Acta Pacis Westphalicae III A 3,5 : Die Beratungen des Fürstenrates in Osnabrück, 5. Teil: Mai - Juni 1648 / Maria-Elisabeth Brunert

2. Schweden

Seit August 1647 stand die Forderung nach 20 Millionen Reichstalern zur Entschädigung für die schwedische Armee im Raum. Die schwedi-schen Gesandten hatten diese Forderung zwar abgeschwächt, indem sie den Betrag nur als Vorschlag bezeichneten, drängten aber immer stärker auf sofortige Verhandlungen über ihre Militärsatisfaktion. Von allen offe-nen Fragen gab diese für sie den Ausschlag, daß der Friede noch nicht geschlossen war; denn seit 1635 gehörte das contentement der soldatesca zu den schwedischen Kriegszielen. Damals hatte die schwedische Krone nach schweren Meutereien die Verpflichtung zur Auszahlung der Sol-daten übernommen

Lorentzen, 117–124; Dickmann, 423; Ruppert, 297; Oschmann, 36f, 42f; [Nr. 145 Anm. 44] .
. Der eigene Geldmangel und die Folgekosten, die durch das schwedische Kriegsfinanzierungssystem entstanden, veranlaßten Schweden, die Kosten der Demobilmachung auf das Reich abzuwälzen und auf einer möglichst hohen Summe für die Militärsatisfaktion zu bestehen. Auf der anderen Seite waren fast alle Reichsstände stark verschuldet, die Bevölkerungsverluste hoch und die Kriegszerstörungen zwar sehr ungleich verteilt, in Kernregionen wie dem Fränkischen Reichskreis aber jeden-falls beträchtlich, wie auch die (anscheinend auf statistischen Unterlagen beruhenden) genauen Angaben des Bamberger Gesandten im Fürstenrat zeigen

Oschmann, 36f, 41–45, 52ff; s. das Bamberger Votum in Nr. 147 mit Bezifferung der Sachschäden (S. 67 Z. 24–28).
.
Resultat dieser Sachzwänge waren sehr intensive und harte Verhandlungen zwischen den Reichsständen und (vornehmlich) Oxenstierna, bei denen

[p. LV] [scan. 55]

es den Schweden um die Bewilligung der Summe für die Entschädigung ihrer Armee ging, während die Reichsstände danach strebten, vorrangig über den Vollzug des Friedensvertrags und dabei über die Einstellung der Kämpfe, die Beendigung der Kontributionen, die Rückgabe der besetzten Plätze sowie die Abdankung der Truppen Gewißheit zu erlangen .
Für die Dringlichkeit der Beratungen spricht die rasche Aufeinanderfolge der Sitzungen. So tagten die Reichskurien in der Woche vom 25. bis 31. Mai täglich, auch am Pfingstsonntag. Für die hohe Bedeutung, die den Verhandlungen von schwedischer Seite beigemessen wurde, spricht die Tat-sache, daß Oxenstierna sich herabließ, zu den Reichsständen ins Rathaus zu kommen, was in einer Zeit, in der jeder auf seine Reputation bedacht war, ein bemerkenswertes Indiz für das Bemühen um schnelles, zielorientiertes Verhandeln ist

Zu den täglichen Beratungen s. Nr. 157 bis 163; Pfingstsonntag war der 31. Mai. Die Sitzungen begannen um 8 Uhr, falls sie nicht nachmittags stattfanden. Zu Oxenstiernas Verhandlungen im Osnabrücker Rathaus s. Nr. 165, 166 und 167; Langenbeck hatte zuvor bezweifelt, daß Oxenstierna ins Rathaus kommen werde ( [Nr. 162 Anm. 28] ).
. Druckmittel hatten die Reichsstände nicht in der Hand, abgesehen von der Möglichkeit, die Zahlung für die Militärsatisfaktion zu verweigern, was aber von vornherein nicht in Betracht gezogen wurde.
Immerhin hat es neben den offiziellen Verhandlungen private oder jeden-falls inoffizielle Verbindungen zwischen den Schweden und reichsständi-schen Gesandten gegeben, welche zumindest die Möglichkeit boten, Ver-suche zur Verbesserung der reichsständischen Position zu unternehmen. So erfuhren die fürstlich sächsischen Gesandten Thumbshirn, Carpzov und Heher am 5. Juni 1648 vertraulich von Salvius, daß Oxenstierna und er letztlich instruiert seien, 5 Millionen Reichstaler zu fordern, und das war die Summe, welche die Reichsstände schließlich bewilligten . In den Fürsten-ratsprotokollen wird diese wertvolle Information nicht erwähnt. So ist nicht ersichtlich, welche Rolle diese Indiskretion des schwedischen Gesandten gespielt hat, ob sie von den sächsischen Bevollmächtigten überhaupt wei-tergegeben wurde, ob sie nur für sie selbst oder, was wahrscheinlicher ist, für sie und die anderen Mitglieder des Corpus Evangelicorum zur Grundlage ihres Votierverhaltens wurde. Die vertrauliche Mitteilung deutet jedenfalls darauf hin, daß das schon 1645 beobachtbare enge Verhältnis zwischen Schweden und den evangelischen Reichsständen

Das gute Verhältnis zwischen Schweden und ev. Rst. n hatte sich 1645 z. B. darin bewährt, daß die Zulassung einiger Rst. (wie dem Est. Magdeburg und der Lgft. Hessen-Kassel) durch gemeinsame Bemühungen gelang (s. APW III A 3/1, LXIII).
immer noch bestand

[p. LVI] [scan. 56]

und auch bei den Verhandlungen über die Militärsatisfaktion eine Rolle spielte.
Daß die sachsen-altenburgischen und braunschweig-lüneburgischen Ge-sandten für die Schweden eine herausgehobene Position unter den Reichs-ständen einnahmen, zeigt sich darin, daß Oxenstierna am 9. Juni nicht nur mit Meel (als einem Vertreter des Reichsdirektoriums), sondern auch mit Thumbshirn und Langenbeck über die jüngsten Beschlüsse der Os-nabrücker Reichsstände gesprochen hat . Meels Bericht darüber erwähnt weder Thumbshirn, noch gibt er mit voller Deutlichkeit zu erkennen, ob Meel gemeinsam mit Langenbeck zu Oxenstierna berufen wurde oder den Braunschweiger bereits bei Oxenstierna antraf. Auf der anderen Seite berichtet Meel mit einer gewissen Betonung, daß Oxenstierna schon von den Beschlüssen desselben Tages wußte und ihn hatte kommen lassen, um genauer – und offiziell – informiert zu werden

S. S. 440 Z. 8f.
. Es spricht viel dafür, daß Thumbshirn oder Langenbeck die Informanten waren und Meel dies indirekt kritisierte, indem er sowohl bei Oxenstierna als auch am nächsten Tag in seinem Bericht vor dem Plenum der Teilkurien darauf hinwies, daß das Kurmainzer Reichsdirektorium über Beschlüsse der Kurien ohne deren Genehmigung nichts sagen dürfe

S. S. 440 Z. 6ff.
; wenn das Reichsdirektorium Beschlüsse geheimhalten mußte, durften andere Gesandte erst recht nichts darüber berichten. Ob nun die Schweden oder die Reichsstände mehr von den inoffiziellen Informationsflüssen profitierten, die über die Sachsen-Altenburger und Braunschweiger liefen, ist schwer zu sagen. In wirklich entscheidenden Fragen konnten jedenfalls auch die Braunschweiger die Schweden nicht zur Meinungsänderung überreden, wie Langenbecks fehl-geschlagener Versuch vom 22. Mai zeigt: Er war, während die Sitzung des Fürstenrats schon begonnen hatte, bei Oxenstierna und mußte von ihm ver-nehmen, daß er und Salvius nicht zu Verhandlungen über die Modalitäten von Demobilisierung und Militärsatisfaktion bereit seien, bevor über deren Höhe entschieden wäre. Als Langenbeck verspätet in der Sitzung eintraf, teilte er diese unerwünschte Nachricht den übrigen Gesandten mit

S. das Votum Braunschweig-Celles in Nr. 155 und dazu ebenda, Anm. 7.
.
Angesichts der politischen und militärischen Lage kann es nicht verwun-dern, daß die Reichsstände die Summe für die schwedische Militärsatisfak-tion weder unter die letztlich zugesagten 5 Millionen Reichstaler drücken konnten, noch die vielfach erbetene Erklärung zum „quomodo“ (zum Voll-

[p. LVII] [scan. 57]

zug des Friedens und den Modalitäten der Militärsatisfaktion) vor Bewilli-gung der 5 Millionen zu erhalten vermochten. Was die Höhe der Militärsa-tisfaktion betraf, so waren die Gesandten zwar nicht bevollmächtigt, die von Schweden geforderte Summe zu bewilligen, doch behalfen sie sich, indem sie sub spe rati (in der Hoffnung auf künftige Genehmigung) ihre Zustimmung gaben . Tatsächlich scheinen zumindest einige Gesandte einen gewissen Spielraum gehabt zu haben. So sagte der Würzburger Gesandte am 3. Juni im Fürstenrat, sie wollten nicht feilschen, wenn die Schweden nur einen einigermaßen annehmbaren Betrag nennen würden

S. Nr. 165 bei Anm. 11.
. Worum es den Reichsständen wirklich ging, war die möglichst unmittelbare Einstellung der Kämpfe. Deshalb war es ein geschickter Schachzug, daß Oxenstierna am 9. Juni gegenüber Meel die mündliche und daher kaum rechtsverbindliche Erklärung abgab, daß die Schweden damit zufrieden sein wollten, wenn die Reichsstände acht Tage als den Zeitraum ange-ben würden, in dem der Friede zu schließen sei

S. Nr. 171 bei Anm. 7.
. Daß eine so kurze Frist unrealistisch war, wußten auch die Reichsstände. Aber die diffuse Erklärung Oxenstiernas gab doch die Hoffnung auf eine baldige Einstel-lung der Kämpfe, die nicht nur Bayern, aber Bayern am dringlichsten, herbeisehnte

Bezeichnend ist der (nicht realisierte) Vorschlag des bay. Ges. Ernst vom 10. Juni, daß Schweden, die Ksl. und Kurbayern (nach Bewilligung der geforderten Summe für die schwed. Militärsatisfaktion) an ihre jeweiligen Heerführer schreiben sollten, damit die Feindseligkeiten eingestellt würden (s. Nr. 171 bei Anm. 13).
. So war es letztlich die in den Fürstenratsprotokollen nicht direkt erwähnte Offensivkraft der schwedisch-französischen Armee und ihre Erfolge im Frühsommer 1648, welche die Osnabrücker Reichsstände dazu brachten, die geforderte Summe zu bewilligen.

Documents