Acta Pacis Westphalicae III A 3,4 : Die Beratungen des Fürstenrates in Osnabrück, 4. Teil: 1646 - 1647 / Maria-Elisabeth Brunert
a. Causa Palatina
Im Frühjahr 1647 hatte der Fürstenrat Osnabrück Gelegenheit, zum
schwierigste[n] aller Amnestieprobleme
So
Dickmann,
400; ähnlich
Repgen,
Hauptprobleme, 420.
, der Pfälzischen Frage, Stel-lung zu nehmen. In monatelangen Vorbereitungen hatten die kurbaye-rischen Gesandten sich bemüht, von den auswärtigen Mächten und den Reichsständen die Zustimmung zu der von Kurfürst Maximilian gewünsch-ten Lösung zu erhalten: Es sollte eine neue, achte Kur errichtet werden, und zwar für die pfälzische (Heidelberger) Linie der Wittelsbacher, während er und seine Deszendenz die fünfte Kurwürde, die ihm 1623 öffentlich übertragen worden war, behalten wollte. Am schwierigsten war es gewe-sen, Schweden davon abzubringen, daß die Heidelberger Linie vollständig nach dem Stand von 1618 zu restituieren sei
Albrecht,
Maximilian, 1025f.
. Als die Pfalzfrage Ende August 1646 in den Reichskurien zur Beratung anstand, war dies mit Rücksicht auf Schweden unterblieben. Damals hatten die schwedischen Gesandten gefordert, daß die Beratung aufzuschieben sei, bis die Frage mit ihnen verhandelt worden wäre
. Als sie nun, am 16. März 1647, im Fürstenrat Osnabrück vorgenommen wurde, erinnerte das Österreichische Direktorium an die beabsichtigte Beratung vor fast sieben Monaten und verknüpfte damit die Erwartung, daß inzwischen alle die Sache reiflich erwogen hätten und damit gut vorbereitet seien. Tatsächlich trugen vier (katholische) Gesandte schriftlich ausgearbeitete Voten vor
Österreich, Würzburg, Hildesheim, Pfalz-Neuburg. Vielleicht kannten sie die Proposition wenigstens in ihren Grundzügen bereits vor der Sitzung (s. dazu auch die übernächste Anm.). Hildesheim votierte detailliert und im Sinne der ksl. Proposition; Pfalz-Neuburg erinnerte an seine eigenen Nachfolgerechte in der Pfälzer Kur und übergab zwei darauf bezügliche Schriftsätze (s.
[Nr. 129 Anm. 74] , 76). Zum öst. und würzburgischen Votum s. unten.
, die sie später
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den Protokollanten zur Verfügung stellten; andere (evangelische) Gesandte aber behaupteten, unvorbereitet, da nicht instruiert, zu sein, so daß sie ihr Votum suspendieren müßten. Einerseits war zwar seit Monaten bekannt, daß es zu einer Beratung in den Reichskurien kommen würde, andererseits aber wird in der Tat nicht vorhersehbar gewesen sein, daß sie gerade zu diesem Zeitpunkt angesetzt werden würde; auch war die genaue Fragestel-lung der Proposition nicht bekannt gewesen. Die Beratung war von den Kaiserlichen im Hinblick auf die befürchtete Separation Kurfürst Maximi-lians durch Abschluß eines Waffenstillstands mit Frankreich und Schweden gewählt worden, um Kurbayern doch noch an der Seite des Kaisers zu hal-ten
. Die den Direktoren erst spät am Vorabend zugestellte Proposition wurde in der Sitzung verlesen, ohne vorher diktiert worden zu sein
Die späte Zustellung der Proposition ist im Protokoll des
SRO
erwähnt (s.
APW III A 6, 462 Z. 30). Wahrscheinlich stand die Absicht dahinter, den
Ges.
keine Gelegenheit zu langen (kritischen) Stellungnahmen zu geben.
. Sie war umfangreich, da sie zunächst die lange Vorgeschichte, beginnend mit dem geächteten Pfalzgrafen Friedrich, aufrollte und Bedingungen nannte, unter denen die (männlichen) Nachkommen Friedrichs die achte Kur und die Unterpfalz erhalten sollten. In einem kurzen letzten Absatz wurden die Reichskurien um die Zustimmung zur Schaffung einer achten Kur gebe-ten, ohne daß an dieser Stelle ausdrücklich gesagt wurde, für wen diese bestimmt sein sollte
. Damit wurden die Reichskurien in ihrer Gesamt-heit ausschließlich um die Zustimmung zur achten Kur gebeten, was den Intentionen Kurfürst Maximilians entsprach; seiner Ansicht nach waren nämlich für alle anderen damit zusammenhängenden Fragen nur Kaiser und Kurfürsten zuständig
Albrecht,
Maximilian, 1028.
. Dem entsprach freilich nicht die Auslegung der Proposition im ersten (österreichischen) Votum durch den Fürstenrats-direktor Richtersberger: Die Proposition betreffe erstens die Tatsache, daß der Kaiser es bei der Übertragung der (fünften) Kur und der Oberpfalz auf Bayern belasse; zweitens bitte der Kaiser um Zustimmung zur Errichtung der achten Kur unter den Bedingungen, die in der Proposition genannt seien
S. Nr. 129, öst. Votum, erster Absatz. Vgl. die fast gleichlautende Formulierung durch das Kurmainzer Reichsdirektorium im
KFR
am 16. März 1647
(APW III A 1/1, 732 Z. 3–10). Zu den Bedingungen s.
[Nr. 129 Anm. 8] .
.
Wie sich herausstellte, war dazu keine Zustimmung der Mehrheit zu erhal-ten. Nachdem Pfalz-Lautern in Aussicht gestellt hatte, daß Pfalzgraf Lud-
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wig Philipp
verhoffentlich eine achte Kurwürde für Bayern bewilligen würde, ohne darauf einzugehen, daß die Proposition vielmehr eine achte Kur für die Heidelberger Linie vorsah
S. Nr. 129, Votum Pfalz-Lauterns.
, Salzburg
Salzburg hatte schon vor der Sitzung angegeben, ohne Instruktion zu sein. Trauttmansdorff und die kurbay.
Ges.
hatten die Salzburger vergeblich zu überreden versucht, in Münster zu votieren, um den Protestanten nicht das Schauspiel kath. Uneinigkeit zu liefern.
Immler (Kurfürst, 383) vermutet, daß Salzburg wegen Differenzen in Kontributions- und Salzan-gelegenheiten nicht zum Vorteil Kf. Maximilians votieren wollte. Vielleicht spielten auch noch andere Gründe mit. Jedenfalls haben die Salzburger
Ges.
am oder unmittelbar vor dem 14. März versucht, die Ksl. davon abzuhalten, die
Causa Palatina in den Reichskurien proponieren zu lassen
(APW III C 2/2, 826 Z. 24f).
und dann auch Mag-deburg ihre Voten suspendierten und sich dem die anderen evangelischen Gesandten ganz oder teilweise anschlossen, sah sich das Österreichische Direktorium zum Eingreifen gezwungen. Es unterbrach den Gesandten Braunschweig-Celles (Langenbeck) und erläuterte, daß es dieses Mal vor-nehmlich um die Frage
„an“ ratione octavi electoratus gehe
. Richtersber-ger beschritt damit einen Weg, der durch einige der vorangehenden Voten, begonnen beim Würzburgischen, vorgezeichnet war: Der Würzburger Gesandte Vorburg hatte mit vielen geschichtlichen
rationes zu begründen gesucht, daß die Schaffung einer achten Kur und damit eine Änderung der in der Goldenen Bulle von 1356 niedergelegten Normen zulässig sei, zu den übrigen Punkten aber keine Stellung bezogen. Der Gesandte Sachsen-Wei-mars, -Gothas und -Eisenachs (Heher) hatte, auf diesem Weg fortschrei-tend, präzisiert: Es gehe zur Zeit nur
abstractive um die Einführung der achten Kur, während das
concretum noch nicht in die Umfrage gekommen sei
. Damit war die Gefahr gebannt, sich genau und detailliert darüber äußern zu müssen, ob und in welchem Umfang und zu welchen Bedin-gungen die Heidelberger Linie restituiert werden sollte. Gerade für die Protestanten waren das Fragen, die man nicht beantworten wollte; denn es war klar, daß eine vollständige Restitution nach dem Stand von 1618 (wie die Heidelberger Linie sie anstrebte) nicht realisiert werden konnte. In der Beratung ging es jetzt gleichsam nur noch um das theoretische Problem, ob eine Änderung der Goldenen Bulle möglich sei, und zwar in diesem Fall durch die Schaffung einer achten Kur. Auf Wunsch Braunschweig-Celles wurden die Wörter
et abstractive nachträglich in den Text des Mehrheitsbe-schlusses eingefügt, um dies hervorzuheben
. Die Möglichkeit, eine neue, achte Kur einzurichten, wurde in diesem Beschluß bejaht. Über alle kon-
[p. LXXIV]
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kreten Fragen sollten die Kaiserlichen, Schweden und Franzosen mit Betei-ligung der Betroffenen verhandeln, wobei zur Bedingung gemacht wurde, daß die Ergebnisse dieser Verhandlungen den Reichskurien mitgeteilt und von ihnen ratifiziert werden sollten.
Die besondere Bedeutung dieser Beratung war den Reichsständen bewußt, weshalb die üblichen Proteste wegen der Präzedenz vorgetragen wurden. Pfalz-Zweibrücken vermerkte ausdrücklich, dies geschehe, weil ein actus solennis
vorgenommen werde
. Über den Stellenwert der Pfälzer Frage waren die Meinungen geteilt: War sie nach Auffassung des Österreichi-schen Direktoriums ein brunquel aller motuum
gewesen
S. 100 Z. 35. Zur Auffassung des Ks.s s. die Geheiminstruktion Trauttmansdorffs von 1645 X 16, Punkt [7]
(APW I.1, 443 Z. 13).
, was der Auf-fassung des Kaisers entsprach, der sie als origo huius belli
ansah, so waren für die Evangelischen die Gravamina die vornembste uhrsach und [der] rechte brunquel dieses leidigen, so lang gewärten krieges
.
Entsprechend forderten sie, die Gravaminaverhandlungen vorzuziehen oder zumindest gleichzeitig mit der Pfälzer Frage zu behandeln
S. dazu vor allem das Votum Sachsen-Altenburgs vom 16. März 1647. Obwohl die Behand-lung der Gravamina bereits vom Magdeburger Krull gefordert worden war, trat erst Thumbshirn als Sprecher der Evangelischen auf (S. 127 Z. 10–13). Besonders scharf for-derte Lampadius, daß die Gravaminaverhandlungen vorgezogen werden müßten, da die
causa Palatina nur ein
privatwerck sei (s. Nr. 129, Votum Braunschweig-Grubenhagens).
.
Die reichsständische Beratung der Pfälzer Frage wurde durch die gleich-zeitig am 28. März 1647 in Münster und Osnabrück abgehaltene Re- und Correlation beendet
S. Nr. 131 und
APW III A 1/1 Nr. 114.
. Es war die einzige im Editionszeitraum gleichzei-tig in beiden Kongreßstädten vorgenommene Re- und Correlation, was die Bedeutung der
Causa Palatina unterstreicht. Der in Münster ausgearbei-tete Entwurf eines Reichsgutachtens war wiederum nicht diktiert worden, so daß er erst in der Sitzung durch Verlesen bekanntgemacht wurde. Er enthielt auch die
particularitäten der Pfälzischen Frage, weshalb einige Mitglieder des Fürstenrats Osnabrück darüber nun doch eine Beratung wünschten, obgleich der Österreichische Direktor zu verstehen gab, daß es nur darum gehe, ob man dem Entwurf zustimme oder nicht
. Es war der Sachsen-Altenburger Thumbshirn, der ein klares Wort sprach: Über die Einzelheiten würde man länger als vier Wochen beraten und sich doch nicht einigen können; also solle man das Gutachten so, wie es sei, mit dem Vermerk übergeben, daß die Osnabrücker Gesandten ihre Erinnerungen
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dazu nicht beigebracht hätten
S. Nr. 131, Votum Sachsen-Altenburgs, Punkt [I].
. Im Gutachten stand, dem Vorschlag nicht ganz entsprechend, daß die Mehrheit der Protestanten in Osnabrück zwar einverstanden sei, wenn die achte Kur
in abstracto um des Friedens willen eingeführt werde, daß sie es aber dem Kaiser, den Schweden und Fran-zosen überließen, die Bedingungen und Vorbehalte dazu auszuhandeln
. Pfalz-Lautern beantragte einen Zusatz, der besagen sollte, daß auch einige Katholische dieser Meinung gewesen seien. Damit muß das Würzburger (und Baseler) Votum gemeint gewesen sein
. Der Zusatz wurde nicht ergänzt, doch ist die Beobachtung Pfalz-Lauterns dennoch bemerkenswert, da sich hier die Anfänge einer überkonfessionellen Gruppierung abzeich-nen, die pragmatisch das Mögliche tat, das Unmögliche beiseite ließ und zielstrebig auf den Frieden zuarbeitete. Im Herbst 1647 formierte sich diese „dritte Partei“ und half 1648 maßgeblich mit, daß der Friede endlich zustandekam. Zu den wichtigsten Mitgliedern gehörten auf der einen Seite Kurmainz/Würzburg und auf der anderen Seite Sachsen-Altenburg
S.
APW III A 3/5, XLVI, besonders Anm. 13.
.
Das Reichsgutachten in der pfälzischen Sache wurde Trauttmansdorff am 10. April 1647 übergeben
. In den nächsten vier Monaten gelang es tatsächlich, in den wesentlichen Punkten der Pfalzfrage zu einer Verein-barung zu kommen
Zur Vereinbarung vom 11. August 1647 s. Anm. 29.
. Im Fürstenrat Osnabrück ist die
Causa Palatina im Editionszeitraum nicht mehr zur Sprache gekommen.