Acta Pacis Westphalicae III A 4,1 : Die Beratungen der katholischen Stände, 1. Teil: 1645 - 1647 / Fritz Wolff unter Mitwirkung von Hildburg Schmidt-von Essen
I. Die katholischen Reichsstände auf dem Friedenskongreß
Mit der Unterzeichnung der Friedensinstrumente von Münster und Osnabrück wurde nicht nur der Kriegszustand zwischen dem Kaiser und den „Kronen“, wie Frankreich und Schweden abgekürzt bezeichnet wurden, beendet, sondern es wurde hiermit zugleich ein neues Reichsfundamentalgesetz geschaffen, das neue Grundlagen für die Gestaltung der verfassungsrechtlichen Verhältnisse im Reiche legte und das in seinen Teilen, die das Religionswesen betrafen, einen endgültigen, das Zeitalter der konfessionellen Kämpfe abschließenden Religionsfrieden darstellte. Wohl fanden auch die Fragen, die die Reichs-verfassung betrafen, ihre endgültige Regelung in den Vereinbarungen zwischen den kaiserlichen Gesandten und den Vertretern der Kronen, doch konnten die Reichsstände, deren Zulassung zum Kongreß von Frankreich und Schweden gegen den Willen des Kaisers durchgesetzt worden war, sich dabei in ihrer Gesamtheit, als Repräsentation des Reiches, stärker ins Spiel bringen als dort, wo es um die Beziehungen des Kaisers zu den europäischen Mächten ging. Hier, aber auch in allen Fällen, in denen die Rechte des Kaisers – sei es in seiner Stellung als Reichsoberhaupt oder als öster-reichischer Landesherr – unmittelbar berührt wurden, bemühten sich seine Gesandten, die Einwirkungen von seiten der Reichsstände möglichst auszuschalten; hingegen hat die kaiserliche Politik den Ständen gerade bei der Aufgabe, die konfessionellen Streit-fragen und damit eine der Hauptursachen des Krieges beizulegen, wenigstens anfangs weitgehend freie Hand gelassen und dies als eigentliches Feld ihrer Tätigkeit auf dem Kongreß betrachtet.
Diese Streitpunkte, die sich fast alle aus der Auslegung und Handhabung des Augs-burger Religionsfriedens ergeben hatten, waren auf früheren Reichstagen in den Grava-mina, den Beschwerden der Katholiken und Protestanten, zusammengefaßt und den ordentlichen Reichstagskollegien zur Beratung und Entscheidung vorgelegt worden. Auf dem Westfälischen Friedenskongreß, der im Hinblick auf die Beteiligung der Reichsstände durchaus als Reichstag gelten kann, ist dieses Verfahren nicht bei-behalten worden. Die kaiserliche Proposition an die Reichsstände vom 25. September 1645
Meiern I S. 621
(in der Responsion ad art. VII der schwedischen Friedensproposition).
stellte zwar auch die Gravamina zur Beratung, doch wurden sie nicht den ordentlichen Kollegien (dem Kurfürstenrat, Fürstenrat und Städterat) zugewiesen, sondern den konfessionellen Beratungsgremien. Damit war eine dritte Verhandlungs-ebene geschaffen: neben die Gesandten des Kaisers und der europäischen Mächte, die die eigentlichen Friedensverhandlungen führten, und neben die reichsständischen Kol-legien in ihrer herkömmlichen Form, in denen die Fragen der Reichsverfassung beraten werden sollten, traten das Corpus Catholicorum und das Corpus Evangelicorum, denen die Regelung der Reichsreligionsangelegenheiten vorbehalten war.
Die konfessionellen Corpora
Hierzu und zum Folgenden sei auf meine Untersuchung über die Corpora auf dem Westfälischen Friedenskongreß verwiesen.
waren eine relativ junge Erscheinung des deutschen Verfassungslebens. Die lockeren Ständeverbindungen auf konfessioneller Basis, die
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sich seit Beginn der Reformation gebildet hatten, hatten sich im Verlauf der Aus-einandersetzungen um den Religionsfrieden allmählich in feste Reichstagskörperschaften als Vertretung der Religionsparteien am Reichstag umgewandelt. Diese Religions-parteien sind nicht als Kirchengemeinschaften im eigentlichen Sinne aufzufassen, sondern als politische Mächte, die nun aber wieder nicht allein durch politische Inter-essen zusammengehalten wurden, sondern in einer durch ihr religiöses Bekenntnis bestimmten Konstellation zueinander standen. Von ihrer Einfügung in die verfassungs-mäßigen Körperschaften des Reiches kann freilich erst seit dem ausgehenden 16. Jahr-hundert die Rede sein. Erst 1598 wurde ihre Berechtigung für die Beratung religiöser Fragen ausdrücklich anerkannt – genauer gesagt: für die Vorberatung; denn die eigentlichen Entscheidungen wurden bis zum Reichstag 1640/41 in den ordentlichen Reichsräten mit Stimmenmehrheit getroffen, wobei die katholischen Stände ihr Über-gewicht im Fürstenrat stets aufrechterhalten konnten. Auf dem Friedenskongreß standen die Corpora sich nun zum ersten Male als gleichberechtigte Partner gegenüber. Mit Hilfe der Schweden hatten die Protestanten den neuen Verhandlungsmodus durch-gesetzt, um die Majorisierung durch die katholische Mehrheit im Kurfürsten- und Fürstenrat bei der Behandlung der Gravamina zu verhindern. Ob die Gravamina überhaupt auf dem Kongreß vorgebracht werden könnten, war lange Zeit ungewiß. Für sie war zuletzt im Prager Frieden 1635 eine reichsgesetzliche Regelung getroffen worden. Da die meisten Reichsstände dem Frieden, den der Kaiser und Kursachsen gleichsam als Häupter der beiden Religionsparteien geschlossen hatten, beigetreten waren, konnten die Gravamina als erledigt oder doch für die nächste Generation – für 40 Jahre – als suspendiert betrachtet werden. Die Auffassung von der fort-dauernden Rechtsgültigkeit der Prager Abmachungen wurde zunächst die Grundlage der kaiserlichen und der kursächsischen Politik; die gleiche Haltung nahmen die katholischen Stände ein. Ihnen hatte der Friede trotz einiger Zugeständnisse (wie der Aufhebung des praktisch allerdings schon nicht mehr wirksamen Restitutionsedikts) mit der Anerkennung des früher so heiß umkämpften Geistlichen Vorbehalts, der Sicherung ihrer bis zum 12. November 1627 gemachten Erwerbungen und schließlich mit der Aussicht, nach Ablauf der 40 Jahre, während derer die Gravamina suspen-diert sein sollten, den Rechtsweg zur Wiederherstellung des Zustandes von 1552/55 beschreiten zu können, überwiegend Vorteile gebracht. Die Anerkennung des Prager Friedens war dann auch auf dem Kongreß eine Hauptforderung der katholischen Stände. Ihre Position war jedoch schon 1641 auf dem Reichstag zu Regensburg erschüttert worden. Hier gelang es den Protestanten, die Vorlage der beiderseitigen Gravamina vor dem Reichstag durchzusetzen. Das bedeutete: über die Religionsfragen im weitesten Sinne sollte trotz der Prager Bestimmungen weiterverhandelt werden. Vor allem Braunschweig-Lüneburg und Hessen-Kassel, die nicht dem Prager Frieden beigetreten waren, verlangten die Behandlung aller aus dem Religionsfrieden herfließenden Pro-bleme, während andere, wie Kurbrandenburg, zunächst nur die Revision des Prager Friedens anstrebten und allenfalls bis 1618 zurückgehen wollten. Offensichtliches Ziel der Braunschweiger und Hessen war es, eine Verknüpfung der Streitfragen zwischen den deutschen Ständen mit den allgemeinen Friedenstraktaten des Kaisers und der Kronen zu erreichen.
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Die katholischen Stände mußten 1641 zwar die offizielle Übergabe der Gravamina zugestehen, doch konnten sie verhindern, daß diese vom Reichstag beraten wurden. Unter Berufung auf den Prager Frieden lehnten sie die Diskussion über die kirch-lichen Streitfragen ab; die für sie wichtigste Bestimmung des Friedens, nämlich die Feststellung des Termins für die Verteilung des kirchlichen Besitzstandes nach dem 12. November 1627, wurde sogar im Reichsabschied §§ 4–9 bestätigt. Die Ver-knüpfung der Gravamina mit den bevorstehenden Friedensverhandlungen wurde ver-mieden, indem diese Frage einer außerordentlichen Reichsdeputation, die auf dem nächsten ordentlichen Deputationstag festgesetzt werden sollte, zugewiesen wurde. Das war das alte Mittel des Temporisierens, der Verschiebung der
composition in eine ungewisse Zukunft, mit dem die katholischen Reichsstände auf früheren Reichs-tagen die Ansprüche der Protestanten stets abgewehrt hatten. Auch diese Politik wurde auf dem Friedenskongreß zunächst weiterverfolgt.
Vor der von 1643 bis 1645 in Frankfurt/Main tagenden Reichsdeputation, deren offizielle Aufgabe die Ordnung des Reichsjustizwesens war, brachten die Protestanten die Forderung nach Erledigung der Gravamina erneut vor. Ebenso verlangten sie die Zulassung aller Stände zu den Friedenstraktaten, die inzwischen wirklich begonnen hatten. Hierin wurden sie auch von einigen katholischen Ständen, vor allem von Würz-burg, wo Johann Philipp von Schönborn regierte, und von Konstanz unterstützt. Diese wollten den Protestanten auch in der Frage der Gravamina entgegenkommen, sie waren jedoch wie die Mehrheit der katholischen Deputierten der Meinung, daß zuvor der Friede mit den fremden Kronen geschlossen sein müsse, ehe man an die Behandlung der innerdeutschen Angelegenheiten gehen könne, und daß die Gravamina von den übrigen Gegenständen der Friedensverhandlungen zu trennen seien. So konnte Kurmainz noch am Ende des Deputationstags einen Beschluß durchsetzen, wonach die vorgesehene außerordentliche Deputation zur Beratung der Gravamina am 1. Mai 1646 in Frankfurt/Main – also getrennt vom Friedenskongreß – zusammentreten sollte. Die Gesandten der katholischen Kurfürsten, die bereits in Münster vertreten waren und sich hier als Kurfürstenrat und Repräsentation des Reiches konstituiert hatten, bestätigten am 17. Mai 1645 die Frankfurter Entscheidung
.
Dieser Beschluß ist nie verwirklicht worden. Noch während die Frankfurter Ver-sammlung tagte, hatten die schwedischen Gesandten in Osnabrück angekündigt, daß die Gravamina als
causa belli auf dem Friedenskongreß behandelt werden müßten
. In ähnlicher Formulierung ist diese Bedingung in ihre am 11. Juni 1645 übergebene Hauptfriedensproposition aufgenommen worden
. Damit wurde die Kontinuität der schwedischen Politik seit dem Eintritt Schwedens in den deutschen Krieg betont. Gustaf Adolf war nach Deutschland gekommen, um die evangelische Religionsfreiheit zu sichern. Gleichgültig, ob das nur der
praetextus belli war, der andere, macht-politische Ziele kaschieren sollte, oder ob hiermit eines der wirklichen Motive der Politik des Königs ausgesprochen wurde – das Eintreten für die Forderungen der evan-
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gelischen Reichsstände gehörte zum Programm der schwedischen Politik in Deutsch-land. Davon konnte nicht abgegangen werden, wenn der schwedische Krieg nicht als reiner Eroberungskrieg deklariert werden sollte. Zudem bot die Verknüpfung der Gravamina mit den Friedensverhandlungen bedeutende taktische Vorteile für Schwe-den: wenn die evangelischen Reichsstände sich die Hilfe der Schweden in den Reichs-religionsangelegenheiten sichern wollten, mußten sie die schwedischen Satisfaktions-leistungen unterstützen. Ferner konnte Schweden, sofern es vorteilhaft erschien, die schwierigen Gravamina-Verhandlungen dazu benutzen, die allgemeinen Traktate zu verzögern oder ganz scheitern zu lassen.
Mit diesen Möglichkeiten mußte man am Kaiserhofe rechnen. Als Gegenmittel bot sich an, durch schnelle Beilegung der Gravamina den Kronen ihre deutsche Gefolgschaft zu entziehen und damit die eigene Position in den Friedensverhandlungen zu ver-bessern. Als feststand, daß die Teilnahme der Reichsstände am Kongreß und die Behandlung der Gravamina nicht zu vermeiden waren, ist die kaiserliche Politik auf diese Linie eingeschwenkt. Die eigenhändige Instruktion Ferdinands III. für seinen Prinzipalgesandten, den Grafen Trauttmansdorff, nennt als erstes Ziel der Verhand-lungen die
vergleichung oder verainigung der stende [...] nempe in puncto amnystiae et gravaminum
Ksl. Instruktion vom 16. Okt. 1645,
APW I 1 S. 441.
. Von der Gültigkeit des Prager Friedens, von der die erste kaiserliche Hauptinstruktion für Osnabrück vom Jahre 1643
Ksl. Instruktion vom 15. Juli 1643, APW
I 1 S. 411.
noch ausging, war dabei nicht mehr die Rede. Die meisten katholischen Reichsstände sind der kaiserlichen Politik nicht gefolgt. Sie hielten weiter am Prager Frieden fest, und die Fragen, die dort offengeblieben waren, wollten sie lieber durch Sondervereinbarungen regeln (wie im Falle des Hochstifts Hildesheim, dessen Fürstbischof mit Braun-schweig um den größeren Teil seines Territoriums im Streite gelegen hatte und für das unter kaiserlichem Druck 1643 der Goslarer Vertrag geschlossen war) oder durch den Reichshofrat entscheiden lassen (wie den Streit um den Besitz der württem-bergischen Klöster), wo die Aussichten für eine günstige Entscheidung in ihrem Sinne besser waren. Ihr Interesse, den Kongreß zu beschicken und dort in die Verhandlungen über die Gravamina einzutreten, war daher nur gering. Die meisten von ihnen haben sich erst, nachdem das amtliche kaiserliche Einladungsschreiben an sie ergangen war, zögernd auf den Weg nach Münster gemacht, während sich zahlreiche evangelische Gesandte längst eingestellt hatten.
Nur wenige katholische Fürsten hatten schon früher einen Vertreter zum Kongreß entsandt. Die katholischen Stände des Fränkischen und des Schwäbischen Kreises hatten sich bereits 1644 mit ihren evangelischen Mitständen geeinigt, dem Einladungs-schreiben der Kronen Folge zu leisten. Seit März 1645 waren ihre Gesandten in Münster
. Solange sich jedoch der Kaiser und die katholischen Kurfürsten gegen die Zuziehung der Reichsstände sperrten, war mit dem Erscheinen einer größeren Zahl katholischer Gesandter nicht zu rechnen, zumal sich ein großer Teil der katholischen Stimmen im unmittelbaren Besitze der Häuser Habsburg und Wittelsbach befand.
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Habsburgisch waren die Stimmen des Erzherzogtums, der Freigrafschaft Burgund, des Deutschmeisters und der Stifter Besançon, Straßburg, Passau, Halberstadt, Hersfeld, Murbach-Lüders; die bayerischen Wittelsbacher hatten neben der neuerworbenen Kur-stimme die herzoglich bayerische Stimme im Fürstenrat beibehalten und besaßen die Landgrafschaft Leuchtenberg; Angehörige dieses Hauses hatten die Stifter Köln, Regensburg, Hildesheim, Paderborn, Münster, Lüttich, Minden, Osnabrück, Verden, Stablo und Berchtesgaden inne.
Nachdem die Beteiligung der Reichsstände am Kongreß in der Form eines Reichstags zugestanden war, lag es im Interesse der katholischen Sache, daß die katholischen Reichsstände möglichst vollständig vertreten waren, um zu verhindern, daß diesmal das Mittel der Majorisierung von den Protestanten angewandt werden konnte. Unter Hinweis darauf haben sich die kaiserlichen Gesandten bemüht, die zögernden katho-lischen Stände zur schnelleren Entsendung eines Gesandten zu veranlassen, und noch bevor alle Vertreter am Kongreßort eingetroffen waren, ist auf ihr Drängen hin die erste Plenarversammlung der katholischen Stände zusammengetreten.
Mit der regulären Beteiligung der katholischen Stände an den Friedensverhandlungen war für die kaiserliche Politik allerdings noch nicht die Gewißheit gegeben, daß die angestrebte
vergleichung und verainigung der stendt auch wirklich in kurzer Zeit erreicht werden könnte. Dies hatte die oben erwähnte kaiserliche Instruktion für Trauttmansdorff als erste Aufgabe auf dem Kongreß bezeichnet. Danach sollte, wenn möglich, zuerst die Einigung mit Schweden herbeigeführt werden, erst dann sollte in die Verhandlungen mit Frankreich, dessen Forderungen den Besitz des Erzhauses selbst bedrohten, eingetreten werden. Die Politik der im Corpus Catholicorum ver-sammelten Stände hat dazu beigetragen, daß dieses Programm geradezu auf den Kopf gestellt worden ist. Die direkten Verhandlungen über die Gravamina, die erst nach langem Drängen der kaiserlichen Gesandten im April 1646 in Gang kamen, wurden zunächst ergebnislos abgebrochen und konnten seit November 1646 als endgültig gescheitert gelten. Von da an mußten sie von Trauttmansdorff und Volmar selbst mit den Schweden geführt werden, wobei die Gruppe um den Osnabrücker Bischof Franz Wilhelm von Wartenberg eine beharrliche Obstruktionspolitik trieb. Erst im März 1648, als die Vorverträge mit Frankreich und Schweden schon ausgehandelt waren, konnten sie abgeschlossen werden. Hingegen hatten die meisten Katholiken von Anfang an gefordert, den Franzosen bei ihren Satisfaktionswünschen entgegenzu-kommen, um die Unterstützung dieser katholischen Macht gegen Schweden und Protestanten zu gewinnen. In der Tat mußte Trauttmansdorff dann zuerst mit den Franzosen abschließen. Auch bei den Verhandlungen mit den Schweden gingen einige katholische Gesandte davon aus, daß man mit der Erfüllung der schwedischen Satis-faktionsforderungen die Protestanten isolieren könne.
Die Haltung des Corpus Catholicorum hat damit, vom unmittelbaren Bezug auf die Regelung der Reichsreligionsangelegenheiten zunächst einmal abgesehen, entscheidend auf den gesamten Gang der Friedensverhandlungen eingewirkt. Wenn auch von einer einheitlichen Politik der im katholischen Rat vertretenen Stände nicht gesprochen werden kann – es bestanden scharfe Gegensätze zwischen den Befürwortern und den Gegnern der Verständigung mit den Protestanten, ferner zwischen den jeweiligen
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Anhängern der beiden verfeindeten katholischen Mächte Frankreich und Spanien –, so mußten doch die
in corpore gefaßten Beschlüsse als offizielle Äußerungen der katholischen Religionspartei gewertet werden, und hier konnten die Intransigenten ihre Meinung meist durchsetzen.
Dies war der Fall sowohl bei den Beratungen der Religionsgravamina als auch bei den politischen und verfassungsrechtlichen Fragen im engeren Sinne. Anfangs hielten sich die katholischen Stände allerdings an den von den kaiserlichen Gesandten gefor-derten Verhandlungsmodus, wonach die konfessionellen Corpora nur für die Regelung der Reichsreligionsangelegenheiten zuständig sein sollten. Nachdem die Widerstände der Katholiken in den Vorfragen – der Admission des Administrators von Magdeburg und anderer evangelischer Stiftsinhaber sowie der Behandlung der protestantischen Forderungen auf dem Kongreß – überwunden waren, konnte in die Beratung der Gravamina eingetreten werden. Es wurden ein Ausschuß und ein Unterausschuß gebildet (die
Deputatio ad Gravamina und die
engere Deputation), die zunächst die Beschwerden vom Reichstag 1640/41 durcharbeiteten. Als die Protestanten dann ihre Gravamina vorgelegt hatten, wurde deren Beantwortung zunächst in der Depu-tation vorbereitet und im Plenum noch einmal ausführlich diskutiert. Einen Höhe-punkt brachten die Sitzungen am 3. und 5. März 1646, in denen die anwesenden Gesandten ihre grundsätzlichen Auffassungen über die zwischen den Protestanten und Katholiken bestehenden Streitfragen darlegten. Wie gering die Möglichkeiten einer Einigung aufgrund der danach formulierten Erklärung waren, zeigte sich bei den auf Wunsch der Protestanten in Osnabrück abgehaltenen direkten Verhandlungen zwischen den Ständen (April/Mai 1646), die ergebnislos abgebrochen werden mußten. Den Vermittlungsvorschlägen der kaiserlichen Gesandten, die dem katholischen Plenum vorgelegt wurden, wurde nun schon die Forderung nach Erfüllung der französischen Satisfaktion entgegengesetzt. Der Austausch von kaiserlichen und protestantischen Erklärungen über die Gravamina im Juli und August 1646 bewirkte eher eine Ver-härtung der Haltung im katholischen Rat, und das Scheitern eines erneuten Versuchs im November 1646, die Religionsparteien zu gemeinsamen Beratungen zusammen-zubringen, hatte schließlich das Ergebnis, daß die kaiserlichen Gesandten das Corpus Catholicorum von der Behandlung der Gravamina-Frage ganz ausschlossen und von Februar bis April 1647 allein mit den Schweden und Protestanten verhandelten.
Die in diesem Band vorgelegten Protokolle führen bis zu diesem Zeitpunkt. Hier liegt ein deutlicher sachlicher Einschnitt in der Folge der
CC
-Konferenzen. Im Früh-jahr 1647 mußte dann die neue Lage erörtert werden, die sich durch den Ulmer Waffenstillstand des Kurfürsten von Bayern mit Frankreich und Schweden ergeben hatte. Als Trauttmansdorff am 3. Juni 1647 sein endgültiges Vertragsprojekt vor-gelegt hatte, wurde dieses umfangreiche
Instrumentum Trauttmansdorffianum den ganzen Sommer über im Corpus Catholicorum beraten, wobei die Gesandten zu jedem Artikel ein ausführliches Votum formulierten. Die endgültige Erklärung bedeutete im wesentlichen eine Ablehnung der kaiserlichen Vorschläge. Über die Frage, ob diese doch noch anzunehmen seien, spaltete sich das Corpus Catholicorum; die Vereinbarungen mit den Protestanten wurden nur von der Gruppe der katholischen „Prinzipalisten“ – den Vertretern der vornehmsten, der „prinzipalsten“ Stände:
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den Kurfürsten, Salzburg, Pfalz-Neuburg, Bamberg, Würzburg – anerkannt. Der folgende Band soll diesen Teil der Protokolle umfassen.
Fragt man nach der Bedeutung der in diesen Protokollen aufgezeichneten Äußerungen, so wird man zunächst feststellen, daß hierin keineswegs solche
Arcana verborgen sind, wie man auf protestantischer Seite mitunter vermutete
. Gewiß, die Sitzungen des Corpus Catholicorum waren streng vertraulich, und die Geheimhaltung der Beratungen wurde immer wieder eingeschärft, aber die ungeschminkte Offenbarung der Ziele und Absichten der einzelnen katholischen Stände wird man hier nicht suchen können. Die Vertreter einer nachgiebigen Politik gegenüber den Protestanten konnten angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Corpus Catholicorum nicht wagen, ihren Auffassungen allzu offen Ausdruck zu verleihen; andrerseits mußten die Stände, die sich durch die Forderungen der Protestanten in ihrem Besitz und in ihren Rechten bedroht sahen, versuchen, ihren Argumenten eine für alle Katholiken annehmbare und im Reichsrecht fundierte Fassung zu geben. Schließlich bildeten die in den Plenarkonferenzen des Corpus Catholicorum anwesenden Personen ein verhältnismäßig großes Beratungs-gremium: es waren in der Regel etwa 20 Gesandte vertreten, die in den meisten Fragen recht unterschiedliche Auffassungen hatten und die sich gegenseitig nicht in allen Fällen für unbedingt vertrauenswürdig hielten. Wie für alle Aufzeichnungen aus dem Bereiche der Diplomatie gilt auch hier: man muß die Nuancen der Formu-lierungen beachten, zwischen den Zeilen lesen und auch die gleichzeitigen Eintragungen in den Gesandtschaftsdiarien sowie die Korrespondenzen der Gesandten mit ihren Kommittenten heranziehen, wenn man die Möglichkeiten der Interpretation aus-schöpfen will. Ein Gespräch unter bestimmten Gesandten beim Kirchgang oder bei einer Theateraufführung im Jesuitenkolleg hat sicher nicht allzu selten den Verlauf einer Plenarkonferenz bestimmt, ohne daß derartiges in den Protokollen selbst faßbar wird.
Der Eigenwert der Protokolle als historische Quelle wird dadurch nicht gemindert. In ihnen ist die Begründung dessen wiedergegeben, was als Auffassung der katholischen Stände von der Ordnung der durch den Krieg und die vorausgegangenen Ereignisse verwirrten Reichsangelegenheiten vor Kaiser und Reich vorgetragen werden konnte und worin gleichsam die Summe des hundertjährigen Kampfes um den Charakter des Heiligen Römischen Reiches – um seine Staatsidee, wenn dieses Wort hier erlaubt ist – gezogen wird. Hierin und in der oben skizzierten Bedeutung der Haltung der katho-lischen Stände für den Gang der Friedensverhandlungen und damit für die Ergebnisse des Kongresses liegt der besondere Wert der Protokolle. Daß zahlreiche Einzel-probleme der Reichsverfassung, aber auch der Territorialgeschichte hier schärfer beleuchtet werden, sei noch abschließend bemerkt.