Acta Pacis Westphalicae II B 4 : Die französischen Korrespondenzen, Band 4: 1646 / Clivia Kelch-Rade und Anuschka Tischer unter Benutzung der Vroarbeiten von Kriemhild Goronzy und unter Mithilfe von Michael Rohrschneider
b. Die Verhandlungen mit Spanien
Nachdem die französisch-spanischen Verhandlungen seit der ablehnenden Reak-tion der Franzosen auf ein spanisches Angebot am 24. April 1646 stockten
Vgl.
APW II B 3 nr.n 248 und 250 mit Beilagen.
, brachten zwei Faktoren sie im September 1646 wieder in Gang: Zum einen schritten die spanisch-niederländischen Verhandlungen überraschend schnell voran. Das beunruhigte die Franzosen, zwang aber die Generalstaaten ebenfalls zum Handeln, waren sie doch vertraglich auf einen gemeinsamen Verhandlungs-erfolg mit Frankreich festgelegt. Bereits seit Juni und verstärkt im Juli 1646 be-
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mühten sich die Generalstaaten als Vermittler ohne formellen Auftrag, die Gegner einander anzunähern
Nr.n 7, 60, 61, 62, 63. Am 16. Juli, in nr. 71, berichteten Longueville, d’Avaux und Servien in einem Memorandum dem Kg., die ndl.
Ges.
hätten sich erboten,
de s’interposer et d’i rendre tous bons offices.
. Zunächst blieb dieses Bemühen ohne konkreten Erfolg. Die Franzosen fürchteten, Spanien sei nicht an einem Vertrag mit Frankreich interessiert, sondern wolle allein mit den Generalstaaten abschließen, den Ver-tragsschluß für das Reich aber verhindern
Longueville, d’Avaux und Servien an Erlach, Münster 1646 Juli 6,
Mss.
Hist.
Helv.
XXVII 72
n° 67; nr. 60.
. Auch die offiziellen Mediatoren, Chigi und Contarini, versuchten nochmals, an die Verhandlungen vom April an-zuknüpfen, und bewogen die Franzosen im August zu einem Entgegenkommen: Diese waren gerade erst vom Hof mit der Weisung versehen worden, Portugal dürfe den Frieden nicht aufhalten. Eine Konzession in dieser Frage aber, das hatte Mazarin klargestellt, sollte Ultima Ratio sein
. D’Avaux aber hatte daraufhin, wie bereits erwähnt, Trauttmansdorff für Spanien vielleicht mehr in Aussicht ge-stellt, als ihm gestattet war. In dieser Situation ließen die Franzosen am 10. Au-gust 1646 die Mediatoren in allergrößter Vertraulichkeit wissen, daß die Spanier in bezug auf Portugal eine zufriedenstellende Antwort erhalten würden, falls sie ein formelles Angebot vorlegten, das die französischen Eroberungen in den Spani-schen Niederlanden, dazu das Roussillon mit Rosas und einen Waffenstillstand für Katalonien von mindestens fünfzehn bis zwanzig Jahren enthalte
. Damit hatten die Franzosen ihre Instruktionen ausgeschöpft, aber die erwartete spanische Reak-tion blieb aus.
Erst ein weiterer Umstand, der Abschluß der französisch-kaiserlichen Satisfak-tionsartikel vom 13. September, brachte auch die Spanier in Zugzwang, mußten sie sonst doch eine Isolierung ihres Königs vom Kaiser fürchten. Mazarin meinte deshalb, daß es feste Absicht Spaniens sei, bei einem französischen Friedensschluß mit dem Reich seinerseits ebenfalls mit Frankreich Frieden zu schließen
. Hinzu kam, daß die Franzosen trotz der weitgehenden militärischen Zurückhaltung der Generalstaaten einen erfolgreichen Flandern-Feldzug führten.
Während die französischen Gesandten in Osnabrück weilten, bewegten Pauw, Clant und Donia die Spanier am 17. September schließlich dazu, sie definitiv als Vermittler anzuerkennen, um auf der Basis der letzten französischen Vorschläge
– Zedierung der Eroberungen in den Spanischen Niederlanden und in der Fran-che-Comté sowie des Roussillon mit Rosas, außerdem ein Waffenstillstand für Ka-talonien und Stillschweigen über Portugal – die Verhandlungen neu zu beginnen. Die Niederländer reisten daraufhin unter einem Vorwand nach Osnabrück, wo sie die Franzosen von der spanischen Verhandlungsbereitschaft überzeugten
Von französischer Seite wurden die nun beginnenden Verhandlungen mit Spanien später in einem Resümee zusammengefaßt: Discours de la négociation du traicté de Munster entre leurs Majestés de France et d’Espagne,
o. D., Kopie: BN F.
fr.
10645 fol. 125–139’; Druck:
Nég.
secr.
III S. 461–466. S. des weiteren nr.n 168, 169, 171; CDI
82 S. 408–411;
Truchis
de
Varenne
S. 343;
Poelhekke S.
340f.
.
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Die französischen Gesandten gingen mit Kompromißmöglichkeiten in diese neuen Verhandlungen. Mazarin stellte ihnen nicht nur frei, Portugal aufzugeben, son-dern er zog sich auch von dem Plan zurück, Katalonien gegen die Spanischen Niederlande zu tauschen. Er hatte diesen auf eine vermeintliche spanische Bereit-schaft hin im Dezember 1645 aufgegriffen und in den Folgemonaten hartnäckig verfolgt, ohne daß es zu Verhandlungen darüber kam
APW II B 3 nr.n 10, 72, 73, 74 und S. LXXVI–LXXIX.
. An eine Zedierung der Spanischen Niederlande in Form einer Mitgift für die Infantin Maria Theresia im Falle ihrer Verheiratung mit Ludwig XIV. war ohnehin nicht mehr zu den-ken, als am 9. Oktober der Infant Balthasar Karl starb und Maria Theresia an die erste Stelle in der spanischen Thronfolge rückte
. Schon am 17. August 1646 aber hatte ein königliches Memorandum
den französischen Bevollmächtigten in Aussicht gestellt, eventuell auf nun bescheidenere Tauschvorschläge eingehen zu können. Gedacht war daran, bei einer Abtretung von Cambrai und dem Cam-brésis einen Waffenstillstand für Katalonien zu schließen, den Spaniern aber in geheimen Vereinbarungen die Rückgewinnung der aufständischen Grafschaft zu-zusichern. Servien allerdings hatte sich zuvor, in einem Memorandum
für Lionne, dagegen ausgesprochen, die französische Politik aller Optionen für Portu-gal und Katalonien zu berauben. Alle Regelungen in diesen Angelegenheiten soll-ten nach seinem Dafürhalten in der Schwebe bleiben, selbst wenn damit der Ab-bruch der Verhandlungen riskiert würde. Langfristig nämlich erhoffte er sich als Gegenleistung für ein Nachgeben in diesen beiden Punkten doch noch die Abtre-tung der gesamten Spanischen Niederlande an Frankreich.
Darüber hinaus signalisierte der französische Hof seinen Gesandten im Verlauf des Septembers zunehmende Bereitschaft, auch die lothringischen Belange in Mün-ster zu verhandeln
. D’Avaux interpretierte dies als echtes Entgegenkommen ge-genüber Herzog Karl und griff sogleich Vorschläge der Generalstaaten auf, um Mazarin recht phantastisch anmutende Kompromisse zu unterbreiten: eine Abtre-tung des Elsaß entweder an Herzog Karl oder aber die Rückgabe des Elsaß an die Innsbrucker Erzherzöge bei entsprechender Entschädigung des Lothringers mit Schlesien. Dies hätte Frankreich zwar Lothringen gesichert, aber den größten Ge-winn der Septemberartikel gekostet
. Mazarin wiederum dachte – falls Spanien nicht sehr weit entgegenkomme
Nr. 185 nennt als Bedingung für Verhandlungen mit Hg. Karl und einer Teilrestitution ein span. Nachgeben in bezug auf Portugal.
– offenbar nicht an ein Nachgeben gegenüber Herzog Karl oder an eine Restitution seiner Länder. Sie waren strategisch für
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Frankreich zu wichtig, und der Lothringer galt als zuwenig vertrauenswürdig
Dies betonte auch d’Avaux in nr. 239; rein theoretisch hatte er die Möglichkeit allerdings in nr. 132 erwogen.
. Folglich zielte der Kardinal auf die vertragliche Zustimmung Spaniens zur dau-erhaften Enteignung des Herzogs gegen eine finanzielle Abfindung, gegebenenfalls gegen eine territoriale Entschädigung in der Franche-Comté. Das hätte die spani-sche Forderung einer Einbeziehung des Herzogs in den Friedensvertrag erfüllt und Frankreich eine Garantie für Lothringen und Bar gegeben. Zudem wünschte man in Paris eine vertragliche Regelung, die Spanien keine Möglichkeit ließ, nach Friedensschluß durch Herzog Karl einen Stellvertreterkrieg zu führen
Nr. 248; vgl. nr.n 198, 210, 211.
. Es war aber fraglich, ob Spanien sich auf eine derartige Lösung, die eine völlige Preisgabe seines Verbündeten bedeutet hätte, einlassen würde.
Zu einem französischen Angebot an Spanien ist es jedoch nicht gekommen. In internen Diskussionen der Gesandtschaft in Münster konnte d’Avaux sich nicht durchsetzen. Die gemeinsame Entscheidung lautete, weiterhin auf dem Ausschluß Herzog Karls zu bestehen
Nr. 236; d’Avaux schrieb zugleich in nr. 238 an Brienne, daß er weiterhin dafür sei, die lothringischen Belange in Münster zu verhandeln. Zudem berichtete Saint-Romain Chavigny von der Diskussion, in der Longueville und Servien sich gegen d’Avaux durchsetzten; Münster 1646 November 5, Ausf:
AE
,
CP
All. 67 fol. 244–245. Vgl. auch nr. 241.
, nicht zuletzt, weil über die wahren Absichten der eigenen Regierung keine Klarheit herrschte
.
Die französisch-spanischen Verhandlungen kamen indes ab Mitte September 1646 in Bewegung: Nachdem Pauw, Clant und Donia die französischen Gesandten in Osnabrück aufgesucht und dort mehrmals mit ihnen konferiert hatten, übergaben die Franzosen ihnen am
22. September einen Schriftsatz über die mit Spanien zu regelnden Punkte
Poincts plus importans desquels les plénipotentiaires de France et d’Espagne doivent convenir avant touttes choses =
Beilage zu nr. 171.
. Hauptforderung war wie zuvor die vertragliche Zedierung der französischen Eroberungen in den Spanischen Niederlanden und in der Fran-che-Comté, die Abtretung des Roussillon mit Rosas sowie ein Waffenstillstand für Katalonien von gleicher Dauer wie der künftige Waffenstillstand zwischen Spa-nien und den Generalstaaten, des weiteren: die Rückgabe der Eroberungen in Pie-mont und im Montferrat durch Spanien und Frankreich an Savoyen und Man-tua, ausgenommen Pinerolo, dessen Besitz der Kaiser Frankreich bereits in den Satisfaktionsartikeln vom 13. September konzediert hatte; die Sicherung des dau-erhaften Verbleibs von Casale bei Mantua; die Bestätigung der über Graubünden und das Veltlin geschlossenen Verträge sowie des Vertrages von Cherasco; der Abschluß einer italienischen Liga; eine Satisfaktion Savoyens bei der Zahlung der umstrittenen Mitgift Infantin Katharinas
; eine Restitution der Personen, die ihrer Besitzungen in diesem oder früheren Konflikten aufgrund eines Bündnis-wechsels verlustig gingen; eine Aufnahme der gegenseitigen Rechtsvorbehalte, ins-
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besondere betreffend Navarra nach dem Vorbild des Friedens von Vervins von 1598; die Freilassung aller Kriegsgefangenen einschließlich Eduards von Bra-ganza ohne Lösegeldzahlungen. Der spanische König sollte versprechen, Herzog Karl von Lothringen weder direkt noch indirekt zu unterstützen. Die Aufnahme des Königs von Portugal in den Vertrag hatten die französischen Gesandten eben-falls als Forderung genannt. Sie waren nicht bereit nachzugeben, bevor Spanien die anderen Punkte zugestanden hatte, und beharrten daher in den folgenden Ver-handlungen auf diesem Postulat.
Die spanische Responsion
Beilage 1 zu nr. 188. In der span. Überlieferung sind die französischen Poincts plus impor-tans
mit der spanischen Responsion als ein einziges Aktenstück unter dem Lemma Puntos que el consejero Brum tomo por escrito de los plenipotenciarios de Olanda en Munster a 26 de septiembre de 1646 con la respuesta de los ministros de Su Magestad al fin de cada uno
als Beilage zu einem Brief Peñarandas an Philipp IV. aus Münster vom 27. September 1646 (beide als Kopie in AGS E.
leg. 2347 unfol.; Druck des Briefes: CDI
82 S. 415f.) überlie-fert.
wurde den Franzosen am 1. Oktober 1646 von den niederländischen Gesandten übergeben, die bereits zwei Tage später eine französi-sche Replik
Beilage 2 zu nr. 188. Zu den frz.-span. Verhandlungen s. nr. 210 sowie von span. Seite: Re-lacion de lo que paso al señor de Brum con los plenipotenciarios de Olanda en Munster a 27 de septiembre de 1646
als Beilage zu einem Brief Peñarandas an Philipp IV. aus Münster vom 27. September 1646 (beide als Kopie in AGS E.
leg. 2347 unfol.; Druck des Briefes: CDI
82 S. 415f.).
erhielten. Über viele Punkte war überraschend schnell eine Eini-gung erzielt worden. Als zentrale Divergenzen kristallisierten sich zwei Dinge heraus: einmal die Behandlung Lothringens und zweitens die Forderung nach Freilassung Eduards von Braganza, den Spanien nicht als Kriegsgefangenen be-trachtete, sondern als Untertanen der Krone, dessen Bruder mit der Lösung Por-tugals von Kastilien Hochverrat begangen habe.
Diese beiden grundsätzlichen Probleme wurden von der spanischen Duplik
Beilage 1 zu nr. 202. Die spanische Duplik wiederum in einem Stück mit der französischen Replik: Lo que el consejero Brum apunto de lo que Olandeses respondieron de parte de Franceses en Munster 5 de octubre 1646 con la respuesta de los señores plenipotenciarios de Su Magestad,
Kopie: BN
Madrid
Ms. 10200 fol. 47–49, als Beilage zu: Peñaranda an Philipp IV., Münster 1646 Oktober 8, Kopie: BN
Madrid
Ms. 10200 fol. 46.
, de-ren Mitteilung durch die niederländischen Vermittler am 11. Oktober erfolgte, nicht behoben. Die Spanier stimmten jetzt jedoch der Zession von Rosas zu, das sie eigentlich zu Katalonien, nicht zum Roussillon rechneten und mit dessen Ge-biet Frankreich einen Stützpunkt jenseits der Pyrenäen gewonnen hätte. In den weiteren Verhandlungen fügten sich die Spanier noch zusätzlich in die Abtretung von Cadaqués in Katalonien
. Den Wunsch nach einer italienischen Liga wie-derum hatte man in Frankreich mittlerweile selbst fallengelassen
, wenn auch die Bedingung nach außen hin noch aufrecht erhalten wurde. Überraschend for-derten die Spanier in ihrer Duplik, daß unter den Rechtsvorbehalten auch ihr Anspruch auf das Herzogtum Burgund aufgenommen werde, den sie der Sache
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nach mit Frankreichs Anspruch auf Navarra gleichsetzten. Dies wies die Tri-plik
, welche die Franzosen am 14. Oktober den niederländischen Gesandten aushändigten, ebenso zurück wie die Forderung nach einem Junktim der französi-schen Verträge mit Spanien und dem Kaiser.
Alles in allem schritten die französisch-spanischen Verhandlungen, die beide Sei-ten so geheim wie möglich führen wollten, rasch voran, so daß bei den Franzosen bereits die Befürchtung aufkam, man werde sie zum Abschluß bringen, bevor Lé-rida eingenommen sei. Dennoch blieb ein gewisses Mißtrauen gegenüber den Ab-sichten sowohl der Spanier als auch der vermittelnden Generalstaaten, und man hielt es durchaus für möglich, dem spanischen Entgegenkommen liege tatsächlich die Absicht zugrunde, die Verhandlungen zum Schluß scheitern zu lassen und dann die Generalstaaten doch noch von Frankreich zu separieren
. Im Verlauf der weiteren Verhandlungen
Weitere Verhandlungsakten erhielten bzw. präsentierten die Franzosen vermittels der ndl.
Ges.
am 22. Oktober (= Beilage 1 zu nr. 218), am 25. Oktober (= Beilage 1 zu nr. 226) und am 11. November 1646 (= Beilage 1 zu nr. 250). Der letzte, für den hier zu behandelnden Zeitraum relevante Schriftsatz wurde von den Franzosen am 16. November den ndl.
Ges.
übergeben und am 24. November 1646 übersandt (= Beilage 3 zu APW II B 5 nr. 2).
wurden die unterschiedlichen Positio-nen in den genannten zwei Punkten nicht überwunden: Zum einen verweigerte Spanien die Freilassung Eduards von Braganza, während Frankreich nicht bereit war
Servien sah indes in nr. 255 in den Bedingungen für die Freilassung Eduards von Braganza kein Hindernis.
, auf eine mit Bedingungen verknüpfte Freilassung – zur Diskussion stand beispielsweise eine Überstellung Eduards nach Frankreich, bei der er weiteren Einschränkungen unterworfen geblieben wäre – einzugehen. Zum anderen war es nach wie vor umstritten, ob Lothringen in den Vertrag aufzunehmen sei. Die französische Seite urteilte aber, daß diese beiden Punkte keine wirklichen Hinder-nisse für den Frieden darstellten, schon weil Spanien selbst eine Einigung nicht an diesen Fragen scheitern lassen würde. Französischerseits glaubte man, kurz vor der Nachricht vom endgültigen Scheitern der Belagerung Léridas, die Verhand-lungsergebnisse bald auch mit Spanien fixieren zu können
Nr.n 251, 252, 253, 258, 267.
.