Acta Pacis Westphalicae III A 3,1 : Die Beratungen des Fürstenrates in Osnabrück, 1. Teil: 1645 / Maria-Elisabeth Brunert

I. Beratungen über die Admission aller Reichsstände vor Beginn der Fürstenratssitzungen

Schon bevor der Fürstenrat Osnabrück Ende Juli 1645 zu seiner ersten förmlichen Sitzung zusammentrat, hatten die Verhandlungen über den Modus tractandi be-gonnen. Denn als im Frühjahr und Sommer 1645 immer mehr reichsfürstliche

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Gesandte in den Kongreßorten Münster und Osnabrück erschienen, hatte der Kai-ser ihre Zulassung zu den Friedensverhandlungen noch nicht bewilligt. Die For-derung nach Admission wurde allerdings schon seit Jahren von einer wachsenden Zahl von Reichsständen mit größer werdendem Nachdruck erhoben. Der Ham-burger Präliminarvertrag vom 25. Dezember 1641, in dem Münster und Osna-brück als Verhandlungsorte bestimmt worden waren, besagte nur, daß Geleits-briefe für die Gegner und deren Verbündete ausgefertigt werden sollten. Frank-reich und Schweden hatten Pfalz, Braunschweig-Lüneburg und Hessen-Kassel als solche benannt

Dickmann, 104; Winfried Becker, Kurfürstenrat, 138, 151.
. Damit war die Zahl der teilnahmewilligen Reichsstände jedoch längst nicht erfaßt. Besonders bei jenen Ständen, die stark unter dem Krieg litten, wuchs der Wille, sich aktiv an den Friedensverhandlungen zu beteiligen. So wollte schon auf dem Fränkischen Kreistag im März 1642 die Mehrheit der De-legierten den Friedenskongreß beschicken. Auf einem weiteren Kreistag im Sep-tember 1643 wurde der Beschluß zur Entsendung einer eigenen Delegation be-kräftigt und im Februar 1644 der Anspruch auf das ius suffragii von Fürsten und Ständen nochmals unterstrichen. Auf weiteren Konventen beriet man über die Instruktion für die Kreisgesandtschaft sowie über eine Absprache mit den anderen Kreisen und die Beantwortung der schwedischen und französischen Invitations-schreiben

Dietz, 104, 107–110; Winfried Becker, Kurfürstenrat, 153–156.
. Die Kronen, die anfangs nur die Beteiligung ihrer Verbündeten an den Friedensverhandlungen gefordert hatten, waren durch das Drängen Hessen-Kas-sels, Braunschweig-Lüneburgs und dann auch Kurbrandenburgs bewogen worden, sich für die Teilnahme aller einzusetzen. Schweden hatte zuerst im April 1643 die evangelischen Reichsstände eingeladen; die erste französische Einladung an alle Reichsstände datiert vom 6. April 1644. Weitere Invitationen folgten

Dickmann, 115, 163–169; Dietz, 108f; Winfried Becker, Kurfürstenrat, 148f.
.
Inzwischen wurde auch auf dem Reichsdeputationstag zu Frankfurt, der eigent-lich die Justizreform behandeln sollte, über die Admission aller Reichsstände bera-ten. Besonders Braunschweig-Lüneburg und Würzburg setzten sich dafür ein, daß die Fürsten pleno iure suffragii zum Friedenskongreß zuzulassen seien

Kietzell, 108.
. Die auf die Wahrung ihrer Präeminenz bedachten Kurfürsten unterstützten die Für-sten jedoch nicht in diesem Anspruch. Aus dem Fürstenrat kam im Mai 1643 der Kompromißvorschlag, den Deputationstag nach Münster zu verlegen

Dietz, 106; Kietzell, 112f.
. Im Reichsbedenken vom 3. April 1645 stimmte der Frankfurter Fürstenrat demge-mäß für die Translation des Deputationstages, der Kurfürstenrat aber für dessen Auflösung und die Einberufung eines Reichstages

Siehe Nr. [1 Anm. 19] .
.
Da immer mehr Fürsten und Städte den Friedenskongreß ohne kaiserliche Geneh-migung beschickten und sich durch die verlorene Schlacht bei Jankau (6. März 1645) die militärische Lage ganz erheblich verschlechtert hatte, gab der Kaiser in der Hoffnung, den Zuzug der Reichsstände zum Kongreß eindämmen zu können,

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am 11. April 1645 der Bitte um Translation des Deputationstages nach Münster statt

Dickmann, 176f; Dietz, 106; [Nr. 1 Anm. 19] .
.
Damit konnte jedoch nicht verhindert werden, daß auch reichsständische Ge-sandte, die nicht zu den Mitgliedern der ordentlichen Reichsdeputation gehörten, zum Kongreß reisten. So trafen im Mai 1645 die erzstiftisch magdeburgischen Gesandten in Osnabrück ein, die in den nächsten Monaten die höchstrangigen fürstlichen Gesandten in Osnabrück waren und deshalb das Direktorium über-nahmen, als im Juli die Sitzungen des Fürstenrates begannen. Die schwedische und französische Proposition II, die am 11. Juni 1645 übergeben wurden

Siehe Nr. [7 Anm. 53] .
, forderten das ius suffragii für alle Fürsten und Stände des Reichs

Siehe Nr. [27] .
. Dementsprechend war es vor der Publikation in Osnabrück zu Meinungsverschie-denheiten darüber gekommen, ob nicht wenigstens eine gewisse Anzahl von Reichsständen diesem Akt beiwohnen solle, was Schweden billigte, während die Kaiserlichen die Anwesenheit der Reichsstände nicht wünschten

Dickmann, 171, 175; Winfried Becker, Kurfürstenrat, 198.
. Schließlich ließ Schweden den Kaiserlichen die Proposition durch den Legationssekretär zustel-len

Zu den Formalitäten s. APW [III C 4, 70f] s. d. 1645 VI 11.
, während bestimmte kurfürstliche und fürstliche Gesandte, unter ihnen die Magdeburger, Kopien erhielten. Magdeburg ließ den Text für die übrigen fürstli-chen Gesandten diktieren und übernahm damit das Direktorium. Dies hatte eine Ermahnung durch die Kaiserlichen zur Folge. Magdeburg rechtfertigte sich mit Verweis auf seine Instruktion, nach der es im Einverständnis mit den anderen Gesandten handeln solle, was es in diesem Fall getan habe

Magdeburg G II fol. 140 s. d. 1645 VI 4 [ /14] .
. Die Kaiserlichen beließen es bei der Warnung, daß Schweden die Reichsstände vom Kaiser separie-ren wolle

Magdeburg G II fol. 140–140’.
. Damit waren bereits die beiden Faktoren benannt, die für die evan-gelischen Fürsten und Stände in den nächsten Monaten entscheidend sein sollten: die Anlehnung an Schweden und ihr eigener Zusammenhalt.
Es lag nicht an der Wirksamkeit der kaiserlichen Ermahnung, daß die Magdebur-ger zu diesem Zeitpunkt noch keine förmliche Fürstenratssitzung einberiefen, son-dern an dem protokollarischen Problem der Sessionsstreitigkeiten zwischen Hes-sen, Mecklenburg, Baden, Pommern und Württemberg bei Reichsversammlungen. Erst am 20. Juli wurde dafür eine Teillösung erzielt: Mecklenburg, Hessen und Baden sowie Mecklenburg und Pommern einigten sich auf eine alternierende Stimmabgabe

Siehe Nr. [2 bei Anm. 60] ; magdeburgische Unterthänigste relation Nr. 9, in: Magdeburg F II fol. 237–238’, hier fol. 237.
, während Württemberg darauf bestand, immer die Session vor Hessen und Baden einzunehmen

Relation des Lampadius an Hg. Christian Ludwig von Braunschweig-Lüneburg von 1645 VII 11 [ /21] , in: Braunschweig- Lüneburg- Kalenberg A III fol. 8–9’, hier fol. 9.
. Schließlich ging der eine württembergische

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Gesandte nach Münster, während der andere abreiste, um neue Instruktionen ein-zuholen

Siehe Nr. [2 Anm. 42] .
. Erst im Januar 1646 kam es zu einem vorläufigen Abkommen, das Württemberg ebenfalls in die Alternation einbezog

Siehe Nr. [86 bei Anm. 39] .
. Dieser Konflikt hatte zur Folge, daß Württemberg erst an der letzten hier dokumentierten Sitzung teil-nahm

Siehe Nr. [94] . In der ersten Session votierte Lampadius für Württemberg (s. Nr. [2] ).
.
Im Juni 1645 befürchteten die Kaiserlichen, daß von den Protestanten ein abson-derlicher conventus zur Beratschlagung des Modus consultandi unter dem Direk-torium Kurbrandenburgs einberufen würde . Um dem zuvorzukommen und selbst entsprechende Beratungen einzuleiten, reiste Volmar am 17. Juni nach Os-nabrück

APW [III C 4, 72] s. d. 1645 VI 17.
. Die kaiserlichen und die kurfürstlichen Gesandten verabredeten am folgenden Tag, an einem zwischen Osnabrück und Münster gelegenen Ort eine Konferenz abzuhalten. Die Kurfürstlichen lehnten die Teilnahme der fürstlichen Gesandten, die der ordentlichen Reichsdeputation angehörten, mit dem Argument ab, daß über die Beschickung des Kongresses durch die Reichsdeputierten noch nicht entschieden sei. Ein weiterer Grund war der Exzellenztitel-Streit .
Bei der Auseinandersetzung um den Titel „Exzellenz“, den die Kurfürstlichen be-anspruchten und die Fürstlichen ihnen verweigerten, ging es um die Gleichstel-lung der kurfürstlichen Gesandten mit denen souveräner Mächte

Winfried Becker, Kurfürstenrat, 174–185.
. Der Streit machte alle Verhandlungen der fürstlichen und städtischen Gesandten mit den kurfürstlichen über Monate hinaus zu einem kaum überwindbaren Problem. In fast allen Sitzungen spielte er eine Rolle; während des gesamten Zeitraumes war die Kommunikation mit Kurbrandenburg behindert. Selbst die simple Übergabe eines Schriftstückes konnte zu langwierigen und zeitraubenden Komplikationen führen

Die Übergabe der Gravamina Evangelicorum an Kurbrandenburg scheiterte vier Mal (s. Nr. [68 Anm. 38] ).
. Erst im Januar 1646 wurde eine Interimslösung gefunden. Der Streit verhinderte auch, daß sich evangelische Fürstliche und Kurfürstliche zu einem absonderlichen convent zusammentaten, wie es die Kaiserlichen befürchteten.
Bevor am 10. und 11. Juli die Lengericher Konferenz über den Modus consul-tandi abgehalten wurde, ersuchten die Kaiserlichen am 19. Juni die Gesandten Braunschweig-Lüneburgs, des Hochstifts Konstanz und der Reichsstadt Nürnberg um ihr Gutachten zu diesem Punkt und über die Sonderfrage der Beteiligung von Ständen, die nicht zur ordentlichen Reichsdeputation gehörten

Relation des Lampadius an Hg. Christian Ludwig von Braunschweig-Lüneburg von 1645 VI 13 [ /23] , in: Braunschweig- Lüneburg- Kalenberg A II fol. 324–325, hier fol. 324. Siehe auch APW [II A 2, 353 Z. 35–354 Z. 9] (Bericht Volmars).
. Diese Gesandten (Lampadius, Köberlin und Oelhafen von Schöllenbach) vertraten Stände, die

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Mitglieder der ordentlichen Reichsdeputation waren. Sie wurden somit von den Kaiserlichen als zuständige Verhandlungspartner betrachtet.
Trotz tagelanger, intensiver Beratungen konnten sich diese Gesandten nicht auf ein gemeinsames Gutachten einigen. Sie legten deshalb dem Bedencken, dem die Mehrheit der evangelischen Gesandten zugestimmt hatte

Die Magdeburger stimmten am 28. Juli zu, weil das Bedencken vom größten Teil der Evan-gelischen gebilligt werde (Unterthänigster bericht Nr. 9 von 1645 VI 19 [ /29] , in: Magde-burg F II fol. 196–197, hier fol. 197).
, Köberlins Project bei

Siehe Nr. 2 Anm. 13.
. Köberlin schlug einen komplizierten Modus mixtus für die Verhandlungen vor

Beschrieben bei Winfried Becker, Kurfürstenrat, 199.
, der allerdings den Vorteil hatte, daß die Reichsdeputation als Beratungs-gremium der äußeren Form nach beibehalten wurde. Im Bedencken wurde hin-gegen empfohlen, daß die Beratungen per tria collegia angestellt werden sollten, wie es auf Reichstagen üblich war .
Der Lengericher Schluß der Kurfürstlichen entsprach dem Bedencken der Fürst-lichen insofern, als auch er die drei Kollegien als Beratungsgremien vorsah. Der Kaiser sollte alle getrewe[n] Reichsstände auffordern, sich in Münster zu den Frie-densverhandlungen einzufinden. Bis dies geschehen sei, sollten interimistisch die Mitglieder der ordentlichen Reichsdeputation, die durch vier Gesandte aus dem Fürstenrat und zwei aus dem Städterat ergänzt werden sollten, die Beratungen in Münster fortsetzen

Siehe Summarischer Begriff (Nr. [1 Anm. 1] ).
.
Der Kaiser, den die kaum noch aussichtsreiche Kriegslage (Schlacht bei Alerheim am 3. August 1645) zum Nachgeben bewog, entsprach dem im Lengericher Schluß ausgesprochenen Rat, alle getreuen Reichsstände cum iure suffragii zu den Friedensverhandlungen zuzulassen, am 29. August 1645 mit einem Zirkular-schreiben

Siehe Nr. [48 Anm. 11] .
; mit ihm wurde das lange umstrittene ius belli ac pacis der Reichs-stände nicht rechtlich, aber faktisch anerkannt

Repgen, Dreißigjähriger Krieg, 182.
.

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