Acta Pacis Westphalicae III A 3,5 : Die Beratungen des Fürstenrates in Osnabrück, 5. Teil: Mai - Juni 1648 / Maria-Elisabeth Brunert
1. Kaiserliche
Gleich in der ersten Sitzung der dokumentierten Beratungsphase wurden die Reichsstände durch eine Unterbrechung nachdrücklich daran erinnert, daß sie sich gegen den Willen der Kaiserlichen versammelt hatten und sich anschickten, über eine Frage zu beraten, die sie nach kaiserlicher Auf-fassung nichts anging. Die Kaiserlichen ließen den Gesandten am 6. Mai ausrichten, daß sie ihre Proteste wiederholen würden, falls die Kurien über die Amnestie in den kaiserlichen Erblanden einen Beschluß faßten
S. Nr. 145 bei Anm. 20; zu den nachdrücklichen Warnungen der Ksl. im Vorfeld der Sitzung s.
ebenda, Anm. 6.
. Im Protokoll heißt es allerdings nur lapidar, daß das Salzburgische Direkto-rium die geplante Beratung fortsetzen ließ. Die Reichsstände waren dem-nach von dem Eventualprotest unbeeindruckt und ließen sich auch durch den weiteren Eventualprotest des österreichischen Gesandten Goll nicht beirren, der vorsorglich gegen alles protestierte, was dem Kaiser oder dem Erzhaus an Nachteilen aus diesem Prozedere der Reichsstände erwachsen könnte
. Goll, der in den vorangehenden Jahren im Fürstenrat Münster mit seiner stabilen katholischen Mehrheit votiert hatte, zeigte sich nicht nur
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durch seinen Protest als Sachwalter der Kaiserlichen, sondern auch durch den Inhalt seines langen Votums, das er den Sachsen-Altenburgern (und damit dem Direktorium des Corpus Evangelicorum) schriftlich mitteilte. Er rief darin die Reichsstände auf,
constantia in den Verhandlungen über die schwedische Militärsatisfaktion zu beweisen, einmütige Reichsconclusa zu beschließen, sich nicht durch Drohungen beeindrucken zu lassen, nicht zum Spott der Nachwelt die Feinde zu bezahlen, sondern vielmehr Gegen-forderungen zu erheben und Gegenrechnungen aufzumachen, indem in genauen Verzeichnissen dokumentiert werde, was jedes Territorium seit 1630 durch wen und wann erlitten habe. Dann würde mancher Offizier oder ganze Regimenter sich selbst schämen, einsehen, daß sie nichts zu fordern hätten, und froh sein, wenn sie das behalten könnten, was sie sich angeeignet hatten
S. S. 14 Z. 16-S. 23 Z. 39.
.
Das war sicherlich eine sorgsam vorbereitete Rede, die auch durch die leb-hafte Schilderung der (Miß-)Bräuche im damaligen Kriegswesen besticht. Sie wies aber einen Weg, den die übrigen Gesandten nicht für gangbar hiel-ten, um zu einem baldigen Friedensschluß zu kommen. So betrachtete man sie wohl als Fundus für Argumente, warum ein Soldat wenig zu fordern habe
, ließ sich aber auf die vorgeschlagene Verhandlungstaktik nicht ein. Österreich führte zwar sechsmal das Direktorium im Fürstenrat
S. Nr. 146, 147, 152, 153, 154 und 156.
, geriet aber immer mehr ins Abseits. Am 9. Mai konnte Goll zwar noch dafür sorgen, daß der von ihm verlesene Auszug aus der kaiserlichen Instruk-tion vom 6. Dezember 1647 mit der Forderung nach Militärsatisfaktion für die kaiserliche und kurbayerische Reichsarmee tatsächlich in den Voten beachtet wurde, während der Städterat Osnabrück, dem er den Auszug selber zustellte, gar keine Umfrage mehr veranstaltete und folglich auch die kaiserliche Forderung nicht berücksichtigte
. Doch mußte Goll sich in derselben Sitzung sagen lassen, daß seine Vorschläge vom 6. Mai, wie mit den schwedischen Truppen Abrechnung zu halten sei, kaum praktikabel seien; und Sachsen-Altenburg wendete die Ausführungen Golls gar gegen die kaiserlichen Ansprüche: Eigentlich habe keine Armee etwas zu fordern, wie der
„vortreffliche“ Gesandte nachgewiesen habe, also auch die kaiser-liche nicht
S. Nr. 147 bei Anm. 32 und S. 71 Z. 7ff.
. Der Beschluß, den die Osnabrücker Reichsstände am 12. Mai dazu faßten, fiel dann auch nicht zur Zufriedenheit der Kaiserlichen aus, da
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sie für ihre Armeesatisfaktion mehr als nur die Zuweisung des Österreichi-schen Reichskreises forderten, wie sie einer reichsständischen Deputation am 13. Mai mitteilten
Beschluß vom 2./12. Mai: s. Nr. 149, Ende des Protokolls, Punkt 2; zur Kritik der Ksl. s. Nr. 151, Beginn des Protokolls.
.
Symptomatisch für die Art, wie das Salzburgische Direktorium in Zusam-menarbeit mit dem Reichsdirektorium Goll und damit die Kaiserlichen ausschalten konnte, ist eine Auseinandersetzung zwischen dem Österrei-chischen und Salzburgischen Direktor (also Goll und Johann Adam Krebs) am 15. Mai: Das Salzburger Direktorium hatte gegen die Ankündigung und ohne vorherige Absprache mit dem Österreichischen Direktorium auf Anordnung des Reichsdirektoriums eine Fürstenratssitzung einberufen und die Beratungsvorlage verfaßt, ohne Goll als den Österreichischen Kondi-rektor hinzuzuziehen. Die Beratungsvorlage wurde nicht durch Dikta-tur bekanntgegeben, sondern erst in der Sitzung verlesen, so daß Goll nicht die Möglichkeit hatte, sich mit den Kaiserlichen zu beraten. Dem-gemäß beschwerte er sich über die überraschende Einberufung der Sitzung sowie über die Abfassung des Schriftsatzes ohne seine Beteiligung. Er ver-zichtete auf eine Meinungsäußerung, da er vorher mit den Kaiserlichen darüber reden müsse
S. den Anfang des Protokolls in Nr. 152; zur Absicht Golls, mit den Ksl. zu reden, s.
ebenda, bei Anm. 10.
. Die zufällige personelle Konstellation, daß der Salzburgische Kondirektor ein Kurmainzer Gesandter war
Der Kurmainzer
Ges.
Johann Adam Krebs hatte noch von Schönborns Vorgänger, dem am 9. Oktober 1647 verstorbenen Kf.en Anselm Kasimir Wambold zu Umstadt, die Geneh-migung erhalten, das Votum des abberufenen Salzburger Primarges. Zauchenberger zu übernehmen (s.
[Nr. 145 Anm. 2] ).
und damit engste Beziehungen zum Reichsdirektorium hatte, ermöglichte es, Goll zu übergehen und den Kaiserlichen die Möglichkeit zu beschneiden, über das Österreichische Direktorium Einfluß auf den Fürstenrat auszuüben. Etwa zwei Wochen später zog Goll die Konsequenzen aus seinen herben Erfahrungen und begab sich Ende Mai wieder nach Münster, da die Bera-tungen je länger, je mehr auf die Zurücksetzung der Kaiserlichen gerichtet seien, und zwar nicht nur durch die Protestanten, sondern auch durch die katholischen Reichsstände
Goll an Ehg. Ferdinand Karl, Osnabrück 1648 V 28 (
Österreich D III S. 529–530, hier 530). Goll bekundet dort die Absicht, am folgenden Tag, also am 29. Mai, nach Münster zu reisen.
.
Die Osnabrücker Gesandten berieten zwar gegen den Willen der Kaiserli-chen über die Amnestie in den kaiserlichen Erblanden und die schwedische Militärsatisfaktion; doch versäumten sie es nicht, die Kaiserlichen über ihre
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Beschlüsse zu informieren. Diese kritisierten zwar die Reichsstände wegen ihrer Eigenmächtigkeit, nahmen deren Eröffnungen aber zur Kenntnis und setzten sie sogar als Vermittler ein, indem sie die Deputierten beauftrag-ten, bestimmte Mitteilungen an die Schweden weiterzuleiten
Die Ksl. empfingen Deputationen der
Rst.
am 9., 12., 13., 20. und 25. Mai sowie am 13. und 17. Juni (s.
[Nr. 148 Anm. 9] , Nr. 150 bei Anm. 4, Nr. 151 am Anfang des Protokolls,
[Nr. 155 Anm. 4] ,
[Nr. 158 Anm. 5] , Nr. 173 Punkt [1] und Nr. 175); am 9. Mai wurden die Deputierten beauftragt, die Eröffnungen der Ksl. zur Amnestie in den ksl. Erblanden den Schweden zu berichten und diese zu überzeugen, daß ein Insistieren auf weiteren Verhandlungen sinnlos sei; am 11. Mai wurden die Deputierten gebeten, die Schweden zur Stellungnahme zum
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1648 V 11 aufzufordern.
. Insofern war das Verhältnis zwischen den Kaiserlichen und den Reichskurien in Osnabrück zwar gestört, aber keineswegs zerrüttet.