Acta Pacis Westphalicae III A 6 : Die Beratungen der Städtekurie Osnabrück: 1645 - 1649 / Günter Buchstab
a) Allgemeines über reichsstädtische Protokolle
In ihrem Kampf um die Reichsstandschaft beschlossen die Reichsstädte im Jahr 1551 auf dem Reichstag in Augsburg, sämtliche in den städtischen Archiven verstreute Akten, die ihre Rechte auf den Reichsversammlungen dokumentieren könnten, zu-sammenzustellen und in einem gemeinsamen „Städtearchiv“ zu konzentrieren. Aus dieser Aktenkompilation sollte eine systematische Übersicht über alle Fragen erstellt werden, die die Reichsstandschaft oder den Kampf um
stand, stimme und session betraf
Die Frage der Reichsstandschaft der Reichsstädte fand vor rund 100 Jahren in der Historie ver-stärkte Beachtung. Vgl. dazu
Wilhelm
Becker, R.
Bemmann, P.
Brülcke, F.
Dietz, E.
Gothein, A.
Höfler, H.
Keussen, R.
Reuter, A.
Veit;
in jüngerer Zeit befaßten sich mit der Thematik G.
Pfeiffer
und A.
Laufs;
Pfeiffer
(Reichsstädte) beurteilt die Frage der städtischen Reichsstandschaft vom jus reformandi her, das den Städten 1555 nicht zuerkannt wurde. Nach seinem Verständnis hätten die Reichsstädte also erst 1648 die Reichsstandschaft erhalten. Das im Friedensvertrag verankerte Reformationsrecht ist für die Frage der Reichsstand-schaft aber kaum von ausschlaggebender Bedeutung, da das Normaljahr 1624 das jus reformandi begrenzte. Die Städte selbst haben das Reformationsrecht auch zu keiner Zeit als Argument für oder gegen ihre Reichsstandschaft ernsthaft ins Spiel gebracht. Vgl. zum Gesamtkomplex zu-sammenfassend G.
Buchstab
S. 34–49.
und als Nachschlagwerk für die Auseinandersetzung um die von den Reichs-städten vertretene Rechtsposition, d. h. die Erlangung einer den höheren Ständen, den Kurfürsten und Fürsten, gleichberechtigte Stellung auf Reichstagen, dienen könne
Dazu grundlegend
Max
Huber.
. Diese sog. reichsstädtische Registratur sollte – gemäß der Aufteilung der Städtekurie des Reichstags in eine rheinische und schwäbische Bank – in Kopie sowohl in Speyer als auch in Augsburg verwaltet und jeweils aktualisiert werden
Akten sind erhalten im Stadtarchiv
Augsburg (fünf Teile der Registraturbände: Register zu den Reichsstädtetagsakten 1356–1542, Index zum 3. Teil der Registratur betr. Reichsstädtetage; Index zum 4. Teil der Registratur betr. Reichstage 1356–1571; Index zum 5. Teil der Regi-stratur betr. Reichsstädtetage 1471–1585; Register zu den Reichsstädtetagsakten 1426–1585), im
Historischen
Archiv
der
Stadt
Köln (7 Bände unter der Signatur K. u. R. 217–223), im Stadtarchiv
Speyer (Signatur 1, B, 24a [1,1–5], im Württ. Hauptstaatsarchiv
Stuttgart (Signatur W R 242a und 242b oder Reichsstädte I, Büschel 37) soweit fast vollständig in der ursprünglichen Ordnung im Stadtarchiv
Ulm (Signatur Reichsstadt 621–713) –
M.
Huber S. S. 95f.
. Der Plan für diese voluminöse Aktensammlung, die mit dem Jahr 1356 einsetzt, ging zurück auf Vor-stellungen von Jakob Sturm, dem Stettmeister von Straßburg
, der als der eigentliche Motor im Kampf der Reichsstädte um die Reichsstandschaft seit 1526 gelten kann. Der erste Impuls für eine Zusammenstellung von Verhandlungsakten aller Reichstage ging also von den Reichsstädten aus
Vgl. F. H.
Schubert
S. 147.
, die schon immer ein besonderes Interesse an Akten der Reichstagsgeschäfte hatten. Zum einen beruhte dieses Interesse, dies zeigt der Be-schluß von 1551, darauf, den kasuistischen Nachweis für die umstrittene Reichsstand-schaft zu führen, zum anderen aber auf den spezifischen Gegebenheiten städtischer Ver-tretung auf den Reichsversammlungen. Denn anders als Kurfürsten und Fürsten, bei
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denen durch persönliches Erscheinen eine personale Identität zwischen Repräsentant und Repräsentiertem bestand, auch wenn sie sich später durch Gesandte vertreten ließen, waren die „Städteboten“ von einem genossenschaftlich organisierten Rat dele-giert, vertraten aber nicht diesen allein, sondern die Gesamtgemeinde. Als
sendboten hatten sie ihnen nicht nur ausführlich Bericht zu erstatten, sondern gleichzeitig auch Rechenschaft über ihr Verhalten bei den Beratungen abzulegen. Voraussetzung für diese enge Rückbindung an Rat und Gemeinde waren die Instruktionen der städtischen Gesandten, die ihnen wenig Spielraum bei den Beratungen ließen, so daß sie bindenden Beschlüssen oft durch „Hintersichbringen“ auswichen, d. h. Zustimmung oder Ab-lehnung zu einer Frage von der Antwort ihrer Stadt abhängig machten
. Der intensive schriftliche Austausch zwischen Deputierten und Stadträten war auch deshalb von-nöten, weil anders als bei Kurfürsten und Fürsten nicht nur jeweils relativ große Gre-mien als Träger der obersten Gewalt über die Verhandlungen ins Bild gesetzt werden mußten, sondern darüber hinaus jene Städte über den Ablauf der Reichstage ebenfalls informiert werden wollten, die sich bei Reichsversammlungen von anderen, in der Regel kapitalkräftigeren Kommunen vertreten ließen.
Diese Aufgaben, Berichterstattung wie eigene Rechtfertigung der Gesandten, berührten sich mit dem Bestreben, mittels der Reichstagsberichte den Anspruch auf aktive Mit-wirkung im Reich aktenmäßig zu stützen. Ursprünglich waren die Reichstagsberichte reine Relationen, die die Boten an ihre Räte sandten. Schon sehr früh aber lassen sich daneben Schriftstücke über Verhandlungen zwischen Fürsten und Städten nachweisen, die im heutigen Sprachgebrauch mit Aktenvermerken bezeichnet würden
Vgl. etwa RTA äR
Bd. 1 nr. 184 S. 327f (1381 X/XI).
. Aus diesen Vermerken entwickelten sich dann bald Beschlußprotokolle, in denen neben den Er-gebnissen der Beratungen auch die Namen der Verhandlungspartner festgehalten wur-den
EBD. nr. 301 S. 546f (1387 III 20/21).
. Auch Mitschriften über Beratungen zwischen den Städten können schon früh be-legt werden: Zwar handelt es sich bei den Aufzeichnungen eines Nürnberger Rats-schreibers über Verhandlungen zwischen schwäbischen und fränkischen Städten aus dem Jahr 1441
RTA äR Bd. 16 nr. 42 S. 80–86, nr. 43 S. 86–88 (1441 VII 2–5).
um eine Art von Tagebuch, dessen Erzählduktus unverkennbar ist. Der Schreiber hält dabei aber nicht nur die Ergebnisse des Tages fest, sondern führt dar-über hinaus in aller Kürze auch Voten einzelner Städte, ihre Reihenfolge sowie ihre innere Beziehung zueinander inhaltlich auf
(Die von Nördlingen und Memmin-gen stunden auf meinung des von Ulm
). Von diesen Mitschriften war zu Pro-tokollen im landläufigen Sinn, die seit Beginn des 16. Jhs. geführt wurden
Vgl. etwa
RTA jR Bd. 4 S. 53–87, 176–210; 7,1 S. 598–600 (1529 III 24).
, kein großer Weg mehr zurückzulegen.
Den städtischen Gesandten und ihren Schreibern kam für die Berichterstattung und Protokollführung zugute, daß im innerstädtischen Bereich sich seit dem 14. Jahrhun-dert die Gewohnheit entwickelt hatte, den Verlauf, zumindest aber die Beschlüsse von
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Rats- und Ausschußsitzungen schriftlich festzuhalten
Ratsprotokolle in Köln liegen im Hist. Archiv der Stadt seit 1396 vor; erst nach 1513 (Transfix-brief) kann man von einer Entwicklung zu Verlaufsprotokollen sprechen; vorher sind es eher Namenslisten der Votierenden.
, woraus allmählich Ver-laufs- oder Wortprotokolle im heutigen Verständnis entstanden.
Die Städte waren insofern also gut für die Westfälischen Friedensverhandlungen ge-rüstet. Die meisten der städtischen Gesandten verfügten, wie ihre Lebensdaten zeigen, auch über eine langjährige Erfahrung im Dienst ihrer Gemeinde, so daß ihnen, die in aller Regel juristisch gebildet waren, die Bedeutung eines schriftlichen Nachweises ihrer Tätigkeit wohl bewußt war
.