Acta Pacis Westphalicae III A 3,3 : Die Beratungen des Fürstenrates in Osnabrück, 3. Teil: 1646 / Maria-Elisabeth Brunert

I. Protokollführung und Druckvorlagen

Seit sich der Fürstenrat Osnabrück am 3. Februar 1646 zum ersten Mal vollständig versammelt hatte, war auch die Protokollführung neu gere-gelt. Die evangelischen Fürstenratsmitglieder hatten sich zu gemeinsamer Protokollführung zusammengefunden, während einzelne katholische Stände jeweils für sich Protokoll führten. Das gemeinsame Protokoll der Evangelischen ist sehr ausführlich und relativ genau und dient deshalb für alle 26 Sitzungen (Nr. 95–120) als Druckvorlage. Die wichtigste Überlie-ferung auf katholischer Seite ist das Protokoll des Österreichischen Direk-toriums. Es bietet die ausführlichste Darstellung von der Übergabe der Gutachten an die Kaiserlichen am 27. April 1646 und ist deshalb für diese Reichsdeputation (Nr. 121) Druckvorlage. Die österreichischen Sitzungs-protokolle sind zwar insgesamt kürzer als die der evangelischen Reichs-stände, enthalten aber gelegentlich einen zusätzlichen oder genaueren Text. Dies ist im Variantenapparat vermerkt. Um die Unterschiede zwi-

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schen beiden Protokollen an einem Beispiel deutlich zu machen, ist die siebte Sitzung in beiden Versionen abgedruckt (Nr. 101 und 101a).
Das Protokoll der evangelischen Mitglieder des Fürstenrats Osnabrück wurde in einem neuartigen, auf Reichstagen nicht gebräuchlichen Verfah-ren von jeweils drei bis fünf damit beauftragten, evangelischen Gesandt-schaftssekretären aufgrund ihrer Mitschriften gemeinsam erstellt. Die An-regung dazu war von dem kurbrandenburgisch-pommerschen Gesandten Wesenbeck ausgegangen, der beim Regensburger Reichstag 1640/41 gute Erfahrungen mit einem von ihm gestellten Protokollanten gemacht hat-te

APW III A 3/2, 542 Z. 4–9.
, dessen Anwesenheit allerdings nicht allgemein gutgeheißen worden war. Auf Reichstagen brachte nämlich üblicherweise nur das Direktorium einen Protokollanten in die Sitzungen mit. Von dessen Protokoll durften die Gesandten keine Abschrift nehmen, so daß jeder für sich mitschrieb, was das Mitdenken erschwerte

Ebenda, 542 Z. 15–18, 543 Z. 20–24.
und den Osnabrücker Fürstenrat nach einem vorteilhafteren Verfahren suchen ließ. Ein weiteres Motiv für eine organisierte, gemeinsame Protokollführung war die Unzufriedenheit mit dem vom Österreichischen Direktorium verfaßten Fürstenratsprotokoll in Münster. Der weimarische Gesandte Heher, der sich im Herbst 1645 eine Zeitlang dort aufgehalten hatte, beklagte, daß es invertirt gewesen sei. Der sachsen-lauenburgische Gesandte Gloxin habe bemerkt, daß im Pro-tokoll kaum die Hälfte des Vorgetragenen erfaßt worden sei

Ebenda, 543 Z. 8–11, 34f.
. Demnach gab es gravierende Gründe für eine vom Direktorium unabhängige Pro-tokollführung. Doch bedurften die Gesandten dazu einer Genehmigung, zumal auf dem letzten Reichstag beschlossen worden war, künftig keine Protokollanten mehr zuzulassen, da dies den Ablauf der Sitzungen gestört habe

Darauf verwies Richtersberger ( ebenda, 582 Z. 2–7).
. Trauttmansdorff, Richtersberger und die letztlich entscheidende Instanz, das Kurmainzer Reichsdirektorium, wurden um Zustimmung ge-beten. Alle waren einverstanden, nachdem gesichert schien, daß die Pro-tokollanten Geheimhaltung wahrten und nur ausnahmsweise zugelassen würden

Die Protokollanten mußten entsprechende Bescheinigungen vorlegen. Zwei unterschied-liche Fassungen derselben und eine zugehörige relation Christian Werners, alle auf den 24. Januar/3. Februar 1646 datiert, sind als Kopie überliefert in Magdeburg F III fol. 201–202. – Trauttmansdorff und Richtersberger hatten am 1. Februar 1646 zugestimmt ( APW III A 3/2, 580 Z. 23–28, 582 Z. 7–17).
. So hatten die maßgeblichen katholischen Mächte ihre Zustim-mung gegeben. Dennoch beteiligte sich kein katholischer Reichsstand an der gemeinsamen Protokollführung, obgleich Lampadius es für möglich gehalten hatte, auf diese Weise ein einheitliches Fürstenratsprotokoll zu verfassen

Ebenda, 543 Z. 24ff.
. Ob es dementsprechend Gespräche zwischen einzelnen evan-gelischen und katholischen Fürstenratsmitgliedern gegeben hat, ist nicht

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bekannt. Es ist jedenfalls zu keiner interkonfessionellen Kooperation ge-kommen. Ob den katholischen Fürstenratsmitgliedern die Teilnahme an der Diktatur verwehrt wurde oder ob sie, was wahrscheinlicher ist, lieber selbst mitschrieben, muß offenbleiben. Jedenfalls ist das Protokoll der evangelischen Fürstenratsmitglieder in keinem Aktenbestand eines katho-lischen Reichsstands nachweisbar, auch nicht im österreichischen

Frau Dr. Antje Oschmann überprüfte diese Frage im September 1997 im Wiener HHStA , wofür ich ihr danke.
.
Was Form und Rechtsgeltung des Gemeinschaftsprotokolls betrifft, so hat-ten die wichtigsten evangelischen Gesandten, wohl aus Sorge, sonst die Genehmigung der Katholiken nicht zu erhalten, von vornherein gesagt, es solle nicht in forma protocolli Imperialis gehalten werden, sondern nur zur nachricht undt information dienen, wobei auf die Teilung des Fürstenrats und die damit auftretenden Kommunikationsprobleme zwi-schen Osnabrück und Münster verwiesen wurde

APW III A 3/2, 566 Z. 27–30.
. Dem entsprachen die Bitten einzelner evangelischer Gesandter, daß ihre Voten vom Österrei-chischen oder Salzburgischen Direktorium zu Protokoll genommen wer-den möchten

Siehe z. B. Nr. 113 (S. 304 Z. 13–16): Magdeburg bat, seinen Protest im reichsprotho-collo zu vermerken.
, was nicht nötig gewesen wäre, wenn das Protokoll der Evangelischen als verbindliches Reichsprotokoll gegolten hätte. In der Praxis werden sich die Unterschiede freilich verwischt haben, so daß zu-mindest die Evangelischen selbst ihr Protokoll als Reichsprotokoll ansa-hen. Darauf deutet der Titel reichsprotocoll in einer Wetterauer Überlie-ferung

Siehe S. CXXVI.
.
Über die Entstehung des gemeinsamen Protokolls sind wir verhältnismäßig gut unterrichtet: Nach dem Bericht des Magdeburger Protokollanten Wer-ner, der sich auf die ersten drei Sitzungen bezieht

Magdeburg G II fol. 254–254’.
, haben der österreichi-sche Direktor selbst, der österreichische Sekretär und von evangelischer Seite Werner selbst sowie der sachsen-altenburgische Sekretär (Ebart), der sachsen-weimarische Sekretär (Jäger), der pommersche Sekretär (Fehr

Werner, Ebart und Jäger haben an allen 26 Protokollen mitgearbeitet. Fehr hat an den ersten 19 Protokollen (Nr. 95–113) und am 22. (Nr. 116) mitgearbeitet. Der Braun-schweiger Christian Lampadius war am 19. bis 26. Protokoll (Nr. 113–120) beteiligt.
) und, seit der dritten Sitzung, der bayerische Sekretär Protokoll geführt. Nach der Sitzung „extendierte“ Werner sein Protokoll, d. h. er arbeitete seine Mitschrift aus. Anschließend wurde diese Fassung mit „den anderen“ verglichen, womit die Protokolle der übrigen evangelischen Sekretäre ge-meint sein müssen. Weil Werners Protokoll am vollkomlichsten befunden und weil es sich ratione directorii evangelici

evangelici wurde am Rande nachträglich ergänzt ( Magdeburg G II fol. 254’): Die Mag-deburger führten das Direktorium im CE und erschienen auch im FRO als Haupt der ev. Partei.
[...] nicht anders gebühren

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wollen, wurde es den anderen evangelischen Ständen im Magdeburger Quartier durch Diktatur mitgeteilt. So ist die Überlieferung einer Vielzahl textidentischer Protokolle zu erklären, von denen ein Teil am Kopf Diktat-vermerke trägt

Die Zeit zwischen Sitzung und Diktatur schwankte beträchtlich: zwei Tage bei der 1. bis 4., 11., 23. Sitzung und z. B. 21 Tage bei der 20. Sitzung (s. Nr. 95–98, 105, 114, 117). In keiner Überlieferung tragen die Protokolle der 6. bis 8. Sitzung (Nr. 100–102) einen Dik-tatvermerk.
. Die Diktatur bezog auch die von den Sekretären unter-zeichnete Beglaubigung unter jedem Protokoll mit ein.
Wie die Protokolle in ihrer auffälligen Ähnlichkeit mit denen, die Werner 1645 allein verfaßt hat, zeigen, hat tatsächlich der Magdeburger Sekretär die Texte entscheidend geprägt: Hier wie dort sind die Sitzungen ihrem Verlauf nach detailliert wiedergegeben, denn Werner strebte danach, alles Gesprochene einschließlich der Kurialien, Zwischenrufe und Wiederholun-gen zu erfassen

Vgl. daher Brunert, in APW III A 3/1, CIII–CVII und CXXXVII.
.
In zwölf Fällen wurden den Protokollen Voten an- oder bei der Diktatur wörtlich eingefügt, die Magdeburg zu diesem Zweck schriftlich vorgelegt worden sind. Dabei handelt es sich um zwei Magdeburger Voten zur Amnestie und über die allgemeinen reichsständischen Rechte und Privile-gien (Nr. 98, 99); um Einzelvoten in besonders wichtigen Fragen wie das Votum Sachsen-Lauenburgs und das der Wetterauer Grafen zur Amnestie (Nr. 98), die Voten Bayerns, Würzburgs, Pommern-Stettins und Pommern-Wolgasts zur schwedischen Satisfaktionsforderung (Nr. 112 und 113) sowie die Voten Bayerns, Basels und dem der Wetterauer Grafen zur französi-schen Satisfaktionsforderung (Nr. 113), um das Votum Hessen-Darmstadts zu den hessen-kasselschen Gravamina und Postulata (Nr. 114) und um das Sachsen-Lauenburger Votum zum Bedenken der drei Reichsräte in Mün-ster vom 30. Januar 1646, das der Gesandte Mecklenburgs in Abwesenheit des Sachsen-Lauenburger Gesandten abgelesen hatte (Nr. 95). Einige Gesandte haben die diktierten Protokolle als Beilage zu ihren Be-richten an den Hof geschickt. Was im Hinblick auf Information und Do-kumentation ein Vorteil war, nämlich die ungewöhnliche Genauigkeit der Protokolle, wurde dabei zum Nachteil, denn das Abschreiben dauerte lan-ge, und die Postgebühren waren hoch

Magdeburg überschickte die ersten Protokolle mit dem nach Halle abgehenden, eigenen Boten. Da es per Post sehr kostspielig sein würde, schlug der Ges. vor, künftig nur die eigenen Voten zu übersenden ( Unterthänigster bericht Nr. 19 von 1646 I 30[/II 9], in: Magdeburg F III fol. 183).
. Ein sonst häufiger Nachteil ent-fiel: In einem von mehreren Sekretären kollationierten Protokoll konnte kein Stand das eigene Votum „frisieren“, es sei denn durch nachträgliche Änderung am diktierten Text, was nur vereinzelt nachgewiesen werden konnte

Siehe unter Sachsen- Lauenburg B.
. Der gesamte evangelische Protokolltext hat wegen der Korrek-

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tur und Kontrolle durch verschiedene Protokollanten generell einen be-sonderen Quellenwert.
Diese gemeinsamen Protokolle der evangelischen Fürstenratsmitglieder hat bereits Johann Gottfried von Meiern in seine Acta pacis Westphalicae publica aufgenommen

Bd. II, der alle 26 hier erneut edierten Protokolle enthält, erschien 1734; die Seitennach-weise sind in unserer Edition jeweils am Kopf des Protokolls in der Liste der Überliefe-rungen angegeben. Zur Biographie Meierns, seinen Quellenrecherchen und seiner Editi-onsmethode s. Oschmann, Meiern, 780ff, 792–800.
. Er hielt die Protokolle vor einen rechten Schatz; auch die zeitgenössische Beurteilung war sehr positiv

Meiern I, Vorrede, 29 ; Oschmann, Meiern, 796. Meiern benutzte bg.-kulmbachische Akten sowie Privatakten Hehers aus Rudolstadt (dazu unten unter Sachsen - Weimar B III und IV) und Relationen mit Beilagen des mecklenburgischen Ges. Kayser ( Meiern I, Vorrede, 8ff ; Oschmann, Meiern, 793, 795). Hehers Akten enthielten sicher, die beiden anderen Aktensammlungen (die verschollen sind) vermutlich Fürstenratsprotokolle.
. Doch genügt sein Abdruck nicht modernen Anforderungen. Meiern nahm zwar für sich in Anspruch, seine Quellen wörtlich und akribisch wiedergegeben und auch an der Dunckel- und Verworrenheit sowie an der Orthographie nichts geändert zu haben . Er hat damit ein zu seiner Zeit ungewöhnliches Maß an Authentizität erreicht. Die Kehrseite ist allerdings, daß die Dunckel- und Verworrenheit das Verständnis der Texte über die Maße schwer macht, zumal Meierns Interpunktion und sein Verzicht auf glie-dernde Absätze die Schwierigkeiten noch verstärken. Auch ist zu berück-sichtigen, daß Protokolle eine Form verschriftlichter gesprochener Sprache sind, die Ungereimtheiten und Mißverständnisse wiedergibt, die nicht sel-ten schon den Beratungsverlauf selbst gestört haben

Siehe z. B. S. 186 Z. 1f: Der Ost. Direktor sagt am Ende einer Umfrage: Würden seinen 4. modum nicht recht eingenommen haben [...].
. Eine Bearbeitung der Texte mit ihren schwierigen Satzkonstruktionen durch moderne Inter-punktion, die Einfügung von Absätzen bei Sachabschnitten, die Auflösung der Abkürzungen sowie die Regulierung der Zusammen- und Getrennt-schreibung nach heutigem Gebrauch und vor allem durch erläuternde Sachanmerkungen ist daher zweckmäßig und eine Neuedition, die auch die österreichische Überlieferung erschließt, gerechtfertigt.
Vom Protokoll des Österreichischen Direktoriums liegt nur die vom Di-rektor Richtersberger sukzessiv an den Kaiser überschickte Fassung vor. Sie ist für jede Sitzung kürzer als das gemeinsame Protokoll der evangeli-schen Sekretäre. Ob es daneben eine längere Fassung gegeben hat, muß offenbleiben, da wir über die Protokollführung des Direktoriums nicht näher unterrichtet sind. Sehr wahrscheinlich lag der überschickten Fassung das (verlorene) Rapular des österreichischen Sekretärs zugrunde, der nach magdeburgischem Zeugnis in den Sitzungen protokolliert hat

Siehe oben bei Anm. 340.
. Ob er seine Mitschriften ausarbeitete oder Richtersberger (der ebenfalls mit-geschrieben haben soll) dies selbst unternahm, muß gleichfalls offenblei-

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ben. In den meisten österreichischen Protokollen wird freilich vom öster-reichischen Direktorium in der ersten Person gesprochen

Nicht in allen Protokollen wird die erste Person zur Bezeichnung des Direktors ge-braucht (nicht in dem der Sitzungen 10, 11, 19, 23 bis 26), und wenn es geschieht, dann nicht durchgängig.
, doch beweist das nicht, daß Richtersberger diese Texte selbst verfaßt hat, da die Ich-Form auch literarische Attitüde sein kann. Immerhin fällt auf, daß beim Direktorium, nicht aber beim österreichischen Votum, die erste Person verwendet wird

Siehe z. B. Nr. 101a: ich, [Richtersberger], proponierte; hingegen beim österreichischen Votum: Man vermeine [...].
: Vermutlich stammen die das Direktorium betreffen-den Teile, vor allem die vor der Sitzung formulierten Propositionen und die während oder nach der Sitzung stilisierten Beschlüsse, von Richters-berger selbst, während der Protokollant den Text der Umfrage formulier-te. Selbstverständlich trug Richtersberger für die gesamten Protokolltexte, die er wochenweise versandte

Zur Überlieferung s. unter Österreich A II (XXXII)-(XXXIII) und Österreich B I.
, die Verantwortung.
Die österreichischen Protokolle zeugen vom Bemühen um Übersichtlich-keit, indem die Fragen des Direktors vom übrigen Text abgehoben und durch ein darübergestelltes Quaestio oder Quaeritur besonders akzentu-iert sind. Die Voten werden durch die Überschrift umbfrag eingeleitet, und am Schluß stehen die seit der dritten Sitzung so genannten mainungen bzw. opiniones. Die Länge des österreichischen und des evangelischen Protokolls variiert, denn einige österreichische Protokolle sind – gleich den evangelischen – Verlaufsprotokolle mit allen Voten sowie einer kleineren Anzahl von Zwi-schenrufen, wenn sie auch insgesamt kürzer sind als jene. Das der siebten Sitzung vom 13. Februar 1646 ist dafür ein Beispiel

Siehe Nr. 101a. Es fehlen gegenüber dem Protokoll der ev. Sekretäre zwei Einwürfe des Direktoriums, einer vor und einer nach dem Votum Braunschweig-Lüneburgs. Bei dem zweiten Einwurf verzeichnet das Protokoll der ev. Stände zudem etliche interlocuta, von denen nur der Einwurf des Direktoriums notiert wurde. Größere Straffheit erreicht das österreichische Protokoll hier wie im allgemeinen durch Auslassung der Kurialien und Wiederholungen.
. In anderen Fällen sind die Kürzungen des österreichischen Protokolls gravierender, indem über gleichartige Voten nur zusammenfassend berichtet wird und die Zwischenrufe gar nicht aufgezeichnet sind

Ein Beispiel für das Fehlen der Zwischenrufe: In der Sitzung vom 3. Februar 1646 (Nr. 95) wurde der württembergische Ges. nach dem Protokoll der ev. Sekretäre durch eine längere Diskussion unterbrochen, indem sich wiederholt das Direktorium, außerdem Würzburg, Sachsen-Altenburg und mehrfach pauschal mit interlocuta bezeichnete Dis-kussionsteilnehmer zu Wort meldeten: All dies fehlt im österreichischen Protokoll
. So folgt im Protokoll der Sitzung vom 6. Februar 1646 bei der ersten Umfrage auf das Votum Sach-sen-Altenburgs ein Vermerk, daß die später Votierenden damit übereinge-stimmt hätten, während im Protokoll der evangelischen Sekretäre noch siebzehn Voten aufgeführt sind

Nr. 97 (S. 43ff).
. Bei der zweiten Umfrage ist sogar nur

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das österreichische Votum wiedergegeben, mit dem alle übereingestimmt hätten

Hier haben auch die ev. Sekretäre die Voten nur bis Braunschweig-Lüneburg verzeich-net, die übrigen zusammengezogen, aber immerhin noch eine Bemerkung Pommerns wiedergegeben (S. 47 Z. 22–25).
. Es kam der österreichischen Protokollführung also nicht auf die Wiedergabe des Sitzungsverlaufs an, sondern auf das Ergebnis, indem die Zahl der Ja- und Neinstimmen zu der proponierten Frage festgehalten wurde. Daß die österreichischen Protokolle der Information des Kaisers und seiner Räte dienen sollten, zeigen entsprechende Bemerkungen in den Begleitbriefen

Siehe z. B. Richtersberger an Ks. Ferdinand, 1646 II 22: Er überschicke dem Ks. daß protocoll desßen, so dise wochen in dem fürstenrath fürgeloffen, warauß Euer Kayserli-che Mayestät ihro genedigist referirn lasßen können, warauf es noch weegen der wahl eines Römischen königs bestehe ( Österreich A II (XXXII) fol. 166).
und auch Nota-bene-Vermerke, mit denen Richters-berger hin und wieder einzelne Nachrichten besonders hervorhob

Siehe z. B. Nr. 111 (S. 257 Z. 28).
. Die österreichischen Protokolle bilden somit in der vorliegenden Form einen Teil der Berichterstattung.
Auch wenn Richtersberger nie den Verlauf einer Sitzung geradezu falsch wiedergegeben hat, vermittelt das Protokoll der evangelischen Sekretäre doch bisweilen ein deutlicheres Bild. So hat Richtersberger am Schluß des Protokolls vom 6. Februar 1646 die beiden „Opiniones“ hintereinander an-geführt, ohne hinzuzufügen, auf welche die meisten Stimmen entfielen

Siehe Nr. 97 (S. 51 Z. 38f).
. Zudem ist die Opinio prima jene, die nur eine kleine Minderheit vertreten hatte. Da er selbst als österreichischer Gesandter und Erstvotierender für sie plädiert hatte, mag es richtig gewesen sein, sie zuerst anzuführen. Doch ist das Protokoll der evangelischen Sekretäre zweifellos deutlicher, indem es als erstes die Meinung der Mehrheit anführt und vor allem als solche be-nennt, der dann die andere mainung (im österreichischen Protokoll: Opinio prima) folgt. Richtersberger kann nicht die Absicht gehabt haben zu ver-schleiern, daß sich kaum ein Gesandter seiner Meinung angeschlossen hatte, denn das ergab sich aus der protokollierten Umfrage. Immerhin könnte das für ihn wenig erfreuliche Ergebnis bewirkt haben, daß er diese Niederlage nicht auch noch am Schluß akzentuierte.
Bisweilen vermittelt das österreichische Protokoll die scheinbar präzisere Information, weil es nur den Kern der Aussage und nicht das ganze, wort-reiche Votum mit seinen Höflichkeitsfloskeln und Redundanzen wieder-gibt. Ein Beispiel dafür ist das Votum Braunschweig-Lüneburg-Celles in der Sitzung vom 13. Februar 1646

Siehe Nr. 101 und 101a (S. 111 Z. 35–38, S. 123 Z. 10f).
: Der Gesandte forderte, daß auch das protestantische Minderheitsvotum des Gesamtfürstenrats in das künf-tige Bedenken gebracht werden sollte. Falls das nicht geschehe (so das öster-reichische Protokoll), würden die Protestanten ihre Voten selbst in einem gesonderten „Bedenken“ zusammenfassen und übergeben – womit die Ein-

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heit des Fürstenrats gesprengt worden wäre. Diese Drohung ist im Pro-tokoll der evangelischen Sekretäre hinter gefälligen Worten verborgen worden ( würde man die evangelischen nicht verdencken [...]). Allgemei-nem diplomatischen Brauch und dem Zeitgeschmack gemäß wird der Ge-sandte seine Drohung tatsächlich in verbindliche Worte gekleidet haben, so daß das österreichische Protokoll hier zwar die deutlichere, das der evan-gelischen Sekretäre aber insgesamt die zuverlässigere Version wiedergibt. Das österreichische Protokoll bezeugt, daß Richtersberger aus der Fülle des Gesagten die Essenz herausfilterte und an den Kaiser übermittelte. Es ist daher eher ein Zeugnis dafür, welche im Kern zutreffenden Informatio-nen der Kaiser durch den Direktor und österreichischen Gesandten von den Beratungen im Fürstenrat Osnabrück erhielt, während das Protokoll der evangelischen Sekretäre mit ihrem Bemühen um Vollständigkeit einen (so-weit das überhaupt möglich ist) realitätsnahen Eindruck vom Verlauf der Fürstenratssitzungen vermittelt. Deshalb wurde dieses und nicht das Pro-tokoll des Österreichischen Direktoriums zur Druckvorlage gewählt.

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