruppert
S. 139–142;
Croxton
S. 255ff., 267–273.
.
2. Die Friedensverhandlungen
Die Schriftstücke dieses Bandes geben Einblick in einen Zeitraum, in dem die Frage der französischen Satisfaktion im Elsaß der wichtigste Verhandlungsgegen- stand war. Hier wurden vergleichsweise rasch entscheidende Ergebnisse erzielt, die zur Grundlage für die Satisfaktionsartikel vom 13. September 1646 wur- den .
Wesentlich schwieriger gestalteten sich für Frankreich hingegen die Verhandlun- gen mit Spanien, weil die Niederlande sich nicht an den Interessen ihres französi- schen Verbündeten orientierten, sondern einen eigenen Weg zum Ausgleich mit Spanien einschlugen.
a) Die Verhandlungen mit dem Kaiser über das Elsaß
Der Verhandlungsgang stellt sich nach außen hin als ein Austausch von Proposi- tionen zwischen der französischen und der kaiserlichen Seite dar. Am 7. Januar 1646 gaben die Gesandten mündlich ihre Replik auf die kaiserliche Responsion vom 25. September 1645 ab; die Kaiserlichen antworteten darauf mit ihrer Du- plik vom 5. Mai 1646. Die speziellen Verhandlungsschritte für die Elsaßfrage waren das den Vermittlern am 28. März 1646 ausgehändigte kaiserliche Memo- rial mit einem ersten Teilangebot, das kaiserliche Elsaßangebot vom 14. April 1646, ihre postrema declaratio vom 29. Mai 1646 sowie die französische Antwort vom 1. Juni 1646, der am 5. Juni 1646 die kaiserliche declaratio ulterior folgte, die in diesem Band nicht mehr berücksichtigt ist. Die Gesandtenkorrespondenz
[p. XXXVIII]
[scan. 38]
erläutert nicht nur diese Verhandlungsschritte, sondern sie gibt darüber hinaus Aufschluß über die den Beteiligten eigenen Kenntnisse und Ziele sowie über die Abläufe und Inhalte der zahlreichen Beratungen, die schließlich ihren Nieder- schlag in den Verhandlungsakten fanden.
Die Edition bietet damit zum ersten Mal eine quellenmäßig umfassende Grund- lage für die Beurteilung der Politik Frankreichs in der Elsaßfrage, die durch die beiden älteren Untersuchungen von
Jacob und
Overmann nicht befriedigend geklärt worden ist. Sie geben vor allem keinen Aufschluß über die beiden Fragen, die in der neueren Forschung kontrovers diskutiert werden und die sich auf das französische Verständnis des Elsaßangebotes und auf die Bedeutung Bayerns be- ziehen .
Durch die Forschungen
Repgen
s steht fest, daß die Kaiserlichen den Franzosen in dem Elsaßangebot vom 14. April 1646 mit Absicht mehr als nur habsburgi- schen Besitz angeboten haben. Das Angebot des Ober- und Unterelsaß und des Sundgaus unter dem bis dahin nicht existierenden Titel einer Landgrafschaft des Elsaß sollte sich zwar nur auf die Rechte beziehen, die die Habsburger dort besa- ßen , es verschleierte aber den Sachverhalt, daß die Habsburger zwar über den größten Teil des Oberelsaß und Sundgaus und auch über die Reichslandvogtei Hagenau im Unterelsaß direkte Herrschaft ausübten, daß es jedoch im ganzen übrigen Unterelsaß nahezu ausschließlich nur mittelbare Landeshoheit von Kaiser und Reich gab
Vgl.
Repgen , Zusammenhang;
Ruppert S. 169 widerspricht der Interpretation Repgens inso- fern , als er die Festlegung der Zessionsbestimmungen vom 14. April 1646 auf die habsburgi- schen Rechte dahin deutet, daß das kaiserliche Angebot die Reichsstände des Elsaß nicht tan- gieren wollte.
. Obwohl die Franzosen stets kundtaten, sie wollten für ihre Satis- faktion allein habsburgischen Besitz, weil das Kriegsrecht sie allein dazu berech- tige , haben sie dennoch das Elsaßangebot als Grundlage eines Ausgleiches akzep- tiert und haben auf seiner Basis weiter verhandelt.
Es ist bislang nicht sicher, welche Kenntnisse die französische Seite von den habs- burgischen Rechten vor allem im Unterelsaß besaß
Dickmann
S. 269;
Repgen ,
Zusammenhang S. 70.
. Wenn der französische Kenntnisstand gering war, dann ließe sich folgern, daß die Franzosen die habs- burgischen Rechte weit überschätzten und so durch die Formulierungen der kai- serlichen Angebote getäuscht wurden
Dickmann
S. 273;
Ruppert
S. 169f.
. Wenn sie aber über einschlägige Informa- tionen verfügten, dann wären sie nur aus taktischen Gründen unwissend aufgetre- ten
In diesem Sinn
Kraus ,
Acta; für einen guten Informationsstand sprechen die Ergebnisse der Untersuchungen von
Stein ,
Elsaßbild, und
Malettke .
.
Mit den Elsaßverhandlungen verbindet sich zugleich die Frage nach der Rolle Bayerns. Die Forschung mißt dem bayerischen Einfluß große Bedeutung zu für die allmählich wachsende Bereitschaft des Kaisers, auf die französische Elsaß- forderung einzugehen. Sie bestätigt so eine schon in der Zeit der Verhandlungen anzutreffende Sichtweise, wo die Rolle Bayerns auch in der Öffentlichkeit disku- tiert wurde
Nach dem Bericht der Gesandten wurde im März Bayern öffentlich für die französische Elsaßforderung verantwortlich gemacht, nr. 166 S. 587f.; diese Meinung vertritt auch die gegen Bayern gerichtete Flugschrift, die Servien Anfang Februar 1646 nach Paris sendete: cumque nunc tantopere persuasum esse vident pacem a Gallis non nisi Alsacia et Brisaco concesso haberi posse, ambigere subit, an non ab illis qui aliena iactura, licet in eadem navi sint, sua conservari satagunt ultro Gallis hae conditiones sint oblatae,
vgl. die Beilage zu nr. 105, hier fol. 532; eine Kopie findet sich auch in der Korrespondenz Erlachs,
Bern , XV.
37, hier nr. 74. Die Schrift ist der erste Teil des undatierten Druckes Arcana Bavarica
(s. Literaturver- zeichnis ); vgl. zu diesem Druck
Immler ,
Bewertung S. 25, sowie
Steinberger
S. 47, der den kaiserlichen Gesandten Isaak Volmar als Verfasser der Rationes ansieht. Dieser hat aber eigen- händig auf einem Exemplar in den kaiserlichen Akten Leonhard Pappus (1607–1677) als den Autor bezeichnet: Rationes cur domui Bavaricae non consultum sit ut Alsatia et Brisacum Gallis ceda[n]t, per decanum cathedralis ecclesiae Constantiensis N. Pappium collectae (
Wien ,
GehStReg
Rep. N Ka. 97
Fasz.
69 pars 1 nr. 5; für diesen Hinweis danke ich Frau Dr. Antje Oschmann, Bonn). Pappus war Stiftsherr in Konstanz und Augsburg und 1642/43 Resident der Tiroler Erzherzogin am kaiserlichen Hof, am 7. Februar 1645 wurde er Domde- kan und 1646 Präsident des Geistlichen Rates in Konstanz, vgl.
Arndts S.
XVII;
Helvetia
Sacra S.
655f. und S. 826f.; zu seiner historiographischen Arbeit
Repgen ,
Geschichtsschrei- bung .
.
Dickmann und ihm folgend
Ruppert haben aber darüber hinausgehend die Rolle Bayerns darauf zugespitzt, daß Kurfürst Maximilian der französischen Seite geradezu Handlangerdienste
im Ringen um die Elsaßabtretung geleistet und die Position des kaiserlichen Gesandten Trauttmansdorff untergraben habe
, um sich als Gegenleistung die französische Unterstützung für den Erhalt der Kurwürde zu sichern. Diese nützlichen Dienste seien weit über Vermittlertätigkeiten hinausge- gangen , indem die Bayern den Kaiser nicht nur ständig und mit massiven Dro- hungen zum Nachgeben in der Elsaßfrage gedrängt, sondern auch kaiserliche Ver- handlungspläne an die Franzosen weitergegeben hätten, was für diese von ent- scheidender Bedeutung geworden sei.
Kraus und
Immler
haben dagegen auf das berechtigte Interesse an der Bewah- rung der eigenen Existenz abgehoben, das Bayern angesichts des militärischen Übergewichts der Gegner dazu bewegen mußte, auf einen baldigen Friedens- schluß unter den katholischen Mächten zu drängen. Die Weitergabe vertraulicher kaiserlicher Informationen läßt sich hingegen durch die bayerischen Quellen ent- weder nicht eindeutig belegen oder in ihrer Bedeutung schlecht abschätzen. Es ist daher noch offen, ob und wie sich die französische Seite die bayerische Koopera- tion und Information für ihre Verhandlungen über das Elsaß hat zunutze machen können.
[p. XL]
[scan. 40]
Auf französischer Seite bildete die Zusatzinstruktion vom 23. November 1645 die Grundlage für die Elsaßverhandlungen. Sie benannte als Satisfaktionsforderung Frankreichs die Festungen Philippsburg und Breisach sowie Ober- und Unter- elsaß , wobei offen bleibt, ob letzteres als staatsrechtliche oder als geographische Bezeichnung verstanden wurde. Die besetzten Gebiete auf der rechten Rheinseite waren zur Rückgabe vorgesehen. Für die Einzelheiten verwies die Instruktion auf Überlegungen, die die Gesandten im Juni 1645 angestellt hatten
APW
II B 2 nr. 267 S. 874.
.
Damals waren die Gesandten bei der ersten internen Skizzierung der französi- schen Satisfaktionsforderungen davon ausgegangen, Philippsburg und Breisach so- wie Ober- und Unterelsaß mit den bisher von Habsburg besessenen Herrschafts- rechten und Herrschaftstiteln in Form eines Reichslehens zu übernehmen, was den Vorteil einer Reichsstandschaft des französischen Königs mit sich bringe; ihnen war dabei bekannt, daß es im Elsaß eine Anzahl Reichsstädte gab
APW II B 2 nr. 138, S. 434f.
.
Darüber hinaus waren sie nach diesen ersten Überlegungen auch durch Hinweise der bayerischen Vertreter darauf aufmerksam gemacht worden, daß eine Vielzahl reichsständischer Herrschaften und Reichsstädte im Elsaß von den französischen Forderungen betroffen würden
. Weil die Gesandten damals nicht wußten, wel- cher Besitz den Habsburgern im Elsaß tatsächlich zustand, hatten sie eine Über- prüfung der Verhältnisse durch einen Experten vor Ort angeregt. Auskünfte seien vielleicht in den Papieren des jüngst verstorbenen Residenten in Straßburg, Stella de Morimont, und bei Erlach und d’Espenan, den Kommandeuren Breisachs bzw. Philippsburgs, zu erhalten
Beilage zu
APW II B 2 nr. 172 S. 539.
. Ihnen wurde daraufhin die Zusendung einschlägiger Unterlagen Stellas zugesagt
APW
II B 2 nr. 191 S. 604.
, und mit der Erkundung der Besitzverhältnisse wurde der Intendant für den nördlichen Oberrhein, Vautorte, beauftragt
APW
II B 2 nr. 178 S. 558; zu seiner Tätigkeit vgl.
Stein ,
Elsaßbild S. 148.
, dessen Ergebnisse den Gesandten aber erst in der zweiten Hälfte des Monats April 1646 vorlagen.
Wegen des fehlenden sicheren Wissens lag es nahe, daß die Franzosen ihre elsässi- schen Forderungen bewußt unpräzise formulierten. Schon ihre vertrauliche Mit- teilung an die bayerischen Gesandten im August 1645 hielten sie absichtlich sehr allgemein, denn sie wollten vermeiden, nach Eingang der erwarteten Informatio- nen unter Umständen ihre Forderungen erhöhen zu müssen. Abgesehen von dem zum Stift Straßburg gehörenden Zabern und einigen befestigten Plätzen zur Si- cherung der Passage nach Philippsburg sollte nach ihren Vorstellungen nur Habs- burgisches königliches Eigentum werden: Breisach, Breisgau, Sundgau und andere Herrschaften
(terres et droitz de souveraineté) im Ober- und Unterelsaß; Frank- reich beanspruchte außerdem die Protektion über die Reichsstädte und über dieje- nigen Reichsstände, die bisher unter habsburgischer Protektion standen. Die me- diaten Stände sollten dem französischen König als Landgrafen des Elsaß zugehö- ren . Für die abzutretenden Territorien, womit offenbar nur habsburgischer Besitz gemeint war, verlangte man die volle Souveränität, wollte aber notfalls auch eine Abhängigkeit vom Reich anerkennen in der Form, wie sie bisher für die habsbur- gischen Besitzer gegolten habe
APW II B 2 nr. 198 S. 632f.
.
In ihren vertraulichen wie öffentlichen Äußerungen zur Satisfaktionsfrage behiel- ten die Gesandten ihre unbestimmte Diktion bei. Als sie Ende November 1645 den schwedischen Gesandten Salvius und den venezianischen Vermittler Conta- rini über die französischen Forderungen informierten, bedienten sie sich der For- mulierungen , wie sie die Zusatzinstruktion verwendete: Elsaß, Breisach, Philipps- burg
nr. 3 S. 13; nr. 4 S. 18; eine solche Diktion war nicht unüblich, wie die in Anm. 31 zitierte Flugschrift zeigt; auch die von der Abtretung des Elsaß unmittelbar betroffene Tiroler Erzher- zogin äußerte sich so: [...] le patrimoine de la maison d’Austriche et des biens de mes mineurs dans l’antérieure Austriche à sçavoir l’Alsace, Brisgau et la forteresse de Brisac [...],
vgl. Beilage 1 zu nr. 163, hier fol. 149.
.
In der Replik, die am 7. Januar 1646 den Mediatoren mündlich vorgetragen wurde, wurden die französischen Forderungen zum ersten Mal öffentlich und of- fiziell genannt
Ein Entwurf der Replik von der Hand Serviens
(
AE
,
CP
All. 75 fol. 58–60) ist im Zusam- menhang mit den Beratungen mit dem schwedischen Gesandten Johann Oxenstierna Ende des Monats Dezember 1645 in Münster entstanden; es heißt dort (fol. 60), daß der Satisfaktions- punkt auf die morgige Beratung über die schwedische Satisfaktion verschoben werde.
. Dafür begaben sich die Gesandten, wie sie berichteten, zunächst zusammen mit dem schwedischen Residenten Rosenhane zu Contarini
. Nach dessen Schilderung waren außerdem die Gesandten Hessen-Kassels zugegen, und die Franzosen trugen aus einem Papier vor, das die französische Proposition II vom 11. Juni 1645, die kaiserliche Responsion vom 25. September 1645 und die neue Replik enthalten habe
Eine solche Fassung findet sich in den französischen Akten mit dem Titel: Troisesme [!] pro- position des plénipotentiaires de France avec la response des Impériaux à icelle et la répli- que desdits plénipotentiaires de France fait [!] de vive voix à laditte response des Impéri- aux , o. D.
[1646 I 7], in
AE
,
CP
All.
48 fol. 355–368.
. Er sei gebeten worden, das Vorgetragene zu notie- ren
Sein Bericht bei
Repgen ,
Zusammenhang S. 71 Anm. 26.
.
Nach dem Bericht der Gesandten gingen sie anschließend ohne Rosenhane zu Chigi, wo sie vermutlich ihren Vortrag in den Grundzügen wiederholten. Der Hauptvortrag sei der vor Contarini gewesen. Von den Mediatoren sei der Vor- trag zunächst in Italienisch notiert und anschließend ein Schriftsatz in angeblich sehr schlechtem Latein abgefaßt worden. Italienischer und lateinischer Text sind den Franzosen am 9. Januar 1646 zur Überprüfung vorgelegt worden. Der latei- nische Text, den sie am 11. Januar 1646 korrigiert zurückgaben, wurde in einer
[p. XLII]
[scan. 42]
Abschrift nach Paris geschickt
Als Beilage 2 zu nr. 69: Summa capita eorum quae loco replicae ad responsa Caesareano- rum Gallici plenipotentiarii die septimo Januarii 1646 apud mediatores oretenus fusius exposuerunt, ab iisdem mediatoribus excerpta primum Italico idiomate in Latinum versa,
o. D. [1646 I 11], Kopie:
AE
,
CP
All.
59 fol. 41–45; weitere Kopien:
AE
,
CP
All.
63 fol. 112–116 (mit Lemmata zum Inhalt);
AE
,
CP
All.
63 fol. 34–38’;
AE
,
CP
All.
63 fol. 97–100. Druck (zusammen mit der schwedischen Replik vom 7. Januar 1646) in
AE
,
CP
All.
63 fol. 101–106’. Von der lateinischen Fassung ist eine französische Übersetzung angefer- tigt worden: Sommaire de la réplique que les plénipotentiaires de France ont faitte de bouche à la response des Impériaux le 7e janvier 1646 et mis en escrit par les médiateurs
[1646 I 11], Kopien:
AE
,
CP
All.
63 fol. 91–95, mit Vermerk von anderer Hand (fol. 95): cette pièce a esté traduitte de latin en françois; AN K
1336 nr. 64 (mit Lemmata von der Hand Godefroys);
AE
,
CP
All.
63 fol. 40–45;
AE
,
CP
All.
63 fol. 107–111; BN,
Coll.
Dupuy
739 fol. 66–71. Druck mit leicht abweichendem Wortlaut in
Nég.
secr.
III S. 394–396.
und schließlich am 18. Januar 1646 von den Mediatoren den Kaiserlichen ausgehändigt
Daten bei
Repgen ,
Zusammenhang S. 71f.; eine französische Übersetzung der am 18. Januar 1646 an die kaiserlichen Gesandten ausgelieferten Fassung der Replik ist: Les principaux chefs que les plénipotentiaires de France ont opposé verbalement et plus au long aux médiateurs au lieu de réplique à la response des plé- nipotentiaires de l’Empereur le 7
e janvier 1646, extraitz des mesmes médiateurs, traduit [!] d’italien en latin,
Kopie:
AE
,
CP
All.
63 fol. 163–165’,
ebenda
fol. 163 Kopfvermerk von anderer Hand: Réplique des plénipotentiaires de France à ceux de l’Empereur 18 janvier 1646;
Kopie zusammen mit Text der kaiserlichen Responsion 1645 IX 25:
AE
,
CP
All.
63 fol. 82–90.
.
Für die Elsaßforderungen wurde hier auf die bewußt weit gefaßten Formulierun- gen zurückgegriffen, die die Gesandten im August 1645 gegenüber den bayeri- schen Gesandten gebraucht hatten. Allerdings wurden jetzt die Reichsstände, Reichsstädte und mediaten Stände nicht erwähnt. Als französische Satisfaktion wurde Ober- und Unterelsaß genannt einschließlich Sundgau, Breisach und Breis- gau sowie die Waldstädte, alles mit denselben Rechten, wie sie zuvor die Habs- burger innehatten, dazu Philippsburg mit Verbindungslinien nach Frankreich
Im Gegensatz zu den Notizen Contarinis (
Repgen , Zusammenhang S. 71f.) enthalten alle ge- nannten Überlieferungen in den französischen Akten die Begrenzung auf den habsburgischen Besitz. Die französischen Texte sprechen dabei von
„verbleiben“ (demeurer) mit Ausnahme der Fassung vom 18. Januar 1646, die das im lateinischen Text verwendete
cedere mit
céder übernimmt.
. Hinter der Terminologie der Gesandten stand zu diesem Zeitpunkt immer noch das Wissen um die eigenen mangelhaften Kenntnisse der Verhältnisse. Wie Ser- vien am Ende des Monats noch einmal anmahnte, mußten sie besser über die tatsächlichen Gegebenheiten im Elsaß
(véritable estat de l’Alsace) informiert werden, um erfolgreiche Verhandlungen mit Kaiser und Reich führen zu können. Es sei ebenso schädlich, Dinge zu verlangen, die man gar nicht erhalten könne, wie solche zu vergessen, die nützlich sein könnten
Ganz im Sinne dieser Besorgnis vermerkte Godefroy handschriftlich über einem von ihm ge- fertigten Schriftsatz zur französischen Satisfaktionsforderung: Ne communiquer ce qui s’en- suit à qui que ce soit jusques à ce que je vous mande autrement. Et pour cause, l’on se dédict desjà d’une partie et de plus que l’on ne s’opiniastera si fort à obtenir toutes les demandes;
das Stück trägt den Titel Le dénombrement des seigneuries et places fortes, que les couronnes de France et de Suède entendent retenir ou rendre des conquestes qu’elles ont faict[!] en Alemagne
und ist von Godefroy eigenhändig auf den 7. Januar 1646 datiert (
Coll.
God. 21
fol. 101–102’). Die Ausführungen sind an einer Stelle bemerkenswert unprä- zise , was die Elsaßforderungen angeht (fol. 101): Que la couronne de France entend retenir la Haute- et Basse-Alsace entre Strasbourg et Basle, en y comprenant Brisac et le pays de Brisgaw et le Suntgaw, d’où dépendent le comté de Ferrete et les villes de Tan et Befort. Et davantage avoir les villes forestières de Rinfelden, Seckingen, Lauffenberg et Waldshut entre Basle et Constance. Ensemblement tous les droicts et appartenances comme les princes de la maison d’Austriche les possédoient cy-devant.
Ob die Verortung von Ober- und Unterelsaß zwischen Basel und Straßburg ein Versehen ist oder auf Unwissenheit beruht, ist nicht zu klären; später gibt Godefroy die Lage richtig an (vgl. Anhang 4). Weitere Kopien:
AE
,
CP
All.
63 fol. 76–77’;
AE
,
CP
All.
63 fol. 117–118’. Danach wurde das Stück erwei- tert um die hessen-kasselischen Satisfaktionsforderungen (1646 II 8): Le dénombrement des seigneuries et places fortes, que les couronnes de France et de Suède et aussi la Landgrave de Hessen de Cassel entendent retenir ou rendre des conquestes qu’elles ont faict[!] en Alemagne,
Kopien:
AE
,
CP
All.
63 fol. 7881 (datiert am Rand: 1646 I 7 et 1646 II 8);
AE
,
CP
All.
63 fol. 119–122’. Die beste Übersicht über die von Godefroy in Münster erstellten Papiere bietet die ungedruckte Thèse von
Léva -
Jordan .
Prof. Klaus Malettke, Marburg, danke ich für die Überlassung einer Kopie.
.
[p. XLIII]
[scan. 43]
Ihm war klar, daß für eine Forderung nach Abtretung reichsunmittelbarer Herr- schaften , von denen es dort eine Menge gebe, keine Grundlage vorhanden sei und dies nur die Reichsstände aufs äußerste irritieren würde, die selbst die Absicht auf eine französische Protektion nicht akzeptieren wollten. Deshalb wiederholte Ser- vien seinen Vorschlag von Mitte Januar 1646
Zum damaligen Vorschlag vgl. nr. 64 S. 240.
, daß ihnen der ehemalige Inten- dant im Elsaß, Baron d’Oysonville, oder ein anderer Experte zu Hilfe geschickt werde
.
Serviens Überlegungen zeigen eine ausgesprochene Zurückhaltung gegenüber nicht-habsburgischem Besitz, den zu fordern er zu diesem Zeitpunkt für unmög- lich hielt. Darüber hinaus belegen sie, daß die französischen Gesandten zwar wußten, daß die Herrschaftsverhältnisse im Elsaß kompliziert seien, daß sie aber immer noch nicht genügend deutlich wußten, was nun habsburgischer Besitz war und was nicht. Die bereits vorliegenden Informationen reichten ihnen offensicht- lich dafür nicht aus.
Es läßt sich aus den Quellen nicht genau bestimmen, welche Kenntnisse sie damals haben konnten, aber sicherlich stand ihnen das Elsaßmemorandum zu Verfügung, das der zur Gesandtschaft gehörende Théodore Godefroy 1634 erstellt und 1637 überarbeitet hatte
Vgl. dazu
Stein , Elsaßbild S. 138, 147;
Stein , Protection S. 264 Anm. 428. Stein unterschei- det hier drei zeitlich unterschiedliche Fassungen: [1] 1634 II 1 – V 18; [2] 1634 V 18 – VIII 8; [3] spätere Umarbeitungen; vgl. auch das Kopfregest zu Anhang 1.
.
Von diesem Memorandum liegen zwei Versionen mit Korrekturen Godefroys vor, die von anderer Hand auf 1646 bzw. 1647 datiert sind
. Es ist aber anzuneh- men , daß diese Datierung fehlerhaft ist und daß nur die zweite Fassung im Zu- sammenhang mit den Friedensverhandlungen eine Rolle gespielt hat. Erstere folgt nämlich im wesentlichen der Version von 1637, während die zweite auf den fran- zösischen Besitzstand im Elsaß hin aktualisiert ist. Der Breisgau einschließlich Freiburg werden als französischer Besitz bezeichnet. Da die Stadt seit Juli 1644 eine Besatzung der bayerischen Reichsarmee hatte, sind die Korrekturen wohl vorher eingetragen worden.
Das Memorandum gibt einen groben Überblick über die territoriale Struktur des Elsaß
Stein ,
Elsaßbild S. 138f.;
Stein ,
Protection S. 264.
und benennt als habsburgischen Besitz in der Zeit vor dem Krieg die Landgrafschaft des Oberelsaß, den Sundgau, den Breisgau sowie die Waldstädte. Daneben werden die reichsständischen Territorien berücksichtigt, die Reichs- städte , ohne daß hierbei die Reichslandvogtei Hagenau erwähnt wird, sowie die Grafschaft Mömpelgard.
Eine weitere Möglichkeit, Informationen zu gewinnen, bot sich den Gesandten durch ihre Korrespondenz mit dem Kommandanten von Breisach, General Er- lach , der kontinuierlich über den Verhandlungsstand unterrichtet wurde und sei- nerseits Unterlagen und Auskünfte schickte. Ein Teil dieses Briefwechsels lief über den Dolmetscher Longuevilles, Jeremias Jakob Stenglin
Das wenige, das über seine Person bekannt ist, hat Gauss im
DWettstein S. 302 aufgeführt: Er stammte aus Augsburg und wurde später Longuevilles Kanzler in Neuchâtel bis 1654. In seiner Korrespondenz erwähnt er außerdem, daß er früher in Breisach war (vgl. Anm. 100), was sich vermutlich auf die Jahre 1642 und 1643 bezieht, aus denen von ihm Briefe erhalten sind, die zeigen, daß er in Diensten Oysonvilles oder Erlachs stand (
Bern
, XXVII. 30 nr. 70 und
XXVII. 56 nr. 35). Nach seiner Tätigkeit in Münster wurde er mit Datum vom 18. VI. 1648 von Longueville zum Kanzler des Fürstentums Neuchâtel ernannt. Dieses Amt legte er im Jahr 1655 wegen Krankheit nieder und kehrte nach Augsburg zurück; vgl.
Scheurer
/
Roulet
/
Courvoisier S. 40f. Noch 1660 schrieb er von dort an den Schultheiß von Bern (
Bern
, XXXIV. 162). Herrn Dr. M. Tribolet, Archives Cantonales de Neuchâtel, sowie Herrn Dr. habil. W. Wüst, Stadtarchiv Augsburg, danke ich für diesbezügliche Hinweise.
, der außerdem regelmä- ßig mit dem Sekretär Erlachs, Thomas Stotz, korrespondierte. Stenglin bestätigte Anfang Februar, daß es den Franzosen wenigstens zu diesem Zeitpunkt um habs- burgische Territorien, nicht um andere habsburgische Rechte im Elsaß ging
Bern , XXVII.
72 nr. 19, Stenglin an Erlach, Münster 1646 II 2, Ausfertigung: [...] Je vous remercie très humblement du mémoire qui regarde Brisach et Rinfelden. Je voy que l’on a plustost esgard à la possession, dans laquelle la maison d’Austriche a estée[!] devant la guerre des terres et places que la France demande, qu’à ses droits, lesquels la pluspart du temps n’ont été fondez que sur la force et des usurpations ou sur des engagements, à ce compte-là la France n’auroit pas grande [!] advantage de sa satisfaction, si l’on revenoit à recercher[!] les anciens droits d’un chacun. Il est bon toutesfois de voir par ledit mémoire soubs quel titre la maison d’Austriche s’est rendue maistresse desdittes deux villes. Si Son Altesse a besoing de quelque autre information des choses qui regardent ce pays-là, je prendray la liberté de vous en supplier très humblement [...].
.
Die Frage der Herrschaftsverhältnisse des Elsaß war für den Verhandlungsgang aber zunächst nicht von so großer Bedeutung, weil vorher die weitergehende Frage zu klären war, ob eine Satisfaktion im Elsaß überhaupt erreicht werden
[p. XLV]
[scan. 45]
könne. Zwar hatten die französischen Gesandten klare Anweisung, auf dieser For- derung zu beharren, sie wußten aber nicht, wie weit auf kaiserlicher Seite dazu Bereitschaft vorhanden war. Um dies zu erfahren, standen ihnen nur gelegentliche Äußerungen der Vermittler sowie der kaiserlichen und bayerischen Vertreter zur Verfügung, aus denen sie auf den Sachverhalt zu schließen versuchten.
Sie konnten als sicher annehmen, daß der bayerische Kurfürst sich für die Satis- faktion einsetzte, denn sie erhielten Kenntnis von seinem Beschwerdebrief an Trauttmansdorff
Vom 7. Februar 1646,
APW II A 3 nr. 167 Beilage B S. 260–263.
wegen der Verzögerung der Satisfaktionsverhandlungen und auch von der Mission des bayerischen Hofkammerpräsidenten Mändl an den kai- serlichen Hof
. Daß die bayerischen Bemühungen auf das Elsaß zielten, konnten sie zwei Ersuchen der bayerischen Gesandten um Klärung von Besitz- bzw. Ver- mögensverhältnissen im Breisgau und im Elsaß entnehmen
.
So suchten sich die französischen Gesandten im März 1646 vor allem bei den Vertretern Bayerns zu versichern, daß Bayern an der Grundlage der Kooperation festhalte, daß der Friede nur mit dem Übergang des Elsaß an Frankreich und der pfälzischen Kurwürde an Bayern zustande kommen dürfe
nr. 163 S. 570; nr. 174 S. 614.
. Dieses Junktim stell- ten die bayerischen Gesandten in einer zweiten Unterredung in Frage, weil sie davon ausgingen, daß angesichts des spanischen Widerstandes eine andere Satis- faktion , etwa die Franche-Comté, leichter zu erreichen sein werde
.
Die Gewißheit, daß die angestrebte Satisfaktion im Reich erfolgreich durchge- setzt werden könne, erhielten die Gesandten erst durch eine Nachricht Mazarins vom 24. März 1646, mit der ihnen ein Schreiben Maximilians an den Pariser Nuntius Bagno vom 7. März 1646 überstellt wurde, in dem Maximilian mit- teilte , daß er die Abtretung des Elsaß beim Kaiser durchgesetzt habe.
Das Postpaket, das die Briefe Mazarins und Maximilians enthielt
In dem Paket waren auch nr. 181–185, also alle Schreiben des Hofes an die Gesandten von diesem Datum; glücklicherweise war das Schreiben Maximilians chiffriert, wie die Gesandten bemerkten, vgl. nr. 220 S. 755 Z. 20–22.
, ging aber als Beute eines Raubes zunächst verloren
. Die Briefe kamen teilweise verspätet nach Münster
Am 7. April 1646, vgl.
[ nr. 181 Anm. 1 ] ; am 14. April antworteten die Gesandten in nr. 220 darauf; Kopien von ihnen wurden zusammen mit dem Schreiben Maximilians noch einmal als Beilagen 1 und 2 zu nr. 214 übersendet.
.
Diesen Verzögerungen entging allerdings das Schreiben Mazarins an d’Avaux
nr. 184, eingegangen in Münster wohl am Karfreitag, 30. März 1646; d’Avaux berichtet (nr. 199 S. 681), daß am gleichen Tag eine Unterredung mit Salvius stattgefunden habe, die dieser auf den 30. März datiert; vgl.
APW II C 2 nr. 78 S. 215.
.
Daraus erfuhr der Gesandte, daß der Kaiser sich zur geforderten französischen
[p. XLVI]
[scan. 46]
Satisfaktion im Reich entschlossen habe
. Ebenfalls unbeschadet kam ein nicht mehr erhaltenes Schreiben seines Sekretärs Préfontaine an, der in Paris mit Maza- rin gesprochen hatte und d’Avaux davon unterrichtete, daß an dem kaiserlichen Entschluß nicht gezweifelt werden könne. D’Avaux empfand diese Nachricht als eine hilfreiche Stütze ihrer Verhandlungsposition und gab von allem seinen Kolle- gen unverzüglich Kenntnis
nr. 199 S. 681; vermutlich teilte hier Préfontaine die Erkenntnisse Mazarins über die Be- schlußlage zur Elsaßsatisfaktion am kaiserlichen Hof mit, die ihm ein Wiener Informant zuge- spielt hatte und die Préfontaine später in einem schriftlichen Memorandum den Gesandten übermittelte, vgl. nr. 243; Préfontaine kam am 4. Mai 1646 wieder nach Münster, vgl. den Eintrag im Diarium Chigi
(APW III C 1, 1 S. 305).
. Er hatte aber, wie er in seinem Antwortschreiben berichtete, noch aus einer anderen Quelle erfahren, daß die Kaiserlichen vielleicht ihr Angebot bis auf Ober- und Unterelsaß und Breisach ausdehnen würden, ein- schließlich des Sundgaus, der zum Oberelsaß gehöre. Damit fiele Frankreich nach seiner Ansicht das ganze linksrheinische Gebiet zu, was bezüglich des Unterelsaß ein viel zu weit gehender Schluß war und zeigt, daß das von den Gesandten gesehene Informationsbedürfnis tatsächlich bestanden hat
.
Woher d’Avaux seine Information über die kaiserliche Bereitschaft hatte, läßt sich nicht feststellen. Es ist auch nicht sicher, wenngleich wahrscheinlich, daß er über sie schon verfügte, als die Franzosen vor den Vermittlern erklärten, sie wüßten aus Schreiben vom kaiserlichen Hof und von Mändl, daß der Kaiser in die Über- lassung des Elsaß eingewilligt habe
Diarium Volmar
(APW III C 2 S. 571 Z. 33–39, S. 573 Z. 16–18).
. Von den bayerischen Gesandten wollten die Franzosen jedenfalls nur erfahren haben, daß Mändl in Wien Erfolg gehabt habe, daß das kaiserliche Angebot sich aber wohl nicht auf das Elsaß beziehen werde
; als die Franzosen aber hartnäckig auf dem Elsaß bestanden, hatten die bayeri- schen Gesandten darauf verwiesen, daß man nicht alles auf einmal machen könne
nr. 187 S. 644; nr. 189 S. 649.
. Auch der Hinweis Trauttmansdorffs, daß eine spanische Zustimmung für die Abtretung des Elsaß erforderlich sei, gab d’Avaux Anlaß, mit der kaiserlichen Bereitschaft zur Abtretung des Elsaß zu rechnen
.
So hatten die Gesandten mehrfachen Grund, an ihren Forderungen festzuhalten: Weisungen des Hofes zum strikten Beharren auf der Satisfaktionsforderung, zu- letzt wiederholt in einem Schreiben vom 31. März 1646
, die Nachricht von der kaiserlichen Bereitschaft zum Nachgeben und schließlich die Erkenntnisse, die sie aus den am Kongreßort gesammelten Informationen erschlossen.
In ihren Augen mußte daher das Angebot der drei lothringischen Stifter, das Trauttmansdorff am 22. März 1646 als vorgezogene Teilduplik speziell zu dem Satisfaktionspunkt der französischen Replik vom 7. Januar 1646 den Vermittlern
[p. XLVII]
[scan. 47]
unterbreitete, als Festhalten an einer längst überholten Position erscheinen
nr. 192 S. 662; zum Vorgang
Repgen ,
Zusammenhang S. 77, und nr. 188 S. 648. Obwohl die französischen Gesandten die Annahme des Schriftsatzes am 26. März 1646 verweigerten (vgl. den Bericht Chigis, Münster 1646 III 30, in
Rom , NP
19 fol. 142–145’, hier 145), finden sich in ihren Akten davon Kopien (
AE
,
CP
All.
64 fol. 122a-128’ und
AE
,
CP
All.
64 fol. 140–145’). Hier werden die Franzosen u. a. an 1634 den elsässischen Reichsstädten gegebene Zusicherungen erinnert, wobei es zu dem österreichischen Besitz im Elsaß heißt: [...] ministri regii expresse et nominatim caverunt, quod facta pace ea omnia Colmariam scili- cet , Sletstadium, Turchemium, Kaiserspergum, Monasterium in valle Sancti Gregorii (quaequidem civitates sunt Imperiales, sed ratione advocatiae Imperialis Austriacis obno- xiae ) Ensisheimium, Tann, Polweiler, Obernhain, Hohenlandsperg, Rotenburg, Masmun- ster et Hohenchinsperg, omnia ad iurisdictionem et dominium Austriacum spectantia, suis pristinis possessoribus restituere debeant [...].
Der Text beider Kopien entspricht dem der Reinschrift, die die Kaiserlichen am 22. März 1646 den Mediatoren übergeben hatten (
Rom ,
Chig.
Lat. Q
III 71 fol. 86–89’; vgl.
Repgen ,
Zusammenhang S. 77 Anm. 49) mit einer Abweichung: Der dort am Rand eingetragene Hinweis auf die umfänglichen Beilagen und diese selbst fehlen. Der bei
Meiern
II S. 871–874
gebotene deutsche Text ist eine teilweise wörtliche, teilweise erheblich abweichende Übersetzung und enthält die Beilagen ebenfalls nicht.
. Und als ihnen die Mediatoren am 2. April 1646
Vgl. die Auskunft der Mediatoren im Diarium Volmar
(APW III
C 2 S. 580).
mündlich das erste Teilangebot der kaiserlichen Gesandten zum Elsaß übermittelten, stand auch dessen Ablehnung für die Gesandten außer Frage
Vgl. zum kaiserlichen Angebot
Dickmann
S. 268 und S. 557,
Ruppert S.
159.
.
Das kaiserliche Memoriale für dieses Angebot und für die daran geknüpften Be- dingungen hatten die Mediatoren am 28. März 1646 erhalten
Repgen ,
Zusammenhang S. 77f.; es ist in einer Abschrift in den Akten Chigis überliefert: Pro- positione da farsi in voce da’ mediatori come da per loro a’ plenipotentiarii di Francia con l’Imperio,
Rom ,
Chig.
Lat.
A I 10 fol. 72–73’.
. In dem Text kommt dreimal, nämlich am Anfang, in der Mitte und am Schluß, die Sprache auf den Umfang des Abzutretenden.
Einleitend heißt es: Poterunt domini mediatores quasi sua sponte et sine alle- gatione mandati a Caesareanis accepti a dominis plenipotentiariis Gallicis ex- plorare , casu quo Caesarea Maiestas aliquam Alsatiae partem e montibus Lo- tharingicis ad Rhenum usque se extendentem regi christianissimo attribueret, quid e contra ab ipso circa sequentes conditiones sperandum sit [...].
Im Anschluß an die kaiserlichen Bedingungen wird dann präzise formuliert: [...] Tunc domini mediatores ostendere possunt, non se credere Caesarem ulla ra- tione Alsatia Superiori cessurum ob maximas difficultates, quae ibi conside- randae veniant. Sed de Alsatia Inferiori nonnihil transigi posse. Nimirum ut regi Galliarum cedatur illa pars advocatiae provincialis quam domus Austri- aca intra amnes Motteram et Lutram possidet, et quae duas civitates Imperia- les Hagenoam scilicet et Weissenburgum comprehendit [...].
Zum Schluß des Memorandums werden den Mediatoren zwei Argumente an die Hand gegeben, um die Franzosen zum Eingehen auf die Bedingungen zu veran- lassen . Für eine Satisfaktionsforderung gebe es keine Rechtsgrundlage, wie schon
[p. XLVIII]
[scan. 48]
aus den Verhandlungen im Jahr 1559 über die lothringischen Bistümer klar her- vorgehe , und zu dem Angebot heißt es dann:
[...] Quod hac ratione lineam communicationis cum his ipsis episcopatibus et civitatibus usque ad Rhenum consequuntur et horreum habebunt perpe- tuum in ipsa urbe Hagenoa, quo integros exercitus, quoties libuerit, in Alsa- tiam Inferiorem inducere Rhenumque si opus transiicere possint.
Wenn die Mediatoren sich bei ihrem Gespräch mit den Franzosen an das Memo- riale gehalten haben, woran zu zweifeln kein Grund besteht, dann können die französischen Gesandten den Kern des ganzen Angebotes (Teil der Landvogtei zwischen Moder und Lauter einschließlich Weißenburg und Hagenau) kaum ver- standen haben. Sie griffen nämlich in ihrem Bericht nur die Eingangs- und Schlußformulierungen des Memoriale auf, indem sie meldeten, ihnen sei das Un- terelsaß angeboten worden, das Hagenau und davon Abhängiges umfasse und auf diese Weise bis zum Rhein reiche
. Longueville verstand die kaiserliche Offerte als Angebot des Unterelsaß
, ebenso d’Avaux
nr. 199 S. 682 Z. 15; in einem Bericht Stenglins stellt sich das Angebot so dar: [...] Les Im- périaux ont offert à la couronne de Suède Vorderpommern et à la France la Basse-Alsace dans laquelle a esté nommé particulièrement Saverne et Haguenau come [!] aussi Cron- weissenbourg et Philippsbourg [...]
(Stenglin an Stotz, Münster 1646 IV 10, Ausf.:
Bern , XXVII.
72 nr. 38).
. Sie haben das Angebotene in sei- ner Substanz nicht richtig einzuschätzen vermocht. Ob dies aus mangelnder Sach- kenntnis geschah oder aufgrund von Mißverständnissen bei der mündlichen Eröff- nung des Angebotes durch die Mediatoren, läßt sich nicht klären. Allerdings hatte dies keine Folgen, weil sie das Angebot ablehnten. Sie wiederholten noch einmal ihre Forderung, wie sie in ihrer Replik vom 7. Januar 1646 formuliert war
; vor deren grundsätzlicher Bewilligung wollten sie sich auch nicht zu einer Stellung- nahme über französische Gegenleistungen verstehen, die die Kaiserlichen als Be- dingung für ihr Nachgeben in der Satisfaktionsfrage genannt hatten.
Der Grund für das Festhalten an den Maximalforderungen vom Januar war wohl, daß die französischen Gesandten zu diesem Zeitpunkt noch nicht darüber einig waren, ob überhaupt auf Forderungen (und ggf. auf welche) verzichtet wer- den konnte. Andererseits zwang der Verhandlungsstand nun zu Präzisierungen, zumal bei einem zweiten Treffen am 5. April 1646 ihnen der Nuntius die hypo- thetische Frage stellte, wie die französischen Leistungen für den Kaiser aussehen würden, wenn der Kaiser das ganze Elsaß abtrete. Die Gesandten ließen sich nun darauf ein, die in einem solchen Fall vorgesehene französische Politik zu skizzie- ren , verbanden dies aber mit der Bedingung, daß alle ihre Forderungen aus der Replik erfüllt würden, daß die Satisfaktion also mehr als nur das vom Nuntius benannte Elsaß umfasse
.
[p. XLIX]
[scan. 49]
Angesichts dieser Entwicklung und des starken Drängens der Vermittler, die nicht nur in Münster, sondern auch in Paris in diesem Sinne tätig wurden
nr. 213 S. 725f.; nr. 231 S. 797.
, bemühten sich die Gesandten um die Klärung ihrer eigenen Position. Ihre unterschiedlichen Vorstellungen davon brachten sie Mazarin zur Kenntnis.
Longueville hatte am 4. April 1646, am Tag vor dem zweiten Beratungstermin mit den Mediatoren, ein Gespräch mit Trauttmansdorff und hatte ihm in größter Vertraulichkeit seine Vorstellungen skizziert, nach denen Frankreich beide Elsaß mit Breisgau und Sundgau sowie das Stift Straßburg erhalten solle, das kein habs- burgisches Territorium, sondern Kirchenbesitz war. Der Inhalt des Gesprächs ist nur durch ein Protokoll bekannt, das auf Trauttmansdorff zurückgeht
APW II A 3 nr. 252 Beilage 1.
, während Longueville gegenüber Mazarin davon nichts erwähnt. Er berichtet nur, einen Vorschlag Trauttmansdorffs abgelehnt zu haben, der auf die Unterpfalz und das Elsaß lautete
.
Einen Tag später griff er das Thema noch einmal auf, um Mazarin von einem Gespräch mit Contarini zu informieren, der vorgeschlagen habe, die französi- schen Forderungen auf die beiden Elsaß zu beschränken unter Verzicht auf Brei- sach , Breisgau, Sundgau und die Waldstädte. Der Venezianer habe vor allem die Ansprüche auf Breisach als hoffnungslos angesehen. Longueville zog daraus den Schluß, daß man nicht alles werde erhalten können, selbst wenn man Philipps- burg aufgebe. Hoffnung habe er aber auf Breisach und die beiden Elsaß ohne Breisgau, Sundgau und die Waldstädte; das zu Opfernde sollte Bayern übertragen werden, möglichst mit einer Option des späteren Erwerbs durch Frankreich
.
Longueville hat seine Ansichten auch den beiden Mitgesandten mitgeteilt, die je- doch anderer Meinung waren. Servien wollte an allen Forderungen festhalten, lediglich der Breisgau stand für ihn zur Disposition. Sundgau und die Waldstädte seien hingegen unverzichtbar, weil ihnen strategische Bedeutung zukomme: Sie garantierten den Zugang zum Rhein und damit nach Breisach, sicherten die Ver- bindung zur Schweiz und unterbrächen die Verbindung zwischen der Franche-Comté und den übrigen habsburgischen Ländern. Das Stift Straßburg und die Festung Philippsburg, die stattdessen von Longueville vorgeschlagen wurden, seien dafür kein Äquivalent, denn Philippsburg könne man wahrscheinlich ohne- hin nicht behalten, und das Stift Straßburg sei Kirchengut und könne daher nicht an die französische Krone fallen.
Servien liefert auch eine Erklärung, warum Longueville Straßburg in die Überle- gungen einbezogen hatte. Dieser wollte das Stift für Mazarin und war damit of- fenbar früheren Überlegungen Serviens gefolgt, die dieser aber nur im Zusammen- hang mit den spanischen Verhandlungen angestellt hatte: Unter der Vorausset- zung , daß die Satisfaktion im Reich gesichert sei, könne das Stift an Mazarin fallen, und der Straßburger Bischof und Bruder des Kaisers, Erzherzog Leopold
[p. L]
[scan. 50]
Wilhelm, sollte die Spanien verbleibenden Provinzen der Niederlande erhalten und zugleich mit Anne Marie Louise d’Orléans verheiratet werden. Nach Ser- viens Ansicht sollten dadurch also nicht die Forderungen der Replik reduziert werden, sondern noch etwas Zusätzliches gewonnen werden
.
D’Avaux legte am 6. April 1646 seine eigenen Vorstellungen gegenüber den baye- rischen Gesandten dar. Diese hatten ihm vorgehalten, daß aus Paris die Beschrän- kung auf linksrheinische Gebiete signalisiert worden sei. Wie sie später den kaiser- lichen Gesandten berichteten, glaubte d’Avaux, daß er in Zusammenarbeit mit Longueville gegen die Maximalforderungen Serviens die französischen Forderun- gen auf Linksrheinisches beschränken könne, auf der rechten Rheinseite müsse al- lerdings Breisach und Neuenburg an Frankreich fallen
Vgl. den Bericht der bayerischen Gesandten im Diarium Volmar (APW
III C 2 S.
590).
.
D’Avaux berichtete Mazarin von diesem Gespräch, erwähnte aber lediglich seine Verlegenheit, in die ihn die bayerischen Gesandten mit ihrer Berufung auf eine Mitteilung Bagnos gebracht hatten, nach der Frankreich mit dem Elsaß zufrieden sei. Ohne Bezug auf diese Unterredung zu nehmen, erörtert er dann die Frage, wie die französischen Forderungen zu präzisieren seien. Er widerspricht dem Ge- danken , auf den Sundgau verzichten zu können, d.h. ihn den Habsburgern zu belassen oder einem anderen Herrscher zu übertragen, was wohl gegen die Über- legungen Longuevilles zielte. Der Sundgau sei so fest mit dem Oberelsaß verbun- den , daß jedes Nebeneinander zweier Herrschaften den Frieden bedrohen würde. Seine Informationen lassen ihn zuversichtlich mit allen habsburgischen Besitzun- gen auf der linken Rheinseite und mit Breisach rechnen. Er macht darüber hinaus aber den Vorschlag, auch auf Neuenburg zu bestehen, dem wichtigsten befestigten Platz zwischen Breisach und Basel. Der Breisgau hingegen stehe zur Disposition, weil er nicht in französischer Hand sei und teilweise den Markgrafen von Baden-Durlach gehöre, von denen Frankreich nichts fordere
nr. 208 S. 703f.; nach diesem Bericht könnte das Gespräch mit den bayerischen Gesandten auch am 7. April 1646 stattgefunden haben, jedoch ist die Datierung im Diarium Volmar wohl die zuverlässigere.
.
Die unterschiedlichen Stellungnahmen der drei Gesandten zeigen, daß sie noch in der Phase der Diskussion über den konkreten Inhalt ihrer Satisfaktionsforderun- gen standen. Sie scheinen aber schon über speziellere Informationen bezüglich der Herrschaftsverhältnisse verfügt zu haben. Dafür sprechen die Betonung der engen Zusammengehörigkeit von Sundgau und Elsaß bei d’Avaux und Servien sowie die erstmalige Forderung von Neuenburg bei d’Avaux. Hinzu kommt, daß Ser- vien wenig später sich über die schwedischen Schenkungen im Elsaß äußerte
.
Auszuschließen ist, daß sie jetzt schon auf die Ergebnisse der Recherchen Vautortes zurückgriffen. Bereits Anfang Februar 1646 waren ihnen diese angekündigt wor- den
. Anfang März teilte ihnen Brienne mit, daß ihm davon ein Teil und eine
[p. LI]
[scan. 51]
Karte vorliege und daß er noch auf den Rest warten wolle, bevor er alles an die Gesandten schicke
. Mit der Post vom 8. März 1646 übersandte er dann, was ihm vorlag
, wofür die Gesandten am 24. März den Eingang bestätigten
nr. 186 S. 643; das Übersandte ist nicht mehr erhalten, vgl. auch
Stein , Elsaßbild S. 149.
. An demselben Tag erhielten sie aber von Brienne die Nachricht, daß Vautorte nach seiner Ankunft in Breisach habe feststellen müssen, daß seine Recherchen teilweise fehlerhaft gewesen seien, und daß er binnen 15 Tagen neue Angaben machen werde
nr. 167 S. 595 Z. 21–27; zum Eingang des Schreibens in Münster vgl. S. 590 Anm. 1.
. Das Zugeschickte war also nicht verwertbar, und so warteten die Ge- sandten Ende März 1646 immer noch auf die versprochenen Unterlagen, deren sie bedurften
pour connoistre avec plus de vérité en quoy consiste l’Alsace
.
Es liegt die Vermutung nahe, daß die Gesandten zu ihren präziseren Ausführun- gen veranlaßt wurden durch die Kenntnis eines einschlägigen Gutachtens, das in einem einzigen Exemplar überliefert ist
.
Stein hat auf seine Existenz hingewie- sen und es auf Anfang 1646 datiert
Stein , Elsaßbild S. 149 Anm. 103; S. 150f. Referat des Inhalts.
. Aufgrund der inhaltlichen Übereinstim- mung mit den erwähnten Ausführungen der Gesandten kann es wohl genauer auf Ende des Monats März 1646 datiert werden.
Der Name des Autors wird nicht genannt. Aber die Handschrift ist die des Jakob Jeremias Stenglin, des deutschen Sekretärs Longuevilles, der wahrscheinlich auch der Verfasser ist. Anfang Mai schrieb er an Erlach, daß er auf Anforderung der Gesandten ein Gutachten verfaßt habe, als man begann, in den Satisfaktionsver- handlungen konkret zu werden; dabei habe er besonders auf die Bedeutung von Neuenburg abgehoben
Stenglin an Erlach, Münster 1646 V 4, Ausf., präs. V 12 (
Bern , XXVII.
72 nr. 48): [...] Quant à la ville de Neubourg, lorsque l’on commença à parler tout de bon de la satisfaction des couronnes messieurs les plénipotentiaires me commandèrent de faire un mémoire des choses de ce pays-là dont j’ay quelque cognoissance, où je croy n’avoir rien oublié de ce qui se peut dire sur l’importance des unes et des autres places, et quant à celle-là sçachant combien elle est considérable pour Brisach tant à cause de sa situation que pour les fortifi- cations que vous y avez fait faire depuis mon départ de ce pays-là, je leurs [!] ay remonstré la nécessité de la garder et je puis dire sans vanité que j’ay veu des marques que ce que j’en ay dit les a confirmé [!] dans le desseing de persister dans la demande qu’ils en ont faite [...].
Stenglin antwortete damit auf ein Schreiben Erlachs vom 23. April 1646, in dem dieser bereits, wie später gegenüber den Gesandten (vgl. Anhang 5), vom Erwerb des Unterelsaß abgeraten hatte: [...] J’apprens par vostre dernière que l’on délibère de rendre les villes forestières et de retenir la Haute- et Basse-Alzace ce qui m’oblige à vous dire qu’il seroit beaucoup plus advantageux pour le bien du service du Roy de les retenir plustost que la Basse-Alzace pour ce que par ce moyen on se conservera la liberté du Rhin. Quant à Neubourg je
〈1 Wort〉 à cette heure d’estre assez bien fortiffiée et nous est absolument nécessaire pour avoir une libre communication de ces pays icy à Basle
(Erlach an Stenglin, Breisach 1646 IV 23, Kopie:
Bern , XXVII.
106 S. 739–740).
.
[p. LII]
[scan. 52]
Dies geschieht in dem Memorandum tatsächlich, das im übrigen exakt der Steng- lin von den Gesandten gestellten Aufgabe nachkommt, denn es berücksichtigt alle Elsaßforderungen, die Frankreich in der Replik vom 7. Januar 1646 gegen den Kaiser erhoben hatte. Seine Gliederung und der Inhalt lassen darauf schließen, daß bereits vorliegende Informationen gesammelt und zusammengefaßt darge- stellt worden waren, wozu möglicherweise Papiere aus dem Nachlaß Stellas her- angezogen wurden. Die oben erwähnten Auskünfte Erlachs über den habsburgi- schen Erwerb von Breisach und Rheinfelden
haben sicherlich als Grundlage für die entsprechenden Ausführungen im Gutachten gedient. Alle herangezogenen Unterlagen müssen vorzüglich gewesen sein; denn das Memorandum vermittelt den Eindruck von „intimer Sachkenntnis“
Stein ,
Elsaßbild S. 151.
.
Es teilt sich in vier thematische Abschnitte. Zunächst werden die Herrschaftsver- hältnisse in den für die Satisfaktion in Frage kommenden Territorien beschrieben, wobei darauf abgehoben wird, Habsburgisches und Nichthabsburgisches zu tren- nen . Das schließt ein, daß zwischen habsburgischen Territorien und solchen Herr- schaften unterschieden wird, die von Habsburg abhängig sind
(estats du domaine et de l’obéissance). So wird speziell für Oberelsaß, Sundgau und Breisgau eigens auf den landsässigen Adel hingewiesen, der zwar unter habsburgischer Herrschaft stehe, aber immer noch eine nahezu völlige Unabhängigkeit besitze, da er einst ebenso reichsunmittelbar gewesen sei wie jetzt noch der Adel im Unterelsaß und sich freiwillig der österreichischen Herrschaft unterstellt habe. Als habsburgischer Besitz im Unterelsaß wird allein genannt die von Reichs wegen ausgeübte Reichs- landvogtei über ungefähr siebzig Dörfer sowie ihre Rechte über die elsässischen Reichsstädte, die ausdrücklich als beschränkt bezeichnet werden.
Mag auch die Zahl der Dörfer zu hoch sein, so ergibt die Darstellung doch ein detailliertes und im wesentlichen zutreffendes Bild von den habsburgischen, kirch- lichen und reichsständischen Besitz- und Rechtsverhältnissen. Lediglich die Herr- schaftstitulatur der Habsburger als
landgrave de la Haute- et Basse-Alsace ist nicht richtig, doch werden daraus weder für den territorialen Besitz noch für an- dere Rechte der Habsburger Folgerungen gezogen
.
Im zweiten Abschnitt wird die habsburgische Verwaltungsorganisation Vorder- österreichs im einzelnen beschrieben. Den Landesherrn wird dabei mehrfach be- stätigt , eine ausgesprochen milde Landesherrschaft ausgeübt zu haben. Es schließt sich daran an eine umfangreiche Bewertung der Festungen und deren strategische Bedeutung. Hier werden auch Benfeld und Philippsburg berücksichtigt und die Bedeutung von Neuenburg für die Sicherung von Breisach besonders hervorgeho- ben , falls auf den Breisgau verzichtet werde.
Auch in diesem Passus wird die Reichslandvogtei Hagenau erwähnt, wobei sie mit dem Unterelsaß geradezu gleichgesetzt wird:
la Basse-Alsace ou la grande provosté de Haguenau. Sie sei vom Oberelsaß völlig abhängig und habe trotz
[p. LIII]
[scan. 53]
ihrer geringen Einkünfte eine beachtliche Bedeutung auf Grund der Einflußmög- lichkeiten
(authorité) auf die Reichsstädte. Als Beispiel wird angeführt, daß es den Habsburgern mit Hilfe der Landvogtei gelungen sei, in Hagenau und Colmar die protestantische Religionsausübung abzuschaffen. Verglichen mit den präzisen An- gaben im ersten Teil des Gutachtens wird hier die Bedeutung der Reichslandvog- tei deutlich höher eingeschätzt; allerdings handelt es sich nicht um eine Würdi- gung von Herrschaftsrechten, sondern um eine Beschreibung ihrer politischen Be- deutung . In einem letzten Teil folgt schließlich eine Aufstellung aller Besitzungen, die von Herzog Bernhard von Weimar oder von Frankreich an neue Besitzer ausgegeben worden waren.
Nach dem Gespräch mit d’Avaux am 6. April 1646 setzten die bayerischen Ge- sandten alles daran, die Verhandlungen voranzutreiben, indem sie hartnäckig zwischen französischem und kaiserlichem Standpunkt zu vermitteln suchten.
Schon am 8. April 1646 deutete sich in diesem Zusammenhang für die französi- schen Gesandten an, daß ihnen auf alle Fälle der Sundgau nicht streitig gemacht werde, was Servien seiner Standfestigkeit zurechnete
. Darüberhinaus bestätigten ihnen nun die bayerischen Gesandten, daß Maximilian den Kaiser dazu bewogen habe, den französischen König mit dem Elsaß zu belehnen. Das den Gesandten am 7. April 1646 zugegangene Schreiben Maximilians an Bagno über die kaiserliche Satisfaktionsbereitschaft
sprach aber nur vom Elsaß, und die bayerischen Ge- sandten konnten einen Brief Bagnos an Maximilian vorzeigen, der ebenfalls von einer Beschränkung der französischen Forderungen auf das Elsaß ausging. Daher erschienen Breisgau, Waldstädte und Breisach weiterhin noch strittig. Nach dem bayerischen Bericht forderten die Franzosen schließlich Elsaß, Breisach, Neuenburg sowie Verhandlungen über Philippsburg, Benfeld und Zabern. Und so gaben die Bayern die Forderungen am 9. April 1646 an die Kaiserlichen
Bericht der bayerischen Gesandten bei
Immler , Kurfürst S. 242f. und Diarium Volmar
(APW III C 2 S. 593); Bericht der französischen Gesandten in nr. 220 S. 755 und nr. 226.
.
Über dieses Gespräch schrieb Longueville auch an Mazarin, wobei er zu der Ein- sicht kam, daß die von ihm erwogene Übertragung von Breisach und Waldstäd- ten an Bayern wohl aussichtslos sei, weil Bayern daran weniger Interesse als an der Oberpfalz habe
. Er habe zudem auf Philippsburg und Benfeld beharrt, um Verhandlungsmasse zu bilden
. Schließlich wies er noch einmal darauf hin, daß die Gesandten jetzt eine Vollmacht des
Conseil brauchten, um die Satisfaktions- frage abzuschließen, sobald Ober- und Unterelsaß, Breisach und Sundgau ihnen zugestanden worden seien. Verwirrung habe die Nachricht gestiftet, Maximilian habe dem Kaiser mitgeteilt, daß Frankreich sich auch mit Teilen des Elsaß zufrie- den geben werde
ebenda
S. 763 Z. 16–23, S. 764 Z. 1–12.
.
[p. LIV]
[scan. 54]
Im nächsten Verhandlungsschritt ließ sich Trauttmansdorff gegenüber d’Avaux auch zur Abtretung des Oberelsaß und Sundgaus unter bestimmten Bedingungen herbei, beharrte jedoch darauf, daß er für Breisach keine Vollmacht habe
nr. 224 S. 765f.; nr. 226 S. 777 Z. 37 – S. 778 Z. 20.
, was den Franzosen am 12. April 1646 auch von den bayerischen Gesandten bestätigt wurde, die sich auf eine ihnen aus München zugeschickte Kopie der kaiserlichen Elsaßinstruktion beriefen
Das Datum gemäß Bericht der bayerischen Gesandten bei
Immler , Kurfürst S. 245; franzö- sischer Bericht in nr. 226 S. 778 Z. 26 – S. 780 Z. 4.
. Ihre Zusage, auch wegen Breisach weiterhin den Franzosen behilflich zu sein, und die Einsicht, daß ein großer Teil des bereits Erreichten den bayerischen Bemühungen zu verdanken sei, ließ die französischen Gesandten schließlich auch auf die angestrebte Waffenruhe eingehen. Sie wollten jedoch darüber mit den schwedischen Gesandten erst dann eine Abstimmung su- chen , wenn zuvor die Kaiserlichen ihr Angebot über die Mediatoren vorlegten und Einverständnis herrsche, daß eine Kürzung der französischen Forderungen um den Breisgau und die Waldstädte der königlichen Genehmigung vorbehalten
sei
ebenda S. 779
Z. 41 – S. 780 Z. 4.
.
Diese intensiven Verhandlungen mündeten in das kaiserliche Elsaßangebot, das seinen Niederschlag in drei Aktenstücken fand, die im folgenden als kaiserliches Angebot A (1646 IV 14), Angebot B (1646 IV 15) sowie Angebot C (1646 IV 16) bezeichnet werden.
Das kaiserliche Angebot A wurde am 14. April 1646
APW
II A 3 nr. 272 S. 509.
von den Mediatoren den französischen Gesandten vorgelegt
Kopien in den Akten Chigis:
Rom ,
Chig.
Lat.
A I 10 fol. 82–84’;
Chig.
Lat. Q
III 71 fol. 82–84’, mit Markierung der Artikel, die bei der Umformulierung zum Angebot B (1646 IV 15) ausgelassen wurden; Druck:
Gärtner
IV S. 103–107, datiert IV 13.
, wurde aber von ihnen nicht angenommen, weil es ihnen den vorangegangenen Absprachen nicht zu entsprechen schien. Ih- rem Bericht nach nahmen sie Anstoß an allen Klauseln, mit denen eine Unterstüt- zung Frankreichs für Kaiser und Bayern in den Verhandlungen zugesagt wurde. Sie seien zwar zur Hilfe bei der Friedensfindung bereit, könnten sich dazu aber nicht öffentlich verpflichten, um bei den Verbündeten nicht an Kredit zu verlie- ren . Zudem scheine die kaiserliche Satisfaktionszusage nur unter der Bedingung der geforderten Unterstützung Geltung zu haben
nr. 225 S. 771; nr. 226 S. 780 Z. 5–30.
.
Die Mediatoren haben daher das kaiserliche Angebot in einer gekürzten Form am 15. April 1646
Kopie in den Akten Chigis:
Rom
, NP 19 fol. 193–195’, mit eingelegter Korrekturanweisung (fol. 194) für Angebot C (1646 IV 16). Die Datierung auf den 15. April 1646 ergibt sich aus dem Bericht der kaiserlichen Gesandten in
APW II A 3 nr. 272 S. 510 Z. 27ff., S. 512 Z. 2–5.
erneut überreicht (Angebot B), nachdem sie den Kaiserlichen von den französischen Ausstellungen berichtet hatten und diese ihnen freigestellt hatten, den Aufsatz entsprechend umzuschreiben und erneut zuzustellen, was die Mediatoren am Nachmittag desselben Tages tun wollten. Ausgelassen waren nun
[p. LV]
[scan. 55]
die Abschnitte, in denen Frankreich sich verpflichten sollte, Ansprüche der Tiroler Erzherzöge gegen Württemberg zu unterstützen, mäßigend auf die schwedischen Satisfaktionsforderungen und auf die protestantischen Gravamina einzuwirken sowie bei der Regelung der Pfalzfrage zu helfen.
Dieses Angebot B nahmen die französischen Gesandten entgegen und setzten sich damit intensiv auseinander. Ihre erneuten Einwände trugen sie den Mediatoren und den bayerischen Gesandten vor und legten sie in einer schriftlichen Kurzfas- sung dem Bericht an den Hof bei
.
Sie beanstandeten, daß Neuenburg nicht erwähnt werde und daß ihre Bereitschaft zur Rückgabe des Breisgaus und der Waldstädte aufgeführt werde, obwohl sie dies ausdrücklich einer königlichen Weisung vorbehalten hatten. Keine Einwände hat- ten sie gegen die Bestimmung, daß die Reichsstände des Elsaß in ihrem Status unberührt gelassen werden sollten, sie forderten aber für Frankreich die habsbur- gischen Protektionsrechte über sie. Die Frage der Festungen Benfeld, Philippsburg und Zabern stellten sie auf weitere Verhandlungen mit den betroffenen Landes- herren aus. Die Abtretung des Ober- und Unterelsaß einschließlich des Sundgaus unter dem Titel der Landgrafschaft Elsaß nach Maßgabe des bisherigen habsbur- gischen Herrscherrechtes wurde gebilligt, sollte jedoch verbunden werden mit Sitz und Stimme auf den Reichstagen.
Bei der Aufzählung der habsburgisch bleibenden Territorien machten sie den Vor- behalt der königlichen Zustimmung; Neuenburg solle weiterhin gefordert werden, wenn nicht der um Auskunft gebetene General Erlach es für verzichtbar halte
Die Anfrage an Erlach erfolgte am 20. April, vgl. Longueville, d’Avaux und Servien an Erlach, Münster 1646 IV 20, praes. V 6, Ausf.:
Bern
, XXVII. 72 nr. 41.
und die Kaiserlichen sich vertraglich zum Verzicht auf rechtsrheinische Befesti- gungen zwischen Straßburg und Basel verpflichteten. Die von den Kaiserlichen genannte Ortenau sei von ihnen nie gefordert worden. Trotz der exorbitanten Höhe könne die Entschädigung für die Tiroler Erzherzöge akzeptiert werden, um von ihnen die Zustimmung zu der Abtretung zu erhalten. Die Beschränkung der Investitur auf die männlichen Nachkommen Ludwigs XIII. solle entfallen und die gleichzeitige Belehnung der andernfalls erbberechtigten Tiroler Erzherzöge ganz unterbleiben. Die Einbeziehung der burgundischen Lande in den geplanten Waffenstillstand sei von ihnen bereits mit bayerischer Zustimmung abgelehnt worden.
Auf Grund der Berichte der Mediatoren und der bayerischen Gesandten über die Einwände der Franzosen veränderten die Kaiserlichen ihren Aufsatz, der den französischen Gesandten als Angebot C am 16. April 1646 von den Mediatoren übergeben wurde, die noch am gleichen Tag berichteten, daß das geänderte Pro- ömium die französische Zustimmung gefunden habe
APW
II A 3 nr. 280 S. 520; Kopie von Angebot C
in den Akten Chigis:
Rom ,
Chig.
Lat.
A 110 fol. 85–87; fehlerhafter Druck bei
Meiern
III S. 6f.
.
[p. LVI]
[scan. 56]
Hierin waren die französischen Forderungen insoweit berücksichtigt, als die Be- schreibung der Satisfaktionsforderung geändert worden war. Neuenburg und Breisach wurden nun nicht mehr erwähnt, was mit ihrer Lage im Breisgau erklärt werden kann, der zusammen mit den Waldstädten als französische Forderung aufgeführt wurde. Alle anderen Artikel blieben unverändert. Ergänzend erschien nun wieder der Passus über die pfälzische Frage, wie er im ersten kaiserlichen Angebot enthalten gewesen war. Sie sollte so gelöst werden, daß der Pfalzgraf in der rheinischen Pfalz restituiert werde, die Kurwürde und die Oberpfalz aber bei Maximilian von Bayern und allen Nachkommen der Wilhelmischen Linie ver- bleiben solle, wodurch gleichzeitig der Kaiser von der auf dem Erzherzogtum Österreich ob der Enns lastenden Hypothek befreit werde. Diese Regelung war jetzt aber als eine Absichtserklärung formuliert, ohne die französische Hilfe dazu ausdrücklich zu erwähnen, so daß die französischen Gesandten sie akzeptieren konnten
Vgl. nr. 226 S. 780 Z. 30 – S. 781 Z. 10 und Beilage 2 zu nr. 226.
.
Für das Angebot C wurde in der Gesandtschaft eine paraphrasierende Analyse erstellt, die in mehreren Kopien überliefert ist. Eine davon ist mit zusätzlichen kommentierenden Lemmata versehen und stammt aus den Papieren Godefroys
. Sie befaßt sich mit den kaiserlichen Bedingungen für die Abtretung des Elsaß und des Sundgaus, die – so wörtlich – habsburgischer Hausbesitz seien und am 14. April 1646 schriftlich vorgelegt worden seien. Der Inhalt zeigt aber, daß Bezug genommen wird auf das Angebot
C vom 16. April 1646.
Hinsichtlich der Satisfaktion wird dort ausgeführt, daß Frankreich alle im Elsaß besetzten Territorien von Reichsunmittelbaren freigeben müsse, die nicht habsbur- gischer Hausbesitz seien. Die in dem kaiserlichen Angebot erwähnten Rechte, die bisher die Habsburger besessen hätten und die nun unter dem Titel der Landgraf- schaft Elsaß an Frankreich fallen sollten, werden beispielhaft erläutert
(tel qu’est celuy) durch die Nennung des Rechtes der
garde et protection, die im Deutschen
landvogtey heiße, über eine Reihe Reichsstädte, wobei wohl an die elsässische Dekapolis gedacht ist. Die Inbesitznahme erfolge als Reichslehen, also unter Fort- bestand der Souveränität des Reiches.
Nach dem Verständnis dieses Kommentars bedeutete das kaiserliche Angebot die Abtretung ausschließlich des habsburgischen Hausbesitzes in beiden Elsaß und im Sundgau sowie die Abtretung bestimmter habsburgischer Rechte, zu denen die Landvogtei über die Reichsstädte im Elsaß gerechnet wird. Der Herrschaftstitel (Landgrafschaft Elsaß), das Ausmaß des Besitzes und der Umfang der Rechte wer- den nicht erörtert, jedoch werden die Landvogteirechte nur als Beispiel, nicht als alleiniger Inhalt der habsburgischen Rechte erwähnt, die insgesamt also noch mehr umfassen sollen. Auch die Rechte der Landvogtei werden nicht weiter in- haltlich beschrieben, abgesehen davon, daß sie dem Protektionsrecht gleichgesetzt werden.
[p. LVII]
[scan. 57]
Daraus allein ist aber nicht zu schließen, daß die habsburgischen Rechte im Un- terelsaß überschätzt wurden
, denn mit den habsburgischen Rechten, die über die der erwähnten Landvogtei hinausgehen, können auch solche im Oberelsaß gemeint sein, wo ja die Habsburger nach dem Gutachten Stenglins Rechte über ehemals reichsunmittelbaren Adel ausübten. Auf die sich daraus ergebenden Pro- bleme für die Satisfaktionsregelung hob wenig später das Gutachten Vautortes ausdrücklich ab.
Welche Bedeutung dem kaiserlichen Elsaßangebot auf französischer Seite zuge- messen wurde, wird daran deutlich, daß die Gesandten ihren Bericht darüber als ihr bislang wichtigstes Schreiben bezeichneten. Sie forderten eine präzise Weisung, nach dem Zugeständnis von Breisach, der beiden Elsaß und des Sundgaus ab- schließen zu dürfen. Andernfalls entstehe die Gefahr, daß die Schweden allein abschließen und die Franzosen unter Druck gesetzt werden könnten
.
Servien hat zu dem kaiserlichen Angebot in einem eigenen ausführlichen Gutach- ten Stellung bezogen. Er plädierte für die Aufgabe der Forderung nach dem Breis- gau , weil der König beide Elsaß, den Sundgau und Breisach erhalten werde. Im Zusammenhang mit den Kosten der Entschädigung der Tiroler Erzherzöge wie- derholte er, daß der Erwerb dieser schönen Provinzen den Preis wert sei, zumal dadurch auch Lothringen und die drei Bistümer in der gewünschten Weise gesi- chert seien
nr. 228 S. 787 Z. 11–15, S. 789 Z. 9–13.
. Von einer Spezifizierung des habsburgischen Hausbesitzes und der Rechte der Reichslandvogtei findet sich kein Wort. Die Festlegung auf den bishe- rigen habsburgischen Status bei dem Besitzwechsel taucht bei Servien nur im Zu- sammenhang mit der Übernahme der Territorien als Reichslehen auf, die Servien mit Rücksicht auf die Reichsstände einer Übernahme in voller Souveränität vor- zieht
ebenda
S. 790 Z. 42 – S. 791 Z. 1.
.
Erst nach dem kaiserlichen Elsaßangebot und sehr wahrscheinlich auch erst nach ihren eigenen Stellungnahmen ging den Gesandten das Memorandum Vautortes
zu
Beilage 2 zu nr. 213; Empfangsbestätigung in nr. 247.
, dessen Existenz
Stein nachgewiesen hat
Stein ,
Elsaßbild S. 149 und Anm. 100.
. Es ist in der überlieferten Fas- sung unvollständig. Die Ausführungen brechen ab mit einem Hinweis, daß die habsburgischen Einkünfte im letzten Kapitel behandelt werden sollten. Zumindest dieses Kapitel fehlt, es dürfte aber noch mehr verlorengegangen sein, nicht nur weil die dazugehörige Karte nicht erhalten ist
Wie dem Memorandum zu entnehmen ist, handelt es sich um einen Druck der Karte des Daniel Specklin (1536–1589); zu ihm vgl.
Fischer S. 177–184;
Grenacher , der Specklins Karte von 1576 ohne Raster im Faksimiledruck veröffentlicht;
Schott , der Specklins Karte von 1576 mit Raster reproduziert; deren Beschreibung auch bei
Oehme S. 32f. und
Fischer S. 181–183 mit einer verkleinerten Abbildung auf dem Bandvorsatz. Er zitiert Grenacher, geht aber auf den Unterschied der Karten nicht ein. Vautorte benutzte eine Karte mit Raster, dessen durch Zahlen gekennzeichnete Quadrate dazu dienen, die Lage der besprochenen Orte zu bestimmen. Zum besseren Verständnis des Gutachtens wird ein Exemplar dieser Karte als Anhang 8 in dieser Edition abgedruckt.
, sondern auch weil das Erhaltene
[p. LVIII]
[scan. 58]
im Detail nur Oberelsaß und Sundgau berücksichtigt, nicht aber das Unterel- saß
Die Vermutung bei
Stein , Elsaßbild S. 149, daß der Rest bereits im März 1646 überschickt worden sei, trifft wohl nicht zu, denn die damalige Sendung wurde ausdrücklich als un- brauchbar widerrufen.
. Ziel des Gutachtens war es, zu ermitteln, welche Territorien vor dem Krieg in habsburgischem Besitz waren. Dazu werden zunächst Titel und Rechte der habsburgischen Herrschaft in ihrer historischen Genese erläutert und auch die Reichslandvogtei Hagenau berücksichtigt.
In einem umfänglicheren zweiten Abschnitt werden anhand der Karte des Daniel Specklin die einzelnen Territorien des Oberelsaß und des Sundgaus behandelt, wobei unterschieden wird zwischen den Territorien der Habsburger, der Kirche, Lothringens, Mömpelgards sowie der Reichsstädte; und besonders abgehoben wird auf die Reichweite der habsburgischen Gerichtsbarkeit. Der Adel des Oberelsaß sei völlig unterworfen, hingegen sei der des Unterelsaß völlig unabhängig. Als Ergebnis stellt das Memorandum fest, daß abgesehen von Mülhausen sowie den lothringischen Territorien die Habsburger im Oberelsaß und Sundgau souveräne Herrscher seien, denn sie verfügten auch über das Bistum Straßburg und die Abtei Murbach und mittels der Landvogtei über die Reichsstädte.
Zum Schluß wird aber darauf hingewiesen, daß diese habsburgische Herrschaft zum Teil Territorien umfasse, bei denen es schwierig sei, festzustellen, ob sie nicht ursprünglich Reichslehen gewesen seien. Sollte Frankreich den habsburgischen Besitz übernehmen, dann sei nicht auszuschließen, daß die Kaiserlichen diesen älteren Status als Reichslehen hervorkehrten. Dieser Gefahr müsse vorgebeugt werden.
Die Einsichten, die dieses Memorandum vermittelte, haben auch die Weisungen geprägt, die die Gesandten in einem von Lionne konzipierten und sicherlich von Mazarin verantworteten königlichen Schreiben erhielten: Bei der Vielfalt der Herrschaftsverhältnisse im Elsaß bestehe die Gefahr, daß ein Streit darüber ent- stehe , was zur Satisfaktion zu rechnen sei und was nicht. Daher müsse bei den Vereinbarungen vor allem darauf geachtet werden, alle Unklarheiten zu vermei- den , die unter Umständen zum Nachteil Frankreichs ausfallen könnten. Ein Mit- tel dazu könne sein, auf die Forderungen nach Rechtsrheinischem mit Ausnahme Breisachs zu verzichten, dafür aber alles zu verlangen, was Frankreich zur Zeit im Ober- und Unterelsaß besitze. Auf jeden Fall müsse die Zession alle Rechte umfassen, die die Tiroler Erzherzöge besitzen, damit nicht später ein Anlaß zu Revisionsversuchen gegeben sei
nr. 232 S. 802 Z. 34 – S. 803 Z. 18, S. 803 Z. 26–36.
.
[p. LIX]
[scan. 59]
Damit findet sich in dieser Weisung zum ersten Mal eine eindeutig nachweisbare Überlegung, nicht herrschaftsrechtliche, sondern geographische Kriterien für die Satisfaktion zu verwenden. Wenn Frankreich alles behielt, was es im Elsaß unter Militärverwaltung hatte, dann war auch die Forderung nach ausschließlich habs- burgischem Besitz hinfällig, denn die besetzten Territorien gingen darüber weit hinaus. Dies war mit der Weisung auch intendiert, denn sie ging von der Mög- lichkeit aus, daß das kaiserliche Angebot uneindeutig sein könne, so daß über den habsburgischen oder nichthabsburgischen Charakter des Abgetretenen Streit ent- stehe . Dem sollte von vornherein dadurch vorgebeugt werden, daß die Satisfak- tion sich gar nicht mehr nach dem Maßstab des Besitzes und der Rechte Habs- burgs richtete.
Diese Überlegungen bezogen sich aber nicht allein auf die Verhältnisse im Unter- elsaß , sondern dank der Ausführungen des Memorandums Vautortes wußte man, daß auch im Oberelsaß und Sundgau die Gefahr bestand, daß die Kaiserlichen etwas abtraten, was mit dem Argument der Reichszugehörigkeit zum Teil wieder bestritten werden konnte.
Den Gesandten wurde darüber hinaus mitgeteilt, daß man am Hof durch ein weiteres Schreiben Maximilians an Bagno
Überschickt als Beilage 1 zu nr. 232.
davon unterrichtet worden sei, daß der Kaiser zu der Satisfaktion bereit sei und daß Trauttmansdorff entsprechende Weisungen erhalten habe. Gleiches habe Mazarin auch aus Wien erfahren, von wo noch avisiert worden sei, daß Trauttmansdorff sein Angebot stufenweise vorzu- bringen habe und daß er zunächst auf der Schleifung Breisachs bestehen solle, es schließlich aber abtreten könne. Der Kaiser sei auch bereit, notfalls ohne Spanien zu einem Abschluß zu kommen
.
Auch die von den Gesandten geforderte Stellungnahme des
Conseil fiel positiv aus. Bedingung sollte sein, daß Frankreich dieselben Protektionsrechte über die Reichsstände des Elsaß erhielte, wie sie zuvor die Habsburger besaßen. Auch hier wird nicht allein an die Landvogteirechte über die Dekapolis gedacht worden sein, denn auch im
Conseil mußte die Warnung Vautortes vor den gefährlichen Verhältnissen im Oberelsaß und Sundgau bekannt gewesen sein. Benfeld und Za- bern sollten demoliert werden, Zabern in Zukunft neutraler Platz werden. Phi- lippsburg könne notfalls im jetzigen Zustand erhalten und dem Trierer Kurfürsten zurückgegeben werden. Die rechtsrheinischen Forderungen sollten bis auf Breisach und Neuenburg fallengelassen werden, vorausgesetzt daß dafür auf eine Enschädi- gung der Tiroler Erzherzöge verzichtet werde. Dem Erwerb der Landgrafschaft Elsaß in Form eines Reichslehens wird zugestimmt, sofern dies für alle künftigen Könige Frankreichs gelte, zumindest für alle lebenden Prinzen von Geblüt und deren Nachkommen. Wenn dafür Sitz und Stimme auf den Reichstagen bewilligt würden, könne einer Beteiligung an den Reichsumlagen zugestimmt werden, die der eines weltlichen Kurfürsten gleichkommen soll
e
nr. 241 S. 824 Z. 34 – S. 825 Z. 27, S. 826 Z. 3–15, S. 827 Z. 15–21.
.
[p. LX]
[scan. 60]
Mit gleicher Post ging den Gesandten eine noch präzisere Instruktion zu, von der nur die Regentin, Orléans und Condé sowie Mazarin und Brienne Kenntnis hat- ten
nr. 242. Die Weisung wurde wie alle Schreiben des Hofes vom 26. IV. 1646 durch Préfon- taine nach Münster gebracht, der dort am 4.
V. 1646 eingetroffen war (vgl. Anm. 68).
. Sie gab ihnen Vollmacht, auf Breisgau und die Waldstädte zu verzichten und für die Abtretung der beiden Elsaß, des Sundgaus sowie Breisachs den Tiroler Erzherzögen eine Entschädigung auch über die bisherige Höhe hinaus zu bewilli- gen . Auch Neuenburg könne aufgegeben werden, besonders wenn General Erlach seine Bedeutung gering veranschlage und wenn die Kaiserlichen auf jegliche Befe- stigung zwischen Basel und Straßburg verzichteten. Diese Instruktion zeigte nach der Erläuterung Mazarins für Longueville die Grenzen auf, bis zu denen die Ge- sandten gehen konnten
. Damit kam ihr entscheidende Bedeutung für die fran- zösische Haltung in den weiteren Verhandlungen zu.
Für die folgende Verhandlungsphase bemühte sich Longueville wiederum um den Rat von Experten
, wozu ein Memorandum Godefroys zu rechnen ist, das dieser selbst auf Mai 1646 datiert hat
. Es befaßt sich mit Teilen der in Aussicht ste- henden Satisfaktion, nämlich mit Pinerolo, den lothringischen Bistümern und den Elsaßangeboten vom 14./16. April 1646, wobei es hinsichtlich des Elsaß nicht der Klärung herrschaftsrechtlicher Fragen nachgeht, sondern die Form des Besitzüber- ganges erörtert. Von der Übernahme des Elsaß durch Frankreich als Reichslehen wird eindringlich abgeraten mit dem Hinweis auf die Reichsjustiz, die es dem Kaiser erlaube, den französischen König zu depossedieren und sogar zum Tode zu verurteilen. Die Vorteile einer Reichsstandschaft seien hingegen sehr gering. Als Lösung für dieses Problem wird aber noch nicht der Erwerb der Souveränität vorgeschlagen, sondern eine Investitur des von dem Angebot ebenfalls begünstig- ten Bruders des Königs oder – was über das Angebot hinausging – des Herzogs von Orléans. In dem vorangehenden Teil wird für die Abtretung der lothringi- schen Städte und Hochstifter die Übernahme in voller Souveränität eindringlich befürwortet. Die Begründung, daß dadurch zu erwartenden Streitigkeiten aus dem Weg gegangen werde, ist später auch für das Elsaß angewendet worden.
Im Mai 1646 wußten die Gesandten also nicht nur um die Probleme des kaiser- lichen Angebotes hinsichtlich der Besitzverhältnisse, sondern auch um die Gefah- ren , die eine reichsrechtliche Einbindung Frankreichs wegen der kaiserlichen Ju- risdiktion barg.
In der Zeit der Entstehung dieses Gutachtens scheinen die Gesandten davon aus- gegangen zu sein, nun genügend Informationen für die Elsaßfrage zur Verfügung zu haben. Das Fehlende wollten sie sich rechtzeitig vor der Erstellung des Zes- sionsartikels beschaffen
. Der für Basel bevollmächtigte Würzburger Gesandte
[p. LXI]
[scan. 61]
versicherte zur gleichen Zeit, daß der Bischof bereit sei, die Lehen Pfirt, Thann und Altkirch gegen eine Entschädigung abzutreten
. Weiter war man inzwischen auch in der Frage der Belehnung gekommen, da Trauttmansdorff gegenüber Ser- vien immerhin konzediert hatte, daß diese für alle Prinzen von Geblüt gelten solle
.
Während die Öffentlichkeit der kaiserlichen Duplik in ihrer Kurzfassung vom
5. Mai 1646 entnehmen konnte, daß über die lothringischen Hochstifter sowie über Ober- und Unterelsaß verhandelt werde
Vgl.
den in den französischen Akten erhaltenen und wohl unmittelbar nach dem 5. Mai 1646 publizierten Druck DUPLICA/CAESAREANORUM:/AD/GALLORUM/replicas,/DD. Mediatoribus 5. Maij, 1646. ex-/hibita. O. O., o. D. (
AE
,
CP
All.
65 fol. 5–8): [...] de renuntiatione iurium Imperii circa tres episcopatus Metensem, Thullensem et Virodu- nensem , item de relinquenda certis conditionibus Regi Christianissimo superiori et infe- riori Alsatia cum Suntgovia agitare [...];
die Gesandten berichteten in ihrer Relation an Brienne, daß sie am 30. April 1646 von den Mediatoren unterrichtet worden seien, daß diese eine erste Fassung der Duplik mit einem Umfang von 24 Blättern an die Kaiserlichen zur Überarbeitung zurückgegeben hätten (vgl. nr. 257 S. 889), und legten eine handschriftliche la- teinische Fassung sowie eine Übersetzung der Duplik bei (Beilage 2 zu nr. 257); das Datum der Unterrichtung durch die Mediatoren muß richtig 1. Mai 1646 heißen, vgl. die Angaben im Diarium Chigi (APW
III C 1, 1 S. 304). Zum substantiellen Teil der Duplik gehörten auch die mündlichen Ergänzungen, die die Kaiserlichen vor den Mediatoren für die Regelung der Pfalzfrage anbrachten und die von den Mediatoren als Schriftsatz den Franzosen zur Kenntnis gegeben wurden (vgl. Beilage 2 zu nr. 258). Entwürfe der Duplik, die am 16. März 1646 vom Wiener Hof an die kaiserlichen Gesandten in Münster geschickt worden waren (Beilagen zu APW
II A 3 nr. 212), waren der französischen Seite offenbar als spanische Ko- pien bekannt geworden, vgl. die in Kopie vorliegenden Schreiben Terranovas an Philipp IV. und an [Peñaranda], Linz 1646 III 16, in
AE
,
CP
Autriche
16 fol. 421–422, zu denen als Anlage Schriftstücke gehören, die jetzt in
AE
,
CP
All.
64 fol. 81–88 bzw. fol. 89–94 zu finden sind. Sie sind von anderer Hand auf 1646 III 16 datiert und tragen die Überschrift Dupplica de los plenipotenciarios Imperiales sobre la replica de Franceses
sowie En quanto a la replica de Sueceses se les puede duplicar en la forma siguente.
, waren die internen Verhandlun- gen bereits darüber hinausgegangen. Es ging in der Folgezeit nur noch um die kaiserliche Zusage zur Abtretung von Breisach. Trauttmansdorff zeigte sich hierin abweisend
, doch versicherten die bayerischen Gesandten den Franzosen, daß sie Erfolg haben würden, weil sie dies aus Äußerungen Trauttmansdorffs schließen könnten und weil es ihrer Vermutung nach Maximilian gegenüber dem Kaiser durchgesetzt habe
. Auch der Hof in Paris wußte von den Bemühungen des Kur- fürsten und ging davon aus, daß Breisach ihnen genehmigt werde
; sobald dies geschehen sei, sollte ein Friedensschluß oder ein Waffenstillstand im Reich fol- gen
.
[p. LXII]
[scan. 62]
Trauttmansdorff verharrte hingegen bei seiner Weigerung und brachte am 17. Mai 1646
Diarium Volmar (APW
III C 2 S. 626 ).
in einem Gespräch mit d’Avaux einen neuen Vorschlag zur Spra- che , den er, wie d’Avaux berichtete, bisher weder mit den Mediatoren noch mit den bayerischen Gesandten besprochen habe: Breisach und die dortige Rhein- brücke sollten geschleift werden; Frankreich solle als Kompensation dafür eine linksrheinische Festung errichten dürfen und darüber hinaus das Elsaß und den Sundgau in voller Souveränität erwerben und in das Königreich wie eine franzö- sische Provinz eingliedern: posséder l’Alsace et le Zuntgau en souveraineté et l’incorporer au royaume comme une autre des provinces de France
nr. 282 S. 990 Z. 6f.; vgl. auch den weniger detaillierten Bericht der Gesandten in nr. 279 S. 977 Z. 39 – S. 978 Z. 22.
.
Auch Servien schloß aus einer Begegnung mit Trauttmansdorff, die einen Tag später stattfand
Diarium Volmar (APW
III C 2 S. 627f.).
, daß möglicherweise sowohl die linksrheinischen Gebiete wie auch das geforderte Breisach bald in voller Souveränität an Frankreich abgetreten würden
. Die Souveränität war für Trauttmansdorff offenbar das letzte Mittel, mit dem die Franzosen von Breisach abgelenkt werden konnten.
Einen Tag bevor Trauttmansdorff gegenüber d’Avaux sein neues Angebot machte, war die Antwort des Generals Erlach auf die Anfrage der Gesandten wegen der Bedeutung Neuenburgs eingetroffen
Anhang 5; das Schreiben ging am 16. Mai in Münster ein, vgl. Stenglin an Stotz, Münster 1646 V 18, Ausf.:
Bern
, XXVII. 72 nr. 52, wo Stenglin berichtet, daß Erlachs Schreiben vom 6. Mai vor zwei Tagen eingetroffen sei.
. Erlach kommentierte das kaiserliche El- saßangebot vom 14./16. April 1646 und riet von dem Erwerb des Unterelsaß ab. Dort gebe es nur Territorien von Reichsständen. Sollten diese restituiert werden, dann habe Frankreich keinen Vorteil von dem Land, selbst dann nicht, wenn es die Reichslandvogtei bekomme, denn diese erstrecke sich lediglich auf vierzig völ- lig zerstörte Dörfer und auf die Protektion über Städte, aus der in Kriegszeiten nur Lasten, im Frieden aber keinerlei Nutzen erwachse. Erlach befürwortete statt dessen den Erwerb der Waldstädte (Rheinfelden, Säckingen, Laufenburg und Waldshut), weil sie aus strategischen Gründen sehr vorteilhaft seien, sowie Neuen- burgs , das zwischen Basel und Breisach die einzige Festung der Habsburger sei. Vier Tage später hat Erlach seinen Standpunkt gegenüber Longueville noch ein- mal bekräftigt. Er fügte eine Karte bei, wie er sie schon Vautorte gegeben habe und von der er annahm, daß dieser sie nach Münster geschickt habe. Er sehe grö- ßere Vorteile bei einem Erwerb der Waldstädte, während er zur geringen Bewer- tung des Unterelsaß nun noch darauf hinwies, daß die Reichslandvogtei Hagenau von den Habsburgern lediglich als Pfandbesitz besessen werde, der jederzeit wie- der eingelöst werden könne
.
Als Trauttmansdorff die Souveränitätsfrage in die Diskussion brachte, wußten die Gesandten also nachweislich, daß der habsburgische Besitz im Unterelsaß allein
[p. LXIII]
[scan. 63]
in der Reichslandvogtei bestand und daß damit wenig zu erwerben war, wenig jedenfalls in den Augen Erlachs und gemessen an der Alternative, die die Wald- städte boten. Denn abgesehen von den vierzig Reichsdörfern verlieh die Reichs- landvogtei keine Herrschaftsrechte, sondern eher beschwerlich fallende Schutzauf- gaben für die Reichsstädte in Kriegszeiten. Aber auch Erlach hatte seine Präferenz der Waldstädte unter der Voraussetzung ausgesprochen, daß die Reichsunmittel- baren im Unterelsaß restituiert würden, was bisher von Frankreich immer bejaht worden war.
Angesichts dieser Gegebenheiten verlieh der Vorschlag einer Abtretung des Elsaß zu voller Souveränität und – jedenfalls wie d’Avaux es verstanden hatte – seiner Inkorporation in das Königreich der Elsaßsatisfaktion eine ganz neue Qualität, auch wenn gegenüber den Kaiserlichen so getan wurde, als sei diese Frage uner- heblich . Denn nach französischem Verständnis veränderte die Inkorporation, wie
Dickmann ausgeführt hat
, vollständig den Rechtsstatus nicht nur der habsbur- gischen Territorien, sondern auch der von Habsburg im Namen des Reiches im Elsaß ausgeübten Rechte, weil das für Krondomänen in Frankreich gültige Recht an die Stelle des Reichsrechtes trat. Dadurch konnten die Folgen der teilweise als problematisch angesehenen Herrschaft der Habsburger über den mediatisierten Adel im Oberelsaß und Sundgau aufgefangen werden. In diese Richtung ging die Bewertung Briennes, der mit Erstaunen vermerkte, daß die weitreichenden Kon- sequenzen von kaiserlicher Seite nicht gesehen wurden, denn wenn Frankreich die Souveränität über das Elsaß erhalte, dann müsse das Reich auch auf die Souverä- nität über im Elsaß gelegene reichsmittelbare Territorien verzichten
nr. 293 S. 1029 Z. 34 – S. 1030 Z. 4.
.
Aus der Reaktion der Gesandten läßt sich darüber hinaus ablesen, daß sie das Souveränitätsangebot als eine Möglichkeit ansahen, einen herrschaftsrechtlichen Zugriff auf die Städte der Dekapolis zu gewinnen, wie er aus den Rechten der Landvogtei allein nicht abgeleitet werden konnte. Sie scheinen in erster Linie diese Reichsstädte und weniger andere Reichsstände des Unterelsaß in Zusam- menhang mit dem Souveränitätsangebot gesehen zu haben. Gegenüber den Me- diatoren zeigten sie sich zwar gleichgültig gegenüber einer cession des droictz de l’Empire et de la souveraineté sur l’Alsace,
aber sie legten gleichzeitig ihr Ver- ständnis des Angebotes fest, indem sie die Erwartung äußerten, daß damit auch die Reichsstädte im Unterelsaß in völliger Unabhängigkeit vom Reich in franzö- sischen Besitz übergingen, abgesehen von der Reichsstadt Straßburg und deren Besitzungen im Elsaß, auf die sie keinen Anspruch erheben wollten: Bien entendu qu’au cas que le pays fût cédé indépendamment de l’Empire, les villes impé- riales de la Basse-Alsace seroient tenues de la France avec la mesme indépen- dance , n’entendans touttesfois comprendre en ce nombre Strasbourg ny tout ce qui appartient à ceste république
.
[p. LXIV]
[scan. 64]
Wichtig an dem Angebot Trauttmansdorffs schien ihnen zu diesem Zeitpunkt also weniger der souveräne Besitz des Unterelsaß in seiner ganzen geographischen Aus- dehnung als der der Reichsstädte.
Am gleichen Tag, an dem die Gesandten dieses berichteten, legten die Kaiser- lichen ihre
postrema declaratio (1646 V 29) vor, in der das gesamte Satisfak- tionsangebot an Frankreich mitsamt den daran geknüpften rechtlichen und politi- schen Bedingungen aufgeführt wurde
. Neben den lothringischen Bistümern so- wie der Reichsstadt Metz und den Festungen Pinerolo und Moyenvic sollten mit jeglicher Jurisdiktion und Souveränität und nur mit der Auflage der Bewahrung des Katholizismus in französisches Eigentum übergehen: der Sundgau, die Land- grafschaft Oberelsaß, Breisach und die Reichslandvogtei des Unterelsaß, alles so, wie es bisher die Habsburger besessen hatten
Für den Rechtscharakter des Besitzes war im kaiserlichen Text formuliert: [ut rex Ludovicus XIV] libero allodii et proprietatis iure cum omnimoda iurisdictione et superioritate in perpetuum retineat, eo prorsus modo quo antehac a domo Austriaca possidebatur nulla- que prorsus ratione ob hasce ditiones Sacro Romano Imperio obligatus aut subiectus esse intelligatur,
vgl.
Nég.
secr.
III S. 429–434, hier S. 433. In einer gekürzten internen Zu- sammenfassung der französischen Seite, in der auf die Substanz der einzelnen Artikel abgeho- ben wurde, lautete dieser Passus: Le tout en franc-alleu et propriété avec toute jurisdiction et souveraineté sans estre aucunement subject et obligé à l’Empire
(
AE
,
CP
All.
65 fol. 125–128, hier 127; weitere Kopien:
AE
,
CP
All.
65 fol. 257–260’; BN,
Coll.
Dupuy
739 fol. 80–83). Die Bindung an die habsburgische Besitzweise wurde nicht erwähnt. Möglicher- weise geschah dies aus Versehen, wahrscheinlicher aber ist, daß hiermit das französische Ver- ständnis von souveränem Kronbesitz zum Ausdruck kam, das Einschränkungen ausschloß.
. Die geistlichen und weltlichen Reichsstände im Ober- und Unterelsaß sollten in ihrem Status belassen werden und nicht durch die Einrichtung von im Reich ungewohnten Parlamenten be- schwert werden.
Bei der Aufzählung der elsässischen Territorien war im Unterschied zum Angebot vom April, aber entsprechend dem tatsächlichen Sachverhalt zwischen dem Sund- gau , der Landgrafschaft des Oberelsaß und der Reichslandvogtei im Unterelsaß unterschieden worden. Daran nahmen die Franzosen sogleich Anstoß: Im Ant- wortsentwurf , der vermutlich von Servien stammt, wurde bemerkt, daß die Landgrafschaft jetzt auf das Oberelsaß beschränkt sei, zuvor sei sie für Ober- und Unterelsaß gewährt worden, und anstelle des vorher genannten Unterelsaß werde nur noch die Reichslandvogtei angeboten: Ils restraignent le landgraviat à l’Alsace-Supérieure qui estoit accordé auparavant pour l’une et l’autre Alsace. Item ils cèdent praefecturam provincialem Alsatiae inferioris seulement et par l’autre proposition ils ont offert l’Alsace-Inférieure
Remarques sur l’escrit donné par les Impériaux touchant la satisfaction de la France,
in
AE
,
CP
All.
65 fol. 387–390, hier fol. 390; das Stück, das die zweite von drei Stufen in der Entstehung der französischen Antwort ausmacht, ist einmal (fol. 388) von Servien handschrift- lich korrigiert und von dem Schreiber Serviens am Kopf auf Mai 1646 datiert; es übernimmt größtenteils den Text eines ersten Konzeptes, das ebenfalls die Handschrift dieses Schreibers hat und überschrieben ist Projet de réponse à la proposition donnée par les Impériaux, May 1646 (
AE
,
CP
All.
65 fol. 249–250’); beide Konzepte folgen noch der Gliederung der postrema declaratio
und sind unvollständig. Das erste Konzept reicht bis zur Türkenhilfe in Punkt 11, das zweite endet mit der zitierten Äußerung zum Unterelsaß, was sich auf Punkt 12.2 der postrema declaratio
bezieht. Ein drittes Konzept übernimmt den Text des zweiten und ist am Kopf auf den 29. Mai 1646 datiert, was sich vermutlich nicht auf seine Entstehung, sondern auf die darin kommentierte kaiserliche Erklärung bezieht; es bringt die Anordnung und den Text der an die Mediatoren am 1. Juni 1646 ausgelieferten französischen Antwort, in der die Satisfaktionsfragen vorangestellt waren: Responce des plénipotentiaires de France à la proposition donnée par messieurs les médiateurs le 29 may de la part de messieurs les plénipotentiaires de l’Empereur (
AE
,
CP
All.
76 fol. 458–465). Auch dieser dritte Entwurf und seine zahlreichen Änderungen sind von der Hand des Schreibers Serviens; vor dessen Korrekturen hat zuvor eine andere Hand Verbesserungen sowie den unten Anm. 164 erwähn- ten Randvermerk eingetragen.
.
Abgesehen davon, daß
[p. LXV]
[scan. 65]
hier zum ersten Mal auf französischer Seite dem Herrschaftstitel ‚Landgrafschaft‘ besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird, zeigt sich, daß die Gesandten damit gerechnet hatten, im Unterelsaß mehr zu erhalten als nur die Reichslandvogtei. Was sie vermißten, war offensichtlich die von Trauttmansdorff angebotene Sou- veränität über das Unterelsaß und damit, wie sie bereits gefolgert hatten, über die Reichsstädte.
Die französische Antwort, die die Gesandten am 1. Juni 1646 erst mündlich und dann in schriftlicher Form dem Nuntius gaben
nr. 304 S. 1068 Z. 23–28; Contarini konnte wegen einer Erkrankung nicht zugegen sein, vgl. Diarium Chigi
(APW III C 1, 1 S. 308).
, formulierte daher als Forde- rung die Abtretung von Breisach und in Einklang mit dem Angebot Trauttmans- dorffs die von Kaiser, Reich und Habsburgern zu bestätigende volle Souveränität über Ober- und Unterelsaß sowie über den Sundgau mit Ausnahme der Besitzun- gen der Stifter und Städte Straßburg und Basel. Da der Souveränitätserwerb des ganzen Elsaß die Grundlage für die Abtretungen bildete, entfielen folgerichtig die Nennung eines Herrschaftstitels, der partielle Abtretungen zuließ, und auch die Garantie der Restitution der Reichsstände: Les plénipotentiaires de France en- tendent que pour éviter toutes sortes de contestations à l’avenir, outre la ces- sion qui se fera en bonne forme de tous les droitz et prétentions de l’Empe- reur et de l’Empire dans toute l’estendue des villes et éveschés de Metz, Thoul et Verdun, comme aussy sur la place de Moyenvic et sur la ville et chasteau de Pignerol avec tout ce qui en dépend contenu en l’acquisition qui en a esté faitte de la maison de Savoie, la ville et forteresse de Brisach, son territoire et ses dépendances, la Haute- et Basse-Alsace et le Suntgau demeureront au Roy et à ses successeurs à la couronne de France à perpétuité et appartiendront à l’avenir à la couronne de France en toute propriété et souveraineté francs et quittes de toutes sortes de sujettions et deppendences quelles qu’elles puissent estre et que pour cet effect les déclarations, cessions et renonciations tant de l’Empereur et de l’Empire que de la maison d’Austriche seront fournies en bonne forme sous aucune réserve ny exception hormis pour ce qui appartient dans lesditz pais aux évesques et vil- les de Strasbourg et de Basle
Beilage 2 zu nr. 304, hier fol. 416’-417.
.
[p. LXVI]
[scan. 66]
Die Antwort gliedert die französische Satisfaktionsforderung in zwei Teile, indem zuerst parenthetisch die Städte und Hochstifter Metz, Toul und Verdun sowie die Festungen Moyenvic und Pinerolo und dann erst Breisach und die beiden Elsaß genannt werden. Diese Anordnung war ein Ergebnis der letzten Redaktion durch die Hand des Schreibers Serviens. Im erwähnten dritten Konzept
lautete der Passus zunächst: Les plénipotentiaires de France entendent que pour éviter toutes sortes de contestations à l’avenir, tous les droictz et prétentions de l’Empereur et de l’Empire et de la maison d’Austriche dans toute l’estendue des villes et éveschez de Metz, Thoul et Verdun, dans les deux Alsaces, et le Sundgaw (sans toutesfois y comprendre ce qui appartient aux évesques et villes de Strasbourg et de Basle dans lesdits pays), la ville de Brisac, son territoire et ses deppendances, la place de Moyenvic, la ville et chasteau de Pignerol avec tout ce qui en deppend contenu en l’acquisition qui en a esté faicte de la maison de Savoye, seront cédez au Roy et à ses successeurs à la couronne de France à perpétuité, et que tous lesdits pays et places appartiendront à l’avenir à la couronne de France en toute propriété et souveraineté, francz et quittes de toutes sortes de subjections et deppendances quelles qu’elles puissent estre, et que pour cet effect les déclarations, cessions et renonciations nécessaires seront fournies en bonne forme.
Man hat den Eindruck, daß das im Entwurf zunächst fest geschnürte Bündel aller Abtretungsforderungen wieder gelöst wurde, um den unstrittigen ersten Teil nicht mehr zur Diskussion stellen zu lassen, die wegen der Forderung nach Souveränität im Unterelsaß zu erwarten war.
Was aber verbanden die französischen Gesandten mit dieser Forderung? Es gibt einige Hinweise, daß sie diese aus taktischen Gründen in die Verhandlungen ein- gebracht haben.
Freilich waren solche Absichten für Außenstehende nicht zu erkennen. Für Gene- ral Erlach bedeutete die französische Forderung, daß damit nicht nur ein An- spruch auf die Reichsstädte, sondern auf das gesamte Elsaß in seiner geographi- schen Ausdehnung erhoben wurde, denn nicht nur Colmar, sondern auch viele andere seien davon betroffen, namentlich Württemberg wegen der Grafschaft Mömpelgard, die Hanauer Grafen und die Reichsritterschaft
Erlach ließ seine Stellungnahme durch seinen Sekretär nach Münster übermitteln: Stotz an Stenglin, Breisach 1646 VI 16, Kopie:
Bern , XV.
37 S. 61f., Teildruck bei
Jacob S.
328f.; deutsches Konzept dazu in
Bern , XXVII. 72
nr. 61, datiert 1646 VI 6/16.
.
Ob dies tatsächlich die Intention der Gesandten war, ob also auf diese Weise die unzulänglichen Gewinne, die sie im Unterelsaß durch den Erwerb der kaiser- lichen Besitzungen erwarten konnten, aufgewogen werden sollten, ist aber nicht sicher.
Aus einem Bericht Stenglins an Stotz wird deutlich, daß man in der französischen Gesandtschaft sehr wohl wußte, daß die Forderung nach dem Unterelsaß sich auf
[p. LXVII]
[scan. 67]
mehr erstreckte als auf ausschließlich Habsburgisches. Abgesehen von der Klärung der Verhältnisse im Oberelsaß und Sundgau ging es seiner Darstellung zufolge vor allem um die Dekapolis und auch um Verhandlungstaktik. Nach einer nicht ganz korrekten Schilderung des kaiserlichen Angebotes erklärt Stenglin die Ab- sicht der französischen Gesandten bei ihrer Formulierung der Satisfaktionsforde- rung vom 1. Juni, nimmt eine erste Abschätzung der Reaktion der Reichsstadt Colmar als des wichtigsten Betroffenen vor und deutet die Möglichkeit an, daß die Forderung mit der Abtretung der Waldstädte abgewendet werden könne: Les- dits Impériaux offrent maintenant Brisach, les deux Alsaces et le Sundgau non plus en fief de l’Empire come [!] au commencement mais ils veulent lais- ser ces pièces-là en souveraineté à la France et les luy céder sans dépendance quelconque. Cela a donné subject a Messeigneurs les plénipotentiaires pour éviter toute sorte de brouilleries qui pourroient arriver dans l’Alsace si partie des terres estoient en souveraineté à la France et quelques autres dépendissent de l’Empire come seroient les dix villes de la Landvogtey Haguenau et quel- ques autres terres, de demander aussi la souveraineté pour la France sur tout le reste qui est dans l’Alsace outre le domaine de la maison d’Austriche, à la réserve pourtant de ce qui appartient aux éveschez et villes de Strasbourg et de Basle, à quoy ils ne veulent pas toucher. L’on traittera de cet article au retour de monsieur le comte de Trautmansdorff qui est allé à Osnabrügg. Cette proposition ou demande de la France commence à n’estre pas treuvée si estrange qu’elle paroissoit les premiers jours qu’elle fust faite, et il semble que ce sera la ville de Colmar qui y pourra avoir le plus à dire, estant la plus considérable elle peut estre asseurée que l’on donnera toute satisfaction en cas que ce projet passe à l’effet. Que si toutefois la maison d’Austriche veut laisser à la France les villes forestières, elle désistera de sa prétention des dix villes susdittes, et c’est en quoy il y aura de la contrariété entre Austriche et les estats de l’Empire, car ceux-cy ne se soucient pas des villes forestières et ont peine à quitter tout d’un coup dix villes Impériales qui seront retranchées de l’Empire, au lieu que les autres en donneroient encor le double s’il y estoit pourveu que lesdittes villes forestières leur demeurent
Stenglin an Stotz, Münster 1646 VI 8, Ausf.:
Bern , XXVII.
72 nr. 64.
.
Die Gesandten gaben in ihrer an den Hof geschickten Erläuterung an, daß sie mehr forderten, als sie zu erhalten beabsichtigten, um die Kaiserlichen in deren Forderungen zu mäßigen. Darüber hinaus hatten sie aber noch einen weiteren und schwerer wiegenden Grund: Sie konnten das kaiserliche Angebot nicht anneh- men , weil sie noch nicht ihre Zusage einer allgemeinen Waffenruhe erfüllen konn- ten , die sie gegenüber den bayerischen Ge- sandten am 12. April 1646 gemacht hatten, denn die Schweden verweigerten sich noch
nr. 304 S. 1068 Z. 34 – S. 1069 Z. 5.
. Sie waren also gezwungen, weiter zu verhandeln, um keinen Wortbruch zu begehen.
[p. LXVIII]
[scan. 68]
Die Themen solcher weiterer Verhandlungen lassen sich aus dem nach Paris ge- schickten Text ihrer Antwort vom 1. Juni 1646 entnehmen. Bei ihren Ausführun- gen zu Punkt 7 der
postrema declaratio, der sich auf die Festung Philippsburg bezieht, steht ein aus dem dritten Konzept übernommener Randvermerk, der daran erinnert, daß beim Vortrag der Antwort vor den Mediatoren das, was Philippsburg und die Form des Besitzes des Unterelsaß betreffe, in einen Zusam- menhang gestellt werden müsse mit den Fragen, die sich für Lindau und für die Festungen Hohentwiel, Neuenburg, Benfeld und Zabern sowie für die Schulden- höhe der abzutretenden habsburgischen Besitzungen und für die Entschädigung der Erzherzöge ergeben
Beilage 2 zu nr. 304, hier fol. 418’: Se souvenir en parlant à messieurs les médiateurs que cet article et celuy qui concerne la forme de posséder la Basse-Alsace doivent estre joinctz avec ceux de Lindau, de Hohentviel, de Neubourg, de Benfeld, de Savern, de la quantité des debtes et de la récompense en argent pour les archiducs.
Diese Marginale ist auch in das Duplikat für Mazarin aufgenommen (vgl. nr. 304 Beilage 2 S. 1072 Anm. 9), fehlt aber in allen anderen Kopien.
. Das Unterelsaß wurde also von den französischen Gesandten eingebettet in Problembereiche, bei denen sie noch Fortschritte zu ihren Gunsten erwarteten.
Der Ausgang der Elsaßverhandlungen war aus französischer Sicht noch offen, nun aber durch die Forderung vom 1. Juni um eine weitere Option bereichert, die – jedenfalls nach den vorhandenen Quellen – auf Servien zurückzuführen ist. Da noch nichts entschieden war, ist auch verständlich, warum die Frage einer franzö- sischen Reichsstandschaft weiterhin diskutiert wurde, wozu am Tag der Überstel- lung der französischen Antwort Josias Glaser ein Memorandum vorlegte, in dem er für eine solche Reichsstandschaft plädierte
Anhang 7; den Gesandten war im März und April 1646 angekündigt worden, daß Glaser über Straßburg nach Münster kommen werde, vgl. nr. 152 S. 547 Z. 34 und nr. 200 S. 688 Z. 8–11; am 21. März 1646 war der königliche Auftrag an ihn ergangen (vgl.
Reuss
S. 296); im September 1646 reiste er offenbar nach Straßburg zurück (vgl. das Empfehlungsschreiben der Gesandten für ihn an Erlach, Münster 1646 IX 11, Kopie:
Bern
, XV. 37 S. 86.) und erhielt im November erneut eine Weisung, nach Münster zu reisen (Glaser an Erlach, Straß- burg 1646 XI 16/26, Ausf.:
Bern
, XV. 33 nr. 156). In einem Memorandum, das aus inhalt- lichen Gründen in die Zeit nach dem Ulmer Vertrag (14. März 1647) gehört, bewarb sich Glaser bei der französischen Krone um einen Auftrag, die Herrschaftsrechte im Elsaß und Breisgau zu erfassen. Er berichtete darin, er sei nach seinem letzten Aufenthalt in Münster in die Hand der Feinde gefallen, habe Kutsche, Pferde und Gepäck verloren und habe für seine Freilassung Lösegeld zahlen müssen (eigenhändige Ausf.:
AE
,
MD
Alsace 10 fol. 40–41’, datiert von anderer Hand: 1645; Glaser erwähnt jedoch, daß Heilbronn nun in französischer Hand sei; dieses hielten die Franzosen nach dem Ulmer Vertrag bis 1650 besetzt); vgl. zu ihm auch
Stein , Protection S. 85;
LIVET, Glaser.
.
Aus den französischen Quellen wird deutlich, daß im Verlauf der Verhandlungen es das erste Ziel der Gesandten gewesen war, zuverlässige Auskünfte über das zu erhalten, was im Elsaß habsburgischer Besitz war. Das Godefroy-Gutachten war dafür nicht präzise genug, und auch durch die Beiträge Erlachs scheint der Infor- mationsbedarf nicht befriedigt worden zu sei. Deshalb bekundeten die Gesandten
[p. LXIX]
[scan. 69]
noch Ende März 1646, daß sie nicht ausreichend informiert seien. Die uneindeu- tige Ausdrucksweise, derer sie sich in den Verhandlungen mit Absicht bedienten, resultierte daher aus diesem Nichtwissen.
Im Verlauf des Monats April wuchs ihr Kenntnisstand so weit an, daß ihre Dik- tion präziser werden konnte. Dazu hatten ihnen interne Gutachten sowie das Me- morandum Vautortes verholfen. Diese Quellen zeigen, daß die Gesandten schritt- weise ein zuverlässiges Bild über die habsburgische Herrschaft im Elsaß gewan- nen . Ganz im Gegensatz zu ihren kaiserlichen Verhandlungsgegnern schenkten sie der Frage des Herrschaftstitels und der Frage der daraus abzuleitenden Rechte bemerkenswert wenig Aufmerksamkeit. Sie differenzierten auch nicht zwischen den Verhältnissen im Ober- und Unterelsaß.
Dennoch zeigte spätestens das Gutachten Vautortes, daß das kaiserliche Angebot seine Tücken besaß. Was von seiten des Kaisers als habsburgischer Besitz angebo- ten wurde, konnte in dieser Qualität bestritten werden, und dies bezog Vautorte nicht auf das Unterelsaß, sondern auf das Oberelsaß, denn dort wurde mit habs- burgischen Usurpationen auf Kosten von Reichsunmittelbaren gerechnet.
Das französische Verhandlungsziel war daher auf Abmachungen gerichtet, die in beiden Teilen des Elsaß zu klaren Verhältnissen führen sollten. Wenn es um abzu- tretende kaiserliche Rechte über Reichsunmittelbare ging, dann war damit stets auch das Oberelsaß gemeint, wo die habsburgische Herrschaft nicht als in jeder Hinsicht unbestritten angesehen wurde. Es deutet nichts darauf hin, daß Frank- reich im Unterelsaß mehr als die Reichslandvogtei erwartete. Das Gutachten Stenglins stellte Unterelsaß und Landvogtei einmal gleich, obwohl es die Unab- hängigkeit der übrigen Herrschaften und der Ritterschaft im Unterelsaß be- schrieb , und auch die Gesandten verstanden unter der am 2. April 1646 teilweise angebotenen Reichslandvogtei das Unterelsaß.
Aber es ist nicht auszuschließen, daß sie die Rechte der Landvogtei über die Reichs- städte im Elsaß höher einschätzten, als sie tatsächlich waren. Die zweifachen Aus- führungen in dem Gutachten Stenglins konnten möglicherweise einen solchen Ein- druck vermitteln, vielleicht auch die Ausführungen in der kaiserlichen Teilduplik vom 22. März 1646 auf die französische Satisfaktionsforderung. Als durch das Schreiben Erlachs diese Unklarheiten ausgeräumt waren, begannen jedenfalls die Versuche, sich die Reichsstädte dennoch zu sichern. Und von daher wird die Re- aktion auf das Souveränitätsangebot Trauttmansdorffs verständlich, das nach den vorhandenen Quellen sogleich auf die Folgen für die Dekapolis hin interpretiert wurde. Die Gesandten wußten, daß diese nicht über die Landvogtei zu haben war, und gaben daher spätestens in ihrer Antwort auf die
postrema declaratio ihren immer verkündeten Grundsatz auf, für ihre Satisfaktion im Reich nur Habs- burgisches zu verlangen. Allerdings waren nun von ihrer Souveränitätsforderung im Unterelsaß weit mehr Reichsstände als nur die Reichsstädte betroffen.
Auch für die Rolle Bayerns in den Verhandlungen läßt sich ein klareres Bild ge- winnen . Die enge Zusammenarbeit Bayerns mit Frankreich war schon den Zeit- genossen nicht verborgen geblieben. Sie resultierte letztlich aus dem politischen Interesse Maximilians, seine im Verlauf des Dreißigjährigen Krieges erreichte Po- sition nicht durch eine aussichtslose Kriegsführung an der Seite des Kaisers gefähr- den zu lassen. Grundlage der Kooperation war das gemeinsame Ziel eines Frie- densschlusses , der das Elsaß an Frankreich brachte und Bayern die Kurwürde be- wahrte . Für die französische Seite war Bayern bei den konkreten Verhandlungen aber nur eine, nicht die einzige Stütze. Die bayerischen Ge- sandten waren vorzüg- lich in ihrer Funktion der Vermittlung. Aufgrund der unbestrittenen Absicht Ma- ximilians , Frankreich zu seiner Satisfaktion zu verhelfen, hatten sie das Vertrauen der Franzosen, wodurch eine sinnvolle Vermittlertätigkeit erst möglich wurde. Allerdings mußten die französischen Gesandten auch die Grenzen einer solchen Aufgabe erfahren, denn soweit die Quellen hierzu eine Aussage zulassen, spiegel- ten die Auskünfte der Bayern in vielem eben nur das wider, was sie von den kaiserlichen Vertretern erfahren hatten.
Wichtiger war die Korrespondenz, die Maximilian mit dem Pariser Nuntius Bagno führte und die Mazarin wie auch den französischen Gesandten in Münster zur Kenntnis kam. Aber auch hieraus ging eigentlich nur hervor, daß Maximilian sich im Sinne der Kooperation mit Frankreich um dessen Satisfaktion bemühte. Lediglich Ende März und erneut in der zweiten Hälfte des Aprils 1646 kamen direkte Informationen durch Maximilian, daß er die Bewilligung der Elsaßsatis- faktion durch den Kaiser erreicht habe. Diese Nachricht erhielt ihren Wert aber auch dadurch, daß sie Mazarin gleichlautend von einem Informanten am kaiser- lichen Hof zuging und von diesem noch präzisiert wurde. Unabhängig davon verfügte auch d’Avaux über solche Erkenntnisse, über deren Herkunft die Quellen keine Auskunft geben. Von Seiten der bayerischen Gesandten wurde der Sachver- halt schließlich bestätigt, als die Verhandlungen unmittelbar vor dem Elsaßange- bot vom 14. April 1646 intensiviert wurden. Jetzt konnten die bayerischen Gesandten ihren Einfluß bei den Franzosen geltend machen, der kaiserlichen Forde- rung nach einer Waffenruhe zuzustimmen, trotz der offenen Frage, ob auch Brei- sach abgetreten werde. Auf Breisach machten sie den Franzosen weiter Hoffnung, ohne allerdings zu erkennen zu geben, daß sie dazu über sicheres Wissen verfüg- ten . Aus französischer Sicht war die Rolle der bayerischen Gesandten im Ver- handlungsablauf im wesentlichen also die, förderliche Rahmenbedingungen für einen zügigen Verlauf herzustellen; die Ergebnisse lassen sich aber nicht primär auf ihr Wirken zurückführen.
b) Die Verhandlungen mit Spanien und die Rolle der Generalstaaten der Niederlande
Während in den Verhandlungen mit dem Kaiser die Aussichten Frankreichs auf Erfolge stetig zunahmen, gestalteten sich die Verhandlungen mit Spanien erheb- lich ungünstiger.
Am 21. März 1646 trugen die Spanier auf Drängen Trauttmansdorffs
den Mediatoren ihre Proposition vor, die diese noch am gleichen Tag den Franzosen zur
[p. LXXI]
[scan. 71]
Kenntnis gaben
Vgl. nr. 186 S. 640 Z. 28 – S. 641 Z. 6. Die spanische Proposition ist in den französischen Akten in einer italienischen Fassung überliefert, der jeweils eine französische Version vorange- stellt ist (Kopien, datiert 1646 III 21:
AE
,
CP
All. 64 fol. 119–120;
AE
,
CP
All. 63 fol. 270–271;
BN,
Coll.
Dupuy 738 fol. 16–17’;
AN K 1335 nr. 27; Kopie datiert 1646 III 20:
AE
,
CP
All. 64 fol. 119–120, mit resümierendem Schlußvermerk im italienischen Text). Die französische Fassung stammt von Godefroy (Erstes Konzept von eigener Hand:
AN K 1335 nr. 29; Zweites Konzept von eigener Hand:
AN K 1335 nr. 28) und stimmt nahezu völlig mit den Aufzeichnungen Chigis (
Rom ,
Chig.
Lat.
Q III 57 fol. 18 und fol. 23) und mit dessen Bericht, Münster 1646 III 23, überein
(Rom, NP 19 fol. 127–131’; Kopie:
Chig.
Lat. A I 14 fol. 72–75’), die italienische Fassung ist hingegen ungenau, vgl. dazu unten Anm. 169.
. Im Namen des spanischen Königs
Dickmann S. 268 meint, die Proposition sei im Namen des Gesamthauses Habsburg gesche- hen ; es werden jedoch der Kaiser, alle Erzherzöge, die Kurfürsten und Reichsstände sowie der Herzog von Lothringen lediglich zu Partnern des zu schließenden Friedens erklärt.
wurden die flandrischen Plätze Bapaume, Hesdin und Landrecies sowie das luxemburgische Damvillers als Satisfaktion angeboten und die Restitution aller übrigen Territorien gefordert. In Italien sollten die von beiden Parteien besetzten Plätze an Savoyen und Mantua zurückgegeben werden. Sollte Frankreich an Pinerolo festhalten und sollte der Kaiser als Lehnsherr dem zustimmen, dann sollten die Befestigungen von Casale geschleift werden
Nach der in Anm. 167 erwähnten italienischen Fassung des spanischen Angebotes sollte auch Pinerolo an Savoyen zurückgegeben werden: Con restituir Pinarolo al duca di Savoia et Casale al duca di Mantova. Overo in caso di controversia per detta piazza che questa venga demolita
(fol. 122), die Übersetzung formulierte allerdings richtig: 5. Que Pinerol soit rendu au duc de Savoye. 6. Et au cas que cela ne se fasse, que la forteresse de Casal soit démolie
(fol. 121).
.
Am 26. März 1646
Diarium Chigi (APW
III C 1, 1 S. 300).
wiesen die Franzosen dieses Angebot gegenüber den Media- toren als unzureichend zurück und trugen ihrerseits vierzehn Punkte für die Ver- handlungen über den Friedensschluß mit Spanien vor. Dabei gingen sie, wie sie selbst berichteten, besonders auf die italienischen Angelegenheiten ein. An Pinerolo und an der Kontrolle Casales wollten sie festhalten. Die Beziehungen zwischen Savoyen und Mantua sollten nach den Bestimmungen des Vertrages von Cherasco (1631), die Verhältnisse im Veltlin auf dem Status des Jahres 1617 geregelt wer- den . Im Rahmen der Rückgabe der von den Kronen besetzten Plätze müsse Spa- nien auch Sabbioneta und Correggio räumen. Zur Friedenssicherung sollte in Ita- lien eine Liga geschlossen werden, der auch der spanische König beitreten könne. Völlig unannehmbar erschien ihnen die territoriale Regelung. Das spanische An- gebot der vier Plätze in Flandern und Luxemburg bezeichneten sie als lächerlich. Solange der spanische König Navarra in Besitz halte, sei Frankreich nicht bereit, etwas von seinen Eroberungen herauszugeben
Vgl. den Bericht der Gesandten in nr. 192 S. 658–662; abgesehen von diesem Bericht gibt es für die am 26. März 1646 vorgetragenen französischen Bedingungen noch keinen Nachweis in der französischen Aktenüberlieferung. Aus dem Bericht Chigis, Münster 1646 III 30, geht her- vor , daß die Gesandten sich für ihren Vortrag auf mitgebrachte Aufzeichnungen stützten (tenendo una lunga scrittura in mano,
Rom , NP
19 fol. 142–145’, hier fol. 143; Kopie:
Chig.
Lat.
A I 14 fol. 79–81’). Die vierzehn Punkte wurden von Chigi notiert (vgl. seine Aufzeichnung in
Rom ,
Chig.
Lat. Q
III 57 fol. 19–20) und am gleichen Tag an die Spanier gegeben, die eine spanische Übersetzung anfertigten. Davon befindet sich eine Kopie in
Ma- drid , AHN 967,
und eine weitere mit lateinischen Randbemerkungen von der Hand des kaiserlichen Gesandten Volmar in
Wien ,
RK
FrA
Fasz.
92 VIII fol. 171–171’. In den französischen Akten lassen sich lediglich drei undatierte Stücke unter den Papieren Serviens als vermutliche Vorarbeiten für die vierzehn Punkte ausmachen, überschrieben
Pour le traitté de Querasque (
AE
,
CP
All.
59 fol. 339–339’), Pour le fait des Grisons
(fol. 340–340’), Ex- traict de ce qui a esté réformé en l’article de Casal
(fol. 341). Godefroy hat sich, wie seine Papiere ausweisen, mit dem spanischen Vorschlag befaßt, in den Vertrag eine Klausel aufzu- nehmen , die die Vertragspartner zu amis des amis et ennemis des ennemis
erklären sollte: Comme il a esté convenu entre plusieurs rois et princes aux traictez de paix, ou de con- fédération et alliance 1. d’estre amis des amis, et 2. ennemis des ennemis
(Kopie:
Coll.
God.
21 fol. 35–36’).
.
[p. LXXII]
[scan. 72]
Am 21. April 1646 teilten ihnen die Mediatoren die Antwort der Spanier mit
Die Spanier hatten ihre Stellungnahme am 20. April 1646 den Me- diatoren eröffnet, vgl. die Aufzeichnung Chigis darüber in
Rom ,
Chig.
Lat.
Q III 57 fol. 21. Nach dem Bericht des Nuntius vom 20. April 1646 haben die Mediatoren noch am gleichen Tag die Franzosen informiert (
Rom
, NP 19 fol. 184–186, hier 185’; Kopie:
Chig.
Lat. A 114 fol. 104–106), doch widerspricht diese Angabe nicht nur der Datierung im Bericht der französischen Gesand- ten (nr. 248), sondern auch seiner Eintragung im Tagebuch
(APW III C 1, 1 S. 303).
. In Italien wurde Pinerolo den Franzosen zugestanden, nicht aber Casale. Correg- gio und Sabbioneta sollten von den Friedensregelungen ausgenommen werden. Beträchtlich waren die territorialen Konzessionen, über die nicht wesentlich hin- ausging , was Frankreich später im Pyrenäenfrieden erhalten hat: Die Grafschaft Roussillon sollte abgetreten werden, ebenso Arras und die Territorien, die in der Grafschaft Artois unter französischer Besatzung standen, wozu noch die bereits angebotenen Plätze Landrecies in der Grafschaft Hainaut (Hennegau) und das luxemburgische Damvillers kamen. Darüber hinaus stimmte Spanien auch der Abtretung des Elsaß zu und war bereit, die rheinische Pfalz und die Festung Fran- kenthal zu räumen. In der Frage der Behandlung der französischen Verbündeten wurde für Katalonien zugesagt, die Aufständischen zu amnestieren und die Privi- legien des Landes nicht anzutasten. Mit den Niederlanden sollte weiter verhan- delt werden. Erwartet wurde von spanischer Seite aber, daß Frankreich seine Un- terstützung für Portugal einstelle
Vgl. den Bericht der Gesandten in nr. 248 S. 852f., 856 Z. 13–20; das spanische Angebot wurde zusammen mit der französischen Antwort als Beilage zu diesem Bericht nach Paris geschickt.
.
Da die Mediatoren alle Vorschläge nicht als formelles Angebot vorbrachten, son- dern als die Spanier nicht bindende eigene Überlegungen betrachtet wissen woll- ten , gingen die Franzosen darauf nicht weiter ein, sondern machten ein verbind- liches spanisches Angebot zur Bedingung weiterer Verhandlungen
.
Dieser Forderung kamen die Mediatoren nach. Am 23. April 1646 trugen sie alle Punkte noch einmal vor, diesmal im Auftrag der spanischen Gesandten, mit de- nen sie sich unmittelbar zuvor darüber abgesprochen hatten
nr. 248 S. 856 Z. 26–32, vgl. Diarium Chigi 1646 IV 23
(APW III C 1, 1 S. 303) und seinen Bericht, Münster 1646 IV 27, in
Rom
, NP 19 fol. 201–208’; Kopie:
Chig.
Lat. A 114 fol. 106’-112’. In den Akten Chigis sind Stichworte des spanischen Angebotes vom 23. April 1646 zu finden (
Rom ,
Chigi
Lat.
Q III 57 fol. 23’). Sie stellen aber nur eine kürzere Fassung dessen dar, was der Nuntius sich darüber bereits am 20. April 1646 notiert hatte (
ebenda fol. 22).
.
[p. LXXIII]
[scan. 73]
Nach Beratungen mit den Niederländern und Portugiesen nahmen die Franzosen am 24. April 1646 vor den Mediatoren dazu Stellung
. Während sie bei den italienischen Fragen Entgegenkommen signalisierten, indem sie die Möglichkeit einer einvernehmlichen Lösung für Casale einräumten und nicht weiter auf Cor- reggio bestanden
Dazu hatten sie entsprechende Weisungen erhalten, vgl. nr. 214.
, zeigten sie zur großen Enttäuschung der Vermittler bei den territorialen Fragen kein Entgegenkommen. Als, wie sie betonten, letztes Angebot vor dem beginnenden Feldzug forderten sie weiterhin, daß alle besetzten Territo- rien in den Niederlanden und in der Freigrafschaft Burgund bei Frankreich ver- bleiben müßten. Allerdings könne man Plätze tauschen. Schließlich sollte Spanien mit Katalonien und Portugal einen Waffenstillstand von gleicher Dauer abschlie- ßen , wie der, der von den fortzuführenden spanisch-niederländischen Verhand- lungen zu erwarten wäre
Der erste Teil der französischen Stellungnahme wurde von Chigi in Stichworten protokolliert (
Rom ,
Chig.
Lat.
Q III 57 fol. 22–22’), über den zweiten Teil mit den territorialen Fragen und mit der Waffenstillstandsforderung für die Verbündeten setzte er einen ausführlichen Schriftsatz auf, der am Schluß noch die mündliche Mitteilung der Franzosen enthält, daß eine Abtretung des Roussillon auch Rosas einschließen müsse und daß Gravelines, Bourbourg und Thionville nicht in den angebotenen Tausch befestigter Plätze einbezogen werden dürften (
ebenda fol. 24–24’). Der Schriftsatz ist ohne die Notiz der mündlichen Mitteilung in italie- nischer Sprache auch in den fran- zösischen Akten überliefert, vgl. Beilage zu nr. 250.
.
Bei diesen Forderungen ging es den Gesandten vor allem darum, Portugiesen und Katalanen nicht den Eindruck zu vermitteln, daß deren Belange von Frankreich nicht mehr berücksichtigt würden. Auch sollte ein Verzicht Frankreichs auf Kata- lonien von Spanien möglichst duch einen Ländertausch erkauft werden müssen, obgleich die Gesandten feststellten, daß solche Vorschläge bisher keinerlei Reso- nanz gefunden hatten
. Ihre Antwort machte deutlich, daß sie noch nicht den Zeitpunkt gekommen sahen, sich in den Verhandlungen mit Spanien verbindlich festzulegen. Die optimistischen Prognosen für den Feldzug ließen erwarten, daß die Voraussetzungen für ein Abkommen zugunsten Frankreichs noch verbessert werden könnten.
Gemessen an den Perspektiven, die sich für Frankreich in den Verhandlungen mit Spanien eröffneten, schien für die französische Seite die Tatsache weniger bedeut- sam , daß gleich nach dem Einzug der niederländischen Gesandten in Münster am 11. Januar 1646
nr. 69; die Informationen Mazarins in nr. 58 über die niederländischen Gesandten sind eine Paraphrase der Darstellung, die der spanische Gesandte Joseph de Bergaigne im Oktober 1645 für Philipp IV. verfertigt hatte, vgl.
CODOIN S. 183–185.
intensive Verhandlungen zwischen den Niederlanden und Spanien aufgenommen worden waren, die einem erfolgreichen Abschluß zuzustre- ben schienen. Schon Ende Januar 1646 berichteten die Gesandten von Gerüchten, daß bei entsprechenden spanischen Angeboten die Generalstaaten zu einem Ab- schluß bereit seien
nr. 87 S. 304 Z. 32–34, vgl. auch nr. 88 S. 306 Z. 28 – S. 307 Z. 3.
.
Obwohl – oder vielleicht gerade weil – das Mißtrauen gegen den niederländi- schen Verbündeten und die Furcht vor dessen Ausscheren aus der Allianz stets wach blieben, zeigten die französischen Gesandten keine Bereitschaft, auf den in Münster wiederholt vorgetragenen Wunsch der Niederländer einzugehen, die im Allianzvertrag vom 1. März 1644 ausgesparte Frage zu klären, wie die französi- sche Hilfeleistung zu regeln sei, wenn Frankreich mit Spanien Frieden schloß, die Niederlande aber nur einen Waffenstillstand eingingen
Vgl. zu den 1644 geführten Verhandlungen
APW II B 1 S. XXXV-LV. Bereits im Dezember 1645 war die ganze Frage des 1644 nicht entschiedenen Artikels 9 zur Behandlung nach Münster verwiesen worden, vgl. nr. 33 S. 148f.
. Man sah auf französi- scher Seite die Gefahr, daß durch eine solche Festlegung die eigenen Verhandlun- gen mit Spanien gefährdet werden konnten. Denn eine Zusage französischer Hilfe an die Niederlande für die Zeit nach dem Auslaufen eines spanisch- niederländi- schen Waffenstillstandes ließ sich kaum mit einem Friedensvertrag zwischen Spa- nien und Frankreich in Einklang bringen
.
Die spanisch-niederländischen Verhandlungen schlugen sich in Schriftsätzen nie- der , die vom Dezember 1645 bis Ende Mai 1646 ausgetauscht wurden:
|
Spanien
|
Niederlande
|
1645 XII 2
|
Schreiben Castel Rodrigo
|
|
1645 XII 9
|
|
Antwort Generalstaaten
|
1646 I 24
|
Vollmachten
|
1646 I 28
|
Proposition
|
|
1646 IV 1
|
|
Entwurf für neue spanische Vollmachten
|
1646 V 5
|
Gemeinsame Festlegung des Verhandlungsmodus
|
1646 V 7
|
Zusage der neuen Vollmachten
|
|
1646 V 13
|
Proposition
|
Proposition (71 Artikel) auf Spanien I 28
|
1646 V 17
|
auf Niederlande V 13
|
auf Spanien V 13
|
1646 V 24
|
|
auf Spanien V 17
|
1646 V 27
|
auf Niederlande V 24
|
|
1646 V 30
|
|
auf Spanien V 27
|
[p. LXXV]
[scan. 75]
Frankreich war, wie die französische Aktenüberlieferung zeigt, anfangs über die einzelnen Schritte der spanisch-niederländischen Verhandlungen gut informiert, sei es durch Brasset, den französischen Residenten in Den Haag, sei es durch di- rekte Mitteilungen der niederländischen Vertreter in Münster.
So hatten die Gesandten unverzüglich Kenntnis von dem Briefwechsel Castel Rodrigos mit den Generalstaaten von Anfang Dezember 1645 erhalten. Der spa- nische Gouverneur hatte vorgeschlagen, Verhandlungen in Den Haag über einen Friedensschluß oder einen Waffenstillstand aufzunehmen, worauf die General- staaten zwar eingingen, aber an Münster als Ort der Verhandlungen festhielten
Vgl. nr. 30 S. 119 Anm. 32.
. Mazarin fand das spanische Vorgehen völlig unverständlich. Diese und andere Aktionen Castel Rodrigos, von denen er den Gesandten berichtete, zeigten ihm an, daß Spanien wohl am Ende seiner Kräfte stehen müsse. Er vermochte keinen sinnvollen Grund dafür zu erkennen, daß dieser Zustand der eigenen Bevölke- rung offenkundig gemacht werde durch ein Angebot, das alle Zeichen von
bas- sesse und
honte besitze
. Die Gesandten sahen hingegen Gefahren für Frank- reich heraufziehen, weil sie in der Antwort der Generalstaaten auf dieses erste Angebot der spanischen Seite die Erwähnung einer Einbeziehung Frankreichs in die zukünftigen Verhandlungen vermißten, während sie selbst seit fünfzehn Mo- naten auf der Beteiligung der Niederlande beharrt hätten
.
Auch bei den Vollmachten, die die Spanier am 24. Januar 1646 für die Verhand- lungen mit den Niederlanden vorlegten und die die französischen Gesandten in Abschrift erhielten
, stellten sie fest, daß die Verbündeten der Niederlande nicht erwähnt seien und daß der Wortlaut das Ziel eines spanisch-niederländischen Se- paratabkommens anzeige
Beilage 3 zu nr. 102; diese Liste der französischen Beanstandungen war den Niederländern am 27. Januar 1646 überreicht worden (vgl.
Den
Haag 8411 fol. 62).
. Sie drängten daher bei den Niederländern auf eine entsprechende Veränderung
, erzielten damit aber nur einen Teilerfolg. Der von den Generalstaaten selbst erstellte Änderungsentwurf für die spanische Vollmacht traf Ende März 1646 in Münster
ein
Beilage zu nr. 210; die Beratungen der Generalstaaten hatten am 24. Februar und am 22. März 1646 stattgefunden, vgl.
Aitzema , Historia S. 356–358, 367–369, und der in niederländischer Sprache verfaßte Entwurf traf am 30. März 1646 in Münster ein, wo er in französischer Übersetzung zwei Tage später den Spaniern ausgehändigt wurde; vgl.
Den
Haag 8411 fol. 124–126 und Fernández del Campo an Coloma 1646 III 31 in
Madrid
, AHN 967 fol. 522.
. Am 1. April wurde er den spanischen Gesandten ausgehändigt, während er den Franzosen erst nach der Auslieferung an
[p. LXXVI]
[scan. 76]
die Spanier mitgeteilt wurde. Hier war die Forderung nach der Festlegung auf einen Gleichschritt der Verhandlungen nicht berücksichtigt worden
Vgl. den Bericht der Gesandten in nr. 210 S. 717 Z. 11–15 und die diesem Bericht zugrunde- liegende Analyse Serviens, Beilage zu nr. 211.
.
Zusammen mit den oben erwähnten spanischen Vollmachten kam den französi- schen Gesandten auch die erste spanische Proposition für die Verhandlungen mit den Niederlanden vom 28. Januar 1646 zur Kenntnis, in der Spanien einen Waf- fenstillstandsvertrag nach dem Muster des im Jahr 1609 geschlossenen Abkom- mens vorschlug
. Wegen der darüber in Den Haag angestellten Beratungen trat in Münster eine Verhandlungspause ein, die bis in die ersten Tage des Monats Mai 1646 andauerte. In der Zwischenzeit mußte Frankreich erleben, daß eine ge- schickte spanische Diplomatie die französische Politik ausnutzte, um die Friedens- bereitschaft der Vereinten Provinzen zu erhöhen.
Im Mittelpunkt dieser Vorgänge standen zwei Vorhaben: eine Heirat Ludwigs XIV. mit der spanischen Infantin Maria Teresa sowie die von Philipp IV. seiner Schwester Anne d’Autriche angetragene Schiedsrichterrolle in den spanisch- fran- zösischen Verhandlungen. Die Idee einer spanisch-französischen Heiratsverbin- dung war bereits ein Thema vertraulicher Überlegungen des Jahres 1645. Im Juni 1645 war sie von Contarini angesprochen worden, der Servien gegenüber die Heirat und als Mitgift die Niederlande und die Freigrafschaft Burgund als Wege zu einer Friedensregelung ins Gespräch gebracht hatte
APW II B 2 nr. 142 S. 450 und ebd. S. XLVf.
. Im Dezember 1645 be- richtete Mazarin, daß ihm gleiche Überlegungen aus Madrid zugetragen worden seien. Philipp IV. sei bereit, einer Heirat der Infantin mit dem Herzog von Anjou oder mit Ludwig XIV. selbst zuzustimmen und die spanischen Besitzungen in den Niederlanden sowie die Franche-Comté abzutreten. Als Gegenleistung solle Frankreich auf Katalonien und Roussillon verzichten und die Hilfe für Portugal einstellen. Mazarin verwies das Anbringen nach Münster und deutete es gegen- über den Gesandten als einen Ausdruck der extremen Notlage der spanischen Po- litik ; offenbar war er von der Ernsthaftigkeit überzeugt. Ihm erschien wichtig, darauf hinzuweisen, daß alle Absprachen vorsehen müßten, daß sie von Spanien nicht wieder in Frage gestellt würden, wenn sich dessen politische Situation wie- der verbessert habe
nr. 10 S. 35 Z. 4 – S. 36 Z. 5.
.
In Münster scheint das Thema besonders von Longueville mit Contarini bespro- chen worden zu sein, der seine Mitgesandten oder wenigstens Servien davon nicht unterrichtete, wie dieser unter Berufung auf Chigi später Mazarin meldete
.
Obwohl die spanische Seite sich zu der ganzen Frage nicht äußerte, wurde diese in der Korrespondenz der französischen Gesandten mit Mazarin von nun an zu ei- nem ständigen Thema. Die Gesandten hielten es in ihrer Antwort für richtig, entgegen den Bestimmungen ihrer Instruktion die niederländischen Vertreter noch nicht zu informieren, denn dies werde ein solches Vorhaben direkt zum Scheitern bringen
nr. 38 S. 165 Z. 21 – S. 166 Z. 10.
.
Auch Mazarin hielt dies für angebracht. Vorläufig war für ihn wichtig, daß das Projekt konkretere Gestalt gewann. Die Gesandten sollten versuchten, mit Hilfe eines Dritten die Spanier dazu zu bringen, entsprechende Verhandlungen aufzu- nehmen , ohne daß das französische Interesse daran deutlich werde
In nr. 73 S. 272 Z. 36 – S. 273 Z. 5 dachte er dabei an Trauttmansdorff.
. Überhaupt sollte mit aller Vorsicht vorgegangen werden, weil man der Aufrichtigkeit der spanischen Seite nicht sicher sein könne
nr. 60 S. 223 Z. 15 – S. 224 Z. 20.
.
Trotz dieses Vorbehaltes war Mazarin von der Aussicht auf den Erwerb der spa- nischen Territorien in den Niederlanden geradezu fasziniert. In zwei ausführli- chen Memoranden legte er seine Überlegungen über die Vorteile dar. Aus franzö- sischer Sicht sprachen dafür strategische Interessen, denn die Nordgrenze Frank- reich werde auf Dauer geschützt und ein Angriff auf die Hauptstadt in Zukunft unmöglich. Frankreich steige zur Großmacht auf, die Vereinigten Niederlande könnten als neue Nachbarn leichter kontrolliert werden, und schließlich eröffne sich mit der Heirat die Chance, zukünftig das ganze spanische Erbe anzutreten, was immer man an Verzichtserklärungen auch bei dem Vertragsschluß abgeben müsse
. Aus spanischer Sicht sah Mazarin die Vorteile darin, daß die spanische Monarchie nicht mehr in ihrer Substanz aufgezehrt wurde durch die Kosten, die das weit von den Kernlanden entfernt liegende Territorium verursache. Der Tausch gegen Katalonien beuge zudem der Gefahr vor, daß andere Kronländer, wie Aragón und Valencia, dem katalanischen Beispiel folgten, weil sie zu er- schöpft seien, weiterhin die geforderten Lasten zu tragen. Die bisherigen Interven- tionsmöglichkeiten von Flandern nach Frankreich böten keinen Vorteil gegenüber der Aussicht, in den verbleibenden Territorien ungestört Herrschaft ausüben zu können
.
Der Aufstieg Frankreichs zur Großmacht schien auch den Gesandten als sicher. Spanien werde seine Position verlieren und Frankreich werde in den Angelegen- heiten des Reiches und sogar in den Kaiserwahlen zum Schiedsrichter. Gerade wegen des Machtzuwachses fürchteten sie aber auch den Widerstand anderer Mächte, darunter der Niederlande und Englands
. Dies sah Mazarin aber nicht als unüberwindliches Problem an. Er wog erneut die Vor- und Nachteile für Frankreich und Spanien ab und ging auch auf die Interessen anderer Mächte ein. Spanien werde durch einen solchen Tausch seine Reputation wahren können;
[p. LXXVIII]
[scan. 78]
denkbar sei sogar, daß ihm ein Verzicht auf die wegen des Alters der Ehepartner ohnehin nur per procurationem abzuschließenden Heirat eingeräumt werde, so- fern der spanische König keinen Erben habe. Nur müsse auch dann das abgetre- tene spanische Territorium in den Niederlanden bei Frankreich verbleiben, sei es unter dem Rechtstitel des Tausches gegen Katalonien, sei es unter dem Rechtstitel eines im Krieg eroberten Gebietes. England könne nichts dagegen unternehmen, da es wegen seiner innenpolitischen Lage handlungsunfähig sei. Jedenfalls werde Frankreich für die Zukunft vor der
haine naturelle Englands geschützt. Portugal sei nicht betroffen, für Katalonien müßten Schutzbestimmungen ausgehandelt werden. Die Niederlande würden sich zwar sträuben, Frankreich zum Nachbarn zu haben, doch sehe schon der Vertrag von 1635 eine Teilung Flanderns vor; Antwerpen könne an die Generalstaaten abgetreten und von diesen an den Ora- nier gegeben werden
nr. 115; zu den Interessen der Vereinten Provinzen auch nr. 116.
.
Die Haltung der Vereinten Provinzen entsprach aber nicht den Erwartungen. Wohl nicht zu Unrecht waren Mazarin und die Gesandten davon ausgegangen, die Verbündeten erst zu informieren, wenn die Verhandlungen erfolgreich voran- gekommen seien, um diese nicht zu gefährden. Denn selbst wenn nicht die Aus- sicht auf die Nachbarschaft mit Frankreich den Widerstand wachrufen werde, dann doch die Furcht, daß mit dem Ende der äußeren Bedrohung eine zu große Ruhe im eigenen Land den bisher in Grenzen gehaltenen internen Querelen Raum schaffen werde. Auch der Prinz von Oranien werde an einem Ausgleich kein Interesse haben, denn seine militärische Bedeutung werde dann obsolet
.
Die Verhandlungen kamen aber nicht in Gang, weil die Spanier keine entspre- chenden Angebote machten. Sie ließen vielmehr das Projekt im Haag und in Westfalen publik werden, um Frankreich vor seinen Verbündeten bloßzustellen. Peñaranda ließ Anfang Februar 1646 die niederländischen Gesandten in Münster davon unterrichten
. Vermutlich im Auftrag Castel Rodrigos erhielt der Prinz von Oranien die Meldung, daß ein Friedensschluß zwischen Frankreich und Spa- nien durch die Heirat der Infantin und Ludwigs XIV. bevorstehe und daß dieser zum Nachteil der Vereinten Provinzen ausfallen könne. Darüber schrieb der Ora- nier an den französischen Gesandten d’Estrades, der von Mazarin daraufhin un- verzüglich zu dem Prinzen geschickt wurde, um für das Vorhaben zu werben und ihm Antwerpen als französisches Lehen anzubieten
nr. 109 S. 369 Z. 4 – S. 370 Z. 13.; seine Instruktion bei
Waddington II S. 402–405.
.
Die schwedischen Gesandten in Osnabrück wurden von Trauttmansdorff infor- miert , der Frankreich als Ziel seiner Absichten auf das Elsaß und auf die Nieder- lande die Universalmonarchie unterstellte, der sich der Kaiser so entgegenstellen werde wie schon immer entsprechenden spanischen Absichten. Longueville schloß
[p. LXXIX]
[scan. 79]
aus diesem spanischen Vorgehen zum ersten Mal auf die Gefährlichkeit des Ange- botes
nr. 133 S. 471 Z. 18–32; vgl. auch nr. 137 S. 495 Z. 25–44.
.
Hinzu kam von spanischer Seite ein zweiter Versuch, den Druck auf die General- staaten zu verstärken. Den französischen Gesandten wurde in Münster das Ersu- chen des spanischen Königs an seine Schwester Anne d’Autriche unterbreitet, sie solle als Schiedsrichterin über die Beilegung der spanisch-französischen Streitfra- gen entscheiden
. Während die Gesandten dieses Angebot auch auf Anraten der Mediatoren für so gewichtig hielten, daß sie es mit einem Sonderkurier an die Königin sandten, bewertete es der französische Hof von vornherein als ein Mittel, um zwischen Frankreich und seinen Verbündeten Zwietracht zu sähen. Hier schätzte man immer noch das Heiratsprojekt und den damit verbundenen Län- dertausch sehr hoch ein, zumal man davon ausging, die abzusehenden Wider- stände der Vereinten Provinzen überwinden zu können
. Diese Annahme schien sich zu bestätigen durch die Meldungen d’Estrades, daß der Prinz von Oranien mit dem Tauschplan einverstanden sei, dem man zutraute, auch die Generalstaa- ten dafür zu gewinnen. In demselben Schreiben berichtete Mazarin von der Auf- regung in den Vereinten Provinzen über die Meldung der Spanier, daß die Schiedsfunktion der Königin sich auch auf die spanisch-niederländischen Ver- handlungen beziehe
. Er kam immer noch nicht zu der Erkenntnis, daß das An- gebot der Schiedsfunktion und das Heiratsprojekt in einem engen Zusammenhang stehen und beides gezielte Mittel der spanischen Politik sein könnten, die Frie- densbereitschaft der aufständischen Provinzen zu erhöhen.
Die Gesandten und der französische Hof erfuhren aber bald, daß genau dieses von den Spaniern beabsichtigt war. Diese streuten nämlich in den Niederlanden ge- zielt das Gerücht aus, daß der spanisch-französische Friedensschluß durch Heirat und Ländertausch unmittelbar bevorstehe – Nachrichten, die die Vereinten Pro- vinzen in außerordentliche Unruhe versetzten
nr. 160 S. 561 Z. 23 – S. 562 Z. 14, nr. 165 S. 576 Z. 13–20, nr. 169 S. 598 – S. 602 Z. 17.
. Jetzt wurde auch der französi- schen Seite das Ziel des spanischen Vorgehens klar: die Vereinten Provinzen soll- ten irritiert und dazu verleitet werden, durch einen Separatabschluß mit Spanien Frankreich zuvorzukommen
nr. 166, 167, 169, 170, 186.
.
Frankreich war somit ein Opfer geschickter spanischer Taktik geworden. Wäh- rend die französisch-spanischen Verhandlungen nicht vorankamen, führten die niederländischen Vertreter ab Anfang Mai 1646 mit großem Selbstbewußtsein und unbeirrt von französischen Wünschen und Einwänden ihre Verhandlungen mit Spanien fort.
Am 5. Mai 1646 einigte man sich über den Verhandlungsmodus. Die Beratungen sollten abwechselnd im spanischen und im niederländischen Quartier stattfinden
[p. LXXX]
[scan. 80]
und die jeweiligen Gäste den Platz zur rechten Hand haben. Die Vereinbarungen sollten in französischer und niederländischer Sprache protokolliert werden, die so gefertigten Schriftsätze sollten sorgfälig kollationiert werden und gleiche authenti- sche Kraft haben. Verhandlungssprachen sollten Französisch und Niederländisch sein
Accord entre les plénipotentiaires du roy d’Espagne et ceux de la république des Provin- ces unies des Pays-Bas pour le regard des conférences alternativement en leurs hostels [1646 V 5],
Kopie (frz.) in
Coll.
God.
87 fol. 396–397; Druck (lat.):
Aitzema ,
Historia S. 376.
.
Zwei Tage später, am 7. Mai 1646, verpflichteten sich die spanischen Gesandten, bis Ende Juni neue Vollmachten vorzulegen, die den Forderungen der General- staaten entsprachen, was vor allem bedeutete, daß der spanische König darin die Freiheit der Vereinigten Niederlande anerkannte
Nach dem Entwurf der Generalstaaten sollte der spanische König seine Verhandlungspartner bezeichnen als les estats des provinces libres des Païs-Bas unis,
vgl. Beilage zu nr. 210, hier fol. 87 und fol. 87’.
. Die Spanier machten zur Be- dingung , daß schon vor dem Eintreffen der Vollmachten die Verhandlungen wei- tergingen . Nach Meinung der französischen Gesandten, die am folgenden Tag unterrichtet wurden, war so ein spanisch-niederländischer Friedensschluß binnen 24 Stunden möglich, wenn die Spanier ihre Zusage einhielten
nr. 258 S. 894 Z. 20 – S. 895 Z. 3; zum Datum der Mitteilung an die Franzosen (8. Mai 1646) vgl.
Den
Haag 8411 fol. 165–165’.
.
Die niederländischen Gesandten akzeptierten die spanische Bedingung und über- gaben am 13. Mai 1646 den Spaniern als Antwort auf deren Proposition vom 28. Januar 1646 einen Vertragsentwurf, der eine Präambel und 71 Artikel um- faßte und lediglich in der Präambel den französischen Verbündeten berücksich- tigte
. Den französischen Gesandten kam zunächst nicht der Inhalt der Artikel, sondern nur die Präambel zur Kenntnis, und diese zeigte, daß die französische Forderung nur unbefriedigend erfüllt worden war, daß nämlich in einer verbind- lichen Erklärung ein Abkommen von dem Einschluß Frankreichs abhängig zu machen sei
nr. 266 S. 923 Z. 37 – S. 929 Z. 23; der beanstandete Passus lautet: Idque secundum tracta- tum inter maiestatem regiam Galliae et foederati Belgii provinciarum praepotentes Do- minos Generales initum conclusumque ac secundum similem declarationem a regis Chri- stianissimi legatis extraordinariis et plenipotentiariis propositum, ut videlicet Gallis satis- fieret eorumque causa simul cum foederati Belgii praepotentium Dominorum Genera- lium causa conficeretur ac transigeretur,
Aitzema ,
Historia S. 379.
.
Während die niederländischen Gesandten ihren eigenen Schriftsatz vom 13. Mai 1646 bis auf die Präambel zurückhielten, informierten sie die Franzosen bereit- willig über das spanische Angebot vom gleichen Tag, das im wesentlichen den Inhalt der spanischen Proposition vom 28. Januar wiederholte und den Vorschlag eines Waffenstillstandes enthielt. Da dies nach Aussage der Niederländer ihren Instruktionen völlig zuwider laufe, würden sie auf eine Weiterleitung des spani- schen Schriftsatzes nach Den Haag verzichten
.
[p. LXXXI]
[scan. 81]
Dies scheint aber eine vorgeschobene Begründung gewesen zu sein. Wahrscheinli- cher ist, daß sie von den Spaniern Verhandlungen über die Substanz des künftigen Vertrages auf der Grundlage der 71 Artikel erwarteten. Gegenüber Frankreich trat man dabei sehr reserviert auf, wie schon das Zurückhalten von Informatio- nen über diese Artikel zeigte. Auf niederländischer Seite war das Mißtrauen gegen die Verhandlungsführung des Verbündeten nicht geringer als auf französischer. Es sei mit Mehrheit beschlossen worden, so wurden die französischen Gesandten be- schieden , sie erst dann über die Artikel zu informieren, wenn die spanische Ant- wort vorliege. Lediglich Servien erhielt von dem Gesandten Nederhost vertrauli- che Details und berichtete, daß man auf niederländischer Seite vermeiden wolle, daß die Franzosen sie behinderten oder aber ihre eigenen Verhandlungen mit Spanien beschleunigten und ohne die Niederländer zu Ende führten
Vgl. nr. 272
S. 944 Z. 12–18.
. Einige Tage später begründeten die niederländischen Gesandten ihr Verhalten mit dem Zwang zur strikten Geheimhaltung, dem sie sich aus Interesse an einer zügigen Verhandlungsführung nicht entziehen könnten. Eine Veröffentlichung würde we- gen der Verfassungsverhältnisse ihrer Republik bedeuten, daß eine Fülle von Gre- mien und Institutionen an der Beratung beteiligt werden müßte, was eine erheb- liche Verzögerung, wenn nicht das Scheitern der Verhandlungen mit sich bringen würde
Vgl. nr. 279 S. 979 Z. 20–32.
. So indigniert sich die Franzosen über diese Erklärung auch zeigten, sie mußten sich schließlich damit begnügen, daß ihnen die 71 Artikel vorgelesen wurden. Auch bei ihrer Information über die auf den 17. Mai datierte, aber erst am 18. Mai ausgehändigte spanische Antwort wurde dieses Verfahren eingehal- ten . Die französischen Gesandten konnten dem Vortrag entnehmen, daß man auf spanischer Seite bereit war, alles zu bewilligen, was schon der Waffenstillstands- vertrag von 1609 zugestanden hatte, daß man über die neuen niederländischen Forderungen aber zunächst Verhandlungen führen wollte
nr. 279 S. 980 Z. 15 – S. 981 Z. 4; das Datum der Aushändigung der spanischen Antwort (18. Mai 1646) nach
Den
Haag 8411 fol. 198’-203’.
.
Es unterblieb bei dieser Gelegenheit wieder eine Mitteilung der ebenfalls am 18. Mai 1646 abgegebenen und auf den 17. Mai datierten niederländischen Stel- lungnahme zu den spanischen Vorschlägen vom 13. Mai 1646
Kopie (span.):
Madrid , AHN
2347 (unfol.); (frz.):
Den
Haag
8411 fol. 203’-204’; (niederl.):
ebenda
fol. 204’-205.
.
Auch die in der Zeit danach gewechselten Schriftsätze scheinen nur durch münd- liche Mitteilungen zur Kenntnis der Franzosen gekommen zu sein
1. Niederlande 1646 V 24 auf Spanien 1646 V 17, Kopie (span.):
Madrid , AHN
2347 (unfol.), Druck (lat.):
Aitzema ,
Historia S. 393–395;
2. Spanien 1646 V 27 auf Niederlande 1646 V 24 (ausgehändigt am 28. Mai und an demsel- ben Tag den Franzosen mitgeteilt, vgl.
Den
Haag
8411 fol. 227–227’), Kopie (span.):
Madrid , AHN
2348 (unfol.), Druck (lat.):
Aitzema ,
Historia S. 395–397;
3. Niederlande 1646 V 30 auf Spanien 1646 V 27, Kopie (span.):
Madrid , AHN
2348 (unfol.), Druck (lat.):
Aitzema ,
Historia S. 397.
. Es läßt sich in ihren Akten lediglich eine Abschrift finden, in der der erste der 71 Artikel der
[p. LXXXII]
[scan. 82]
Niederländer vom 13. Mai zusammen mit deren Ausführungen dazu vom 24. Mai 1646 als Auszug kopiert ist
Kopie (frz.):
AE
,
CP
All.
63 fol. 157–157’.
. Dieses Stück und der ganze Text der 71 Arti- kel , den die Niederländer nur mündlich vorgetragen hatten, scheinen vertraulich über Nederhost an die französischen Gesandten gebracht worden zu sein, wenn sie nicht aus Den Haag nach Paris geschickt und auf diese Weise in die französischen Akten gelangt sind.
Servien kam bereits am 22. Mai 1646 zu dem Schluß, daß ein Vertragsschluß bald zu erwarten sei, da nur noch wenige Punkte strittig seien
. Den Gesandten wie auch Mazarin blieb nur noch die Hoffnung, durch die Beeinflussung der Be- ratung der Vereinbarungen in den Provinzen selbst ein solches Abkommen zu verhindern
nr. 290 S. 1017 Z. 29–34, nr. 296 S. 1042 Z. 17f.
.
3. Die Einrichtung der Edition
Die Fonds der Pariser Archive und Bibliotheken, die für diesen Band herangezo- gen werden, die Quellenüberlieferung sowie die Prinzipien, die für die Auswahl der zum Abdruck kommenden Stücke gelten, sind in APW II B 1 und APW II B 2 ausführlich beschrieben. Nach ihnen richtet sich auch dieser Band. Der Druck- nachweis bezieht nun auch
SIRI ein.
Für die Einleitung und für einige Stücke des Anhangs werden zusätzlich weitere archivalische Provenienzen berücksichtigt: Für die Datierung und inhaltliche Präzisierung der Verhandlungschritte sind dies spanische und päpstliche Quellen, für die Elsaßverhandlungen der von General Erlach und dessen Sekretär mit der französischen Gesandtschaft in Münster geführte Briefwechsel, der in der
Burgerbibliothek
Bern verwahrt wird. Alle Quellen sind im Verzeichnis der Archivalien nachgewiesen.
* * *
Für die Einleitung wurden die noch von Frau Dr. Elke Jarnut † besorgten Druck- fahnen dieses Bandes sowie zahlreiche Quellen herangezogen, die in der Vereini- gung zur Erforschung der Neueren Geschichte e. V. in Bonn gesammelt sind. Ihre Mitarbeiter haben meine Arbeit durch die Übersendung von Kopien und Mikro- filmen , durch Transkriptionen und durch Kollationierungsarbeiten wesentlich er- leichtert . Namentlich Frau Dr. Karlies Abmeier, Frau Dr. Antje Oschmann, Frau Dr. Maria-Elisabeth Brunert, Frau Anuschka Tischer M. A. und Herrn Guido Braun bin ich für diese freundliche Unterstützung zu großem Dank verpflichtet. Die gute Zusammenarbeit mit Frau Dr. Jarnut bleibt mir in dankbarer Erinne- rung .
Bayreuth, den 15. Juli 1998 Franz Bosbach