Acta Pacis Westphalicae III A 1,1 : Die Beratungen der kurfürstlichen Kurie, 1. Teil: 1645 - 1647 / Winfried Becker
2. Die Überlieferung: f. Kurbrandenburg
Das brandenburgische Kurfürstenratsprotokoll besteht wie das mainzische hauptsäch-lich aus Reinkonzepten, außerdem aus Berichten über die einzelnen sessiones,
die wie bei Kurbayern in die Relationen eingearbeitet wurden. Zu unterscheiden sind das
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Prothocol zu Oßnabrück:
Kurbrandenburg
Rk I (1645 VI 18, VII 10, 11)
DZA
Merseburg
Rep. 12 nr. 131 fol. 1–48.
, das Prothocol im churfürstenrath zu Münster:
Kurbrandenburg
Rk II (1647 I 21–1647 VII 3, 1648 X 2 – 1649 I 5, 1649 IV 17 – 1649 V 17)
Ebd.
nr. 125 g fol. 1–228.
, das Oßnabrüggische letztere protocollum im churfürstenrhat vom 26. April biß auff dem 2. Sept. 1648
(st. v.):
Kurbrandenburg
Rk III
. Diese Protokollfaszikel sind also genau wie das kurkölnische originalprotocoll
nicht rein chronologisch, sondern nach den Kongreßorten, an denen die Sitzungen statt-fanden, angelegt worden;
Kurbrandenburg
Rk II setzt Rk III nach der erneuten Tagung des Kurfürstenrats in Münster (seit 1648 X 2) fort. Es handelt sich ein-deutig um halbbrüchig bis ganzseitig beschriebene, lose liegende Reinkonzepte der Gesandtschaftsregistratur, die von dem secretario legat[ionis] h[ern] Paul Kemnitzen An[no] 1649 m[ense] Sept[embris] bey dem churf [ürstlichen] archiv eingegeben worden
sind. Die meisten Protokolle stammen von der Hand des Kammer- und Legationssekretärs Kemnitz
Später Amtskammerrat, vgl.
Meinardus,
Protokolle S. 134, II S. 346, I S. 643.
, der ausdrücklich vermerkte, wenn er ein Protokoll begann oder fortsetzte
. Außerdem haben der Legationssekretär ad interim
Johann Samuel Fehr
DLöben
II fol. 153’,
Meinardus,
Protokolle I S. 258, 234. Fehr ging auch als pommerscher Sekretär in den Fürstenrat (DZA
Merseburg
Rep. 12 nr. 137
3
fol. 121’: 1646 II 24 st.v.).
am Kurfürstenratsprotokoll in Osnabrück, der Sekre-tär, spätere kurbrandenburgische Rat und Resident in England, Johann Friedrich Schletzer
DLöben
II fol. 125ff., I fol. 108’. Schletzer galt als „turbulent und anspruchsvoll“, er wurde 1660 wegen Übertritts zu den Schweden und wegen Hochverrats in Abwesenheit zum Tode ver-urteilt (
UuA
Friedrich
Wilhelm
VII S. 822f.,
Meinardus,
Protokolle V S. 558 VI S. 4f.).
, am Münsteraner Protokoll mitgewirkt; anfangs unterhielt Kurbranden-burg in Osnabrück diese drei Sekretäre und drei Kanzlisten, aber nur einen Kanzlisten in Münster
1645 V 8/18 forderten Heiden und Portmann deshalb den Sekretär Stützing aus der klevischen Kanzlei an (
DZA
Merseburg
Rep. 12 nr. 136 a fol. 35).
, so daß Schletzer dorthin beordert werden mußte. In Münster führten auch die Gesandten Heiden und Portmann Protokoll
Nach
DLöben
II fol. 114 haben herr Heiden, herr D. Portmann undt secretarius Schletzer, alle drey,
das kurbayerische Votum in causa Palatina (
wahrscheinlich 1646 II 14, unten Nr.
[66 S. 477f.]
) vleissigk verzeichnedt.
Vgl. auch
ebd.
I fol. 153’, 154.
. Die Gesandten haben noch am Reinkonzept einzelne Verbesserungen vorgenommen, insgesamt aber ist
Kurbran-denburg
Rk in tadelloser Schönschrift abgefaßt: Anders als etwa
Kurbayern
K oder
Kurmainz
K weist es wenige Korrekturen oder Abkürzungen auf. Obwohl die kurbrandenburgischen Sekretäre eine gewisse Vorliebe für raffende Partizipialkon-struktionen entwickelten, haben sie ein sehr gutes, klares und inhaltlich ausführliches Protokoll geschrieben. In der Regel fertigte die kurbrandenburgische Gesandtschaft keine Protokoll-Reinschriften zur Übersendung an die heimische Kanzlei aus. Be-richte über die einzelnen Kurfürsten- und Fürstenratssitzungen wurden den Rela-
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tionen
einverleibt, desgleichen Extrakte bzw. summarische Aufzeichnungen aus den Visitenprotokollen, die zunächst im
Diarium
Löben
festgehalten worden waren
Vgl. Löben an Burgsdorff, Osnabrück 1645 VII 3/13: Alle Vorgänge pflege ich ins diarium zu verzeichnen, welches ich allemahl [...] herrn Dr. Fritzen bey abfassungen der relationibus communicire, darauß dan die nova auch genommen undt denen [...] relationibus beygesetzedt werden (DZA
Merseburg
Rep. 12 nr. 122b fol. 7).
. Nur in Ausnahmefällen wurde ein prothocollum [...] votorum, [...] wie wir dieselbe quoad substantiam et quoad fieri potuit, ad verba einnehmen kön-nen
Heiden/Portmann an Kf. Friedrich Wilhelm, Münster 1647 III 18 (
ebd.
nr. 136d fol. 175, 176).
,
von den Gesandten angekündigt; in diesen Fällen finden sich aber 1646 wie 1636/37 auf den Relationen Kanzleivermerke des Empfängers, daß hierbey [...] kein protocoll gewesen
Ebd. und zur kurbrandenburgischen Relation aus Regensburg 1636 XII 14 (
ebd.
nr. 107, 2 fol. 231, vgl. fol. 55’, 56).
.
Es blieb durchweg beim referiren
Heiden/Portmann an Kf. Friedrich Wilhelm, Münster 1647 III 28 (nr. 136d fol. 191), ebenso Relation aus Regensburg 1636 X 29 (nr. 107, 2 fol. 154’).
der Protokollinhalte. Diese geringe Differenzierung des Korrespondenz-Schriftguts wurde durch die kur-brandenburgischen Instruktionen gedeckt, in denen die Gesandten nur angewiesen waren, über alle Vorkommnisse fleißig zu berichten
Originalinstruktion für Münster 1644 XII 4 (
DZA
Merseburg
nr. 121 fol. 21’).
Wohl auch deshalb, weil die Relationen bis auf 40 Folien anwuchsen, erließ Kf. Friedrich Wilhelm 1651 die Anordnung, jeweils nach Gegenständen gesonderte Relationen bzw. Postskripte zu verfassen und getrennt abzulegen (
Meinardus
, Protokolle VI S. VIII).
, während z. B. die kurmain-zische Instruktion den Gesandten neben genauer Berichterstattung auch die Anfertigung und Übersendung von Protokollen auferlegte.
Die Sitzungsberichte, die in die Relationen eingearbeitet worden sind, sind meist nicht wie die spezifizierten Sitzungsprotokolle nach der Votierordnung gegliedert: An die einzelnen Punkte der Proposition werden jeweils die Stellungnahmen aller Votanten angehängt. Die einzelnen Themen und die Äußerungen dazu werden hintereinander abgehandelt, das Sitzungsreferat ist anders als das Protokoll nach Sachgesichts-punkten statt nach sukzessive folgenden Voten aufgeteilt
Vgl. Relationen aus Münster 1645 XII 30 (nr. 136 a fol. 379’-380), 1646 V 11 (nr. 136 b/3 fol. 26f.) sowie
ebd.
fol. 54, 95, 120’, 121’, nr. 137, 3 fol. 121ff.; Sitzungen des Fürstenrats Osnabrück in den Relationen aus Osnabrück 1646 II 2, II 27.
. Steht Kurbrandenburg mit seiner Meinung im Kurfürstenrat allein, so wird die Konfrontation der Meinungs-blöcke zum Gliederungsprinzip: Dem brandenburgischen Votum ist die Gegenmei-nung gegenübergestellt, von der es vereinfachend heißt, daß Kurtrier, Kurköln, Kur-bayern und Kurmainz sie vertreten hätten
So wird in dem Bericht über den Kurfürstenrat 1645 X 5 (in Relation von 1645 X 11) nur zwischen
catholici
und
Churbrandenburg
unterschieden (nr. 136 a fol. 206), vgl. Relation aus Münster 1645 XII 30 (
ebd.
fol. 379–380’). In Münster protokollierte zu dieser Zeit J. Fried-rich Schletzer.
. Bei diesen mehr summarischen Auf-zeichnungen spielte die subjektive Auswahl eine größere Rolle als bei den eigentlichen Protokollen, die eine möglichst vollständige Wiedergabe des Gesagten erstrebten; auch flossen in die protokollartigen Sitzungsreferate persönliche Wertungen und Beur-teilungen von Vorgängen ein
Vgl. Relation aus Münster 1646 VI 16 über Kurfürstenrat 1646 VI 13 (nr. 136 b/3 fol. 120, 121’). Bereits Auswahl und Gliederung bedeuteten eine Wertung.
. Bei großer Wichtigkeit des Sitzungsthemas konnte allerdings sogar die Abschrift eines Wortprotokolls fremder Provenienz in die Rela-tion aufgenommen werden
So über die
sessio
von 1646 XII 31 zur Pommernfrage, der Kurbrandenburg als interessiert fernbleiben mußte (Relation aus Münster 1646 I 13 nr. 136 d fol. 24 ff.).
. Innerhalb der Relationen wurden die Sitzungsreferate mit Hinweisen auf die Ansage und auf die Fahrt zum Rat eingeleitet, auch in den Rein-konzepten beginnen die
sessiones teilweise mit ähnlichen Überleitungsformeln; ebenso wie die kurmainzischen beachteten auch die kurbrandenburgischen Protokollführer die Formalien der Verhandlungsprozedur.
Die reinschriftliche Kryptoform der Protokolle ist nun nicht, wie man zunächst an-nehmen könnte, ein Ersatz für die fehlenden Reinkonzepte zwischen dem 11. Juli 1645 und dem 21. Januar 1647 sowie dem 5. Januar und dem 17. April 1649, denn sie liegt auch für den längeren Zeitraum vor, aus dem
Kurbrandenburg Rk erhalten ist
Vgl. die Schilderung der Lengericher Konferenz in der Relation aus Osnabrück 1645 VII 14 (
DZA
nr. 137, 2 fol. 1ff.).
. Die kurbrandenburgische Gesandtschaft hielt eine Information des Kurfürsten im Rahmen der Relationen offenbar für ausreichend, verzichtete aber nicht darauf, in den Sitzungen Protokoll zu führen – wofür sie mitunter zwei Sekretäre mitbrachte – und dieses Protokoll zunächst für den eigenen Gebrauch bis zur Stufe des Reinkon-zepts auszuarbeiten. Nach der Rückkehr vom Kongreß wurde dieses Originalproto-koll der kurfürstlichen Kanzlei übergeben, die damit eine Protokollreihe zum Nach-schlagen besaß. Folglich wird es für den gesamten Zeitraum des Kongresses kurbran-denburgische Reinkonzepte gegeben haben, von denen Teile aus den Jahren 1645, 1646, 1648, 1649 verlorengegangen sind. Darauf deutet auch ein Findbuch-Vermerk aus dem 18. Jahrhundert hin, in dem es heißt, daß Nr. 125g, das Münsteraner Kur-fürstenratsprotokoll,
doch nicht allerdings perfekt zu sein scheint
Im sogen. „Roten Buch“, Bd. 2 (
freundliche Mitteilung von Frau Dr. Grete Weiser, DZA
Merseburg).
.
Gerade die kurbrandenburgische Überlieferung macht aber deutlich, daß für die Edi-tion der Kurfürstenratsprotokolle in erster Linie die Reinkonzept-Stufe heranzu-ziehen ist. Wie der Durchgang durch die einzelnen Protokoll-Provenienzen gezeigt hat, bietet
Kurmainz die am ehesten vollständige Reihe von Reinkonzepten.