Acta Pacis Westphalicae III A 3,5 : Die Beratungen des Fürstenrates in Osnabrück, 5. Teil: Mai - Juni 1648 / Maria-Elisabeth Brunert

1. Der Einfluß der politischen Lage auf die Reichskurien in Osnabrück

Wesentliche Punkte der künftigen Friedensverträge wie die schwedische und französische Territorialsatisfaktion sowie die Pfalzfrage waren 1647 abschließend verhandelt worden

Über die schwed. Territorialsatisfaktion war durch den ksl.-schwed. Vorvertrag von 1647 II 8/18, über die frz. durch den ksl.-frz. Vorvertrag von 1647 XI 11/14 eine Einigung erzielt worden (s. Dickmann, 324; [Nr. 173 Anm. 18] ). Die Pfalzfrage war im wesentlichen im August 1647 geklärt worden (s. [Nr. 164 Anm. 32] ).
; doch schien der Friede dennoch fern. Schweden und Frankreich waren nach wie vor vertraglich bis zum all-

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gemeinen Friedensschluß aneinander gebunden . Kurfürst Maximilian I. von Bayern war zwar durch die Aufkündigung des Ulmer Waffenstill-stands mit Schweden und Hessen-Kassel im September 1647 an die Seite des Kaisers zurückgekehrt, befand sich aber in ständiger Sorge, ob er mit diesem Schritt tatsächlich den Krieg verkürzt und seine eigene Position verbessert hatte. Die Sorge wuchs, als ihm Frankreich Ende Dezember 1647 den Waffenstillstand aufkündigte

Ruppert, 317; [Nr. 166 Anm. 26] .
. Auch die spanisch-französischen Verhandlungen gaben Anlaß zur Besorgnis, denn hier schien ebenfalls kein Abschluß in Sicht, so daß die Reichsstände fürchteten, für spanische und damit auswärtige Belange den Krieg fortsetzen zu müssen.
Erst recht nach Abschluß des spanisch-niederländischen Friedens am 30. Ja-nuar 1648 und nach dessen Beeidigung am 15. Mai schien ein Abschluß mit Frankreich angesichts der freiwerdenden Kräfte Spaniens in weite Ferne gerückt

S. Nr. 151 bei Anm. 37, Nr. 153 bei Anm. 37.
. Frankreich drängte nunmehr verstärkt auf Verhandlungen über seine drei Forderungen: das Verbot kaiserlicher Assistenz für Spanien und den Ausschluß des Burgundischen Reichskreises sowie des Herzogs von Lothringen aus dem Frieden . Schweden hatte bereits im August 1647 mit 20 Millionen Reichstalern eine konkrete Summe für die Satisfaktion seiner Armee genannt und seither auf Verhandlungen über diese Forderung gedrängt .
Ende 1647 schien daher die Lage auf dem Westfälischen Friedenskongreß wenig aussichtsreich, zumal über den heiklen Punkt der Religionsgrava-mina noch keine Übereinkunft getroffen war

S. dazu Repgen, Hauptprobleme, 412–419.
. Vor diesem Hintergrund war die Wahl des Würzburger Fürstbischofs Johann Philipp von Schönborn zum Kurfürsten von Mainz am 19. November 1647 ein Ereignis von hoher politischer Relevanz; denn es war bekannt, daß er den Frieden erstrebte, auch wenn er Opfer kosten würde

Loewe, 176; [Nr. 145 Anm. 2] . S. auch das Würzburger Votum vom 10. Juni 1648: wie kundbar, heißt es dort, sei dem Kf.en von Mainz die promotio pacis [...] am höchsten angelegen (Nr. 171 bei Anm. 21).
. Da er nunmehr als Erzkanzler an Ein-flußmöglichkeiten gewonnen hatte, durfte man eine entscheidende Bele-bung der Verhandlungen von ihm erwarten.
Schönborn hätte seine Friedensbestrebungen allerdings nicht umsetzen können, wenn es unter den Reichsständen nicht Gleichgesinnte gegeben

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hätte, von denen Kurfürst Maximilian I. von Bayern der mächtigste war. Der Wittelsbacher hatte seine politischen Ziele erreicht, seit im August 1647 die Pfalzfrage in den für ihn wesentlichen Punkten (der endgültigen Über-tragung der fünften Kur und der Oberpfalz auf ihn und seine männlichen Erben) entschieden war, wenn auch noch ein rechtsverbindliches Doku-ment darüber fehlte . Immer entschlossener den Frieden erstrebend, war Maximilian Anfang Februar 1648 bereit, unabhängig vom Kaiser konkrete Schritte zur Beendigung des Krieges zu unternehmen, indem er gemein-sam mit Kurmainz durch einen überkonfessionellen Zusammenschluß der friedenswilligen Reichsstände die erfolgreiche Beendigung der jahrelangen Verhandlungen zu erreichen suchte. Ein solcher Versuch erschien erfolg-versprechend, weil Maximilian wußte, daß auch auf protestantischer Seite Bereitschaft zu einem derartigen Zusammenschluß bestand

Zur Initiative Kf. Maximilians, die friedenswilligen Rst. beider Konfessionen zu vereinen, s. sein Memorial für Johann Adolf Krebs von 1648 II 3 für dessen Reise von München zum WFK mit Zwischenaufenthalten in Würzburg und Bonn. Krebs sollte dort mit den Kf.en von Mainz und Köln und eventuell auch mit dem Fbf. von Bamberg Gespräche führen, während Schönborn die Aufgabe zugedacht war, mit dem Kf.en von Trier brieflich Verbindung aufzunehmen. Erwähnt sind parallele Pläne der Protestanten zur Einigung der Rst. und ein Schreiben des Kf.en von Brandenburg an Maximilian, das Anlaß gab, den Hohenzollern zu den friedenswilligen und verständigungsbereiten Rst. n zu rechnen ( HHStA MEA FrA Fasz. 23 [2] unfol.; von Foerster, 340, nur partiell ausgewertet).
. Ergebnis dieser mehrseitigen, bis ins Jahr 1647 zurückreichenden Bestrebungen war die Formierung einer „dritten Partei“

Albrecht, Maximilian, 1046, zählt außer Kurbayern Kurmainz, Kurtrier, Bamberg, Würzburg und (als passives Mitglied) Kurköln sowie Kurbrandenburg, Kursachsen, Sach-sen-Altenburg und Braunschweig-Lüneburg dazu. Diese Rst. bildeten weder eine homo-gene noch eine geschlossene Gruppe, sondern hofften vielmehr auf weitere Anhänger zur Durchsetzung ihrer Ziele. Zu Plänen vom Dezember 1647, welche die Einigung zwi-schen moderaten kath. Rst. n und führenden ev. intendierten, s. Odhner, 247. Die Motive und Pläne der führenden ev. Rst. aus dem FR (Sachsen-Altenburg und Braunschweig-Lüneburg) sind für diesen Zeitraum wenig erforscht.
, mit deren Hilfe erfolgreiche, kai-serlich-schwedisch-reichsständische Verhandlungen in Gang kamen. Deren Frucht waren eine Reihe von Vereinbarungen

Zehn Vereinbarungen wurden ausgehandelt, nur bei einer ist die Unterzeichnung unsicher (s. [Nr. 174 Anm. 19] ).
, die in der Zeit vom 2. März bis zum 24. April 1648 in Osnabrück unterzeichnet wurden und wesentliche Bestandteile des Instrumentum Pacis Osnabrugensis (fast in der endgültigen Form) vorwegnahmen.
Diese erfolgreiche Verhandlungsphase endete, als am 23. April Instruktio-nen Kaiser Ferdinands III. bei seinen Gesandten in Osnabrück eintrafen,

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welche die vorrangige, abschließende Behandlung der Amnestie in den kaiserlichen Erblanden (des sogenannten § „Tandem omnes“) und die Ver-tagung der Verhandlungen über die schwedische Militärsatisfaktion als Bestandteil der Exekution des Friedens bis zum Schluß der Verhandlun-gen befahlen . Schweden aber bestand auf der gleichzeitigen Behandlung beider Materien und konnte (von verhandlungstaktischen Gesichtspunk-ten abgesehen) für sich ins Feld führen, daß ein sachlicher Zusammen-hang gegeben war. Da viele Exulanten aus den kaiserlichen Erblanden der schwedischen Armee angehörten, mußte die Militärsatisfaktion für Schweden um so höher bemessen werden, falls sie nicht in ihre Heimat zurückkehren und ihre Güter wiedererlangen konnten . Da die Kaiserli-chen darauf nicht eingingen, kamen die Verhandlungen für zwei Wochen zum Erliegen.
In dieser Situation entstand, zuerst bei den Protestanten, der Plan, über beide Punkte in den Reichskurien beraten und abstimmen zu lassen. Ver-schiedene reichsständische Gruppen und Gremien versuchten Ende April/Anfang Mai, dazu die Genehmigung der Kaiserlichen zu erhalten. Sie scheiterten, da diese zum einen nach wie vor die Militärsatisfaktion erst am Schluß aller Verhandlungen vornehmen wollten und sich zum ande-ren entschieden dagegen verwahrten, die Reichskurien über die umstrittene Amnestie in den Erblanden abstimmen zu lassen; denn nach ihrer Überzeu-gung kam den Reichsständen kein Recht zur Beschlußfassung in Dingen zu, welche den Kaiser als Landesherrn betrafen. Schließlich beschlossen Kur-mainz, Kurtrier, Kurköln, Kurbayern, Bamberg und Würzburg, somit der katholische Teil der „dritten Partei“, trotz des Widerstands der Kaiserlichen gemäß dem Vorschlag des Corpus Evangelicorum die beiden umstrittenen Punkte in die Reichskurien zu bringen . Auch ein letzter Versuch der Kaiserlichen, den schon begonnenen Sitzun-gen der Reichskurien am 6. Mai Einhalt zu gebieten, war erfolglos . Diese Widersetzlichkeit war angesichts der nachdrücklichen Verweise auf die anders lautenden kaiserlichen Befehle ein unerhörter Vorgang. Allerdings hatte Schönborn, der Exponent dieser friedenswilligen „Partei“, keine prin-zipiellen Ambitionen zum Umsturz oder auch nur zur Modifikation der Reichsverfassung. Doch war er in dieser Situation überzeugt, über die Befehle des Kaisers und auch über die abweichende Meinung jener (katho-

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lischen) Reichsstände, die sich seiner Faktion nicht angeschlossen hatten, um der Befriedung des Reiches willen hinweggehen zu müssen

Jürgensmeier, Fürstbischof, 386; Gotthard, Friede, 18. Jürgensmeier wendet sich gegen die Ansicht, das Vorgehen des Mainzer Kf.en, der den Ksl. die Verhandlungsinitiative entwand, sei eigentlich eine Verfassungsrevolution gewesen. Von einer 1645 einsetzenden, quasi revolutionionären Selbstversammlung der Rst. in Münster und Osnabrück spricht Becker, 154; ebenso Albrecht, Reichsstände, 249.
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