Acta Pacis Westphalicae III A 3,4 : Die Beratungen des Fürstenrates in Osnabrück, 4. Teil: 1646 - 1647 / Maria-Elisabeth Brunert

b. Exemtion Basels und der Schweizer Eidgenossenschaft

Während die Causa Palatina ihren Ursprüngen nach mit dem Dreißigjähri-gen Krieg in engstem Zusammenhang stand, hatte die in Artikel VI des IPO (bzw. in § 61 IPM) ausgesprochene Exemtion der Stadt Basel und der übri-gen Orte der Schweizer Eidgenossenschaft nichts mit dem Krieg zu tun. Aus unscheinbarem Anlaß, nämlich dem Überfall auf einen Weinhändler, der aus Schlettstadt nach Basel verzogen war und aus Unzufriedenheit mit einem Urteil des Basler Stadtgerichts an das Reichskammergericht appel-liert hatte, erwuchs der Versuch des Reichskammergerichts, Basel seiner Rechtsprechung zu unterwerfen. Dieser Versuch hatte wiederum zur Folge, daß besagter Artikel dem Friedensvertrag einverleibt wurde. Mit ihm erhielt die Schweizer Eidgenossenschaft im reichsrechtlichen Verständnis

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die libertas ab Imperio, aber keine Souveränität im Bodinschen und damit modernen Sinn. Immerhin wurde ihr nach heutiger Interpretation eine irgendwie geartete Unabhängigkeit vom Reich zugesprochen

Jorio, Nexus Imperii, 143f.
. Als sich die Reichskurien 1647 mit dem Basler Exemtionsbegehren beschäf-tigten, konnten sie die geschichtlichen Konsequenzen nicht überblicken. Doch schon damals, als der Fürstenrat Osnabrück sich am 5. Februar 1647 zum ersten Mal mit der Sache befaßte, zeichnete sich ab, daß das Exemtionsgesuch des Basler Gesandten Wettstein weitreichende Folgen haben würde. Frankreich hatte sich bereits eingeschaltet , und es stand zu befürchten, daß sich auch Schweden der Sache annehmen und diese Aufnahme in den Friedensvertrag finden würde

So das Öst. Direktorium (s. Nr. 127 bei Anm. 20).
. Die Gesandten waren sich der Relevanz bewußt, zumal mindestens zwei über besondere Sach-kenntnisse verfügten: Thumbshirn verwies auf Staatsrechtsliteratur zum Thema Exemtion, die ja bekannt sei

S. Nr. 127 bei Anm. 34.
, und Heher erinnerte sich an einen älteren, vergleichbaren, noch nicht abgeschlossenen Rechtsfall eines Base-ler Juristen, der an das Reichskammergericht appelliert hatte

S. Nr. 127 bei Anm. 36.
. Ihnen wie auch den anderen Gesandten (einschließlich des bayerischen) schien es bedenklich, sich ohne spezielle Instruktion über eine solch wichtige Frage zu äußern, so daß beschlossen wurde, den vom Kaiser angeforderten Bericht des Reichskammergerichts abzuwarten und auch selbst einen Bericht anzu-fordern

S. Nr. 127 bei Anm. 41.
.
Dieses Beratungsergebnis entsprach weder den Intentionen der kaiserli-chen Gesandten noch jener des Österreichischen Direktors, noch dem aus Münster vorliegenden Beschluß der dortigen Reichsstände. Um Weiterun-gen zu vermeiden, wollten diese dem Kaiser raten, er solle dem Reichs-kammergericht befehlen, aufgrund eines von Basel angeführten Privile-gium de non evocando aus dem Jahr 1433 die Stadt und ihre Bürger nicht mehr vorzuladen. Das laufende Verfahren, das der Weinhändler angestrengt hatte, sollte durch einen gütlichen Vergleich beigelegt wer-den

S. Nr. 127 bei Anm. 16.
. Im Reichsgutachten, welches das Kurmainzer Reichsdirektorium in Münster aufsetzte, fand die Osnabrücker Minderheits-„Meinung“ nur in der Form Berücksichtigung, daß eingangs die Bedenken aufgezählt wur-den, die dagegen sprachen, der Stadt Basel in ihrem Gesuch um Exemtion

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vom Reichskammergericht zu willfahren . Diese Empfehlung wurde den-noch ausgesprochen, und zwar mit dem Vermerk, daß der Beschluß dazu im Kurfürstenrat einhellig, im Fürsten- und Städterat mehrheitlich gefal-len sei. Der Entwurf dieses Reichsgutachtens wurde am 23. Februar 1647 im Fürstenrat Osnabrück wohl nur deshalb ohne größere Diskussionen akzeptiert, weil Thumbshirn, Carpzov und Heher nicht an der Sitzung teilnahmen und Lampadius als einziger anwesender braunschweigischer Gesandter mit seinen Bedenken und Änderungsvorschlägen nicht durch-drang

S. Nr. 128 bei Anm. 11 und 14.
. Das Salzburgische Direktorium resümierte trotz des nicht völlig zustimmenden braunschweigischen Votums, daß man in effectu einig sei

S. Nr. 128, letzter Absatz.
. Thumbshirn und Heher beschwerten sich in der übernächsten Sitzung, daß das Gutachten ausgefertigt, erst danach diktiert (bekanntgemacht) und nicht mehr zur Abstimmung gebracht worden sei

S. Nr. 130 bei Anm. 25. Am 14. September 1647 kam Thumbshirn noch einmal darauf zurück und monierte, daß dieses Reichsga. ohne vorherige Re- und Correlation ausgefertigt worden sei (s. Nr. 141 bei Anm. 31).
. Thumbshirn mißbil-ligte die dem Kaiser empfohlene Exemtion Basels und befürchtete Nach-ahmer, die ebenfalls aufgrund eines alten Privilegs die Exemtion anstreben könnten, so daß entlich dem Römischen Reich weinig überbleiben

S. Nr. 130 bei Anm. 29.
.
Der Fürstenrat Osnabrück wurde im August und September desselben Jah-res erneut mit der Baseler Sache befaßt. Es ging dabei aber nicht mehr um eine wie auch immer geartete Exemtion Basels oder der Eidgenossenschaft, sondern nur um die Frage, ob die Reichskurien an das Reichskammerge-richt schreiben sollten, damit dieses endlich gemäß der schon im Vorjahr ergangenen einstweiligen Verfügung des Kaisers seine Maßnahmen gegen Basel bzw. seine Bürger und Waren einstelle

S. Nr. 140 und Nr. 141, zweite Umfrage.
. Ende Mai 1647 war es nämlich aufgrund des kammergerichtlichen Mandats vom Juni 1646 zur Konfiskation von Baseler Handelsware gekommen, was eine Beschwerde des Baseler Gesandten Wettstein bei den Kaiserlichen zur Folge gehabt hatte. Diese hatten daraufhin das Kurmainzer Reichsdirektorium ersucht, einen Beschluß der Reichskurien zur Ermahnung des Reichskammerge-richts herbeizuführen . Es konnte in dieser Beratung gar nicht mehr um den künftigen Status Basels gehen, da sich inzwischen die Franzosen der Sache Basels, die zu einer der gesamten Schweizer Eidgenossen gewor-

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den war, tatkräftig angenommen hatten, indem sie einen entsprechenden Artikel in ihren Friedensvertrags-Entwurf vom Juli 1647 aufgenommen hatten. Die Kaiserlichen waren der Ansicht, daß ein solcher Artikel nun nicht mehr zu verhindern sei; auch zwischen ihnen und Wettstein hatten deswegen schon (weitgehend einvernehmliche) Verhandlungen stattgefun-den. Es stand somit (vorbehaltlich der kaiserlichen Entscheidung) fest, daß der Friedensvertrag einen Artikel wegen Basel bzw. der Eidgenossenschaft enthalten würde; nur einige Einzelheiten, die aber bei der Beratung im Fürstenrat nicht zur Diskussion standen, waren noch nicht festgelegt .
Diese Entwicklung war durch das Ausbleiben der kaiserlichen Resolution auf das Reichsgutachten vom Februar 1647 gefördert worden. Der Kaiser hatte die Angelegenheit angesichts differierender Ansichten des Reichshof-rats und seiner Gesandten verschleppt

Ruppert, 306.
. Da es im Fürstenrat Osnabrück nur noch um das vorgeschlagene Mahnschreiben an das Reichskammerge-richt ging, verlief die Beratung am 30. August 1647 ruhig und war sicher-lich schnell beendet, zumal einige Gesandte fehlten

Bayern war nicht vertreten; von den Braunschweiger Ges. war niemand da; Sachsen-Lauenburg wurde durch Württemberg vertreten (s. Nr. 140).
. Bemerkenswert ist eigentlich nur das Magdeburger Votum wegen seiner Realitätsferne: Krull war nach Lektüre eines reichskammergerichtlichen Berichts zu dem Ergebnis gekommen, daß die Behauptung des Gerichts, Basel unterstehe seiner Jurisdiktion, fundiert und dessen Vorgehen somit rechtens sei. Des-halb schlug er vor, die Kaiserlichen sollten Wettstein die Argumente des Reichskammergerichts vorhalten und diese auch der Stadt Basel und der Schweizer Eidgenossenschaft mitteilen. Er zweifle nicht, daß sie dabey woll acquiesciren würden

S. Nr. 140, letzter Satz des Magdeburger Votums.
. Da er aber angab, nicht instruiert zu sein, wurde dieser „unvorgreifliche“ Vorschlag anscheinend nur als private Mei-nungsäußerung gewertet und bei der einhelligen Beschlußfassung, die den vorgeschlagenen Brief guthieß, nicht berücksichtigt.
In der nächsten Sitzung, am 14. September 1647

S. Nr. 141. – Im Juli 1648 wurden die Reichskurien nochmals mit der Exemtion der Eidge-nossenschaft befaßt (s. künftig in APW III A 3/6).
, ging es hauptsächlich um einzelne Formulierungen des nunmehr als Entwurf vorliegenden Mahn-schreibens an das Reichskammergericht, und damit war die Beschäftigung des Fürstenrats Osnabrück mit dieser Thematik zunächst beendet. Basel und die Schweizer Eidgenossenschaft hatten zu diesem Zeitpunkt allerdings noch keine Gewißheit, daß der Artikel über ihre Exemtion tatsächlich dem

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Friedensvertrag inseriert werden würde. Erst wenige Tage nach dem 14. September 1647 erhielt Wettstein die erbetene schriftliche Zusage der kai-serlichen Gesandten, daß der vereinbarte Artikel in den Friedensvertrag aufgenommen werde, falls die immer noch ausstehende Resolution des Kai-sers bis zum Vertragsschluß nicht eintreffe. Ähnliche Erklärungen erhielt er am 29. September und 10. Oktober von den Franzosen und Schweden. Das monatelang erwartete Exemtionsdekret des Kaisers traf am 6. Novem-ber 1647 in Westfalen ein und wurde Wettstein am 7. ausgehändigt. Den dreizehn Orten der Eidgenossenschaft wird darin die geforderte Exemtion bewilligt, indem bestätigt wird, daß sie (gemäß reichsstaatsrechtlicher Ter-minologie) ein „freier und ausgezogener Stand“ seien

Zu diesem Begriff, der die Exemtionsfreiheit oder „libertas ab Imperio“ bezeichnet, s. Dickmann, 438; zu den ksl., frz. und schwed. Erklärungen über die Aufnahme des Art.s in den Friedensvertrag, zum Dekret des Ks.s und den weiteren Verhandlungen s. Viehl, 202–205, 242–247; Ruppert, 307–310; Stadler, 69f; [Nr. 140 Anm. 10] .
. Das Dekret war auf den 16. Mai 1647 zurückdatiert. An diesem Tag hatte der Reichshofrat sein Gutachten über das Exemtionsgesuch abgegeben. Die Datierung lag damit vor der Auslieferung des französischen Vertragsentwurfs mit seiner (andersartigen) Fassung des Artikels, wie der Kaiser in seinem Begleitschrei-ben an seine Gesandten erläuterte. Auf das Reichsgutachten, über das am 5. und 23. Februar 1647 im Fürstenrat Osnabrück beraten worden war, wird nicht Bezug genommen. In ihm war, wie oben gezeigt, nur von der Stadt Basel und der Exemtion aufgrund eines mittelalterlichen Privilegs die Rede gewesen, und doch war es einem Teil der Reichsstände, an ihrer Spitze Thumbshirn, bereits höchst bedenklich erschienen. Indem Wettstein die Unterstützung Schwedens und vor allem Frankreichs erhalten hatte, war es ihm gelungen, ein viel weitergehendes Dekret zu erlangen.

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