Acta Pacis Westphalicae III A 3,4 : Die Beratungen des Fürstenrates in Osnabrück, 4. Teil: 1646 - 1647 / Maria-Elisabeth Brunert
1. Das häufigste Beratungsthema: Sicherheit und Unterhalt des Reichskammergerichts
In zehn von 22 Sitzungen beriet der Fürstenrat Osnabrück über die Sicher-heit und vor allem über den Unterhalt des Reichskammergerichts. Die mei-sten Reichsstände trugen wegen ihrer kriegsbedingten Finanznot nur wenig oder gar nichts zum Unterhalt des Gerichts bei. Das Thema war nicht neu, sondern bereits 1640/41 auf dem Regensburger Reichstag und 1643/44 auf dem Frankfurter Reichsdeputationstag Beratungsgegenstand gewesen. Es war nie beabsichtigt, Bestimmungen zum Unterhalt des Reichskammer-gerichts in die Friedensverträge aufzunehmen. Insofern befremdet es, daß sich der Fürstenrat Osnabrück fast in der Hälfte seiner Sitzungen aus-schließlich oder partiell mit diesem Thema befaßt hat
Das
RKG
war ausschließliches Thema in den Sitzungen vom 11. und 27. Juni, 27. September und 18. Oktober 1646 sowie vom 27. März, 5. April, 1. Juni und 28. August 1647 (Nr. 123–126, 130, 132, 136, 139). Außerdem war es eines von mehreren Beratungsgegenständen am 7. Mai 1646 und am 14. September 1647 (Nr. 122, 141). Ferner gehörte es zu den Themen der FR-Sitzung am 27. Juni 1647, die in Münster unter Beteiligung der sonst in Osnabrück votierenden
Rst.
stattfand (s. Nr. 137). Zu den früheren Beschlüssen des Regensburger
RT
und Frankfurter
RDT
zum
RKG
s.
[Nr. 122 Anm. 66] , 67.
, zumal sich das Grundproblem trotz aller Beratungen und Beschlüsse nicht änderte: Die Reichsstände zahlten das Kammerzieler nur unvollständig und schulde-ten daher mehr oder weniger große Summen. Andere Finanzierungsarten (wie eine außerordentliche Judenkopfsteuer) waren schon vor dem Frie-denskongreß vorgeschlagen, aber nicht realisiert worden; eine praktikable Lösung fanden auch die Diplomaten des Friedenskongresses nicht. Den-noch waren die bisweilen redundant erscheinenden Beratungen zumindest aus Sicht des Reichskammergerichts nicht nutzlos: Trotz der kriegsbeding-ten Engpässe konnte das Gericht durch seine dauernden Beschwerden und
[p. LXX]
[scan. 70]
die dadurch provozierten Beratungen auf dem Friedenskongreß zumindest einige Reichsstände zu gewissen Zahlungen bewegen, so daß die Einnah-men nicht völlig versiegten. Auch blieb das Gericht den Reichsständen als eine schützenswerte Reichsinstitution dauernd präsent. Zwar scheint die drohende Ankündigung des Gerichts, es sehe sich durch den Personalman-gel, der durch die unsichere Lage in Speyer und die Finanznot hervorge-rufen würde, zur Selbstauflösung gezwungen, im Rückblick übertrieben zu sein. Sie war jedoch nicht völlig aus der Luft gegriffen, wie das Bei-spiel jenes Johann Niclaß Lindenmayr zeigt, der sich 1643 um eine Stelle in Prag beworben hatte, weil er den schlechten Verhältnissen in Deutsch-land und besonders jenen am Rhein entkommen wollte
S.
[Nr. 125 Anm. 8] . Johann Niclaß Lindenmayr ist vermutlich mit dem
RKG
-Pfennigmeister von 1647 Johann Lindemair identisch (s.
ebenda).
. Die Bewer-bung Lindenmayrs zeigt, wie wenig attraktiv in Kriegszeiten ein Wohn-ort war, der in der Nähe einer bedeutenden Verkehrsader lag. Obwohl Speyer bereits seit Herbst 1644 französisch besetzt war, konnte das Reichs-kammergericht seine Funktionen mehr oder weniger ungestört erfüllen, da es einen Schutzbrief erhalten hatte, so daß es sich nur über befürchtete oder eingetretene Verstöße gegen diesen Schutzbrief beklagen mußte
. Da auch anderswo die kriegsbedingten Belastungen groß waren und manche Reichsstände stärker davon betroffen wurden als Speyer und das Reichs-kammergericht, reagierten einige von ihnen schließlich gereizt auf die ständigen Klagen, zumal das Gericht nicht davor zurückschreckte, säumi-gen Reichsständen harte Strafen (wie die Reichsacht) anzudrohen, auch wenn diese (wie Anhalt) glaubhaft machen konnten, daß ihre schlechte Zahlungsmoral kriegsbedingte Ursachen hatte
Anhalt wurde die Reichsacht angedroht (s.
[Nr. 122 Anm. 75] ). Als Beispiel für Kritik am
RKG
s. das Votum Sachsen-Weimars, -Gothas und -Eisenachs vom 28. August 1647 (Nr. 139 bei Anm. 25).
. Die Übersendung eines Verzeichnisses mit den säumigen Reichsständen wirkte ebenfalls nicht in jeder Hinsicht positiv auf die Zahlungsmoral, da jeder Schuldner auf diese Weise erfuhr, wer noch größere Rückstände hatte als er selbst
. Insge-samt gelang es dem Reichskammergericht aber, durch seine wiederholten Beschwerden für seine Sicherheit und seinen Unterhalt zu sorgen, indem es bei den Reichsständen das Bewußtsein dafür wachhielt, daß es
alß ein edtles kleinoht des Heyligen Römischen Reichs conserviret unnd erhalten
[p. LXXI]
[scan. 71]
werde[n müsse]
S. in Nr. 123 das Votum Mecklenburg-Schwerins und -Güstrows, Punkt [1].
. Auf der anderen Seite waren auch die vielen Beratun-gen der Reichskurien über die Nöte des Gerichts nicht nutzlos: Wenn man die Beschwerden, vor allem die Finanznot, schon nicht abstellen konnte oder wollte, so gab man den Kameralen immerhin das Gefühl, daß man ihre Beschwerden ernst nahm und ihnen abzuhelfen suchte, wenn dieses Engagement letztlich auch nicht effektiv war.