Acta Pacis Westphalicae III A 3,3 : Die Beratungen des Fürstenrates in Osnabrück, 3. Teil: 1646 / Maria-Elisabeth Brunert
3. Die Bedeutung des Fürstenratsbedenkens für den Fortgang der Ver-handlungen
Die
Bedenken der drei Reichskurien divergierten nicht nur untereinander, sondern waren auch in sich uneinheitlich; allein das
Bedenken des Für-stenrats verzeichnet in acht Beratungspunkten unterschiedliche „Meinun-gen“
Der Gesamt-FR hatte in folgenden Punkten divergente Auffassungen: Amnestie; Röm. Kg.swahl; frz. Satisfaktion; schwed. Satisfaktion; gegenseitige Verpflichtungserklärung des Ks.s und Frk.s zum Verzicht auf eine Assistenz Spaniens bzw. Schwedens; Liga zur Friedenssicherung; ksl. Interposition für eine Freilassung des Hg.s von Braganza; Vor-behaltsklausel bei Aufzählung der reichsständischen Rechte. Bei der Amnestie, der Röm. Kg.swahl und der gegenseitigen Verpflichtungserklärung wich eine ev. Minderheit von der Mehrheits-„Meinung“ ab, in der Frage der Liga vertraten der
FRM
und der
FRO
abweichende „Meinungen“, und in der Frage der schwed. Satisfaktion vertraten Salz-burg, Deutschmeister „und andere“ eine abweichende Auffassung. In den anderen Fällen wird die Minderheitsmeinung unspezifisch mit
etliche bezeichnet.
. Die kaiserlichen Gesandten sprachen vom
raethliche[n] Bedencken der Reichsstände, wozu die im Fürstenrat Osnabrück oft bekundete An-sicht paßt, nur „Vorschläge“ für den Frieden unterbreiten zu wollen
So argumentierten vor allem (aber nicht nur) die Evangelischen und unter ihnen an er-ster Stelle Sachsen-Altenburg (s.
[Nr. 111 Anm. 97] ).
. Die kaiserlichen Gesandten wählten aus diesen Ratschlägen das nach ih-rem Urteil Geeignete aus, um die Dupliken zusammenzustellen. Dabei nutzten sie die
Bedenken der Reichsräte, indem sie in vielen Fällen nicht nur deren Ratschläge – und bei divergenten „Meinungen“ den einen oder anderen Ratschlag – mehr oder weniger wörtlich übernahmen, sondern sich auch bei den Begründungen
(rationes) für eine Entscheidung auf die
Bedenken stützten. Im Falle der Duplik an Schweden haben sie einzelne Sätze und manchmal längere Textpassagen mit einzelnen Korrekturen und Einschüben in die Duplik übernommen
Die ksl. Duplik an Frk. (s.
[Nr. 110 Anm. 7] ) wurde nicht in der Langfassung vom 1. Mai 1646 den Franzosen mitgeteilt, sondern am 5. Mai in einer lat. Kurzfassung (s.
APW II A 4 Nr. 62, 72, 77;
Bosbach, in
APW II B 3/1, LXI Anm. 141). Auf der Grundlage dieses Textes sind Aussagen über eine Benutzung der
Bedenken der Reichsräte nur schwer mög-lich.
. Sie hielten sich dabei streng an die Fragen und Beanstandungen der schwedischen Proposition und Replik und gingen in der Regel auf Forderungen und Vorschläge, die darüber hinaus in den
Bedenken vorgebracht wurden, nicht ein. So beantworteten sie z. B. in enger Anlehnung an den Vorschlag der fürst-lichen Correlation zu Klasse I der Repliken die schwedische Frage nach
[p. CI]
[scan. 101]
der Bedeutung der Formel
iuxta morem ab antiquo in Imperio receptum, gingen aber nicht auf die darüber hinausweisenden Erörterungen über eine Aufzählung der kaiserlichen und reichsständischen Rechte in den (Cor-)Relationen der Kurien ein
Vgl. ksl. Duplik an Schweden (
Meiern
III, 59
, vierter Absatz, beginnend Die in Resp.
) Die [...] Worte [...] verstehen sich auf den Modernum Imperii Statum & ejusdem Fun-damentales Leges, Consuetudines & Observantias [...]
mit Correlation des
FR
zu Klasse I (
Meiern
II, 517f
, letzter/erster Absatz, beginnend Was ferner) [...] dahero dann denen Schwedischen Herrn Plenipotentiariis zu antworten waere, daß man die Worte juxta mo-rem [...] auf den modernum Imperii Statum & ejusdem Leges Fundamentales verstehe [...].
Siehe auch oben Anm. 284.
. Was das
Bedenken des Fürstenrats betrifft, schöpften die kaiserlichen Gesandten vorrangig aus der Correla-tion zu Klasse I, sehr viel weniger aus jener zu Klasse II bis IV. Das mag auf den engen Kontakt zwischen den kaiserlichen Gesandten und Rich-tersberger zurückzuführen sein, von dem der Entwurf zur Correlation zu Klasse I stammt. Diese war spätestens seit dem 11. März Lamberg und Krane bekannt
. Ihr sind passagenweise fast wörtlich die Argu-mente entnommen, mit denen die kaiserliche Duplik ihre Stellungnahme für eine Amnestie mit den Stichjahren 1630 bzw. 1627 untermauert
Beginn der rationes
in der ksl. Duplik:
Meiern
III, 56
, vierter Absatz, beginnend Dann 1
). Übernahme aus der Correlation des
FR
zu Klasse I (mit einzelnen Abweichungen) bis S. 57, erster Absatz, Z. 17:
nicht in Abrede stehen.
Die restlichen Zeilen bis zum Ende des Absatzes (über die Schönebecker Verhandlungen) stimmen nicht überein. Erneute Über-nahme von
ebenda,
zweiter Absatz, beginnend 3) Ist die publicirte
bis gesetzet worden.
Es folgt ein fremder Einschub, beginnend hoechstgedachter Koenig
bis ergriffen haben.
Erneute Übernahme von Der Hertzog
bis zum Ende des Absatzes mit Abweichungen und dem Einschub von gar nicht
bis gehabt
. Erneute Übernahme vom Beginn des letzten Absatzes, beginnend Die Stadt Eger
(mit Zusätzen und Abweichungen) bis S. 58, Z. 7: ausnehmen lassen.
Es folgt ein längerer Einschub. Erneute Übernahme vom Beginn des zweiten Absatzes, beginnend Es ist auch
bis
ebenda
Z. 5: treiben lassen.
. Selbstverständlich fehlen in der kaiserlichen Duplik hier und in anderen Fällen die abweichenden „Meinungen“ aus der Correlation. Nur in einem Fall erwähnt die kaiserliche Duplik, daß ein Teil der Reichsstände anderer Meinung sei – und die kaiserlichen Gesandten trotzdem anders entschie-den
Die ksl.
Ges.
lehnten das vorgeschlagene
General-Buendniß
(die Liga) zur Friedenssiche-rung nicht ab, ob zwar bey theils Standen derentwegen allerhand Bedencken gibt
(ksl. Duplik an Schweden,
Meiern
III, 61
, zweiter Absatz, beginnend Wegen
der).
. Das wirft die Frage auf, warum die evangelischen Gesandten im Fürstenrat Osnabrück so hartnäckig darauf bestanden hatten, daß ihre
vota discrepantia (und vor allem jenes über die Amnestie) in die Correla-tion eingefügt wurden, denn ihnen dürfte doch klar gewesen sein, daß ihr Votum keine Aufnahme in die kaiserliche Duplik finden würde. Die Ant-wort ist einfach, wenn man die Alternative bedenkt: Die Übergabe eines Reichsbedenkens mit eingerückten Minderheitsvoten hatte gegenüber der separaten Aushändigung eines evangelischen
Bedenkens (gemäß dem Vor-schlag Richtersbergers vom 21. Februar) den Vorteil, daß die kaiserlichen
[p. CII]
[scan. 102]
Gesandten die Minderheits-„Meinungen“ offiziell zur Kenntnis nehmen mußten
Siehe dazu oben bei Anm. 235.
. Es war ihnen die Möglichkeit benommen, sich etwa in der wichtigen Frage der Amnestie auf ein Reichsgutachten zu berufen, das sich einheitlich für die Stichjahre 1630 und 1627 ausgesprochen hätte. Das war verhandlungstaktisch von Bedeutung in den Verhandlungen mit Schweden, das sich der Sache der Protestanten zuverlässig annahm: Schon am 29. April sprach Salvius bei Trauttmansdorff vor, erörterte mit ihm fast alle Verhandlungspunkte und sprach an erster Stelle über die umstrit-tenen Stichjahre der Amnestie
APW II A 4, 115 Z. 20–29.
. Die Auffassungen dazu blieben kontro-vers; die Frage wurde durch die uneinheitlichen
Bedenken der Reichsräte nicht entschieden, sondern offengehalten. Die divergenten „Meinungen“ der Reichskurien verstellten andererseits den Verhandlungspartnern die Möglichkeit, sich in diesen Fällen auf die Gesamtheit der Reichsstände zu berufen und damit ein gewichtiges Argument für ihre Verhandlungsposi-tion zu gewinnen. In zentralen Fragen des Friedens (Satisfaktion, Amne-stie) halfen die
Bedenken der Reichsräte also nicht entscheidend weiter. Darüber darf aber nicht vergessen werden, daß die Stellungnahmen der Kurien zu fast allen Verhandlungsgegenständen (mit Ausnahme der
Gra-vamina ecclesiastica) eine wertvolle Quelle für die Auffassungen der pro-filiertesten Juristen und Diplomaten ihrer Zeit über die Reichsverfassung, über die Kriegsursachen und über partikulare Konflikte (wie den Marbur-ger Erbfolgestreit) darstellen.